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5.

Giafar eilte nach seinem Palast, überbrachte Abbassa die Geschenke ihres Bruders; nur einen Augenblick ergötzte sie sein Andenken. Sie benetzte die glänzenden Steine mit ihren Thränen, warf sie unwillig weg und rief: »Der Grausame, der mir das kostbarste Kleinod entreißt, höhnt meiner mit diesem Tand! Will er sein Opfer schmücken?« – – Stumm, angstvoll und bebend begab sich das unglückliche, edle Paar die dritte Nacht nach der Ankunft des Khalifen in den Pavillon und schlich wie Verbrecher nach der Grotte – Abbassa stand an der Wiege des schlafenden Knaben – ihr Haupt gesenkt gegen ihn – umsonst rief ihr Giafar zu, umsonst sprach er von der drohenden Gefahr – sie hörte ihn nicht. Nur da er sagte: So behalte ihn; aber wie, wenn auch der gewisse Tod seines Vaters ihn nicht schützte! wenn nun die Rache des Khalifen sich auch bis auf ihn erstreckte! – »Und ich soll den süß Schlafenden aufwecken?« – Du sollst ihn aufwecken, Geliebte, daß er den Schlaf des Todes nicht schlafe, seinen Vater nicht tödte! – Leise schüttelte sie ihn – sprach sanft zu ihm – der Knabe erwachte – sie drückte ihn an ihr Herz, hob ihn empor zum Himmel – übergab ihn Giafar und entfloh nach dem Palast. Der Barmecide küßte den Knaben, übergab ihn schweigend dem alten Diener und eilte Abbassa nach. Der Diener verbarg ihn unter seinem Gewand, setzte über den Tigris, eilte nach der Vorstadt, wo ihn die Mutter, als Sklavin gekleidet, mit den Sklaven, die er theils gekauft, theils gedungen hatte, antraf. Die Mutter setzte sich mit dem Knaben in einen verhüllten Palankin, von Maulthieren getragen. Nach Mitternacht begab sich die kleine Karavane auf den Weg. Die Sonne ging auf, und Giafars Mutter blickte dankbar zum Himmel, da sie sich so weit von Bagdad entfernt sah.

