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Mit liebevollem Verständnis für die Kindesseele hat die Reichspost – selbst Herr O. K. der Arbeiter-Zeitung könnte ihr das Lob nicht vorenthalten, daß sie »kindertümlich« sei – Volkslieder des südöstlichen Niederösterreich erlauscht.
Zu den anmutigsten Blüten in diesem Liederkranze gehören zweifellos die Kinderlieder.
Proben:
»Engerln, Bengerln, sikarisa.
Riwadi, Riwadi knoll –
Witzt – wutzt
Außig 'stutzt.«
Oder:
»Rauchfangkehrer,
Suppenstierer,
Boandl-Beißer,
Hos'nz'reißer.«
Ferner:
Einmal erwachsen, übersiedelt man vom Südosten Niederösterreichs nach dem Nordwesten, tritt unter die Cherusker von Krems, und brilliert mit der Pointe des Zwischenrufs: »Jidelach!« Sehr anmutig ist auch:
»Schuasta, flick, flick,
Dei Nodl is dick.
Dei Nodl is krummb,
Da Schuasta is a Lump.«
Warum da Schuasta ein Lump ist, wird nicht gesagt. Aber auch Frauen kommt die Kindesseele des südöstlichen Niederösterreich nicht besonders zart entgegen:
Ferner das bekannte :
»Heineridi, Zigeunerich,
Wos mocht denn deine Frau?
Sie woscht si nit,
Sie kämmt si nit,
Sie is a olti – Sau.«
Der Gedankenstrich dürfte von der Reichspost stammen, die der Verblüffung eine Atempause gönnen wollte. Aber daß sie, nämlich die Frau, sich nicht wäscht und nicht kämmt, kommt ausschließlich davon, daß auch sie einst solche Kinderlieder gesungen hat. Es dürfte sich, nach dem Familienbild dieses Zigeunerich und seiner Frau zu schließen, um eine jener wilden Völkerschaften handeln, deren die Monarchie so viele vereinigt hat, die Gold für Eisen gaben und als infolgedessen die Monarchie kaputt ging, Seife, die ihnen die Amerikaner darbrachten, für Schnaps. Von nicht mehr zu überbietender Anmut jedoch ist das Lied des »Halterbua«:
»Bi bo, bi bo,
Ziach d' Kotz d' Haut o,
Häng's am Steck'n,
Loß verrecken,
Wirf's in Grob'n,
Daß alle Hund'schob'n.
Pfeiferl, geh, geh,
Sonst wirf i di in' Schnee,
Sonst wirf i di in d'Schindagrab'n,
Daß da alle Hund' und Katz'n d' Darm auszahn.«
Wenn das am grünen Holze geschieht, darf man sich nicht wundern, daß die Kinder, wenn sie einmal erwachsen sind, eine zwanglose Gruppe um den Scharfrichter Lang bei der Hinrichtung Battistis bilden.
Dem Kinderlied ist im Rahmen des Volksliedes nur noch ein Plätzchen an einzelnen Festen des Jahres gegönnt, so z. B. am Neujahrstage, an dem die Kleinen ihr Wunschlied singen dürfen:
»I wünsch, i wünsch, i woaß schon was,
Greif in den Säckel und gib ma was.«
Herangewachsen, gehn sie nach Genf und kriegen Kredite. Dementsprechend darf auch das Vergelt's Gott und überhaupt die Note der Frömmigkeit nicht fehlen. Durch die Dorfgassen ziehen die »Ministrantenbuam« und man hört den Kindervers, von dem die Reichspost immerhin zugibt, daß er »geräuschvoll« ist:
»Wir ratsch'n, wir ratsch'n zum Englischen Gruß,
Daß jeder Christ woaß, daß er bet'n muaß!«
