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Die Vergewaltigung einer Frau, die Erzwingung des Koitus wider ihren Willen, ist japanisch »Gōkan«, die Notzucht; es gehört aber mehr der Sprache der Rechtsgelehrten an, die auch, um ganz deutlich zu sein, »Gōkanzai«, das Verbrechen der Notzucht, sagen. »Gōin« und »Gōin suru«, notzüchtigen, sind in der besseren Umgangssprache gebräuchlich; das Volk hat sich seine eigenen Ausdrücke geschaffen. Ein solches Gassenwort ist »Tsuji-Tori«, der Fang auf der Straße, oder der Raub auf der Straße, für die Vergewaltigung einer Frau. Die Handlung selbst bezeichnet man mit einem gewöhnlichen Ausdruck als »Katsugu«, schultern, auf die Schulter nehmen, wie im folgenden Senryū:
»Katsugareta Gejo wa
Sasemo ga tsuyu darake.«
Wörtlich würde das bedeuten: »Die auf die Schultern gelegte Dienstmagd wurde naß vom Tau des Beifußes.« (Artemesia; es handelt sich um irgend eines der Küchengewürzkräuter, Estragon usw.). Das zunächst harmlose klingende Senryū bekommt aber einen anderen Sinn, wenn man weiß, daß »Tsuyu«, der Tau, in der Volkssprache entweder den männlichen Samen oder die von der Frau beim Orgasmus abgesonderte Flüssigkeit bedeutet; daher man die Vulva auch »Tsuyu-Ana«, die Tautropfenhöhle, nennt. Warum man den Beifuß angeführt hat, ließ sich nicht ermitteln; vielleicht soll dadurch zum Ausdruck werden, daß es sich um ein in der Küche beschäftigtes Mädchen handelt und daß die Vergewaltigung im Küchengarten vor sich gegangen ist. Das Senryū bedeutet also: »Die genotzüchtigte Dienstmagd wurde naß vom männlichen Samen.«
Das Zeitwort »Debaru«, notzüchtigen, bezeichnet Fujisawa als neu entstandenes Wort. Über die Entstehung dieses Wortes ist in unseren Unterlagen folgendes enthalten: »Im 41. Meiji-Jahr (1908 u. Z.) lebte in Okubo, Tōkyō, ein Arbeiter namens Ikeda Kametarō, der einen vorstehenden Zahn hatte, weshalb man ihn gewöhnlich mit einem Spitznamen als ›Deba-Kame‹, Kame mit dem Raffzahn, bezeichnete. Dieser Mann betrachtete sich hin und wieder verstohlen das öffentliche Frauenbad. Eines Abends ging er hinter einer gewissen Frau her, die aus dem Badehaus kam, folgte ihr insgeheim bis in ihre Wohnung und notzüchtigte sie dort.« Seit diesem Ereignis nennt man einen Mann, der einer Frau nachschleicht, um in unerlaubten Geschlechtsverkehr mit ihr zu treten, im Volksmund einen »Deba-Kame«. Aus Deba hat man dann das Zeitwort »Debaru« gemacht, das also im Deutschen mit »beraffzahnen« zu übersetzen wäre. Wir haben hier wieder den Fall, daß ein Aufsehen erregendes Ereignis im Gedächtnis des Volkes fest haftet und in der Schaffung eines neuen Wortes festgelegt wird. An dem Bericht ist für uns auffallend, daß dieser Kametarō sich beim Frauenbad als »Astlochgucker« betätigt, während sonst ganz allgemein angegeben wird, daß der nackte Frauenkörper auf den Japaner wenig oder gar keinen Reiz ausübt, weil er von Kind auf an den Anblick gewöhnt ist. Daß aber dieser Mann mit dem Raffzahn trotzdem sich an dem Anblick der badenden Frauen erregt, mag darauf zurückzuführen sein, daß sein Gesicht durch den vorstehenden Zahn so entstellt war, daß er von den Frauen zurückgewiesen wurde. Seine geschlechtliche Spannung machte ihn dann zum Astlochgucker und führte schließlich zur Vergewaltigung einer Frau, als die Gelegenheit günstig war. Das in der Verbrechersprache vorkommende Zeitwort »Debara«, notzüchtigen, geht wahrscheinlich auf Debaru zurück.
In besonderer Weise hat sich der Volkswitz an dem Vorgang geübt, bei dem mehrere Männer eine Frau hintereinander vergewaltigen. Man sollte meinen, daß ein solcher Vorfall ziemlich selten ist, so daß für das Volk gar kein Anlaß vorläge, sich weiter mit ihm zu beschäftigen. Aber anscheinend hat gerade das Auffallende eines solchen Ereignisses dazu geführt, daß der Volksmund sich eigene Ausdrücke dafür gesucht hat. Das allgemein übliche Wort »Mawaritori« für die mehrfache Vergewaltigung einer Frau bedeutet ursprünglich nur »abwechselnd oder der Reihe nach, im Kreislauf, umschichtig etwas nehmen«; im Deutschen könnte man sagen: »eine Frau abwechselnd vornehmen,« da »vornehmen« die Bedeutung »den Koitus ausführen« in dieser Verbindung hat. Die Verbrecher sagen »Mawari-wo-utsu«, Kreislauf spielen oder der Reihe nach stoßen.
