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5.

Haroun kämpfte in seinem Innern; er sprang von Entschluß zu Entschluß, und jeden, den sein Verstand erwählte, verwarf sein Herz mit Unwillen. Wuth, Liebe, Rache und Zärtlichkeit wechselten in seinem Busen; bald wollte er Abbassa nicht mehr sehen, bald Allen trotzen, bald sie zu der Mutter senden, sie auf immer von sich trennen; aber da lag die Welt leer und düster vor ihm, und schnell entschied der Stolz des Herrschers zum Vortheil des entflammten Herzens. Empört rief er: »Soll ein Elender über mich und mein Glück entscheiden? Soll ich, der ich Asien beherrsche und glücklich mache, vor dem Geschwätze erbeben, das der müßige Pöbel so lange wiederholt, bis eine neue Verläumdung ihre Ohren kitzelt, ihre Zungen in Bewegung setzt? Soll ich diesem Khozaima und seinem Anhang den Triumph über mich gestatten, sie hätten mich durch einen kühnen Schritt gezwungen, sie als Richter meiner Handlungen anzuerkennen? Es sind Eingriffe in meine Macht, die mich zu ihrem Sklaven machen würden!«

Kühn wollte er nun das Gerücht mit Füßen treten, sich in seine Unschuld, seine Stärke hüllen und so handeln, als ob er nichts vernommen hätte. Doch bald beunruhigten ernstere Betrachtungen seinen Geist. Der reine Ruf seiner geliebten Schwester – das Schreckliche, Scheußliche, Empörende des Verbrechens, das man ihm, dem Oberhaupt der Gläubigen, dem Lehrer des Volks, dem Nachfolger des Propheten, dem Manne, der durch Unsträflichkeit, durch Reinheit der Sitten das Vorbild Aller sein sollte, laut andichten würde. Unter fürchterlichen Gestalten erschienen ihm die Folgen, und er fühlte, daß in seiner Lage der Verdacht und das Verbrechen, Schein und Wahrheit Eins seien. Zum erstenmal sah er mit Grimm auf die Höhe, auf die ihn das Schicksal, Aller Augen ausgesetzt, gestellt hatte! – »Und wenn ich sie vermählte!« – Er knirschte vor Wuth bei dem Gedanken; aller Entschluß, alles Sinnen erstarrte vor dem kalten, widrigen Frost, der ihn überfiel. So kämpfte er viele Tage mit sich selbst und verbarg den Sturm seines Herzens unter seinem ernsten Aeußern. Er floh Giafar – floh seine Schwester, und wenn ihn sein Herz hinzog, so konnte er nicht weilen. Die Stunden, die er den Geschäften entziehen konnte, verlebte er in qualvoller Einsamkeit, und schon war er in Gefahr, die Weisheit und Stärke seines Geistes an der sträflichen Gluth seines Herzens aufzubrennen, als ihn das Volk in Bagdad aus seinem Schlummer weckte. Er begab sich den Freitag, wie gewöhnlich, nach der Moschee, und betroffen merkte er, als er aus seinem Palaste ritt, daß sich nur wenig Volk versammelt hatte, daß die Wenigen ernsthaft und traurig auf ihn blickten, ohne ihn nach ihrer Weise mit einem Freudenschrei zu empfangen. Er trat in die Moschee; niedergeschlagen blickte die Versammlung auf den Boden. Als er auf seine hohe Stelle stieg, den Koran aufschlug und über das stille, ernste Volk hinblickte, und Keiner seine Augen gegen ihn emporhob, schauderte der Gedanke durch seine Seele: »Sie alle wissen, was in deinem Busen glüht. Die Herrschaft über sie liegt in der Meinung, die sie von dir haben. So wie du nun dastehst, bist du, trotz deiner Macht, trotz deinem Glanze ihr Sklave – noch zweifeln sie; aber bald wirst du der Gegenstand ihres Hasses, ihres Abscheues werden – bald werden sie nur dich als die Ursache jedes Unglücks ansehen, das sie treffen wird!«

Die Stärke seines Geistes erwachte – seine Miene heiterte sich auf, er stimmte das Gebet mit freier, heller Stimme an, des nahen Siegs über sich gewiß. Sparsam, ohne Theilnahme, begleitete ihn das Volk auf seinem Rückzug. Khozaimas Anhang hatte den Abend vorher verschiedene widrige Gerüchte ausgebreitet, das Volk zur Traurigkeit gestimmt, und da Haroun, gebeugt von den Vorwürfen seines Gewissens, selbst seine Vertrautesten nicht um die Ursache zu fragen wagte, so blieb sie ihm ein Geheimniß. Entschlossen, empört über seinen Entschluß, ergrimmt, als drohe eine feige, meuchelmörderische Bande ihm Ehre und Leben zu rauben, begab er sich nach langem, qualvollem Streit zu seiner Schwester. Mit Heiterkeit und sanftem Lächeln empfing sie ihn, machte ihm zärtliche Vorwürfe, daß er sie so lange vernachlässigt hatte, fragte dringend: ob sie etwas gegen ihn verschuldet, ob sie seine Liebe verloren hätte?

