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Einer, der »Monarchie und Republik« vorlesen gehört hat, weist mir als »Ein Leser mit besserem Gedächtnis« nach, daß Schopenhauers Wort gegen eine Menschheit, die in ihrer Mehrzahl »höchst egoistisch, ungerecht, rücksichtslos, lügenhaft, mitunter sogar boshaft und dabei mit sehr dürftiger Intelligenz ausgestattet« sei und die deshalb Einen über sich brauche, der sie »zügelt und regiert«, in der Fackel vor acht Jahren (»zehn Monate vor dem Krieg!«) in offenbar bejahender Tendenz gegen den Liberalismus zitiert war, zwar nicht mit dem Hinweis auf die Monarchien der Tierwelt, der mir wohl schon damals absurd erschien, aber immerhin mit dem Satz »Selbst das Planetensystem ist monarchisch«, den ich allerdings als die eines hohen Geistes unwürdige Redensart, die er ist, schon damals hätte erkennen sollen. Das Werk der Fackel ist jedoch so über und über mit Fehlern behaftet, wie nur eines Menschen Werk, und die Frage wird schließlich nur sein, ob nicht ein jeder dieser Fehler die größten Vorzüge solcher, die ihn bemerken, aufwiegt. Nicht einmal das bessere Gedächtnis kann ich einem von dieser Art einräumen, da es doch von jener sehr dürftigen Intelligenz wettgemacht wird, die Schopenhauer dem Menschengeschlecht zuschreibt und der es gar nicht einfallen kann, daß mein Gedächtnis wirklich auch nicht so gottverlassen ist, daß es den Inhalt älterer Fackelhefte, die ich doch schließlich einmal geschrieben habe, vergessen haben sollte. Richtig ist wohl, daß ich noch kein einziges, wenn nicht bei einer öffentlichen Vorlesung, seit dem Abschluß des Druckes gelesen habe. Aber diese Absonderlichkeit erklärt sich eben daraus, daß ich ihren Inhalt zu genau kenne, um mit ihm zufrieden zu sein, um nicht dauernd an jenem Verdruß zu tragen, der von mir gleich nach erfolgter Loslösung von einem Geschriebenen Besitz ergreift, und ich überlasse es seit Jahrzehnten lieber allen jenen, die zu solchem Verdruß kein Recht haben, die sich das Denken als eine schnurgerade Linie denken und das Leben als eine Oberfläche leben, mir die Widersprüche vorzuhalten, die das körperhafte Wachstum der geistigen Gestalt nun einmal als Fluch und Segen überkommen hat und die dem flachen Sinn oft deutlicher in Erscheinung treten als diese selbst. Der Tropf, der von der Tageszeitung her den schreibenden Menschen als einen Apparat der Meinung zu gebrauchen gewohnt ist, kann sich natürlich gar nicht vorstellen, daß ich neuerdings auf die Schopenhauer-Zitate so verfallen wäre, daß ich sie selbst in dem alten Fackelband aufsuchte und von da im Original weiterforschte, sondern er glaubt wirklich, daß er mich mit dem Hinweis auf eine Fackelseite, deren Druckbild in meiner Vorstellung realer vorhanden ist als vor den Augen eines Tropfes, in Verlegenheit bringen wird. So hat sich seit Jahr und Tag ein Gewerbe herausgebildet, mich auf Widersprüchen zu »ertappen«, während es doch gewiß lohnender wäre, auf die Stirn eines Kopfes hinzuweisen, der im Vollbewußtsein dieser Widersprüche sie coram publico und oft ohne den geringsten Versuch einer Bemäntelung oder Erklärung zu begehen wagt. Sie soll, wo sie von der findigen Dummheit herausgefordert wird, erst recht nicht erfolgen und es fällt mir nicht ein, zu begründen, wie es möglich ist, daß ein und derselbe Autor, der sich einmal auf Schopenhauers monarchistische Meinung gegen den Liberalismus bezogen hat, sie heute mit aller satirischen Vehemenz als Fehlurteil hinstelle. Es wäre vergeudete Mühe, den offenbaren und jeder Intelligenz faßbaren Kontrast auch nur nach der Richtung ausgleichen zu wollen, daß es sich damals – ganz im Stil der politischen Urteilsbildung Schopenhauers – bloß darum gehandelt hat, Stützpunkte für den Haß gegen den Preßliberalismus zu finden, und daß nicht mein Bekenntnis zum Problem der Staatsform zur Erörterung stand, sondern – bei Gelegenheit einer Anklage gegen die Schwurgerichte – alle jene antiliberalen Motive aufgereiht wurden, durch die Schopenhauers Zeugenschaft dem Fortschritt verdächtig wäre. Natürlich läßt sich nicht leugnen, daß dieses Zitat wie noch viel wirksamer hundert andere Sätze der Fackel danach angetan war, mich rein meinungsmäßig nicht an der Stelle stehend zu zeigen, an