Bei den oben erwähnten volkstümlichen Wörtern für die Notzüchtigung einer Frau durch mehrere Männer ist ein Umstand besonders auffallend: der Volkswitz hat ausnahmslos gottesdienstliche Handlungen der buddhistischen Priester als Vergleichspunkte für eine an sich sehr unsaubere Sache herangezogen. Ob man das mit Rücksicht auf den allgemeinen schlechten Ruf dieser Priester getan hat, so daß man ihnen so etwas ohne weiteres zutraute, oder ob andere Gründe vorlagen, läßt sich nach den Unterlagen nicht feststellen.
Eine buddhistische Gebetsversammlung heißt »Nembutsukō« und dieses Wort wird vom Volk für Mawaritori gebraucht, wie z.B. durch das folgende Senryū belegt ist:
»Gejo yûbe Nembutsukō de ōjō shi.«
»Die Dienstmagd dachte, sie würde sterben, als sie gestern Abend einer Gebetsversammlung beiwohnte.« So tief ergriffen war sie, denkt der Unkundige; in Wirklichkeit bedeutet aber das Senryū: »Die Dienstmagd dachte, sie würde sterben, als sie gestern Abend von mehreren Männern vergewaltigt wurde.« Um den Ausdruck »Gebetsversammlung« in diesem Sinn zu verstehen, müssen wir auf das Wort »Mokugyo«, zurückgreifen, von dem im Abschnitt »Nanshoku« die Rede ist. Ein Mokugyo ist eine hölzerne Büchse, die beim Beten angeschlagen wird, um für die gemeinsam laut gesprochenen Worte den Takt anzugeben. Mit diesem Wort Mokugyo bezeichnet man in der Volkssprache den Cunnus. Eine buddhistische Beterversammlung, hei der das Mokugyo in der angegebenen Weise angeschlagen wird, heißt »Mokugyo-Kō«. Und auch dieses Wort ist zu einem Gassenausdruck für die Vergewaltigung einer Frau durch mehrere Männer geworden.
Eine besondere äußere Form hatte eine Gebetsversammlung, die seit alten Zeiten im buddhistischen Tempel zu Kyōto abgehalten wurde. Diese heilige Handlung nannte man »Hyakumamben«, eine Millionmal, weil der sehr lange Rosenkranz durch die Finger der im Kreise sitzenden Beter so lange gleiten mußte, bis die sämtlichen Gebete und Gesänge einer Geisterbeschwörung hergesagt waren. Das Bild zeigt uns in karikaturenhafter Weise eine solche Beterversammlung, die durch das Hersagen eines Rosenkranzes mit sehr dicken Kugeln und Absingen von Gebeten alle Krankheiten oder bösen Einflüsse, die von Geistern herrühren, fern halten oder entfernen will. Auf dem Bilde, das aus einer Erzählung mit Bildern stammt, die während der Yedo-Periode (also vor 1867 u. Z.) erschien, sehen wir in der Mitte den Priester, der mit einem hölzernen Hammer auf das Mokugyo schlägt, um den Takt anzugeben. Die um ihn herumknienden Frauen sind Yotakas, Nachteulen (jap.: Nachtfalken), Freudenmädchen niederster Art, von denen eine auf beiden Wangen schwarze Pflaster trägt, zum Zeichen, daß sie an Syphilisgeschwüren leidet. Die beiden Frauen in schwarzen Kleidern (in der linken und rechten unteren Ecke) sind bejahrte Damen, die Perücken mit der Haartracht junger Mädchen tragen, um ihren Kunden im Dunkeln eine Jugend vorzutäuschen, die sie nicht mehr besitzen. Durch den beim Singen der Beschwörungsformeln weit aufgerissenen Mund wird das Groteske der Darstellung noch gesteigert. Auch die Kugeln des Rosenkranzes, die in übertriebener, mit den Fingern nicht mehr zu fassender Größe dargestellt sind, erhöhen die lächerliche Wirkung des Bildes.
Weil der Rosenkranz bei dieser Gebetsversammlung durch viele Hände ging, ist das Wort »Hyakumamben« als Gassenwort für die Vergewaltigung einer Frau durch mehrere Männer erhalten geblieben, da in diesem Falle die Frau gewissermaßen auch durch mehrere Hände geht. Die Übertreibung, die in der wörtlichen Bedeutung »eine Millionmal« liegt, muß man dabei als Volkswitz mit in den Kauf nehmen. –
Zu dem Wort »Gō-chin«, einem Volksausdruck, gibt Satow die Erklärung »Penisvergewaltigung«, d. h. Notzucht, die eine Frau an einem Mann begeht. Leider sind in den Unterlagen keine Hinweise auf bestimmte Fälle enthalten, so daß wir über einen solchen Fall in Japan nicht unterrichtet sind.