Franz von Kobell
Wildanger
Franz von Kobell

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Es versteht sich nach dem Gesagten von selbst, daß man schwindelfrei seyn müsse, um fortzukommen, gleichwohl kann sich unter Umständen eine Anwandlung von Schwindel einstellen. Ich habe wohl ein paar hundert Gemsjagden mitgemacht, wo zuweilen auch Situationen vorkamen, die ich gerade nicht noch einmal erleben möchte, und ich kann mich nicht erinnern, während des Steigens oder Gehens an Gehängen schwindlich geworden zu seyn, dagegen geschah mir dieses einigemal bei stundenlangem Sitzen an einer gefährlichen Stelle und bei dem fortgesetzten Hinunterschauen. Dann hilft ein Schluck Rum, CognakNach einer Tyroler-Sage ist einer vor Schwindel und jähem Abstürzen sicher, wenn er einen Türkis in einem Ring am Finger trägt. – Alpenburg. oder dergleichen, aber es hilft auch der Anblick der nahenden Gemsen, denn ich erinnere mich einer solchen Anwandlung, da mein Stand bei einem Treiben auf einem Keil zwischen steilen Gräben war, wo kaum Platz genug zum Sitzen. Nachdem ich fast drei Stunden da gesessen und den Schwindel fühlte, wollte ich einen andern Stand nehmen, als plötzlich fünf Gemsen in den Graben hereinsprangen. Da war aller Schwindel weg, ich schoß einen guten Bock und wohlgemuth sah ich ihm nach als er stürzte und im Graben hinunterkugelte.

Man muß sich natürlich nicht vorstellen, daß Gemsen und Jäger immer an Gehängen herumzukrabbeln haben wie die Fliegen an der Wand, die Oertlichkeit ist oft so günstig, daß man ohne besondere Kunst und Mühe seine Beute erringt und besonders beim Treiben, wenn z. B. die Wechsel über einen Alpweg gehen oder durch einen Waldgrund oder durch die Thalsohle selbst und es giebt kaum eine andere Jagd, wo diese Verhältnisse mannigfaltiger und wechselnder wären.

Wer übrigens nicht auswählen will, darf nicht ängstlicher Natur seyn, und es ist eine Seltenheit, daß Damen, deren so viele sich am Waidwerk betheiligten, die Gemsjagd kennen gelernt haben. Das war der Fall bei der Fürstin Leopoldine von Löwenstein-Werthheim, der Frau des allen bayerischen Jägern wohl bekannten im Jahr 1844 verstorbenen Fürsten Löwenstein. Ich hatte oft das Glück, mit der edlen Dame zu jagen, die sich nicht nur bei der Treibjagd auf Gemsen betheiligte, sondern auch birschen ging und als eine treffliche Schützin bekannt war. Noch heißt ein Stand im Langeck bei Kreut nach ihr »der Stand der Fürstin.«

Einen guten Bock auf der Birsche zu schießen, hat immerhin seine Schwierigkeiten, die einmal ein alter Jäger in folgender naiver Weise explicirte:

»Für's erschti (sagte er): muaß a' Bock dasey(n'), denn ma' moat' gar oft es is oana da, d'erwei' is aber koana da. Dees g'schicht, wann d'an' Bock ebba g'segn hast wo er durchwechselt, wo er aber nit sein Stand hat.

Für's zwoati, wenn oana da is, muaß's aa' oana sey(n'), denn es hoaßt leicht a' Bock, bal' er aber daliegt is's a' Goas.

Für's dritt' muaß der Bock an an' Platz sey(n') wo'r er zun a'birschn is und wo er oan' nit sicht.

Zum vierten muaß er auf an' Platz sey(n') daß er ihm nit z' Lumpen d'erfallt bals' d' 'n abaschießst, oder daß er nit in a' Loch einikuglt, wo d' 'n nit' rausbringa ko'st, denn sunst bideut 's Schieß'n nix.

Zu'n fünftn brauchts an' guatn gleich'n Wind und deßtwegn a' fei's Wetter.

Zu'n sechst'n mußt d' 'n treffa und zu'n siebetn muaßt d' 'n guat treffa, daß d' 'n kriegst aa' und daß er dir nit in a' Wand eini steigt, wo d' nit nachiko'st. A so is's!

Das ist Alles sehr wahr und richtig, glücklicherweise sind aber die günstigen Verhältnisse doch nicht gar zu selten, und wie der Zufall manche Birsche verdirbt, so begünstigter auch wieder manche. Besonders die Jäger kommen bei den vielen Gängen die sie machen oft zum Schusse, wo sie gar nicht dran denken. Der systematische Gang solcher Birschen ist mitunter ziemlich weitläufig; da muß man am frühen Morgen von einem geeigneten Platze aus das Einziehen der Gemsen beobachten und sehen, wo der Bock sich niederthut, welches gewöhnlich unter einer Wand auf einem Felsenvorsprung geschieht, wo er eine schöne Aussicht hat. Wenn man nun weiß, wo er sich niedergethan, hat man sich vom Beobachtungsplatz möglichst ungesehen wegzubirschen und zu warten, bis die Sonne hoch genug steht, daß der Wind aufwärts zieht, dann steigt man über den Bock, oft auf weitem Wege, und rutscht auf dem Bauch an die Wand, unter der er sich niedergethan hat, vorsichtig und die Büchse schußfertig hinaus und schießt so liegend hinunter. Nun geschieht es aber nicht selten, daß man den in der Ruhe befindlichen Bock, ob man gleich an der rechten Wand ist, von oben nicht sehen kann, z. B. wenn die Wand etwas überhängig, eine hinderliche Laatsche vorhanden &c.; dann hat man zu warten, bis der Bock zum Aesen freiwillig wieder aufsteht, wenn indessen der Wind nicht zum Wechseln kommt, oder man wirft einige Steinchen hinunter, um das Aufstehen zu veranlassen und mancher beschwerliche Gang wird trotz aller Vorsicht umsonst gemacht.

Ein Gems in der Ruhe sieht selten aufwärts, sondern meistens nur nach abwärts und nach der Seite.

Wo mehrere beisammen in der Ruhe sind, kann man einzelne beobachten, welche behaglich auf der Seite liegend alle Viere von sich strecken.