Anders tät er's wohl nicht. Ja dies alles auf Ehr' kann die Reichspost und noch viel mehr, und verdankt die Texte einem Lehrer, einer Lehrerin und einem Pfarrer. Es ist als Volkspoesie etwa die Vorstufe der schon kunstgerechteren Formen der Gelegenheitsdichtung, die auf Abortwänden den Sinn erfreut, deren Motive aber von der Reichspost nicht gesammelt werden, wiewohl eines der seit dem Umsturz beliebtesten die Klage über den Untergang der Monarchie ist und die Sehnsucht nach deren Wiederkehr, welche oft in den drastischesten Aufforderungen an jene zum Ausdruck kommt, die die vermeintliche Schuld an der Wendung der Dinge haben. An solchen Treffpunkten der legitimistischen Gefühle erkennt man erst, daß die Bewegung doch stärker ist, als gemeinhin angenommen wird, denn was das Gemüt in Wahrheit erfüllt, kommt dann erst heraus, wenn man sich unbeobachtet weiß, der Nachkommende erwidert mit einer Sentenz oder mit einem kräftigen Reimsprüchlein, es entwickelt sich ein Zwiegespräch, aber einig sind alle darin, daß die Saujuden die Schuld haben, eine Erkenntnis, die in der Regel einer, der Lieder ohne Worte hat, mit der Zeichnung eines Geschlechtsteils oder mit einem Hakenkreuz zu besiegeln pflegt. So interessant es wäre, den Menschen dabei zu beobachten, wie er seine Notwendigkeit mit Ornament und Einfall verschönt und die Zeit des Aufenthalts, die jene erfordert, absichtlich verlängert, um noch das Überflüssige, wenngleich Künstlerische, zu verrichten, so wäre es auch folkloristisch lohnend, hier alle Wandlungen des politischen Zeitgeschmacks, alle Spiegelungen der Lebensdinge festzustellen, kurz die Menetekels volkstümlicher Erkenntnis von der Abortwand abzulesen. In keiner Kulturregion der Erde wäre die Ausbeute eine so große wie in Österreich selbst in dessen reduziertem Format, wo vielleicht jeder zweite Mensch ein Dichter ist, der sich eine solche Gelegenheit nicht entgehen läßt, da er schon in seiner Kindheit die Aufforderung, d' Kotz d' Haut ozuziach'n und sie nachher verrecken zu lassen, als Liedchen geträllert hat. Diese Dichter dürften wohl identisch mit jenen sein, die es, wie die Reichspost versichert hat, in Österreich noch gibt und die sie deshalb in den Wahltagen mit Seipel-Hymnen förmlich überschüttet haben. Hier wie dort, in allen Belangen christlich-germanischen Denkens, triumphiert der Urlaut »Rrtsch-obidraht!«, und es dürfte ganz gewiß kein anderes Land geben, wo Roheitsdelikte ein so ergiebiges Motiv der Volkspoesie sind. Doch auch kein anderes, wo der tägliche Umgang fast ausschließlich von der einen Redewendung bestritten scheint, mit der auf dem Gebiete der Nächstenliebe just das Unmögliche verlangt wird.
»A Näägaa –!«, Geh hörst'rr schau drr den schwoazen Murl an!«, »Hörst Murl, wosch di o!«, »Na woart du schwoaza Pülcher!«, »Geh ham, Schwoazer, verschandelst uns jo di ganze Stadt!«, »Do fohr oba, zur Daunau und wosch diii –!«, »Hörst, wann i di drwisch, nacher schau di an, schwoaza Kinäsa!«, »Jessas, a narrischer Indianer!«, »Aschanti vadächtigaa –!«, »Tepataa –!«, »Stinkataa –!«. Mit diesen Ausrufen des Staunens der Zivilisation über die Erscheinung eines chauffierenden Negers verfolgen die Leser der Reichspost seine Spur, und eine schöne Leserin, die sich aus der Wallung der Säfte in einen Lachkrampf rettet, fragt ihren Begleiter: »Hirst, is dr der am ganzen Kirper schwoaz?«, während ein Denker, sich die Stirn haltend, nur die Worte hervorbringt: »Ah – jetzt waß i ollas!«, ohne aber zu verraten, was er eigentlich wisse und ob er etwa die Überlegenheit der schwarzen Rasse über jene, die bei der Volkszählung paradieren kann, blitzschnell erfaßt habe. So, im Starrkrampf eines Schönpflug'schen Straßenbildes, ließ ich dieses Wien hinter dem Neger zurück. Es waren auf den Tag zehn Jahre nach dieser meiner Zeichnung, als in einem Tagesblatt die anschauliche (hier nur etwas eingerichtete) Schilderung eines Straßenerlebnisses erschien:
