Karl Kraus
In dieser großen Zeit – Aufsätze 1914-1925
Karl Kraus

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In dieser großen Zeit

die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; und die wir, weil im Bereich organischen Wachstums derlei Verwandlung nicht möglich ist, lieber als eine dicke Zeit und wahrlich auch schwere Zeit ansprechen wollen; in dieser Zeit, in der eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und in der geschehen muß, was man sich nicht mehr vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe nicht –; in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht hat vor der Möglichkeit, daß sie ernst werden könnte; von ihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung langt, und sich selbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; in dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Berichte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von mir kein eigenes Wort erwarten. Keines außer diesem, das eben noch Schweigen vor Mißdeutung bewahrt. Zu tief sitzt mir die Ehrfurcht vor der Unabänderlichkeit, Subordination der Sprache vor dem Unglück. In den Reichen der Phantasiearmut, wo der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohne den seelischen Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchen und Schwerter in Tinte, muß das, was nicht gedacht wird, getan werden, aber ist das, was nur gedacht wird, unaussprechlich. Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort. Weder vermöchte ich ein neues zu sagen; denn im Zimmer, wo einer schreibt, ist der Lärm so groß, und ob er von Tieren kommt, von Kindern oder nur von Mörsern, man soll es jetzt nicht entscheiden. Wer Taten zuspricht, schändet Wort und Tat und ist zweimal verächtlich. Der Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige! Auch alte Worte darf ich nicht hervorholen, solange Taten geschehen, die uns neu sind und deren Zuschauer sagen, daß sie ihnen nicht zuzutrauen waren. Mein Wort konnte Rotationsmaschinen übertönen, und wenn es sie nicht zum Stillstand gebracht hat, so beweist das nichts gegen mein Wort. Selbst die größere Maschine hat es nicht vermocht und das Ohr, das die Posaune des Weltgerichts vernimmt, verschließt sich noch lange nicht den Trompeten des Tages. Nicht erstarrte vor Schreck der Dreck des Lebens, nicht erbleichte Druckerschwärze vor so viel Blut. Sondern das Maul schluckte die vielen Schwerter und wir sahen nur auf das Maul und maßen das Große nur an dem Maul. Und Gold für Eisen fiel vom Altar in die Operette, der Bombenwurf war ein Couplet, und 15 000 Gefangene gerieten in eine Extraausgabe, die eine Soubrette vorlas, damit ein Librettist gerufen werde. Mir Unersättlichem, der des Opfers nicht genug hat, ist die vom Schicksal befohlene Linie nicht erreicht. Krieg ist mir erst, wenn nur die, die nicht taugen, in ihn geschickt werden. Sonst hat mein Frieden keine Ruhe, ich richte mich heimlich auf die große Zeit ein und denke mir etwas, was ich nur dem lieben Gott sagen kann und nicht dem lieben Staat, der es mir jetzt nicht erlaubt, ihm zu sagen, daß er zu tolerant ist. Denn wenn er jetzt nicht auf die Idee kommt, die sogenannte Preßfreiheit, die ein paar weiße Flecke nicht spürt, zu erwürgen, so wird er nie mehr auf die Idee kommen, und wollte ich ihn jetzt auf die Idee bringen, er vergriffe sich an der Idee und mein Text wäre das einzige Opfer. Also muß ich warten, wiewohl ich doch der einzige Österreicher bin, der nicht warten kann, sondern den Weltuntergang durch ein schlichtes Autodafé ersetzt sehen möchte. Die Idee, auf welche ich die tatsächlichen Inhaber der nominellen Gewalt bringen will, ist nur eine fixe Idee von mir. Aber durch fixe Ideen wird ein schwankender Besitzstand gerettet, wie eines Staates so einer Kulturwelt. Man glaubt einem Feldherrn die Wichtigkeit von Sümpfen so lange nicht, bis man eines Tages Europa nur noch als Umgebung der Sümpfe betrachtet. Ich sehe von einem Terrain nur die Sümpfe, von ihrer Tiefe nur die Oberfläche, von einem Zustand nur die Erscheinung, von der nur einen Schein und selbst davon bloß den Kontur. Und zuweilen genügt mir ein Tonfall oder gar nur die Wahnvorstellung. Tue man mir, spaßeshalber, einmal den Gefallen, mir auf die Oberfläche zu folgen dieser problemtiefen Welt, die erst erschaffen wurde, als sie gebildet wurde, die sich um ihre eigene Achse dreht und wünscht, die Sonne drehte sich um sie.