Ist man von einem Gemsbock beim Anbirschen einmal gesehen worden, so ist die Birsche meistens vergeblich. So lange er den noch fernen Jäger erblickt, bleibt er unbeweglich stehen, ist ihm dieser aber verschwunden, so wechselt er sogleich weiter. Sind zwei Jäger zusammen, so gelingt es manchmal den beobachtenden Bock zu täuschen, indem der eine sich fortwährend sehen läßt, ohne sich zu nähern, während der andere sich ungesehen anbirscht. Einem Jäger von Fischbachau gelang eine solche Birsche dadurch, daß er vor dem auf ihn niederschauenden Bock das Hemd auszog und an seinem Bergstock aufhing. Dann schlich er sich ungesehen weg und stieg auf weitem Umweg zum Bock hinauf. Als er ankam starrte dieser immer noch nach dem Signal hinunter und der Jäger schoß ihn ohne Schwierigkeit.

Je nach dem Wildstand werden nur starke Böcke oder auch Gaisen und geringe Gemsen geschossen. Das Erkennen des Bocks ist mitunter schwer, wenn man aber Zeit zum Beobachten hat und ein gutes Fernrohr zu Hülfe nimmt, dann hat es keinen Anstand, an den stärkeren Krickeln und den mehr eingebogenen Enden unterscheidet man den Bock ziemlich leicht von der Gais und um so leichter, wenn es ein starker Bock ist. Kommt man nahe genug, so erkennt man wohl auch den Pinsel, der in wenigen langen Haaren besteht. Beim Treiben ist es schwerer und soll nur ein Bock geschossen werden, so kann man als Regel annehmen, ein einzeln kommendes starkes Gems immer zu schießen, wenn man an demselben nicht die dünnen und weniger eingebogenen Krickeln der Gais deutlich erkennt, denn im schlimmsten Falle schießt man dann eine GaltgaisGalt, d. i. unfruchtbar, soll vom altdeutschen Gall, Galet, Gallgett abstammen, welches das nämliche bedeutet. Wachter Glossar. german. 56. um die nicht viel schade ist. Kommt aber ein Rudel, so muß man die letzten nach dem dickern und kürzern Hals und der mehr gedrungenen Figur, die auch den Bock kennzeichnet, mustern, und gehört ein geübtes Auge dazu, sich nicht zu täuschen.

Man muß mit dem Schuß nicht eilen, und wenn die Gemsen flüchtig sind überhaupt nur schießen, wenn weiter keine Aussicht bleibt sie zu bekommen, denn dann sind sie wegen des unregelmäßigen Sprunges sehr leicht gefehlt, außerdem aber ist der Augenblick zu benützen, wo sie stutzen (hoffen heißt man es bei uns), und das geschieht öfters und kann auch durch Anpfeifen oder durch einen kurzen Ruf bewerkstelliget werden. Wenn man mit ihrer Art und Wesen bekannt ist und den Platz wohl angeschauet hat, so läßt sich fast mit Gewißheit bestimmen, wo sie hoffen werden, so zwar, daß man während sie kommen, die Büchse gleich auf einen solchen Platz richten, gut zusammenschauen und sie erwarten kann.In Betreff der Entfernung, besonders über einen Graben hinüber, kann man sich sehr täuschen und manches Gems wird deßhalb gefehlt. Als Regel gilt, daß es zum Schießen zu weit ist, wenn man die Krickeln nicht mehr sieht. Am besten ist es beim Zielen, die Größe des Thieres gegen das Absehen oder Korn der Büchse zu taxiren, ob das Thier vom Korn zugedeckt wird oder nicht &c. Man muß dazu das Korn gelegenheitlich mit einer geschossenen Gemse in verschiedenen Distanzen prüfen. Der beste Schuß ist freilich ein Blattschuß, es kommen aber oft Waidwundschüsse vor. Ein so angeschossenes Gems thut sich bald nieder, wird es aber angegangen oder der Hund drauf gelassen, so geht es fort und steigt meistens in eine Wand ein, wo der Hund nicht folgen kann, der es dann außerhalb verbellt. Man birscht sich an und schießt es aus der Wand herunter. Im schärferen Gebirg kann man wegen des Abfallens keinen Hund gebrauchen, die Rothfährte findet man gewöhnlich leicht auf den grauen Steinen, zuweilen aber ist es für den Jäger unmöglich an den Platz vorzudringen, wo das angeschossene Gems steht und es muß verlassen werden und geht verloren.

Wie sie sich in solchen Fällen an den Felsen halten können ist oft unglaublich, ich habe ein eingestiegenes Gems an die Wand sich schmiegen gesehen, an der es nur mit einem Vorder- und einem Hinterlauf Halt hatte, die beiden anderen Läufe hingen in der Luft.

Auch ist, wie oft man es gesehen haben mag, immer zu staunen, wie sie in ganz steilen Wänden, wo nur ein Wechsel, den sie selber mit einer gewissen Vorsicht annehmen, beim fallenden Schuß durcheinander rumpeln ohne daß eines ungetroffen herunterstürzt. Es reicht eben eine hervorragende Stelle von einem Zoll Größe hin um ihnen fortzuhelfen, wobei sie oft mit gewaltigen Sprüngen über ganz unhaltbare Stellen wegsetzen und doch gleich wieder anhalten können. Unter Umständen vertragen sie auch ein Abstürzen, daß man es gesehen haben muß, um es für möglich zu halten. So schoß ich einmal einen Jährling von einer steilen bei 50 Fuß hohen Wand. Er fiel, sich überschlagend unten auf eine schiefe steinige Fläche, da lag er einige Minuten, stand dann auf, zog anfangs langsam weiter und, ins Treiben kommend, ging er flüchtig und war nicht mehr zu Schuß zu bringen. Wahrscheinlich war er hohl durchgeschossen. Dergleichen ist mehrmals beobachtet worden.

