Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Ostufer des Kiwu.

Brief XXXVIII.

Am 10. März verließ ich Kissenje. Kissenje – wörtlich: der große Sand ist darum vor allen andern Stellen des Sees ausgezeichnet, daß es – keine mit Kalk verkitteten Felsufer, sondern einen schönen, etwa 1 ½ Kilometer langen Strand von gelblichem, grobkörnigem Sand hat, der in ziemlich dicker Schicht die Lava bedeckt. Er beginnt am Einfluß des Ssabeje, der mehrere hohe Fälle bildend sehr viel fein gemalmte Erde mit sich reißt und sie auf einer Bank vor seiner Mündung weit in den See hinein ablagert. So hat er auch den Sand von Kissenje erzeugt, in dem bei starkem Wellengang Teile der Sandbarre fortgespült und weiter westlich angetrieben wurden.

Meine Karawane genoß den prächtigen Badestrand reichlich. Den ganzen Tag war er von nackten schwarzen Gestalten belagert, deren nasse Körper das Sonnenlicht in grell glitzernden Reflexen zurückwarfen. Abwechselnd stürzten sie sich mit großem Geschrei ins Wasser, tauchten und schwammen auf ihre etwas unvollkommene Art und doch zum Teil recht ausdauernd Der Neger schwimmt, indem er sich abwechselnd auf die Flanken wirft, gleichzeitig mit dem Arm der Gegenseite weit vorgreifend, wobei er über dem Wasser eine Art Halbkreis mit ihm beschreibt. Die Füße strampeln nur ein wenig; auf dem Rücken können nur wenige schwimmen. oder lagen in kleinen Gruppen auf dem Trocknen, ließen sich die Rückseite von der Sonne bescheinen und die Füße von den Wellen bespülen. Die Damen, die das gleiche schon in den frühen Morgenstunden besorgt haben, halten sich meist züchtig im Lager, verschmähen aber auch nicht ein Schwätzchen mit den Badenden, wenn sie der Zufall an ihnen vorüberführt. Die Gelegenheit, Aktstudien zu machen, lockt sie gewiß nicht, auch denken sie sich sicherlich nichts Arges dabei, trotzdem sie sich sofort in die Büsche drücken, wenn sie sich vom Europäer bei diesem tête à tête beobachtet sehen. Denn der Neger besitzt zwei Decenzen, eine mildere im Verkehr mit seinen Rassegenossen, eine strengere im Verkehr mit den Weißen. (Ähnliches kann man ja auch bei unseren niederen Volksschichten in ihrer Art sich »unter sich« und vor dem Vertreter einer sozialen höheren zu geben, beobachten – confer Bauer und Sommerfrischler.) – – –

Während so die einen in Wasser, Luft und Sonne ihre wohlgebildeten Körper baden, benutzen andere die Gelegenheit, auch für die Umhüllung ihrer Leiber zu sorgen. Schon in aller Frühe schallte von weiter her, da wo Felsen den Sand ablöst, der dumpfe Schlag der Wäscher zu mir hinüber. Einer deutschen Hausfrau würden bei ihrem Anblick die Haare zu Berge stehen, wenn dies – ich bin nicht orientiert – bei Damen möglich ist; denn sehr pfleglich wird die Wäsche nicht behandelt, wie der Neger überhaupt fast jede ihm komplizierte Verrichtung nicht mit bedächtiger Sorgfalt sondern mit übermäßigem Kraftaufwand zu überwinden trachtet – ich könnte aus eigenem Bestande eine große Kollektion bartloser Schlüssel als Okular-Demonstration zusammenbringen – so sucht er auch das Problem, sein und leider auch seines Herren Zeug von der »Spur der Erdentage« zu befreien, mit möglichst viel Seife, Berliner Blau, vor allem aber mit verschwendrischer Nguwu d. h. Kraft zu lösen. So setzt er sich denn hin (im Stehen arbeitet ein Neger ungern und schon gar nicht, wenn er sich nicht wenigstens irgendwo – und sei es an einen schwanken Zeltstrick – anlehnen darf), setzt sich hin, nimmt als Unterlage einen großen Stein oder in Ermangelung dessen ein Brett (Fleischhackbrett bevorzugt!!) und klopft den Schmutz aus, so wie es bei uns mit grobem Zeug getan wird. Nur viel energischer. Ist er nicht bösartig, so packt er nur einen Zipfel des eingeseiften Wäschestücks mit der Linken, z. B. einen Hemdsärmel, und schlägt ihn mit ziehharmonikaähnlichen Bewegungen auf das zum Klumpen geballte Hemd. Gleichzeitig haut auch seine Rechte zu, die entweder leer oder mit einem Stock oder Stein bewaffnet ist; das sind die Gutmütigen, die indes nicht allzu häufig sind. Die hartherzigen packen das Hemd mit beiden Händen wie eine tolle Katze am Schwanz, schwingen es hoch durch die Lüfte und lassen es immer wieder auf den Stein niederschmettern, als wollten sie mit wissenschaftlicher Gründlichkeit feststellen, mit wieviel Schlägen sie es zu Purée zermalmen könnten. Es gibt ein Gemälde, ich denke von Rubens, auf dem die Krieger des Herodes die bethlehemitischen Kinder ähnlich mißhandeln, und die Mütter, in ihrer Verzweiflung zu Megären geworden, den Scheusalen mit gekrallten Händen in die Haare und Augen fahren. An dies Bild muß ich jedesmal denken, wenn ich mir vorzustellen versuche, wie sich deutsche Hausfrauen beim ersten Anblick einer Negerwäsche benehmen würden. Solchermaßen duldet das arme, wehrlose halb bewußtlose Hemd – oder was es gerade ist – je nach Bedarf eine kürzere oder längere Frist teuflische Folterqualen, bis es zwar in jungfräulicher Reinheit strahlt, aber von zahlreichen Wunden bedeckt die Spuren der Räderung (und oft genug auch noch einer Vier- und Mehrteilung) am Leibe trägt. Und so wird für das Zeug des Europäers, das ihm vielleicht mütterliche oder schwesterliche Sorgfalt liebevoll ausgewählt hat, die Negerwäsche in kurzem

»zum großen gigantischen Schicksal,
Welches das Hemde erhebt, nachdem es das Hemde zermalmt.«

(Schiller)

Übrigens hat es mit dem »Erheben« nicht immer seine Richtigkeit, denn wozu sich die Arbeit machen, etwas mühsam auf Stricken zu befestigen, was man viel bequemer im Grase plazieren kann, wo die Sonnenstrahlen viel besser wirken können, allerdings auch die Ziegen und Hühner hinüber laufen. Tutafanjaje bana mkuba? amri ja mungu. Was soll man da machen gnädigster Herr? Allahs Wille.

Während das Baden am Strande von Kissenje damals noch ein durch nichts getrübtes Vergnügen war, bot es später eine etwas geschmälerte Lust, weil inzwischen Sandflöhe in nicht zu knapper Zahl das Terrain okkupiert hatten; sehr erklärlich, weil früher keine menschliche Ansiedlung in nächster Nähe war, während nachher die deutsch-belgische Grenzkommission mit ihrem Konflux von Trägern und Soldaten ihr Lager dort lange Zeit aufgeschlagen hatte.

