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Zehntes Buch.
Ascetismus.

Wir begreifen unter dieser Kategorie diejenigen Grundsätze und Facten, in welchen die moralischen oder religiösen Principien bis zur äußersten Grenze getrieben sind.

Entsage den irdischen Gütern.

Rabbi Jochanan ging mit seinen Freunden im Felde spazieren.

Auf einmal bleibt er stehen und auf einen schönen Weinberg deutend, sagte er: »dieser war mein und ich habe ihn für die Armen verkauft, um mich ganz dem Studium des Gesetzes zu ergeben.« Weitergehend deutete er auf einen schönen Acker: »Auch dieser, sagte er, war mein und ich habe ihn verkauft, um keine andere Sorge zu haben, als die für meine heiligen Studien.« Noch weitergehend, zeigte er auf einen andern Acker und setzte hinzu: »Es war dieser meine letzte Besitzung und ich habe darauf verzichtet, um keinen andern Gedanken zu haben, als das Gesetz.«

Seine Freunde zeigten sich sehr betrübt darüber und sagten: »Was hast du denn für dein Alter zurückbehalten?«

Ihr betrübt euch darüber? sagte der Meister lächelnd. Ich habe auf Dinge verzichtet, die uns für einige Tage gegeben sind, für einen Erwerb, der viel längere Zeit dauern wird.

Schir haschirim Rabba S. 38 a.

 

Beispiele übermäßiger Wohlthätigkeit.

Eine Person von vornehmer Familie hielt ein fürstliches Gefolge: aber von schweren Unglücksfällen getroffen, sah sie sich in Gefahr, von ihrer Größe herabzusinken und jenen Pomp aufgeben zu müssen, der ihrem Namen und ihrer Familie gebührte. Der Unglückliche vertraute seine Noth dem Rabbi Hillel und empfahl sich ihm mit Wärme.

Unter andern war derselbe gewohnt, in der Stadt auf einem prächtigen Pferde zu reiten und einen Sclaven vor sich hergehen zu lassen.

Rabbi Hillel bestritt einige Zeit die Kosten des Pferdes und des Sclaven.

Einmal fand er keinen Sclaven, der diesen Dienst übernehmen wollte, und der gute Mann bot sich selbst an und lief drei Meilen weit vor dem Pferde her.

Talmud Ketuboth S. 67 b.

 


Mar Ukba wohnte neben einem geehrten armen Mann, der lieber ein elendes Leben führte, als zum Almosen Zuflucht zu nehmen. Der wohlthätige Mann gewöhnte sich, jeden Tag in das Haus des Bedürftigen eine Münze durch eine Oeffnung in der Thür zu werfen, ohne gesehen zu werden. Der Arme, erfreut über dieses beständige Almosen, hatte großes Verlangen, seinen Wohlthäter kennen zu lernen und beschloß, eines Tages aufzupassen, um ihn zu entdecken. An jenem Tage war der Gelehrte etwas länger als gewöhnlich im Lehrhause geblieben, und die Gemahlin ging ihm entgegen. Beim Nachhausegehen kommen sie an dem Häuschen des Armen vorbei, und leise auf der Fußspitze nähern sie sich der Thüre und werfen die Münze hinein. Der Andere, der aufpaßte, reißt die Thüre auf, um zu sehen, wer es sei und jene zwei ergreifen, beim Knarren der Angeln, die Flucht. Der Empfänger der Wohlthaten stürzt sich ihnen nach, die Straße einschlagend, aus welcher er den Tritt ihrer Füße vernahm.

Da die Andern sehen, daß man ihnen folgt, beschleunigen sie ihre Schritte und der Arme immer nach. Endlich an einer Biegung verstecken sich die beiden Eheleute in einen noch warmen Backofen, nicht achtend auf die Hitze, die sie belästigt, froh, dem Blicke ihres Verfolgers entzogen zu sein.

Und warum, fragt ein Weiser, warum solche Mühe sich zu verbergen? Weil es besser ist, sich in einen brennenden Ofen zu werfen, als seinem Nächsten Anlaß zu geben, öffentlich beschämt zu werden.

Ebendaselbst.

 


Der nämliche Gelehrte war gewohnt, jedes Jahr bei der Wiederkehr des großen Versöhnungsfestes, eine ansehnliche Summe einem geehrten Armen zu schicken. Einmal schickte er die gewöhnliche Summe durch seinen Sohn.

