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Es war Anfangs Oktober im Jahre 1840, als ich am Funtensee an der Grenze des steinernen Meers zum erstenmale auf ein Murmelthier oder Mankei, wie sie im Berchtesgadenschen heißen, zu Schuß kam. Nach einer erfolglosen Gemsbirsche erfuhr ich bei der Rückkehr zur Holzhütte von dem Träger, daß er in der Nähe des Sees an einem Gehänge Mankei'n gesehen habe. »Kinnts leicht oa's schießn heunt, sagte er, weil's Wetter so fei' is, bal' Enk's Hi'hocka nit verdrießt.« Das war mir sehr lustig zu vernehmen, denn welcher Jäger wäre nicht vor Allem begierig ein Wild zu schießen, welches die Wenigsten kaum einmal gesehen haben. Ich ließ mir den Platz möglichst genau angeben, und machte mich sogleich auf den Weg. Die beschriebenen großen Steine und zerstreut herumliegenden Felsblöcke waren bald gefunden und ich sah auch ohne vieles Suchen mehrere Röhren des Baus, an einigen frisch gescharrt und Geröll und Erde herausgeworfen. Es galt also einen geeigneten Platz zu finden um die begangensten Röhren zu überschauen und Geduld im »Hi'hocka.« Während ich da und dort probirte, wie es taugen könnte, bemerkte ich eine kleine Mauer aus aufeinandergelegten Steinen gebaut und erkannte bald, daß diese als Schirm den Jägern wohl schon gedient hatte. Es waren einige Löcher zum Durchschauen angebracht und man konnte an der Seite mit der Büchse leicht und ungesehen in Anschlag kommen. So setzte ich mich an und war voller Hoffnung, da eine herrliche milde Luft (mit gutem Wind) wehte und die Sonne freundlich schien. Etwa nach einer halben Stunde zeigte sich unter dem ziemlich weiten Eingang der einen Röhre ein junges Mankei, kam heraus, setzte sich auf die Hinterbranten wie ein Hund, der aufwartet und blieb so mehrere Minuten vollkommen unbeweglich, als wäre es ein ausgestopftes Cabinetsstück. Dann aber wendete es sich, lehnte sich an einen Stein, über den es wegsehen konnte und gegen den See hinunter und fing nun an wiederholt zu pfeifen, daß der dickhaarige Bauch wackelte. Dann plötzlich mit einem Ruck war es wieder in der Röhre, kam nach einiger Zeit abermals hervor und verschwand nach einigem Pfeifen wie das erstemal. »Ja wenn's nur nicht ein so junger Grasteufel wär', dachte ich, so wollte ich gerne anzünden.« Als es aber ziemlich lange nicht mehr erschien, da beschloß ich doch wenn es wieder käme, nicht zu zaudern, denn die Jahreszeit war schon vorgerückt und waren vielleicht die letzten Tage, daß ein Mankei aus dem Baue ging, und ich wollte gar gerne einmal Mankeizähne, wenn auch nicht erster Qualität, erbeuten, um sie am Uhrgehäng zu tragen, wie man es bei Gebirgsjägern oft sieht. Es ist mit solchen Dingen nicht eigentlich wegen des Schmuckes, daß man sie haben will, sondern wegen des Erzählens, wenn Einer gelegentlich fragt was das für Zähne seyen, denn im Erzählen macht man die Jagdscenen immer wieder durch und handelt es sich um einen seltenen Fall, so bemerkt man gerne, wie die Andern begierig oder auch neidisch zuhören. Das junge Mankei kam wirklich noch einmal und nun nahm ich die Büchse fein zusammen, denn ich wußte, daß man den Kopf treffen müsse, weil das Thier wenn es nicht auf dem Fleck erlegt wird, in den Bau schlieft und dann verloren ist. Der Finger lag schon so am Dupfer, daß ich dachte jetzt müsse es knallen, als das Mankei wie der Blitz verschwand und ich fast erschrak es könne der Schuß noch losgehen. Doch glücklicherweise geschah es nicht und ich wollte eben die Büchse vom Backen nehmen, als ich mit Verwunderung den ganzen Eingang der Röhre mit Pelz sich ausfüllen sah und aus diesem wie aus einer Wildschur der graue Kopf eines alten Mankei zum Vorschein kam. Ich rührte kein Auge und athmete fast nicht. Das Mankei starrte eine zeitlang gerade auf meine Mauer, dann wendete es langsam den Kopf und sah mit grämlicher Miene nach dem Abhang hinunter. Jetzt gilt's, ich visirte so gut wie möglich und pumps! rollte der Knall in vielfachem Echo durch die Berge.