Über den Sandfloh ( Sarcopsylla penetrans) habe ich in jedem Reisewerk etwas gelesen, aber seine Biologie ist mir deswegen doch bis heute in vielen Punkten dunkel geblieben. Er gehört bekanntlich zu jenen Schädlingen, die scheinbar aus dem Nichts entstehen, in Wirklichkeit Jahrtausende auf kleinen Kreis beschränkt leben, plötzlich durch irgendwie besonders günstige Lebensbedingungen sich ungeheuer vermehren und einen Wanderzug um die Erde antreten. Auch die Sarcopsylla soll so von Westindien über Amerika in das Nigergebiet gekommen sein, von wo aus sie quer durch Afrika zog und vor mehreren Jahren die Ostküste erreichte. Von hier wird sie wohl bald den Kreis ihrer Pilgerfahrt wieder geschlossen haben. Den Namen Sandfloh verdient sie übrigens nur halb, denn sie gedeiht auf jeder Erde, wo es Menschen und Tiere gibt, und ist eine rechte Plage, gegen die man sich nur schwer schützen kann, und von der niemand verschont bleibt. Es ist daher ungerechtfertigt, wenn der sonst so scharf beobachtende Stuhlmann meint, daß man durch Sauberkeit davor bewahrt bleiben kann. Gerade beim bezw. nach dem Baden haben die Parasiten die beste Gelegenheit, sich auf ihre Opfer zu stürzen. Man hat gegen sie kein anderes Mittel, als sich täglich ein- bis zweimal durch seinen Boy die Haut – namentlich die der unteren Extremitäten – inspizieren zu lassen, um die ungebetenen Gäste womöglich zu entfernen, bevor sie sich eingebohrt haben. » Cherchez la femme« befiehlt man ihm, denn nur die Sandflohdamen verfolgen uns. Übrigens ist ihnen außer der behaarten Kopfhaut jede Stelle recht, wie man an Rindern, die sich viel auf der Erde sielen, sehen kann. Bei vernachlässigten Rindern findet man an Ellbogen, Knie, und anderen Körperteilen oft 40 und mehr erbsengroß angeschwollene Sarcopsyllen wie Wollsäcke über- und nebeneinander im Zellgewebe liegen.

Nicht weniger als die Menschen werden die Tiere heimgesucht; Affen, Hunde, Hühner, überhaupt Vögel, besonders Kuhreiher und Bachstelzen – alle müssen sie den Sandflöhen als Wirte dienen. Die Plage ist sehr groß, aber die Gefahr meist gering.

In Heck-Matschies »Tierreich« Die beiden Bände von Heck's »Tierreich« kann ich allen Eltern gar nicht warm genug als lächerlich billige und eminent lehrreiche Geschenke für verständige Knaben empfehlen. finde ich als Folgen erwähnt: Eiterungen, Brand, Verstümmelungen der Füße, ja bisweilen Tod. Das ist wohl etwas sehr schwarz gesehen. Harmlose infektiöse Entzündungen sind wie bei jeder anderen Wunde häufig, aber ihre Ursache sind nicht die Sandflöhe, sondern die unreinen Nadeln, mit denen sie entfernt werden. Selbstverständlich können dadurch gelegentlich auch die anderen erwähnten Zufälle eintreten, aber sie sind sicherlich sehr selten. Die großen Verstümmelungen ganzer Glieder, besonders der oberen und unteren Extremitäten, haben zweifelsohne nichts mit Sandflöhen zu tun. Darin sind verschiedene Gouvernementsärzte, mit denen ich über dieses Thema sprach oder korrespondierte, mit mir einig gewesen. Es wäre auch sehr auffallend, warum man in gewissen Ländern, z. B. Unjamwesi und Uschirombo, solche Amputationen relativ häufig sieht, während sie in anderen Gebieten, z. B. in Ruanda, die nicht weniger von den Sarcopsyllen heimgesucht werden, fast nie bemerkbar sind. Da muß eine andere Ursache wirksam sein und, wie ich vermute, sehr oft Lepra. Außerdem aber ist der Neger noch einem Heer von Leiden ausgesetzt, die unter dem Bilde geschwüriger und gangränöser Prozesse verlaufen und nur zu leicht vom Laien auf Sandflöhe zurückgeführt werden. Aber solange nicht exakte Beobachtungen von Einzelfällen vorliegen, glaube ich nicht daran. Auch spricht dafür nicht, wie manche wollen, die Häufigkeit solcher Erscheinungen gerade an den Füßen. In Staub und Schmutz leben eben noch andere Schädlinge als die Sandflöhe, und wenn die Neger auf den Händen liefen, so wären eben diese am meisten heimgesucht. Ich kann auf Grund meiner Erfahrungen, die gerade in diesem Punkt weniger beschränkt sind als in anderen, nur sagen, daß ich keine schwere Erkrankung, Verstümmelung usw. gesehen habe, die mit Sicherheit für Folgen der Sandflöhe gehalten werden konnte. Bei vernachlässigten Rindern z. B., die an einer Stelle vierzig und mehr der Parasiten sitzen haben, findet man fast ganz aseptische Wundhöhlen, die nach Entfernung der Tiere überraschend schnell heilen. Gerade hier in Bugoie gibt es Sandflöhe in Massen, aber wenn ich die Kinder betrachte, die oft zu hundert ins Lager zum Perlenaufreihen kommen, und die alle den charakteristischen Sandflohgang haben – nämlich auf den Hacken und die Zehen gehoben – so finde ich wohl Zehen, die durch immer neue Invasionen der Schädlinge und die täglichen Eingriffe schmutziger Instrumente entzündet und durch Narbenbildung verunstaltet sind, aber fast keine Verstümmelungen, geschweige das Fehlen ganzer Glieder, eines Fußes, Unterschenkels usw. Als direkte Wirkung der Sandflöhe scheint mir letzteres auch ganz unmöglich. Aber trotzdem bleiben sie eine Plage. Der heftig bohrende Schmerz im Anfang und später das infame reflektorische Juckgefühl, sowie bisweilen die peinlich brennende Entzündung nach der Herausnahme pressen auch dem Europäer manchen Seufzer aus. Sobald übrigens die Weibchen eine gewisse Größe, nach etwa fünf, sechs Tagen, erreicht haben, läßt auch der Schmerz nach. Man hat gegen sie allerlei Prophylaktika empfohlen (die Eingeborenen rühmen das tägliche Einreiben der Haut mit Butter), aber das am sichersten wirkende scheint mir vorläufig immer noch das Tragen hoher Schuhe zu sein, wenn auch dies kein Spezifikum ist, da man sie ja auch mal wieder ausziehen muß. Aber dies, und daneben täglich penible Inspektionen bieten doch einen fast vollkommenen Schutz. Freilich darf man nicht wie mein Boy Mabruk Kanonen bis über die Knie und in den Sohlen sieben Löcher haben. Erwähnen möchte ich noch die Behauptung der Kiwuleute, daß man durch stundenlanges Stehen im Seewasser die Sandflöhe zum Absterben bringt. – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Am 10. März trat ich also, wie erwähnt, den Marsch längs des Ostufers an, das bis zum Russisi-Ausfluß hin zu Ruanda gehört.