Dieser kommt ganz ärgerlich nach Hause und sagt: »Mein Vater, dein Geld ist verschwendet. Kaum in das Haus deines Schützlings eingetreten, hörte ich davon sprechen, alten Wein und ähnliche Leckerbissen zu kaufen.«

»Armer! rief der Vater aus. Er ist also an ein feines Leben gewöhnt und ich kannte dieses sein Bedürfniß nicht.« Und er verdoppelte ihm die Summe.


Ein müder Reisender erschien vor Rabbi Nehemia und bat ihn, ihn für einen Tag aufzunehmen und ihm zu essen zu geben.

Was issest du gewöhnlich? fragte ihn der Weise.

Meine gewöhnliche Speise ist fettes Fleisch und alter Wein.

Armer! antwortete der Gelehrte; mein Mahl ist viel mäßiger; es besteht lediglich in einem Linsengericht; komme und theile mein Mahl.

Der vom Hunger gequälte Reisende nahm das Anerbieten an und warf sich gierig darauf. Aber die ungewohnte Speise, verbunden mit der Müdigkeit, verursachte ihm große Beschwerde. Der Unglückliche ward krank und starb bald.

Der arme Wirth ging traurig und trostlos umher und schrie: »Unglücklicher Reisender, der gekommen ist, um von mir getödtet zu werden.«

Bei dieser Gelegenheit bemerkt ein Weiser, streng genommen habe der gute Wirth ausrufen müssen: »Ich Unglücklicher, der ich jenen Reisenden getödtet habe; aber recht zu urtheilen, so war das Unrecht auf Seite des Reisenden, der sich nicht an eine allzu verzärtelte Lebensweise hätte gewöhnen sollen.«

Ebendaselbst.

 


Rabbi, der Heilige, ging auf der Straße, als man ein Kalb zum Schlachten führte.

Das arme Kalb schrie jämmerlich und verkroch sich unter die Kleider des Gelehrten. Dieser zog sich zurück und sagte hart: weiter, weiter, du wurdest dazu geschaffen.

Da erscholl eine Stimme vom Himmel: da hast kein Mitleid mit meinen Geschöpfen! Du verdienst auch kein Mitleid.

Und von jenem Tage an wurde der Körper des Heiligen mit Wunden bedeckt.

Ein ander Mal kehrte seine Magd das Haus.

In einer Ecke des Zimmers lagen die Jungen eines Wiesels. Die Magd nähert sich und will sie wegkehren.

Arme Thierchen! sagte der Heilige, laß sie liegen.

Da erscholl eine Stimme im Himmel: Du hast Mitleid mit meinen Geschöpfen; du selbst verdienst auch Mitleid.

Und von jenem Tage an genas der Heilige vollkommen.

Talmud Baba Mezia S. 85 a.

 

Der rechtschaffne und freigiebige Arzt.

Abba war ein berühmter Arzt, von großem Ruf wegen seiner Kentnisse, in großer Achtung und Verehrung wegen seiner Rechtschaffenheit.

Sein Haus war von einer großen Menge Leute besucht, die ihn consultirten und bei ihm Heilung suchten. Er hielt zwei getrennte Zimmer, eines für die Frauen bestimmt, das andere für die Männer.

Wenn er einer Frau zur Ader zu lassen hatte, warf er ihr einen besonders dafür hergerichteten Mantel über, der sie ganz bedeckte und mit Aermeln an dem Theile eigens aufgetrennt, wo die Lanzette eingesetzt wurde. Vor seinem Hause hielt er eine Büchse, in welche, wer ihn gebrauchte, irgend eine Münze hineinwarf, wenn er konnte, oder wollte, ohne daß ein Anderer es sah; und wer weniger gab, brauchte nicht zu erröthen. Den Armen gab er selbst Geschenke, indem er sagte: »Hier, um die Arzneien zu kaufen.«

Eines Tages nahmen sich die Gelehrten vor, sein Gemüth auf die Probe zu stellen. Einige von ihnen gehen, ihn zu besuchen; sie werden glänzend aufgenommen, reichlich bewirthet und auf weiche Teppiche schlafen gelegt. Gegen Morgen stehen sie auf, ohne ein Wort zu sprechen, packen die Teppiche zusammen und tragen sie mit sich fort.

