Karl Kraus
In dieser großen Zeit – Aufsätze 1914-1925
Karl Kraus

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Die Affäre Harden

Der Abscheu könnte gar keinen Ausdruck finden, der der Ruchlosigkeit des an Maximilian Harden begangenen Verbrechens gerecht wird, der Bestialität einer völkischen Gesinnung, welche an ihm eben die Äußerungen rächt, durch die er manche der geistigen Ehre des Deutschtums zugefügte Unbill gesühnt hat, da sie die Wandlung von der schlechten zur guten Ansicht (bei beklagenswerter Beharrlichkeit der Diktion) nicht verwindet. Ich kann mich nur mit Verachtung gegen die Ehre wehren, die die publizistische Vertretung des Gezüchts von Hakenkreuzottern mir antut, indem sie gerade bei dieser Gelegenheit meinen Nachweis verbreitet, daß der Mann, gegen den eine Niedertracht verübt worden ist, ein verdrießlicher Stilist sei. Leider muß jedoch gesagt werden, daß er selbst es nicht vermieden hat, die natürliche Teilnahme durch das stilistische Moment zu verwirren und den Glücksfall, daß seine körperliche Konstitution der schurkischen Gewalttat widerstand, um eine Probe seiner stilistischen Hartnäckigkeit zu überbieten, auf die man gerade zu diesem Anlaß nicht vorbereitet war. Es kann sicherlich keinem Zweifel unterliegen, daß ihm Gräßliches zugestoßen ist und wiewohl ihn schon die bloße physische Berührung mit einem Teutonen allen Mitgefühls würdig gemacht hätte, so besteht nicht der geringste Grund, der tatsächlichen Wahrheit der Schilderungen vom Attentat und von dessen Folgen zu mißtrauen. Aber wenn in dem Maße des Entsetzens, das sich jedes gesitteten Lesers, welcher politischen Meinung und welcher Ansicht über den Betroffenen er immer sein mag, bemächtigt hat, es auch wieder beruhigend wirken mochte, daß der mit schweren Wunden Heimgebrachte schon nach so kurzer Zeit einem Interviewer Rede stehen konnte, so mußte es umso überraschender berühren, daß er über eine so allgemein menschliche Angelegenheit seine eigene Sprache wiederfand und eine szenische Haltung bewährte, deren ein so echtes Erlebnis gewiß nicht bedurft hat, um einer Wirkung sicher zu sein, die doch gar keine andere sein konnte als Mitleid mit einem Unbewehrten und zornige Verachtung für die Tücke des Wegelagerers.

Durch die Gewalt des Schlages brach ich in die Knie und fühlte Blut über mein Gesicht strömen. Dabei hatte ich das klare Gefühl, das ist nun das so oft angedrohte Attentat, hier wirst du also jetzt sterben. Offenbar schoß der Kerl nicht, um kein Geräusch zu machen. Das war mir noch ganz klar.

Und mag auch im Bereich der psychischen Möglichkeit liegen, wiewohl es fast an die Geistesgegenwart hinanreicht, es einem Vertreter des Berliner 8 Uhr-Abendblatts zu sagen. Das weitere erscheint jedoch, so glaubhaft das Grauen des Erlebnisses immer sein mag, als ein stilistisches Plus, das wohl mehr dem Macbeth angepaßt sein dürfte als der Haltung eines Zeitgenossen in einer Situation, die nach allem eher als nach heroischen Tonfällen aus der Glanzzeit des Königlichen Schauspielhauses ruft.

Deshalb schrie ich mit allem Aufgebot der Stimme: »Mörder, Schuft!«, in der Hoffnung, daß etwa aus der Nebenvilla, die dem Kommerzienrat Viktorius gehört, Hilfe kommen könne.