Vom 10. bis 13. März marschierte ich nach Süden bis zu einem Kap, dem die Insel Mugarura vorgelagert ist. Bis zu ihr war Graf Goetzen auf seiner Bootsfahrt gekommen. Ich hielt mich, so oft es ging, in der Nähe des Sees, passierte die gut besiedelte Landschaft Bugoie und kam in den nächsten Distrikt Bwischascha, der, an unserem Wege wenigstens, nicht sehr menschenreich war. Das Ufer ist enorm ausgezackt, eine kleine Bucht folgt der anderen, in immer neuen Formen ziehen die Landzungen in die See, den kleine und kleinste Inseln beleben. Wo die Buchten tiefer einschneiden, müssen wir uns mehr in die Berge hineinziehen. Oft läuft, durch sie getrennt, ein Tal dem Ufer parallel und biegt zuletzt in starkem Winkel zum See. Diese Täler bezeichnen dann unsere Marschrichtung. Zahllose kleine und größere Bäche kreuzen unseren Weg, die einen träge in sanft geneigten Schilfmulden fließend, die anderen steil durch gewundene Schluchten stürzend. Urwald ist nicht sichtbar, ringsum nur grüne Grasberge, in die allein die Hecken der Gehöfte, die Bananenhaine und hin und wieder ein einsamer dunkler Feigenbaum, der Seele eines Toten geweiht, etwas Abwechslung bringen. Aber trotzdem ist die Landschaft für den nicht eintönig, der ein empfängliches Auge für die Schönheiten der Form und Linie hat.

Wer den See freilich in der höchsten Trockenheit zum ersten Male besucht, wird manche Enttäuschung erleben, sonderlich, wenn er seine Erwartungen zu hoch geschraubt hat. Denn das ist allerdings eine Zeit, wo auch ich am liebsten den Kiwu floh oder mich wenigstens auf seine schönsten Plätze, die Inseln Wau und Kwidjwi, zurückzog. Juni bis Mitte September, d. h. unser Winter hier, das ist die Periode, in der der Harmattan die Fernsicht mit undurchdringlichen Mauern versperrt, jener fahle, bläulich-gelbliche Verdunstungsnebel, vermischt mit dem Rauch der Grasbrände. Außer dem Schilf und Dickicht dicht am Ufer und den Blättern der Bananenhaine kein grüner Fleck; die Erde von der Glut der Sonne ausgedörrt und rissig, zwischen den grauen, toten Schollen und Klumpen der Stoppelfelder spärlich verteilt ein kümmerliches, niedriges Unkraut; die Hänge der Berge abwechselnd gelbe, welke Hochgrasflächen oder schwarzgebrannte Strecken, auf denen nur noch hier und da ein paar verkohlte Stümpfe und geknickte dürre Büsche stehen, oder gebleichte, teilweise angeröstete Knochen von Menschen und Tieren neben gebräunten Schneckengehäusen und Hüllen großer Tausendfüßer verstreut sind. Hier und dort ein Berg in Flammen, die langsam über den Abhang hinabkriechen. An der Feuergrenze Reiher und Kraniche und in der Höhe kreisende Raben und Falken, die alle begierig sind, das flüchtende kleine Getier dem heißen Tode zu entreißen und es mit ein paar Schnabelhieben ins Jenseits ihres Magens zu befördern. Dicke schwefelfarbene Rauchwolken steigen auf, die der Wind weiterträgt und in hohe Luftschichten, in denen sie sich tagelang halten. Dann erst fallen ihre festeren Bestandteile langsam als Aschenregen auf weitentlegne Gebiete, und so senkten sich, wenn ich mitten auf dem See fuhr, gaukelnd abwärtsschwebend verkohlte Teile von Halmen und Farnen, die noch ihre Form bewahrt hatten, wie ein schwarzes Schneetreiben auf unser Boot und die Wasser in der Runde und schwammen weithin auf den stillen Fluten, bis Sturm und Wellengang sie zerschlugen und auflösten.

Es gibt viel Schönheit, die der aufdringliche, schreiende Tag nicht aufkommen läßt. Auch wer das Schauspiel der brennenden Berge in seiner ganzen Pracht genießen will, muß es in der Nacht aufsuchen, so wie ich es oft von meinem hohen Dorfe aus erblickte. An vielen Stellen gleichzeitig sieht man den Fimmel vom Feuerschein gerötet, hinter den fernsten Kämmen nur ein mattes Leuchten, auf den nahen ein Flammenmeer, dessen Gischt den nächtlichen Horizont hinaufzuspritzen und nach den stillen Sternen zu züngeln scheint; man denkt an Krieg und brennende Dörfer oder, wenn von jenseits des Sees eine Kette roter Punkte den Nebel durchdringt, an die Lichter einer großen Stadt. Manchmal hebt sich die schwarze Silhouette eines Baumes auf immer heller werdendem Hintergrunde ab, bis sie zuletzt verschwindet und nur noch Bruchstücke, ein Astgewirr, ein Stamm zwischen den gierig emporschießenden Flammen für Augenblicke sichtbar wird. Über den einen Abhang klettert die Feuerlinie wie ein langer ausgerichteter Fackelzug bis zum See hinab, über den anderen in Serpentinen, auf einem dritten bildet sie Kreise oder Achten, auf einem vierten noch wunderlicher verschlungene Figuren, wie gerade der Wind oder die Art der Vegetation oder die Lage des ursprünglichen Feuerherdes oder die Begrenzung durch nackte Wege oder Flächen bestimmen. Ein wundervoll wechselndes Schauspiel, das mir manche Stunde Schlafs raubte, wenn ich über schwarze Schluchten und brennende Täler hinweg auf brennende Hänge und schwarze Gipfel schaute und nichts die Stille der Nacht zerriß als der Lärm der zehrenden Flammen, und es war, als stürzten Hunderte von Wagenladungen großer Steine über felsige Wände in tiefe Abgründe. Da begriff ich, wie fein beobachtet es ist, daß unsere Sprache Feuer wie Steine »prasseln« läßt.

An der Grenze von Bugoie besuchte mich Kwakadigi, der Chef der Provinz, und brachte mir zwölf Ziegen und viele Lebensmittel als Geschenk. Er ist ein Mtussi in den dreißiger Jahren, von nicht sehr vornehmer Gestalt, der von Jahr zu Jahr infolge zu großen Pombegenusses geistig zurückgeht. Bei Watussis ist dies nicht gerade häufig; sie mischen so viel Honig in ihr Getränk, daß es viel von seiner an sich mäßigen Giftwirkung verliert. Ich fragte ihn im Laufe der Unterhaltung, warum man am Hofe den König verberge und den Europäern einen Pseudojuhi vorführe, doch sprach er sich über die Motive nicht deutlich aus; er wand sich aber vor Lachen, als ich weiter fragte, warum nicht wenigstens ein bartloser Jüngling die Komödie spiele, da doch Pambarugamba, der jetzige Königsmime, schon seines Alters wegen als Juhi nicht glaubhaft sei. Endlich erholte er sich und meinte, es sei eben kein bartloser da, der es so gut verstände wie der schlaue Pambarugamba.