Wenn ein Gems nach dem Schusse pfeift, so ist das noch kein Zeichen, daß es nicht getroffen wurde, ebensowenig als beim Reh das Schallen nach dem Schuß oder bei einem Brunfthirsch das Schreien. Ich habe dieses auffallend an einem starken Bock beobachtet, welchen ich kurz am Blatt und etwas schief getroffen hatte, so daß noch die Leber berührt war. Der Bock that sich bald nieder und pfiff, als er beim Nachsuchen aufgegangen wurde, und so geschah es mehrmals, denn es war zufällig nicht möglich einen Schuß anzubringen. Erst als er nach einem Verfolgen von zwei Stunden ziemlich krank wurde, pfiff er bei weiterem Aufstehen nicht mehr und fing ihn dann ein Hund ohne Schwierigkeit in einem Wassergraben.

Die starken Böcke sondern sich gern vom Rudel und kommen ihrer oft zwei miteinander, auch einzelnweise habe ich einmal in den Scharf-Laanen in der Riß drei auf demselben Stand geschossen. Hat man nicht acht zu geben, ob Bock oder Gais, so kann man in guten Jagdbögen öfters drei, vier und mehr Stück erlegen, wenn man auch nur mit einer Doppelbüchse versehen. König Maximilian, welchem mehrere dergleichen zu Gebote stehen, hat einigemal zehn und zwölf Stück erlegt.

Die Art, wie die Gemsen beim Treiben kommen, ist sehr verschieden und bietet tausenderlei Bilder dar, denn die Gehänge, Gräben und Schluchten wechseln auf's vielartigste. Je nachdem sie nur den entfernten Lärm der Treiber hören und ihr Standort nicht zu tief im Bogen, steigen sie oft ganz vertraut auf eine hohe Kuppe und bleiben da, nach dem Treiben sich öfters hinwendend, wohl eine halbe Stunde und länger, ehe sie weiter vorwärts gehen; kommt ihnen aber ein Treiber plötzlich zu Gesicht, so springen sie oft mit unglaublicher Geschwindigkeit einen Hang herunter und verschwinden in den Gräben, um dann an einer Scharte des Grats wieder zu erscheinen. In scharfen Wänden nimmt das Rudel, wenn nicht dreingeschossen wird, fast immer denselben Weg, über eine Kluft springt eins wie das andere, und manchmal geht es zickzack herunter ohne Aufhalten. In den Laatschen stecken sie sich gerne und es ist kaum zu begreifen, wie schnell sie durch deren widerstrebende und wirr sich deckende Stämme und Aeste fortkommen können. Wenn der Wind gut ist sind sie in der Regel leicht vorwärts zu treiben und ist dabei die Hauptsache, daß sie den Treiber sehen, denn abgelassene Steine sprengen sie wohl auch, wenn sie nahe niederrasseln, außerdem aber kümmern sie sich nicht viel drum. Sie wissen auch recht wohl, ob ihnen die Steine etwas anhaben können oder nicht, und deckt sie ein Felsenvorsprung, so bleiben sie trotz alles Steinregens der drüber heruntergeht, ganz ruhig stehen. Wenn daher Nebel liegt, ist mit der Gemsjagd nur dann etwas auszurichten, wenn der Treiber sehr viele sind und diese ziemlich geschlossen fortkommen können. Die Felsgründe bieten mancherlei enge Schluchten und Kamine, welche die Gemsen gern annehmen. Wenn sie in solchen ansteigen und der Schütze oben, sind sie leicht zu schießen. Es gibt Wechsel, wo die Rudel kommen und andere, wo nur ein guter Bock kommt. Man kann je nach den Umständen darüber eben so sicher seyn, als über einen guten Fuchsriegel. Die alten Böcke sind übrigens sehr schlau, und ich habe manchen in einem Graben hinaufsteigen sehen, während ein Treiber in einem ganz nahe daran gelegenen mit lautem Rufen und Pfeifen herunterstieg. Nicht selten stecken sich die Gemsen so, daß sie erst unmittelbar vor den Treibern kommen. Ist der Wind schlecht, so bringt sie nichts vorwärts. Ein Jäger sagte einmal darüber: »sie hätt'n mit Gwalt nit vüri (vorwärts) kinna und wan s' hundertmal mög'n hätt'n.«

Wenn ein Rudel naht, so kann man nicht selten mit Vergnügen beobachten, daß die Gemsen ein ziemlich leichtsinniges Volk sind, denn der Haupttrupp überläßt die Sorgen der anführenden Kitzgais, und wenn diese anhält um zu speculiren und zu studiren, was zu thun, so stoßen und raufen sich oft die andern, es wäre denn, daß ihnen das Treiben gar zu nahe gekommen.

Je wilder die Gegend, desto schöner ist diese Jagd. In den hohen Regionen von Berchtesgaden, am Funtnsee, Simmetsberg &c. ist es wild und einsam genug, daß es zuweilen den Schein hat, als hätten manche Vögel, denen man begegnet, noch keinen Menschen gesehen; mit offenbarer Neugierde umfliegen sie den auf dem Stand lauernden Schützen, und den herrlichen Karminspecht hätte ich manchmal mit einem Schmetterlingsnetz leicht fangen können; die hell kreischenden Steindohlen mit den rothen Ständern hassen sogar zuweilen auf das fremde Menschenwesen und ohne Scheu ließen sich einmal mehrere nicht zehn Schritt von mir auf einen geschossenen Gemsbock nieder und begannen ihm nach den Lichtern zu hacken. Nur der Adler weiß schnell, was es mit Jägern für eine Bewandniß hat, und ist aus nähere Bekanntschaft nicht neugierig.Auch die großen Aasraben erkennen den Jäger, und immer hört man ihren weitrauschenden Flügelschlag, wenn sie eine Jagd bemerken. Dabei gewährt es einen eigenthümlichen Reiz, Stellen zu betreten, von denen man wohl sagen kann, daß sie vorher nie ein menschlicher Fuß berührt, worüber schon Byron geschwärmt hat, wenn er in Harold's Pilgerfahrt sagt:To sit on rocks, to muse o'er flood and fell etc. II. 25.