Wer ruft hier Mord aus? Wo ein Kommerzienrat in der Nähe ist, müßte ein einfacher Hilferuf genügt haben. Wiewohl es dann freilich schwer wäre, sich seiner als eines Details zu erinnern, das den Wissensdurst des Reporters befriedigen soll. Und dennoch leicht im Vergleich mit einer Bewußtheit, die den ganzen Hergang nicht nur parat hat, sondern gleichsam als Zeuge, ja als Mitwisser der Tat verfolgen konnte:

Inzwischen hatte sich der Mann mit beiden Füßen auf meinen linken Arm gestellt, um mich festzuhalten. Nun schlug er achtmal mit aller Gewalt mit einem Instrument, das mir ungefähr wie eine Hantel schien, über den Kopf.

Ein Blutstrom floß über mein Gesicht und färbte meine Kleider ... Der Attentäter hatte wohl mit sofortiger Bewußtlosigkeit gerechnet und lief nun, da ich weiter rief, aus Furcht weg. Er hatte keinen Laut von sich gegeben.

Ich sagte mir, daß ich verloren wäre, wenn ich hier mit diesem starken Blutverlust liegen bliebe, und schleppte mich daher bis in das Gärtchen. Der Mithelfer des Mordgesellen, Weichardt, war vorausgegangen, hatte den Weg gesichert und dem Mörder Zeichen gegeben, wie er die Tat gefahrlos begehen könnte.

Der Attentäter hat sich in der Tat verrechnet. Hier waltet eine Geistesgegenwart, eine selbst von dem Blutstrom, der übers Gesicht floß, unbehinderte Beobachtungsgabe, die das Opfer des Attentats eigentlich hätte kapabel machen müssen, es rechtzeitig zu verhindern. Man könnte einwenden, daß der Verwundete, der nicht nur Distanz zu dem eben überstandenen Entsetzen gewonnen, sondern auch während des Erlebnisses keinen Augenblick die Objektivität verloren hat, für die Fassung des Interviews nicht verantwortlich sein mag. Es ist von sämtlichen Blättern übernommen und von ihm nicht berichtigt worden, und daß er dazu auch kein Recht gehabt hätte, weil es authentisch ist, beweist nebst jenem in unserer Zeitregion ungewohnten Notschrei ein Moment sprachlicher Stilisierung, das sich geradezu vordrängt:

Ich konnte mit einer Hand nur schwache Abwehrschläge führen, da auch dieser Arm durch Zerren und Hiebe blutrünstig war – die Spuren dieses Kampfes wurden später von der Polizei vorgefunden –, rief aber weiter mit aller Energie.

Natürlicher Weise hat Harden das Wort »blutrünstig«, das hier in dem ursprünglichen, längst obsoleten Sinn (so verwundet, daß Blut rinnt) angewandt erscheint, nicht gesprochen. Denn er spricht normgemäß wie irgend ein Mensch, Patient oder Redner, also ganz anders als er schreibt. Aber gerade dieser Umstand beweist die Echtheit des Interviews, oder vielmehr der Interview, wie er korrigieren würde. Auch der Reporter hat das Wort, das er von ihm nicht gehört hat, nicht erfunden; er würde schreiben, daß der Attentäter blutrünstig war und nicht dessen Opfer. Aber es unterliegt gar keinem Zweifel, daß es ein Ausdruck ist, den Harden in der schriftlichen Schilderung seines Erlebnisses anwenden würde, und somit steht auch fest, daß er schon nach so kurzer Zeit die wenn nie zuvor, so in diesem Fall erfreuliche Regsamkeit bewiesen hat, den ihm vorgelegten Text des Interviews zu redigieren. Ich dulde weder einen Zweifel an meiner von aller Gegnerschaft unberührten Freude über seine rasche Erholung, noch an der Zuverlässigkeit meiner Aussage, daß er hier als Stilist auf die Schilderung des Attentats Einfluß genommen hat. Nachdrücklichst betone ich jedoch, daß selbst dieser Beweis von Ausdauer, so wenig er im geistigen Charakterbild des Mannes fehlen darf, nicht im mindesten geeignet ist, die Distanz, in die er sich selbst zu seinem Erlebnis gestellt hat, für den noch weiter außen stehenden Betrachter zu vergrößern, und um nichts den Respekt vor seinen Leiden verringern könnte und die Verdammung einer Schandtat, die nur ein glücklicher Zufall nicht zu einer tödlichen gemacht hat. Daß er, um ihr Opfer zu werden, Mut bewiesen hat, muß ihm sein Todfeind zugestehen, und der bin ich, wiewohl ich ihm weiß Gott nicht den Tod wünsche oder auch nur die kleinste Wunde durch einen hohenzollerischen Banditen.

