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11.

Haroun irrte sich nicht, wenn er Giafar in Pein dachte. Er fühlte die Qual des fabelhaften Tantalus; jede Sekunde seines Lebens setzte ihn, trotz des erhabenen Schwungs seiner Seele, trotz der reinen Begeistrung und seines festen Vorsatzes, auf die gefährlichste Probe, mit welcher jemals ein Sterblicher von höherer Macht belastet ward. Die Prinzessin schwebte vor ihm wie eine vom Himmel gesandte Erscheinung, die er nicht berühren durfte, ohne die Grenzen des Todes zu betreten – und doch lud ihn diese Erscheinung so freundlich ein; das Band der Herzen zog sich durch den Umgang immer fester zusammen, ihre Seelen lernten sich immer mehr verstehen – er entdeckte von Augenblick zu Augenblick höhere Vollkommenheiten. Jeder ihrer Blicke, jede ihrer Bewegungen, jedes Lächeln, jedes Oeffnen des lieblichen Mundes, jede Stellung zeigten ihm noch unentdeckte Schönheiten eines Körpers, den die Natur in der schönsten Begeistrung nur so vollkommen gebildet zu haben schien, um den erhabenen Geist, diesen göttlichen Funken aus der Quelle des ursprünglichen Lichts, seiner würdig einzuhüllen. Und diese Abbassa, die alle diese Vollkommenheiten besaß, die wie er über Weisheit, Tugend und Menschenglück dachte und empfand, mit ihm über die Mittel, es zu befördern, rathschlagte, gestand ihm, wie glücklich sie nun sei, wie sie es immer mehr würde, ihn immer mehr liebte; vertraute ihm, von welchem Augenblick an sie ihn erst bewundert und dann geliebt hätte. Diese Abbassa hielt ihn mit ihren geistreichen Gesprächen zurück, wenn er gehen wollte, verscheuchte seinen Ernst mit seelenvoller Munterkeit, fesselte den Traurigen mit himmlischem Gesang, mit melodischem Lautenspiel, liebkoste ihn, lehnte sich an seine Brust, fragte ihn, ob und wie sehr er sie liebe! erzählte ihm, wie sie mit ihrem Bruder in der Irre herumgewandert sei, was sie dabei ausgestanden, erfahren, gedacht und empfunden hätte, fragte ihn dann um sein vergangenes Leben, wollte Alles wissen, was ihm besonders begegnet sei, was er gedacht und empfunden hätte; was er nun dächte und fühlte – dann entfaltete er das Innerste seines Herzens, und ihre Seelen schmolzen zusammen in innigster Vertraulichkeit, in seligster Zärtlichkeit. Begeisterung, Schwärmerei erhob sie, sie überließen sich dem süßesten Einverständniß. Plötzlich rauschte die Drohung Harouns durch den Geist des von Liebe trunknen Barmeciden; der kalte, mörderische Gedanke zog sein Herz zusammen – er mußte sich losreißen, einen Vorwand mit bebender Lippe stammeln – erstaunt, gerührt sah sie dem Fliehenden nach und versank in Träume.

Giafars Mutter konnte ihres Sohns Betragen, seine Entfernung von seiner Gemahlin nicht begreifen; sie beobachtete ihn und Abbassa lange und schwieg aus weiblicher Sittsamkeit. Da sie aber die zunehmende Unruhe ihres Sohnes gewahr wurde und bemerkte, wie seine Heiterkeit nach und nach verschwand, wie der Mann, der so festen, sichern Tritts einherging, nun mit sich in innerm Kampfe zu leben schien, so widerstand ihr mütterliches Herz nicht länger; sie fragte ihn ohne Rückhalt um die Ursache seines Kummers, seines unbegreiflichen Betragens gegen die Prinzessin. Er erblaßte bei ihrer Frage, sein Haupt sank gegen seine Brust: »Forsche nicht, meine Mutter! dein Sohn soll und darf nur glücklich durch das Glück der Andern werden, ihm ist keins vorbehalten: er ist der Spott des Gewaltigen, dem er sich aufopfern muß. Hilf ihm, daß er seiner ganz vergesse, daß er seinem Zweck getreu verbleibe! Für ihn ist Abbassa nur die Erscheinung einer andern Welt.«

Die Mutter drang nun weiter in ihn, und sein Herz goß das qualvolle Geheimniß mit allen Umständen in ihren Busen.