Auf einmal hörte der alte Diener in der Ferne den lauten Schlag der Hufe der Pferde. Er erhob sich auf seinem Thier – und bald sah er eine dicke Staubwolke, die einen Haufen Reiter umgab, deren Waffen und Zeug in der Sonne schimmerten. Da sie gegen ihn kamen, so fürchtete er nichts und zog ruhig fort. Es war Khozaima, der heransprengte; er war bei Sonnenuntergang mit seinen Leuten aus Bagdad geritten, um den heimlich gemachten Raub von Gold und Weibern in Sicherheit bei einem seiner Freunde zu bringen, und eilte nun zurück. Der alte Diener erkannte ihn und ritt langsam voran. Als Khozaima den Zug wahrnahm, vertheilte er seinen Haufen auf die zwei Seiten der Straße, nahte dem, den er für den Führer erkannte und fragte: »Wohin?« Nach Mekka, antwortete der Diener. »Wer sendet dich?« Der reiche Kaufmann Yousuph aus Balkh, antwortete er noch entschlossener. »Was ist dein Auftrag?« Geschenke zu überbringen, die er der Moschee gewidmet hat. Von seiner Hand gesiegelt, liegen sie im Palankin, Teppiche und andere Kostbarkeiten. Khozaima ritt vorüber. Der Alte freute sich der List, womit er den gefährlichen Mann abgefertigt zu haben glaubte. Als die Reiter langsam vorüber zogen, erkannte ein Diener Khozaima's einen der Sklaven von der Karavane und ließ sich nah bei dem Palankin in ein Gespräch mit ihm ein. Der Alte wurde es gewahr und wollte eben hinzueilen, ihn zu entfernen, als der Knabe, durch den Fehltritt eines der Thiere, auf dem Schooße der Mutter erwachte und laut zu schreien anfing. Der Diener Khozaima's lachte und rief dem Alten zu: Eure Geschenke werden lebendig; spornte sein Pferd und ritt davon. Der Alte hatte seine Worte gehört, das Geschrei des Knaben vernommen, und tödtliche Angst überfiel ihn. Er hob die Decke des Palankins auf und sagte der Mutter leise, was vorgefallen war. Eben wollten sie sich berathen, was zu thun sei, als Khozaima mit seinem Haufen umwandte. Der Diener hatte ihm lachend erzählt, es sei ein Kind, das man nach Mekka schicke, und sein Landsmann habe ihm gesagt, man habe ihn erst gestern in Bagdad gedungen und sei diese Nacht von da abgereist. Ein Kind nach Mekka! rief Khozaima, und plötzlich erinnerte er sich, daß ein Gerücht an dem Hofe des Khalifen ging: eine der Weiber des gefangenen Neffen Harouns habe heimlich geboren. Er glaubte also, man wollte das Kind in Mekka aus gefährlichen Absichten verbergen, und dachte dem Khalifen einen neuen, wichtigen Dienst zu leisten. Giafars Mutter hatte kaum die Zeit, dem Alten zuzulispeln, zu schweigen und zu sterben, als Khozaima schon heransprengte und den Palankin gewaltsam aufriß. Die Mutter hielt den Knaben auf ihrem Schooße. »Wer bist du, Weib?« rief Khozaima. »Wessen ist der Knabe?« Mein, antwortete die Mutter, aus Angst und Verwirrung, und Der ist sein Vater! indem sie auf den alten Diener hinwies. Khozaima lachte laut: Weib, deine Zeit zu gebären, und seine, zu zeugen, ist wohl schon lange vorüber – und wo sind die Geschenke des reichen Yousuph aus Balkh? Auf den Thieren, antwortete der Alte. Vor einem Augenblick waren sie auf dem Palankin, du alter Lügner! Ich weiß, wessen Knabe dies ist; wollt ihr euer Leben nun retten, so sagt die Wahrheit. Die Mutter und der Alte: Wir haben dir's gesagt. Er fragte die Sklaven, wer und wo man sie gedungen hätte. Sie erzählten ihm, dieser Alte habe sie in Bagdad gedungen und gekauft, und sie seien erst gestern mit ihm ausgezogen. Khozaima überzeugte sich noch mehr von seiner Vermuthung; und zwiefach freute ihn die Entdeckung, da er hoffte, dem Khalifen einen neuen, wichtigen Dienst zu erzeigen und sich zugleich an dem Barmeciden zu rächen, der einen so gefährlichen Vorfall entweder nicht bemerkt, ihn verschwiegen, oder gar, nach seiner Weise zu handeln, befördert hätte. Er überließ die Sklaven einigen seiner Leute, befahl, den Alten zu binden, den Palankin zu umringen, und zog so nach Bagdad zurück. Je weniger er während des Weges von der Mutter und dem Alten erfahren konnte, je gewisser schien ihm seine Vermuthung, und sein Herz klopfte vor Freude, als er die Mutter über seine Frage: Ob es nicht der Großvizir sei, der ihnen den Auftrag gegeben? erschrecken und zurücksinken sah. Er ließ den Palankin jenseits des Tigris, setzte mit der Mutter, dem Knaben, dem Alten und einigen seiner Diener über, übergab die Beiden der äußersten Wache des Palasts, verbarg den Knaben unter seinem Gewand und ließ sich bei dem Khalifen melden. Er erzählte dem Khalifen den Vorfall, seine Vermuthung, zog den Knaben unter seinem Gewand hervor und hielt ihn ihm vors Angesicht. Erstaunt nahm ihn der Khalife in die Arme. Der Knabe schmiegte sich an ihn – hielt sich fest an ihm und sah dem Verwunderten, Erstarrten freundlich in die Augen. Haroun betrachtete ihn lange; endlich sprach er im Tone der schmerzvollsten, äußersten Wuth: »Meines Neffen Sohn? Wollte Gott, er wär's – Khozaima – sieh diese Züge – es ist meiner Schwester Abbassa Sohn!« Bei diesen Worten schleuderte er den Knaben auf den Sopha, der, da er sich von dem Schrecken erholte, laut zu schreien und zu wimmern anfing. »Schweige,« schrie Haroun knirschend und drohte ihm mit aufgehobener Faust. Die Thränen des Knaben erstarrten vor Furcht in seinen Augen. Khozaima sah ihn mit forschenden, verwunderten Blicken an. Der Khalife schlug ihn auf die Schulter: »Du hast mir einen großen, einen erschrecklichen Dienst erwiesen – schweige über Das, was du hören und sehen wirst. Laß die beiden Alten kommen!«