Er drückte sie wider seine Brust, und Thränen netzten seine Wangen.

»Rühren dich meine Thränen, Geliebte? Was wird es dann sein, wenn du hörst, von deinem Haroun hörst, daß sie unserer Trennung fließen?«

Abbassa. Unsrer Trennung, Bruder? Womit hab' ich dies grausame Loos verdient?

Haroun. Womit ich?

Abbassa. Und wer fordert sie? Wer erzwingt sie? Wer kann Haroun, den Herrscher Asiens, nöthigen, sich von seiner geliebten Abbassa, seiner zärtlichen Freundin, zu trennen?

Haroun. Eben Das, daß er der Herrscher Asiens ist, dieses zwingt ihn. Was gäbe er nun darum, daß er es nicht wäre!

Abbassa. Ein neues Räthsel! Doch Bruder, so viele mir auch dein unbegreifliches Betragen zur Lösung aufgegeben hat, so ist mir dieses doch dunkler als die vorigen. Es ist nun einmal deine Laune – deine Freunde auf die Probe zu setzen – sie immer durch neue, unerwartete zu überraschen, und um dir Genüge zu thun, wechselst du mit Giafar und deiner Schwester.

Haroun. Giafar! Giafar! – Doch gut, daß du ihn nennst, ihn wenigstens mit einem mir so theuren Namen, mit dem einzigen, den mein Ohr mit Gefallen hört, zusammenstellst. – Du bist meine Schwester! Wollte Gott, ich könnte dich mit einem andern Namen nennen – dann wär' Alles gut – für dich – für mich – für diesen Giafar. – Sieh mich an! Warum erröthest du? Deine Wangen glühen, und eiskalt fühl' ich deine Hand in der meinen. – Nun schießt wieder Wärme – bis in die Fingerspitzen – und dein schönes Angesicht erblaßt – (er läßt ihre Hand fahren) berühre mich nicht! – Höre – höre – (Zitternd und stammelnd.) – Ich will – ich muß dich vermählen – an diesen Giafar – Nun schießt Röthe auf deine Wangen – dein Athem stockt – o Haroun! Haroun! – (Er faßt ungestüm ihre Hand – legt sie dann sanft wider sein Herz und sieht sie tief gerührt an, sie neigt ihr Haupt gegen ihn – er sieht ihre Thränen und ruft mit bebender Stimme:) Abbassa, wir müssen uns trennen – wenigstens auf eine Zeit – wähle nun zwischen Trennung, Erwartung auf Wiedersehen, oder diesem Giafar –

Abbassa (lange nachsinnend). Und wenn ich ihn wählte – darum wählte, um dieser gedrohten, mir unbegreiflichen Trennung zuvorzukommen –

Haroun (entfärbt sich und sagt mit verbißner Wuth): Du hast gewählt, du liebst den Mann und ziehst ihn deinem Bruder vor.

Abbassa. Wenn ihn mein Bruder gewählt hat, meiner würdig findet, so ist doch wohl nicht sein Wunsch, daß er mir zuwider sei? Warum sollt' ich nicht beantworten, was dein Antrag so bestimmt zu fordern scheint? Es ist nur Ein Mann in Asien, der Harouns Schwester Gemahl werden kann, und dies ist Giafar, des großen Harouns edler Freund.