Lange saß die Mutter betroffen, tief gerührt vor ihm. Sie fühlte die Gefahr ihres Sohnes – sein unvermeidliches Unglück, wenn er unterläge, seinen qualvollen Zustand im Kampfe – ihr hoher Sinn drang nach und nach durch die schwarze Vorstellung; sie empfand, daß sie ihn weder laut beklagen, noch ihm zeigen dürfe, was sie fürchtete. Kalt sagte sie:

Barmecide, da du dich hierzu verpflichtet hast, so hast du auch gewiß deine Kraft gegen die Gefahr erwogen.

Giafar. Ich habe es.

Mutter. So richte deinen Blick auf deinen hohen Zweck und erinnere dich, daß Keiner deines Hauses anders groß und gut, als auf seine Kosten ward. Hoffst du ihnen zu gleichen?

Giafar. Ich hoffe es.

Mutter. Der Perser Glück werde dein Genuß, der Stärkste, Erprobteste deines Hauses zu sein, dein Ruhm. Weiß die Prinzessin den Befehl des Grausamen?

Giafar. Könnt' ich es ihr vertrauen?

Mutter. Ich will es leise ihrer schönen Seele zuhauchen. Sie muß die Gefahr wissen, in der du schwebst, und dein Schutzengel werden.

Giafar sah die Nothwendigkeit davon ein, und er hoffte viel dadurch für seine Ruhe. Er schmeichelte sich, das reine Verständniß zwischen ihr und ihm würde dadurch von aller Hinderniß befreit werden, und die Liebe würde ihn gegen die Liebe selbst bewachen.

Die Gelegenheit bot sich der Mutter leicht dar; denn Alles, was Abbassa dachte, empfand und redete, bezog sich nur auf ihn. Da sie in einer Laube vertraulich zusammen saßen und Abbassa in strömender Beredtsamkeit der Liebe von ihm sprach – alle seine edlen Eigenschaften berührte – hielt sie auf einmal plötzlich inne und sah in der Mutter Augen, als ertappte sie ihn so eben auf einem Fehler, den ihre Zunge nicht aussprechen konnte, weil ihn ihr Herz nicht deutlich dachte. Die Mutter deutete leise auf ihr dunkles Gefühl, und mit einem Seufzer antwortete sie: »Ach Mutter, meine Liebe macht ihn nicht so glücklich, als sie mich es macht. Er liebt mich nicht, wie ich ihn liebe; denn sieh, er kann mich in der wärmsten Ergießung des Herzens kalt verlassen, kann bekümmert sein, wenn ich unaussprechlich glücklich bin – doch sage ihm ja nicht, was ich dir vertraue.«

Mutter. Kenntest du sein Herz, du würdest ihn bedauern. Der Schein ist wider ihn; und Das, was du ihm zum Fehler machst, würde seine höchste Tugend werden, wenn du die Quelle dieses Fehlers kenntest.

Abbassa. Wie, und er hätte mir dies verborgen? hätte mir etwas verborgen, und etwas, das den Kummer, der sich meinem Herzen täglich mehr nähert, entfernen könnte? aber nein, ich hätt' es entdecken, wenigstens an ihm nicht zweifeln sollen und habe die Strafe der Besorgniß verdient.

Mutter. Du konntest es nicht errathen, und er durfte, konnte dir's nicht sagen. Meine Tochter – laß mich dich so nennen – nur durch dich ist er glücklich, nur durch dich kann er's bleiben; nur durch deine Leitung, deinen Beistand, deinen erhabenen Sinn kann er seine Tugend fort ausüben. Nur dieses Glück kann ihm keine Macht der Erde nehmen, so eigensinnig, so eigennützig der Gewaltige es auch beschränkt. Du mußt ihm, um ihn zu erhalten, die Fesseln leicht machen, mit denen ihn dieser drohende Gewaltige belastet hat – die er nun so schmerzlich fühlt.

Abbassa. Kann ich? Ich? und du zögerst, Mutter!

Mutter. Nun so höre, wie er gefesselt, von ihm gefesselt ist. (Sie lispelt ihr das Geheimniß zu.)

