Karl Kraus
In dieser großen Zeit – Aufsätze 1914-1925
Karl Kraus

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Der Lächler

... und wenn alles in Ordnung,
leg' ich mich wieder auf den Rücken,
wärme mich an der Verwesung und lächle.

Frank Wedekind, Frühlings-Erwachen.

Einer der gewandtesten Stammler der deutschen Zunge und zudem einer der unbefangensten ist der Herr Kasimir Edschmid. Daß die Frankfurter Zeitung so etwas, das es schon in der eigenen Produktion bunt genug treibt, seit Jahr und Tag auf das deutsche Geistesleben oder wie man den Betrieb nennen mag losläßt, ist »mit« eine der stärksten Tatsachen, die diesen als das unsaubere Geschäft charakterisieren, welches er ist. Der Herr Kasimir Edschmid, der ein Deutsch schreibt, das in Frankfurt als eine viel ärgere Beschämung empfunden werden müßte als die Besetzung des Goethehauses durch schwarze Truppen und dessen Stil hinreichend alle Übergriffe des französischen Militarismus gegenüber einer Einwohnerschaft, die sich so etwas gefallen läßt, erklären, wenn nicht rechtfertigen könnte, hat die Gewohnheit, genau eben so hoch von oben herab über Autoren zu urteilen als er tief unter deren letztem steht und regelmäßig mit jenem neudeutschen Spuckstil, in dessen Besitz sich der deutsche Fußwohlreisende für einen Globetrotter hält, der empfänglichen Intelligenz ein »Doll!« abzuringen. Denn wenn der Herr Kasimir Edschmid, seit dem Hans Heinz Ewers mit einer der größten Kenner von allem Diesseitigen und allem Jenseitigen und allem was in der Mitte liegt, das Entzücken der Damen, so ein Dämoniker und Mondäniker in einem – wenn der so urteilt, so muß es nicht nur interessant, sondern geradezu wahr sein. Und so ist es denn möglich, daß ein Mensch, der zur Satire keine andere Beziehung als die des geborenen Objektes hat, sich herausnimmt, zu diesem geistigen Problem und über die Autoren, die er für Satiriker hält oder nicht hält, seinen ästhetischen Senf herzugeben. Aber ich leihe mir denselben, auf die Gefahr hin, daß der Herr Kasimir Edschmid auch mich für einen Satiriker halten könnte, ganz in der bescheidenen Weise aus, mit der man im Edschmidschen Kulturkreise die Allüren der guten Gesellschaft markiert: »Ach möchten Sie bitte den Mostrich gestatten?« Er schmeckt wie folgt:

Die sehr heftig bewegte Zeitlichkeit hat keinen eigentlich satirischen Stil. Sie hat auch keine satirischen Schriftsteller. Bei Heinrich Mann ist zuviel Haß. Ludwig Thoma, der jetzt mit den Pastoren kegelt und als kurzbehoster Wehrmann mit dem Stutzen neben Kahr und Epp und Escherich die Fahnenweihe der Einwohnerwehr mitmacht, hat in besserer Zeit wohl eine nicht ungeschickte, aber doch bajuvarisch-provinzielle Attacke gegen den Klerus aufgemacht. Sternheims Kavalkaden sind auch noch zu verbissen, er nimmt das Ganze noch viel zu ernst und ist zu sehr von sich selbst überzeugt.

Man erkenne die Klaue des Kommis. Attacken werden »aufgemacht«, dagegen sind Kavalkaden, also prächtige Aufzüge zu Pferde, »verbissen«. Ich bin von Herrn Sternheim wahrhaftig nicht so sehr überzeugt wie er selbst und stelle mir vor, daß ihm noch wichtiger als »das Ganze« das Ausmaß der Annoncen ist, die über seine Bücher erscheinen. Aber eine solche Frechheit von einem, von dem niemand außer ihm selbst überzeugt ist, müßte er sich doch nicht gefallen lassen.

Essig hat im »Taifun« Ansätze zu einem immerhin bemerkenswerten trockenen Sachlichkeitston, das ist schon ganz viel, denn das Buch atmet schon unbefangener und freier. Gottfried Benn hat im »Modernen Ich« eine wundervolle, aber viel zu barocke Satire des vergangenen Jahrhunderts geleistet. Das souveränste wohl an Satire hat Rudolf Borchardt in seinem Pamphlet gegen den George-Kreis geschrieben, aber das ist eine Literatenangelegenheit.

Dann wird sie wohl oder schon nicht so souverän gewesen sein. Aber wie man sieht, hat ja Deutschland Satiriker zum Feuilletonistenfüttern, denn wenn Herr Edschmid ihnen auch die satirischen Gaben abspricht, so muß er sie ihnen doch einräumen, und das ist schon ganz viel. Und sogar auf die Art tut ers:

Alfred Kerr, der kein Satiriker ist, hat allein den hellen satirischen Ton.

Nun, daß Herr Kerr kein Satiriker ist, hat er wirklich an mir besser bewiesen, als ich an ihm, wiewohl mir der helle satirische Ton gerade bei dieser Gelegenheit nicht abgesprochen werden konnte. Aber dafür hat er sich im Weltkrieg vor dem »Lügengrey« satirisch bewährt und auch mit der Prophezeiung, daß die Rumänen »futschul« sein werden. Das ist schon ganz viel. Jedennoch:

Man ist in Deutschland im Augenblick zu gehemmt, man hat nicht die Überlegenheit und ganz besonders überhaupt keine Distanz. Vor allen Dingen packt man die Sachen zu schwer und zu fanatisch an, tatsächlich ist es das Lächeln, was fehlt. Man kann keine Satire machen ohne die graziöse Skepsis, die Anatole Frances Spitzbart so heiter macht. Das gibt erst die richtige Ewigkeitseinstellung. Dazu bedarf es auch einer inneren weltmännischen Gebärde, die das Kleine nicht allzu beachtet und das Große am Ende auch nicht gerade als Amokläufer oder als Düpe hinnimmt, sondern als das Vergängliche, das es ist. Hutten und Lessing und Jean Paul und Heine hatten das all. Der Sinn für das Pamphlet ist verloren gegangen. In der Broschürenliteratur der Anonymen aus dem Anfang des letzten Jahrhunderts steckt noch eine Unmenge Beweglichkeit und geistige Anmut.

