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Anton Wildgans, der Autor einer Literatur, in der Privatempfindungen, die wenn man sie hat zu haben löblich ist, zu leicht faßlichem Ausdruck gebracht werden und der Begriff, den das Publikum von der Lyrik hat, in vorbildlicher Art erfüllt erscheint; der Typus, in dessen geistigem Umkreis sich in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise das Schöne mit dem Guten paart, ohne daß das Erlebnis mehr als Zustimmung bewirkte, und in dessen Wortschöpfung nichts prädestiniert ist als der Bauernfeldpreis; der Vertreter einer Produktion, die in der soliden Darbietung dessen, was sich der Leser auch schon gedacht hat, weit kunstverderblicher wäre als das Treiben der Worthanswurste, wenn dieses nicht doch gefährlicher wäre als die Gesinnung, die über die Form verfügt: ist Burgtheaterdirektor geworden. Denn daß der Krieg Herrn Wildgans unter Aufopferung seiner dem Allmenschentum zugewandten Gefühle und nach Einstellung des »sozialen Zugs« auf der vorrätigen Höhe einer zum Weißbluten gerichteten Begeisterung gefunden hatte, geniert die Republik umsoweniger, als er ja dafür einer der ersten war, die dem Feinde die Bruderhand entgegengestreckt haben. Wenn es nicht so ganz gleichgiltig wäre, wer heute Burgtheaterdirektor wird – ähnlich wie es in Zeiten schauspielerischen Hochstandes gleichgiltig war, den ja selbst Burckhard nicht herabdrücken konnte –, so wäre es schon ein Grund, sich zu schämen. Es genüge aber, die Haltung einer Presse zu würdigen, die wie in allen deutschösterreichischen Lagen und Belangen auch hier ihre Männer gestellt hat. Sie, die nicht ansteht, Herrn Wildgans zu bezeugen, daß er »mit einem erlesenen literarischen Gepäck« – also Reiselektüre – »in das Haus auf dem Franzensring einzieht« und daß »mit ihm ein starker Könner auf dem Fauteuil des Burgtheaterdirektors Platz nimmt«, macht in solchen Fällen einen Vorbehalt: »Ob sich dieses Können auch auf den praktischen Theaterbetrieb erstreckt, wird freilich erst zu erweisen sein.« Diese Wahrheit, die sicher weniger bestreitbar ist als jeder Satz, der je in einer Wiener Zeitung gedruckt war, war in allen zu finden, und ein arischer Kritiker hat ihr den in seiner Schlichtheit noch überzeugenderen Ausdruck gegeben:
Ob er sich als Leiter des Burgtheaters bewähren wird, das wird sich erst zeigen müssen.
Wenn man sich fragte, wozu Gott die Druckerschwärze erschaffen hat, würde einen vollends der Anblick der folgenden Erklärung, zu der jener fortsetzte, mit Vertrauen in einen höheren Plan erfüllen:
Wir haben nicht alles, was er uns als Dramatiker brachte, widerspruchslos hingenommen, sondern an seinen Werken oft scharfe Kritik geübt, werden ihm aber vollkommen unparteilich und unvoreingenommen gegenübertreten und abwarten, was er uns zu sagen, und noch mehr, was er uns als Direktor an neuen Werken und durch Wiederaufbau des alten Spielplanes geben wird.
Es ist die Darbietung eines jener Sprudelgeister, von denen Hans Schließmann, dessen gesprochener Ingrimm lebendiger war als sein zeichnerischer Humor, zu versichern pflegte, daß ein Papagei ein Goethe daneben sei. Worin aber die Zeitungen aller Glaubensbekenntnisse einig waren, das war die entschiedene Anerkennung, daß Wildgans in Mödling wohne und zwar in Zurückgezogenheit.
Er wohnte bisher in Mödling, das ist beinahe ein Charakterzug, jedenfalls ein Beweis, daß er sein Gesundheitskapital vor der nervenzerstörenden Hetzjagd der Großstadt zu schützen verstand. Also beruhigender Ausblick auch in dieser Richtung.
