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Dreizehntes Buch.
Principien und Beispiele moralischer Tugenden.

(Fortsetzung).

Würde des Menschen.

Dem hebräischen Sclaven, der einwilligte, seine Dienstbarkeit länger als die sieben Jahre, wo er gesetzlich frei wurde, fortzusetzen, mußte man das Ohr mit einem Pfriemen durchbohren, zum Zeichen seiner Einwilligung 2. Buch Mose Cap. 21 V. 6..

»Warum diese Qual, und warum am Ohre?

Rabbi Jochanan ben Saccai sagt: Gott spricht: »Jener hat mit seinem Ohre die auf dem Sinai verkündigten Worte 3. Buch Mose Cap. 25 V. 42. gehört, welche die Kinder Israel »meine Knechte«, und nicht Knechte von Knechten nannten, und dennoch willigt er ein, sich zum Sclaven des Menschen zu machen! Jenes Ohr werde durchbohrt!«

Talmud Kiduschin S. 22 b.

 

Stolz und Demuth.

Ein leichtes Windchen von Mißgeschick wirft den Stolzen nieder, und mit Recht. Denn der unermeßliche Ocean, der aus so vielen Millionen Tropfen Wassers besteht, wird dennoch bei einem leichten Windchen in Unruhe gebracht. Wird mehr nöthig sein, den Menschen niederzuwerfen, in dessen Adern nur ein Tropfen Blut fließt?

Rab Chija sagte: ein ganz kleiner Theil Stolz steht dem Weisen wohl an, wie die Bärte der Aehre Die Commentatoren erklären, damit seine Worte auch bei den Leichtsinnigen Eingang finden..

Rab Nachanan antwortet: auch nicht der allerkleinste Theil; denn, wie die heilige Schrift ( Mischle Cap. 16 V. 5) sagt, der Stolz ist Gott ein Gräuel.

Talmud Sota S. 5 b.

 

Rabbi Jochanan sagte: Wer ein Ganzopfer darbringt, erhält den Lohn für ein Ganzopfer; wer ein anderes Opfer darbringt, erhält den Lohn für das Opfer. Wer Gott die Demuth darbringt, hat ein Verdienst, wie wenn er alle Opfer der Erde darbrächte.

Talmud Sota S. 5 b.

 


Zwei große Gelehrte begaben sich miteinander in eine Stadt, um öffentliche Vorlesungen über das heilige Gesetz zu halten.

Der eine trug vor aus den heiligen Satzungen Halacha., der Andere sprach von geistreichen Auslegungen und anmuthigen Erzählungen Agada.. Die Menge, von diesen sinnreichen Deutungen angelockt, drängte sich hastig um den gefälligen Redner, und der Meister der heiligen Satzungen sah sich in kurzer Zeit vereinsamt und verlassen.

Der Arme fühlte sich gekränkt und konnte sich nicht zufrieden geben.

Der Gefährte wollte ihn trösten und sprach also: »Mein Freund! der Haufe, der sich zu meinem Unterrichte drängt, ist keine Herabsetzung für dich, ist keine Ehre für mich. Nimm einmal an, zwei Kaufleute begeben sich in die nämliche Stadt und der Eine führt einige kostbare Steine, der Andere einen Karren von Schmuck – und Spielsachen von geringem Werthe. Es ist sicher, daß die Menge begierig zu diesem letzten laufen wird und wenige zu dem erstern. Hier hast du ein Bild der verschiedenen Gegenstände, die du und ich lehren.«

Und diese sinnreichen Worte waren eingegeben von schöner Demuth.

Talmud Sota S. 40 a.

 

Die Heuchelei.

Der Fromme ohne Verstand, der verschmitzte Bösewicht, die bigotte Frau und die Geiselungen der Pharisäer sind der Ruin der Welt.

Sota S. 20 a.

 

Das Mädchen, das immer Gebete murmelt, die Wittwe die immer auf Besuchen ist und ein anmaßender Jüngling sind der Ruin der Welt.

Talmud Sota S. 22 a.

 

Die Pharisäer Eine berühmte Sekte, die ein abgesondertes Leben führte und ganz den Andachtsübungen hingegeben war. Wie es immer geschieht, die Uebertreibung und die Heuchelei machten, daß Manche ausarteten.. Es giebt sieben Classen Pharisäer oder Heuchler.

1) Der sichemitische Pharisäer, ein Nachahmer der Sichemiten, die aus menschlichen Rücksichten die Beschneidung annahmen 1. Buch Mose Cap. 34., erfüllt die göttlichen Vorschriften mit dem einzigen Zwecke, sich Ansehen und Ruf zu erwerben

2) Der streichende Pharisäer, der, um Demuth zur Schau zu tragen, mit den Füßen streicht, statt zu gehen und den Staub und die Steine aufwirft. Oder, er trägt immer die göttlichen Vorschriften zur Schau, um die Blicke und Huldigungen Anderer auf sich zu ziehen.

3) Der augenschließende Pharisäer, der mit halbgeschlossenen Augen geht, um die gute Sitte nicht zu verletzen. Oder er beträgt sich so, daß eine gute Handlung der Ersatz einer schlechten sei.

4) Der kopfhängende Pharisäer, der immer mit gesenktem Haupte geht, wie ein umgestürzter Mörser.

5) Der » was bleibt mir«-Pharisäer, der, wie wenn er getreulich alle Pflichten des Lebens erfüllt hätte, immer das Lied wiederholt: welche Pflicht bleibt mir noch zu erfüllen? ich bin bereit sie zu erfüllen.

6) Der Pharisäer aus Furcht, der das Gesetz beobachtet aus knechtischer Furcht vor der Strafe.

7) Der Pharisäer aus Liebe, der das Gesetz beobachtet aus Liebe zum Lohne.

Der jerusalemitische Talmud aber betrachtet diese letztere Classe als wahrhaft fromme, wenn sie nur von der Liebe zu Gott geleitet ist.

Talmud Sota S. 22 b und Tosaphot daselbst.

 

Der Mond.

Eines Tages erschien ein Mann vor dem Gelehrten Rabba und fragte ihn also:

»Herr! Hört doch, in welch' schrecklicher Lage ich mich befinde. Mein Fürst befiehlt mir, einen Feind von ihm zu tödten; wenn ich mich weigere, so geht's um mein Leben. Soll ich mich durch die Weigerung einem gewissen Tode aussetzen?«

Stirb, antwortet streng der Gelehrte, lieber, als daß du ein Mörder wirst. Dein Leben retten? Wie? Bildest du dir denn ein, daß dein Blut röther Das heißt: kostbarer. sei, als das Blut jenes Mannes? Vielleicht ist sein Blut röther.

Talmud Pesachim S. 25 b.

 

Denke gut vom Nächsten.

Wer gut vom Nächsten denkt, wird immer von den Andern gut beurtheilt.

Ein armer Bauersmann vermiethete sich zu einem entfernt wohnenden und reichen Gutsbesitzer; man kam über den Lohn überein, und er arbeitete drei Jahre nacheinander in seinen Feldern. Voll Vertrauen in die Rechtschaffenheit des Herrn, den er als einen gewissenhaften Mann kannte, verlangte er nie etwas von seinem Lohne. Nach Ablauf der drei Jahre sagte der Bauersmann zum Gutsbesitzer:

»Herr! es ist jetzt Zeit, daß ich die Früchte meiner langen Mühen nach Hause trage. Meine Familie erwartet mich und bedarf meiner. Gebt mir das durch meine Mühe verdiente Geld.«

»O guter Mann!« antwortete schmerzlich der Grundbesitzer, »ich habe kein Geld.«

»Bezahlt mich mit dem geernteten Getreide!« »Ich habe kein Getreide mehr.« »Gebt mir Vieh.« »Ich habe kein Vieh mehr.« »Gebt mir Land.« »Ich habe keines mehr.« »Gebt mir Hausgeräth.« »Ich habe nichts mehr,« rief schmerzlich der Herr.

Der arme Landmann nahm, ohne einen Vorwurf oder eine Beleidigung auszustoßen, weinend seine Werkzeuge zusammen und ging nach Hause.

Nach Verlauf einiger Tage sah der Landmann seinen Herrn kommen, gefolgt von Wagen, voll mit reichen Waaren und kostbaren Schätzen. Der gute Mann nahm seinen Gast freundschaftlich auf, und sie saßen beim freundschaftlichen Mahle. Hierauf frug ihn der Gutsbesitzer also:

»Mein Freund! Als ich dir erklärte, daß ich kein Geld habe, was dachtest du da von mir? Welchen Verdacht hattest du gegen mich?«

»Keinen Verdacht. Ich dachte, vielleicht hat sich dir eine wohlfeile Waare dargeboten, die du gekauft hast.«

»Als ich dir erklärte, daß ich kein Vieh habe, was dachtest du?«

»Daß du es vielleicht an Andere vermiethet hast.«

»Als ich dir erklärte, daß ich keine Früchte habe, welchen Verdacht schöpftest du?«

»Keinen, ich dachte, daß sie vielleicht nicht verzehntet sind.«

»Als ich auch kein Land hatte, was dachtest du?«

»Ich dachte, daß du es verpachtet habest.«

»Und endlich«, fuhr der Gutsbesitzer fort, »als ich dir gar erklärte, daß ich gar nichts mehr besitze, nicht einmal die nothwendigsten Hausgeräthschaften, war auch da dein Vertrauen in meine Rechtschaffenheit noch nicht erschöpft?

»Nimmermehr, ich dachte, ihr hättet vielleicht all euer Vermögen Gott geweiht; und so blieb euch nichts mehr für mich.«

»Bei Gott! Du hast die Wahrheit getroffen. In einem Augenblicke des Zornes wegen der schlechten Aufführung meines Sohnes, weihete ich mein ganzes Vermögen dem Himmel. Die Gesetzesgelehrten haben mir mein unbesonnenes Gelübde gelöst. Hier hast du reichen Lohn für deine Arbeiten. Wolle Gott über dich immer so günstig urtheilen, wie du so günstig über mich geurtheilt hast.«

Talmud Sabbath S. 127 b.

 

Liebe zum öffentlichen Wohle.

Wehe dem, der an den öffentlichen Freuden, an den allgemeinen Leiden keinen Antheil nimmt.

Wenn Israel leidet und es trennt sich Einer von ihm, nur an an sich selbst denkend, so steigen zwei Engel vom Himmel herab und legen ihm die Hände auf den Kopf und rufen: dieser, der die Seinigen verlassen hat, wird nie mehr die öffentlichen Freuden genießen.

Wenn die Gesellschaft leidet, wehe dem, der da sagt: »ich bleibe ruhig in meinem Hause; lasse mir's wohl sein, und ich werde Frieden haben.« Das Vergehen eines solchen wird nie gesühnt werden.

Mose freute sich, wenn Israel sich freute und theilte immer seine Schmerzen.

Und ein solcher Verräther möge nicht denken, daß Niemand ihn vor Gericht fordere und gegen ihn Zeugniß oblegen könne. Es werden ihn selbst die Wände seines Hauses anklagen; seine eigne Seele selbst wird ihn anklagen; es werden ihn die Engel, die den Menschen begleiten, anklagen.

Talmud Taanith S. 11 a.

 

Gesetze strenger Rechtschaffenheit für die Richter.