Was nun den Mut betrifft, so muß ich, indem ich ihm diesen im höchsten Maße zuerkenne, ihn von einer ebenso unbegründeten wie unzeitgemäßen Glorie befreien, die ihm durch ein ziemlich verbreitetes Mißverständnis zugewachsen ist und deren er keineswegs bedurft hat. In einer Berliner Zeitschrift, deren Herausgeber gleich ihm, nur in verständlicherer Sprache, Wahrheiten über die bestialische Geistesverfassung des nachkriegerischen Deutschland findet, wenngleich er mit siegfriedhafter Beherztheit etwas gar zu sichtbar dem Hakenkreuz den Stern Davids entgegenstellt, wird Hardens Mut darin erblickt, daß er, jeden Schutz, jede Sicherung, ja selbst die Waffe eines Spazierstocks verschmähend, noch am Abend vor dem Attentat lächelnd erzählt hat, er habe die ihm von der Polizei angebotene Überwachung seiner Villa abgelehnt. Dies wird der Legende von der jüdischen Feigheit gegenübergestellt, genau so wie der von der arischen Tapferkeit das Davonlaufen nach erfolgtem Überfall auf einen sechzigjährigen Wehrlosen. Dazu ist zunächst das stärkste Bedauern auszusprechen, daß Harden durch seine Probe physischen Mutes, der ihn jeder Vorsicht spotten ließ, es dem arischen Feigling nicht nur ermöglicht hat, den Überfall zu verüben, sondern auch nachher davonzulaufen, und daß er, der den Mithelfer dem Mörder Zeichen geben sah, wie er die Tat gefahrlos begehen könnte, nicht wenigstens eine Stunde vorher die Unterstützung der Polizei, deren Pflicht es ist, sie zu verhindern, in noch vollerem Besitze seiner Wahrnehmungsfähigkeit angenommen hat. Und zu beklagen, daß die Polizei, die die Erfüllung dieser Pflicht nicht von der Zustimmung des Bedrohten abhängig machen darf, sie offenbar in der ungeheuerlichsten Weise vernachlässigt hat. Denn sie hat ihn gar nicht erst zu fragen gehabt. Die Verhinderung eines Verbrechens geschieht ganz so im öffentlichen Interesse wie dessen Verfolgung, und nicht aus Gefälligkeit für den Bedrohten. Er und die Polizei, beide Mitwisser, machen sich durch Ablehnung und Unterlassung der Mittel, es zu verhüten, zu Mitschuldigen. Was nun Harden seinem Begleiter sagte und was dieser rühmend erzählt, beruht beiderseits auf einer Auffassung von Tapferkeit, die längst auch auf dem Terrain der eigentlichen kriegerischen Auseinandersetzung antiquiert ist. Selbst der Soldat, der doch dem Gegner mit der gleichen Waffe gegenübersteht und die gleichen Fähigkeiten gegen ihn zu bewähren hat, ist nicht mehr »tapfer«, da sie ihm nicht mehr helfen und ihn die neue Waffe ja nicht gegen die Waffe schützt, sondern nur ebenso wehrlos macht gegen die des Feinds wie diesen gegen die seine. Er ist vollends nicht »tapfer«, wenn er etwa, um es zu beweisen, den Kopf aus dem Schützengraben steckt, indem er lächelnd versichert, er brauche keinen Schutz gegen das Schrapnell. Nun schützt ihn nicht einmal das Schrapnell gegen das Schrapnell, sondern eben nur, zur Not, der Schützengraben. Aber selbst wenn die kriegerische Auseinandersetzung sich noch mit dem Degen oder gar nur auf brachiale Weise abspielte, wäre es grundfalsch, die Tapferkeit, die der kräftige oder geschickte Mann zu bewähren hat, mit der des Publizisten zu vergleichen, der einer Gewalt gegenübersteht, die