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4.

Giafar brachte den übrigen Theil der Nacht in Sorgen über die bedenkliche Lage des Khalifen zu. Seine eigene Bemerkungen trafen mit Dem, was Khozaima ihm so kühn gesagt hatte, nur allzu sehr zu, und aus seiner raschen Rache schloß er auf die Stärke seiner Leidenschaft. Er hielt das Wagstück Khozaimas für ein Glück, faßte den Entschluß, dem Khalifen über ein Verhältniß die Augen zu öffnen, das man, wär' es auch unschuldig, so leicht und gern mißdeuten würde. Er trat vor den Khalifen, den er allein und verschlossen antraf.

Mit wilden, forschenden Blicken empfing ihn Haroun: Lebt der Elende? Wer ist er?

Giafar. Herr, sage lieber der Unglückliche, der den Muth hatte, dir ein Gerücht zu verkünden, dem bei Menschen, die den weisen, edlen Haroun nicht kennen, deine blutige Rache einen auffallenden Schein von Wahrheit geben könnte.

Haroun. Giafar, der Dolch ist noch feucht von des Kühnen Blut.

Giafar. Wenn ich vor deiner Drohung erschrecke, so ist es mehr um deinetwillen. Vergib mir, Herr! ich glaubte dich über diese That gerührt zu finden; wenigstens entschlossen, die Warnung des Unglücklichen zu benutzen. Wahr sei es oder falsch, was er dir verkündet hat, so verdient er deinen Dank. Dein Zorn läßt mich nun befürchten, daß ihm noch Viele folgen müssen, wenn du Jeden so belohnen willst; aber eben dadurch wird dieses für dich bedenkliche Gerücht nur lauter werden. Brauch' ich dem Oberhaupt der Gläubigen die Folgen davon darzulegen?

Haroun ging einigemal auf und ab, dann trat er schnell zu Giafar: Glaubst du, was dieser Elende sagte?

Giafar. Ich glaube, daß Haroun, der Nachfolger des Propheten, nicht fähig ist, zu denken, was dieser Zudringliche sagte; aber dieses glaube ich, daß er durch Aeußerungen, durch Umstände Gelegenheit zu einem Gerüchte gegeben hat, das die Bosheit seiner Feinde, die Neigung der Menschen, alles ihren Herrschern Nachtheilige für wahr zu halten, gern verbreiten wird. Wahrheit und Unwahrheit sind hier gleich nachtheilig für dich, für deine erhabene Schwester – dein Volk – und für das Gute, das es von dir hofft.

Haroun stand tief gerührt vor Giafar – seine Augen wurden feucht – seine Lippen öffneten sich zu reden, plötzlich zog sie Grimm zusammen, und er rief in schneidendem Tone: Ich fragte dich, ob der Elende lebte? wer er ist?

Giafar. Dein Dolch hat ihn getödtet; ich begrub deine That in den Tigris, möcht' ich dein Geheimniß so begraben können.

Haroun. Vortrefflich! ich hoffe, es ist mit ihm begraben. Jeden will ich ihm nachschicken, der ergründen will, was ich zu ergründen selbst nicht wage.

Giafar. So möchtest du am Ende über Todte herrschen.

Haroun. Giafar, reize meine Wuth nicht allzu sicher – der Unschuldige, der du dir nur scheinst, möchte ihr leicht das liebste Opfer sein.

Giafar. Wer Königen dient, und seien sie auch Haroune, geht dies gefährliche Wagstück mit ihrer Laune ein.

Haroun. Die Antwort auf dies später, Barmecide! – Wer war der Mann? Du hast ihn doch nicht begraben, ohne sein Angesicht zu betrachten? Ohne dich weiter zu erkundigen?

Giafar. Ein mir gänzlich Unbekannter.

Haroun. Du lügst – dein Mund sagt dies – und dein Geist, der unwillig über deine Lüge in deine Augen schießt, widerspricht ihm.

Giafar. So ist's die erste Lüge – weil ich dir nützen und – den Warner retten will; doch vielleicht ist dir die Wahrheit nützlicher, vielleicht, daß mich eben darum mein, der Lügen ungewohnter Geist verrathen hat. Vernimm – und mögen die Folgen eben so deinem Geist erscheinen, wie sie dem meinen erschienen, als ich ihn erkannte. Es ist kein Unbekannter – Khozaima ist's, der dir diesen Dienst auf seine Gefahr erwiesen hat.