    Sinnend am Waldstrom ruh'n, auf Stein und Klippen
Bei Wesen, die nach Herberg nicht verlangen,
    In Wäldern streifen, Oeden und Gestrüppen,
Wo selten oder nie ein Fuß gegangen;
    Allein auf Höh'n, wohin nie Stege drangen,
Bei wilden Heerden, die kein Hirt darf hegen,In anderer Weise schwärmte Schrank, wo er von den Berchtesgadner Bergen spricht: »Ich stellte mir in Gedanken schon die Jahrhunderte vor, in welchen diese jetzt rauhen Berge bis an ihre, freilich beträchtlich erniedrigten, Gipfel bewohnt sein würden, sah da goldene Felder, wo ich jetzt kümmerlich einige Alpenpflanzen zwischen den Steinen herausgrub, sah da Kaninchenwohnungen, wo jetzt die Murmelthiere sich Löcher gegraben hatten.« (Naturhistorische Briefe, I. 270.)
    Beim Wassersturz wo Felsen niederhangen:
Das heißt nicht einsam sein, nein Zwiesprach pflegen
    Mit Reizen der Natur, enthüllt seh'n ihren Segen.

Wenn man nun an einem solchen Platz oft mehrere Stunden in mancherlei Betrachtungen weilt und wird plötzlich durch das Klingen und Sausen fallender Steine aufgeschreckt, und es steigt ein starker Bock »schwarz wie der Teufel« herein über ein Eck und kommt am Gewänd herunter immer näher und näher, wär's ein Wunder, wenn einen da das Jagdfieber befiele und es befällt wohl einen jungen Schützen, daß ihm die Zähne klappern. Gehts aber gut und bricht der Schuß am rechten Fleck und der Bock stürzt durch Gestein und Alpenrosen in den Graben, während die Echo wiederhallen von Berg zu Berg – was soll ich's schreiben, wie einem da ist! Nennt es einen materiellen Genuß, einen bedauerlichen, grausamen, nennt es wie ihr wollt, ihr Jagdbekrittler, wir andern rufen freudig: es lebe das Waidwerk!

Der wilde Ort muß auch einen passenden Namen führen, ich wenigstens jagte viel lieber, wenn es hieß »in der schwarzen Wand, in der Teufelskuchl, auf der dürren Mähr', Schreck, Todtengräben« oder dergleichen, als wenn der Name des Reviers oder Bogens »Rührkübl« oder »Speibnkäs« war, wie zwei übrigens sehr gute Plätze heißen, der eine in Bayrischzell, der andere in der Riß.

Es gehören ferner zur Leitung einer Gemsjagd Jäger, die im Gebirg gewachsen sind, stark, keck und leichten Sinns, die nicht gleich scheu zurückweichen, wenn einmal ein schwarzes Felsenloch unheimlich den Rachen gegen sie aufreißt und welche die mancherlei oft verwickelten Feldzugsplane, die besonders beim Birschen vorkommen, gehörig zu entwerfen und auszuführen verstehen. Man sieht auch an solchen lieber die kurze Lederhose und die braunen nackten Kniee als ein modisches Pantalon und man hört gar gern den markigen Volksdialekt von ihnen, während das Barometer der Hoffnung gewaltig sinkt, wenn einem durch Zufall etwa aus der Forstkanzlei ein hochdeutsches Individuum als Birschbegleiter zugetheilt wird. Ich muß da gestehen, daß es mir was man sagt etwas gegen den Mann geht, wenn ich Gemse schreiben muß, denn es heißt Gambs bei den Jägern soweit im deutschen Land dieses Wild bekannt ist.

An dem rechten Jäger hat alles eine gewisse waidmännische Originalität. Er gebraucht das Wort anbirschen in Anwendung auf eine schöne Gesellin wie draußen auf ein Schmalthier, er sagt von einem der nicht mehr recht beim Zeug, »er setzt z'ruck, geht ei,« wie beim Hirsch u. dergl. Ich hörte einmal eine vornehme Dame einen Jäger fragen, um welche Zeit es Tag werde, weil eine Bergpartie projektirt war. »Exllenz,« sagte der Jäger, »um sexi (6 Uhr) ko' ma' mit der Bix no nit schiessn.« Danach konnte sie den Grad der Dunkelheit berechnen.

Gute Gebirgsjäger haben einen außerordentlich geübten Blick auf die Gemsen und es sind diese, auch in den kahlsten Wänden, nicht immer so leicht zu sehen, als man meinen möchte. Man bekommt erst einen rechten Begriff von der Größe der Bergmassen, wenn man die Gemsen dran wie winzige Punkte erblickt, während man vorher eine ganz andere Vorstellung hatte. Im Sommer, wo sie die eigenthümlich gelbe Farbe haben, erkennt man sie noch leichter, im Spätherbst aber wo sie schwarz sind, ist es schwer sie vom Gestein, seinen Schatten und dunkeln Rissen zu unterscheiden. Obgleich die Gemsen einen Jäger, der sich ruhig hält, nicht erkennen, wenn er einigermaßen gut angezogen ist und natürlich guten Wind hat, so erkennen sie ihn bei der geringsten Bewegung auf sehr große Entfernung. Ein Hirsch oder ein Stück Wild, wenn sie ziemlich nahe gekommen und den Schützen erblicken, erkennen ihn gewöhnlich sogleich, eine Gemse aber nicht, und so sind sie mir oft auf ein paar Schritte hergezogen, obwohl ich ohne Schirm ganz frei dasaß.

Das frische Leben eines Bergjägers bringt es mit sich, daß er meist aufgelegt und guter Dinge ist und der Schalk steckt ebenso drinn wie bei den Jägern des Flachlands. An Ausreden fehlt's auch nicht, wenn etwa nichts zusammengeht. Jagt man die Sonnseite, so heißt's, den Gemsen sey's da zu warm, sie stehen auf der Schattseite; jagt man die Schattseite, so heißt's es sey ihnen da zu kalt, sie stehen auf der Sonnseite; jagt man hoch oben, so heißt's, die Gemsen stehen bei solchem Wetter lieber unten im Holz; jagt man unten, so heißt's die Gemsen sind (bei dem nämlichen Wetter) »ganz bei der Höch« &c. Ein Neuling wird oft hitzig gemacht. So erinnere ich mich gelegenheitlich einer Hirschjagd in Tegernsee, wo ein Jäger die Schützen anstellte, daß ein fremder Schütze, dem sein Plätz bezeichnet wurde, fragte, was geschossen werden dürfe. Der Jäger sagte: »Es werd a' jagdbarer Hirsch g'schoßn, der achti oder mehra aufhat; kimmt Ihna aber a' Sechser, der achti verdient, so schiessn S'n; kimmt a' galts Stuck, nieder damit! kimmt a' Schmalthierl, dees schiessn S'; kimmt a' Gambsbock, den laßn S' nit aus; kimmt a' Rechbock, nieder damit! ebber a' Fuchs, nach Ihnern Beliebn, is a' Raubthier« – und beim Weggehen wendete er sich noch einmal und sagte: »Gebn S' Acht, 'kunnt' an' Auerho' aa' daherreitn.« Die Augen des Schützen wurden bei dieser Aufzählung immer größer und die Aufregung eine gewaltige, aber – »kemma is ihm nix.«