Der Abglanz der Rose auf die Lilie überschattete ihre Wangen und Stirne. Der Athem hielt an ihrem Herzen; aber als die Mutter des Schwurs des Khalifen erwähnte, verschwand die Röthe der jungfräulichen Scham; kaltes Erbeben schlich durch ihre Glieder, sie sank an der Mutter Brust! »Haroun! Haroun! was hat der Thron der Khalifen aus dir gemacht!« – Die Scham verbot ihr, weiter zu reden, sie eilte nach ihren Zimmern, und nun da sie allein war, über ihres Bruders Verfahren mit ihr und Giafar lange nachgesonnen hatte, erleichterte sich ihr Herz durch Klagen: »Er sollte sterben – um meinetwillen – durch meinen Bruder – den ich so zärtlich liebte – dessen Schicksal das meinige ward, von dem Augenblick, da ich empfand, und nun, da er das meinige bestimmt, vergiftet er's. Vor uns stellt sich der Furchtbare, umschwebt uns unsichtbar, um jede Aufwallung der Liebe durch Todesangst niederzuschlagen! Den Tod stellte er als Scheidewand zwischen mich und ihn! O Haroun! Haroun! – Ich danke dir, Mutter, daß du mir ein Räthsel gelöset hast, mit dem sich mein Geist beschäftigte, ohne zu wissen, womit er sich beschäftigte. Du hast mich von meinem Verdacht, meinem Kummer geheilt. Er sei der Unglückliche, er leide durch das Bewußtsein unsers Glücks, das er uns nicht rauben, über das keine Macht der Erde gebieten kann.«

Zum erstenmal erwachte Groll in ihrem Herzen; aber bald verschwand er vor dem Bilde Giafars. Noch bewunderungswürdiger schien ihr nun der Mann, der, um ihren Bruder zu retten, um dem Undankbaren noch ferner nach seinem großen Sinne dienen zu können, sich durch dieses unnatürliche Gelübde gebunden hatte. Leicht schien es ihr, sich einem Ausspruch zu unterwerfen, der den Mann bedrohte, welchen sie über Alles liebte, der eines solchen Opfers fähig war, und unbedeutend schien ihr die Entbehrung eines Glücks, das noch dunkel vor ihren Augen schwebte. Ihn zu beruhigen, ihm das Opfer leicht zu machen, sann sie nun auf Mittel; aber trotz aller Begeisterung faßte doch das Herz mit tiefem Schmerz den Entschluß, den Ausbruch der Zärtlichkeit zu mäßigen; sie fühlte die Qual der Bande, womit sie sich nun fesseln sollte, seufzte über den Verlust der vergangenen, wonnevollen Stunden, in welchen sie sich ganz ihren Empfindungen überlassen durfte, weiter nichts mehr hoffte, nichts mehr fürchtete und ihr Glück an des Geliebten Busen für ganz gesichert und entschieden ansah. Sanfte Thränen folgten dem Entschluß, die nur der Gedanke der Gefahr Giafars trocknete. Als ihr der Barmecide zum erstenmal wieder nahte, färbten sich ihre Wangen höher, ihr Herz fühlte sie eingeengt, und ihre Blicke sanken unwillkürlich auf ihren bewegten Busen. Verschwunden war die glückliche Vertraulichkeit, das freie Entgegenschlagen der Herzen, die keine Gewalt über sich erkannten, als die Gewalt der Liebe. Mit jedem Worte, mit jedem Blicke, mit jeder Bewegung glaubte man zu viel zu thun. Noch vor Kurzem sang sie in ihre Laute das frohe Glück der Liebe, nun sang sie ihre schmelzenden Klagen, ihre peinvolle Unruhe; und jungfräuliche Scham, die kalte Regel der Pflicht, Furcht, Zwang, Wünsche, Hoffnung zogen einen düstern, melancholischen Schleier um das edle Paar. Giafar fühlte, was er verloren hatte, doch berührte er diese Saite nicht; er sah die Nothwendigkeit der Unterwerfung ein und suchte ihr Herz nach dem Ton des seinigen zu stimmen, die vorige Vertraulichkeit und Offenheit wieder hervorzulocken und ihr Zuversicht auf sich und ihn einzuflößen. Mit Wärme schilderte er das Glück der Liebe, stellte sie dar als den feurigsten und reinsten Trieb zum Schönen und Guten: unterhielt sie von Dem, was er gethan, was er auf die Zukunft zum Glück der Menschen entworfen hatte, und lud sie ein, ihm mit ihrem Rath, ihrer Hülfe beizustehen und den seligen Genuß des Wohlthuns mit ihm zu theilen. Dann zeigte er ihr, indem er sich sanft an sie