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»Niwatori« bedeutet das Huhn, wörtlich der Gartenvogel (niwatori) als Gattungsname; es umfaßt also Hahn (ondori) und Henne (mendori). Um den Sinn, der in Niwatori in bezug auf das Geschlechtsleben steckt, zum Ausdruck zu bringen, müßten wir im Deutschen sagen: Es wie die Hühner machen, wofür wir aber kürzer und deutlicher sagen: Hahn und Henne. Das ist der Sinn des Wortes, wenn wir das »Treten« des Hahnes im Vergleich zum Menschen als »Niwatori«, als eiligen Koitus bezeichnen. In einem anderen Ausdruck für einen solchen Schnellkoitus kommt dies deutlicher zum Ausdruck, nämlich in »Chonchon-Maku«. Chonchon ist soviel wie »in kurzer Zeit« und Maku ist ein altes Zeitwort, das »einen Koitus haben« bedeutet. Über Maku oder Magu und Ableitungen finden sich im Abschnitt »Götter und Geister« weitere Angaben. Statt Chonchon-Maku sagt man auch kurz »Chon-chon«, in einem Augenblick. Wir wiederholen hier aus dem Abschnitt »Tänze« das beinahe sentimental klingende kleine Volksliedchen vom Lande:
»Yama de Chon-chon surya
Kinone ga makura,
Ochiru kono ha ga
Yogi to naru.«
»Wenn man in den Bergen rasch einen Koitus macht, dann dient ein Baumstumpf als Kopfkissen und die fallenden Blätter kann man als Bettdecke ansehen.« Statt Chon-chon sagt man auch »Chon-no-ma«, in kurzer Zeit, mit der Nebenbedeutung: einen Koitus ausführen.
Im folgenden bringen wir zum eiligen Koitus eine lustige Geschichte, die überschrieben ist »Hayari Isha« (Der in Mode gekommene Arzt, d. h. der viel beschäftigte Arzt):
Ein Doktor, dessen Geschäft (!) sehr gut ging, konnte sich bei seinen Vergnügungen nicht lange aufhalten. Deshalb übte er seinen Geschlechtsverkehr in ganz kurzer Zeit aus, wenn er aus dem Hause eines Kranken zurückkam. Dann ging er in aller Eile wieder fort, um einen anderen Kranken zu besuchen. Das Ehepaar nannte diesen Verkehr »Ozen«, den Eßtisch. Wenn der Mann nach Hause kam und sagte: »Mach rasch den Eßtisch fertig!«, dann zog seine Frau sofort das rote Lendentuch aus und legte sich auf den Rücken. Eines Tages traf dieser Doktor ein sehr hübsches Mädchen auf seinem Wege, so daß er in eine leidenschaftliche Erregung geriet. Er lief deshalb in eine Allee, stellte sich hinter einen Baum und befriedigte sich selbst. Dann ging er nach Hause, sagte aber nichts zu seiner Frau. »Vergissest du denn auch nichts?« frug ihn diese ganz besorgt. »Was soll ich denn vergessen haben?« erwiderte er. »Den Eßtisch!« »Ach so!« gab er zur Antwort, »also darum handelt es sich! Ich kann aber nichts mehr zu mir nehmen, da ich gerade eben ›eine hastige Mahlzeit‹ genossen habe!«
»Chazuke« oder »Ochazuke«, die hastige Mahlzeit, ist ein volkstümliches Wort für einen hastigen Koitus. Chazuke ist eine Speise, die aus einer Mischung von gekochtem Reis mit Tee besteht; man pflegt beim Schluß einer Mahlzeit den Reis mit Tee zu begießen und so zu essen. Man nimmt diesen Teereis aber auch als zweites Frühstück, so daß Chazuke im Sinn der obigen Erzählung am besten mit »Imbiß« übersetzt wird. In der Fachsprache der Freudenmädchen bedeutet Ochazuke den geheimen Geschlechtsverkehr eines Freudenmädchens mit dem Gast einer Genossin, in den sie sich rasch verliebt hat. Daß dies eine »hastige Mahlzeit« sein muß, damit die andere nichts merkt, ist selbstverständlich.