*

Gestern bereitete ich vielen Wahutu mit wenigen Kosten eine große Freude. Meinen Führer, einen etwas ärmlichen Mtussi von Bugoie, hatte ich für vier Tage engagiert und auf seine Bitten mit vielem Mißtrauen aber noch mehr Zeug voraus besoldet – denn solche Leute verfügen immer über ein Dutzend Kinder, die insarra haben, d. h. nach Brot schreien. Aber schon am zweiten Tage, nämlich gestern morgen, hatte er die Dreistigkeit, nicht zu erscheinen. Nun hätte ich mir zwar einen anderen mieten können, aber ich wollte mir die Unfreundlichkeit nicht gefallen lassen, die in dieser Unterschlagung lag; ich drohte daher, umzukehren und mir den bezahlten Lohn zurückzuholen und wenn sich der Mann auf dem Monde versteckt hätte. So heimtückisch war er aber doch nicht, denn nach 1 ½ Stunden erschien er, durch Rufen von Berg zu Berg heran telephoniert und gebrauchte eine so törichte Ausrede, daß ich mich wider mein Prinzip nicht enthalten konnte, diesem Herrn von Adel erst die rechte Backe zu massieren und dann – nach der Vorschrift der afrikanischen Bibel: So du einem auf die rechte Backe haust, so hau ihm auch gleich zwei auf die linke – auch diese. Ob dessen unbändige Freude bei den Wahutu wie bei den Schülern, vor deren Augen der Schulrat einen verhaßten Lehrer anraunzt. Nun pflegt zwar die aktive Beteiligung von Hand zu Fuß jeder Diskussion die Sachlichkeit zu nehmen und der Attackierte war auch im ersten Moment so erstaunt,

»daß er wie vom Wahn umfächelt,
seine Augen schließt und lächelt«.

Sehr rasch aber gewann er seine ruhige Würde wieder und hauchte ein sanftes » wampai inka« d. h. »du hast mir eine Kuh gegeben« (dem Sinne nach natürlich: »soviel wie eine Kuh«). Konnte man wohl höflicher auf eine Unhöflichkeit antworten? Denn man muß bedenken, was hier zu Lande eine Kuh bedeutet. Es wäre noch nicht einmal ein Analogon, wenn jemand von einem Fürsten einen Tritt gegen die Kehrseite bekommt, so daß er durch den ganzen Audienzsaal fliegt und dann noch für die huldvolle »Beförderung« in Dank ersterben würde. Es wird ja neuerdings viel von Byzantinismus und Servilismus geredet: zu der Höhe dieses Mtussi hat sich wohl aber der gelehrige Jüngling noch nicht aufgeschwungen. Memorieren, ihr Herren! Wampai inka. Es fällt in die Ohren und behält sich leicht.

Ich habe diese Redensart übrigens später noch oft gehört, sowohl als Antwort auf freundliche wie unfreundliche Äußerungen oder Aktionen. Wenn z. B. ein Ruanda-Mann niest, so erfordert der Anstand, daß die Anwesenden » ukire« sagen, d. i. »genese«, worauf er nicht minder höflich mit » twesse« antwortet, was »wir alle« (also »gleichfalls«) heißt. Für mich aber, als einen mami, einen Fürsten, genügt ihnen das meist nicht und so danken die Leute mit wahrhaft guter Kinderstube: » wampai inka«.

»Und willst du wissen was sich ziemt,
So frage nur bei edlen Schwarzen an.« – – – –

Am 13./14. März lagerte ich in der Nähe des alten schönen Dorfes Mlutto, gerade gegenüber von Mugarura. Diese Insel ist mehrere Kilometer lang, ein unbewohntes, an Vegetation reiches Hügelland. Eine kurze Zeit schwankte ich, ob ich mich nicht auf ihr ansiedeln sollte, aber ethnographische und botanische Rücksichten – ihre Unbewohntheit und die große Entfernung vom Urwald – entschieden gegen sie. Graf Goetzen, der auf ihr übernachtete und von ihr aus zum Treffpunkt mit seinen Begleitern nach Ujungu hinüberfuhr, hat ihre Schönheit in sehr anschaulicher und interessanter Weise beschrieben. Es gab Herren, die sein Urteil etwas zu wohlwollend fanden, und ich selbst konnte, auch wenn ich die bei allen Beobachtern verschiedene Empfänglichkeit und Augenblicksstimmung in Rechnung zog, seine Schilderung nicht ganz nachempfinden, bis mich jüngst ein Zufall an die Westküste der Insel brachte, von der aus auch er sie gesehen hatte. Die Ostküste ist – namentlich in der Trockenzeit – ziemlich kahl und reizlos. Anders die Westseite. Ihr sind, durch einen schmalen Kanal getrennt, noch einige kleine Inselchen vorgelagert; auf einer von ihnen mußte ich unlängst sehr wider meinen Willen übernachten, doch freute es mich hinterher, weil ich dadurch die Schönheit Mugaruras und eine merkwürdige Tierspezies kennen gelernt hatte.

Ich wohnte damals auf dem Nordkap von Kwidjwi, war von dort nach Kissenje gefahren, um einen schwarzen Sergeanten, der den schlechten Einfall gehabt hatte, sich den Unterschenkel zu brechen, liebevoll zu bandagieren, befand mich bereits den zweiten Tag auf der Rückreise und hoffte, zur Mittagszeit wieder mein Lager auf Kwidjwi zu erreichen. Aber »mine Fru Isebill«, d. h. mein Schicksal, wollte es schon wieder einmal anders als ich. Denn kaum, daß ich 1 ½ Stunden in See war, geriet ich in Sturm und Strömung. Die Wellen schlugen meinem Einbaum an einer geflickten Stelle ein armlanges Leck, und wir kamen in die Situation, in der, wenn ich recht berichtet bin, Schiffskapitäne »über Nacht graue Haare« zu bekommen pflegen. Aber dies mag eine Spezialität der Schiffskapitäne sein – ich wenigstens bin von ihr verschont geblieben – es war allerdings auch Tag. Wir mußten also wenden und retteten uns mit einiger Not auf ein kaum 100 Meter langes und 15 Meter breites Eiland dicht vor Mugarura.

Der Blick auf die Insel war wirklich prächtig. Auf dem Südende frische Wiesen mit lichten Sträuchern und Bäumen, im Norden ein alter Bestand von Feigen und Akazien mit schier undurchdringlichem Unterholz und ein goldgelb blühender Busch, der über die steilen Hänge tausend wundersame Arabesken webte; unter den Akazien viele, deren Kronen mit einer Seite sich an den Berg lehnen, während sie im übrigen sich horizontal ausbreiten und dunkle Laubdächer bilden, zu denen Lianen, mit roten kleinen Birnen oder mit vierkantigen, dicht sitzenden hellvioletten Früchten behangen, senkrecht aufsteigen. Wilde Gurken und zahlreiche Schlingpflanzen klettern an ihnen zur Höhe, und ihre blauen und gelben Glocken und Sterne zwängen sich durch die eng stehenden, strahlenförmigen Äste der Decke, zeichnen auf dem dunklen Dache verworrene Figuren oder stürzen sich über seine Ränder: ein schwebender Garten. Und über all dieser schönen grünen Einsamkeit kreisten mehrere Adlerpaare in stolzruhigem Fluge. Sonst schien die Insel von Vögeln merkwürdig gemieden, und außer dem Gezänk einiger Weißkehlendrosseln hörte ich keinen der mir wohlbekannten Töne. Ich war daher um so mehr überrascht, als ein Boot, das ich nach Brennholz hinübergeschickt hatte, plötzlich hinter einer kleinen Einbuchtung des Ufers einen riesigen, wildbewegten Schwarm aufscheuchte, dessen unruhig flatternder Flug mir verriet, daß er nicht aus Vögeln, sondern Fledermäusen einer besonders großen Art sich zusammensetzte.