In der Brunftzeit, die im November beginnt, sind an gewissen Plätzen die Böcke leicht zu schießen, wenn man Geduld genug hat auf dem geeigneten Wechsel anzusitzen, denn dann geht der Handel den ganzen Tag hin und her, auch sind sie auf folgende Art zu täuschen und herbeizulocken. Man zieht eine weiße Schlafhaube fest übers Gesicht herein, besser noch ist der Gebrauch einer eigens dazu gemachten Kappe mit Gemskrickeln, und hat man an einem Gehäng einen Gemsbock beobachtet, so birscht man sich (natürlich bei gutem Wind) hinter der Schneid oder einem Felsrücken an und läßt sich dann etwas gebückt mit halbem Leib auf der Schneid sehen, zieht sich aber sogleich wieder zurück und macht es so mehrmals. Der Bock, der die Erscheinung sehr bald bemerkt, meint es gebe da oben Gesellschaft oder auch etwas zu raufen und steigt dann gar begierig hinauf. Um die beste Zeit aber ist oft schon so viel Schnee gefallen, daß das Steigen sehr beschwerlich und gefährlich wird und daß man das Hinsitzen nicht lange aushalten kann. In der Nähe des Pusterthals in Tyrol, im Thale Sextn, ist vor einigen Jahren der Fall vorgekommen, daß zwei Schützen, Vater und Sohn, auf ein Gems auszogen, dessen Standort sie kannten, ohne daß aber einer dem andern etwas darüber mittheilte. Der Vater gebrauchte die Gemshaube und als er damit mehrmals über einen Grat aufgetaucht war, erschoß ihn der unglückliche Sohn, der, von einer andern Seite kommend, auf das vermeintliche Gems sich angebirscht hatte. Hitzige Schützen und solche die nicht gut sehen, sind auf der Gemsjagd oft mehr zu fürchten als auf andern Jagden, besonders wenn der Schußplatz theilweise mit Laatschen bewachsen ist. Bemerken sie dann ein Bewegen und Wischen durch diese Laatschen und sehen einen grauen Fleck oder etwas, was Krickeln gleicht, so meinen sie, es müsse ein Gems seyn und in der Furcht den günstigen Augenblick, da das Ding etwa ruhig steht, zu verpassen, feuern sie drauf los; ich weiß selbst einen Jäger in Tegernsee, der einen andern beim Treiben in dieser Weise geschossen und einen Schützen, der die Spielhahnfedern seines Nachbarn für Krickeln ansah und am Schuß glücklicherweise noch durch einen Träger gehindert wurde, der hinter ihm saß und zeitig den Irrthum bemerkte.

Die fürstlichen Vorfahren des regierenden Königs haben nach hergebrachter Hofsitte, welche auch noch für Park- und niedere Jagden besteht, nur eingestellte Gemsjagden gehalten, welche nicht ohne großen Aufwand an Arbeit und KostenDie Jagd von Königsthal in Berchtesgaden im Jahre 1824 kostete gegen 10,000 fl. eingerichtet werden können und wozu öfters 8 Tage und mehr nothwendig waren, bis der Bogen zum Schließen kam.

König Maximilian II. hält aber nur freie Gemsjagden, wie sie die Poesie des Gebirges verlangt, und gewiß gehören sie zu den schönsten, deren je ein fürstlicher Jagdherr sich erfreut hat.In Betreff des Gemsstandes sind auch die Jagden des Kaisers von Oesterreich und die des Erzherzogs Johann in Steyermark und im Salzkammergut ausgezeichnet, und der gegenwärtige treffliche Gems- und Wildpretstand in Blümbach, wo die Jagd einer Gesellschaft von österreichischen Cavalieren zugehört, gibt ein erfreuliches Zeugniß was mit geeigneten Mitteln und einer guten Jägerei aufzubringen ist, denn noch vor sechzehn Jahren war das Revier fast ausgeödet. Treffliche Gemsjagden hat ferner der Herzog von Coburg in der hintern Riß, an die königlichen der Vorderriß angrenzend (s. Gerstäckers Gemsjagd in Tyrol) und der Fürst Lamberg in Steyermark. Es wurden auf dessen Jagden im Jahre 1857 38 Gemsböcke und 32 Gemsgaisen erlegt.

Es hängt dieses auch mit Anordnungen über Nebendinge zusammen, welche scheinbar nicht von Belang sind, gleichwohl aber wesentlich beitragen das Ganze waidmännisch und poetisch auszustatten. Es gehört dahin eine uniforme malerische Kleidung der Schützen, welche im Allgemeinen den Charakter der Kleidung trägt, wie sie im Gebirg gangbar ist. Eine lichtgraue grün ausgeschlagene Joppe mit geschlitzten Aermeln, grünes Collet, kurze dunkelgraue Hosen und ähnliche Strümpfe mit grüner Verzierung und Schnürschuhe bilden den Anzug, dazu ein grüner Gebirgshut mit Gemsbart und Spielhahnfedern, und ein kurzes Waidmesser als Wehrgehäng.