Das Geschenk flößt dem Richter eine Sympathie für den Geschenkgeber ein; der Richter wird in jenen Augenblicken gleichsam Eins mit dem Geschenkgeber, nimmt sich seiner Sache an, wie wenn sie sein wäre; und auch mit der Absicht, gerechtes Urtheil zu sprechen, täuscht er sich selbst; denn der Mensch findet nie einen Grund, sich zu verurtheilen.

Talmud Ketuboth S. 105, 2.

 


Sei nie Richter, weder des Freundes, noch des Feindes; für den ersten würdest du immer eine Entschuldigung finden, für den zweiten immer eine Belastung.

Rabbi Samuel setzte auf einer Barke über einen Fluß. Am Ufer angekommen, reicht ihm ein Mann die Hand, um ihm zu helfen auszusteigen. Der nämliche Mann bringt einen Rechtsstreit vor ihn. »Freund!« sagt der Gelehrte zu ihm, »ich kann dein Richter nicht sein, weil ich einen Dienst von dir empfangen habe.«


Rabbi Jose ließ sich jeden Freitag von seinem Verwalter einen Korb Früchte bringen. Einmal kam dieser am Donnerstag mit dem gewöhnlichen Korb Früchte »Aus welchem Grunde bist du heute früher gekommen?« fragt ihn der Herr.

»Herr! antwortete der Verwalter, ich habe hier in der Stadt einen Proceß; und da ich hierher mußte, so habe ich gedacht, die Reise zu benutzen, um euch von euren Früchten zu bringen. Bitte! dies ist der Gegenstand meines Processes; sprechet das Urtheil.«

»Freund!« antwortet der Herr, »du hast mir eine Höflichkeit erwiesen; ich kann nicht mehr dein Richter sein.«

Er beauftragte zwei Weise, seine Stelle zu vertreten.

Während die Sache verhandelt wurde, dachte er bei sich: »o wenn der Verwalter den und jenen Grund angeben würde, würde er den Proceß gewinnen; wie würde ich mich darüber freuen!« Auf einmal fuhr er aus jenem stillen Nachdenken auf und sagte: »Verrucht die Richter, die Geschenke annehmen! Ich habe eine mir gehörige Sache angenommen, und doch fühle ich mich ganz zu Gunsten dessen geneigt, der mir sie dargeboten hat. Denke nun, wie viel mehr derjenige, der die Sache Anderer annimmt Der Sinn ist folgender: Der Gelehrte hatte kein Geschenk vom Verwalter bekommen, sondern eine Sache, die ihm gehörte; und dennoch stimmte ihn jene unbedeutende Höflichkeit zu Gunsten des Verwalters..

Ebendas.

 

Der Richter, der durch ein ungerechtes Urtheil dem Einen die Sache des Andern zuspricht, wird Gott mit seiner Seele zahlen.

Talmud Sanhedrin S. 6 a.

 

Der Richter darf nicht die eine Parthei mehr als die andere anhören.

Der Richter darf nicht eine Parthei stehen und die andere sitzen lassen.

Talmud Schewuoth S. 30.

 

Der Richter, der fürchtet, geirrt zu haben, der suche sich nicht durch Scheingründe vor sich selbst zu rechtfertigen, sondern verbessere sich und mache gut.

Ebendas.

 

Der Richter, der eine Sache als ungerecht erkennt, obwohl sie von den Zeugen vertheidigt wird, sage nicht zu sich selbst: »Die Schuld ist an den Zeugen; ich wasche meine Hände in Unschuld,« sondern bemühe sich, die Wahrheit zu erweisen.

Ebendas. S. 31.

 

Ein Lehrer sagt zum Schüler: »Du weißt, daß ich nicht lügen möchte, auch nicht um einen Schatz. Nun wisse, daß ich von Jemandem eine kleine Summe zu fordern habe, aber ich habe kein Dokument als Beweis, sondern nur eines Andern Bitte, füge diesem dein Zeugniß bei.« Der Schüler weise es ab.

Ebendas.

 

Wenn von zwei Partheien, die vor dem Richter erscheinen, Einer gleichsam um groß zu thun, einen großen Pomp an Kleidern entfaltet und der Andere bescheidene Kleider trägt, so soll der Richter zu dem erstem sagen: »entweder kleide ihn wie dich, oder kleide dich wie er.«

Ebendas.

 

Rab Huna sagte zu denjenigen, welche mit einem Aufwand von Kleidern vor ihm erschienen: »Ziehet diesen Pomp aus und dann erscheint vor den Richtern.«

Ebendas.

 

Rabbi Jonathan sagte: »In der Stunde, wo der Richter in einer Rechtssache zu urtheilen hat, soll er sich denken, als habe er ein Schwert auf seine Brust gewendet und die Hölle zu seinen Füßen geöffnet.«

Talmud Sanhedrin S. 7 a.

 

Die Frau.

Wer keine Frau hat, hat nichts Gutes, hat keine Freude, hat keinen Segen, hat keine Stütze, hat keinen Frieden.

Jebamoth S. 63 b.

 

Wer die Gattin mehr ehrt und liebt, als sich selbst und die Söhne und Töchter auf den guten Weg anleitet, wird den von Gott dem Gerechten versprochenen Frieden haben Hiob Cap. 5 V. 24..

Jebamoth S. 62 b.

 

Prüfe wohl und dann nimm eine Frau. Steige um einen Grad herunter, nimm dort deine Frau; steige um einen Grad hinauf und wähle dort deinen Freund Es ist ein Rath, keine durch Grad und Reichthum über sich stehende Frau zu nehmen; aber einen Freund unter denen zu wählen, die mehr als er vermögen..

Jebamoth S. 62 b.

 

Gott bewahre dich vor einer Sache, die schlimmer ist, als der Tod. Und was ist schlimmer als der Tod? eine böse Frau.

Ebendas.

 

Ein guter Gelehrter hatte ein böses Weib und doch brachte er ihr oft Sachen nach Hause, um ihr eine Freude zu machen. So viele Artigkeiten einer bösen Gattin? sagte einmal ein Freund zu ihm. Es ist schon ein großes Verdienst für die Frau, antwortete der Gelehrte, daß sie uns von der Sünde abhält und uns die Kinder erzieht.

Ebendas.

 

Rab sagte: Der Mann möge niemals seine Frau kränken, denn, da sie leicht zu Thränen gebracht wird, so tritt auch bald die Strafe ein.

Baba Mezia S. 59 a.

 

Rabbi Elieser sagte: Der Altar selbst löst sich in Thränen auf, um das Unglück dessen zu beweinen, der die erste Frau verstößt.

Talmud Sanhedrin S. 22 a.

 

Rabbi Alexandri sagte: Wem seine Frau stirbt, ist, wie wenn die Welt sich um ihn verfinsterte.

Talmud Sanhedrin S. 22 a.

 

Der Mann stirbt nur der Frau, die Frau stirbt nur dem Manne Will sagen, daß der Mann Alles verliert im Tode der Frau und die Frau in dem des Mannes. Unter den andern Verwandten, folgt dem Tode bald die Gleichgültigkeit oder die Vergessenheit..

Ebendas. S. 22 b.

 

Wem die erste Frau stirbt, sagte Rabbi Jochanan, ist wie ein Mann, in dessen Gegenwart der heilige Tempel verwüstet worden.

Ebendaselbst.

 

Wenn deine Frau klein ist, so bücke dich und sprich ihr in's Ohr Will heißen, daß der Mann Vertrauen auf die Frau habe und ihren Rath nicht gering schätze..

Wem zuerst ein Mädchen geboren wird, ist es ein unglückliches Vorzeichen für die Ehegatten. Ein Weiser sagte: »mir sind die Töchter lieber als die Söhne.«

Talmud Baba Batra S. 141 a.

 

Rab Awira sagte: Der Mensch esse weniger, als er kann; er kleide sich, nach dem er kann; er ehre Frau und Kinder mehr als er kann; denn diese hängen von ihm ab, er von Gott.

Talmud Chulin S. 84 b.

 

Gott hat der Frau mehr Verstand gegeben, als dem Manne.

Talmud Nidda S. 45 b.

 

Der Frau mehr als dem Manne ist ein großer Theil der göttlichen Verheißungen vorbehalten. Die Frau hält die Kinder zum Studium an, sie ermahnt den Gemahl zu den heiligen Lehrhäusern, erwartet seine Rückkunft von dort, liegt den häuslichen Sorgen ob; Alles dieses ist eine große Quelle von Verdiensten für die Frau.

Talmud Berachoth S. 17 a.

 

Mit größter Sorgfalt und Eifer ehre die Frau; denn die Frau ist es, die den Segen Gottes in das Haus bringt.

Talmud Jebamoth S. 63.

 

Güte und Verzeihung.

Die Schüler des Rabbi Nechunia fragten ihn: »Welche Tugenden hast du am meisten und am liebsten geübt, um deretwillen dir ein langes Leben gewährt wurde?«

Der Meister antwortete: »Ich machte nie die Herabsetzung meiner Genossen zum Werkzeuge meines Ruhmes – die empfangene Beleidigung begleitete mich nie in mein Bett – mit meinen Reichthümern war ich freigiebig.

»Ich lernte die erste Tugend von einem andern Gelehrten, der eines Abends vom Felde zurückkehrte mit der Hacke auf der Schulter. Ein Freund von ihm sucht, ihm die Hacke zu nehmen, um sie selbst zu tragen. Der Andere verhindert es mit diesen Worten: »Wenn es deine Gewohnheit ist, solche Instrumente zu tragen, so gebe ich es zu; wenn es nicht deine Gewohnheit ist, so will ich mir keine Ehre, um den Preis deiner Erniedrigung verschaffen.«

Die zweite Tugend lernte ich von meinem Freunde Mar Sotra, der jeden Abend, wenn er zu Bette ging, so betete: »Mein Gott! verzeihe Alle denen, die mir Böses gethan haben.«

Die dritte Tugend lernte ich von Hiob, der seinen Arbeitern, wenn sie eine kleine Arbeit für ihn verrichteten, den bedungenen kleinen Lohn freiwillig vermehrte.

Talmud Megilla S. 28 a. Baba Batra S. 15 b.

 

Delicatesse im Handel.

Rab Giddel unterhandelte seit einiger Zeit wegen Ankaufs eines Grundstücks. Ehe er das Geschäft abschloß, kaufte es Rabbi Abba, nachdem er es kaum gesehen hatte.

Den ersten verdroß dieses sehr und er beklagte sich deswegen bei den Freunden. Diese riethen ihm, zu schweigen, bis zum ersten Feste, wo sie bei religiösen Studien Alle versammelt sein würden.

Nachdem am Feste die Sitzung eröffnet war, wurde dem Abba diese Frage vorgelegt: »Wer einem Armen die Gelegenheit raubt, einen redlichen Verdienst zu machen, ist der nicht tadelnswerth?«

»Er ist ein Frevler,« rief Abba, ohne im Geringsten zu zaudern.