Über jenem erhabenen Anschlag, jenem Gedicht, das die tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht, das sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichsten Anschlag, den die Straße unserm Auge widerfahren lassen konnte, hängt der Kopf eines Varietékomikers, überlebensgroß. Daneben aber schändet ein Gummiabsatzerzeuger das Mysterium der Schöpfung, indem er von einem strampelnden Säugling aussagt, so, mit dem Erzeugnis seiner, ausgerechnet seiner Marke, sollte der Mensch auf die Welt kommen. Wenn ich nun der Meinung bin, daß der Mensch, da die Dinge so liegen, lieber gar nicht auf die Welt kommen sollte, so bin ich ein Sonderling. Wenn ich jedoch behaupte, daß der Mensch unter solchen Umständen künftig überhaupt nicht mehr auf die Welt kommen wird und daß späterhin vielleicht noch die Stiefelabsätze auf die Welt kommen werden, aber ohne den dazugehörigen Menschen, weil er mit der eigenen Entwicklung nicht Schritt halten konnte und als das letzte Hindernis seines Fortschritts zurückgeblieben ist – wenn ich so etwas behaupte, bin ich ein Narr, der von einem Symptom gleich auf den ganzen Zustand schließt, von der Beule auf die Pest. Wäre ich kein Narr, sondern ein Gebildeter, so würde ich vorn Bazillus und nicht von der Beule so kühne Schlüsse ziehen und man würde mir glauben. Wie närrisch gar, zu sagen, daß man, um sich von der Pest zu befreien, die Beule konfiszieren soll. Ich bin aber wirklich der Meinung, daß in dieser Zeit, wie immer wir sie nennen und werten mögen, ob sie nun aus den Fugen ist oder schon in der Einrichtung, ob sie erst vor dem Auge eines Hamlet Blutschuld und Fäulnis häuft oder schon für den Arm eines Fortinbras reift – daß in ihrem Zustand die Wurzel an der Oberfläche liegt. Solches kann durch ein großes Wirrsal klar werden, und was ehedem paradox war, wird nun durch die große Zeit bestätigt. Da ich weder Politiker bin, noch sein Halbbruder Ästhet, so fällt es mir nicht ein, die Notwendigkeit von irgend etwas, das geschieht, zu leugnen oder mich zu beklagen, daß die Menschheit nicht in Schönheit zu sterben verstehe. Ich weiß wohl, Kathedralen werden mit Recht von Menschen beschossen, wenn sie von Menschen mit Recht als militärische Posten verwendet werden. Kein Ärgernis in der Welt, sagt Hamlet. Nur daß ein Höllenschlund sich zu der Frage öffnet: Wann hebt die größere Zeit des Krieges an – der Kathedralen gegen Menschen! Ich weiß genau, daß es zuzeiten notwendig ist, Absatzgebiete in Schlachtfelder zu verwandeln, damit aus diesen wieder Absatzgebiete werden. Aber eines trüben Tages sieht man heller und fragt, ob es denn richtig ist, den Weg, der von Gott wegführt, so zielbewußt mit keinem Schritte zu verfehlen. Und ob denn das ewige Geheimnis, aus dem der Mensch wird, und jenes, in das er eingeht, wirklich nur ein Geschäftsgeheimnis umschließen, das dem Menschen Überlegenheit verschafft vor dem Menschen und gar vor des Menschen Erzeuger. Wer den Besitzstand erweitern will und wer ihn nur verteidigt – beide leben im Besitzstand, stets unter und nie über dem Besitzstand. Der eine fatiert ihn, der andere erklärt ihn. Wird uns nicht bange vor irgend etwas über dem Besitzstand, wenn Menschenopfer unerhört geschaut, gelitten wurden und hinter der Sprache des seelischen Aufschwungs, im Abklang der berauschenden Musik, zwischen irdischen und himmlischen Heerscharen, eines fahlen Morgens das Bekenntnis durchbricht: »Was jetzt zu geschehen hat, ist, daß der Reisende fortwährend die Fühlhörner ausstreckt und die Kundschaft unaufhörlich abgetastet wird!