seinen geistigen Kampf mit einem körperlichen aufnimmt, gegen den er zwar gleichfalls mit einer körperlichen Fähigkeit bestehen könnte, welche aber eine zufällige Qualität wäre, die nicht innerhalb seines Berufes liegt. Vollends wenn er einer solchen Gewalt gegenübersteht, die sich einer Waffe bedient, gegen welche ihn keine körperliche Tüchtigkeit, ja selbst nicht die analoge Waffe zu schützen vermöchte, bleibt ihm nichts übrig, als sich rechtzeitig vor ihr zu schützen oder schützen zu lassen. Er wird im Graben bleiben müssen und wird eben dort den wahren Beweis von Tapferkeit liefern, der dem Soldaten versagt ist. Denn der Mut des Schriftstellers hat sich am Schreibtisch zu bewähren, er besteht eben und ausschließlich darin, daß die literarische Tat, deren Unterlassung durch die gefährliche Drohung erzwungen werden sollte, ihr zum Trotz, ohne Rücksicht auf sie, ja ohne Bewußtsein um sie verrichtet wird: – beim Betreten der Straße, wo seine leibliche Person in Betracht und Gefahr kommt, kann er der größte Feigling sein. Die Auffassung, die den geistigen Mut und den andern über einen Leisten schlägt, würde sich offenbar damit nicht zufrieden geben, daß ein Publizist jener schändlichsten Erpressung, die durch Bedrohung seiner leiblichen Sicherheit die Unterdrückung seiner Ansicht erzwingen will, nicht gewichen ist, sondern sie würde verlangen, daß er, wie er der Polizei abgewinkt hat, die Ausführung des Attentats zu verhindern, auch der Staatsanwaltschaft in den Arm falle, die das schon begangene Verbrechen der Erpressung zu verfolgen hat, indem er dessen wesentlichstes Merkmal bestreitet und stolz erklärt, er habe sich gar nicht in Furcht und Schrecken versetzt gefühlt. Als ob nicht eben durch diesen Heroismus der geistige Mut, der entgegen dem Terror seine Aufgabe erfüllt, gemindert wäre. Diese Auffassung will es nicht wahr haben, daß der mutigste Autor nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet ist, nach Erfüllung dieser Aufgabe feig zu sein. Ist er es nicht, so wird er immer noch töricht genug sein, wenn er im Zustand vollkommenster Wehrlosigkeit gegen eine Revolverkugel auf Vorsicht oder Bewachung verzichtet. Oder ein Poseur, der von Gefahren redet, an die er im Innersten ja doch nicht glaubt. Oder ein religiöser Fanatiker, der die Überzeugung, in Gottes Hand zu stehen, bis zum Augenblick des Gegenbeweises betätigt. Doch welcher Soldat würde darum, weil ihn wirklich Gott besser schützt als die eigene Waffe, sich der feindlichen darbieten? Gewiß hat noch keiner aus Furcht, bei einem Gasangriff für einen Feigling gehalten zu werden, die Gasmaske lächelnd abgelehnt und keiner wäre dafür als Held gefeiert worden anstatt als Selbstmörder beklagt zu werden. Er hat in Wahrheit nichts Vernünftigeres zu tun, als durch Schutzmaßregeln den Bereich einer Gefahr, der er nicht gewachsen sein kann, zu verkleinern. Gegen die Revolverkugel aber hilft kein Revolver, sondern nur das Verbleiben in einer Villa, die von der Polizei pflichtgemäß überwacht wird, und selbst gegen den Knüppel wird nur eine Begleitung, die rechtzeitig dazwischentritt, einigen Schutz gewähren. Dem Mut des Publizisten, der uneingeschüchtert von aller Drohung