Aehnliche Kleidung tragen die bei den Jagden beschäftigten Forstmeister und Förster. Der Auszug zur Jagd wird meistens zu Pferde gehalten, und bestehen auch Reitsteige nach jenen Birschhäusern, welche hoch gelegen, die Schützen oft mehrere Tage beherbergen. Ein solcher Zug durch die herrlichen Thäler und auf dem Sammelplatz die bunten Gruppen der Jäger und Treiber, welche oft in einer Art von Lederharnisch (Lederleib) gar seltsam und abenteuerlich aussehen, dazu die Pferde und Schweißhunde – das ist eine gar lustige Schau, reich an Bildern, die man sonst nirgends zu sehen bekommt. Und dabei fröhliche Stimmung überall, denn auch Treibern und Trägern sind diese Tage nicht nur Tage des Verdienstes, sondern es sind auch die Tage, auf welche sie sich von einem Jahr zum andern freuen. Da möchte indessen mancher denken, daß diese Leute, wenn auch gut bezahlt,Der Mann erhält per Tag 1 fl. 12 kr. Vor hundert Jahren erhielt in Tegernsee ein »Fuxklopfer« per Tag 2 kr. und ein gewisses Brod. Die Zahl der Treiber und Träger bei den größern königlichen Jagden, wo auf den Berghütten übernachtet wird, beträgt 80 bis 100 Mann. übel genug daran seyen bei dem Herumsteigen in den Wänden und trügerischen Grashängen, und daß die Freude an solcher Arbeit eben nicht groß seyn mag. Es verhält sich aber anders, denn diese Leute haben auch das Zeug zu dem, was sie thun; sie sind hart wie die Eiben ihrer Berge, und zähe wie die Laatschen (Krummföhren), mit denen sie auf ihren Wegen oft genug zu raufen haben. Ohne in eine Jahn'sche Schule gegangen zu seyn, steigen sie wie die besten Turner und oft gerade da, wo es »schiech« d. i. wild, gefährlich hergeht, kann man sie jauchzen und jodeln hören. Eine Hand, die nur gewohnt ist, einen Federkiel zu regieren, erschrickt freilich vor der gewichtigen Axt eines Holzknechts und ein Staatshämorrhoidarius wird niemals eine Gemsjagd begreifen. Den Leuten dort oben ist aber zu Spiel und Vergnügen geworden, was andere oft schon in der Erzählung mit Schauder erfüllt.

Die Gemsjagden in Hohenschwangau, Graswang, Ettal, in der vorderen Riß, in Kreut und Berchtesgaden sind durch die Munificenz des königlichen Jagdherrn gegenwärtig in einem erfreulich blühenden Zustande, ebenso die Jagden des Prinzen Karl in Tegernsee und die Jagden im Allgäu, im Besitze des Prinzen Luitpold, welche sich in wenigen Jahren zu einem namhaften Wildstand erhoben haben, so daß die Zahl der Gemsen in allen diesen Revieren zwischen 4000 und 5000 Stück angenommen werden kann. Durch die königlichen Gehege werden aber auch die angränzenden Jagdgebiete mehr und mehr bevölkert und gewinnt das Gebirg allmählig an Leben, Nutzen und Reizen des Waidwerks.

Die Jagdbögen auf Gemsen, welche der König jagt, sind im Revier Hohenschwangau: Tegelberg, Branderschroffn, Bennoköpf, Holzschlagbogen, Gumpen.

Im Revier Buching: Roßställ.

Im Revier Ettal: Klammspitz, Erzgraben, Sonnenberg, Kofel, Laber.

Im Revier Riß: Galtboden, Stuhljöchl, Lange-Reisn, Scharflaanen, Gembskahr, Mooskopf und Röthlseitn, Grasberg, Speibnkäs.

Im Revier Kreut: Gernberg, Felseck, Langeck.

In Berchtesgaden, Revier Bartholomä: Warteck, Tauern.

Revier Ramsau: Schüttalpställ, Schönwand, Zirbeneck, Rothleitn, Ofenthal.

Abwechselnd werden einige dieser Bögen nicht jährlich gejagt. Im Jahr 1855 wurden von 8–9 Schützen 111 Gems erlegt, im Jahre 1856 125 Gems. Der König schoß auf diesen freien Jagden bis zum Jahre 1857 incl. eigenhändig 331 Gemsen, davon im Jahre 1855 45 Gems, 1856 deren 47. Im Jahr 1857 hat der König 66 Gemsen geschossen (in der Klammspitz einmal in einem Bogen vier Böcke, worunter 3 sehr starke und ein dreijähriger), im Ganzen wurden 161 erlegt. Obwohl der König, wie sich von selbst versteht, den besten Stand hat, und das Treiben möglichst dahin gerichtet ist, so geschieht es doch zuweilen, daß gar kein Gems anspringt. Seine Majestät nimmt das aber hin, wie es ein Waidmann hinnehmen soll.

Die meisten Bögen haben eine ziemlich große Ausdehnung, so daß das Treiben, wenn die Schützen schon angestellt sind, oft 3, 4, auch wohl 6 Stunden dauert, welches natürlich auch von der Art des Gebirgs mit abhängt, es kann daher an einem Tage meistens nur ein Bogen genommen werden.

Die stärksten Böcke, welche auf diesen Jagden vorkommen, wiegen selten über 60 Pfund (d. h. aufgebrochen und ohne Weiß), es sind aber zuweilen Böcke von 72 und 79 Pfund von den Jägern auf der Birsch geschossen worden. Dergleichen Kapitalböcke sind wie die guten Hirsche, sehr schlau, stehen gern allein und wissen sich vom Treiben abzuschleichen.

Der König bestimmt jährlich einen Preis bestehend in einer Büchse oder Hirschfänger, Pokal &c., welchen derjenige seiner Schützen erhält, dem das Glück den stärksten Bock zutheilt.

Der Eifer um einen guten Bock wächst dadurch natürlich bedeutend, um so mehr, als es an diesen nicht fehlt, denn 1855 sind z. B. in der Riß unter 21 Böcken 14 erlegt worden, wovon die geringsten 50 Pfund wogen, der stärkste 59 Pfund.

Abnormitäten sind bei den Gemsen verhältnißmäßig gegen Hirsche und Rehböcke sehr selten, sowohl was die Krickeln betrifft, als die Farbe der Haare und dergleichen. Die Industrie wußte aber auch da Rath zu schaffen, und in vielen Geweihsammlungen werden Doppelkrickeln, ja sogar dreifach und vierfach doppelte aufbewahrt. Ich gebe in der beifolgenden Vignette die Abbildung eines solchen aus einer hiesigen Sammlung.