« Menschheit ist Kundschaft. Hinter Fahnen und Flammen, hinter Helden und Helfern, hinter allen Vaterländern ist ein Altar aufgerichtet, an dem die fromme Wissenschaft die Hände ringt: Gott schuf den Konsumenten! Aber Gott schuf den Konsumenten nicht, damit es ihm wohl ergehe auf Erden, sondern zu einem Höheren: damit es dem Händler wohl ergehe auf Erden, denn der Konsument ist nackt erschaffen und wird erst, wenn er Kleider verkauft, ein Händler. Die Notwendigkeit, zu essen, um zu leben, kann philosophisch nicht bestritten werden, wiewohl die Öffentlichkeit dieser Verrichtung von einem unablegbaren Mangel an Schamgefühl zeugt. Kultur ist die stillschweigende Verabredung, das Lebensmittel hinter den Lebenszweck abtreten zu lassen. Zivilisation ist die Unterwerfung des Lebenszwecks unter das Lebensmittel. Diesem Ideal dient der Fortschritt und diesem Ideal liefert er seine Waffen. Der Fortschritt lebt, um zu essen, und beweist zuzeiten, daß er sogar sterben kann, um zu essen. Er erträgt Mühsal, damit es ihm wohl ergehe. Er wendet Pathos an die Prämissen. Die äußerste Bejahung des Fortschritts gebietet nun längst, daß das Bedürfnis sich nach dem Angebot richte, daß wir essen, damit der andere satt werde, und daß der Hausierer noch unsern Gedanken unterbreche, wenn er uns bietet, was wir gerade nicht brauchen. Der Fortschritt, unter dessen Füßen das Gras trauert und der Wald zu Papier wird, aus dem die Blätter wachsen, er hat den Lebenszweck den Lebensmitteln subordiniert und uns zu Hilfsschrauben unserer Werkzeuge gemacht. Der Zahn der Zeit ist hohl; denn als er gesund war, kam die Hand, die vom Plombieren lebt. Wo alle Kraft angewandt wurde, das Leben reibungslos zu machen, bleibt nichts übrig, was dieser Schonung noch bedarf. In solcher Gegend kann die Individualität leben, aber nicht mehr entstehen. Mit ihren Nervenwünschen mag sie dort gastieren, wo im Komfort und Fortkommen rings Automaten ohne Gesicht und Gruß vorbei und vorwärtsschieben. Als Schiedsrichter zwischen Naturwerten wird sie anders entscheiden. Gewiß nicht für die hiesige Halbheit, die ihr Geistesleben für die Propaganda ihrer Ware gerettet, sich einer Romantik der Lebensmittel ergeben und »die Kunst in den Dienst des Kaufmanns« gestellt hat. Die Entscheidung fällt zwischen Seelenkräften und Pferdekräften. Vom Betrieb kommt keine Rasse ungeschwächt zu sich selbst, höchstens zum Genuß. Die Tyrannei der Lebensnotwendigkeit gönnt ihren Sklaven dreierlei Freiheit: vom Geist die Meinung, von der Kunst die Unterhaltung und von der Liebe die Ausschweifung. Es gibt, Gott sei gedankt, noch Güter, die stecken bleiben, wenn Güter immer rollen sollen. Denn Zivilisation lebt am Ende doch von Kultur. Wenn die entsetzliche Stimme, die in diesen Tagen das Kommando übergellen darf, in der Sprache ihrer zudringlichen Phantastik den Reisenden auffordert, die Fühlhörner auszustrecken und im Pulverdampf die Kundschaft abzutasten, wenn sie vor dem Unerhörten sich den heroischen Entschluß abringt, die Schlachtfelder für die Hyänen zu reklamieren, so hat sie etwas von jener trostlosen Aufrichtigkeit, mit der der Zeitgeist seine Märtyrer begrinst. Wohl, wir opfern uns auf für die Fertigware, wir konsumieren und leben so, daß das Mittel den Zweck konsumiere. Wohl, wenn ein Torpedo uns frommt, so sei es eher erlaubt, Gott zu lästern als ein Torpedo! Und Notwendigkeiten, die sich eine im Labyrinth der Ökonomie verirrte Welt gesetzt hat, fordern ihre Blutzeugen und der gräßliche Leitartikler der Leidenschaften, der registrierende Großjud, der Mann, der an der Kassa der Weltgeschichte sitzt, nimmt Siege ein und notiert täglich den Umsatz in Blut und hat in Kopulierungen und Titeln, aus denen die Profitgier gellt, einen Ton, der die Zahl von Toten und Verwundeten und Gefangenen als Aktivpost einheimst, wobei er zuweilen mein und dein und Stein und Bein verwechselt, aber so frei ist, mit leiser Unterstreichung seiner Bescheidenheit und vielleicht in Übereinstimmung mit den Eindrücken aus eingeweihten Kreisen und ohne die Einbildungskraft beiseite zu lassen, »Laienfragen und Laienantworten« strategisch zu unterscheiden. Und wenn er es dann wagt, über dem ihm so wohltuenden Aufschwung heldischer Gefühle seinen Segen zu sprechen und Gruß und Glückwunsch der Armee zu entbieten und seine »braven Soldaten« im Jargon der Leistungsfähigkeit und wie am Abend eines zufriedenen Börsentags zu ermuntern, so gibt es angeblich »nur eine Stimme«, die daran Ärgernis nimmt, wirklich nur eine, die es heute ausspricht – aber was hilft's, solange es die eine Stimme gibt, deren Echo nichts anderes sein müßte als ein Sturm der Elemente, die sich aufbäumen vor dem Schauspiel, daß eine Zeit den Mut hat, sich groß zu nennen, und solchem Vorkämpfer kein Ultimatum stellt!