Haroun. Undankbare! ich habe dich mit aller Zärtlichkeit geliebt – zu meinem Unglück, mit mehr als brüderlicher Zärtlichkeit; aber bekämpfte ich nicht jeden kühnen Wunsch, jede verbotene Empfindung, jeden gefährlichen Gedanken, die nur allzu oft deine Reize in mir erweckten? Dir verbarg ich sorgfältig die unglückliche Gluth, litt allein und ließ sie an meinem Herzen peinlich zehren. Unablässig strebt' ich, sie an deinem erhabenen Geist zu läutern, sie mir zum reinsten Licht des Lebens auszubilden. Nur in dir sah ich meine Freundin, nur von dir erwartete ich meinen gewissen, unfehlbaren Trost, nur in deinem Umgang den Lohn für meine Mühe. In diesen Träumen wähnt' ich, das Herz, die Liebe deines Bruders würden dir genügen – du könntest dich mit dem Ruhm seiner Thaten, seiner Weisheit, seiner Großmuth vermählen und ihm beweisen, daß ein menschliches Herz nur um seinetwillen leben könnte. Ich habe mich betrogen – lange sah ich es, und dieses ist die Quelle meines unbegreiflichen Betragens, das doch so begreiflich war, wenn du für mich empfunden hättest, was ich allein empfand. Es ist wahr, ich forderte viel von dir; aber wenn Haroun nichts von seiner Abbassa fordern kann, von welchem Sterblichen soll er fordern? Nur seit Giafar's Dasein merkt' ich, daß meine Forderung über deine Kräfte, über deinen Willen ging. Die Blicke deines Wohlgefallens, die Lobeserhebungen des Verhaßten bewiesen mir's, und früh fühlte ich die peinvolle Ahnung, ich würde dich einst durch ihn verlieren. Nun hört' ich, wovor ich bebte, und Haroun hat keinen Freund mehr, kann sein Herz keinem mehr vertrauen – an keines Busen mehr sicher ruhen – Und ich sollte dich, die Quelle meines Glücks, meiner Größe, meines Ruhms, meiner irdischen Seligkeit, einem Andern überlassen? Auf ewig dich verlieren? Auf ewig dich und Den hassen, den du mir vorgezogen hast?

Abbassa. Die Vorwürfe, die du mir machst, sind so grausam als ungerecht. Kann ich, darf ich beantworten, was du von mehr als brüderlicher Liebe sprichst? – O laß mich meine beschämten Wangen bedecken, meine Augen verhüllen und dir in leisem, bebendem Ton zulispeln – deine allzu feurige Liebe, deine zu leidenschaftliche Bewundrung war mir, die ich dich so sanft und schwesterlich zärtlich liebe, nur zu oft schrecklich, und ich durfte es nicht wagen, dir meinen Schrecken, meine Angst zu zeigen, weil ich fürchtete, von dir zu hören, was mich zur Unglücklichsten der Erde hätte machen müssen. Und darum – darum – vergib mir, Haroun, darum preis' ich mich und dich nun glücklich, daß bald meine Furcht verschwindet, daß ich ohne Angst und Scham auf dich und mich blicken darf. Wenn du Das in Abbassa suchst, was du mir nun so edel und deiner würdig geäußert hast, werd' ich dir Dies alles nicht sein können? Hör' ich auf, Das zu sein, was du so gütig von mir denkst? Können dein Ruhm, dein Glück, deine Größe mir fremd werden? Bleiben mir nicht alle meine reinen, freundschaftlichen, zärtlichen Gesinnungen für dich? Geliebter Bruder, sie können durch den Umgang mit dem Manne, den du trotz deinen Aeußerungen liebst und achtest, weil du, stolz wie du bist, ihm den zweiten Platz nach dir einräumst, ihn deiner Abbassa und deiner Verwandtschaft würdig hältst, nur erhöht werden. – O höre mich und zürne nicht. Laß mich deinen Unwillen von deiner Stirne küssen – du mußst meine Antwort auf deine Vorwürfe aushören. Soll ich auch einst vor dem strengen Herrscher zittern, so sei es nur nicht heute, so erlaube er mir nur noch heute, seine geliebte, aufrichtige Schwester zu sein.