»Ein Frevler!« wiederholten die Freunde. Aber ihr habt ja Rab Giddel um einen Handel betrogen, den er gerne gemacht hätte und wegen dessen er schon einige Zeit unterhandelte.«

Der arme Abba erklärte und betheuerte aus allen Kräften seiner Seele, daß er von jenen Unterhandlungen nichts wisse; daß es ihm sehr leid thue, seinem Collegen Mißvergnügen verursacht zu haben; daß er bereit wäre, ihm das Grundstück zu überlassen, wenn es nicht eine allzu traurige Vorbedeutung wäre, das erste Grundstück, das er gekauft habe, zu verkaufen Das erste Grundstück, das man gekauft hatte, zu verkaufen, betrachtete der Aberglaube als ein ungünstiges Vorzeichen..

Der College, der edel dachte und keine Geschenke annahm, schlug das Anerbieten aus.

Indessen, weder Rab Abba noch Rab Giddel wollten mehr einen Genuß von dem Grundstücke haben, der erste nicht, weil er dem Collegen ein Mißvergnügen verursacht hatte, der andere nicht, weil er den Grundsatz hatte, keine Geschenke anzunehmen und daher wurde das Grundstück »Feld der Weisen« genannt Nach den Commentatoren wurde der Ertrag des Feldes zur Unterstützung armer Studirender verwendet. Raschi daselbst..

Talmud Kiduschin S. 59 a.

 

Rechtschaffenheit im Handel.

Rab Safra hatte einen kostbaren Edelstein zu verkaufen.

Es waren ihm von einigen Kaufleuten fünf Münzen dafür geboten worden; aber er blieb fest auf dem Verlangen von zehn; und das Geschäft unterblieb.

Rab Safra jedoch beschloß später, als er nochmals nachdachte, den Edelstein um den Preis zu geben, der ihm geboten worden war.

Den Tag darauf kommen die Kaufleute nochmals in dem Augenblicke, wo Rab Safra gerade mit dem Gebete beschäftigt war. »Herr!« sagen sie, »wollen wir das Geschäft machen? Wollt ihr uns den Edelstein um den angebotenen Preis überlassen?«

Und Rab Safra bleibt stumm.

»Gut! Gut! erzürnt euch nicht! wir werden noch zwei Münzen hinzuthun!«

Und Rab Safra bleibt stumm.

»Nun denn! Es sei, wie ihr wollt! ihr bekommt die zehn Münzen!«

Da Rab Safra jetzt sein Gebet beendigt hatte, sagte er: »Herren! ich betete und wollte mich nicht unterbrechen. Was den Preis des Edelsteins anbetrifft, so war ich schon entschlossen, ihn um das Angebot von gestern zu geben. Ihr werdet mir also fünf Münzen geben, ich kann nicht mehr nehmen.

Talmud Maccoth S. 24 a. Baba Batra S. 88 a. Raschi daselbst.

 

Die Diebe und die Wucherer.

Wer sich mit einer eiteln Reue in Worten bei den Dieben und den Wucherern begnügt, ist ein Thor.

Ein berüchtigter Wucherer wollte, nachdem er große Schätze aufgehäuft hatte, Buße thun. Die Frau sagte zu ihm: Thor! wenn du wirklich Buße thun willst, so bleibt dir von dem Deinigen nicht einmal ein Gurt übrig.

Und der Unglückliche dachte nicht mehr daran.

Die Weisen haben darum recht gesagt, daß man die Buße der Diebe und der Wucherer nicht annehmen solle, wenn sie nicht so viel zurückgeben, als sie sich zugeeignet haben.

Talmud Baba Kama S. 94 b. Tosaphat daselbst.

 

Rabbi Jose sagte: Siehe die Blindheit der Wucherer! Wenn Einer den Andern beleidigt, indem er ihn einen schlechten Menschen nennt, so entbrennt der Beleidigte von Zorn und sinnt auf Rache. Und die schreiben und unterschreiben und erklären in einer von Notaren und Zeugen bestätigten Schrift … den Gott Israels verläugnet zu haben Indem der Gläubiger die Schrift, durch welche er den Schuldner verpflichtet, den Wucher zu zahlen, unterschreibt, erkennt er selbst an, daß er die mosaischen Gesetze, die den Wucher verbieten, verletzt und den Gott Israels verleugnet habe..

Talmud Baba Mezia S. 71 a.

 

Die Vaterschaft.

Der Prophet (Jirmija Cap. 22. V. 10) sagt: »Beweint den, der da weggeht und nicht mehr in sein Geburtsland zurückkehrt.« Rab Jehuda legte diese Worte so aus: Beweint den, der ohne Kinder stirbt und nichts von sich in dem Lande seiner Geburt zurückläßt.

Rabbi Josua besuchte keinen andern Trauernden, um sie zu trösten, als solche, die einen Verstorbenen beweinten, der ohne Kinder aus der Welt gegangen; einen solchen glaubte er wahrhaft beweinenswerth und sein verödetes Haus als das wahre Bild der Trauer.

Talmud Moed Katan S. 27 b.

 

Einfachheit und Rechtschaffenheit der Sitten.

Abba Chilkia stand im Ruf eines Heiligen, und in den großen und allgemeinen Unglücksfällen liefen Alle zu ihm, damit er für sie bete. Besonders, wenn eine lange Trockenheit herrschte und Theuerung drohte, setzte man volles Vertrauen in seine Fürbitte bei Gott, um Regen zu erhalten.

Einmal war eine lange und schreckliche Trockenheit, und die Gelehrten versammelten sich und beriethen und beschlossen, zwei Weise zu jenem heiligen Manne zu schicken, damit er von Gott den Regen erflehe. Das gelehrte Paar geht in das Haus des Heiligen und findet ihn nicht; geht auf's Feld und sieht ihn ganz beschäftigt, die Erde umzugraben. Sie grüßen ihn achtungsvoll, und der heilige Mann antwortet nicht auf den Gruß.

Gegen Abend nimmt der heilige Mann seine Axt und ein Bündel Holz und wirft es sich auf die Schulter; und auf das Bündel wirft er einen zerfetzten Mantel und macht sich auf den Weg nach Hause, und das Paar geht ihm nach.

Den ganzen Weg ging der Gelehrte baarfuß; an einen sumpfigen Ort gekommen, zieht er die Schuhe an und geht weiter; und das Paar immer nach. – Er kommt an eine enge Stelle, ganz mit Dornen und Disteln bewachsen. Der heilige Mann hält die Kleider in die Höhe und geht frei und sicher mitten durch die Dornen. Dann läßt er die Kleider wieder fallen.

Nahe an seinem Hause, kommt ihm die Frau im schönsten Kleiderschmuck entgegen. Die Frau geht zuerst in's Haus und nach ihr der Mann und zuletzt das Paar.

Der Gelehrte setzt sich mit der Frau an ein ärmliches Mahl und ißt und ladet die Fremden nicht mit einem Worte ein.

Nachdem das mäßige Mahl beendet war, nähert sich der Mann verstohlen der Frau und flüstert ihr in's Ohr: »Diese guten Gäste kommen, damit wir von Gott den Regen erflehen. Kommen wir ihnen zuvor; gehen wir in das andere Zimmer und beten wir. O, möchte der Herr uns bald erhören! Diese guten Leute sollen uns nicht dafür zu danken brauchen!«

Die frommen Ehegatten verlassen die Gäste, gehen in das andere Zimmer und beten.

Nach wenigen Augenblicken, siehe da! von der Seite, wo die Frau betete, eine Wolke durch den Himmel segeln, welcher andere folgen und noch andere und lösen sich in Regen auf.

Der heilige Mann begiebt sich ganz heiter zu den Gästen und fragt sie, was sie von ihm wünschten. »Wir wurden gesandt, antworteten sie, um dich zu bitten, den Regen zu erflehen.«

»O, gelobt der Herr! unterbrach der Andere, dem es nicht gefiel, daß ihr meine Gebete nöthig hättet.« »Meister, versetzten sie, wir wissen, daß eben deinen Gebeten der Regen zu verdanken ist. Aber dein Benehmen gegen uns scheint uns so sonderbar, daß es uns lieb wäre, die Ursache davon zu erfahren.«

»Warum hast du unsern Gruß nicht beantwortet?«

»Ich arbeitete im Tagelohne und durfte keine Zeit verlieren mit Grüßen und Unterhaltung.«

»Warum hast du den Mantel auf den Bündel Holz gelegt und nicht darunter?«

»Er war mir geliehen, um mich zu bedecken, nicht um unter dem Bündel zu verderben.«

»Warum gehst du immer baarfuß, außer im Wasser?«

»Im Wasser sehe ich nicht und weiß es nicht, was mich verwundet.«

»Warum geht deine Frau so schön gekleidet im Hause?«

»Weil sie wünscht, sich meine Liebe zu erhalten.«

»Warum ging die Frau zuerst und dann du und hernach wir in's Haus?«

»Weil ich noch nicht wußte, was für Leute ihr seid.«

»Warum ludet ihr uns nicht zum Essen ein?«

»Weil das Essen kaum für uns Beide hinreichte, und ich nicht wollte, daß ihr mir zu danken verpflichtet seiet.«

»Warum erschien die erste Wolke von der Seite der Frau?«

»Weil die Frau es ist, die, da sie zu Hause ist, das Brod den Bettlern reicht.«

Talmud Taanith S. 23 b.

 

Rechtschaffene Armuth.

Ein Gelehrter ging, in Gedanken versunken, inmitten einer dichten und zahlreichen Menge, die sich auf dem Marktplatze von Left auf- und abbewegte. Gehindert und zurückgehalten von der wogenden Menge, blieb er endlich unbeweglich stehen und folgte mit den Gedanken den Bildern seines Gemüthes. Auf einmal stellt sich ihm eine himmlische Erscheinung dar; es war der Prophet Elia.

Der Gelehrte erschrak nicht, da er an solche Erscheinungen gewöhnt und mit dem Propheten sehr befreundet war. Er nimmt ihn vielmehr mit einem gefälligen Lächeln auf und knüpft ein vertrauliches Gespräch mit ihm an.

Während er von sehr ernsten Dingen redete, kam es dem Gelehrten in Gedanken, an den Propheten eine sonderbare Frage zu richten. »Prophet, sagte er, von dieser unermeßlichen Menge, die um mich wimmelt, wie viele werden gerettet werden?«

Der Prophet richtete den Blick um und um, dann antwortete er langsam und ernst: »Niemand.«

Keiner! wiederholte bei sich selbst der Gelehrte: keiner! unter so vielen Reichen, unter so vielen Mächtigen, unter so vielen Weisen, die die Welt bewundert, keiner!

In diesen Augenblicken kommen in Mitten der Masse zwei Männer hinzu, die sich freundschaftlich die Hand drücken und sich mit ihr vermischen. Nichts Ausgezeichnetes lag in ihren Gesichtern, keine Spur von Reichthum in ihren Kleidern. Keiner achtete auf sie, Niemand grüßte sie.