Die Oberfläche sitzt und klebt an der Wurzel. Die Unterwerfung der Menschheit unter die Wirtschaft hat ihr nur die Freiheit zur Feindschaft gelassen, und schärfte ihr der Fortschritt die Waffen, so schuf er ihr die mörderischeste vor allen, eine, die ihr jenseits ihrer heiligen Notwendigkeit noch die letzte Sorge um ihr irdisches Seelenheil benahm: die Presse. Der Fortschritt, der auch über die Logik verfügt, entgegnet, die Presse sei auch nichts anderes als eine der Berufsgenossenschaften, die von einem vorhandenen Bedürfnis leben. Aber wenn es so wahr ist wie es richtig ist, und ist die Presse nichts weiter als ein Abdruck des Lebens, so weiß ich Bescheid, denn ich weiß dann, wie dieses Leben beschaffen ist. Und dann fällt mir zufällig bei, an einem trüben Tage wird es klar, daß das Leben nur ein Abdruck der Presse ist. Habe ich das Leben in den Tagen des Fortschritts unterschätzen gelernt, so mußte ich die Presse überschätzen. Was ist sie? Ein Bote nur? Einer, der uns auch mit seiner Meinung belästigt? Durch seine Eindrücke peinigt? Uns mit der Tatsache gleich die Vorstellung mitbringt? Durch seine Details über Einzelheiten von Meldungen über Stimmungen oder durch seine Wahrnehmungen über Beobachtungen von Einzelheiten über Details und durch seine fortwährenden Wiederholungen von all dem uns bis aufs Blut quält? Der hinter sich einen Troß von informierten, unterrichteten, eingeweihten und hervorragenden Persönlichkeiten schleppt, die ihn beglaubigen, ihm Recht geben sollen, wichtige Schmarotzer am Überflüssigen? Ist die Presse ein Bote? Nein: das Ereignis. Eine Rede? Nein, das Leben. Sie erhebt nicht nur den Anspruch, daß die wahren Ereignisse ihre Nachrichten über die Ereignisse seien, sie bewirkt auch diese unheimliche Identität, durch welche immer der Schein entsteht, daß Taten zuerst berichtet werden, ehe sie verrichtet werden, oft auch die Möglichkeit davon, und jedenfalls der Zustand, daß zwar Kriegsberichterstatter nicht zuschauen dürfen, aber Krieger zu Berichterstattern werden. In diesem Sinne lasse ich mir gern nachsagen, daß ich mein Lebtag die Presse überschätzt habe. Sie ist kein Dienstmann – wie könnte ein Dienstmann auch so viel verlangen und bekommen –, sie ist das Ereignis. Wieder ist uns das Instrument über den Kopf gewachsen. Wir haben den Menschen, der die Feuersbrunst zu melden hat und der wohl die untergeordnetste Rolle im Staat spielen müßte, über die Welt gesetzt, über den Brand und über das Haus, über die Tatsache und über unsere Phantasie. Aber wie Kleopatra sollten wir dafür auch, neugierig und enttäuscht, den Boten schlagen für die Botschaft. Sie macht ihn, der ihr eine verhaßte Heirat meldet und die Meldung ausschmückt, für die Heirat verantwortlich. »Laß reiche Zeitung strömen in mein Ohr, das lange brach gelegen ... Die giftigste von allen Seuchen dir! Was sagst du? Fort, elender Wicht! Sonst schleudr' ich deine Augen wie Bälle vor mir her; raufe dein Haar, lasse mit Draht dich geißeln, brühn mit Salz, in Lauge scharf gesättigt.« (Schlägt ihn.) »Gnäd',ge Fürstin, ich, der die Heirat melde, schloß sie nicht.« Aber der Reporter schließt die Heirat, zündet das Haus an und macht die Greuel, die er erlügt, zur Wahrheit. Er hat durch jahrzehntelange Übung die Menschheit auf eben jenen Stand der Phantasienot gebracht, der ihr einen Vernichtungskrieg gegen sich selbst ermöglicht. Er kann, da er ihr alle Fähigkeit des Erlebnisses und dessen geistiger Fortsetzung durch die maßlose Promptheit seiner Apparate erspart hat, ihr eben noch den erforderlichen Todesmut einpflanzen, mit dem sie hineinrennt. Er hat den Abglanz heroischer Eigenschaften zur Verfügung und seine mißbrauchte Sprache verschönt ein mißbrauchtes Leben, als ob die Ewigkeit sich ihren Höhepunkt erst für das Zeitalter aufgespart hätte, wo der Reporter lebt. Ahnen aber Menschen, welches Lebens Ausdruck die Zeitung ist? Eines, das längst ein Ausdruck ist von mir! Ahnt man, was ein halbes Jahrhundert dieser freigelassenen Intelligenz an gemordetem Geist, geplündertem Adel und geschändeter Heiligkeit verdankt? Weiß man denn, was der Sonntagsbauch einer solchen Rotationsbestie an Lebensgütern verschlungen hat, ehe er 250 Seiten dick erscheinen konnte? Denkt man, wie viel Veräußerung systematisch, telegraphisch, telephonisch, photographisch gezogen werden mußte, um einer Gesellschaft, die zu inneren Möglichkeiten noch bereit stand, vor der winzigsten Tatsache jenes breite Staunen anzugewöhnen, das in der abscheulichen