schmiegte, daß er nur durch sie ihres Bruders und seines Glückes sicher wäre, nur durch ihren Beistand hoffen könnte, den betretnen Pfad nach dem Wunsche seines Herzens durchzulaufen, und wenn er das Ziel erreichte, nur von ihr den Kranz des Ruhms erwartete. Es waren ihre Gefühle, ihre Gesinnungen, und Giafar konnte nichts Großes denken und empfinden, das sie nicht gedacht und empfunden hätte; aber durch eben diese Begeisterung, durch dieses völlige Uebereinstimmen, durch die Mittheilung des Genusses über das beiderseitig bewirkte Glück der Menschen nahm ihre Liebe den gefährlichen Ton der Schwärmerei, wechselseitiger Vergötterung an, und je mehr sie sich auf den Flügeln des Geistes zu erheben glaubten, je näher brachte sie die entflammte Phantasie zusammen; je mehr fühlten sie, was sie schied, was sie hinderte, einander in die Arme zu fliegen, um sich Herz an Herz, Mund an Mund ihr Entzücken, ihre Bewundrung mitzutheilen. Ein Blick, ein einziges dem Herzen entflohenes Wort, ein unvermuthetes Berühren, und die Begeistrung sank; sie sahen sich betroffen an, strebten, ihre Blicke von einander abzuziehen, und die Furcht, der Zwang vergiftete die Quelle ihres Glücks. Der thätige, in Geschäfte und Sorgen verwickelte Barmecide, der stündlich mehr empfand, was er noch zu leisten hätte, der laut hörte, was man von ihm erwartete, der mit den Intriguen, den Kabalen und Schlechtigkeiten der Hofleute, der unter ihm stehenden Beamten zu kämpfen hatte, fand in diesen äußern Verhältnissen immer neue Kraft, die Probe zu bestehen, und jede überwundene Erschütterung, jede erkämpfte Zurückhaltung eines feurigen Wunsches spannten seine Hoffnung des Sieges über sich. Ganz anders wirkte der Zwang auf Abbassa, alle Gluth zog sich in ihr Herz, und da sie keine Empfindung mehr zu äußern wagte, so drängten sie sich in ihrem Busen zusammen, und jeder zurückgehaltne Wunsch, jede versagte Aeußerung von Zärtlichkeit kehrte feuriger zurück. In Gegenwart Giafars faßte sie sich, so viel sie konnte, strebte, sich aufzuheitern, und schien nur mit ihm und seiner Zufriedenheit beschäftigt: aber undeutliche Wünsche, unbekannte Gefühle, rastloses Spiel der durch Furcht und Angst gefesselten Phantasie, Unruhe, der sie keinen Namen zu geben wußte, die ihre Seufzer nicht erleichterten, ihre Thränen nicht kühlten, folgten ihr in die Einsamkeit. Voll der Bewunderung für den edlen Mann, verzieh ihm doch oft ihr Herz nicht, daß er sein Schicksal so kalt ertrüge, sich nicht beklagte, seine Lage nicht bedauerte, seine Klagen nicht mit den ihren vermischte, keine Thränen darüber mit ihr vergoß, durch seine Thränen, durch seine Klagen ihren Kummer nicht zu stillen suchte. Mit der Mutter vermied sie aus Scham davon zu reden, und zeigte sich ihr immer gefaßt und heiter, so weit sie's nur vermochte.

Schwermuth hatte sich nun auf sie herabgelassen. Schon nahte ihr Giafar mit Beben, schon empfing sie ihn mit schmerzlichem Willkomm, schon konnte oft das Wort des Abschieds nicht über die bebenden Lippen fließen. – In dieser Stimmung saßen sie eines Abends beisammen, als ein Eilbote kam und Giafar zu dem Khalifen forderte. Kaum vernahm es Abbassa, so fiel sie ihm erschrocken um den Hals: »Was will er zu dieser Stunde? In der tiefen Nacht? Was haben wir verbrochen? Will er dich tödten? Laß mich dich begleiten, mit dir zu ihm eilen, daß ich mit dir sterbe!«

Giafar lächelte und sagte: Worüber erschrickst du, Geliebte? Läßt er mich nicht täglich rufen? Du weißt, daß sich der Khalife diesen Tag zur Armee begibt: glaubst du, daß er mir keine Befehle zu hinterlassen hat? Verbrechen! Kann Giafar, der Gemahl Abbassas, ein Verbrechen begehen, das ihm den gerechten Zorn des Khalifen zuzöge? – Er umarmte sie zärtlich, warf sich mit einigen seiner Diener in ein Fahrzeug und schwamm über den Tigris.


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