Der Prophet wies auf sie hin und sagte dem Gelehrten: »Diese werden gerettet werden.«

Der Gelehrte, neugierig und ehrerbietig, begiebt sich eilig zu den beiden Hinzugekommenen und spricht mit achtungsvoller und liebreicher Stimme: »Meine Herren, möchtet ihr mich mit eurer Freundschaft, eurem Vertrauen beehren?«

»Ihr, großer Gelehrter, wolltet euch unsrer Freundschaft empfehlen? Wer sind wir denn? Vielleicht kennt ihr uns nicht.«

»Euch nicht kennen? Ich weiß, daß ihr rechtschaffen, fromm, heilig seid. Bitte, saget, welches sind eure Werke, welches eure Tugenden? Welches Leben führet ihr?«

»In der That, ihr verwechselt uns mit Andern. Wir sind arme Leute, die sich von ihrer Arbeit ernähren. Höchstens sind wir Leute von gutem Herzen, immer heiter. Wenn wir Jemanden treffen, der betrübt scheint, so schließen wir uns an ihn und machen und reden so viel, bis er munter wird. Wenn wir von welchen wissen, daß sie Streit mit einander haben, so treten wir dazwischen und reden und thun so viel, bis wir sie wieder zu Freunden gemacht. Das ist unser ganzes Leben.

Talmud Taanith S. 22a.

 

Zorn und Verzeihung.

Rab war von einem Metzger schwer beleidigt worden. Der arme Gelehrte machte sich viel Gedanken wegen jenes Ruchlosen und bekümmerte sich sehr, weil dieser sich nicht bemühte, seine Verzeihung zu erlangen und so in seiner Sünde beharrte. Er ging öfters dahin, wo Jener gewöhnlich anzutreffen war, in der Hoffnung, daß er, wenn er ihm begegnete, ein Wort der Reue spräche und so Alles abgemacht wäre. Aber der Metzger ließ sich nie treffen. Der Gelehrte wartet längere Zeit, aber vergeblich. Als der Rüsttag des Versöhnungsfestes herankam, dachte er bei sich: »Gut, ich selbst werde gehen, ihn zu bitten, daß er sich mit mir versöhne.

So entschlossen, macht er sich auf nach dem Hause des Metzgers. Auf dem Wege begegnet er einem Freunde, der ihn fragt, wohin und nach was er ginge. Als der Freund das Vorhaben des Gelehrten erfahren hatte, rief er aus: »Thut's nicht, ich bitte euch, thut's nicht! Wenn er euch hartnäckig abweist, so machet ihr ihn des Todes schuldig Der Sinn ist dieser: Rab setzte sich mit seiner Großmuth einer neuen Beleidigung durch den Metzger aus, und diese neue Beleidigung machte die Schuld dieses Letztern viel schwerer..

Aber der Gelehrte achtet nicht darauf und geht weiter.

Angekommen an dem Hause des Metzgers, ruft er mit lauter Stimme.

Bei dieser bekannten Stimme, wird der Metzger wüthend und schreit rasend: »Geht, ich habe nichts mit euch zu thun!«

Der Schurke spaltete eben den Kopf eines Ochsen mit einer Axt. Blind vor Zorn, setzt er, während er schreit, seine Arbeit fort, thut einen Fehlstreich, verwundet sich und stirbt.

Talmud Joma Seite 87 a.

 

Beispiele kindlicher Liebe.

Dama, Sohn Retina, war ein Heide. Einmal kamen Männer zu ihm, um ihm eine Waare abzukaufen, für die sie den zehnfachen Preis anboten. »Freunde!« sprach er, »der Schlüssel zum Magazin liegt zu Kopfen meines schlafenden Vaters. Ich darf meinen Vater nicht aus dem Schlafe wecken.«

Talmud Kiduschin Seite 31 a.

 

Der nämliche Dama saß einmal in einer Versammlung der Großen Roms und trug einen goldenen Gürtel. Seine Mutter kommt, reißt ihm den Gürtel vom Leibe, schlägt ihn in's Gesicht, speit vor ihm aus. Der gute Sohn läßt Alles geschehen, ohne ein Wort zu reden.

Ebendas.

 

Ismael war einer der größten unter den Gelehrten des Gesetzes. Eines Tages begab sich seine Mutter zu den Gelehrten und sagte: »Bitte, haltet es meinem Sohne vor, daß er mir nicht gehorcht, wie es sich gehört.« Die Gelehrten erschraken darüber und fragten sie, worin jener große Mann sich gegen sie verfehle. »Wenn der heilige Mann,« versetzte die Frau, »nach Hause zurückkehrt von seinen heiligen Studien, möchte ich ihm mit meinen Händen selbst die Füße waschen und die durch seine Berührung geheiligten Wasser schlürfen; und er weigert sich dessen.« Da sagten die Gesetzeslehrer: »Der Wille der Mutter bestimmt die Pflicht des Sohnes.«

Jeruschalmi Kiduschin S. 31 b. Tosaphat.

 

Rabbi Abuha sagte: Welch' ein glücklicher Vater bin ich! Mein Sohn Abimi hat fünf Söhne, die Alle wegen ihrer Gelehrsamkeit geachtet und wegen ihrer Tugenden verehrt sind. So oft ich in die Nähe des Hauses komme, beeilen sich meine Enkel, mir die Thüre zu öffnen und mich zu empfangen. Niemals aber hat es sich mein Sohn nehmen lassen, ihnen zuvorzukommen und mir zuerst seine kindliche Liebe und Ehrfurcht zu bezeugen.

Ebendas.

 

Das Kind liebt von Natur mehr, als den Vater, die Mutter, von welcher es immer Liebkosungen und Geschenke erhält. Deßwegen läßt das heilige Gesetz in dem Gebote, die Eltern zu lieben, den Vater der Mutter vorausgehen.

Das Kind fürchtet mehr, als die Mutter, den Vater, dessen Autorität es fühlt. Deßwegen läßt das heilige Gesetz in dem Gebote, die Aeltern zu fürchten, die Mutter dem Vater vorausgehen.

Ebendaselbst.

 

Ein Gelehrter pflegte, wenn er die Fußtritte der Mutter hörte, aufzustehen, indem er sagte: »Ich erhebe mich, der Majestät Gottes entgegen, die sich naht.«

Ebendas.

 

Rechtschaffenheit und kindliche Liebe.

Es giebt zuweilen Kinder, die den Vater mit Tauben speisen und sind schlechte Kinder. Es giebt andere, die den Vater am Mühlsteine arbeiten lassen und sind sehr gute Kinder.

Wir haben ein Beispiel des ersten Falls. Ein Jüngling speiste den Vater mit nichts als fetten Tauben. Eines Tages schöpfte der Vater einen Verdacht und sagte zu dem Sohne: »Woher nimmst du denn das Geld zu solchen Ausgaben?« »Alter,« sagte der Sohn, »kaue und schweige.«

Der war ein Schurke.

Wir haben ein Beispiel des zweiten Falles. Ein guter Junge arbeitete am Mühlsteine, um den Unterhalt der Familie zu verdienen. Eines Tages ruft der König den Vater zu öffentlichen Arbeiten.

Der Sohn sagt zu dem Vater: »Mein Vater, arbeite du an dem Mühlsteine; ich werde für dich hingehen. Jener Dienst ist lang und mühsam und schimpflich. Ich bin jung und werde weniger leiden.«

Der war ein guter Sohn.

Jeruschalmi, ebendaselbst. Raschi.

 

Liebe gegen den Sünder.

In der Nachbarschaft des Rabbi Meïr lebten einige Hallunken, die ihn immer belästigten. Müde der immerwährenden Verfolgung, kehrte er eines Tages nach Hause zurück, gegen seine Gewohnheit voll Zorn und in dieser Stimmung fing er an zu beten und flehte den Herrn an, daß er jenen Schurken den Tod schicke, damit sie ihn einmal in Frieden ließen.

Indem tritt seine Frau Beruria ein, bemerkt seine Aufregung, erkundigt sich nach seinem Gebete und in strengem Tone spricht sie zum Gemahle: »Dein Gebet ist dem heiligen Gesetze zuwider. Dieses befiehlt die Ausrottung, nicht des Sünders, sondern der Sünde. Bete für ihre Besserung, nicht für ihren Tod.«

Berachot S. 10 a.

 

Demuth und Verzeihung.

Rabbi Elieser, Sohn Simeon, besuchte, als er noch jung war, die Schule zu Migdol Gedur und lag mit Fleiß und Lebhaftigkeit den Studien ob. Der geweckte Geist, den ihm die Natur verliehen hatte, befähigte ihn, in kurzem Zeitraum die ganze Reihe von Studien zu durchlaufen, die den Genossen nicht blos mehrere Jahre, sondern auch weit größere Anstrengungen kosteten. Ein Gegenstand der Bewunderung für seine Genossen und der Liebe für seinen Meister, mit einem Gefühle des Wohlgefallens, jedoch nicht frei von einigem Stolz sah er jener gewünschten und glücklichen Epoche entgegen, in welcher er, nach beendigtem Studium, mit Ehre und Ruhm bedeckt, in das Geburtsland zurückkehren und vor den erstaunten Mitbürgern seine Gelehrsamkeit zur Schau stellen könnte.

Endlich kam der so sehnlich erwartete Tag. Unser Jüngling nahm Abschied vom Meister, der nicht ohne Betrübniß die Abreise eines Schülers sah, von welchem seine Schule einen so großen Glanz empfing. – Er sagte Lebewohl den Genossen, die, indem sie ihm Glück wünschten, daß er so schnell den Weg der religiösen Wissenschaft durchlaufen hatte, betrübt an die große Strecke Weges dachten, die ihnen noch blieb; dann verließ er die Stadt und wandte sich seinem Vaterlande zu.

Er ritt ganz allein das blühende Ufer eines Flüßchens entlang und der anmuthige Anblick, der sich ihm darbot, entsprach den theuern Bildern, die sich ihm vor das Gemüth stellten. Alles lachte für ihn, der Himmel, die Luft, die Erde, von den süßen Wohlgerüchen des Frühlings durchduftet. Die Aeltern, die Freunde, das häusliche Dach, die zartesten Erinnerungen der Kindheit standen vor seiner Seele und tauchten ihn in eine süße Trunkenheit. Aber die große Wonne der Erinnerungen und Wünsche war ihm von einem gewissen, durch jugendliche und thörichte Keckheit erzeugten Stolz verdorben. Der Macht des eignen Geistes, des Wissensschatzes, den er in sich trug, sich bewußt, überließ er sich ganz dem Gedanken an die Bewunderung und an das Erstaunen, die er durch sein Wissen unter den Seinigen erregen würde. Und berauscht von sich selbst, schaute er um sich, wie eine Person, die von der Höhe ihrer Größe mit Verachtung auf diejenigen herabblickt, die unter ihr stehen.