Haroun. Dein Glück ist dieses Wort; denn wisse nur, kaum war ich in meinem Palast angekommen, kaum hatte ich mich aus der Betäubung erholt, als ich ihn erkannte. Seine Stimme, sein Aeußres konnte er ändern und verhüllen; aber wie den Blick, wie die Geberde, womit rastlose Ehrsucht, giftiger Neid ihn zur Warnung Anderer gezeichnet haben? Nur ihm glich diese That, er ist der Erfinder dieses Gerüchts, mit ihm ist es gestorben. Ich danke dir für sein Grab, du hast mich und dich von einem gefährlichen Feind befreit.

Giafar. Du dankst mir umsonst – dein Dolch hat ihn verwundet, nicht getödtet. Er lebt!

Haroun (finster). So ist meine Ruhe auf immer hin – und dich – dich hasse ich – Warum lebt er? Warum vollendetest du nicht die halbgeschehene That? – Unsinniger Schwätzer, fühltest du nicht den Dienst, den du mir erweisen konntest? Hatte ihn mir nicht sein Verhängniß zur Rache in blinder Verwegenheit entgegengeführt? Verschwand er nicht von der Erde, ohne daß man wußte, durch wen und wie? Und du nennst dich meinen Freund?

Giafar. Nur dann würd' ich's nicht mehr sein, wenn ich deinen Leidenschaften diente. Du selbst befahlst mir, ihn aufzusparen, wenn er noch lebte; hätt' ich dir nicht gehorcht, so wär' ich strafbar. Sollte er darum sterben, weil er dir dienen wollte, weil er dich mit einem Gerücht bekannt machte, das für dich gefährlich ist? Er verdient deinen Dank, und nicht die blutige Rache, die dein gutes Verhängniß von ihm abgewendet hat.

Haroun. Welchen Dienst hättest du mir erwiesen – Giafar! Giafar, du hast dir einen sehr gefährlichen Feind aufgespart.

Giafar. Das sagte er mir selbst, und um so näher liegt mir seine Rettung, um so mehr muß ich mich nun hüten, daß mir nichts Menschliches widerfahre. Herr, sieh nur auf den Vortheil, den dieser Zufall bringt. Ist es nicht besser, du vernahmst dies Gerücht aus seinem Munde, bevor es dein ganzes Land erfüllt? Nun wird dir deine Weisheit leicht die Mittel zeigen, es zu dämpfen.

Haroun. Meine Rache soll ihn finden.

Giafar. Auf dich ziehst du die Rache; und nur durch sie kann der Verdacht zur Wahrheit werden. Selbst die Klugheit will, daß du dieses als den zweiten, größten Dienst ansiehst, den dir ein Unterhan erwiesen hat. Sieh nicht auf das Innre des Mannes, sieh auf seine That. Eben der Khozaima, der, um dich zu retten, einst deinen Verfolger stürzte, warnt dich nun vor einer Gefahr, deren Folgen nicht abzusehen sind. Die Verbindlichkeit, die du ihm für den ersten Dienst hast, ist von der Art, daß ihn die Menschen nicht so leicht vergessen, und daß der zweite, wenn du der Rache folgst, nicht vergessen werde, dafür werden seine Genossen schon Sorge tragen. Glaubst du, daß Khozaima ein solches Wagstück ohne Kenntniß Anderer unternommen hat? Ein Volksgerücht dämpft sich durch ein neues; aber wie ein Gerücht, das Leute deines Hofs aus Absichten geflissentlich unterhalten?

Haroun. Alles Dieses weißt du, und doch lebt er? Thorheit ist die Tugend, wenn sie nicht weiß, daß man oft das Gute durch eine bös scheinende That befördert.

Giafar. Hüte dich, Herr, daß dieser Spruch an deinem Hofe nicht zur Regel werde; des Bösen bist du dann gewiß, und was erwartest du von diesem vermeinten Guten, da es der Vortheil und die Neigung eines Jeden bestimmen wird? Hat nicht Khozaima bei diesem Vorfall, der dich so sehr empört, davon Gebrauch gemacht, um seine Absichten zu befördern?

Haroun. Welche? Welche?

Giafar. Er offenbarte mir sie so absichtlich, daß ich ihm diene, wenn ich dir sie vertraue. Wie, wenn er nun, in dem Augenblick, da er den Khalifen warnte, ihm fühlbar machen wollte, das beste Mittel, dieses Gerücht zu dämpfen, sei, die Prinzessin zu vermählen.