Sprache dieser Boten ihre Klischees findet, wenn sich irgendwo »Gruppen bildeten« oder gar das Publikum »sich zu massieren« anfing? Da das ganze neuzeitliche Leben unter den Begriff einer Quantität gestellt ist, die gar nicht mehr gemessen wird, sondern immer schon erreicht ist und der schließlich nichts übrig bleiben wird, als sich selbst zu verschlingen; da der selbstverständliche Rekord keine Zweifel mehr übrig läßt und die qualvolle Vollständigkeit jedes Weiterrechnen erspart, so ist die Folge, daß wir, erschöpft durch die Vielheit, für das Resultat nichts mehr übrig haben, und daß in einer Zeit, in der wir täglich zweimal in zwanzig Wiederholungen von allen Äußerlichkeiten noch die Eindrücke von den Eindrücken vorgesetzt bekommen, die große Quantität in Einzelschicksale zerfällt, die nur die einzelnen spüren, und plötzlich, selbst an der Spitze, der vergönnte Heldentod als grausames Geschick fatiert wird. Man könnte aber einmal dahinter kommen, welch kleine Angelegenheit so ein Weltkrieg war neben der geistigen Selbstverstümmelung der Menschheit durch ihre Presse, und wie er im Grund nur eine ihrer Ausstrahlungen bedeutet hat. Vor einigen Jahrzehnten mochte ein Bismarck, auch ein Überschätzer der Presse, noch erkennen: »Das, was das Schwert uns Deutschen gewonnen hat, wird durch die Presse wieder verdorben«, und ihr die Schuld an drei Kriegen beimessen. Heute sind die Zusammenhänge zwischen Katastrophen und Redaktionen viel tiefere und darum weniger klare. Denn im Zeitalter derer, die es mitmachen, ist die Tat stärker als das Wort, aber stärker als die Tat ist der Schall. Wir leben vom Schall und in dieser umgeworfenen Welt weckt das Echo den Ruf. In der Organisation des Schalls ist die Schwäche wunderbarer Verwandlung fähig. Der Staat kann es brauchen, aber die Welt hat nichts davon. Bismarck hat zu einer Zeit, wo der Fortschritt in den Kinderschuhen steckte und noch nicht auf Gummiabsätzen durch die Kultur schlich, es geahnt. »Jedes Land«, sagte er, »ist auf die Dauer doch für die Fenster, die seine Presse einschlägt, irgend einmal verantwortlich.« Ferner: »Die Presse ist in Wien schlimmer, als ich mir vorgestellt hatte, und in der Tat noch übler und von böserer Wirkung als die preußische.« Er sprach es aus, daß der Korrespondent, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, er habe keine guten Verbindungen, entweder die eigenen Erfindungen oder die der Gesandtschaft lanciere. Gewiß, wir alle hängen vor allem von den Interessen dieser einen Branche ab. Wenn man die Zeitung nur zur Information liest, erfährt man nicht die Wahrheit, nicht einmal die Wahrheit über die Zeitung. Die Wahrheit ist, daß die Zeitung keine Inhaltsangabe ist, sondern ein Inhalt, mehr als das, ein Erreger. Bringt sie Lügen über Greuel, so werden Greuel daraus. Mehr Unrecht in der Welt, weil es eine Presse gibt, die es erlogen hat und die es beklagt! Nicht Nationen schlagen einander: sondern die internationale Schande, der Beruf, der nicht trotz seiner Unverantwortlichkeit, sondern vermöge seiner Unverantwortlichkeit die Welt regiert, teilt Wunden aus, quält Gefangene, hetzt Ausländer, macht Gentlemen zu Rowdies. Nur durch die Vollmacht der Charakterlosigkeit, die in Verbindung mit einem schuftigen Willen Druckerschwärze unmittelbar in Blut verwandeln kann. Letztes, unheiliges Wunder der Zeit! Zuerst war alles Lüge, die immer auch log, daß nur anderwärts gelogen werde, und jetzt, in die Neurasthenie des Hasses geworfen, ist alles wahr. Es gibt verschiedene Nationen, aber es gibt nur eine Presse. Die Depesche ist ein Kriegsmittel wie die Granate, die auch auf keinen Sachverhalt Rücksicht nimmt. Ihr glaubt; aber jene wissen es besser, und ihr müßt daran glauben. Die Helden der Zudringlichkeit, Leute, mit denen sich kein Krieger in einen Schützengraben legen würde, wohl aber von ihnen dort interviewen lassen muß, brechen in eben verlassene Königsschlösser ein, um melden zu können: »Wir waren die ersten!