Wiewohl ich den Spitzbart Anatole Frances nicht habe, fehlt mir das Lächeln keineswegs, ganz besonders überhaupt wenn ich Edschmiden lese. Aber dabei hats keineswegs sein Bewenden, man kommt in Rage und so gern man sich von ihm die innere weltmännische Gebärde oder auch nur die richtig gehende Ewigkeitseinstellung beibringen ließe, er reißt einen fort. Aber warum soll man das Kleine nicht »allzu beachten«? Weil es das Kleine so am liebsten hätte und indem es »allzu« mit einem Verbum verbindet und sonstige Allotria treibt, ungestört das Sprachgefühl deutscher Leser allzu versauen möchte? Und den haar- und bartsträubenden Blödsinn, daß der rechte Satiriker, nein dessen weltmännische Gebärde »das Große am Ende auch nicht gerade als Amokläufer oder als Düpe hinnimmt«, diesen frechen Humbug, so zu tun, als ob die völlig sinnlose Kuppelung zweier gebildeter Ausdrücke einen Gedanken ergäbe, darf man auch nicht beachten, weil das der Herr Edschmid und seinesgleichen kleinlich finden könnten? Wie, man soll »vor allen Dingen die Sachen tatsächlich« nicht zu fanatisch anpacken, weil die Sprache dem Deutschen jene Wurst ist, die ihm schon vor dieser ausgegangen ist? Man soll nur ein Lächeln haben für eine verbrecherische Geistigkeit, die alles weitere Unheil erklärt, und den Weltmann spielen vor der Pest? »Hutten und Lessing und Jean Paul und Heine hatten das all.« Es ist ja gar nicht wahr, daß sie das all hatten, wenngleich es gewiß wahr ist, daß sie sich über den Edschmid krank gelächelt hätten. Die Lessingsche Polemik ist kein glückliches Beispiel für die Überwindung der Materie durch den Humor. Daß es ihm gelungen wäre, an und über seinen Objekten zu jener polemischen Größe aufzuwachsen, die nicht mehr am Anlaß meßbar ist, wird wohl eine literarhistorische Fabel sein und das Mißverhältnis ist so vielberufen, daß man glauben könnte, der geringfügige Stoff habe mehr das Werk gefördert als das Werk den Stoff. Herr Edschmid wird sich überzeugen, daß er, der heute ungenießbar ist, nach hundert Jahren in meiner Zubereitung mindestens so schmackhaft sein wird wie irgend ein Pastor Goeze. Jean Paul war ganz besonders überhaupt kein satirischer Polemiker, Heine ein Feuilletonist, und Hutten in diesem Zusammenhang zu nennen, unternimmt ein Schmock doch nur, weil jener es bekanntlich gewagt hat. Daß der Edschmid vergänglich ist, weiß ich nur zu gut. Aber auch noch an seinem Beispiel läßt sich die gewiß eines satirischen Polemikers würdige Anschauung vertreten, daß es eine Lust ist, im heutigen Deutschland der Macher und Aufmacher zu leben. Es würde schon genügen, und es wäre schon ganz viel, auf die schlichte Wendung »das all« zu verweisen, auf diesen Einfall einer genialen Impotenz, die im Handumdrehn mit einer syntaktischen Verrenkung ihren Mann stellt, um recht im Gegensatz zu der Meinung, daß heute keine Satiren geschrieben werden können, die Schwierigkeit, keine zu schreiben, evident zu machen. Und eine solche wird vollkommen, wenn man erwägt, daß so ein Zauberlehrling der Sprache sich für sein Vermessen auf einen älteren Frankfurter Schriftsteller berufen könnte, dessen Wort' und Werke er gemerkt hat, um mit Geistesschwäche Wunder auch zu tun. Aber ein Besen, den Goethe hat, steht nicht auf zwei Beinen, wenn Edschmid will, hat oben keinen Kopf und, ausgeborgt, wird er »am Ende« nicht das, was er gewesen. Denn »das all« – Ich habe gleich gewittert, daß es keine Eingebung, sondern eine Enteignung sei und bin ihr nachgegangen – kann am Ende einer nüchternen Aussage ganz besonders überhaupt nicht stehn. Es ist eine seltene Fügung, die in der »Stella« in einem durchaus pathetischen Zusammenhang wie folgt vorkommt:

... Und dann daneben seine Ritter, mit stolzer Ehre von ihren Rossen sich auf den vaterländischen Boden schwingend; seine Knechte abladend die Beute, sie zu ihren Füßen legend; und sie schon in ihrem Sinn das all' in ihren Schranken aufbewahrend, schon ihr Schloß mit auszierend, ihre Freunde mit beschenkend – Edles teures Weib, der größte Schatz ist noch zurück! Wer ist's, die dort verschleiert mit dem Gefolge naht? Sanft steigt sie vom Pferde – »Hier!« – rief der Graf, sie bei der Hand fassend, sie seiner Frau entgegenführend, – »Hier! sieh das alles – und sie! ...«

Selbst hier, wo es fast schon das »All« selbst ist, wird es noch von einem Apostroph gehalten (um, abklingend, wieder ein »alles« zu sein), während der Herr Edschmid die Beute, die sich sofort ins Nichts verwandelt, einfach hinfallen läßt. Er glaubt eine Fügung, die bei Goethe vorkommt, syntaktisch gerechtfertigt und versteht nicht, daß sie erst zum stilistischen Problem wird. Da hat einer einen Satz geschrieben und das Wort vergessen, »ach das Wort, worauf am Ende er das wird, was er gewesen«.

