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3.

Giafar erschien zu der ihm bekannten Stunde. Sie schweiften absichtslos in der Stadt herum. Haroun schwieg. Endlich traten sie, nahe am Tigris, in eine Karavanserie, worin sie eine Gesellschaft persischer, arabischer, ägyptischer und indischer Kaufleute antrafen, die in einem lebhaften Gespräche über die Regierung begriffen waren. Haroun hörte Giafars Namen zehnmal vor dem seinigen. Unter dem Haufen saß ein Araber, der bei jedem Lobspruche, den man einem von ihnen ertheilte, ungeduldig die Schultern zuckte und finstre, widrige Grimassen schnitt. Haroun bemerkte ihn und zeigte ihn seinem Begleiter. Bisher bewies der Araber noch immer sein Mißvergnügen durch Geberde, aber endlich brach er ungestüm los und sagte mit einer heischern, gellenden Stimme in arabischer Sprache: »Ihr seid alle Heuchler und feige Memmen! denn ihr alle hier wißt so gut, wie ich, daß der Khalife und sein Großvizir der Lobsprüche nicht mehr würdig sind, die ihr ihnen ertheilt. Beim Propheten, sollte einer von ihnen mich je darum fragen, ich wollt' es ihm ins Angesicht sagen!« Die Kaufleute erschraken, sahen einander an, und da sie die zwei zuletzt angekommenen Fremdlinge bemerkten, so zerstreuten sie sich. Nur der Araber blieb ruhig sitzen. Haroun trat zu ihm und sprach ihn arabisch an. Der Araber antwortete ihm nicht, stand auf; Haroun folgte ihm mit Giafar.

Wackrer Fremdling, sagte Haroun, da sie in einiger Entfernung von der Karavanserie waren; da du so viel Muth hast, dem Khalifen und seinem Großvizir ins Angesicht zu sagen, daß sie der Lobsprüche dieser Männer nicht mehr würdig sind, so wirst du wohl auch den Muth haben, uns, deinen Landsleuten, die Ursache davon mitzutheilen.

Der Araber starrte sie beide an. Warum nicht? Ist nicht ganz Bagdad davon voll? Wird es nicht bald durch alle die Länder des Khalifen erschallen? Fluch dem Muselmann, der länger davon schweigt? Und wovon? fragte Haroun in einem leisen Tone.

Davon, Zudringlicher, antwortete der Araber rauh, daß der Herr der Gläubigen, der Nachfolger des Propheten, seine Schwester liebt, Blutschande mit ihr treibt oder treiben will! Daß der hochgepriesene Barmecide das Geheimniß weiß und dazu schweigt! Geh! und sage dies dem Khalifen, wenn du von seinem Hofe bist, und sage ihm: der Blutschänder könnte des Propheten Kinder nicht beherrschen! Wüthend, unbemerkt von dem Araber, zog Haroun während diesen Worten seinen Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn dem Redner in die Brust: »Nimm den Lohn dafür, du Kühner, daß du mir ein Geheimniß ins Ohr gesagt hast, das ich nie selbst zu ergründen wagte!« Noch einmal wollte er nach dem Sinkenden stoßen, Giafar warf sich seinem Dolch entgegen, wollte reden: »Schweige,« schrie Haroun – »dieses soll der Lohn eines Jeden sein, der in mein Herz zu blicken wagt. Ich will ihn aufsparen, wenn der Tod ihn aufspart. Bleibe hier; ich will dir Männer von der Nachtwache schicken, bringe ihn an einen geheimen Ort und laß mich morgen wissen, ob er lebt, wer er ist – und daß ich ja erfahre, wer ihn zu diesem kühnen Schritt gedungen hat. Ist er todt, so sei der Tigris sein Grab!«

Als sich der Khalife entfernt hatte, so neigte sich Giafar gegen den Verwundeten, rief ihm zu, befühlte seine Wangen und Hände, richtete sein Haupt auf, und da er noch Leben in ihm spürte, zog er ihn zu einem nahen Baum hin, um ihn daran zu lehnen. Der Verwundete schlug die Augen auf, sah sich um und fragte auf persisch: Ist der Khalife fort? Giafar fuhr vor Erstaunen zurück, als er Khozaima aus der Stimme erkannte. »Khozaima!« rief er. »Ja, Khozaima – der ich diesen Undankbaren zum zweitenmal auf die Gefahr meines Lebens errettete – da du es nicht wagen wolltest – entferne mich, bevor die Männer kommen, damit mein gewagtes Unternehmen nicht vergebens sei. Unfern hab' ich eine geheime Wohnung. Dort will ich dir Alles entdecken. Meine Wunde ist nicht gefährlich; ich spielte den Todten, wie du siehst, um es nicht zu werden.« Er löste seinen Turban auf, bedeckte seine Brust, damit die Spuren des Bluts ihn nicht verrathen möchten. Giafar leitete ihn zu seiner geheimen Wohnung, und nachdem einer seiner Vertrauten die Wunde verbunden und er sich erholt hatte, sprach er:

Barmecide, ich bin, wie du siehst, in deiner Gewalt, und du kannst mich verderben, wenn du mich dem Khalifen entdeckst; doch erwäge, daß ich mich dieser Gefahr aussetzte, ihn vor Blutschande zu warnen und vom unvermeidlichen Verderben zu retten. Glaubst du, der Muselmann würde einen Mann als Herrscher ertragen, den er im Verdacht eines solchen Verbrechens hat? Schon geht das Gerücht davon im Volke – (er log, denn dies sollte erst geschehen, wenn er nicht auf Haroun wirkte, wie er hoffte) – und du, der du öfters Zeuge der Aussprüche seiner Leidenschaft warst – du schwiegst – schwiegst, weil du für dich und deine Stelle fürchtetest. Wie ich dies mit deiner hochgerühmten Tugend vereinigen soll, begreife ich nicht. Ich, der ich keine andere Tugend kenne als meinen Muth, entschloß mich, dem Verblendeten die Augen zu öffnen. Ich nahm Urlaub auf einige Zeit, verbarg mich hier und lauerte schon seit acht Tagen auf allen öffentlichen Plätzen, in der Hoffnung, der Zufall möchte mich mit dem spähenden Forscher zusammenbringen. Bei eurem Eintritt erkannte ich ihn und dich, so sehr ihr auch verhüllt waret, und ward bald gewahr, daß ich durch mein Betragen des Khalifen Aufmerksamkeit auf mich gezogen hatte. – Harouns Wuth, seine rasche Rache beweisen, daß ich mich nicht geirrt habe, daß er das Verbrechen schon begangen hat, oder ihm sehr nahe ist. Wär' er unschuldig, wär' seine Liebe zu seiner Schwester rein, so hätt' er den Vorwurf nicht mit Mord gerächt. Nur der Verbrecher rächt sich so! – Dein Schweigen bestätigt meine Meinung. Warum schwiegst du, da er dich so laut seinen Freund nennt, daß es durch ganz Asien erschallt? Warum mußt' ich auf Gefahr meines Lebens ihn zu retten wagen?

Giafar. Ich schwieg, weil ich keine Gefahr für den Khalifen sah, weil ich verschweigen konnte, was ich sah, weil ich den Mann, den du als Verbrecher denkst, des fernsten Gedankens dieses Verbrechens nicht fähig halte. Der Unterschied zwischen mir und dir ist nur dieser: du, um ihn zu warnen, zu retten, wie du sagst, nahmst unter einem Vorwand Urlaub, verbargst dich in Bagdad und nahtest ihm vermummt, und ich, wenn ich es für nöthig gehalten hätte, würde es ihm laut, unverhüllt beim hellen Lichte, in seinem Palaste gesagt haben. Freilich wär' es noch gefährlicher für mich gewesen; aber vermuthlich auch wirksamer. Und darum nun, muthiger Khozaima, mußt du mir verzeihen, wenn ich dir sage, daß es nicht die Rettung des Khalifen ist, die dich zu diesem höchst gefährlichen Schritt verleitet hat.

Khozaima. Und was sonst?

Giafar. Das wirst du mir sagen, wenn du die Entdeckung nützlich für dich findest. Groß muß Das sein, wornach du strebst! denn ob ich gleich deine Tugend, die du in deinen Muth setzest, nicht bezweifele, so weiß ich doch, daß kein so kluger Hofmann, wie du bist, sein Leben bloß zum Besten eines Andern, am wenigsten zum Besten seines Herrn, aufs Spiel setzt, besonders wenn der Herr ein Mann wie Haroun ist.

Khozaima (nach einigem Nachsinnen). Barmecide, ich lachte deiner Tugend; nun scheint sie mir achtungswerth, vielleicht gar furchtbar – ich sehe, daß die Schwärmerei, die deine Augen gegen dich selbst zu verdunkeln scheint, sie durchdringend gegen Andere macht; doch auch die meinen sind geübt, indes Menschen Herz zu blicken.

Giafar. Wer zweifelt daran? Und wer fürchtet's?