« Für Greueltaten bezahlt zu werden, wäre bei weitem nicht so schimpflich wie für deren Erfindung. Bravos im übertragenen Wirkungskreis, die zuhaus sitzen, wenn sie nicht das Glück haben, in einem Pressequartier Anekdoten zu erzählen oder bis in die Front vordringlich zu sein, sie bringen den Völkern Tag für Tag und solange das Gruseln bei, bis diese es mit einiger Berechtigung wirklich empfinden. Von der Quantität, die der Inhalt dieser Zeit ist, fällt auf jeden von uns ein Teil, das er gefühlsmäßig verarbeitet, und das Gemeinsame wird uns durch Draht und Kino so anschaulich gemacht, daß wir zufrieden nachhause gehen. Hat uns aber der Reporter durch seine Wahrheit die Phantasie umgebracht, so rückt er uns ans Leben durch seine Lüge. Seine Phantasie ist der grausamste Ersatz für die, welche wir einmal hatten. Denn haben die einen dort behauptet, daß die andern Frauen und Kinder töten, so glauben es beide und tun es. Fühlt man noch nicht, daß das Wort eines zuchtlosen Subjekts, brauchbar in den Tagen der Manneszucht, weiter trägt als ein Mörser, und daß die seelischen Festungen dieser Zeit eine Konstruktion sind, die im Ernstfall versagt? Hätten die Staaten die Einsicht, mit der allgemeinen Wehrpflicht vorlieb zu nehmen und auf die Telegramme zu verzichten – wahrlich, ein Weltkrieg wäre gelinder. Hätten sie gar den Mut, vor Ausbruch eines solchen die Vertreter des andern Handwerks auf einen international vereinbarten Schindanger zu treiben, wer weiß, jener bliebe den Nationen erspart! Aber ehe Journalisten und die von ihnen benützten Diplomaten abrüsten, müssen Menschen es büßen. »Manches, das in den Zeitungen steht, ist denn doch wahr«, hat Bismarck gesagt. Es gibt ja auch noch etwas unter dem Strich, dort arbeiten unsere braven Feuilletonisten, verrichten Gebete in der Schlacht für Honorar, küssen Bundesbrüder auf den Mund, preisen den herrlichen »Tumult« unserer Tage, bewundern die Ordnung, wie sie früher die Gemütlichkeit verehrt haben, vergleichen eine Festung mit einer schönen Frau oder umgekehrt, je nachdem, und benehmen sich überhaupt der großen Zeit würdig. Da schildert einer, ein Auswärtiger, unter dem Titel »Furchtbare Tage«, serienweise seine Erlebnisse in einer Hauptstadt, die er verlassen mußte. Die äußeren Schrecken bestanden darin, daß man ihm zugeredet hat, abzureisen, ihm für 1000 Mark nur 1200 Francs geben wollte und vor allem, daß kein Taxameter zu haben war, was in andern Verkehrszentren auch schon vor einer allgemeinen Mobilisierung vorkommen soll. Sonst kann er – man traut seinen Ohren nicht – nicht genug Rühmliches von der Ruhe, Rücksicht, ja Barmherzigkeit der einheimischen Bevölkerung aussagen, von der wir doch in Telegrammen erfahren hatten, sie hätte sich wie losgelassene Panther und Wölfe einer bei einem Eisenbahnunglück beschädigten Menagerie benommen, kurz, daß es dort vor dem Krieg annähernd so zugegangen sei, wie anderswo nach einem Konzert. Telegramme sind Kriegsmittel Mit Feuilletons nimmt man es nicht so genau, da kann die Wahrheit durchrutschen. Aber wenn sie erscheint, ist sie vielleicht wieder unwahr, weil inzwischen Telegramme erschienen sind und das Ihrige getan haben, den Telegrammen recht zu geben und die Wirklichkeit zu berichtigen. Oder meint man, dieser Nordau habe schöngefärbt, weil er sich für den Frieden die Rückkehr auf den Platz schon jetzt sichern wollte? Dann disponiert eben der Journalismus über das Leben, je nachdem er nur seinen Vorteil oder auch den Nachteil der andern sucht. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß es in Kriegszeiten außer der Arbeit, welche die solide Waffe verrichtet, noch die Leistungen gibt, die Wort und Gelegenheit vollbringen. Greuel, die die Bevölkerung feindlicher Staaten verübt, sind von gemeiner oder von ganz gemeiner, also gebildeter Herkunft, Pöbel und Presse stehen über den nationalen Interessen. Jener plündert und diese telegraphiert. Und wenn diese telegraphiert, so fühlt sich jener animiert, und was Redaktionen beschlossen haben, vergelten und büßen Nationen. »Repressalien« ist das, womit der Presse geantwortet wird. Sie übertreibt den Zustand der Welt, nachdem sie ihn erschaff en hat. Ist sie sein Ausdruck nur, so ist der Zustand furchtbar genug. Aber sie ist sein Erreger. Sie hat in Österreich den sterilen Zeitvertreib des »Nationalitätenhaders« erfunden und unterhalten, um unbemerkt das Geschäft ihres schändlichen Intellekts hochzubringen; hat sie es so weit gebracht wie sie wollte, so gibt sie für späteren Gewinn ihren Patriotismus in Kost; sie kauft Werte im Zusammensturz, sie ist ein Phönix, der aus fremder Asche farbenprächtig aufsteigt. Laßt mich die Presse überschätzen! Aber wenn ich zu Unrecht behaupte, daß in einer Epoche, die so leicht geneigt ist, die Extraausgabe für das Ereignis zu halten, und die mit entzündeten Nerven sich von Lügen zu Fakten verleiten läßt – wenn es nicht wahr ist, daß aus Telegrammen mehr Blut geflossen ist, als sie enthalten wollten, so komme dieses Blut über mich!