Der Herr Edschmid hats nötig, sich darüber zu beklagen, daß der Sinn für das Pamphlet verloren gegangen ist, und den Teufel an die Wand zu malen, anstatt dem deutschen Gott, der Etablissements wie das seinige ermöglicht, auf den Knien zu danken! Der Leser, der ihm so weit gefolgt ist, wird fragen, ob er denn noch nichts von mir gehört habe, und wie der Leser schon ist, meine Abneigung gegen diesen Edschmid auf das Motiv gekränkter Eitelkeit zurückführen. Aber der Leser wird gleich erfahren, daß der Herr Edschmid von mir was gehört hat, und nun spitze er auf den Zusammenhang, in den mich die Frankfurter Zeitung einstellen läßt, und merke, wie meine Eitelkeit durch Beachtung gekränkt ward:

Man ist sehr verarmt heute und weiß sich nur noch Schiebung mit Schokolade und Autos oder literarischen Diebstahl an Klassikern vorzuwerfen, und selbst der konsequente Kampf von Karl Kraus ist letzten Endes doch in den Wiener Vorstädten bereits zu Ende. Die Satiriker, die näher bei Epikur wie bei Mars stehen sollten, sind Militaristen geworden und tragen keinen Humor im Antlitz, sondern spitz abgebogene Schnurrbärte und scharfe Säuren im Mund. Man muß die Dinge doch nicht nur immer bespeien, sondern entweder mit der Tat oder mit dem Achselzucken überwinden. Da die literarischen Führer in der Regel keine Athleten sind und auch in den Waden und Nerven nicht sehr überlegen, müßten sie doch wohl zu der Waffe jenes Lächelns sich durchschlagen, mit dem letzten Endes alles überwindbar ist.

Man achte auf den geradezu exemplarischen Schwindel. Ich habe unter den zehntausend satirisch-polemischen Seiten, die von mir sind, zwanzig und nicht die schlechtesten, tatsächlich an den Nachweis gewendet, daß einer, der keine Gedichte schreiben kann und deshalb von den Schmierliteraten als Dichter ausgerufen wird, imstande war, einen klassischen Essay abzuschreiben. Daraus schmiedet Edschmid die Anspielung, daß »man sich« – also wenn schon nicht sich selbst, so doch wohl einander – Diebstahl an Klassikern vorwerfe. Dies irgendwie mit Vorwürfen von »Schiebung mit Schokolade und Autos« verquickt – was der Schwachkopf da meint, ist unerfindlich – muß ihm schließlich doch die Nennung meines Namens abringen. Aber freilich, mein »konsequenter Kampf« – wogegen? gegen die Klassikerdiebe? gegen die Schokoladeschieber? – ist »letzten Endes« doch in den Wiener Vorstädten bereits »zu Ende«. Das macht, weil ich das Kleine allzu beachtet und das Große am Ende als Amokläufer oder als Düpe hingenommen habe. Denn gemeint hat mich der Edschmid nicht nur am Ende, sondern schon die ganze Zeit. Auch bin ich natürlich der, der sich nicht »zu der Waffe jenes Lächelns durchzuschlagen vermag« – ich schlage mich eben mit einer Waffe durch –, mit dem letzten Endes alles überwindbar ist und selbst der Edschmid. Denn wie man schon merkt, hat er eine Schwäche für das »Ende«, die so stark ist, daß ich es ihm bereiten könnte. Letzten Endes. (Der Neudeutsche beginnt mit dieser Redensart sein Tagwerk. Das dicke Ende kommt nach.) Wieso ist aber mein Kampf in den Wiener Vorstädten zu Ende? Woher weiß das jener? Deshalb, weil sich die großen deutschen Zeitungen mangels Rezensionsexemplare nicht mit mir befassen und wenn ganz besonders überhaupt, solche Schmierer über mich schicken? Das ist nur eine Schande für die großen deutschen Zeitungen. Darum gibt es aber doch Tausende von Menschen in Deutschland, die an meinem »Kampf«, und nicht nur an dem gegen die Klassikerdiebe, lebhaften Anteil nehmen und nach meinem Wort, dem gedruckten wie dem gesprochenen, weit heftiger begehren als nach den Feuilletons des Herrn Edschmid, und das all ist schon ganz viel. Freilich stellen sie nicht so hohe Ansprüche an mich wie der Herr Edschmid, der von den Satirikern verlangt, daß sie näher bei Epikur wie bei Mars stehen sollen. Nicht bei beiden, sondern vermutlich bei jenem. Hat man je von einer so unbescheidenen Forderung vernommen, die einem die Alternative zwischen einem griechischen Weisen und einem römischen Gott stellt? Da ich überzeugt bin, daß der Herr Edschmid so gebildet ist, zu wissen, daß Mars kein griechischer Philosoph war, so nehme ich gern zu seinen Gunsten an, daß er den Epikur für einen römischen Gott hält. Aber hat man je von einem Schmock gehört, der mit so herziger Unbefangenheit seine klassische Bildung zur Veranschaulichung seiner Banalität offeriert hätte? So etwas wäre selbst in Wien nicht möglich und kaum jenem trefflichen Lokalredakteur zuzutrauen gewesen, der einst nicht umhin konnte, zu melden, daß Herr Schlesinger, »der Nestor unter den Pferdefleischhauern«, gestorben sei. Aber der Edschmid ist unerschöpflich. Er klagt, daß die heutigen Satiriker »Militaristen« geworden seien – womit er natürlich nicht sagen will, sie hätten zumeist Schulter an Schulter gedichtet –, daß sie »keinen Humor im Antlitz tragen, sondern« – was? »spitz abgebogene Schnurrbärte« – wie macht man das? – »und scharfe Säuren im Mund«. Das ist noch schwerer. Das all tragen sie. Spitz abgebogene Schnurrbärte, also vermutlich statt »Es ist erreicht!« die neuere Mode »Weit gebracht!« Aber wenn Edschmid auch schon von mir was gehört haben mag, gesehn hat er mich bestimmt noch nicht; denn wenngleich ich Anatole Frances Spitzbart nicht trage, so trage ich doch auch letzten Endes nicht den spitz abgebogenen Schnurrbart, der das Kennzeichen der Satiriker ist. Man muß, meint er turpiter in modo, suaviter in re, weise, aber ungrammatikalisch, »die Dinge doch nicht nur immer bespeien«. Er will natürlich sagen, man müsse die Dinge »nicht immer nur bespeien«. Er wollte aber nicht sagen, daß man die Dinge außer daß man sie bespeien muß, auch noch anders zu behandeln hat. Denn das müßte er mir nicht erst sagen, ich behandle die Dinge auf allerlei Art, aber sie gelegentlich zu bespeien lasse ich mir wirklich nicht nehmen, weil es vor allen Dingen gesund und eine naturnotwendige Reaktion auf manche Dinge ist.