die mich die Plattformer beider politischen Meinungen heute fixieren. Aber das Erlebnis, dem sich dieser Eindruck abgewinnen ließ, war, wie es eben dort hieß, nicht der Staat, sondern die Zeitung, also die Welt. Es hat sich im Grunde nicht geändert, aber es hat durch das, was inzwischen geschehen ist, Zuwachs bekommen, der es anders erscheinen läßt. Nur solange es das Problem Monarchie und Republik nicht gab, konnte die Entscheidung zugunsten jener fallen. Das hat sich alles, die Flachköpfe mögen beruhigt sein, ganz organisch entwickelt. Es war eben wirklich »zehn Monate vor dem Krieg«. Und wenns nur einen Tag vor dem Krieg gewesen wäre und das Gegenteil wäre am Tag nach Kriegsbeginn erschienen, so war eben etwas geschehen, erkannt, gewußt, was auch dem nachdenkenden Verstand irgendeinmal den tieferen Zusammenhang erschließen könnte, zu dem lesende Herzen längst und leicht den Zugang haben. Meine Widersprüche scheinen mir schlimmstenfalls das Ehrenzeugnis auszustellen, daß der Weltkrieg auf mich Eindruck gemacht hat, was man doch wahrlich von dem Geschmeiß, das sich literarisch mit ihm befaßt hat, nicht behaupten kann. Und wenns eben dieses nicht anders kapiert, so sei ihm in Gottes Namen zugestanden: alles was ich bis zum 1. August 1914 geschrieben habe, war, soweit es in Widerspruch steht zu allem, was ich seit dem 1. August 1914 geschrieben habe, und soweit es nicht als Vorwort dazu unmißverständlich ist, falsch. Daß es, weil es von einem und demselben Menschen war, eben diesen beweist und eben von diesem bewiesen wird, das müssen gesinnungstreuere und gedächtnisstärkere Leute als ich bin nicht verstehen. Es war, wie es war, so richtig, wie es heute falsch sein mag, und es konnte nicht anders sein, wie das, was heute ist, nicht anders sein kann. Es kann keine Zeile, kein Zitat anders sein, als es entsteht und steht. Mag es auch fallen und vergehen wie die Zeit, dem lebendigen Willen, dessen Ausdruck es war, kann sie nichts anhaben. Nie wird es diesen Forschern gelingen, mit der Meinung auch das Erlebnis, das sie ihnen in die flache Hand geliefert hat, zu entwerten. Solange nicht für damals und heute außenseitige Beweggründe faßbar werden, solange nicht was ich je gedacht habe, auf das Niveau jener Meinungsbildung gebracht werden kann, deren Konsequenz bedenklicher st als mein Widerspruch, bleibt es ein aussichtsloses Bemühen, ihn als die Mechanik einer politischen »Einstellung« zu verdächtigen. Ach ich wollte ja auch, daß die Natur geradliniger und flächenhafter mit mir verfahren wäre; aber sie hat mich nur mit der Gabe entschädigt, die Fülle als Mangel zu fühlen und eben den Anstoß zu erleiden, den zu nehmen den Außenstehenden so leicht wird. Gewiß, ich war, bevor die stets verdammte Selbstentwertung konservativer Werte das Ende herbeiführte, kein Republikaner. Aber hat die grundsätzliche Anerkennung des Amtes der Kulturhüter mich je blind gemacht und nicht vielmehr sehend für dessen Mißbrauch und für alle Kulturverderbnis, die er befördert und bewirkt hat? Welcher Republikaner der franzjosefinischen Zeit hätte die Verödung der Geister und Korrumpierung der Charaktere sub auspiciis imperatoris schärfer erkannt und schneidender gerichtet, und ohne jede andere Hemmung als die jenes Paragraphen, dem die Fackel oft genug zum Opfer fiel? Was sollen alle in der Stellung gegen den Erzfeind Presse begründeten Antiliberalismen, was soll die Zitierung des Monarchisten Schopenhauer, was würde selbst der Umstand, daß vor zwanzig Jahren ein Mitarbeiter sich auf den Historiker Friedjung und dessen Wertschätzung des ritterlichen Monarchen bezogen hat, gegen die Erfüllung dieses Zeitraums mit antimonarchischer Satire bedeuten und gegen die untrennbare Einheit eines Werkes, das, über alle publizistische Verbindung der Zeitabschnitte, das reale Grauen der Kriegsjahre fast wie ein der Vorkriegsfackel entbundenes Monstrum wirken läßt. Ganz nüchtern, als ob es wirklich in das Belieben jedes konsequenten Esels gestellt wäre, mich auf Meinungen zu auskultieren und auf Beweggründe zu perkutieren, sei gesagt, daß ich nach wie vor mit Schopenhauers Ansicht über niedrigen Eigenschaften der meisten Menschen, ob sie nun in Rudeln oder als anonyme Briefschreiber auftreten, übereinstimme. Der