Das Pelzwerk dort sank aber langsam in sich zusammen, ich sprang hin und zog einen herrlichen Mankeibären aus der Kluft mit prächtigen Zähnen, gut für's Uhrgehäng und gut zum Erzählen. Später habe ich noch einige Mankei'n in der Nähe von Falleck, auf Tyrolergrund, geschossen, wo man's »die Kemattenbretter« heißt. Dort sind weitum die meisten und ist dieser Platz, eine Art von Kar, durch die wundervolle Kräuter-Vegetation merkwürdig, denn man befindet sich in einem wahren Hochlandsgarten, wuchernd von Enzian, Meisterwurz, Almanharnisch, Hirschwurz und wie die aromatischen Gewächse alle heißen.
Die Mankei'n sind selten anzubirschen; man sucht, wo man sie pfeifen hört, mit dem Fernrohr die Felsblöcke ab, auf denen sie sich gerne sonnen und unter welchen der Bau ist; ersieht man dann ein geeignetes Stück, so geht man ohne weiters drauf zu und jagt es in den Bau, dann setzt man sich an. Gewöhnlich nach einer Stunde, manchmal auch später kommt das Mankei wieder aus dem Bau. Das Schlimme aber ist, daß mehrere Röhren sind, und daß das Thier oft unter Ueberhängen des Felsblockes sitzen bleibt, die nicht gestatten, daß es gesehen werden kann. Drum braucht's Geduld zum »Mankeipass'n« wie die Jäger sagen.
Ein Mankei ist ein seltsames Thier, etwa anderthalb Fuß lang und wie plattgedrückt, nämlich zum Schliefen durch Klüfte gebaut, der Kopf hat Aehnlichkeit mit dem eines Hasen, welchem man die Löffel vollständig abgeschnitten hat, an den beiden Seiten der Kinnlade mit langhaarigen Pauschen und mit vier langen Nagezähnen, wovon die untern mit der Wurzel über 2 Zoll lang, die obern etwas kürzer. Diese Zähne haben bei alten Thieren eine schöne lichtgelbbraune Farbe an der Außenseite. Eine Beschreibung von 1588 v. S. Münster mag Vorstehendes ergänzen: »Es sicht gleich wie ein groß Küngelin (Kaninchen), hat aber abgeschnitten Ohren, vnd ein Schwantz d'einer spannen lang ist, lang vorder Zen, beißt vbel so es erzürnt wird, hat kurtz Schenkl, die seind under dem Banch gantz dick von Haar, gleich alß hett es Schlotterhosen angezogen, hat Beren tappen vnd lange Klauwen daran, mit denen es gar unbillich tieff in das Erdtreich grebt. So man jhm etwas zu essen gibt, nimpt es dasselbig in sein vorder Fuß wie ein Eichhörnlin, sitzt auffgericht wie ein Aff &c. Kann auch auf den zweyen hindern Füssen gehn wie ein Beer.« Bei dem Worte Aff möchte ich die Etymologen an die Aehnlichkeit des englischen monkey und unseres Mankei erinnern.
Die Mankei'n äsen feine Alpenkräuter, vorzüglich deren Wurzeln, und lieben besonders die Nelkenwurz, geum montanum, aber auch die giftige weiße Nießwurz oder den Germer (veratrum album) sollen sie benagen.Herr Sutor, Forstmeister in Berchtesgaden, dem ich manche freundliche Mittheilung über die Mankei'n verdanke, ist der Meinung, daß sie den Germer nicht äsen, aber abbeißen, um das ergiebige und gut fortzubringende Kraut zum Einheuen zu benützen. Sie bewohnen Baue unter Felsblöcken und können nicht leicht gegraben werden. Wo solches möglich ist, geschieht es im Spätherbst, wo sie schlafen, denn wenn sie wachen, wird behauptet, graben sie sich so schnell weiter, daß man mit der Arbeit nicht nachkommen kann.