»Gruß, o Meister?« hört er plötzlich an sein Ohr klingen. »Gruß, o Meister!« Er wendet sich rasch um, nicht ohne Aerger, daß ein Anderer diese seine thörichte Einbildung unterbreche und sieht, o Erstaunen! eine Menschengestalt, der die Natur keine Mutter, sondern Stiefmutter gewesen war. Derselbe war nach Gesicht und der ganzen Person nicht nur häßlich, sondern verunstaltet; und dennoch froh, daß der Jüngling sich zu ihm gewendet hatte, wiederholte er ihm seinen freundschaftlichen Gruß. Unser Jüngling schaute ihn mit spöttischem Lächeln an und mit einem noch spöttischem Tone sprach er: »o guter Mann, werden in deiner Stadt Alle mit dem häßlichen Gesichte geboren, das du hast?«

»Ich weiß nicht,« antwortete der Andere, dem der bittere Spott in die Seele schnitt, »ich weiß nicht, gehe du selbst zu dem Künstler, der mich gemacht hat und sprich zu ihm: dieses dein Werk ist verunstaltet.«

Diese strengen Worte brachten den Jüngling zum Gefühle der Scham und der Pflicht zurück. Verwirrt, gedemüthigt, betrübt, stürzte er von seinem Eselchen herab, warf sich zu den Füßen des Beleidigten und rief mit bewegter und thränenvoller Stimme: »Verzeihe, verzeihe; ich bereue, hier bin ich zu deinen Füßen, Verzeihung, Verzeihung!«

Aber der stechende Spott hatte eine unsägliche Bitterkeit im Gemüthe des Beleidigten zurückgelassen, der auf die wiederholten Bitten des Jünglings keine andere Antwort hatte, als diese: »gehe, gehe und wirf dem Künstler sein armseliges Werk vor.«

Gequält von Reue und Scham folgte ihm immer der arme Elieser nach, den ganzen Weg entlang, bittend und weinend. O, welche Betrübniß war in seiner Seele! Vorher lachte ihm das theure Bild der Rückkehr in die Geburtsstadt und jetzt mußte er, eine gerechte Sühne seines Stolzes, in der Haltung eines Bittenden und eines Schuldigen eintreten.

Unterdessen war das Gerücht seiner Rückkehr, seiner Ankunft, vorausgeeilt; und fast alle Bürger kamen um die Wette ihm entgegen, mit Ehrenbezeugungen den neuen Meister aufzunehmen, der unter ihnen den Schatz der Gelehrsamkeit, die hellen Wasser der religiösen Wissenschaft ausgießen sollte. Kaum war er auf der Straße gesehen worden, so drängte sich die Menge um ihn und von jeder Seite erschollen ihm die freundschaftlichen Worte: »Gruß, Gruß o Meister, komm, Lehrer; dein Kommen sei Friede und Heil.«

Demüthig und verlegen empfing der Jüngling die liebevollen Begrüßungen und in der Verwirrung der Scham und des Schmerzes wußte er kein Wort zu finden. Und inzwischen wetteiferten die Leute, denen jene zerknirschte Demuth sehr wohl gefiel, immer mehr, ihm Achtung und Liebe zu bezeugen.

Da mischte sich der beleidigte Manu unter die Menge und mit einer Haltung der Verwunderung und des Unwillens, die einen Augenblick des Schweigens hervorrief, schrie er: »Ihr Herren, wem thut ihr denn so viele Ehre an?«

»O, kennst du ihn denn nicht? wurde ihm von hundert Stimmen geantwortet; wir ehren den Mann, der deinen Schritten folgte; den Gelehrten, unsern Meister.«

»Gelehrter Meister! wiederholte der andere mit Unwillen. O! mögen nie solche Meister in Israel aufstehen …« Und hier erzählte er die empfangene Beleidigung.

Die Mitbürger Elieser's, die ihm die Reue und die Zerknirschung auf dem Gesichte lasen, waren bald um den Beleidigten.

»Verzeihe ihm, sagten sie zu ihm, verzeihe ihm, aus Rücksicht für seine Weisheit.«

»Ich verzeihe ihm, aus Rücksicht für euch, antwortete der Beleidigte und damit er nur nie mehr in einen solchen Irrthum verfällt.«

Kaum fing Elieser seine öffentlichen Vorlesungen an, so eröffnete er seinen Unterricht mit folgendem Grundsatze: »Sei immer biegsam wie ein Rohr, (gütig gegen Alle) und sei nie unbeugsam wie eine Ceder (unerbittlich gegen den, der dich beleidigte).

Talmud Taanith S. 20 a. und b.

 

Der edle Nasir.

Nasir wurde derjenige genannt, der für eine bestimmte Zeit, oder für immer das Gelübde der Enthaltsamkeit gethan hatte. Nach dem mosaischen Ritus durfte er während jenes Zeitraums keinen Wein trinken, mußte sich die Haare schneiden und die Berührung jeder unreinen Sache meiden. Jedes Mal, wenn er eine dieser Vorschriften verletzte, mußte er ein Sühnopfer bringen, das nur vom Priester genossen werden durfte und die Enthaltsamkeit wieder anfangen. 4. Buch Mose Cap. 6.

Der Priester Simeon, mit dem Beinamen: der Gerechte, erzählte: Ich habe nie von dem Opfer des Nasir, der sein Gelübde verletzt hatte, genießen mögen. Er war entschieden gegen solche voreilige Gelübde und noch mehr gegen solche unbesonnene Verletzungen eingenommen.

Ein einzig Mal bin ich von dieser meiner Gewohnheit abgegangen. Ein Nasir aus dem Süden kam vor mich; er hatte sehr schöne Augen, sehr hübsches Aussehen und die schwarzen Haare wogten ihm in zierlichen Ringeln über die Schultern. Er hatte das Gelübde der Enthaltsamkeit gethan und dessen Vorschriften verletzt, er stellte sich mir vor mit seinem Sühnopfer und nach Vorschrift des Gesetzes machte er sich bereit, sich die Haare schneiden zu lassen. »Mein Sohn,« sagte ich zu ihm, »du willst dich also dieses schönen Haarschmuckes berauben? Und was veranlaßt dich zu solchem Gelübde?« »Ich war, antwortete er mir, Hirte der väterlichen Heerde in der Geburtsstadt. Während ich die Schafe an den Bach zum Tränken führte, spiegelte ich mich im Wasser und, stolz gemacht auf meine Schönheit, fühlte ich Leidenschaften in mir erwachen …, meine Unschuld, mein Glück, wären verloren gewesen. Verworfener, sagte ich zu mir selbst, wozu dich einer Welt in die Arme werfen, die nicht für dich ist? Geziemt dir der Stolz auf eine Sache, die eine Hand voll Staub sein wird? Ich gelobe mir, so viel ich kann, diese Schönheit zu nehmen, diese Haare zur Ehre des Himmels abzuschneiden.«

So sagte er mir. Ich erhob mich, küßte ihn auf die Stirn und rief aus: »Mein Sohn! Nasire wie du mögen zahlreiche in Israel sein.«

Talmud Nedarim S. 9b.

 

Beispiel von Wohltätigkeit.

Abba Judan.

 

Drei der größten Rabbinen: Rabbi Elieser, Rabbi Fehoschua und Rabbi Akiba pflegten sich von Zeit zu Zeit in die Umgegend von Antiochien zu begeben, um Sammlungen zu veranstalten, zur Unterstützung armer, aller Mittel beraubter Studirenden. In jener Gegend trafen sie immer einen gewissen Abba Judan, der ihnen die freundlichste Aufnahme gewährte und immer reiche Gaben spendete.

Es traf sich, daß der großmüthige Abba Judan viele Unglücksfälle erlitt und seine Mittel erlaubten ihm kaum ein kärgliches Auskommen.

Eines Tages sah der Arme, während er ein ihm noch verbliebenes Aeckerchen bearbeitete, die drei Rabbinen auf sich zukommen. Wie von Schrecken ergriffen, wirft er die Hacke zur Erde und flieht nach Hause.

Als die Frau den Mann sah, der mit ganz verstörtem Gesichte und mit Thränen in den Augen lief, frug sie ihn, was wäre, welch' neues Unglück sich zugetragen habe.

»Wehe mir! stammelte der Arme, die drei Rabbinen sind da … sie kommen für die gewöhnliche Sammlung und ich habe nichts, nichts, ihnen zu geben …«

Die Frau die noch großmüthiger war, als der Mann, erwiederte: »Nichts? und unser Aeckerchen? gieb ihnen die Hälfte und wir werden uns mit dem Reste behelfen.«

Der Mann verkaufte das Aeckerchen und gab die Hälfte des Erlöses den Rabbinen, die anfingen, seine üble Lage zu vermuthen und sich verabschiedeten, indem sie ihn mit diesen Worten segneten: »möge es dem Herrn gefallen, dir deine Verluste zu ersetzen.«

Nach einigen Tagen arbeitete Abba Judan in dem ihm gebliebenen Theile des Aeckerchens. Während er den Pflug führte, öffnete sich eine Grube zu den Füßen der Kuh, die hineinfällt. Abba Judan steigt hinab, um sie aufzuheben; ein plötzliches Licht blitzt ihm in die Augen; es war ein Schatz.

Das folgende Jahr kehren die Rabbinen zurück; aber da sie sich nicht mehr zu Abba Judan begeben wollten, dessen Armuth sie errathen hatten, erkundigten sie sich nach ihm bei den Nachbarin »Was ist aus Abba Judan geworden?«

»Ah, antwortete man ihnen, Abba Judan? der Mann der Knechte, der Kameele, der Heerden? Nicht Allen wird die Ehre und das Glück zu Theil, jenem großen Herrn sich zu nähern.«

Abba Judan hörte kaum von ihrer Ankunft, so lief er ihnen entgegen und rief: »o, wie gut hat mir euer Segen gefruchtet!«

»Freund! antworteten sie; obwohl damals Andere viel mehr als du gespendet hatten, so haben wir doch deinen Namen an die Spitze Aller gesetzt. Hier hat sich im eigentlichen Sinne das göttliche Versprechen bewahrheitet: daß die Großmuth dem Menschen einen Reichthum an Gütern verschafft Mischle Cap. 18 V. 16..

Midrasch Rabba S. 170b.

 

Freigebigkeit eines Rabbinen.

Man erzählt von Eleasar Bartota, daß er so viel Gutes that und so freigiebig die Armen unterstützte, daß er manchmal in seiner Wohlthätigkeit mehr that, als seine Mittel erlaubten. Die Almosensammler wichen ihm mit Willen aus, da sie wußten, daß er ihnen geben würde, was er selbst nöthiger brauchte. Eines Tages ging der gute Mann auf den Markt, um die Ausstattung seiner verlobten Tochter zu kaufen. Die Almosensammler sahen ihn von ferne und versuchten, ihm auszuweichen; aber er bemerkte es, ging ihnen nach und beschwor sie, ihm zu sagen, welches der Gegenstand ihrer mildthätigen Amtsverrichtung an jenem Tage sei. »Wir sammeln, antworteten sie, für die Mitgift eines armen Waisen und einer armen Waise.« »Mein Gott! rief ergriffen der gute Mann, sie müssen meiner Tochter vorgehen. Sie haben keinen Vater mehr und ich lebe noch für meine Kinder.« Und nöthigte sie, Alles anzunehmen, was er bei sich hatte und behielt für sich nur einen Sut (orientalische Münze) und mit diesem kaufte er ein wenig Weizen und trug ihn in sein Magazin. »Was hat dir dein Vater Schönes gekauft?« fragt die Mutter das Mädchen. »Ich weiß wahrlich nicht, antwortete die Tochter; er hat Alles in das Magazin getragen.« Beide laufen, um zu sehen und siehe da, sie finden das ganze Magazin so voll Weizen, daß man nicht einmal die Thüre aufmachen konnte Die fromme Legende will glauben machen, daß das Magazin durch ein göttliches Wunder sich mit Weizen angefüllt habe.. Als Eleasar aus der Schule zurückkehrte, eilte ihm die Gemahlin ganz heiter entgegen und rief aus: »Siehe, wie dich der Herr gesegnet hat.« »Es ist heilige Sache, sagt alsbald der fromme Mann; es ist heilig für die Bedürftigen. Wir haben kein größeres Recht daran, als jeder Arme in Israel daran hat.«

Talmud Taanith S. 23a.