und aller durch sie bedingten Einschränkung der körperlichen Freiheit, seine Aufgabe erfüllt, bleibt noch immer genug Gefahrenraum, um ihn zu einem rein physischen zu machen – was jener sich etwa gegen den Einwand sagen möge, daß es nicht mehr gefährlich sei, in einem Panzerhemd Artikel zu schreiben. Aber macht es eine nervenlose Gesundheit, die Sicherheit, in einem Brachialkampf zu bestehen, die Geschicklichkeit in der Handhabung einer Waffe, kurz der Mangel an gefühlter Gefahr etwa gefährlicher? Ist eine Gefahr, die nicht zu fürchten ist, vorhanden? Man könnte sagen, daß noch weniger Mut dazu gehöre, einen Angriff zu schreiben, wenn man dessen Folgen nicht fürchtet, als wenn man keine zu fürchten hat, und daß es von echterem Heldentum zeugt, einer tätlichen Drohung, deren Erfüllung jener mit Recht fürchtet, der ihr, sei es von Natur, sei es durch die Umstände, nicht gewachsen wäre, dennoch kein geistiges Opfer zu bringen. Der Mut war bis zum Eintritt der Gefahr hinreichend bewiesen; von hier an hat er nicht darin zu bestehen, ihr körperlich zu trotzen, sondern ihr geistig nicht nachzugeben. Diesen Mut hat Harden seit seiner Bekehrung zur besseren Sache, wie ehemals gegen die Person Wilhelms, oft genug bewiesen, um nicht auch des Ruhmes zu bedürfen, daß er bereit war, seinen Kopf den Knüppelschlägen eines alldeutschen Strauchritters entgegenzuhalten. Wenn es dem Erpresser, der die geistige Freiheit einschränken will, nur mit der körperlichen gelingt, indem er den Bedrohten zu Vorsicht und Zurückgezogenheit nötigt, so hat er nichts erreicht, worauf der geistige Mensch ohne Schimpf nicht verzichten könnte. Er kann ja doch nicht allen physischen Gelegenheiten, von denen die landläufige Auffassung die Probe wahren Heldentums erwartet, auf die Dauer entgehen, aber er wäre so wenig wie durch die Drohung durch die Tat selbst einzuschüchtern, wenn diese ihm noch die Möglichkeit übrig läßt, an der Erfüllung zu wirken, die er sich vorgenommen hat. Daß er »fürchtet«, an ihr gehindert zu werden, und sich nach Menschenmöglichkeit dagegen vorsieht, ist jene leibliche Besorgnis, die nur die Partei der Sache nimmt, der sein Geist dient. Das könnte nur die heroische Forderung verkennen, die der Sache des Gewalttäters den gleichen Rang und das gleiche Recht zuerkennt. Im Kampf mit diesem zu unterliegen, hieße aber unstreitig an Wert mehr opfern, als durch Vermeidung solchen Kampfes an Ehre gewinnen. Wenn selbst im Zweikampf, wo doch zwei ideell gleichwertige und zumeist gleich große Energien einander gegenüberstehen, der Ausgang nicht die Entscheidung bedeutet, weil der Materie des Streits das Mittel widerstreitet (obschon die Ehre dem Blut verwandter ist als die Meinung), welcher Wahnwitz könnte den Menschen, der das Recht in Anspruch nimmt zu denken was andere nicht denken wollen, der Entscheidung durch körperliche und mechanische Überlegenheit aussetzen? Nur wer seine Sache für besiegt hält, wenn er dieser Entscheidung erliegt, dürfte sie auch für kompromittiert halten, wenn er sich der Entscheidung entzieht. Er wird es aber mit dem Recht des Geistes tun, der den drohenden Zufall und das Hindernis, das sich ihm in den Weg stellt, nicht als Partner seines