Wie großzügig ich da vorgehe, möge Edschmid schon daraus ersehen, daß ich so kleinlich bin, eine einzige Spalte seines Feuilletons, eben jene, die mir ein deutscher Leser eingesandt hat, als Anlaß und Untergrund zu verwenden, und bis hieher, schon recht erleichtert, war ich gekommen, als mir ein anderer deutscher Leser durch Einsendung des ganzen Edschmid bewies, daß jener mich verkürzt hatte, weil nicht nur der Anfang, sondern auch die Fortsetzung, ja letzten Endes auch dieses lesenswert ist. Gleich der zweite Absatz stellt der Objektivität Edschmids ein schönes Zeugnis aus, der das all, was er den Herren Heinrich Mann, Thoma, Sternheim, Borchardt, Kerr abspricht, jedoch zuerkennt, einem einzigen zuerkennt, aber abspricht, nämlich Herrn Albert Ehrenstein, »der wohl der bedeutendste literarische Satiriker heute ist«, dem aber, wie es Herrn Edschmid schier bedünken will, etwas wie der heitere Spitzbart des Anatole France fehlt, wenngleich er ihm die andere Barttracht keineswegs vorzuwerfen scheint. Ganz richtig erkennt Edschmid, daß Ehrensteins Satire, in ihrem an sich selbst leidenden Ich, ihrem Nebbich eingekerkert, den Weg in das von Edschmid so schwer entbehrte »Hellere« nicht zu finden vermag, sondern daß dieser Satiriker – wie jener mit einem hier vielleicht unangebrachten mondänen Vergleich es ausdrückt – sein Leid »behütet und kultiviert wie eine Champignonzucht«. Aber daß Ehrenstein heute der bedeutendste literarische Satiriker ist, dürfte nicht fehlgegriffen sein. Auch ich halte ihn dafür und wenn ich an die Wirkung denke, die er schon mit dem Treffer dieser Gegenüberstellung meiner Apokalypse und der aus der Bibel erzielt hat, so zerspringe ich vor Neid. Und da hat dieser Edschmid die Kühnheit, gegen einen Autor, den er doch anderseits so hoch stellt, die Drohung auszustoßen, »schließlich werde der Zuschauer vor soviel konsequenter Entschlossenheit die Achseln zucken und sich anderswohin wenden, wo hin und wieder gelacht wird.« Als ob nicht Ehrensteins Witze, wie allein schon der, mich den »heiligen Crausiscus« zu nennen und das auch auf Büttenpapier drucken zu lassen, vom Autor eigenhändig signiert, ihr Geld wert wären. Aber Edschmid weiß ja nicht mehr, was er will. An alle Satiriker stellt er die ideale Forderung des »Lächelns« und wenn sie einer wie der Satiriker Essig, der vermutlich die scharfe Säure im Mund hat, selbsttätig erfüllt, so ists ihm auch nicht recht, denn vom »Taifun« werde »nicht mehr bleiben als das Lächeln über einen Kunstsalon und seine Methoden«. Nämlich:

Wenn die Kämpfe, die heute im Mittelpunkt stehen, kaum mehr gekannt sind, fallen die Vorzüge der meisten Satiren und damit alles weg. Wer hat dann mit breiter Üppigkeit die ganze Zeit durch die Sanduhr laufen lassen, wer hat seine ganze Zeit typisiert und dann gelächelt und damit gestaltet?

Der Heinrich Mann vielleicht? Daß der Kasimir Edschmid nicht lächelt!

... Es bleibt nicht viel übrig, was er einbeziehen könnte, und am wenigsten vermöchte er zu lächeln. Wo die Fülle ist, herrscht keineswegs heute die Distanz und die Leichtigkeit.

Wie anders Anatole France. Vergebens sucht Edschmid den deutschen Lächler. Da stellt sich ihm ein unbekannter Mann in den Weg.