 

Hillel, oder die Demuth.

Ein Heide erschien eines Tages vor dem Gelehrten Schamai und sagte zu ihm: »Aus wie vielen Haupttheilen besteht eure religiöse Lehre?«

»Aus zwei, antwortete der Gelehrte; aus der schriftlichen und der mündlichen oder traditionellen Lehre.«

»Gut,« versetzte der Heide, »ich schwöre meinen Glauben ab, nehme den deinigen an, aber unter einer Bedingung: unterrichte mich in der geschriebenen Lehre; aber in der Tradition schenke ich dir nicht den geringsten Glauben.«

Der zornsüchtige Schamai ward bei diesem Vorschläge unwillig und jagte ihn alsbald fort.

Der nämliche Heide erschien vor dem Gelehrten Hillel und machte ihm den nämlichen Vorschlag. Ohne im Geringsten außer-Fassung zu kommen, übernahm es Hillel, ihn in jenem Theile allein zu unterweisen, den er kennen lernen wollte.

Er fing seinen Unterricht mit der heiligen Sprache an und in dem er ihm das Alfabet lehrte, sprach er der Ordnung nach die Buchstaben, aus denen es besteht, aus Alfa, Bet und so fort.

Des folgenden Tages setzte er den Unterricht fort und wiederholte das bereits Vorgezeigte und sprach Alles umgekehrt aus. Der Heide, darüber erstaunt, ruft: »Was sagst du? der Unterricht von gestern war ganz verschieden; du sprachst nicht in dieser Weise aus.«

»Mein guter Freund! antwortete der Gelehrte; du verließest dich doch gestern ganz auf meinen Unterricht; vertrautest meiner Unterweisung! und durch Zutrauen von gestern bemerkst du und vermuthest du jetzt, daß ich geändert habe. Aber ist das das wahre Vertrauen? Wenn du durch die Aufrichtigkeit meines Unterrichtes an die geschriebene Lehre glaubst, warum setzest du Mißtrauen in mich in Bezug der mündlichen Traditionen?«

Der Heide wurde überzeugt, wollte Alles lernen und ward ein guter Israelit.

Ein anderer Heide, ein wunderlicher Kauz, erschien vor Schamai und sagte zu ihm: »Ich werde deinen Glauben annehmen, aber unter dieser Bedingung: ich will, daß du mich das ganze Gesetz in so viel Zeit lehrest, als ich mich auf einem Fuße halten kann.«

»Mache, daß du fortkommst,« schrie Schamai wüthend und jagte ihn fort.

Der nämliche Heide erschien vor Hillel und macht ihm den nämlichen Vorschlag. Hillel lächelt, nimmt die Probe an und fängt so an:

»Liebe deinen Nächsten; thue Andern nicht, was dir mißfallen würde. Hier, mein Freund, das ganze Gesetz. Alle andern Vorschriften sind eine Folge dieser; gehe und lerne sie.«

Ein dritter Heide, der durch Zufall die Ehre, das Ansehen, deren der Hohepriester genoß, die Pracht der Kleider, die Höhe des Ranges kennen gelernt hatte, dachte bei sich: »Wenn ich Israelite wäre, könnte ich Hoherpriester werden.«

Von dieser ehrgeizigen Hoffnung angetrieben, geht er zu Schamai und sagt zu ihm: »Ich werde Israelite werden, aber ich will die Würde eines Hohenpriesters.« Schamai wies ihn unwillig ab. Der Heide erscheint vor Hillel und stellt das nämliche Begehren.

»Nimm den wahren Glauben an, antwortet der Gelehrte; und wenn du selbst urtheilen wirst, daß diese Würde dir gebühre, so wird sie, so viel von mir abhängt, dir nicht versagt werden.«

Als der Heide in dem religiösen Unterrichte sehr weit vorgerückt war, lief er zum Gelehrten und erinnerte ihn an die Bedingungen und an das Versprechen.

»Mein guter Freund, erinnerte der Gelehrte, nimm an, man wolle einen König einsetzen; muß der Gewählte nicht alle Theile seines Amtes, die Gebräuche, die Gesetze, die damit verbunden sind, kennen? Auch du studire im heiligen Gesetze alle Theile, die das Hohepriesterthum betreffen und gib mir dann Antwort.«

Der Heide machte sich daran, die heilige Schrift durchzugehen und las unter andern die Worte 4. Buch Mose Cap. 1. V. 51.: »der Profane, der sich dem Altar nähert, ist des Todes schuldig.«

Der Profane! sagte er erschrocken bei sich: also die Israeliten selbst, das erwählte und heilige Volk, sind Profane in Hinsicht des Priesterthums, wenn sie nicht zur Familie Aron's gehören. Und ich Thor! ich armer Heide, wagte es, so frevelhafte Hoffnungen zu hegen?«

Er lief ganz verstört zu Hillel und sagte: »o, gesegnet deine Demuth, durch sie bin ich gerettet.«

Eines Tages befanden sich diese drei Proseliten zusammen, erzählten sich gegenseitig ihre Fälle und sagten übereinstimmend: »Der Zorn Schamai's würde uns in's Verderben gestürzt haben, die Demuth Hillel's sammelte uns unter die Fittige des wahren Glaubens.

Talmud Sabbath S. 31a.

 

Die eheliche Liebe.

Ein Bürger von Sidon hatte eine gute und schöne Frau, die er liebte und von der er zärtlich geliebt wurde. Schon zehn Jahre hatte er mit ihr in den reinen Freuden des häuslichen Glückes gelebt. Aber die Heiterkeit jenes Glückes war von einer Wolke beschattet; aber jene Freuden waren von einer geheimen Traurigkeit verbittert; denn bis dahin hatte es dem Herrn nicht gefallen, daß sich mit dem ehelichen Glücke die unaussprechlichen Wonnen der väterlichen und der mütterlichen Liebe verbanden. Die Frau weinte oft im Geheimsten ihrer Seele; und mit verdoppelter Liebe suchte sie, dem Gemahle die Einsamkeit ihres Hauses weniger schmerzlich zu machen.

Aber bei dem Manne kam noch etwas schmerzliches hinzu, ein tiefer Vorwurf, der ihm das Herz zerriß. Es schien ihm, daß der Fluch Gottes auf seinem Haupte laste, da Gott ihm einen Sohn versagt hatte, dem er die Erbschaft des Glaubens, den er von seinem Vater überkommen hatte, übergeben könnte Keine Kinder zu haben, ward als ein Fluch des Himmels betrachtet. Außerdem wurde von Manchen es für eine Pflicht gehalten, nach zehn Jahren kinderloser Ehe, die Frau zu verstoßen und eine andere zu heirathen. Jebamoth S. 64a.; es erschien ihm jenes Unglück als ein göttlicher Wink, daß er von dem, was er in der Welt am liebsten und theuersten hatte, sich trennen und eine neue Ehe eingehen sollte. Lange bestand der liebevolle Gemahl den schmerzlichen Kampf dieser Gedanken; aber endlich nach Verlauf des zehnten Jahres seiner Ehe, besiegte der religiöse Scrupel die Liebe.

Eines Tages also führte er die Gemahlin vor den Rabbi Simeon, Sohn Jochai und sprach, mit Thränen in den Augen und mit bewegter Stimme, also:

»Mein Meister! diese Frau war mir immer eine treue und liebevolle Gattin. Aber der Herr hat unsre Ehe nicht segnen wollen; gewiß meiner Sünden wegen will er nicht, daß ich glücklich mit ihr lebe. Ich erscheine daher vor dir, um dir zu erklären, daß ich es für meine Pflicht und Schuldigkeit halte, mich von ihr zu scheiden.«

Während der Mann so sprach, machte die Frau, blässer im Gesichte, als der Tod, eine vergebliche Anstrengung, zu antworten, denn das Weinen erstickte ihr das Wort.

Beim Anblicke so großen Schmerzes, fühlte sich der Gemahl das Herz zusammengeschnürt von kummervollem Mitleide und er suchte sie mit sanften und liebreichen Worten zu trösten.

»Frau, sagte er zu ihr, beruhige deinen Schmerz; wir müssen uns in den göttlichen Willen ergeben. O! auch ich, glaube mir, auch ich leide und weine. O! könnte ich dir wenigstens irgend einen Ersatz geben. Höre, das Kostbarste, was in meinem Hause ist, was du in ihm am liebsten hast, nimm es, bringe es in dein väterliches Haus, es ist dein.«

Der gute Gelehrte fühlte sich bei dieser schmerzlichen Scene ganz erweicht und bewegt. Aber da er bemerkte, daß seine Worte den Mann nicht von seinem hartnäckigen Vorsatze abbringen könnten, sprach er mit mitleidigem Bedachte also:

»Meine Kinder! ich kann euch nur beklagen. Aber ehe ich Hand an die unheilvolle Schrift lege, ach, so wollet euch zu der schmerzlichen Trennung durch eine That der Liebe vorbereiten. Ein Gastmahl weihte eure Verbindung ein, ein anderes bezeichne deren Ende.«

Vielleicht! hoffte der Weise, daß das neue Gastmahl die alten theuern Erinnerungen in das Gemüth zurückrufen und in dem Gatten einen neuen Entschluß und einen neuen Vorsatz bewirken könnte.

Eine plötzliche Hoffnung blitzte in der Seele der Frau auf. Es wurde alsbald ein glänzendes Gastmahl zubereitet; die alten und die neuen Freunde wurden dazu eingeladen.

Die Mägde und die Diener des Hauses waren alle von ihrer Herrin angewiesen. Der schäumende Becher ging von Hand zu Hand; und die ehrbaren Scherze und die muntern Gespräche erheiterten das Herz des Gatten, der sich ganz in die Lustbarkeit zu werfen schien, gleichsam um seinen Schmerz zu vergessen. Als das Gastmahl beendet war, fiel der Sidonier, der, an ein mäßiges Leben gewöhnt, von dem Weine sich beschwert fühlte, in einen tiefen Schlaf. Alsbald ließ ihn die Frau so schlafend in ihr väterliches Haus tragen und auf ein weiches Bett legen.

Gegen Ende der Nacht erwacht der Sidonier, schaut sich erstaunt um und sagt: »Wo bin ich? das ist nicht mein Zimmer.«

»Mein Gemahl, antwortet ihm die Frau, die am Bette wachte, vor dem Rabbi hast du das feierliche Versprechen gegeben, mich in das väterliche Haus dasjenige tragen zu lassen, was ich am liebsten habe und mich versichert, daß es mein sein solle. Nichts war in deinem Hause, was mir lieber wäre, als du; ich habe dich in mein Haus tragen lassen; jetzt bist du mein.«

Der Gemahl sprach nicht mehr von Trennung. Der Gelehrte betete andächtig zu Gott für jenes liebende Paar, das nachher Kinder bekam.

Jalkut 5 a.

 

Die guten Werke oder die drei Freunde.

Das göttliche Wort hat zu den Menschen gesprochen: »deine Tugend wird dir auf dem Wege vorangehen, bis die himmlische Seligkeit dich aufnimmt Jesaja Cap. 58 V. 8.