Wer dieses abenteuerliche Gebilde zum erstenmal sieht und die Aechtheit aus dem Grunde nicht bezweifelt, weil die Krickeln wirklich auf der Schale stehen, der malt sich in der Phantasie die Herrlichkeit, ein solches Gems an einem wilden Gehäng zu erschauen und schwärmt von dem Glück des Schützen, der es angebirscht und erlegt hat. In dieser Beziehung ist es wirklich schade, den schönen Wahn zerreißen und den bewunderten Gemsschädel aus einen Widderschädel und das seltene Naturgebilde auf ein betrügerisches Machwerk von Menschenhand reduciren zu müssen. Gleichwohl ist es nicht anders, der Schädel stammt nämlich von einer eigenthümlichen, vorzüglich in Sardinien vorkommenden Schafart, Ovis aries polyceras, welches, wie der Name polyceras (vielhörnig) auch besagt, gewöhnlich vier und auch sechs Hörner aufsetzt. Diese Hörner nimmt man von den Zapfen herunter, haut die Schale so kurz ab, daß die Stirnlinie nicht verfolgt werden kann (denn diese steht nicht fast rechtwinklich gegen die Zapfen wie bei der Gemse) und setzt auf die gehörig zugefeilten Zapfen Gemskrickeln auf, wie man Lust hat. Wenn das geschickt gemacht ist, so scheint die Aechtheit des Produktes kaum zweifelhaft. Das sicherste Mittel, den Betrug zu entdecken, besteht in Abnahme der Krickeln und in der Untersuchung der Zapfen. Bei der Gemse geht vom Obertheil der Hirnschale aus eine rundliche Vertiefung unter den Zapfen, geht aber nicht über einen Zoll tief hinein, bei den erwähnten Hörnern aber geht ein röhrenförmiger Kanal über 2 Zoll tief in den Zapfen, auch sind letztere, um sie den Krickeln anzupassen, zugeschnitzelt und gefeilt und oft an der Seite ein Stück mit Entblößung des Röhrenkanals weggeschnitten. Ich habe diesen Betrug nicht selbst entdeckt, sondern bin von einem Forstmann (Herrn v. Mantel) darauf aufmerksam gemacht worden, dann aber konnte ich durch mehrfache eigene Beobachtungen und Vergleichungen bestätigen, daß es so sey und glaube der edlen Jägerei diesen Beitrag zur Geschichte der Geweihindustrie nicht vorenthalten zu dürfen. Ich habe dergleichen Raritäten mit 3, 4, 5, 6 und 8 Krickeln gesehen, meistens von Bock und Gais beisammen, wodurch sie noch den Schein gewinnen, als ob sie von Zwittern abstammten. Schlechteres Machwerk dieser Art besteht darin, daß man mehrere Paare gewöhnlicher Gemskrickeln auf der Schale durch Zuschneiden dieser und Zusammensetzen verbindet. Dieses Flickwerk wird aber gewöhnlich leicht erkannt. Ich meinestheils habe unter einigen tausend Gemsen, die ich lebend gesehen, niemals das Vorkommen von mehr als zwei Krickeln beobachtet, auch ist mir kein Jäger bekannt, der ein Gems mit drei oder mehr Krickeln geschossen oder auch nur einmal gesehen hätte.

Die Arco'sche Sammlung enthält einen größtentheils weißen Gemsbock, dessen Krickeln der Länge nach auf der vorderen Hälfte schwarz, auf der hinteren blaß gelblicht. Dieser Bock wurde in Bayrischzell geschossen, ein anderer mit seltsamer Bildung wurde in der Röthelseite in der Riß erlegt; an diesem zeigt sich außer den gewöhnlichen Krickeln ein beweglicher schwarzer krickelartiger Auswuchs fast 2 Zoll lang auf einem der Augendeckel. Krickeln von 7¾ Zoll Länge sind schon selten, über 8 Zoll kommen nur höchst wenige vor, die stärkeren haben an der Schale bis fast 4 Zoll Umfang.

Im Jahr 1846 wurde ein weißes Gems zu Tegernsee geschossen. Im Jahre 1857 wurde öfters ein starker weißer Gemsbock im sogenannten Holzschlag am Tegelberg bei Hohenschwangau gesehen, er kam aber bei einer darauf angestellten Jagd des Königs nicht zum Vorschein. Von Jägern in der Schweiz werden weiße Gemsen für Todesboten gehalten; wie bei der Hirschjagd angegeben galt sonst auch ein weißer Hirsch als ein böses Omen.

Das gewöhnliche Alter der Gemsen wird zu 20–25 Jahre angenommen, man behauptet aber, daß sie mitunter 50 und mehr Jahre erreichen. Die vormals berühmten Gemskugeln, aus Haaren, vegetabilischen Fasern &c. bestehend finden sich zuweilen im Magen der Gemsen. Sie sollten ein gutes Mittel seyn gegen die Pest, Schwindel, Melancholie &c., etwas davon nüchtern eingenommen sollte sogar auf 24 Stunden lang schuß- und stichfest machen, welches doch, bemerkt Flemming, dem Gems, so es ganz gehabt, nicht geholfen.

Der Glaube an die Gemskugeln ist noch in Tyrol sehr verbreitet, sie sind wichtig, sagt Alpenburg,Mythen und Sagen Tyrols. Alpenburg erzählt auch eine eigenthümliche Sage vom sog. Gemsfräulein im Kalmthal, einer Seligen, welche sich eines Kitzbockes, von dem die Gais weggeschossen wurde, erbarmte und ihn einem Hirten zur Pflege übergab. Als er herangewachsen, kam das Fräulein, schenkte dem getreuen Pfleger ein Kästchen voll schöner Krystalle und Granaten, schwang sich auf den Gemsbock und ritt mit ihm durch die Lüfte davon. Man sieht die Reiterin auf ihrem Bock noch öfters im Abendroth über die hohen Felskämme hinfliegen. wie kein anderes Ding im Lande, die Jäger und sympathetischen Bauerndoctoren und die Bauern führen sie in der Hausapotheke. Unter andern handelt darüber ein weit verbreitetes Buch von einem Dr. Georgius Hieronimus Velschius. Mit einer Gemskugel im Sack hat man einen Universaltalisman für Seele und Leib gegen die Uebel der Natur, wie gegen böse Geister. Sie muß aber vom 15. August bis 15. September (in dreiß'gen, frauendreißigsten) erobert werden. Zum Kugelgießen ist sie vor allem anzuwenden. Man gießt die Kugelform halb voll Blei, legt etwas von der Gemskugel darauf und gießt die andere Kugelhälfte darüber. Eine solche Kugel trifft sicher, besonders die Gemsen.