... Das Buch ist schon zwei Jahre erschienen –

Edschmid meint, daß es schon vor zwei Jahren erschienen ist

und hat keines Menschen Beachtung gefunden ... Man muß sich wirklich etwas gewaltsam ihm nähern, denn der Autor hat die Gewohnheit, nach jedem Satz sich begeistert den Magen zu klopfen. Den Fachmann zieht der Mut an, sich für die unaktuelle Breite zu entschließen –

Edschmid meint nicht die breite Üppigkeit, sondern will sagen, daß man dicke Bücher nicht gern liest

auch die bäurisch verknorpelte Sprache, die schöne Unanständigkeit und die barocke, ins Unausdenkbare gehende Phantastik geben einen schweren, aber gesunden Saft in die Fleischmasse des Buches.

Er klopft begeistert mit, denn »es wird da« – im Gegensatz zu Heinrich Mann – »vieles einbezogen« und »die Verknorpelungen der Kapitel« – gleich jenen der Sprache – leisten folgendes. Sie:

die manchmal Mühe machen, die Langeweile abzudämpfen, tragen schließlich doch eine Fülle des Gelebten und eine Quantität gestalteten Gesichtes, die erstaunlich weit über das Gewohnte hinausgehen, als Versuch allein schon wichtig wären und schließlich mit einer inneren Unbeteiligtheit und Absichtslosigkeit hingegeben werden, denen das Lächeln schon manchmal nahe wäre, wenn es nicht doch nur ein Grinsen würde. Es ist zu pfiffig, um ganz heiter zu sein.

Also – und so lebhaft Edschmid bemüht ist zu zeigen, was Verknorpelungen sind und was sie imstande sind – es ist wieder nichts.

Die Menschen vom Landbau sind schlau, aber nicht ganz naiv. Man würde sich aber täuschen, wenn man bei den Intellektuellen diese einfache Weltmännischkeit suchte.

Edschmid hat die Probe mit den Dadaisten gemacht, ward aber selbst von ihnen enttäuscht.

Ich liebe es sehr, nicht nur auf einem einzigen Fechtboden zu stehen und finde gern Gefallen daran, in mehr als einer Branche dieses Gestirns mich zu bewegen, aber ich kann einiges Mitleid nicht unterdrücken für diese verzweifelten Jünglinge, die nun entschlossen sind, allen Dingen prinzipielle Opposition zu machen.

Da geht Edschmid einfach nicht mit. Er ist schlichter Expressionist, und an welcher Branche des Gestirns er sonst noch Gefallen findet, wird man gleich sehen. Es ist natürlich die Konfektionsbranche, und die Frankfurter Zeitung wird gut tun, ihr einen allzu vielseitigen Vertreter nicht dauernd zu entfremden.

Ich war erstaunt, in den Bildbeigaben des Almanachs keine »Anarchisten«, sondern mit kleinbürgerlicher Wohlanständigkeit versehene Knaben zu sehen, die nur das Monokel ihrer Führer und die mittelmäßige Eleganz, mit der sie Pumps mit durchbrochenen Seidenstrümpfen zu konfektionären Gürtelmänteln trugen, ein wenig aus meiner Hochachtung vor ihren weltmännischen Gepflogenheiten entfernte.