Dies reizte mich, gegen Abend hinüberzufahren. Vorsichtig bewegte sich unser Fahrzeug das steinige Ufer entlang, bis erst leise, dann rasch immer stärker anschwellend ein keifendes Quieken aus den Bäumen vernehmbar wurde, ähnlich dem Konzert zankender Ratten, wie es so manches liebe Mal aus den Graswänden einer Hütte heraus meine Nachtruhe gestört hatte. An der tiefsten Stelle des flachen Bogens herrschte ein Höllenlärm, in dem unser Kommen ganz unbemerkt blieb. Es ragte dort eine hohe Ficus mit großen Blättern und kleinen reifen Früchten empor, die ihr Gezweig zum Teil weit über das Wasser neigte. In deren Krone kletterten auf Stamm und dickeren Ästen die Fledermäuse auf-, über- und nebeneinander und stießen dabei jämmerlich quiekende Laute aus – ein ekliges Gewimmel unruhiger Leiber und zuckender Flügel. Einzelne hingen auch still mit abwärts gerichtetem Kopf. Ich schoß. Ein gräßlich schriller Ton antwortete mir, und gleichzeitig rauschte eine Wolke aufwärts, prasselte morsches Holz durch das dichte Gebüsch, schlugen die Körper der Getroffenen dumpf auf die Kalkfelsen und rollten dem Wasser zu. Jetzt erst sah ich, wie groß dieser Trupp gewesen war; ich schätze sehr vorsichtig auf 800 Exemplare. So dicht saßen sie, namentlich am Stamm, übereinander, daß viele nicht gleich auffliegen konnten, und ich noch zwei-, dreimal hätte feuern können. Aber dies wäre unnötig gewesen. Denn mindestens sechs waren auf den Schuß gefallen, wovor: drei in den Lianen und Dornengewirr hängen blieben.

Es waren Palmenflederhunde, 20 Zentimeter lange Kerle, eine westafrikanische Form: Xantharpyia straminea. So harmlos an sich diese Fruchtfresser mit ihren niedlichen Hundsköpfchen und den großen Rehaugen sind, und so wenig sie dem Schreckbilde der Vampyre gleichen, so sehr verdienen sie ihren Namen Xantharpyia, gelbe Harpyia; denn sie sind solche Schmutzfinken, daß mit ihnen verglichen mir sogar mein Koch sauber – nein, ich will nicht übertreiben, aber doch nicht mehr ganz so dämonisch schmutzig erscheint.

Ein paar Tage, nachdem ich sie kennen gelernt hatte, stellte sich auch in Kwidjwi jede Nacht eine Gesellschaft von 20 oder 30 Stück ein, die über meinem Zelt ruhelos hin und her strichen. So manches Mal stand ich draußen unter den Bäumen, sah ihre Silhouetten an der Mondscheibe vorüberfliegen und hörte sie dicht über meinem Kopf in größeren und kleineren Kreisen umherschwirren, nicht lautlos wie die kleinen Chiropterenarten, sondern weit hörbar flatternd wie große Eulen; oder ich sah ihre zarten Flügel von den Strahlen des nächtlichen Gestirns seltsam durchleuchtet, wenn sie von Zeit zu Zeit aus den schwarzen Schatten der Feigen auftauchten und wieder verschwanden, und aus dem Dunkel des Laubes zitterten ihre klagenden Laute wie Wehrufe kleiner Kinder über die schweigende Bucht. Nach zwei, drei Tagen ihrer Anwesenheit war das Sonnensegel meines Zeltes von oben bis unten beschmiert. Sie fressen nämlich die Früchte verschiedener Ficus, werfen aber die Samen, zu großen ausgesogenen Klumpen geballt, hinab. Diese Samen finden sich auch zahlreich in ihrer schwarzen, scharfen, wässerigen Lösung, die sie weithin verspritzen, um ihrem Namen Ehre zu machen.

Noch eins fiel mir an ihnen auf. Als ich sie in Mugarura sah, glaubte ich, ihr Keifen hinge mit den reifen Früchten ihres Standbaumes und mit Freßneid zusammen, aber die Magen aller erlegten Exemplare waren leer, so muß ich sie also in einer Art Brunstzeit überrascht haben.

Übrigens möchte ich noch folgende lustige Episode erwähnen, die sich an meine Jagd auf sie knüpft. Als ich auf Mugarura gemeinsam mit meinen Bootsleuten, harmlosen Jünglingen von Kwijwi, die toten Flederhunde betrachtete, fiel ihnen an einem alten Männchen das stumpfe braune Gebiß im Gegensatz zu den glänzenden weißen der Weibchen auf. Als sie mich nach dem Grunde fragten und ich ihnen antwortete, »es sei eben auch nicht anders als bei ihren eigenen Zähnen; die Männchen rauchten vermutlich viel mehr Tabak als die Weibchen«, wurden sie erst still und nachdenklich und man sah, wie es in ihrem Gehirn arbeitete. Als sie mich schließlich aber doch zweifelnd ansahen, und wohl den Spott in meinen Augen merkten, brüllte erst einer, dann der ganze Chor los und in den nächsten Wochen mußte ich auf Kwidjwi noch oft die Historie von den rauchenden Fledermäusen mit anhören. – – –

Ich habe mich wieder vom Hauptpfad der Erzählung fortlocken lassen; einen Sprung vorwärts, zwei Sprünge seitwärts, das scheint nun ein mal das Schicksal dieser Briefe zu sein. Ein variierter Echternacher Pas.

Hinter dem Kap, dem Mugarura gegenüber liegt, biegt das Ufer des Sees nach Südosten aus. Dementsprechend lief auch meine Marschrichtung. Den östlichsten Punkt des Sees passierte ich am 16. März, und nun zog sich die Küste lange und stark nach Westsüdwest. Die zwischen beiden Schenkeln liegende große Bucht mit einem ausgedehnten Inselarchipel taufte ich Mecklenburgbucht, um zum Ausdruck zu bringen, wieviel Dank ich dem gütigen Protektor meiner Expedition schulde.

siehe Bildunterschrift

Bootsfahrt auf dem Kiwu.

Erst eine koloniale Geschichtsschreibung der Zukunft wird lehren, wie viel wir dem Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg danken und sonderlich, wie sein Beispiel und Einfluß und sein nie versagender Eifer für eine an Widerständen und Gegenströmungen reiche und nicht immer dankbare Sache dazu beigetragen hat, daß das koloniale Interesse nicht, wie leider so manches andere in Deutschland, in einer rasch verglimmenden Strohfeuerbegeisterung verflackert ist. – – –

Je weiter man die Ufer der Mecklenburgbucht verfolgt, um so zerrissener werden sie. Mehrere Hinterbuchten graben sich tief in das Land ein, so daß man, um nicht das Zehnfache an Zeit zu gebrauchen, oft gezwungen ist, große Halbinseln abzuschneiden. Lagert man am Ende solcher Bucht, so glaubt man bei manchen auf einen stillen, abgeschlossenen Gebirgssee zu schauen; denn wegen der zahllosen in die Fluten weit vorspringenden Zungen, die sich gegenseitig überschneiden, ist keine Mündung sichtbar. Aber während des Marsches über die Höhen sieht man die Pforten der Buchten und hat einen weiten, prächtigen Blick auf den Kiwu. Die Berge steigen respektabel hoch an; was nicht unter Kultur steht, ist Grasland; der Urwald des Grabenrandkammes liegt hinter den Ketten im Osten versteckt.