Die Unglücklichen wurden hereingeführt. Der Knabe streckte die Arme nach der Mutter aus. Haroun stellte sich zwischen ihn und sie, fragte sie mit fürchterlicher Stimme:

Wessen ist der Knabe?

Unser.

Die Qualen der Folter sollen euch das Geheimniß abdringen.

Unerschüttert stand der Alte, die Mutter blickte nur nach dem wimmernden Knaben.

Khozaima wollte die Beiden wegführen lassen; der Khalife besann sich plötzlich: Spare sie noch auf – laß sie bewachen. Schicke einen meiner ersten Diener zu Abbassa, er soll sie zu mir einladen; ihr bedeuten, schnell zu sein. Ihm folge bald ein Anderer nach, rufe Giafar zu mir, und ihn halte du im großen Saal auf, bis ich zu euch sende.

Haroun blieb mit dem Knaben allein. Mit schrecklichen Blicken betrachtete er ihn Zug vor Zug, und seine Wuth entflammte sich mehr bei jedem neu entdeckten. Der Knabe verbarg sein Angesicht in den Sopha vor seinen fürchterlichen Blicken, gewaltsam riß er ihn gegen sich. Er kroch an ihm hinauf, hüllte sich in das Gewand, das seinen Busen deckte, er riß ihn weg – stieß ihn von sich – ergriff ihn wieder. – Der Knabe stöhnte aus Schmerz – er liebkoste ihn, streichelte ihn, sprach zärtlich zu ihm, Thränen in den Augen, Wuth und Durst nach Rache in dem Herzen.

»Es ist sein – er ist Abbassa's Kind. – Ist dies deine Tugend, Barmecide? Hältst du so die Probe aus? Und trittst vor mich, lügst mit eiserner Stirne, wie ein im Verbrechen lange Geübter? Nun will ich die Last, die ich so lange trug, von mir auf dich werfen, meinen Haß, meine Rache, meine Eifersucht befriedigen. Ich habe lange genug geweint – und bin ich nicht durch einen Eid gebunden? Ihm gehorchend, will ich dich, heuchlerischen Schwärmer, zu deinen Geistern senden! Dir deinen Knaben mit auf den Weg geben! Die Verzweiflung sende dir die Mutter nach!«

Er trug den Knaben nach dem Harem, in die Zimmer Abbassas, in eben das Zimmer, wo er zum letztenmal sich mit ihr unterredet, wo er den Eid geschworen hatte. Alles floh vor seinem wüthenden Blick. Er winkte einem seiner Vertrauten. Er verschwand und kehrte mit den Stummen, den Ausführern seiner Rache, zurück. Der Knabe ward auf Abbassa's Sopha gelegt, mit einem Tuch bedeckt; um ihn standen die Stummen mit Dolchen, ferne stand Haroun. Abbassa trat herein. Der Diener riß die Decke weg, die Stummen zückten die Dolche auf den schreienden Knaben. Abbassa hörte, erblickte ihn: Ha, mein Asan! mein Sohn!