Khozaima. Wenn der Khalife nun erfährt, daß ich es war, der ihm die Warnung gab, wird er das Ganze nicht als eine Hofkabale ansehen? Wär' dann nicht aller Vortheil, den ich durch mein Wagstück suchte, für ihn verloren? Dies erwäge – denn daß du um meinetwillen schweigen solltest, das fordere ich nicht, kann und will es nicht fordern – ich weiß, du hassest mich.

Giafar. Wie es der Khalife ansehen würde, wenn ich ihm sagte: Khozaima war's, der dir diese Warnung gab, das weiß ich nicht; denkt er, wie ich denke, so muß ihm eine Kabale, von seinem Hofe aus, mit Vorsatz unternommen, mit so viel Kühnheit ausgeführt, bedeutender scheinen, als ein bloßes Volksgerücht. Denn ein Volksgerücht verliert sich; aber wo endet eine Hofkabale? Um so leichter würde also dieser Kabale Zweck erfüllt, wenn wir nur dabei die Gefahr für dich vermeiden könnten. – Doch du sagtest, ich haßte dich – warum sollte ich dich hassen?

Khozaima. Weil ich dich hasse – dir zu schaden suche, so viel ich kann.

Giafar. Ich habe davon nichts wahrgenommen.

Khozaima. Um so bittrer ward mein Haß. Nicht genug, daß du meinen Neid erweckest, beleidigst du auch meinen Stolz.

Giafar. Deine Aufrichtigkeit gefällt mir, und wenigstens bist du in diesem Augenblick der feine Hofmann nicht, wofür man dich hält.

Khozaima. Vielleicht mehr als je. Ich kenne den Mann, der vor mir sitzt, und lehne mich auf seine Tugend. Zum weitern Beweis – wenn ich einst eben diesen Vorfall, den du verschweigen mußt und wirst, zu meinem Vortheil gegen dich benutzen könnte, glaubst du, daß ich's unterlassen würde?

Giafar. Ich glaube es nicht, und obgleich diese Drohung mir ein schmerzliches Lächeln abzwingt, so kann sie doch nicht bestimmen, was ich thun soll.

Khozaima. Eben dieses ist's, worauf ich trotze. Sagst du Das nicht laut genug, was deine Handlungen bestimmt? Laß es nun sehen – du kannst mich verderben – kannst bei dem Khalifen, den ich besser kenne, als du ihn zu kennen scheinst, durch die Entdeckung meine That um allen Nutzen bringen – dich zugleich von einem gefährlichen Feind befreien. –

Giafar. Ich danke dem Schicksal für Feinde deines Gleichen – sie sind mir nützlich, da sie mich aufmerksamer auf mich machen.

Khozaima. Wirst du schweigen?

Giafar. Ich werde schweigen, wenn Schweigen dem Khalifen nutzt, wenn nur ich dabei Gefahr laufe und eine Lüge mit fester Stirne sagen kann. Doch Alles, was geschieht, sollst du sogleich vernehmen.

Khozaima. Ich hab' ihn auf den Thron gesetzt.

Giafar. Dies ist mir nicht neu.

Khozaima. Ich wagte mein Leben damals für ihn – wagte es nun, wußte, daß ich es wagte, und sollte nun schweigen, da es Alles gilt, was ich zum Lohn mir wünschte? Ich fürchte ihn nicht, und lieber unternehme ich das Spiel mit seiner ganzen Macht – Höre! höre den Bewegungsgrund meines Unternehmens, vertrau' es ihm, wenn du nicht schweigen kannst. Ich liebe die Prinzessin, habe als Retter ihres Bruders vor Allen Ansprüche auf sie. Ich sah, daß er sich nie von ihr trennen würde, daß die Flamme widernatürlicher Liebe ihn mehr an sie fesselte, als die Herrschsucht an seinen Thron; um ihn zur Trennung von ihr zu zwingen, that ich diesen Schritt, in der Ueberzeugung, daß er sie nur mit mir vermählen könnte. Nun verlaß mich, ich übergebe dir mein Schicksal – rede oder schweige – das Gesumse der Wespen soll sein eingeschlafenes Gewissen schon aufwecken!

Giafar. O Aufrichtigkeit des Hofmanns! Nun erst merke ich, wie sehr du wünschest, daß ich recht geschwätzig sein möchte. Vergiß nur nicht, guter Khozaima, daß Haroun mehr durch seine Tugenden, durch die Liebe seiner Völker herrscht, als durch seine Macht, und daß wir, wenn wir den Großen wichtige Dienste geleistet haben, davon schweigen müssen; denn leichter reizen wir sie dadurch zum Hasse, als zur Dankbarkeit. Gehab dich wohl, morgen früh sollst du erfahren, was zu thun ist.


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