Das Bild des Gebirges, namentlich an der Südseite der Bucht, ist merkwürdig unruhig. Eine Kuppe neben der anderen löst sich von den Hängen ab, die durch Täler und Quertäler, durch wasserreiche Mulden, Furchen, Schluchten, Senkungen in ein unbeschreibliches Gewirr ungleicher Abschnitte zerschnitten werden. Und vermehrt wird diese Zerrissenheit noch durch zahllose, natürliche, meist horizontale Böschungen, die die Eingeborenen verstärkt und als Schutzwehr für ihre Felder hergerichtet haben. Oft drängt sich mir der lächerliche Eindruck einer hüpfenden Landschaft auf, so bewegt, so unruhig ihre Erscheinung. Man glaubt, Riesenmaulwürfe hätten diese Berge unterwühlt und würde sich kaum wundern, plötzlich an neuer Stelle den Boden sich rühren und zum Hügel sich ausstülpen zu sehen. Oder man glaubt, ein wildbewegtes Meer, auf dem alle Winde gleichzeitig tanzen, sei plötzlich erstarrt und zu Stein und Erde geworden. Oder man glaubt, daß alle diese Gipfel und Kuppen aus einer Art himmlischen Salzbüchse herabgestreut und liegen geblieben wären, wo gerade sie hinfielen. Oder man glaubt – ach Gott, glaubt, glaubt – all das sind Gleichnisse; Gleichnisse, die nicht einmal sehr hinken und doch dem Leser kaum eine plastische Vorstellung geben werden. Manchmal möchte ich verzagen. Und manchmal mich erboßen. Und manchmal fragt ein Ketzer in mir: »Wozu alle diese Reisebriefe und -beschreibungen, deine und andere in Zeitungen und Büchern? Ist es nicht im Grunde ein minderwertiges Beginnen? Ist nicht jede Photographie aufrichtiger als jede Schilderung?«

Und dann werfe ich verdrossen die Feder weg und laufe hinaus und schaue lieber den Bachstelzen zu, wie sie ihr Nest bauen oder den Sandwespen, wie sie über den Strand huschen und fleißig die Füßchen regen oder irgend anderem, was erfreut und belehrt. Aber mit der Sonne draußen und ihrem hellen Licht kommt mir auch die Ruhe wieder und Klarheit. Und ein Beschwichtigungsrat in mir jagt den Ketzer fort und predigt: »Was liegt daran?! Was liegt daran, wenn des Lesers Phantasie, an deine oder andere Bilder anknüpfend, ihm Landschaften vorzaubert, mag es sie auch so, genau so, nie und nirgends gegeben haben: fernere heißere Süden als je ein Bildner träumte. Und Photographien? Photographien machen denkfaul, mein Lieber und sind gut für Barbaren. Und wenn je eine Zeit kommen sollte, in der alle Welt sich Tagesschriften und Bücher nur dann anschafft, wenn sie »aktuell illustriert« sind, dann« – – – – hier ging seine Stimme in dumpfes Murmeln über und ward von der Brandung des Sees verschlungen. Dann? Dann? Was hat der Kauz nur sagen wollen?

Kissenje, im Januar 1902.

Brief XXXIX.

Wir hatten im letzten Brief den Marsch längs der Ostküste des Kiwu von Kissenje dem großen »Sande« aus am 10. März angetreten und lagerten, nachdem wir Bugoie passiert hatten am 13. gegenüber der Insel Mugarura in der Provinz Bwischascha. Bis hierhin hatte ich einen Vorgänger im Grafen Goetzen, der dasselbe Ziel, aber zu Wasser erreicht hatte. Ich glaube, wenn ihm damals einer seiner Begleiter geweissagt hätte, daß er, der Leutnant, sieben Jahre später im gleichen Lande Gouverneur und Major sein würde, er hätte ihn mit schmerzlicher Miene aufmerksam betrachtet und heimlich ein sedativum in den Kaffee gemischt. Aber nach allem, was man in der Kolonie hört, scheint seine rasche und mühelose Karriere ihm nur ein Sporn gewesen zu sein, die europäischen und afrikanischen Kritiker, die ein allzu pedantisches Qualitätsschema für den Gouverneursposten aufgestellt hatten, in kurzer Zeit ziemlich stumm zu machen. Vielleicht antwortete er ihnen ähnlich, wie jener ob seiner Jugend am englischen Hof mißtrauisch empfangene Gesandte Spaniens: »Wenn der Wert des Mannes im Barte liegt, Sir, so hätte mein Monarch Ihnen einen Ziegenbock schicken können«.

(5 Jahre – von 1901 bis 1906 – durfte Deutsch-Ost-Afrika der weisen Leitung des Grafen Götzen sich freuen und hat in dieser Zeit auf vielen Gebieten bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Leider schloß die Regierungsperiode des Grafen mit dem großen Mißgeschick des Aufstandes im Süden des Schutzgebietes. Dadurch, aber auch durch den beispiellosen Aufschwung, den die wirtschaftliche Entwicklung unter Götzens Nachfolger, Frh. v. Rechenberg, nahm, wurden seine Erfolge in der öffentlichen Meinung etwas verdunkelt. Aber auch wer Herrn v. Rechenberg so bewundert und verehrt, wie ich, wird gerechterweise nicht vergessen, daß Götzens Tätigkeit noch mit Hemmungen und Widerständen in den politischen Kreisen der Heimat zu rechnen hatte, die in diesem Maße in den folgenden Jahren nicht mehr bestanden. Leider raffte ein grausames Geschick den Grafen Götzen im Sommer seines Lebens aus einer hoffnungsreichen Laufbahn allzufrüh hinweg. Allzufrüh auch für mich, der diesen im besten Sinne vornehmen und adligen Mann mit warmer Liebe verehrte.)

Doch nun zurück zur Ostküste des Kiwu. Die schmalen Fußpfade waren immer gut, aber, wie es in so zerrissenem Gebirgsland nicht anders sein kann, liefen sie in ewigem Auf und Ab. Die Gegend ist immer mehr oder minder wohl kultiviert, der Blick weit und klar über den See hinüber nach Kwidjwi und den jenseitigen 50 Kilometer entfernten Bergen. Unzählige zu Flüssen angeschwollene Bäche kreuzten unsern Weg, unter denen der größten einer, der Nkoko, in schönem Fall über eine hohe steile Felswand zu Tal stürzt. Der östliche Punkt des Sees ist durch zwei Gruppen alter Bäume charakteristisch markiert. Sie sind geheiligt, weil König Luabugiri an diesem Platze ein Lager hatte, als er den Feldzug gegen Bunjabungu (1894) antrat, aus dem er sterbend nach Ruanda zurückkehrte. Niemand wird dort Brennholz sammeln oder aus ihrer Rinde Stoff sich bereiten, höchstens ein Mutwa (Pygmäe); »denn die«, sagt mir ein Eingeborener verächtlich, »sind ja nicht Menschen, sondern wilde Tiere«. Unter den Bäumen liegt noch, halb in der Erde vergraben, in der Mitte gespalten, zum Teil verrottet und jährlich mehr zerfallend, das aus einem Urwaldriesen gehöhlte Boot, das den Herrscher in den Krieg trug; nach meiner Erinnerung war es etwa 18 Meter lang und ¾ Meter breit.

