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Als der Beschluß der Zerstörung und des Todes in den Büchern der unerbittlichen göttlichen Gerechtigkeit versiegelt war, erscholl eine klagende Stimme im Himmel, die also redete:
»O Engel! o Selige! Wenn ein Fürst den Tod seines Sohnes beweint, durch welche Acte pflegt er seine Trauer zu bezeugen?«
Und die Engel erwiederten: »Er pflegt die königlichen Thüren mit Säcken zu bedecken.«
Und die Stimme versetzte: »So geschehe im Himmel.« Und die Himmel bedeckten sich mit Wolken und legten Trauerkleider an.
Und die Stimme fuhr fort: »Mit welchen andern Acten pflegt der menschliche Fürst seine Trauer auszudrücken?«
Und die Engel: »Er löscht die leuchtenden Fackeln aus.« Und die Stimme: »So geschehe im Himmel.« Und die Sonne und der Mond verfinsterten sich und die Sterne zogen ihr Licht ein.
»Er bringt die königlichen Gemächer in Unordnung,« fügten die Engel hinzu. Und die Stimme: »So geschehe im Himmel.« Und die unsterblichen Sitze der Seligen stürzten um und geriethen in Unordnung.
»Er zerreißt den königlichen Purpur.« Und der unsterbliche Purpurmantel wurde zerrissen.
»Er bleibt einsam und stumm.« Und die göttliche Majestät blieb stumm und einsam.
Rabbot Echa S. 58 b.
Ein menschlicher König, der das königliche Schloß, den Thron, das Reich verläßt, geht langsam weiter und in Gedanken kehrt er zurück und weint; und von einer unwiderstehlichen Macht getrieben, wendet er sich wieder um und küßt weinend die königlichen Wände, die marmornen Säulen und sagt in kläglichem Tone: »Leb wohl, o mein Königschloß, o mein Thron, o mein Reich; leb wohl, Aufenthalt der Größe und der Ehre; leb wohl.«
Echa Rabbati S. 56 a.
Der Tempel war in Asche, in Asche Jerusalem, in Trümmern das heilige Land, und Israel vertrieben und gepeinigt.
Und eine klagende Stimme erscholl vom Himmel: »Ach! wo ist mein heiliges Haus? wo seid ihr, o meine Kinder? wo, o meine Priester? wo, o meine Freunde? Ach, vergebens erscholl das prophetische Wort meiner Drohung; ihr beharrtet in der Schuld. O Jeremia! Jeremia! Hier ein Vater, dem der Sohn plötzlich in den Armen der eben vermählten Braut stirbt. Gehe, kündige die Nachricht den alten Vätern an. Sie wissen zu weinen und zu beten.«
Der arme Prophet Jeremia irrt seufzend an den Ufern des Jordan hin und das Wort gegen die Gräber der Patriarchen richtend, ruft er: O Väter! o Väter! stehet auf aus euren Gräbern; erscheinet vor dem Herrn; jetzt ist es Zeit des Gebetes und des Weinens.«
Und die Väter, nachdem ihre Gräber aufgedeckt waren, rufen erschrocken: »O Jeremia! welche Unheilsgeschichte bringst du uns?«
Und der Schmerz verschließt dem Propheten das Wort in der Kehle und dieser setzt seufzend seinen Weg fort und plötzlich bleibt er stehen und ruft: »O Sohn Amram's! stehe auf aus dem Grabe und erscheine vor dem Herrn.«
Und Mose antwortet erschrocken: »Welche Unheilsgeschichte bringst du mir?« Und der arme Prophet vergeht in Thränen und antwortet nicht.
Mit dem Schrecken in der Seele fliegt Mose zu den Engeln und sagt: »Wer sucht mich hier? Welches Unglück ist auf der Erde geschehen?
»Unglücklicher! antworteten die Engel; weißt du nicht, daß der Tempel in Asche ist und Israel vertrieben und gepeinigt?«
Da stößt Mose einen Schrei des Schmerzes aus, kündigt die Nachricht den Patriarchen an und die Patriarchen seufzen und weinen.
Und Alle in Trauer versammelt, sitzen auf der Asche des Tempels und stellen Klagen an und der Himmel sieht jenes schmerzliche Schauspiel und bedeckt sich mit Trauer.
Da erscheint Abraham, mit thränenbenetzten Augen und die Haare mit Asche bestreut, vor dem Herrn und ruft: »O, warum hast du meinen Kindern solche Schmach und solche Bedrängniß vorbehalten?«
Bei jenem Anblick, bei jenem Rufe stellen sich auch die Engel traurig in langen Reihen auf und sprechen: »Herr, Herr, die Wege die zu deinem Hause führen, sind verödet; der dem Abraham zugeschworne Bund ist gebrochen; und Abraham ist es doch, der zuerst deinen Namen verkündigt und dein Reich auf Erden begründet hat. Du hast Zion, das von dir gesegnete und geliebte, verflucht.«
Und Abraham setzte hinzu: »Es ist ja doch das Land, wo ich bereit war, das Blut meines Isak zu vergießen, es sind meine Söhne, die vertrieben und gepeinigt und den grausamsten Verfolgungen ausgesetzt, umherirren.«
Und vom unsterblichen Throne ging eine Stimme aus und redete also: »Deine Söhne sind schuldig, sie haben das Gesetz verletzt. Es komme das Gesetz selbst und gebe Zeugniß gegen sie.«
Und das Gesetz selbst erscheint vor dem unsterblichen Throne.