Die Republik Österreich, die sichtlich bestrebt ist, auf ihre hervorragenderen Posten Cincinnatusse frischweg von ihrer ländlichen Betätigung zu holen (wobei für Leser der Reichspost ausdrücklich bemerkt sei, daß dieses Wort nicht Tschintschinnatus ausgesprochen wird), scheint nach dieser Richtung mit Wildgans einen Treffer gemacht zu haben, wiewohl man sich eigentlich wundern muß, daß sie nicht gleich auf Csokor gegriffen hat, der, gleichfalls Lyriker, noch weiter weg, nämlich in Sittendorf haust. Natürlich verhielt sich Wildgans, als sie ihn am Pflug antrafen, dem Antrag gegenüber anfangs ablehnend und erst die letzten Verhandlungen konnten ihn wie vorauszusehen war bewegen, zuzusagen. Gerade ihm läßt sich ja die Liebe zur Scholle – die mit dem gleichnamigen Literaturverein verwechselt werden möge – nachempfinden. Hatte doch Wildgans in flammender Begeisterung »zur« Heimat seinerzeit sogar ein Kriegsgebet verrichtet »in dem schweren aufgezwungenen Streite« – sind wir doch umgerungen von lauter Feinden, wie einst ein Möbelpacker mir zurief –, das ihm die Reichspost nicht vergessen wird und kann. Er habe hier »eine der prächtigsten Schöpfungen der Kriegslyrik gegeben« – die schon als Ganzes eine der prächtigsten Schöpfungen ist – »und von der Schönheit dieser Verse mögen die nachstehenden Zeilen künden:«
Denn immer noch, wenn des Geschickes Zeiger
Des Schicksals große Stunde wies,
Stand dies Volk der Tänzer und der Geiger
Wie Gottes Engel vor dem Paradies.
Wenn die Reichspost richtig zitiert (und es nicht korrekter »dieses Volk« oder »Da stand dies Volk« heißt), so ist es, von der widerlichen Metamorphose von d' Geigerbuam in d' Cherubim abgesehen, eine der leersten, außen und innen falschesten Strophen, die je geschrieben und in der bei einer Staatsmännern wie Lyrikern gleich verfügbaren Fülle von Schicksal und Geschick nicht einmal dieses vorhanden ist. Wie die Grille singt und die Parze springt, der geborene vaterländische Dichter. Da aber Wildgans, was nach den Begrüßungen durch die Wiener Presse der verbissenste Nörgler nicht mehr bestreiten wird, in Mödling wohnt, so war es immerhin ein Problem, wie man ihn erreichen könnte, um ihn nach seinen Plänen zu fragen.
Der neue Burgtheaterdirektor verblieb, während die für ihn nicht gleichgültige Entscheidung fiel, in seiner Mödlinger Villa. Wollte man also wissen, wie Dr. Wildgans seine Ernennung aufnehme, wie er sich zu den ihm gestellten neuen Aufgaben stelle, so mußte man sich der nicht leichten Aufgabe unterziehen, eine telephonische Verbindung mit Mödling zu bewerkstelligen.
Das Neue Wiener Journal zeigte sich dieser Aufgabe vollauf gewachsen.
Schließlich gelang es, ihn ans Telephon zu bekommen. Von der vollzogenen Ernennung zum Direktor des Burgtheaters hatte er noch keine Ahnung. Er konnte daher ziemlich überrascht die Gratulation entgegennehmen und die nächste Frage nach seinem künstlerischen Programm natürlich nur wie folgt beantworten:
»Mein Programm? Das kann ich Ihnen natürlich noch nicht entwickeln, da ich fünf Minuten früher gar nicht wußte, daß ich ein Programm zu entwickeln haben werde. Im übrigen beschäftigt mich erst seit acht Tagen die Idee – so lange nämlich ist es her, daß Präsident Vetter mit dem ehrenvollen Antrag an mich herangetreten ist –, ich komme aus einem ganz anderen Milieu, als daß ich Ihnen ein Programm extemporieren könnte. Sie wissen, meine Beziehungen zum lebendigen Theater –
Schluß. Bald darauf brach – wie ein Lyriker den technischen Beamten nachempfinden wird, nicht mit Unrecht – der Telephonstreik aus. Wäre die Ernennung Wildgans' in dieser großen Zeit erfolgt, so wäre uns auch das folgende erspart geblieben:
»Ich habe es bis zum Auskultanten gebracht«, hat Anton Wildgans heute mit einem gewissen Stolz auf eine telephonische Anfrage über seine Personaldaten aus Mödling mitgeteilt.