Servitengasse: ein herrlicher Spätsommernachmittag, überall Mittagsruhe. Plötzlich rast ein Fuhrwerk daher, am Bock zwei Kutscher, einer im Boxringkampf mit einem Neger, der andere treibt die Pferde an; da plötzlich fliegt der Neger aufs Pflaster; doch in der nächsten Sekunde ist er wieder am Wagen und der Kampf beginnt aufs neue. Nun fallen beide Kutscher über den Schwarzen her und wollen ihn vom Wagen abschütteln; der Neger hält sich verzweifelt fest. Doch jetzt – liegt er unten. Der Wagen rast davon. Der geprügelte, zerkratzte Nigger hat sich noch nicht vom Boden erhoben und schon drischt ein Mann in Lederjoppe mit einem schweren Stock auf ihn ein; gewandt wie eine Katze weicht der Neger aus und im nächsten Augenblick sitzt ein gut placierter Kinnbackenhieb. Von beiden Seiten regnet es Hiebe, der Neger scheint im Vorteil. Da plötzlich haut ein andrer Kutscher (den der liebe Gott hergeschickt haben muß) mit den Worten: »Geh' nach Afrika, schwarzer Hund!« auf ihn ein. Dieser, weder faul noch feig, nimmt nach zwei Fronten den Kampf auf. Nun stützen sich wie eine Meute noch ein paar unbeteiligte Passanten auf den Neger; und (einer hält ihn am Kragen fest) hau'n ihn windelweich; der Kutscher, bleich vor Wut, hat inzwischen eine schwere Eisenstange von seinem Wagen geholt, und wenn man ihn nicht mit aller Gewalt zurückhält, ist eine Leiche am Platze. Endlich (ein Mensch hatte inzwischen den Neger in ein Haustor gezerrt, das der eisenbewehrte Kutscher unbedingt stürmen will) erscheint der langersehnte Wachmann und die Szene endet bei der Polizei.
Ursache? Der Neger war von der Elektrischen bei der Haltestelle Porzellangasse abgestiegen, als er ganz grundlos von einem des Weges kommenden Kutscher: »Geh' aus'n Weg, schwarzer Hund!« beschimpft wird. Zur Rede gestellt, antwortet der Kutscher mit einem wohlgezielten Peitschenhieb; nun springt der Neger auf den Wagen usw. Das Publikum, das nicht weiß, worum es sich handelt, möchte den Neger fast lynchen. Ja, warum denn? warum? – weil er ein Schwarzer ist? Wir sind doch weder in Afrika, noch jenseits des großen Wassers, sondern im gemütlichen Wien!
Kein Zweifel, es ist die erwachsene Kindesseele der Reichspost, jung gewohnt, d' Kotz d' Haut ozuziach'n, wiewohl ihr diese nicht das geringste getan hat; denn früh übt sich, was ein Schinder werden will. Es ist die Tradition der Tierquäler, der Kindmarterer, die als solche vollenden, was an ihnen begonnen wurde, denn was ein Meister werden will, vergilt am Lehrling, was ihm selbst einst angetan ward. Und der im Rahmen eines Nedomansky-Bildes gehaltene Schubertfranzel der Reichspostfeuilletonistin hat, als er vom Kahlenberg die Stadt sich besehn, zwar ersucht, »die Untertöne nicht zu vergessen«, aber darunter sicherlich nicht die Schreie der gequälten Kreatur verstanden. Hätte ich die Affenliebe, die alle Welt mit allem Hiesigen verbindet, ich glaube doch, daß ich das Erlebnis des von Wienern gelynchten Negers nicht aus der Vorstellung bannen könnte.