Ist er's, rief Haroun grimmig: Dein und Giafars Sohn? Hat dir der treulose Barmecide nicht gesagt, daß ich meine Seele durch einen Eid auf das Wort des Propheten gebunden habe?

Mit der Blässe des Todes bedeckt, mit starren Augen, sah Abbassa auf Haroun – sie hatte den Knaben umschlungen – ihre Arme bebten – der Knabe bebte in ihren Armen. Sie sah auf ihren Bruder – auf den Knaben – stumm und leblos.

Er muß sterben! er und sein Vater!

Tödtet ihn, rief Haroun und wandte sein Angesicht weg.

Fester drückte sie ihn wider ihre Brust – überdeckte ihn mit ihren Armen.

Tödtet ihn in ihren Armen, schrie Haroun wüthender und verhüllte sein Gesicht.

Die Stummen zückten die Dolche gegen die Brust des Knaben – in dem Augenblick, da sie den Streich führten, ließ Abbassa plötzlich den Knaben in ihren Schooß fallen – die Dolche fuhren in ihren Busen – sie griff durch die schwebenden, aus ihrer Brust gezogenen Dolche – riß den Knaben wider ihren blutenden Busen – deckte ihn nochmals mit ihren Armen – sank zurück und zog ihn mit der letzten Lebenskraft an ihr zerrissenes Herz.

Bei ihrem Aechzen schlug Haroun sein Gewand zurück, ein Schrei des Entsetzens entfuhr ihm, und wüthender gebot er, den Knaben zu tödten.

Die Stummen ermordeten den Knaben an der Mutter Brust –

Er nahte ihr: Der Unglücklichste ist dein Bruder!

Sie wandte ihre sterbenden Augen von ihm ab, drückte den leise ächzenden Knaben an ihr Herz, erhob ihn mit der letzten Kraft gegen ihre Lippen – drückte ihren Mund auf den seinigen – auf seine Wunde – »Giafar – Asan« zitterte auf ihren Lippen – sie verschied. Haroun vernahm es.

Verzweifelnd stand er da – dicke Thränen rollten in seinen Bart – aber es waren Thränen der Wuth – sein Haß ward noch giftiger bei ihren letzten Worten.

Giafar trat auf seinen Wink herein. Er deutete auf die Leichen und rief ihm in der grimmigsten, glühendsten Rache zu: Sieh hin, treuloser Barmecide, meine Tugend scheiterte da, wo die deine scheiterte! Die Erde kann mir nicht ersetzen, was ich durch dich verloren habe. – Warum logst du? Warum verbargst du mir dein Verbrechen? Du! Du hast alles Elend auf mich geschüttet – verflucht sei die Stunde, da ich dich zu mir rief, die Tugend deines Vaters in dir, meineidigem Heuchler, zu belohnen! Du und dein ganzes Geschlecht sollen von dem Erdboden verschwinden! Mein Haß soll sie alle bis in das öde Gebirge verfolgen! –

Giafar hörte ihn nicht. Er kniete bei den Leichen – sein Haupt gesunken auf die Wangen Abbassa's – seine Hand hatte den Knaben umspannt.

Weg von ihr! Berühre sie nicht; nun ist sie wiederum mein. Führt ihn in den Thurm des Todes, auf diese Leiche soll er keine Thräne weinen. Verzweifeln soll er in der todten Einsamkeit, bis ihn meine Rache ergreift. Ich will sie beweinen – sie beklagen – rasen – und dich verfluchen. Mein letztes Wort reize dich zur Wuth gegen dich – Khozaima war's, der dein Verbrechen entdeckt hat!

Giafar (erhebt sich von den Leichen). Legt keine Hand an mich, ich folge euch ohne Zwang.

Als man Giafar entfernt hatte, schrie Haroun: Weg mit seinem Knaben – hier will ich weinen, bis ich keine Thränen mehr habe! – Er warf sich neben die Leiche Abbassa's.


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