Drei Classen Freunde hat der Mensch, nämlich die Kinder, die Reichthümer und die guten Werke.

Wenn der Mensch sich dem Tode nahe fühlt, in seinem Schreckenskampfe ruft er die Kinder, die Enkel an sein Bett und spricht: »ach, rettet mich von diesem Todesgerichte.«

Und die schmerzerfüllten Kinder antworten: »Du weißt wohl, o Vater, daß es keine Macht wider den Tod giebt; daß der Bruder, daß der Freund nicht vermögen, den Menschen vom Tode loszukaufen. Das göttliche Wort hat es gesagt Daniel Cap. 12 V. 13.: »geh, schlaf in Frieden und bereite dich auf den Tag des Gerichts vor. O, die göttliche Barmherzigkeit stehe dir bei.«

Und der Sterbende denkt an die aufgehäuften Reichthümer und ruft! »o rettet mich vom schrecklichen Todesgerichte.«

Und die Reichthümer antworten: »Gold und Juwelen vermögen nichts in der Stunde des göttlichen Zornes. Das göttliche Wort hat es gesagt Mischle Cap. 11 V. 4.

Und der Sterbende ruft dann seine guten Werke vor sich und spricht: »o, rettet mich vom schrecklichen Todesgerichte. Lasset mich nicht allein, kommt, begleitet mich, rettet mich, ich war immer euer Freund.«

Und die guten Werke antworten: »gehe nur in Frieden, Freund! ehe du dort zum Gerichte angekommen bist, werden wir schon dort sein.«

Das göttliche Wort hat zu dem Menschen gesprochen: »deine Tugend geht dir voraus auf dem Wege, bis die himmlische Seligkeit dich aufgenommen hat.«

Pirke Rabbi Elieser S. 34.

 

Bestrafung eines listigen Eidschwures.

Ein guter Mann hatte einem gewissen Bar Talmion hundert Dinrim Denare, eine Münze. zur Aufbewahrung gegeben und nach einiger Zeit erschien er, sie zurückzunehmen; aber dieser Schurke behauptete, sie schon zurückgegeben zu haben.

Der Arme schreit, bittet, beschwört; aber Bar Talmion bleibt fest bei seiner Verweigerung. Und der Andere, dem kein anderes Mittel zu Gebote stand, nöthigt ihn, vor Gott einen Schwur zu leisten.

Der Schuft erklärt sich bereit, zu schwören; und unterdessen nimmt er ein Rohr, höhlt es aus und steckt die Münzen hinein und sich darauf stützend, geht er mit dem Eigenthümer des Goldes in den Tempel.

Im Begriffe, den Schwur zu leisten, wendet er sich zu dem Andern und sagt mit verstellter Gutherzigkeit: »Bitte halte diesen Stock; indessen ich schwöre.« Dann fährt er mit den feierlichsten Formeln fort: »Ich schwöre vor Gott, Alles in deine Hände übergeben zu haben, was du bei mir niedergelegt hast.«

Der betrogene Arme, wüthend über diese freche Verruchtheit, schreit, tobt, und schlägt mit dem Rohre, das er in der Hand hielt, wiederholt auf den Boden.

Und der Stock geht in Stücke und die Münzen fallen heraus und rollen im Tempel herum. Der Eigenthümer wirft sich darauf und Bar Talmion beschämt und entdeckt, ruft: »Wehe mir! wehe mir! nimm nur, nimm nur; die Münzen sind dein und mir bleibt die Schande und die Strafe.«

Midrasch Rabba S. 173.

 

Der bestrafte Neid.

Hadrian kam an den Feldern von Tiberias vorüber und sah einen Greis einen jungen Feigenbaum pflanzen. »Armer, sagte er, da du jung warst, bemühtest du dich, um etwas für das Alter zurückzulegen; jetzt, wann wirst du deine Mühen genießen können?«

»Herr! antwortete der Greis, ich arbeitete in der Jugend, ich arbeite auch im Alter; Gott thue mit mir, was ihm gefällt.«

»Aber wie alt bist du denn?«

»Hundert Jahre, Herr!«

»Hundert Jahre! Und du kannst es über dich bringen, dich mit dieser neuen Pflanzung abzumühen, wie wenn du noch davon genießen könntest!«

»Wenn Gott mir die Gnade erweisen will, so werde ich selbst noch davon genießen; was indessen auch geschehen mag, meine Väter haben für mich gearbeitet, und ich arbeite für die Kinder.«

»Bei meiner Treue, wenn du das Glück hast, davon zu genießen, so will ich, daß du mich davon in Kenntniß setzest.«

Es vergehen einige Jahre, der Alte ist noch am Leben, und das Bäumchen trägt Feigen. Da denkt der gute Mann bei sich: »Jetzt ist es Zeit, den Kaiser davon in Kenntniß zu setzen.« Er nimmt einen Korb, füllt ihn mit Feigen und geht bis zum kaiserlichen Pallaste. Er wird zum Kaiser eingeführt, der ihn fragt, wer er sei und was er wolle.

Ich bin der Alte, dem du eines Tages begegnetest, während ich ein neues Feigenbäumchen pflegte. Du befahlst mir, dich zu benachrichtigen, wenn ich dazukäme, davon zu essen. Ich habe hier einen Korb voll davon.«

Hadrian sagte: »Reichet diesem Greise einen Ehrensitz,« dann sagte er weiter: »Nehmet seinen Korb und füllt ihn mit Münzen.«

Und die Höflinge erstaunten und sagten: »Herr, so viele Ehren einem alten Israeliten!«

Und Hadrian antwortete: »Nicht ich bin es, der ihm Ehre erweist, es ist sein Schöpfer.«

Die Nachbarin jenes Hauses war eine böse, neidische Frau. Als sie davon hörte, sagte sie zu dem Gemahle: »Was machst du? Hast du gehört von jenem Alten? Einen Korb Gold für einen Korb Feigen. Muth! sammle Feigen und bringe du auch welche dem Kaiser.«

Der thörichte Mann giebt der Frau Gehör und erscheint am Hofe. »Ich habe sagen hören, daß der Kaiser ein Freund von Feigen ist, hier ist ein schöner Korb voll.« Die Diener schlagen ein schallendes Gelächter auf und der Kaiser giebt Befehl, daß sie ihn an die Thüre binden und ihm die Feigen eine nach der andern in's Gesicht werfen. Der Tropf geht ganz verschunden nach Hause und sagt zur Frau: »Einen schönen Rath hast du mir gegeben! eine schöne Ehre haben sie mir gethan! Alles wegen deiner!«

»Der Thor! antwortet die Frau mit Verachtung. Du solltest dich glücklich schätzen! Wenn die Feigen nicht gut reif gewesen wären, oder wenn du statt dessen Granatäpfel gebracht hättest, wärest du weit übler zugerichtet worden.«

Und so fuhren sie noch obendrein fort, sich untereinander Stichreden zu geben.

Rabboth S. 193b. und 194.

 

Delicatesse kindlicher Achtung.

Es lebte in Ascalon ein Heide, Namens Dama, Sohn eines gewissen Nethina, der Handel mit Edelsteinen trieb und ansehnliche Gewinnste daraus zog.

Einmal traf es sich, daß er im Ueberflusse gerade mit derjenigen Qualität Edelsteinen versehen war, die der mosaische Ritus für das Ephod (Mantel) des Hohenpriesters zu Jerusalem vorschreibt; und es war nicht so leicht, daß sich eine andre günstige Gelegenheit darbot, sie mit Nutzen zu verkaufen.

Eines Tages sieht Dama die ehrwürdigen Weisen Israels in seinem Laden eintreten, die mit einer gewissen ängstlichen Unruhe, die leicht auf ihrem Gesichte durchschien, ihn fragen, ob er zufällig eben von jener Sorte Edelsteine in seinem Geschäfte habe, die für das Ephod nöthig seien.

»Höre! setzen die Greise hinzu; gerade um den heiligen Mantel mit diesen Edelsteinen, die ihm jetzt fehlen, zu besetzen, haben wir uns selbst in aller Eile aufgemacht, aus Furcht, es könnten Andere eine Verzögerung in der Ausführung dieses frommen Werkes herbeiführen. Wenn du damit versehen bist, so kannst du dich glücklich schätzen; denn am Preise liegt uns wenig, wenn wir nur so bald als möglich die Edelsteine haben und dahin zurückkehren können, wo wir mit so großer Ungeduld erwartet werden.«

Der Kaufmann jubelte bei dieser Nachricht und bei diesem Vorschläge und, ganz dem Gedanken an den fetten Gewinn, den er machen würde, hingegeben, ergriff er jene wenigen kostbaren Steine, die vor ihm lagen und überreichte sie den Weisen Israels.

»Herren! sagte er, sehet, ob diese für euern Gebrauch passen, und sobald wir über den Preis werden einig geworden sein, hoffe ich, euch im Augenblicke diejenige Anzahl davon geben zu können, die ihr wünschen werdet.«

Die Weisen betrachteten sie aufmerksam, und da sie dieselben denjenigen gleich fanden, die der religiöse Ritus vorschreibt, antworteten sie: »Sie sind uns recht; nun reden wir vom Preise. Daß nur keine Verzögerung in der Uebergabe der Steine stattfindet!«

Aber in Betreff des Preises hatten sie nicht lange zu unterhandeln, denn von der einen Seite war völlige Bereitwilligkeit, gut zu zahlen, von der andern übertraf der angebotene Gewinn bei weitem die gehegten Hoffnungen.

»Wartet ein wenig, Herren! im Augenblicke werde ich zurück sein mit den Edelsteinen.«

Ganz froh über den guten Tag, geht er in die obern Zimmer, um aus dem Kästchen die darin liegenden Steine zu nehmen. Leise, leise geht er die Stiege hinauf, denn gerade in dem Zimmer, wo das werthvolle Kästchen stand, lag der alte Vater krank. Er tritt fast auf den Fußspitzen ein, und sachte nähert er sich dem Bett, um ihm Kenntniß zu geben von dem guten Handel und sich den Schlüssel zum Schranke, den der furchtsame Alte immer bei sich führte, geben zu lassen. Aber, o Ueberraschung! der Alte schläft. Seit langer Zeit hatte er keine Ruhe mehr genossen, und jetzt war er ganz in einen süßen Schlummer versunken.

Der Sohn betrachtet einen Augenblick mit Freude die Ruhe des Vaters; dann denkt er an den Schlüssel und erinnert sich, daß der Alte ihn unter dem Kopfe zu haben pflegte. Er betrachtet ihn wieder liebevoll, blickt unbeweglich auf ihn, dann sagt er bei sich selbst: »Geduld! der Handel wird nicht geschehen; ich werde die süße Ruhe meines Vaters nicht stören.«

Er stieg leise die Treppe wieder herunter und sagte zu den Weisen: »Herren! für jetzt kann ich euch die Steine nicht geben.«

»Aber wir können nicht warten, antworteten sie halb unwillig, halb erstaunt; entweder im Augenblicke, oder wir werden uns anders wohin wenden.«

»Ihr habt recht; es thut auch mir sehr leid, aber ich kann nicht anders.«

Die Weisen Israels gingen fort; aber als man den Grund der Sache erfuhr, lobten Alle die kindliche Achtung Dama's.