Daß Dadaisten à cinq épingles gekleidet gehen, ist weiter nicht verwunderlich und ein Edschmid weiß natürlich besser, wann man »Pumps« und wann man einen Gürtelrock trägt und wann in die Bar der Gent, der schlaue, geht. Aber was will er von den Dadaisten haben? Diese Knaben sind rumänische Judenbuben, die in der Zeit, da ihre Altersgenossen noch töricht genug waren, sich für ihre Vaterländer abschlachten zu lassen, in der Schweiz von ihrer Originalität gelebt haben und nun, da sie wieder in die Weltstädte dürfen, das Geschäft der Völkerverständigung in der Weise treiben, daß sie alle in Betracht kommenden Zungen herausstrecken. Sie haben vor den Expressionisten entschieden das eine voraus, daß sie den Blödsinn, zu dem diese erst durch künstlerische Bemühung und Verleugnung ihres ganzen Dilettantismus letzten Endes gelangen, schon von vornherein und geradezu als Trumpf ausspielen. Es begibt sich da, im Hokuspokus des geistigen Zeitvertreibs, eine ähnliche Scheidung wie zwischen Freimaurern und Schlaraffen, wobei aber zur Ehre älterer Generationen, die das Bedürfnis hatten, vom Ernst des Lebens auszuspannen, und zu diesem Zwecke einander »lulu!« zuriefen, doch gesagt sein muß, daß der Unfug, den sie trieben, noch beiweitem nicht jenes Watschengesicht der Zeit offenbart hat, das jetzt zu allem was über seinen Horizont geht, dada! sagt. Die kleinen Toilettefehler würde ich diesen Parasiten des Weltuntergangs – zu dem einem wirklich noch ein wenig Hautjucken gefehlt hat – nicht weiter übelnehmen. Viel ärger ist, daß sie mir allmonatlich aus Paris ihr Zentralorgan zuschicken, von dessen einmaligen Herstellungsspesen – da ja eine Auflage des Homer billiger ist als die Clichierung von Pissoir-Inschriften – man zehn tuberkulöse Wiener Kinder ein Jahr lang ernähren könnte. Aber weiß Gott, die Gestehungskosten des Herrn Edschmid wüßte ich auch nutzbringender anzulegen. Gehe er mit den Gürtelmänteln der andern nicht zu streng ins Gericht. Ich wette hundert seiner »Achatenen Kugeln« gegen eine, daß er auch nicht in der »Håll« von Ritz auf die Welt gekommen ist, sondern nur im Frankfurter Hof darauf angewiesen, sich vorzustellen, zur französischen Besatzung zu gehören. Indem er aber die Dadaisten verspottet, weil sie, deren Ulk man ernst genommen habe, nun notgedrungen »eine Weltanschauung starten müssen«, möchte ich sogar den Verdacht aussprechen, daß er zwar auch keine hat, aber sich im Berliner Hotel Bristol wie's Kind im Haus fühlt. Speiübel wird einem von dieser Sprache, die nicht nur mit allem Komfort des Kurfürstendamms ausgestattet ist, sondern auch dessen Überlegenheit darüber anbietet und die ein Geschlecht von Foxtrottänzern und Filmjüngeln ermöglicht hat, das sich gleich am Tag nach Versailles ganz ententemäßig wohl fühlt und nicht mit Unrecht sich einbildet, es habe Deutschland besiegt. Wenn sie vollends von der »inneren Unbeteiligtheit« als einer Qualität sprechen oder die »innere weltmännische Gebärde« verlangen, als obs nicht das made in Germany auch täte, so glauben sie nicht nur, daß ihnen wieder die Welt gehört, sondern haben auch so viel »richtige Ewigkeitseinstellung« vorrätig, als für Berlin unbedingt erforderlich ist. Ich habe den Edschmid nie geschaut, wiewohl sein Konterfei wahrscheinlich in jeder Nummer der »Dame« zu finden ist; aber ich würde ihn sicher nicht erkennen, da er sich gewiß zum Verwechseln ähnlich sieht. Indem sie die Weltanschauung des Lächelns gestartet haben, vervollständigt sich das Bild der Generation jenes Kronprinzen, dessen heißestes Bemühen um einen mondänen Zug ihm höchstens die Ehre errungen hat, am englischen Hof – dort wo er ausnahmsweise kein Hotel ist – als das »lächelnde Mosquito« agnosziert und entsprechend geschätzt zu werden. Wenn so etwas nicht für sich Reisebücher schreiben läßt, sondern sich selbständig in der Literatur zu schaffen macht, so heißt das Lieblingswort, das jeder von ihnen und mit vollem Recht über seinesgleichen ausspricht: »Kitsch« oder »Radaukitsch«, und kein Berliner Weltanschaute ist zu »übel«, als daß er nicht von jedem andern sagte, daß er es sei. Das Grauen vor diesen Apparaten, von denen jeder einzelne in zehn Literaturgruppen zerfällt und deren Karriere von ausgefransten Hosen zu durchbrochenen Seidenstrümpfen zumeist ein Erfolg der Romanmanufaktur ist, beherrscht mich dermaßen, daß ich jeden Tag, den ich in deutschen Städten keine Vorlesung halte, als einen Vorschuß auf die ewige Seligkeit empfinde und die Erfüllung der Pflicht, solche Dinge an Ort und Stelle zu sagen, nur noch markiere. Dabei macht der Zufallsruhm diese Leute, von denen jeder ganz dasselbe nicht kann wie der andere, aber nicht jeder es trifft, derart von sich besessen, daß es umso lauter schallt, je hohler der Raum ist, in dem so ein Ich wohnt. Herr Edschmid wird vielleicht darüber unterrichtet sein, daß in der Fackel eigentlich jahraus jahrein nichts anderes geschieht, als ein Ich mit der Zeit konfrontieren, und er mag den daraus entspringenden Zwist für keine hinreichend satirische Angelegenheit halten. Ja, er wird sogar vielleicht bereit sein, den erfolgreichen Rückzug, den dieses Ich antritt, aus jener Eitelkeit zu erklären, der der schmähliche Durchbruch in die Zeit und ihre Marktgelegenheiten gelingt, und mich keineswegs für berufen halten, eben solche Qualität dem Herrn Edschmid zum Vorwurf zu machen. Aber man entscheide, ob je ein Ich weniger Verhältnis zum Objekt seiner Betrachtung gehabt und ob je eines schon durch seine Behauptung sich mehr erledigt hat als dieses:

Ich habe nicht die musikalische Befähigung, den musikalischen Wert dieses Virtuosen zu beurteilen, aber ich habe sie wohl, wenn es um sein Schreiben geht.

Er meint die literarische, aber die hat er auch nicht.

Ich weiß auch nicht, ob das Besondere eines modernen Geigers darin besteht, daß er lodert. Das Buch lodert jedenfalls ohne Pause. Ich glaube nicht, daß dies Buch uninteressant ist, aber ich glaube, daß es schwer zu lesen ist.

Nun entsagt der Bekenner dem Ich:

Es mangelt mir wohl nicht der Sinn dafür, daß Ekstasen, die begründet sind, sich zu allen Kulminationen erheben –

Nun wird er rückfällig –

aber ich vermag dieses dilettantische Ächzen bei ganz unnötigen Anlässen nicht leicht für begründet oder für recht zu finden. Ich glaube schon, daß ich das Unstete begreife, das der Autor herauszupeitschen sucht, aber ich zweifle, daß es gelang. Ich stehe nicht an, das Buch jedem Musikfreund zu empfehlen, da ich, hier unkompetent, leicht annehmen kann, er vermöge darin mir sehr verschlossene Wonnen zu finden. Ich vermag Freunden der Dichtung nicht abzuraten –

er meint: Freunden nicht dieser, sondern »Freunden der Dichtung« ganz besonders überhaupt, wie ein älterer Frankfurter Schriftsteller gesagt hätte

es zu lesen, da ich genug Respekt habe vor jeder Leistung, wenn auch die Stoffe hier unberührt und kalt und ohne jede Bearbeitung liegen bleiben, wenn die Waberlohe dieses Autors darüberging. Ich erinnere mich lediglich, wenn ich nicht sehr irre, gelesen zu haben, wie Heinrich Heine den Eindruck Paganinis gab. Ich vermag den Eindruck heute nicht nachzuprüfen –

er meint natürlich nicht Heines Eindruck von Paganini, sondern seinen von Heines Eindruck

aber ich glaube, daß er grandios war und dieses Thema genügend, wenigstens im Dämonischen, erledigte.