»Meine Tochter! meine Tochter! Erinnere dich, daß du von allen Nationen der Welt zurückgewiesen und blos von meinen Söhnen auf- und angenommen wurdest. Und du könntest in den Tagen ihres Schmerzes Zeugniß wider sie ablegen?«
Das Gesetz verstummt.
»Mögen, sagt Gott, die Buchstaben der heiligen Schrift selbst kommen und gegen deine Söhne Zeugniß geben.«
Es erscheint das Aleph und Abraham ruft: »Mit dir beginnt das erste von Gott auf Sinai verkündigte Wort, welches rief Gott einzig. Jenes Wort wurde von der Welt abgewiesen, wurde von meinen Söhnen angenommen; und du könntest gegen sie Zeugniß ablegen?«
Das Aleph schweigt.
Es erscheint das Beth und Abraham ruft. »Meine Tochter! Mit dir beginnt jenes heilige Buch Die Bibel., das meine Söhne allein verehrt haben. Und du könntest Zeugniß gegen sie geben?« Und das Beth schweigt. Und alle die heiligen Buchstaben schweigen.
Und Abraham fuhr fort: »O mein Gott! erinnere dich jenes Tages …, ich selbst fesselte mit engen Banden meinen Sohn; ich selbst legte ihn auf den Altar; ich selbst schwang das Eisen …«
Und Isak ruft: »Auf den väterlichen Befehl senkte ich tief das Haupt und reichte die Hand den Fesseln und reichte den Hals dem Eisen …«
Und Jacob ruft aus: »Harte Leiden hatte ich im Hause Laban's zu erdulden und von Esau bedroht, trotzte ich unerschrocken dem Tode, zum Heile meiner Söhne und führte ein Leben der Aengsten und Schmerzen für sie; und mit aller Liebe erzog ich sie, wie ein Vogel seine Jungen; und jetzt sind diese meine Söhne, die mich so viel Mühe kosteten, dem Schwerte hingegeben, wie Schafe zur Schlachtbank …«
Und Mose betete so: »Herr, auf deinen Befehl, war ich vierzig Jahre lang der treue Führer und Vater dieses Volkes; vierzig Jahre irrte ich mit ihm, wie ein Roß in der Wüste; und an der Schwelle des heiligen Landes legte ich gehorsam meine sterbliche Hülle ab …«
Aber plötzlich erscholl eine Stimme in folgenden Worten: »Das Gericht Gottes ändert nicht; hoffet allein auf die Zukunft.«
Echa Rabati S. 55 a.
O, wie viel unschuldiges Blut vergoß das römische Schwert, o, wie viel Gerechte wurden geopfert!
Der Herr nahm von jedem dieser Opfer einen Tropfen Bluts und bespritzte damit den unsterblichen Purpur; in kurzer Zeit troff sein unsterblicher Purpur von allen Seiten von Blut. Und am Tage des Gerichtes wird der Herr von Neuem jenen Purpur ankleiden und wird ihn den Henkern zeigen und ihnen in's Gesicht abschütteln.
Jalkut S. 253 b.
Ein König verlobte sich einem sehr schönen Mädchen und begab sich dann auf eine lange Reise.
Die Monate und die Jahre vergehen und der König kehrt nicht zurück. Die Genossinnen der Braut wiederholen mit boshaftem Mitleide: »Arme Verlassene! der König wird nie mehr zurückkehren.«
Das Mädchen kränkte und bekümmerte sich ob dieser Worte und schloß sich in ihre Gemächer, um zu weinen.
Dann nahm sie die königliche Schrift zur Hand, in welcher er ihr die Krone und das Reich versprach und verscheuchte bald jeden Verdacht und war wieder heiter und froh.
Endlich kehrt der Fürst zurück und sagt: »Wie konntest Du mir nach so vielen Jahren die Treue bewahren?« »Herr!« antwortete die Jungfrau, »ich hatte Deine Schrift zum Pfande; das königliche Wort trügt nie.«
So sagen die Nationen der Erde mit spöttischem Tone zu Israel: »Euer Gott hat euch verlassen.«
Und Israel versammelt sich bekümmert und weinend in seinen Tempeln und Lehrhäusern und liest in den heiligen Büchern die göttliche Verheißung der Erlösung und stärkt sich wieder von Neuem.
Wenn die Tage erfüllt sein werden, wird Gott zu Israel sprechen: »Wie hast du mir so lange Zeit Treue bewahren können?« »Mein Gott,« wird Israel antworten, »ich hatte zum Unterpfand Dein Gesetz.«