Die Gegend war in den letzten Tagen gut besiedelt und der Marktverkehr im Lager groß. Auch viele Watussi wohnen hier, besonders in der Landschaft Lubengera. Diese vornehmen Herren sind indes sehr reserviert, ich glaube weniger aus Furcht – denn viele kennen mich ja vom Hofe her – als aus Bequemlichkeit. Sie schicken zwar Geschenke, aber besuchen mich weder selbst, noch lassen sie sich durch Kinder oder Verwandte vertreten. Eine Ausnahme machte im Lager des 15. März der vornehme Häuptling Semirigamba, der reichlich Geschenke brachte und erhielt.

Am 16. und 17. März folgte ich dem südlichen Schenkel der Mecklenburgbucht in langen ermüdenden Märschen und schnitt am 18. März ihren westlichen Zipfel auf weitem Umweg ab. (Was mir bei dieser Gelegenheit an Küstenkonturen entging, nahm ich zum größten Teil auf späteren Reisen zu Lande oder vom Boot aus auf.) Dies Ufer macht einen zu merkwürdigen Eindruck. Gerade als ob es, da es die schaffende Hand von Westen nach Osten leitete, durch irgend eine geheime Liebe nach Süden gelockt, immer wieder dorthin ausweichen wollte und immer wieder nach Norden zurückgezwungen wurde, bis es die alte nach Sonnenaufgang ziehende Straße wieder erreichte. Dadurch entstand eine seltsame Schlangenlinie, deren Schleifen den nach Norden offenen Buchten entsprechen.

Auf diesen letzten Marschstrecken veränderten die Eingeborenen sehr auffallend ihr Betragen, während bis dahin ein sehr reger Markt im Lager stattfand, blieben jetzt die Verkäufer ganz aus. Mein Führer, ein intelligenter Mtussi namens Lubembura, vermochte mir ihr Verhalten nicht zu erklären. Die hiesigen Wahutu seien »schlecht«, war seine einzige Auskunft, und er riet mir, seine eignen Landsleute zu bekriegen. Das spricht nicht gerade für ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl der Wanjaruanda, wie überhaupt die Watussi auf jede Klage über die Wahutu zu antworten pflegen: »Schlage sie tot«.

Vom 16. bis 18. passierten wir fünf große Buchten, die bis zu sechs Kilometer ins Land schneiden. Ich lagerte stets am See, weil mich ein Teil der Lasten und ein paar schwerkranke Träger in drei Booten begleiteten. Am 18. März entließ ich Lubembura und erhielt dafür einen Mhutu als Führer, den er irgendwo aufgestöbert hat. Unterwegs saßen eine Unmenge von Leuten am Wege, die die Karawane neugierig an sich vorüberziehen ließen. Dabei wiederholte sich an diesen und den nächsten Tagen öfter folgendes:

Sobald ich nicht mehr weit von einer Gruppe war, erhob sich einer aus ihrer Mitte und schrie mit gewaltiger Stimme über das Tal hinweg, »man sollte nicht versäumen, dem mami, d. h. dem hohen Herrn, das Gastgeschenk ins Lager zu bringen«, worauf es von den Hängen und Kämmen der anderen Seite antwortete »wie man glauben könne, daß sie so unhöflich sein würden«, hierauf begann wieder der erste, der immer so tat, als hätte er mich noch nicht bemerkt, die erwünschten Dinge aufzuzählen: Pombe, Ziegen, Bananen usw., und jedesmal echote es von drüben ganz prompt: Pombe, Ziegen, Bananen usw. Hätten wir nur den zehnten Teil dessen bekommen, was uns so versprochen wurde, wir wären zufrieden gewesen. In Wirklichkeit kam aber nichts ins Lager. Am 18. März brachte ein Mtussi gerade genug, um einen magenkranken Greis satt zu machen, und gebrauchte die dümmsten Ausreden, z. B. es sei Hungersnot – jetzt wo die zweite Ernte nahe war! Da ich weder Tee und Kaffee mehr hatte, auch keine milchende Kuh, bat ich ihn, mir etwas Milch zu bringen. Aber er bedauerte; der König habe ihm alles Vieh geraubt und dergleichen mehr. Dabei lagen rings um das Lager geradezu Hügel von frischem Mist! (Milch von den Watussi zu erhalten, ist übrigens meist sehr schwer. Erstens trinken sie sie selbst sehr gern, außerdem glauben sie oft in ihrem Mißtrauen, man verlange die Milch, meine aber die Kuh, die sie dann hinterher nicht mehr verleugnen könnten. Drittens aber verbietet ihr Aberglaube, einem »Ziegenfleischfresser« Milch zu geben, es sei denn, er sei an diesem Tage noch fleischnüchtern, weil andernfalls die Herde ihre Milch verlöre.) Alles in allem – jene Märsche waren weder für mich noch für meine Leute angenehm, und mein Magen, der nur mit Bananen gestopft wurde, wurde von Tag zu Tag eigensinniger.

Am Ende der Mecklenburgbucht biegt das Ufer nach Südwesten und bleibt in dieser Richtung bis kurz vor dem Ende des Sees, wo es eine Zeitlang ziemlich direkt südlich läuft. Am 19. März mußte ich mein Vieh zurücklassen, weil es zu erschöpft war. An diesem Tage waren wir gezwungen, eine tief nach Süden einschneidende Bucht zu umgehen. Das hielt uns sehr lange auf, und wir erreichten erst abends wieder den Kiwu, trafen aber nicht die Boote; ebensowenig am nächsten Tage, wo wir an einer kleinen wundervollen Bucht lagerten. Aber abends, als ich schon im Bett lag, erschienen zwei von den rudernden Trägern und brachten mir die Nachricht, daß sie nicht allzufern in Kwischara wären, einem Bezirk, in dem der Sohn des mir vom Russisi her bekannten Ngensi ein Dorf habe. An Lebensmitteln aller Art sei dort kein Mangel. Das war also erfreulich. Dagegen berichteten sie auch Trauriges. Mein Mnjampara (Trägerführer) Omari, der seit dem furchtbaren Unwetter westlich der Vulkane an großer Erschöpfung litt, war auf einer kleinen Insel, auf der sie übernachteten, gestorben, und dort hatte sich folgendes ereignet.

Während sie bei dem Sterbenden wachten, hörten sie auf dem See dumpfen Ruderschlag und beobachteten ein großes Boot, das von Kwidjwi her sich ihnen leise näherte. Begünstigt durch den Mondschein sahen sie, wie einer der Insassen, am Bug stehend, einen Gegenstand kreisend bewegte und dabei unverständliche Laute murmelte. Sie verhielten sich still und beobachteten. Die Leute legten an der Insel an, einige stiegen an Land und begannen das Boot, das mein Elfenbein enthielt, von seiner Befestigung zu befreien. In diesem Augenblicke sprangen meine sechs Träger wie die Löwen brüllend vor, und während die einen das feindliche Boot packten, stürzten sich die anderen auf die zu Tode erschreckten Diebe. Zwei davon sprangen ins Wasser und verschwanden, die anderen vier wurden gebunden und befanden sich jetzt mit ihrem Fahrzeug im Lager von Kwischara. Was an dieser Heldentat Wahres war, wagte ich nicht einmal zu ahnen; aber der Gegenstand, den sie dem Verschwörer abgenommen hatten, war der toxische Räubertalisman der hiesigen Völker: ein großer Fell- und Riemenklumpen, der jedenfalls allerhand Zauberpulver einschließt, und daran eine Glocke mit festgebundenem Klöppel.