Er scheint also doch Heines Eindruck von Paganini zu meinen. Aber was er all meint, glaubt, nicht glaubt, hat oder nicht hat, vermag oder nicht vermag, ist schon uninteressant als Erscheinung und wirkt geradezu aufreizend als Aussage, von der nichts als der nachprüfbare Eindruck bleibt, daß er nicht vermag, sie auf deutsch auszusagen. Aber dieses Ich ist umso grenzenloser, je härter sich im Raum die syntaktischen Sachen stoßen:

... Ich habe jeden Vorbehalt gegen diesen Anreißer von Backfischsentimentalität –

(mit offenbarer Schätzung eines Anreißers von Backfischgeilheit)

und besonders gegen diesen Kriegshetzer. Ich habe unabänderliche Abwehr gegen dieses Mannes Gesinnung und gegen seine Art Literatur. Ich habe den herzlichsten Widerwillen gegen diese Roßtäuscherei der süß und rosa bemalten Kriegsideale, mit denen die Knaben und die unflüggen Jünglinge in vorschriftsmäßige Begeisterung für Kaiser und Reich hineingemogelt werden.

Was der Herr Edschmid da einmal hat, ist Recht. Nur fragt sichs, ob er auch während des Kriegs so tapfer gegen den Hilfsdienst der Literatur protestiert hat und ob man gut tut, die Jugend, die der Harnisch des Walter Bloem geblendet hat, dem Pyjama des Kasimir Edschmid zu überantworten.

Ich glaube sogar bestimmt, daß, faßt dieser Mann Aktuelles an, er gefährlich wird. Er hat in der Hand den Säbel und im Mund das Schmalz, das allen Lauen die wahrhafte Geste der Unerschütterlichkeit scheint, und seine Elaborate erreichen stets das Publikum, das die andere Seite nie erreicht. Aber ich gestehe, alles dies zusammengefaßt und noch verstärkt –

Was, das all kann man zusammenfassen und noch verstärken? Und das Schmalz im Mund, das den Lauen die Geste der Unerschütterlichkeit scheint, verwandelt sich nicht in die Säure, die der Satiriker im Mund trägt? Hören wir, was Edschmid gesteht:

daß ich mich beim ersten bisher erschienenen Band seines großen mittelalterlichen Romans (»Gottesferne«, Verlag Grethlein & Co., Leipzig) nicht gelangweilt habe. Ich sage es gern, denn ich war mir wohl bewußt, daß schließlich das Ganze hohl und ein Schwindel sei;

Und Edschmid wäre nicht der solide und echte Kerl, der wenn er nicht sofort auch wieder das Gegenteil dieser Erkenntnis parat hätte:

aber ich habe der Männlichkeit des Tones, der Frische in der Erzählung und auch einer gewissen Objektivität in der politischen Haltung so fernen Problemen gegenüber Achtung zu verweigern nicht vermocht.

Wer doch auch dem Edschmid gegenüber so gerecht sein könnte! Wie selbstlos fühlt er, wie recht hat er, wenngleich ers schlicht und schlecht genug sagt:

Es ist ersprießlicher, in manchen Fällen vergessener Bücher sich zu erinnern, als der Flut der Neuheit sich allzusehr hinzugeben.

Wenigstens vermeidet es Edschmid, sich der Flut »allzu« hinzugeben, aber »in manchen Fällen vergessener Bücher sich zu erinnern«, ist auch nicht ersprießlicher. Denn das hieße nur: bei manchen Gelegenheiten etlicher vergessener Bücher sich zu entsinnen. Doch ersprießlich ist, manchmal eines vergessenen Buchs zu gedenken (und den Andern daran zu erinnern). Es muß dann freilich von Goethe, Claudius, Lichtenberg sein und nicht gerade von Willy Speyer. Aber hier, rückschauend auf die Generation von 1919, wird Edschmid geradezu zum Seher.

Ich weiß wohl, daß dieser Mondäne ... Aber ich sehe mit Erstaunen das Ausmaß ... Ich sehe auch hier, wie bei Bruno Frank, den Zwiespalt ...

Er kann nicht umhin, dem Dichter zu raten, »bei sanften Parken und bequemeren und weniger belastenden Ausschweifungen sich zu begnügen«, nennt ihn »einen Bastard aus Weltlichkeit und tiefer Qual«, was eben den Reiz seines Buches mache, das »ein dichterischer Hermaphrodit« sei – jedenfalls ein Kreuzungsprodukt aus einem sozialen und einem anatomischen Mischgeschlecht zu einem Begriffszwitter, wahrscheinlich ein entferntes Geschwisterkind von Mars und Epikur. Edschmid selbst muß zugeben:

Die Kreuzung ist ungewöhnlich, das Produkt nicht ganz. Aber es lohnt der Mühe der Beschäftigung ohne Zweifel und auch nicht ohne Genuß.

Das Wort, das Edschmid letzten Endes spricht, ist sein bestes. Es wird schwer fallen, sich den spitz abgebogenen Schnurrbart zu verbeißen, man hat sich zu der Waffe des Lächelns durchgeschlagen und sie schallt wie Gelächter. Was ist da nur passiert? Ein Griff – ein Gfrett! Es lohnt der Mühe der Beschäftigung ohne Zweifel und auch nicht ohne Genuß, diese gordische Ballung mit einem Hieb jener Waffe aufzulösen: dann wird ohne Zweifel die Mühe mit Genuß belohnt sein.