Das Gemswildpret ist besonders von einem Jährling (einem Gems im zweiten Jahr) oder von einem Kitz sehr gut zu essen, von den alten Böcken aber, denen der Jäger mit so großer Begierde nachstellt, ist es eben kein vorzüglicher Braten, am wenigsten in der Brunftzeit, wo hinter den Krickeln eigene Drüsen von Bocksgeruch (Brunstkappe) anschwellen. Im 16. Jahrhundert scheint das Gemswildpret sehr geschätzt gewesen zu seyn und wurden bei der Hochzeit Wilhelms von Rosenberg mit der Prinzessin Anna von Baden am 26. Januar 1576 nicht weniger als 50 Gemsen verspeist (sind auch noch 40 Hirsche, 50 Fässer eingesalzenes Wildpret, 20 Sauen, 2130 Hasen, 250 Fasanen, 30 Auerhähne, 2050 Rebhühner &c. angegeben).

Sowie man gern die Krickeln als Andenken zum Wandschmuck der Stube verwendet, ebenso ist ein schöner Gemsbart ein wesentliches Stück zur Zierde des Jagdhutes. Dieser Bart, bekanntlich über den Rücken des Thieres sich hinziehend, ist um die Brunftzeit (im November) am schönsten und erreicht eine Länge bis 6½ Zoll. Es wird verschiedentlich gefaßt getragen und manchmal bindet man den Bart von zwei Böcken zusammen, um den wehenden Büschel stattlicher zu machen. Bauernbursche und Wildschützen stecken auch gern einen Gemsbart auf und gibt es dadurch öfters Gelegenheit zu Prahlereien und Händeln mit den Jägern. 1785 ist deswegen im Salzburgischen den Bauernburschen das Tragen von Gemsbärten und Wildfedern verboten worden. In Berchtesgaden trägt auch das junge Weibervolk ein kleines rundgefaßtes Gemsbärtlein auf dem Hut.

Noch muß ich eines schönen Gebrauchs erwähnen, der in Berchtesgaden üblich ist und in dem Kränzen des Wildes besteht, welches der König selbst erlegt hat. Da beeilen sich die Sennerinnen der Nachbarschaft, bei Beginn des Jagens Alpenrosen, Edelweiß und das dunkelgrüne Bärenkraut zu sammeln und in Kränze zu binden, und dann geht es mit lustiger Geschäftigkeit an's Zieren des Wildes auf dem Streckplatz und ist die Freude groß, wenn der König die schmucke Arbeit lobend besieht und sich noch einen Strauß auf den Hut stecken läßt.

Dieses Edelwild der Berge mußte bei den vormaligen Prunkjagden zuweilen auch Parade machen und sich in den »Lauft« hetzen und fällen lassen. So bei einem Hochzeit-Festjagen des Kaisers Leopold in Wien 1666, wo unter andern etliche Gemsen in Gesellschaft von 70 »Thannhirschen« geschossen und gehetzt wurden, ebenso bei einer solchen Jagd des Herzogs Karl Eugen von Würtemberg († 1793).

Die Franzosen haben in ihrem Revolutions-Kalender von 1796 der Gemse die Aufmerksamkeit erwiesen, den 2. Juli bezeichnen zu dürfen; dem Hirsch wurde keine solche Anerkennung, wahrscheinlich weil ihn die Aristokratie so lange ausgezeichnet hatte. Von anderem Haarwild findet man in diesem tollen Machwerk noch den Rehbock, den Hasen, das Kaninchen und den Fischotter genannt.

In Beziehung auf die Stelle, welche die Gemse unter den Thieren nach physiologisch-psychologischer Taxation etwa einzunehmen hat, ist bemerkenswerth, daß der Phosphorgehalt des Gemsenhirns nach den Untersuchungen des Freiherrn von Bibra größer ist als bei allen andern Thieren, und sogar größer als beim Menschen. Er beträgt nämlich bei der Gemse 3 2 / 5  Procent, beim Menschen im Mittel nur 2 Procent. Wenn die Spekulanten des Materialismus Recht hätten, indem sie den Phosphorgehalt des Gehirns als den Vater der Gedanken anbeten, so müßten die Gemsen die gedankenreichsten Wesen auf der Welt seyn. So viel ist richtig, daß die alten Böcke die Einsamkeit lieben, wie es die Oberpriester des Denkens, die Philosophen auch oft gethan haben, und so möge eine weitere Untersuchung darüber auch der Philosophie überlassen bleiben. Die Jäger aber meinen, der Hirsch sey, trotz Materialismus und Phosphor, im Denken dem Gems weit voraus.

 

 

            Koa' lustigers Leben meinoad
Als Jaagern in' Berg umanand,
    Is der Weg nacha schmal oder broat
Geht a' Grabn her oder a Wand,
    Dees is mir oa' Ding
Und bal's no' grad Gambsein gnua geit
    Acht' i' Alles gar g'ring!

    Heruntn leicht Jaager d'erfragst
Auf Henna und Hasn und Füx,
    Wo d'robn aber 's Edelweiß wachst,
Da taugn die mehrern nix
    Aber i' bi' dabei,
Denn »wie höcher wie lieber« dees is
    Mei Spruch allewei!

    Sichst 'n steh' wier er hofft wier er schaugt,
Wie der Teufi so schwarz und so wild,
    A' sella Bock is's, der ma' taugt
Und i' trau mir aa', daß er's verspielt,
    Denn a so oder so
Und steiget er eini in d'Höll
    I' krieg'n halt do!

    Schöni Graanln a' Ringei wohl ziern
Und 's g'freut mi' und g'fallt mir a guat,
    Wann der Spielho' sei' Schaar muß verliern
Und wann i' mir's steck auf'n Huat,
    Aber bring i' mir z'wegn
An' wachle'dn Gambsbart, verstehst,
    Da is Alles nix dagegn!

Graanln = Hacken, die zwei Eckzähne beim Hirsch; Spielho' = Birkhahn, dessen Stoß Schaar = Scheere heißt; wachle'd = wehend.


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