Übrigens wollte es der Zufall, daß ich in derselben Nacht auch einen sehr drolligen Diebstahlsversuch erlebte. Ich lagerte am Ende einer kleinen verschwiegenen Bucht und hatte mein Zelt auf einem schmalen Wiesenfleck dicht zwischen Berg und See aufgestellt. Die Tür stand wenige Schritte vom Wasser ab und ich konnte von meinem Bett aus die ganze Bucht und die dunklen Inseln überblicken, die wie schwimmende Gärten auf der grünen Flut lagen. Es war eine klare Nacht und der Mond zitterte auf den stillen Wassern. Mitten aus dem besten Schlaf heraus weckt mich der Ruf des Postens und auffahrend sah ich einen Mann in den See laufen, wobei er über die Stricke stolperte und das Zelt stark erschütterte. Also ein Dieb. Es zog sich hier eine schmale Sandbank etwa zwanzig Schritt in den Kiwu, die zuerst ganz flach, allmählich tiefer wurde. Als ich hinaustrat, stand der Mann bis zum Halse im Wasser; ich verbot dem Posten, der gerade anlegte, auf ihn zu schießen, und gleichzeitig tauchte der Dieb unter. Er mochte sich wohl da unten nicht ganz behaglich fühlen, denn er kam bald wieder zum Vorschein, worauf der Posten zum Scherz wieder anlegte und der Dieb wieder blitzschnell verschwand. Offenbar konnte er nicht schwimmen und, wenn er uns nicht in die Arme laufen wollte, mußte er bleiben, wo er stand, denn auf den übrigen drei Seiten war tiefer Grund. Mein Posten hätte kein Neger sein müssen, um nicht sofort zu ahnen, daß hier ein »prominenter« Witz zu arrangieren sei. So rief er schleunigst ein paar Kameraden und nun standen sie zu sechs am Strande mit ruhendem Gewehr; sobald der arme Teufel aber seinen Kopf über den Wasserspiegel hob, flogen die Büchsen in die Höhe und mit einem hörbaren Luftschnapper tauchte er wieder unter. Ich sagte den Leuten, sie mögen jetzt schlafen gehen und den genügend bestraften Mann laufen lassen, worauf ich selbst wieder zu Bett ging. Als ich aber nach zwei Stunden aufwachte, war mir, als hörte ich von Zeit zu Zeit ein klappendes Geräusch und unterdrückte Laute. Ich ging leise hinaus. Da standen die sechs Esel immer noch im Mondschein stumm wie Salzsäulen, um mich nicht zu wecken, rissen immer noch in jeder Minute zweimal die Büchsen an die Backen und krümmten sich, krampfhaft ihr Lachen erstickend, wenn der Unglückliche jedesmal blitzschnell untertauchte.

Ein paar Boys, die im Sande kauerten, sahen bewundernd ihren Herren zu, und breiteten von Zeit zu Zeit begeistert die Arme aus, daß man glauben konnte, sie hätten sich hier versammelt, um den Mond zu beschwören. Nachdem ich mir dies stumme Theater eine Zeit lang ganz unbemerkt angeschaut hatte, jagte ich die Kindsköpfe in ihre Zelte. Dem Wassermann aber – »unserem Freunde Nilpferd«, wie sie ihn anderen Tages, kindisch froh ob des gelungenen Ulks, nannten, redete ich gut zu, ans Land zu steigen und sich zu entfernen. Dies wird er wohl auch getan, aber sobald nicht mehr Lust verspürt haben, nächtliche Gänge in Europäerlager anzutreten.

Am 21. März marschierte ich von der erwähnten Bucht aus in achtstündigem Marsch nach Kwischara. Dort übergab ich die vier Diebe dem Ortshäuptling, damit er sie dem König zur Bestrafung bringe. Auf Grund meiner späteren Erfahrung zweifle ich, daß sie die Residenz erreichten; wahrscheinlicher ist, daß sie von dem Ortschef zur Erlangung eines anständigen Lösegeldes benutzt wurden. Unterwegs hatten wir einen herrlichen Blick auf das Südende des Sees. Die lange Halbinsel von Ischangi teilt es in zwei Buchten, aus deren westlicher der Russisi abfließt. Durch einen schmalen Kanal von ihr getrennt, liegt der Halbinsel die große Kwidjwiinsel vor. Von beiden Seiten fallen die Berge schroff zum Kanal, wie die Säulen des Herkules.

Es ist wirklich ein herrliches Panorama: all diese mannigfach geformten Landzungen und Inseln und das zerrissene Gebirgsland der Ufer, die Grashänge, Bananenhaine, Decken und Felder; die schilferfüllten Hochtäler, die Schluchten mit Farnkräutern oder üppigem Dickicht, die Flüsse, deren glänzendes Band durch breite Papyrussümpfe sich windet, die blauen Fluten mit den sanft über sie hinweggleitenden Einbäumen und die zackigen Felsen, besäet mit Möven und Enten; die weißen Reiherketten, die wie ferne Segel über die Wasser ziehen, die Wolken, die sich in ihnen spiegeln, und die violetten Wolkenschatten, die langsam über die Berge kriechen; die Silhouetten der breit ausladenden Feigenbäume und der bizarren Dracänen, die im Sonnenglanz gelb leuchtenden Hütten und die roten, dunkel umzäunten Höfe mit den Staffagen der arbeitenden oder ruhenden Eingeborenen; die weidenden Ziegen und Schafe und die von singenden oder flötenden Hirten auf breiten Wegen zur Tränke geführten Rinder. Und all das unter sattblauem Himmel von solcher Klarheit und Tiefe, daß alle unsere Begriffe von Raum und Form sich verwirren, weil diese gewölbte Decke für das Auge, das sie durchbohren will, eine Körperlichkeit gewinnt, deren Materie wir weder verstehen noch definieren können, bis es uns zuletzt scheint, als ob diese Lichtmassen dort oben in einem Aggregatzustand sind, der mit den uns von dieser Erde bekannten nichts mehr gemein hat. Und wenn ich dann den Blick wieder in die Tiefen schweifen lasse und noch einmal hinweg über all die bunte Schönheit, dann seufzt mein Herz darüber, daß ich einst all dies wieder verlassen muß und der Tag kommen wird, da ich wieder unter grauen, verdrossenen Himmeln, zwischen hohen Häusermauern mein Leben verbringen und mich verzehren werde in Sehnsucht nach Glanz und Farbe und glückseligen Gefilden. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Am 21. März lagerten wir in Kwischara. Hier, wo mich mein Bekannter Kissasi, der Sohn des Häuptlings Ngensi, freundlich empfing und mit allem versah, begrub ich den Mnjampara Omari. Am 22. März war Ruhetag. Am 23. umgingen wir das Ende der letzten südlichsten Bucht und lagerten in Limpischi hoch über ihr, die auf beiden Seiten von steilen Wänden eingeschlossen ist. Dort mußte ich einen zweiten Träger begraben, der so nahe am Ziel noch den Folgen der Strapazen erlag, von da stiegen wir nach Westen die Berge hinauf, um die Ischangihalbinsel und damit das Endziel dieser Expedition zu erreichen. Ich lagerte in der Nähe des Kiwu, entließ alle Träger und baute in den nächsten Monaten auf einem reichbesiedelten Kamm 1700 Meter hoch unter einer herrlichen Baumgruppe mein Dorf Bergfrieden, in dem ich in den folgenden Jahren noch manche schöne, aber auch manch bittere und traurige Stunde erleben sollte.

Kissensi, im Januar 1902.


 << zurück weiter >>