»Möge es das letztemal sein«, rief Bismarck, »daß die Errungenschaften des preußischen Schwertes mit freigiebiger Hand weggegeben werden, um die nimmersatten Anforderungen eines Phantoms zu befriedigen, welches unter dem fingierten Namen von Zeitgeist oder öffentlicher Meinung die Vernunft der Fürsten und Völker mit seinem Geschrei betäubt, bis jeder sich vor dem Schatten des anderen fürchtet und alle vergessen, daß unter der Löwenhaut des Gespenstes ein Wesen steckt von zwar lärmender, aber wenig furchtbarer Natur.« Er sagte es im Jahre 1849. Wie furchtbar ist diese Harmlosigkeit in den 65 Jahren erwachsen! Daß sie vor Taten, die sie angestiftet hat, nicht verstummt, zeigt, für wen sie sie getan hofft. Die Maschine hat Gott den Krieg erklärt und findet zwischen den Leistungen, die ich ihr stets zugetraut habe, immer noch Worte, und die Zeit mißt sich und staunt, wie groß sie über Nacht geworden sei. Aber sie war es wohl immer, und ich habe es nur nicht bemerkt. Also war es ein Fehler meiner Optik, sie klein zu sehen. Indes, »Übelstände« wegzuputzen, die an der Oberfläche wuchern, hinter der ein Großes lebt – die Aufgabe wäre mir zu klein, der fühle ich mich nicht gewachsen. Einer fragte neulich, wo ich denn bleibe, und bat, uns mit Rücksicht auf die neue Zeit von dem alten Schmutz zu befreien. Ich kann nicht. Großes, Elementares muß die Kraft haben, von selber mit den Übelständen fertig zu werden und bedarf dazu nicht der Anregung und Hilfe eines Schriftstellers. Aber dieses Große, Elementare hat, da bereits sein Schein in alle Augen stach, es noch immer nicht vermocht. Was sehen wir? Das Große hat Begleiterscheinungen. Wenn die Folgen auf ihrer Höhe sein werden, dann Gnade uns! Das Große hat die Begleiterscheinungen nicht über Nacht kaputt gemacht. Daß Bomben mit Witzen abgesetzt werden und Animierkneipen ein 42-Mörser-Programm ankündigen, zeigt uns, wie konservativ und wie aktuell wir sind. Nicht das Vorkommnis, sondern die Anästhesie, die es ermöglicht und erträgt, gibt Aufschluß. Wie der uns eingefleischte Humor mit dem Übermaß des Bluts sich abfindet, wissen wir. Aber der Geist? Wie bekommt es unsern Dichtern und Denkern? Und wenn sich die Welt auf den Kopf stellt, es fällt ihr nichts besseres ein! Und wenn sich die Welt zerfleischt, es kommt kein Geist heraus! Er wird später nicht erscheinen; denn er hätte sich jetzt verbergen, durch verschwiegene Würde sich äußern müssen. Aber wir sehen rings im kulturellen Umkreis nichts als das Schauspiel, wie der Intellekt auf das Schlagwort einschnappt, wenn die Persönlichkeit nicht die Kraft hat, schweigend in sich selbst zu beruhen. Die freiwillige Kriegsdienstleistung der Dichter ist ihr Eintritt in den Journalismus. Hier steht ein Hauptmann, stehen die Herren Dehmel und Hofmannsthal, mit Anspruch auf eine Dekoration in der vordersten Front und hinter ihnen kämpft der losgelassene Dilettantismus. Noch nie vorher hat es einen so stürmischen Anschluß an die Banalität gegeben und die Aufopferung der führenden Geister ist so rapid, daß der Verdacht entsteht, sie hätten kein Selbst aufzuopfern gehabt, sondern handelten vielmehr aus der heroischen Überlegung, sich dorthin zu retten, wo es jetzt am sichersten ist: in die Phrase. Trostlos ist nur, wie die Literatur nicht ihre Zudringlichkeit fühlt und nicht die Überlegenheit des Bürgers, der in der Phrase das ihm zustehende Erlebnis findet. Zu einer fremden und vorhandenen Begeisterung Reime und noch dazu schlechte zu suchen, gegen eine Rotte eine Flotte zu stellen und von den Horden zu bestätigen, daß sie morden, ist wohl die dürftigste Leistung, die die Gesellschaft in drangvoller Zeit von ihren Geistern erwarten konnte. Das unartikulierte Geräusch, das von den feindlichen Dichtern zu uns herüberkam, bedeutet wenigstens einen Beweis für individuell gefühlte Erregung, die den Künstler auf den national begrenzten Privatmann reduziert. Es war wenigstens das Gedicht, das