Je nach sich einstellender Kälte verlassen sie gegen die zweite Hälfte des Oktobers den Bau nicht mehr und halten den Winterschlaf, welcher in der Regel bis Mitte Mai dauert. Dann kommen sie hervor, gehen aber wieder zurück, wenn der Schnee noch nicht weggeschmolzen ist und dann erliegen manche dem Hunger und der Ermattung. In Tyrol besteht die Sage, daß die schlafenden Murmelthiere in der Christnacht um die zwölfte Stunde erwachen, einen freudigen Pfiff thun und dann wieder fortschlafen. Noch 1840 prüfte der Alpenhirte Johann Wolf mit mehreren Murmelthieren, die er in einem Keller verwahrt hatte, diese Sage, nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Thiere in festem Schlaf lagen. Er will ihre Pfiffe punkt 12 Uhr gehört haben und dann lagen sie wieder wie todt.Alpenburg's Mythen und Sagen Tyrols.
In der Schlafzeit sinkt die Temperatur des Thieres bis auf 5° und sie athmen in einer Stunde nur etwa fünfzehnmal, der Puls ist kaum bemerkbar. Sie liegen dann zusammengerollt, wie eine Kugel und sind fast gefühllos, so daß man sie wie eine Kegelkugel rollen kann, ohne daß sie erwachen; sie sollen sogar nur schwache Zuckungen machen, wenn sie im tiefen Schlaf anatomirt werden.Scheitlin. Thierseelenkunde. Im Winter können sie daher in Heu gepackt leicht versendet werden. Im Zimmer bleiben sie in gewöhnlicher Temperatur fast immer wach und werden bekanntlich sehr zahm.
Um sich für ihren langen Schlaf gut zu betten, sammeln sie Gras und Kräuter und schleppen sie in den Bau, was man das Einheuen nennt, dabei helfen sich die zu einem Bau gehörigen einander in der Art, daß einige sich zum Sammeln weiter entfernen, andere näher beim Bau bleiben und diese dann den ferne herkommenden die Grasbüschel abnehmen und in den Bau tragen oder es nimmt noch ein drittes dem zweiten die Last ab und trägt sie in die unterirdische Schlafkammer.Dieses Einheuen wird oft (und schon bei Plinius) in der Art erzählt, daß sich ein Murmelthier auf den Rücken lege, wie ein Wagen mit Heu beladen und so von seinen Hausgenossen an der Ruthe (Schwanz) in den Bau schleppen lasse. Wenn sie schlafen, liegen sie dann zu 3, 5 oder 7 Stück gedrängt aneinander.
Außerhalb des Baues sind sie sehr scheu und kennen ihre Hauptfeinde die Adler gar gut; wo ein solcher erblickt wird, flüchtet alles in das Felsenhaus. Sie können sehr laut pfeifen, fast wie wenn einer auf dem Finger pfeift und stoßen meistens drei solche kurze Pfiffe aus, wenn sie Gefahr wittern, aber auch aus andern Ursachen und wie es scheint rufen sie auch damit einander zu. Nach Tschudi geschieht das Pfeifen durch die Nase. Er gibt an, daß nur junge Thiere pfeifen; ich kann aber aus eigener Erfahrung versichern, daß es ebenso bei Alten der Fall ist, wenn sie vielleicht auch nicht so häufig den Pfiff hören lassen, wie die Jungen. Ein »Kläffen« statt des Pfeifens ist bei uns an diesen Thieren nicht bekannt.