Das Jahr darauf wurde in der Heerde Dama's, ein sehr seltener Fall, eine ganz rothe, fleckenlose Kuh geboren, wie sie gerade für einen heiligen mosaischen Gebrauch 4. Buch Mose Cap. 19. vorgeschrieben war. Alsbald eilten die Weisen Israels in sein Haus, um sie zu kaufen.

»Herren! sagte er, ich weiß wohl, daß mir kein Preis von euch verweigert werden würde; aber mir genügt es blos, daß ich für den Verlust entschädigt werde, den ich im verflossenen Jahre erlitten habe um nicht meine Schuldigkeit gegen den Vater zu verletzen.«

Die Rabbinen, die über diesen ganzen Fall nachdachten, sprachen; »Wie viel Schätze der Belohnung dürfen sich die Frommen von der Barmherzigkeit Gottes erwarten, die den Lohn der guten Werke auch denen giebt, die das heilige Gesetz nicht angenommen haben?

Talmud Kiduschin S. 31a.

 

Alexander der Große, oder der Ehrgeiz.

Seinen Weg mitten durch unfruchtbare Wüsteneien und unfruchtbare Ländereien fortsetzend, langte endlich Alexander an einem Flüßchen an, dessen Wasser zwischen zwei frischen Ufern dahinflossen. Die Oberfläche desselben, von keinem Winde gekräuselt, war das Bild der Zufriedenheit und schien schweigend zu sagen: siehe da, der Aufenthalt des Friedens und der Ruhe. – Alles war ruhig und nichts Anderes hörte man, als das Murmeln des Wassers, das den Ohren des Wanderers zu wiederholen schien: komm herzu, deinen Theil an den Wohlthaten der Natur zu empfangen und das zu klagen schien, daß diese Einladung vergebens sei. Tausend köstliche Betrachtungen hätten jene Scenen in einem nachdenkenden Gemüthe erzeugen können. Aber wie konnte es jenem Alexander schmeicheln, der ganz voll von ehrgeizigen Eroberungsplänen war, dessen Ohr sich an das Geklirre der Waffen, an die Seufzer der Sterbenden gewöhnt hatte? Alexander ging weiter.

Aber erschöpft von Müdigkeit und Hunger, war er bald genöthigt, anzuhalten. Er setzte sich auf eines der Ufer des Flüßchens, nahm einige Schlucke Wassers, die ihm sehr erfrischend und von ausgesuchtem Wohlgeschmacke schienen. Dann ließ er sich gesalzene Fische mit denen er gut versehen war, auftragen und tauchte sie in's Wasser, um die außerordentliche Herbe ihres Geschmackes zu mildern. Aber welche Verwunderung, da er fand, daß sie einen süßen Wohlgeruch verbreiteten!

Sicher, sagte er, dieses Flüßchen, mit so seltenen Vorzügen beglückt, muß in einem reichen und glücklichen Lande entspringen. Suchen wir die Quelle auf.

Dem Wasser nachgehend, kam Alexander an die Thore des Paradieses. Sie waren verschlossen, er klopfte an, und mit der gewöhnlichen Heftigkeit verlangte er Einlaß.

»Du kannst hier nicht zugelassen werden, rief eine Stimme von innen; dieß ist das Thor des Herrn,« »Ich bin der Herr, der Herr der Erde, erwiederte der ungeduldige Monarch; ich bin Alexander, der Eroberer; was zaudert ihr, mir zu öffnen?« »Nein, wurde ihm geantwortet, hier kennt man keinen anderen Eroberer, als den, der seine Leidenschaften bezwingt, die Gerechten; sie allein können hier eintreten« Anspielung auf Psalm 118 V. 20..

Alexander suchte vergebens den Aufenthalt der Seligen zu erzwingen; weder Drohungen nutzten ihm, noch Bitten. Da er all sein Bemühen unnütz sah, wendete er sich zu dem Wächter das Paradieses und redete so zu ihm: »Du weißt, daß ich ein großer König bin, einer, der die Huldigungen der Nationen empfing. Wenn du mich denn nicht einlassen willst, so gieb mir wenigstens irgend eine Sache, die der erstaunten Welt zeige, wie ich bis dahin gekommen bin, wohin vor mir kein Sterblicher kam.

»Hier, o Unsinniger, versetzte der Wächter des Paradieses, hier für dich eine Sache, die die Leiden heilen kann. Ein einziger Blick darauf kann dich viel mehr Weisheit lehren, als du bis jetzt von deinen alten Meistern erhalten hast. Jetzt gehe deines Weges weiter.«

Alexander nahm begierig, was ihm gegeben wurde und kehrte in sein Zelt zurück. Aber wie ward ihm, als er, das Geschenk betrachtend, fand, daß es nichts anderes war, als ein Stück von einem Schädel eines Todten. – Dieß ist also das schöne Geschenk, rief er aus, das sie den Königen und den Helden machen! Dieses ist also die Frucht der vielen Arbeiten, Gefahren und Sorgen?

Wüthend und in seiner Hoffnung getäuscht, warf er jenen elenden Rest einer sterblichen Hülle weg.

»Großer König! sagte ein dabei gegenwärtiger Weiser, verachte dieses Geschenk nicht; so gering es auch deinen Augen erscheine, so besitzt es doch außerordentliche Eigenschaften, wie du dich versichern kannst, wenn du es mit Gold oder mit Silber wägest.«

Alexander befahl zu probiren; man brachte eine Wage; die Reliquie wurde in eine Schale gelegt, das Gold in die andere und zu großer Verwunderung Aller sank der Knochen.

Man legte anderes Metall zu und immer wurde es leichter; ja, je mehr Gold man hinzulegte, desto mehr stieg dieses.

»Es ist sehr wunderbar, sagte Alexander, daß eine so kleine Portion Materie über so viel Gold den Sieg davon trage. Giebt es denn kein Gegengewicht, das das Gleichgewicht herzustellen vermöchte?«

»Wohl, sagte der Weise, ein Weniges genügt.«

Er nahm ein klein wenig Erde und bedeckte den Knochen damit, der sich alsbald in seiner Schale erhob.

»Das ist doch eine außerordentliche Sache! rief Alexander aus; könntet ihr mir diese Erscheinung erklären?«

»Großer König! entgegnete ihm der Weise, dieses Bruchstück eines Knochens ist dasjenige, welches das menschliche Auge in sich schließt, das, wenn auch im Umfange begrenzt, doch in Wünschen unbegränzt ist; je mehr es hat, je mehr es möchte: weder Gold, noch Silber, noch anderer irdischer Reichthum vermöchte es zu befriedigen. Aber wenn es einmal in das Grab hinabgestiegen und mit Erde bedeckt ist, dort ist eine Grenze für seine gierige Lust.«

Aber die wunderbare Mahnung vermochte nichts auf Alexander, der unersättlich gierig nach Größe und Reichthümern war. Er setzte daher seinen Triumph- und Eroberungszug fort und von Sieg zu Sieg, von Reich zu Reich, über die Berge der Finsternisse hinaus, kam er bis zu den äußersten Grenzen Asiens und befand sich in der Nähe des Landes der Amazonen, wo die Frauen die Kriegsdienste versehen und kämpfen, statt der Männer. Die tapfern Kriegerinnen geriethen bei dem Anrücken des Eroberers nicht im Mindesten außer Fassung, sondern, ohne Demüthigung oder Furcht zu zeigen, sandten sie ihm eine Gesandtschaft ihrer Genossinnen entgegen, die mit freier Haltung also zu Alexander sprach: »Herr! wenn du vorhast, Krieg mit uns zu führen, so ersinnst du ein thörichtes Unternehmen. Wenn du siegst, welch ein Ruhm, über Frauen gesiegt zu haben! Wenn du besiegt wirst, welche Unehre, von Frauen besiegt zu werden?«

Alexander betroffen von dieser Rede, gab das Unternehmen auf; aber, ehe er sich entfernte, wollte er, daß auf einen Stein folgende Worte eingegraben würden: »Ich, Alexander, bisher thöricht und eitel, lernte Vernunft von den Frauen.«

Mit mildern und gemäßigtern Vorsätzen richtete er seinen Marsch nach einer andern Seite und kam an einem Lande Afrika's an. Der König jenes Staates, sich der eignen Schwäche und der unbesiegten Macht des Macedoniers bewußt, ließ ihm den Einmarsch frei, öffnete ihm die Stadt und die Königsburg und lud ihn an seinen Tisch.

Nachdem sich der große Alexander an den Tisch des afrikanischen Königs gesetzt hatte, sieht er ein sonderbares Schauspiel vor sich entfaltet. Alles auf dem Tische war Gold; Brod, Früchte, Alles war von Gold.

»Eßt ihr Gold in eurem Lande?« fragte Alexander erstaunt.

»Kann ich glauben, erwiederte der Afrikaner, daß du dein Reich verlassest und so weit ziehest, um dich, wie die andern Menschen, von den Erzeugnissen des Feldes zu ernähren? Hast du nicht Ueberfluß an diesem in deinem Lande? du hast Durst nach Gold und siehe, hier hast du Gold.«

»Freund! versetzte Alexander lächelnd, ich kam bis hierher nicht, um eure Reichthümer zu bekommen, sondern um eure Sitten kennen zu lernen.«

Und während er fortfuhr, sich im vertraulichen Gespräche zu unterhalten, siehe, da erscheinen zwei Streitführende vor dem afrikanischen Könige.

Der erste von diesen setzt den Gegenstand des Rechtsstreites also auseinander: »Ich habe von diesem meinen Genossen einen Acker gekauft; als ich darin grub, fand ich einen Schatz. Aber ich habe für den Acker und nicht für den Schatz bezahlt; der Schatz ist sein; ich komme, o König, Gerechtigkeit zu verlangen; an dir ist es, ihn zu nöthigen, ihn zurückzunehmen.«

Aber der Gegner widersetzt sich hartnäckig und sagt: »der Schatz ist nicht mehr mein; mit dem Acker habe ich Alles das verkauft, was sich in dem Acker fand; es wäre Ungerechtigkeit, ihn zurückzunehmen.«

Der afrikanische König erwog ihre Gründe und fragte den Ersten, ob er einen Sohn habe und den Zweiten, ob er eine Tochter habe und beide antworteten: ja.

Der König entschied nun also: »Nun gut, machet Mann und Frau aus ihnen, und gebt den Schatz diesem neuen Paar.«

Alexander zeigte sich höchst erstaunt über diesen Ausspruch, und da der Afrikaner dieses Erstaunen bemerkte, sagte er: »Warum staunst du? Scheint dir mein Spruch nicht gerecht? Wie würde man diese Frage in deinem Lande entschieden haben?«

»In meinem Lande? jeder gefundene Schatz gehört dem Könige; jene wären, wenn sie ihn nicht gleich übergeben hätten, des Todes schuldig gewesen.«

»Des Todes? rief verwundert der Afrikaner. Aber sage mir: scheint die Sonne in deiner Gegend? Ja. Regnet es auf euere Felder? Ja. Habt ihr Hausthiere? Ja.«

Ah! schloß der Afrikaner; ich verstehe jetzt: es geschieht dieser armen Thiere wegen, daß die Sonne scheint, daß es regnet; ihr wäret es nicht werth.

Talmud Tamid S. 32 a u. b.

 



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