Nämlich dem Herrn von der Neuen Freien Presse, der ihn telephonisch auskultiert (behorcht) hat. Ob der Staat nicht durchaus im Recht wäre, für Telephongespräche, die zwar nicht dringend sind, bei denen aber Stolz zum Ausdruck kommt, eine dreifache Taxe einzuheben, mag das Handelsministerium beurteilen. Die Herrn Wildgans vorgesetzte Behörde schaue sich diesen Zuwachs an Würdelosigkeit an, den unser öffentliches Leben erhalten hat, diesen Cincinnatus, der vom Pflug weg jede Viertelstunde zum Telephon rennt, um einem Reporter seine Biographie zu erzählen. Und die Leser sollen festzustellen versuchen, ob der neue Burgtheaterdirektor stolz ist auf den Auskultanten, der er selbst war, oder auf die telephonische Anfrage, und ob diese aus Mödling an ihn gerichtet wurde oder vielmehr aus dem bei Mödling gelegenen Wien. Während er aber die Gratulation des Neuen Wiener Journals »entgegennahm«, scheint er sich der Neuen Freien Presse gegenüber anders verhalten zu haben.
Er lehnt vorderhand jeden Glückwunsch ab, er ist noch nicht ernannt, hat daher auch noch kein offizielles Programm und beschränkt sich auf die Mitteilung knapper Angaben. Geboren in Wien am 17. April 1881, absolvierte –
Ich bin um sieben entscheidende Burgtheaterjahre dem Herrn Wildgans voraus. So gewiß ich infolgedessen lieber Direktor des Mödlinger Stadttheaters werden wollte, so sicher würde ich abläuten, wenn eine Zeitung die Frechheit hätte, mich telephonisch zu fragen, wann ich auf die Welt gekommen bin.
Was Wildgans nicht erzählt, ist, daß er ein gutes Stück Weit gesehen hat – Rechtsstudium eine zeitlang überhaupt aufgegeben – weite Reisen – bis nach Australien – betonter Feind jeder Abhängigkeit – blaue Nebelferne – wieder eine juristische Epoche – freier Schriftsteller –
Das alles hätte er durchs Telephon auch noch erzählen sollen. Die Neue Freie Presse ist beinah pikiert, weil sie's selbst zusammenstellen muß. Eines, was er ihr auch nicht gesagt hat, hat sie kombiniert:
Seit einer Reihe von Jahren lebt Anton Wildgans in Mödling –
No ja, aber das ist nicht so, sondern hat eine Pointe:
– um von dort, wenn ihm diese Ortschaft allzu großstädtisch erscheint, einen Abstecher –
Aha, nach Wien! Schmecks:
– nach Mönichkirchen zu machen.
Nach Wien ging Wildgans nur, um Burgtheaterdirektor zu werden und als betonter Feind jeder Abhängigkeit Journalistenstücke abzulehnen. Inzwischen hatte er freilich sein Programm vorbereiten müssen, das mit einem Wort vorweggenommen werden kann:
Der neue Direktor ist für das Burgtheater Optimist.
Eine nicht unerfreuliche Überraschung, da man allgemein erwartet hatte, er werde dem um 1 Uhr versammelten künstlerischen und technischen Personal sagen, daß er der Berufung zwar aus Pflichtgefühl Folge leiste, jedoch überzeugt sei, auf einem verlorenen Posten zu stehn, weil der Niedergang des Burgtheaters ebenso bekannt, aber noch weniger aufzuhalten sei als der Zusammenbruch Österreichs. Die Wendung kam völlig unerwartet. Präsident Vetter, ein Republikaner, dessen Gesinnung mit der neuen Staatsform in einem gewissen Verwandtschaftsverhältnis steht, in das er sich leicht hineingefunden hat, von früher her schon ein Protektor der schönen Künste der Wiener Werkstätte, begrüßte den neuen Mann, der dem Vaterland das Opfer bringen will, »sein stilles Dichterheim« zu verlassen und sich »in die Welt zu begeben und gerade dorthin, wo sie am bewegtesten ist, wo ihm kein Tag beschieden ist, an dem er nicht mit Äußerlichkeiten zu ringen haben wird.«
Wir wollen es ihm alle herzlich wünschen, daß das, was er in dieser Welt erlebt, nicht nur für ihn als Direktor, sondern auch für ihn als Dichter fruchtbar werden möge.
Das walte Gott. Auf daß wir an dem Werke des Dichters noch die Spuren der Äußerlichkeiten erkennen mögen, mit denen er als Direktor gerungen hat.
Wildgans erwiderte, als stünde er noch in Mödling am Telephon, mit der Bitte, von ihm nicht allsogleich die Entwicklung eines Programms zu erwarten. Eines solchen bedürfe es auch nicht, denn er finde ein solches und mehr als ein solches bereits vor. Es ist, mit einem Wort, die Tradition des Burgtheaters. Fürwahr. Natürlich dürfe man keineswegs beim Seienden stehen bleiben, sondern es gelte zielvolles Fortschreiten und Schaffen. Denn wie der Gärtner zu Werke geht, indem er dem alten, aber kräftigen Stamme das junge Reis aufpfropft, so, ganz genau so muß auch – euer Gnaden wissen eh.