Die Schußzeit der Mankei'n ist der September und Anfangs Oktober, am besten auf Michaelis. Man schießt vorzugsweise die Männchen, welche Bären heißen, die Weibchen nennt man Katzen oder auch Mütterinnen (so in Berchtesgaden). Die letzteren unterscheiden sich bei den alten Thieren vorzüglich dadurch, daß sie auf dem Bauch sehr dünn behaart sind, während die Bären stark behaart sind. Das Häutl oder Schwartl (man sagt nicht Balg) ist von geringem Werth und gilt höchstens 24 Kreuzer, obwohl es gar kein schlechtes Rauchwerk ist und eine schöne braungraue, auf der Bauchseite braungelbliche Farbe hat. Die Hauptsache am Thier ist das Fett (Schmalz), welches sehr wohlthätig gegen Glieder- und Gelenkleiden wirkt. In der Schweiz hält man es auch für Kolik und Keuchhusten heilsam.
Ein altes Mankei hat in der guten Zeit 2–3 Pfund Schmalz, wofür 2 fl. 42 kr. bezahlt werden und auch mehr.Das Schmalz wird zu / Maß verkauft, das / nie unter 15 kr., manchmal aber bis 20 kr. Eine Maß Mankeischmalz wiegt 2 Pfund. Das ganze Thier wird zu 3–4 fl. verkauft.
Das Fleisch oder Wildpret wird gegessen und schmeckt besonders von jungen Thieren ganz gut. Nach altem Brauch gehört das Mankei dem Jäger der es schießt. Man sorgt übrigens nur für den Bedarf an Mankeischmalz und läßt wenn man damit versehen, die Thiere in Ruhe. Im Berchtesgadenschen werden jährlich nicht über 6–8 Stück geschossen, obwohl sie keineswegs selten sind und den ganzen Kranz von Bergen bewohnen, welcher den Bartholomä- oder Königssee und den Obersee einschließt. Auch in den Bergen der Ramsau, auf der Hochalpe, am Blaueis, Steinberg &c. kommen sie vor, fast überall an der Grenze der Baumvegetation.
Außer dem Berchtesgadner Gebiet finden sich in Bayern keine Mankei'n mehr bis jenseits des Lechs in den Immenstadter Gebirgen, in den Revieren Burgberg, Fischen u. a. Besonders in den Bergen um Hindelang gibt es deren viele und können auf der Blettelealp und Wengenalp 200–300 Stück angenommen werden. Nach einer Beschreibung von Salzburg von 1703 war damals in Hellbrunn auch ein Mankeipark, worin sich gegen 100 Mankei'n befunden und ihre Baue gehabt haben sollen.
Wer die Einsamkeit zu durchwandern hat, wo nichts mehr zu sehen, als öde Felskuppen und Steinfelder, der hört wohl gerne einen frischen Mankeipfiff und wer in solcher Scenerie diese Thiere in dunklem Geklüfte sitzen oder einen Block ersteigen sieht, der kann sich ohne viel Phantasie ein Untersberger-Mannl mit einer zottigen Kutte draus machen und beruht vielleicht die bekannte Sage von diesen Mannln ursprünglich auf dergleichen Vorstellungen, denn früher hat es auch im Untersberg Mankei'n gegeben, gegenwärtig aber kommen sie da meines Wissens nicht mehr vor.
Im Allgäu und in Tyrol nennt man die Murmelthiere »Murmentl« und unter diesem Namen werden sie schon im Weißkunig erwähnt.
Kaiser Maximilian ließ sie hegen: »hirsche, Stainpock, Gembsen, Wiltswein, Murmentln, Hasen und ander wiltpret.« Es ist auch wahrscheinlich, daß sie an der Hoftafel gespeist wurden, denn in einem betreffenden Gedenkbuch von 1505 wird als Vorschrift für die Küche angegeben: »die Murmentln uberland zufueren solle man die heut (Häute) undersich legen vnd das wilpret ubersich, so bleibt das wilpret frisch.« In einem Tyroler Landreim von 1558 werden auch »die faysten Murmentl im Etzthal« hervorgehoben. Auch »Urmenten« (von Mure montana der Tessiner) kommt vor.
Die Hegezeit für die Murmelthiere ist bei uns vom 31. Oktober bis 15. August festgesetzt.