Der gute Arzt geht aus und sieht diese seine Gäste mit dem Packe unter dem Arme, wie wenn sie etwas verkaufen wollten. Sie gehen ihm entgegen, zeigen ihm die Teppiche und sagen zu ihm: »Herr, um welchen Preis würdet ihr sie kaufen?« Der gute Arzt betrachtet sie und bietet. Seine Freunde stellen sich hierüber aufgebracht und rufen: »Das ist ein zu geringes Gebot.«

»Entschuldigt,« antwortet der Arzt unbefangen, »es ist gerade der Preis, den sie mich gekostet haben.«

»Sie sind euer, ja, sind euer, sagen endlich jene Gelehrten, von Bewunderung und Achtung erfüllt: nehmet sie zurück. Aber, gestehet doch gütigst, als ihr sahet, daß euch die Teppiche fehlten, welchen Verdacht habt ihr gehegt?«

Ich vermuthete, daß ihr Geld zum Loskaufe von Sclaven zu sammeln hättet und nicht wagtet, mir es zu sagen. Aber es sei: Ich habe auf diese Teppiche schon verzichtet. Sie sind für die Armen bestimmt.

Talmud Taanith S. 21 b.

 

Der Vorwurf des Unschuldigen.

In seinen letzten Jahren war der berühmte Nachum, der den Beinamen Gam su führte, weil er bei allen Unglücksfällen, die ihn trafen, zu sagen pflegte; »auch dieses ist zum Guten«, gelähmt an Händen und Füßen und blind. Seine Schüler standen um sein Sterbebett und betrachteten ihn mit Ehrfurcht und Mitleid; endlich richteten sie die Frage an ihn:

»O geliebter Meister! du Unbescholtenster, Frommer, Heiliger! warum suchte dich die göttliche Gerechtigkeit also heim?«

Der Sterbende antwortete mit schwacher Stimme: »Meine Söhne! Ich habe diese Strafe verdient. Höret: Mit drei Wagen voll von Speisen und Getränken begab ich mich einmal in das Haus meines Schwiegervaters. Auf dem Wege begegnet mir ein ausgehungerter Armer und rief: »Herr, Herr, gebt mir, damit ich mich aufrecht halten kann.« Ich antwortete: »wenn ich den Wagen abladen werde, wirst du bekommen, was du verlangst«; und unterdessen setze ich meinen Weg fort. Nach wenigen Augenblicken wende ich mich um; welch' ein Anblick! jener Arme war zur Erde gefallen, ohnmächtig, todt. Verzweifelt stürze ich vom Wagen, werfe mich auf den Leichnam, strecke mich über die entseelte Hülle und rufe: »Ich Unglücklicher! meine Augen, die auf dein Elend nicht sahen, mögen erblinden; meine Hände, die dir nicht die gewünschte Erquickung reichten, mögen abgehauen und meine Füße, die nicht liefen, dir Hülfe zu bringen, mögen abgeschnitten werden. Der Herr hat mein Gebet erhört und kurze Zeit nachher war mein ganzer Körper voll von Wunden.«

»Wir Unglücklichen«, sagten seine Schüler weinend, »daß wir dich in solchem Zustande sehen.«

»Unglücklich ich, antwortete ruhig der Sterbende, wenn ich nicht in diesem Zustande wäre.«

Talmud Taanith S. 21 a.

 

Gemäßigte Freude.

Bei der Hochzeit seines Sohnes hatte ein Gelehrter viele Freunde, seine Studiengenossen, eingeladen. Diese dachten an nichts Anderes, als an das glänzende Fest und überließen sich einer maßlosen Freude. Der Festgeber, dem diese ausgelassene Freude mißfiel, ging aus dem Saale und kam wieder herein mit einer kostbaren Tasse von kostbarem Krystall, läßt sie zur Erde fallen und zerbricht sie in hundert Stücke. An die Stelle der geräuschvollen Freude tritt nun ein düsteres Schweigen.

Talmud Berachot S. 31 a.

 


Bei der Hochzeit des Sohnes von Rabbina wendeten sich die Gelehrten an Rab Hamnuna und sagten zu ihm: »Herr, stimmt doch ein fröhliches Lied an.« Der Rabbi begann also: »Wehe uns. die der Tod erwartet; wehe uns, die wir sterben müssen.«

»Und in welchem Versmaße,« riefen die Genossen, »werden wir dein düsteres Lied erwiedern?«

Singet so, antwortete der Rabbine: Wehe, wehe, welches sind unsre Verdienste, die uns zu retten vermöchten? Dieser Ausruf entspricht dem des immer nahen Todes, der uns um so mehr erschrecken muß, je weniger wir die Rettung unserer Seele zu hoffen haben..

Ebendaselbst.

 


Man sagt von Resch Lakisch, daß er nie in seinem Leben den Mund zum Lachen geöffnet habe.

Ebendaselbst.

 




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