Bei jedem Satz, bei jedem Sprung, den Herr Edschmid dort macht, wo man ihn zum Gärtner der deutschen Literatur bestellt hat. Welche Absichten verfolgt die Frankfurter Zeitung mit dem Herrn Edschmid? Meint sie nicht, daß sie als die größte deutsche Zeitung immerhin noch mit mehr Anstand das Gesicht einer ramponierten Geistesbildung zu wahren hätte als eine Neue Freie Presse? Sollte sie erst auf dem Umweg über die Wiener Vorstädte erfahren müssen, daß sie der Düpe des Herrn Edschmid geworden ist, indem sie geglaubt hat, er sei ein Expressionist, während er in Wahrheit bloß nicht deutsch kann? Oder meint sie, daß ein Gallimatthias die beste Form ist, den Franzosen in der Fremde eine Aufmerksamkeit zu erweisen? Will sie ihnen durch Edschmids innere Gebärde Weltmännischkeit beibringen? Es heißt, daß sie sich in Frankfurt schlecht, ja geradezu preußisch aufführen. Aber sie möge doch bedenken, daß dies die Schuld jener Weltverblödung ist, die davon ausging, daß das Leben der Güter höchstes nicht sei, und in deren Folge die Glorie als der Übel größtes erscheint. Trotzdem bleibt es wahr, daß der letzte Franzose, und möge er im Zauberbann der Montur den besten Preußen aus dem Feld der Schande schlagen, als ziviles Geschöpf so viel Ehrfurcht vor dem Leben seiner Sprache hat, daß er gar nicht fassen könnte, wie die Deutschen gegen ihr eigen Fleisch und Blut wüten. Denn einen solchen Saumagen, die Sätze des Herrn Kasimir Edschmid zu vertragen, nein wie Austern zu schlürfen, hat nur das deutsche Publikum. Was sich heute in Paris neu- und mißtönerisch auftun mag, ist Zuwachs aus Bukarest via Berlin; man weiß es dort nur nicht gleich und hält einen interessanten Monsieur Lipchitz vielleicht für einen Afghanen, aber gewiß nicht für einen Franzosen. Nur hier, der Flut der Neuheit allzusehr hingegeben, soll und will das ganze Haus ersaufen, wenns den Pfuschern beliebt, deren Schwall und Schwulst, deren verbogene und verquollene Trivialität dem Deutschen jede Naturkraft ersetzt. Nur in Deutschland ist es möglich, daß eine Schule, deren Vorzug es ist, in Deutsch durchzufallen, daß eine Jugend, die ihre natürliche Zurückgebliebenheit mit dem technischen Fortschritt belügt und die sich in ihrem unbändigen Mangel an Temperament kein anderes Spiel weiß als der lebendigen Sprache die Gliedmaßen auszureißen und wie Straßendreck zu ballen, die Dichter der Nation stellt und daß eine Generation, soweit sie nicht selbsttätig an diesem traurigen Handwerk teilhat, im feinschmeckenden Genuß, in der lebensbildenden Empfängnis dieser geistigen und sittlichen Muster gedeiht. Und der Zustand verlangt noch, daß man ihn nicht zu fanatisch anpacke und daß die Satiriker nicht ihren Humor verlieren. Wenn dieser Frühling erwacht ist und alles in Ordnung, lege man sich wieder auf den Rücken, wärme sich an der Verwesung und lächle ... Aber wie ich glaube, daß, was immer die schwarzen Truppen im Besetzungsgebiet angestellt haben mögen und was vielleicht an die Schandtaten der weißen Truppen heranreichen könnte und was ganz gewiß nur eine Reaktion ist auf die Entehrung durch den Zwang, mit dem militärischen Europa Bekanntschaft zu machen; wie ich glaube, daß dies alles nur ein Vorschmack dessen ist, was die schwarzen Truppen dereinst mit unserer engelweißen Kultur nebst sämtlichen religiösen Vorwänden für unsre blutige Unsauberkeit vorhaben – so möchte ich doch behaupten, daß so eine Frankfurterin, die sich durch einen Edschmidschen Roman letzten Endes, bis zu dem ich nie gelangt bin, lächelnd durchgeschlagen hat, mit all seiner schönen Unanständigkeit, die den Expressionismus als Ausdrucksfreiheit auffaßt und damit allein ein Dutzend Auflagen für Bett und Buch gewinnt, schon einen tüchtigen Puff aushält und daß kein Neger eine so widernatürliche Unterhaltung bieten könnte wie der freiwillige Umgang mit den Meistern der deutschen Belletristik. Mir genügt eine Feuilletonzeile von ihnen, um einer todgeweihten Kultur sagen zu können, wie es mit ihr steht, und daß sie umso schneller draufgehen wird, je mehr sie sich mit den Edschmiden ihres Schicksals einläßt und je lieber sie ihnen glaubt, daß mein Kampf in den Wiener Vorstädten bereits zu Ende ist. Könnte er unter den trostlosen Umständen dieser Zeit, die doch mit der Verbreitung der Krankheit auch die Isolierung der Wahrheit bedingen, über die Wiener Vorstädte hinausdringen, so wäre ja noch Hoffnung. Und dann würde, das all zusammengefaßt und noch verstärkt, selbst Herr Kasimir Edschmid erfahren, daß die so heftig bewegte und gleichwohl nicht erschütterte Zeitlichkeit doch ihren satirischen Stil hat, ihres satirischen Schriftstellers nicht entbehrt und daß der Sinn für das Pamphlet ganz besonders überhaupt nicht verloren gegangen ist. Denn ich mußte mirs niederschreiben, daß einer lächeln kann, und immer lächeln, und doch ein Schwindler sein! Zum wenigsten weiß ich gewiß, in Deutschland kanns so sein.


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