Doch zu den Symptomen, die unfehlbar anzeigen, daß man die österreichische Grenze überschritten hat, wenn man landeinwärts reist, gehört ja der »Pumperer«, den Persönlichkeiten wie Hans Müller, die Niese und die Jeritza in der Herzgegend verspüren. Ich vergaß – bei der Gelegenheit, da ich letzthin dieser Regung des Lokalpatrioten gerecht wurde, der nur in das Ausland reist, um viel lieber doder zu bleiben – ein noch weit charakteristischeres Kennzeichen zu erwähnen, das den vollzogenen Grenzübertritt so sicher beweist wie der Stempel im Paß. Das ist das automatische Verschwinden aller beweglichen Gebrauchsgegenstände aus dem Klosett, vielleicht die einzige behördliche Vorkehrung, die in Österreich mit unbedingter Zuverlässigkeit klappt und die man der zwiefachen psychologischen Erkenntnis verdankt, daß die Ausländer derlei Komfort ohnedies kennen und die Inländer ihn mitnehmen würden. Gleichwohl ist beiden dieses Österreich ans Herz gewachsen, das zu klopfen beginnt, sobald sie die Grenze überschreiten, während ich, wie schon gesagt, eine freudige Erregung zwar an dem gleichen Punkte der Strecke, aber in der umgekehrten Fahrtrichtung verspüre, doch landeinwärts bloß vermehrten Pulsschlag bekomme bei dem Erlebnis, wie sich alle lang entbehrte Unsauberkeit, Unordnung und Sprachenverwirrung dem Heimkehrer pünktlich erfüllt, bis zur verspäteten Ankunft auf dem Westbahnhof, woselbst die Lieben schon warten, die es auf alle Taschen abgesehn haben, die etwas schlampige Organisation von Spitzbuben, die keinen Richter brauchen werden und den Prospekt einer Gegend andeuten, wo es im Ober- und Unterhalten drunter und drüber geht. Unter fühlenden Brüsten die einzige Larve, entschädige ich mich für mein nachweisbares Unbehagen nur durch das Bewußtsein, eine völlig neue Art gefunden zu haben, die Stadt, in der ich lebe, unerträglich zu finden, bei voller Anerkennung, daß Wien eine schöne Umgebung hat, in die Beethoven öfter geflüchtet ist. Gegen den Verdacht, daß ich ein »Raunzer« bin, schützt mich die Abneigung gegen sämtliche Wiener Spezialitäten. Wissend um das Geheimnis eines Landes, wo die Automaten Sonntagsruhe haben und unter der Woche nicht funktionieren, möchte ich dies Unwesen, das man nicht wie die wesenlose Luft umarmen kann, dem Umstand zuschreiben, daß der Genius des locus, an dessen Wand der monarchistische Teufel gemalt ist, die Züge jenes echten Schönpflug trägt, unter dem ich viel mehr leide als man glaubt, und daß die Reichspost Kinderlieder singt, für die mich die Tatsache, daß hier auch Schubert'sche Musik gewachsen ist, keineswegs zu entschädigen vermag. Denn wie sagt doch der Dichter:
»Engerln, Bengerln, sikarisa,
Riwadi, Riwadi, knoll –
Witzt – wutzt
Außig'stutzt«
und was jene Katze anlangt, der die Haut abzuziehen ist, so sieht kein Verstand der Verständigen, was in Einfalt ein kindlich Gemüt übet. In der Welt, die aus nichts besteht als aus Zufall und Zusammenhanglosigkeit, werden mir Plan und Zusammenhänge offenbar. Wenn ich nun so häufig von jenen, deren Dummheit bloß verstandesmäßige Konsequenzen begreift, gefragt werde, warum ich einer Gesittung, deren mit der Lüge einer ererbten Kultur aufgemachter Barbarei ich so gern den Rücken zukehre, nicht lieber entrinne, zumal wo heute der Uridil spielt, und warum ich mit dem ganzen Mangel an Heimatgefühl mich nicht in die Fremde begebe, so kann ich nur sagen, daß meine Heimat mein Schreibtisch ist und mein Bett, die aus unerforschlichen Gründen gerade an diesem Meridianpunkt aufgestellt wurden, der vielfach für einen bevorzugten gilt, und die aus technischen Gründen nicht leicht zu übertragen sind. Unaufrichtigkeit möge man bei mir nicht vermuten: gern lebe ich nicht an einem Ort, wo einerseits die Reichspost erscheint und anderseits die Neue Freie Presse und die beiderseits nach deren Ebenbilde erschaffenen Menschen wohnen.