der Aufruhr der Tatsachen aus den Dichtern machte. Der Vorwurf des Barbarentums im Kriege war falsche Information. Aber das Barbarentum im Frieden, das in Reimbereitschaft steht, wenn's ernst wird, und das aus dem fremden Erlebnis einen Leitartikel macht, ist eine nicht wegzutilgende Schmach. Und schließlich kann sich ein Hodler, der unrecht hat, noch immer neben einem Dutzend Haeckels, die recht haben, sehen lassen. Und schließlich ist ein Wutausbruch noch immer kulturvoller als eine Enquete, die die Frage, ob man Shakespeare aufführen darf, zu dessen Gunsten zu entscheiden die Milde hat. Deutschlands größter neuzeitlicher Dichter, Detlev v. Liliencron, ein Dichter des Krieges, ein Opfer jener kulturellen Entwicklung, die vom Siege kam, hätte wohl nicht das Herz gehabt, sich an die noch rauchenden Tatsachen mit einer Meinung anzuklammern, und es bleibt abzuwarten, ob unter jenen, die das Erlebnis dieses Krieges hatten, und jenen, die als Dichter erleben können, einer erstehen wird, der Stoff und Wort zur künstlerischen Einheit bringt. Was sich zeigen wird, ist, ob aus der Quantität, zu der vom seelischen Leben keine Brücke mehr führt, weil sie gesprengt wurde, noch Organisches wachsen kann. Intelligenzen, die sich, wenn Gefahr droht, behend und bequem in den Riß ihres Wesens betten, wird's zum Schweinefüttern geben.

Vielleicht war der kleinste Krieg immer eine Handlung, die die Oberfläche gereinigt und ins Innere gewirkt hat. Wohin wirkt dieser große, der groß ist vermöge der Kräfte, gegen die der größte Krieg zu führen wäre? Ist er eine Erlösung oder nur das Ende? Oder gar nur eine Fortsetzung? – Mögen die Folgen dieser umfangreichen Angelegenheit nicht böser sein als ihre Begleitumstände, die sie nicht die Kraft hatte, von sich zu treten! Möge es nie geschehen, daß die Leere mit Berufung auf ausgestandene Strapazen sich noch breiter macht als bisher, die Faulheit eine Glorie gewinnt, die Kleinheit sich auf den welthistorischen Hintergrund beruft, und die Hand, die uns in die Tasche greift, vorher ihre Narben zeigt! Wie war es möglich, daß im Weltkrieg ein Weltblatt jubilierte? Daß ein Börseneinbrecher sich vor die Millionenschlacht stellte und in tosenden Titeln für das fünfzigjährige Bestehen seines ruchlosen Geschäfts Beachtung forderte und fand? Daß Banken im Moratorium zwar ihren Kunden nicht dienen konnten, aber jenem weit über 400 K für jede der hundert Annoncen seiner Festnummer bezahlten? Daß im Kanonendonner die Huldigung von Zeitungsausträgern gehört wurde und das Aufgebot der Gratulanten wie in einer Verlustliste der Kultur durch Wochen aufmarschierte? Wie war es möglich, daß in Tagen, wo die Phrase schon zu bluten begann, ihr letztes Leben an den Tod hingab, sie noch zum Fensterschmuck dienen konnte an einem Freudenhaus des Freisinns? Daß Fahnen von Schreibern hochgehalten wurden, wo sie schon auf dem Felde waren, und daß ein Bilanzknecht und Freibeuter der Kultur sich von einer hochgestellten Bedientenschar als »Generalstabschef des Geistes« feiern ließ? Möge die Zeit groß genug werden, daß sie nicht zur Beute werde eines Siegers, der seinen Fuß auf Geist und Wirtschaft setzt! Daß sie den Alpdruck der Gelegenheit überwinde, in der der Sieg zum Verdienst der Unbeteiligten wird, die verkehrte Ordensstreberei sich ihrer Ehren entäußert, die gerade Dummheit Fremdwörter und Speisenamen ablegt und in der Sklaven, deren letztes Ziel ihr Lebtag war, Sprachen zu »beherrschen«, fortan mit der Fähigkeit durch die Welt kommen wollen, Sprachen nicht zu beherrschen! – Was wißt ihr, die ihr im Kriege seid, vom Krieg?! Ihr kämpft ja! Ihr seid ja nicht hier geblieben! Auch denen, die für das Leben das Ideal geopfert haben, ist es einmal vergönnt, das Leben selbst zu opfern. Möge die Zeit so groß werden, daß sie an diese Opfer hinanreicht, und nie so groß, daß sie über ihr Andenken ins Leben wachse!


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