Und da scheint mir denn der Augenblick für das Burgtheater und mich nicht ungünstig.
Nämlich mit dem Naturalismus ist es vorbei, natürlich hat er eine Funktion gehabt und hat sie auch erfüllt, aber jetzt gilt es wieder eine höhere Aufgabe. Der Strom des Weltgeschehens riß die tastende Bewegung notwendiger Entwicklung in seinen jähen Rhythmus. Werke, die ehedem Hammerschläge gewesen waren gegen die starrschließenden Tore allgemein gültiger Lebens- und Kunstanschauung pochten nun gleichsam ins Leere, weil jene Tore indessen aufgesprengt worden waren von der Revolution. Um die so eingerissene Verwirrung in Bahnen zu lenken, dazu ist eben das junge Reis nötig. Dieses, nämlich die junge Kunst strebt über die Zeit hinaus in die Zeiten, sie blickt nach dem Ewigen im Menschen und erfaßt so wieder inbrünstig den symbolischen Charakter aller dichterischen Gestalt. Sie hat den entschiedenen Willen zum hohen Stil und deshalb verbrüdert sich ihr Streben mit den edelsten Traditionen des Burgtheaters, woraus sich zwanglose Übergänge und hoffnungsreiche Ausblicke ergeben, wenn es nämlich gelingt, den klassischen Geist mit dem modernen Geist zu vermählen. Natürlich ist manches bereits geschehen, und da ist es Pflicht, des Mannes zu gedenken, der als unmittelbarer Vorgänger des Herrn Wildgans das Verdienst hat, daß Herr Wildgans sein Nachfolger ist. So wahr er dieses Amt nicht leichten Herzens übernommen hat, so wahr er an dieser Stelle nur steht, weil es ihm als eine Pflicht erschien, in diesen wirren Zeiten dem Rufe, wenn er so sagen darf, der Heimat zu folgen (der fast so unabweislich ist wie vor kurzem der weniger verlockende des Vaterlands), ebenso wahr wird sein Ernst und Wille in diesem Hause immer nur auf die Sache gerichtet sein (die Sache wills), und sollte ihm dies eines Tages unmöglich werden, so werde er gern wieder zurückkehren zu der harmonischen und fruchtbaren Abgeschiedenheit seines bisherigen Lebens.
Nach diesem Ausblick, der die einzige pessimistische Note der Freudenfeier darbot – der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt –, den aber den abgehärtetsten Mitgliedern des Ensembles zum Glück ein Tränenflor verhängte, und nachdem die Stile, Richtungen und Bestrebungen glücklich vermählt, verbrüdert und vervettert waren, blieb nichts übrig als eine Entschädigung durch den letzten Süßstoff unsres Kulturlebens: die Zuckerkandl. Von Vetter und Wildgans gleich begeistert, rühmte sie nebst den kultivierten Formen vor allem die »Aufrichtigkeit« dieser Aussprache. Eine Durchschauerin. Vetter »bekannte sich zum Programm der Kontinuität« – er will nämlich Herrn Heine als Regisseur beibehalten – und Wildgans faßt »sein Amt als ein Bekenntnis seiner Weltanschauung« auf. (Dafür muß ich Steuer zahlen!) Und als ob sie's von ihm telephonisch gehört hätte, weiß sie, was in seinem Innersten vor sich geht.
Glaube an eine Jugend, die wieder zwischen Erde und Himmel, zwischen irdischer und himmlischer Liebe Begegnung webt; Wissen um den Weg einer in Blut gewordenen, dem Blutgrauen entrungenen Seelenheit; Hoffnung auf jene Poeten ... dies sind des Dichters Wildgans offen dargelegte Beziehungen zu des Direktors Wildgans künftigem Wirken ... »Dem Dichter dienen.« So hat Jaques Copeaus Weisung gelautet, die er seinen Schauspielern gab, als er sein ideelles Théatre du Vieux Colombier eröffnete ... Ähnlichem Empfinden –
Schluß! Falsch verbunden! Nein, diese Stadt ist unmöglich. Wenn sie telephonieren will, möchte sie Kultur haben und wenn sie Kultur braucht, macht sie Halloh!, alles schwätzt durcheinander und es meldet sich niemand.