Kampfes anerkennt, sondern ihnen ausweicht, wenn sich ihre Wirksamkeit anders nicht verhindern läßt, und sich mutig dem Spott aussetzen, der ihn für einen Feigling erklärt, weil er als Passant vor einem fallenden Dachziegel auf der Hut war. Blindem Zufall und blinder Gewalt gegenüber ist aber Vorsicht wahrlich der Tapferkeit besseres Teil. Den Unvorsichtigen mutig zu nennen verpflichtet freilich dazu, den Dachziegel für einen Feigling zu halten. Aber es wäre auch verfehlt, das Betragen der Gewalt in das Gebiet des Tapferkeitsproblems zu rücken und die Tat für ebenso feig zu erklären wie ihre Erduldung für mutig. Der Attentäter hat sich nicht geflissentlich einen physisch unzulänglichen Vertreter der gegnerischen Anschauung ausgesucht. Auch hat er, indem er davonlief, sich nicht der Vergeltung eines Gegners entzogen, den er von hinten überfallen hatte, weil er von vorn mit ihm nicht fertig geworden wäre – gegen dessen Revolver er jedoch gleichfalls wehrlos gewesen wäre – : sondern er hat entweder als Träger des verruchten Gedankens sich in Sicherheit vor einer Justiz bringen wollen, die es ihm unmöglich gemacht hätte, weitere Attentate zu begehen, oder als Instrument ganz mit Recht gefunden, daß er bloß für die Exekution der Schandtat, aber nicht für das Eingesperrtwerden bezahlt sei. »Tapfer« in dem Sinn, in dem hier der Mangel dieser Eigenschaft festgestellt wird, dürfte der Attentäter schon hinreichend sein, aber seine Tat ist ganz jenseits solcher Betrachtung schändlich. Wie der Angegriffene in der leiblichen Zurückgezogenheit vor den Gewalttätern noch immer genug »Mut« zu bewähren hätte, so erscheint auch durch die Flucht des Attentäters vor den legitimen Verfolgern noch kein Beweis für »Feigheit« erbracht. Auch er hat den ihm zustehenden Mut schon durch die Tat bewiesen, durch die er ja nicht nur die Gefahr läuft, aus der er davonläuft. Da aber der geistige Mut, der vor der Tat nicht zurückschrickt und wenn nichts anderes, so doch mindestens alle Pein der eingeschränkten Freiheit riskiert, der höhere ist, so kommt nur er hier als Kriterium in Betracht. Die Bejahung des andern, das Unternehmen, den Mut eines Schriftstellers und den eines Rowdys bloß als Quantitäten gleicher Kategorie abzuwägen, würde unweigerlich zu der Frage führen, warum jenen, dem eben nachgerühmt wird, daß er seit langem sich zur Einzelhaft der Arbeit verurteilt hat und jeden Trubel wie jede Gelegenheit, physisch sichtbar zu werden, meidet, just auf einsamen Spazierwegen der Ehrgeiz angewandelt hat, ein Held zu sein. Da es dafür keine zureichende Erklärung gibt, so bedeutet die Stellung des Tapferkeitsproblems in diesem Fall nichts anderes, als einem Mann, der, von Räubern umlauert, seinen Geldschrank offen ließ, nicht Sorglosigkeit vorzuwerfen, sondern Freigebigkeit nachzurühmen und von dem, der sich erwartetermaßen über den Geldschrank hermachte, zu sagen, er sei ein Geizhals. Und um nicht selbst für einen solchen gehalten zu werden, hat jener den Wächtern abgewinkt, die, wissend, daß der frechste Raub geplant und unabwendbar sei, sich nicht für verpflichtet gehalten haben, nun umso besser aufzupassen.


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