Daß das Ehepaar für seine geschlechtlichen Vergnügungen den Namen »Ozen«, der Eßtisch, nicht ganz ohne Absicht gewählt hat, geht aus folgendem hervor: »Ozen«, der Eßtisch, und »Ozen wo sueru«, den Eßtisch hinstellen, haben dieselbe Bedeutung, wie »Suezen« und »Suezen wo sueru«. Suezen nennt man auch ein kleines Tischchen, das man für ein abwesendes Familienmitglied deckt, in dem Glauben, daß dieses dann in der Ferne weder Not noch Mangel leidet. Aus den Bedeutungen geht hervor, daß es sich um den Begriff handelt: »den Eßtisch für jemanden bereit stellen oder bereit halten«, und zwar in dem Sinn, daß der Betreffende zu seiner Freude, aber unerwartet, etwas vorfindet, gerade als wenn er es sich gewünscht hätte. Daher ist Suezen zu einem volkstümlichen Gassenwort für eine Frau geworden, die einem Mann, in den sie sich verliebt hat, in jeder Beziehung entgegenkommt, sich ihm anbietet. Das kommt in dem obigen Geschichtchen dadurch zum Ausdruck, daß die Frau auf die Aufforderung ihres Mannes hin, den Eßtisch bereit zu halten, sofort ihren Lendenschurz auszieht und sich hinlegt. Dies bringen die beiden Bilder zum Ausdruck, aber in sinnbildlicher Weise, da sie in einer öffentlich erscheinenden Zeitung nicht so deutlich ausfallen konnten, wie es in dem Geschichtchen geschildert ist. Das erste Bild stammt aus dem »Kokkei Shimbun« (Scherz-Zeitung, etwa: »Lustige Blätter«) Nr. 92, erschienen zu Ōsaka am 20. März des 38. Meiji-Jahres (1905 u. Z.). Das Mädchen oder die junge Frau sitzt auf dem Eßtisch und bietet sich als »Speise« an; damit man über die Bedeutung des Dargestellten nicht im Zweifel ist, liegen neben der »Speise« zwei japanische Eßstäbchen. Das zweite Bild stammt aus derselben Zeitung, Nr. 80, vom 1. März des 45. Meiji-Jahres (1912 u. Z.). Es ist gegen das erste Bild erheblich deutlicher, denn die Rückenlage der jungen Frau und die Stelle, an der das Eßtischchen hingesetzt ist, lassen keinen Zweifel, was die Unterschrift besagt.
Eine Überlieferung, die sich aus vergangenen Zeiten erhalten hat, berichtet folgendes:
»Der General Michimori aus dem Geschlecht der Taira wollte eines Tages in die Schlacht ziehen und hatte den Entschluß gefaßt, im Kampf zu sterben. Zu der Zeit, als er sein Haus verlassen mußte, hatte er in aller Eile noch einmal Geschlechtsverkehr mit seiner Geliebten namens Kosaishō, um ganz bekümmert von ihr Abschied zu nehmen.«
Die Erinnerung an diesen Vorgang, der damals allgemein bekannt geworden sein muß, hat sich im Volk erhalten, denn der Ausdruck »Michimori-no-Hataraki«, die Betätigung des Michimori, ist die Bezeichnung für einen Geschlechtsverkehr innerhalb kurzer Zeit bis heute geblieben. Auch den Namen der Geliebten, Kosaishō, hat das Volk nicht vergessen, wofür hier zwei Senryūs als Belege folgen:
»Kosaishū mazui Henoko de sareru nari.«
»Kosaishō hatte einen Koitus mit einem ganz ungeschickten (plumpen) Penis.« Das soll heißen, daß die Geliebte des Generals bei dem hastigen Imbiß nicht zur Befriedigung gelangt ist.
»Naki nagara shita ata wo fuku Kosaishō.«
»Während ihr die Tränen (über die Wangen) herunterliefen, wischte sich Kosaishō ihre Vulva ab.« Die groteske Gegenüberstellung des Weinens und des Abwischens der Vulva soll doch wohl zeigen, daß sich das altgewohnte Reinlichkeitsbedürfnis der japanischen Frau selbst unter so traurigen Umständen bemerkbar macht, so daß sie eher an das Abwischen der Vulva als an das Abwischen der Tränen denkt.
Im Abschnitt »Götter und Geister« haben wir eine lustige Erzählung gebracht, von dem Chon-no-ma, dem raschen Koitus, in der Bilderhalle des shintōistischen Kompira-Heiligtums. Daraus ersehen wir, daß man das für möglich hält.
Das Chon-no-ma nennt man auch scherzhafterweise »Hayawaza«, ein Taschenspielerkunststückchen, dessen wörtliche Bedeutung Hayawaza, ein schneller Kunstgriff, zu erkennen gibt, worauf es bei dem Chon-no-ma ankommt.
Von einer Frau, die ein solches Haya-waza über sich ergehen lassen muß, sagt man »Yudachi Ame no Nure«, von einem Regenschauer naß werden. In diesem Ausdruck haben Nure = naß sein, und Ame = Regen an sich schon die Nebenbedeutung von Koitus. Der Sinn ist also: ein Koitus wie ein Regenschauer. –