Haroun. Giafar!

Giafar. Und das an ihn, weil er sich durch seinen Rang und mehr noch durch den Dienst, den er dem Bruder erwiesen hat, für den ihrer Würdigsten hält.

Haroun. Abbassa! – ihm? – einem Manne? einem Sterblichen? Sie, die allein das Glück meines Lebens macht – die die Blüthe meines Ruhms durch ihren Geist, durch ihre Freundschaft zur Reife treibt? Die alles Gute, dessen ich fähig bin, zum Leben und Gedeihen bringt? – Weißt du, was Abbassa ist? Kann dein Herz ihren Werth empfinden? – Und du kannst mir dies so kalt sagen? – Du bist fühllos – du kennst die Freundschaft nicht. – Und er – er hat gelebt! Dankt' ich nur ihm mein Dasein, wär' er die Stütze meines Throns, er müßte sterben, um des kühnen Gedankens willen. Befreie mich schnell von ihm, wenn du nicht willst, daß ich von dir glauben soll, du seist mit dem Verbrecher einverstanden – wenn du nicht willst, daß auch dich meine Rache treffe.

Giafar. Glaubst du dies, so hat sie's schon gethan. Ist es zärtliche Freundschaft, die dich an deine erhabene Schwester fesselt, so bedaure ich dich und ergrimme mit dir, daß die Frechheit der Menschen ein so reines, schönes Band antastet und dein süßestes Glück verunreinigt. Doch, Herr, du weißt es besser, als ich dir es sagen kann, daß die Herrscher der Menschen manch hartes Opfer bringen – viel um des Vorurtheils entbehren müssen. Gerne macht der Haufen ihnen zum Verbrechen, was sie an ihres Gleichen kaum bemerken, und Jeder rächt sich freudig durch Entdeckung und Verbreitung der Schwache des gefürchteten Großen, den er im Schooß des Glücks sich denkt. Auch weißt du, daß äußre Macht den Herrscher nicht wirklich größer und erhabener macht, als er sich in seinem Innern fühlt. Vergib mir, Herr! auf deine Weisheit, auf diese deine wahre Größe vertrauend, hielt und halt' ich meine Zweifel gern zurück. Ich sehe ein, daß die Kühnheit Khozaimas dich mit Recht empört; aber hier gilt der Spruch vielleicht: das Böse könne das Gute befördern, und die geheime Tücke, die Beleidigung eines Kühnen schlage zu unserm Vortheil wider seine Absicht aus. Ich, der diesen Vortheil mit mehr Kälte betrachten kann, finde in dem Wunsche eine Entschuldigung für Khozaima. Ist sein Fehler nicht menschlicher, verzeihlicher, als wenn ihn bloße Bosheit, nur Wille, dir zu schaden, zu diesem kühnen Schritt verleitet hätten?

Haroun. Ich danke dir; er soll leben und leiden; in seinem kühnen Wunsche sehe ich dauernde Rache für mich. Wo ist er? Wie steht's mit seiner Wunde?

Giafar. Er lebt verborgen. Seine Wunde wird ihm nicht so bald erlauben, vor dir zu erscheinen.

Haroun. Laß ihn wissen, du habest mir nichts entdeckt; ich glaubte, es sei ein Unbekannter gewesen, den der Tod meiner Ahndung entrissen hätte, und er möge bis zum Ende seines Urlaubs in seinem Aufenthalt verbleiben. – Peinvoll ist die Lage, worein er mich versetzt hat. Laß mich allein! ich, der ich über Millionen herrsche, tauschte gern in diesem Augenblick mit dem Aermsten meines Reichs. Ich habe keinen Freund – keiner würde mich verstehen, und der Beste würde Das mißbrauchen, was mich zum Menschen macht –

Giafar. Keinen Freund! – Haroun keinen Freund! Haroun. Ich fühle den Stich durchs Herz, den du empfindest, und doch kann ich nicht widerrufen in Ansehung deiner nicht widerrufen. Dunkel liegt die Ursache in meinem Geiste – entdeckte ich dir sie – so zerriß' ich ganz das lockre Band, das mich an dich fesselt, das ich gern enger zusammenziehen möchte. Geh deines Weges gerad fort und hüte dich, mir über das Geschehene zu reden. Was Haroun thut, muß aus seinem Willen, aus seinem Herzen kommen: er muß jeden Sieg nur sich verdanken, wenn er ihm gefallen, wenn er ihm nützen soll.


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