Wenn ich ihn liebe, diesen Giafar, diesen edlen, von dir geschätzten Mann, so ist es mehr dein Werk, als das meine. Wer hat mich, durch Lehren und Beispiele seltner Tugenden, so aufmerksam auf männlichen Werth, so empfänglich dafür gemacht? Warst du es nicht? Und nun – nachdem du dies gethan hast, bemühtest du dich ohne Unterlaß, mir den seinen in erhabenem, glänzendem Licht zu zeigen. Du hast ihn gedrückt, verfolgt, mit Wort und That beleidigt, auf die grausamsten Proben gestellt, damit er immer größer sich erhebe, seine Tugend immer heller strahle. Jede deiner unbilligen Kränkungen, jede deiner harten Beleidigungen, jeder beißende Spott, jeder deiner finstern unverdienten Blicke gewann dem stillen, edlen Dulder einen Theil des Herzens deiner Schwester, bis Mitleid, Bewunderung – ich muß es sagen, so wild du auf mich blickest, mein ganzes Herz mit seinem Bild erfüllten. Klein müßt' ich von meinem großen Bruder denken, wenn ich ihm nun verschwiege, daß der Beleidiger oft in Gefahr stand, Das zu verlieren, was der unschuldig Beleidigte gewann. Konnte es wohl anders sein? Raubtest du nicht eben diesem Manne, der, um dir zu dienen, Alles ertrug, was deine Laune ihn zu quälen ersann, das einzige Weib, das sein Herz gewählt, das er zu künftigem Glück sich auferzogen hatte? Brachte er nicht deiner Gewalt, deinem Eigensinn dies Opfer, damit du, der du ihn seines gehofften Glücks beraubt hattest, ihm nun ferner gestatten möchtest, dein und deiner Völker Bestes zu befördern?

Haroun. Er raubte mir dich zuvor, dich, das edelste Kleinod meines Lebens, die Sicherheit meines Ruhms und meiner Größe. Dann erst raubt' ich ihm sein angetrautes Weib, weil ich in der gehofften Täuschung dich zu vergessen wähnte. Umsonst, in ihr umarmt' ich dich, der Trug verschwand, und du fehltest mir bei ihr. Meine Tugend, die sich an den Strahlen deiner Augen nur erwärmt, erkaltete – ha, so wollte es das Verhängniß; von ihm getrieben, von ihm geblendet, mußt' ich diesen Raub begehen, damit du ihm, die erste deines Geschlechts, den Verlust eines gewöhnlichen Weibes ersetztest. Könnt' ich dich vergessen! könnt' ich nur sagen, ich sei schuldlos! könnt' ich nur dich und ihn allein anklagen! – Wohl, werde die Seinige, das du, nach deinem Geständniß, schon lange bist; deinen Verlust werd' ich betrauern, wenn ich die Wunden nicht mehr so brennend fühle, die mir deine Worte schlugen. – O ich fürchte, ganz Asien wird einst mit Haroun diesen Tag beklagen! – (Er betrachtet sie lange mit zärtlichem Schmerz.) – Nein, ich kann es nicht denken – beim heiligen Wort des Propheten, er soll, kann, darf dich nicht besitzen – darf dich nicht ganz besitzen. Sein, mein und dein Unglück steht darauf. Abbassa soll keines Menschen Eigenthum werden, da sie das meine nicht werden kann.

Abbassa. Ich will, was du sagst, im besten Sinn nehmen; ob es gleich einen sehr widrigen in sich schließt, ob ich gleich sagen könnte, mein Bruder denke nur an sich.

Ich habe dir mein Herz entdeckt, du hast es gefordert, vernimm nun meinen festen Entschluß. Liebst du deine Schwester, wie sie dich liebt, gehört ihr Umgang zu deinem Glücke, kannst du reine Freundschaft für sie fühlen und des Mannes schonen, den du ihr durch dein Betragen so liebenswürdig gemacht hast, so vergiß, was ich gesprochen habe, und Abbassa weiht dir ihr ganzes Leben; ihr genügt deine Freundschaft, sie setzt dich über Alles, was du ihr wieder werden kannst, was du ihr warst, bevor du den Thron bestiegst.

Haroun. Schwester, vernimm mein ganzes Unglück – ich darf nicht annehmen, was deine Großmuth mir anbietet. Wir müssen uns trennen. Die Elenden haben unsre Liebe mißgestaltet – sie verunreinigt unter das Volk gebracht – und ich – das Oberhaupt der Gläubigen – Mahomets des Propheten Nachfolger, stehe in dem Verdacht eines Verbrechens, dessen fernster Gedanke meine Seele empört.

Abbassa (sinkt auf den Sopha erstarrt zurück – Thränen und Schluchzen ersticken die folgenden Worte): Laß mich entfliehen! diesen Palast verlassen! Laß mich zu unserer Mutter nach Damas bringen. Rette, rette die unglückliche Abbassa von einem Verdacht, der sie zum Gegenstand des Abscheues der Menschen macht – von dem der Tod, der von allem Unglück befreit, nicht rettet. Vermeide mich, Bruder, um meiner Ruhe, deines Glücks, deines Ruhms willen, vermeide mich!

Er faßte ihre Hände – sie wand sich los und eilte in ein Nebenzimmer; Haroun rief ihr nach: Fasse dich – mag Haroun elend werden, du sollst glücklich sein.


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