Unterschied von ihm und zu meiner damaligen Haltung ist nur der, daß ich es heute nicht über mich bringen kann, aus dieser Ansicht die politische Konsequenz Schopenhauers zu ziehen. Daß auch er sie heute nicht zu ziehen vermöchte, wurde vernehmlich genug ausgesprochen und nicht seine Meinung, die ich ehedem zitiert habe, sondern nur die Unmöglichkeit seiner Beweisführung, die in der Analogie mit der Tierwelt doch gewiß zur Groteske wird, dem »Gewieher eines Auditoriums preisgegeben«, von dem ich besser als ein Aufpasser weiß, daß seine Bestandteile eben jener Eigenschaften nicht ermangeln mögen, die Schopenhauer den Menschen nachsagt, das aber weiß Gott unter der Einwirkung einer beherrschenden Kraft sich zu höherem Nutzen »zügeln und regieren läßt« und eine anders bildsame Gesamtheit abgibt als das Material der Monarchen, die mit ihm die Qualitäten gemein haben. Die Wehrlosigkeit der hörenden Menge ist aber auch ein dankbarerer Boden als die widerspruchsbereite Intelligenz des Lesers, die nicht versteht, daß der Respekt vor Schopenhauer nicht besser als gegen die Gefahr betätigt werden könnte, daß sich ein fluchwürdiges Interesse seiner Argumente bediene. Gerade weil er nicht mehr die Möglichkeit hat, sich zu widersprechen, die ihm der Anblick eines durch die Monarchen geschändeten Zeitalters sicherlich nahe gelegt hätte. Ich wäre ja, wenn ich diesem Fluch jenes Glück nicht verdankte, nicht minder der Möglichkeit ausgesetzt, daß einer, dem die Erlebnisse zu besserer Einsicht verholfen haben, meinen verjährten Standpunkt hervorhole, um mich wider die Gefahr zu schützen, daß sich die Engstirnigkeit der Waffen bediene, die ich ihr wissend nie geliefert habe. Und riskiere ich nicht heute, da es mir noch gewährt war, mich ihr selbst zu entziehen, daß sie sich an meinen Widersprüchen schadlos hält? Ich habe über das Niveau der Menschheit nicht anders denken gelernt, wohl jedoch über ihre Lage, welche sie freilich den Eigenschaften verdankt, die sie zum Spielball jener Gewalten gemacht haben, die Schopenhauer auf dein einmal gegebenen Niveau als das dazugehörige Fatum betrachtet. Ich mußte dieser Konsequenz untreu werden. Daß ich heute gegen sie geradezu satirisch gestimmt werde, daß mir beute die Aufzählung jener Untertaneneigenschaften förmlich zum Steckbrief eines abgekrachten Monarchen wird, kann nur einem Gedächtnis, das die lebendige Gegenwart des Geistes und des Lebens nicht spürt, bedenklich vorkommen. Das meine, dem ich den Fund der Schopenhauer-Zitate verdanke, hat faktisch nicht die Ehrlichkeit aufgebracht, die ihm so naheliegende Quelle jener älteren Fackelnummer [384/385] (die sogar Schopenhauers Haßdokument gegen die Revolution enthält) zu bekennen. Nun will ich mich der Erfüllung dieser wissenschaftlichen Pflicht, an die ich mich lieber erinnern lasse, nicht länger entziehen. Das bessere Gedächtnis des Lesers, der zum Glück dem Vortrag meines Widerspruchs beigewohnt hat, macht sie mir zur Abwechslung und der schaudervolle Rückblick auf das, was seit dem Oktober 1913 mit der Welt geschehen ist, ohne sie selbstloser, gerechter, rücksichtsvoller, wahrhaftiger, gütiger und vor allem gescheiter zu machen, wird zum Zeitvertreib.
»Vielleicht wird Mancher darin einen Mangel eines festen Systems und ein Schwanken der Grundsätze mit Unzufriedenheit wahrnehmen. Allein man erwäge, daß Politik sich überhaupt auf Erfahrungen gründet, und daß, wenn diese sich ändern, auch unsere Überzeugungen und Meinungen sich ändern können. Ferner, daß die Bemerkungen zum Teil die Ausdrücke von Empfindungen und Vorstellungen sind, die durch einzelne Begebenheiten in dem Gemüth des Verfassers hervorgebracht, und durch seine jedesmalige Stimmung modifiziert wurden. Man muß also in ihnen nicht etwas Ganzes suchen wollen. Das Ganze liegt in dem Kopf und Geist ihres Urhebers, dessen System nach einem höheren Maßstabe zu bestimmen ist. Vertheidigt er jetzt die Sache der Monarchie, und tritt dann wieder auf die Seite der Demokraten, gut, so ist es nur ein Beweis, wie wenig er von Vorurtheilen eingenommen war, und wie gern er das Gute von beiden Parteien anerkannte.«
Vorbericht zum zweiten Band der ersten Ausgabe von Lichtenbergs Schriften, veranstaltet von dessen Söhnen