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Zur Nilquelle.

Brief XXVI.

Sobald ich wieder in die Nähe des Njawarongo gekommen war, setzten die alten Diebereien, die seit vierzehn Tagen ausgeblieben waren, sofort in verstärktem Maße wieder ein. Gleich der Tag nach meiner Ankunft lehrte uns, was wir wieder zu erwarten hatten, denn es wurden bei hellem lichtem Tage verschiedene unerhört dreiste Diebstähle verübt. Von einem von ihnen, der von besonderer Naivität zeugte, war ich selbst verblüffter Augenzeuge. Wir lagerten wieder auf dem alten Platz, dicht zwischen Berg und Wasser, und ich saß nachmittags auf dem hohen Uferrande neben der Furt, rauchte eine Zigarette nach der anderen und ließ meine Beine abwärts baumeln. Ein paar Schritt von mir entfernt hatte mein Boy Max meine Wäsche malträtiert und gerade das letzte Stück ausgewrungen, und zu dem Haufen der übrigen gelegt. Ich hatte ihm einen Auftrag zu geben und ließ ihn die fünf Schritt zu mir kommen, weil das Rauschen des Njawarongo sonst meine Worte übertönt hätte. Kaum drehte er der Wäsche den Rücken als ein neunzehnjähriger Bursche, der sich scheinbar zwecklos im Lager herumgetrieben hatte, mit beiden Händen pfeilschnell den ganzen Wäsche-Hügel in seinen Lederschurz packte und über den Fluß zu entkommen suchte. Ich war über diese unglaubliche Dummdreistigkeit einfach starr. Wenn er wenigstens nur ein Stück genommen hätte, aber nein, den ganzen Haufen, der gewiß zwanzig zu großen Würmern zusammengerollte Kleider und Hemden enthielt. Er war natürlich kaum bis zur Mitte der Furt gekommen, als schon ein paar Träger, die von drüben her kamen, ihn liebevoll mit ihren Armen umfingen. Nachdem der Dieb seine 25 Hiebe brüllend empfangen hatte und ihm mitgeteilt war, daß er aus meiner Fürsorge-Erziehung mit dem Prädikat »gebessert« entlassen sei, verstummte er und, statt möglichst rasch zu verschwinden, blieb er mit geschlossenen Augen und steifen Gliedern liegen. Mehrmalige Aufforderung, sich zu entfernen, blieb unbeantwortet und er regte sich auch nicht, als hilfreiche Samariter ihn wie einen verwundeten Krieger bei den Armen und Beinen packten und in das nächste Gebüsch außerhalb des Lagers trugen; auch dort noch blieb er wie eine Leiche liegen. Und selbst als ich scheinbar im Ernst zu meinen Leuten sagte: »Dieser arme Mann ist dem Tode nahe, bringt mir mein Gewehr, damit ich ihn vollends töte«, selbst dann verharrte er in seiner Bewußtlosigkeit und wartete ruhig das Kommen der Flinte ab. Dann verließen wir ihn, und nur ich kehrte auf den Fußspitzen um und verbarg mich in seiner Nähe. Kaum hatte er die rasch sich entfernenden Schritte gehört, da erwachte er aus seinem Scheintode, hob vorsichtig den Kopf und spähte mit lauernden Augen den Weg entlang. Als ich darauf vortrat und ihn auslachte, erhob er sich, watete durch den Fluß und kauerte am anderen Ufer nieder, noch eine halbe Stunde immer wieder den mami anflehend, ihm etwas zu schenken und immer wieder auf seine brennende Kehrseite zeigend. Wozu er diese Tragikomödie aufgeführt hat, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Ich glaube, der Kerl war total übergeschnappt.

In der darauf folgenden Nacht wachte ich auf und hörte eiliges Füßetrappeln und sah gleichzeitig durch die Maschen des Moskitonetzes einen breiten Schatten durch die Zelttür hinaushuschen. Im selben Moment kamen auch die Posten herangestürzt, von denen ich jetzt immer drei gleichzeitig wachen lasse. Ich hörte in meiner Schlaftrunkenheit noch, wie sie von einer Hyäne sprachen und sich beruhigt wieder entfernten. Als ich am anderen Morgen die Hosen anziehen wollte, waren sie fort; als ich beim Waschen nach meinem Handtuch greifen wollte, war es fort; als der Träger der Bettlast die Betten in den wasserdichten Segeltuchsack packen wollte, war er fort. Es müßte schon eine sonderbare Hyäne sein, die auf solche Nahrung ausgeht. Zwei Kuriosa ereigneten sich bei diesem Diebstahl, nämlich erstens hatte der Dieb mir die Hosenträger zurückgelassen, und da er wohl im Dunkeln nicht wußte, wie sie abknöpfen, schnitt er alle Knöpfe ab, die am anderen Morgen noch zum Teil in den Schlaufen steckten. Unglaublich und doch wahr. Und zweitens war seine Neugierde durch einen würfelförmigen Lederkoffer erregt worden, der meinen Theodoliten enthielt. Auch hier war ihm das Lösen des Verschlußriemens wohl zu langweilig, deshalb schnitt er ihn durch, verzichtete aber auf weiteres, als er nichts außer dem astronomischen Instrument darin vorfand. Im nächsten Lager beschloß ich, mich auf die Lauer zu legen. Ich rechnete so: ein Dieb, dem ein Unternehmen einmal so leicht geglückt ist, kehrt bei der nächsten Gelegenheit wieder. Ich durfte also annehmen, daß er sich unter die große Zahl Eingeborener mischen würde, die auf beiden Seiten des Flusses täglich mit Brennholz und Lebensmitteln unsere Karawane begleiteten, um im Lager Handel zu treiben. Denn so könnte er schon bei Tage die beste Möglichkeit, einen Coup zu inszenieren, ausbaldowern. Ich legte deswegen nachmittags ein schönes Tuch auf eine Kiste dicht neben der Zelttür und band es, als der Abend hereinbrach, mit einer Schnur an den Tisch fest. Nach dem Abendessen rückte ich das Bett etwas von der Wand ab und setzte mich mit zwei Askaris dahinter. Unsere Gewehre schoben wir unter der Matratze quer über das Bett, so daß die Mündungen in die Umgebung des Tuches schauten. So saßen wir und harrten der kommenden Dinge. Aber es ward 11, es ward 12, abwechselnd schnarchte einer der beiden Leute, die neben mir saßen und immer noch regte sich nichts. Ich wartete noch zwei Stunden, dann aber, da erfahrungsgemäß die Diebe kurz vor oder nach Mitternacht sich einstellten, glaubte ich, für dieses Mal auf ein Gelingen meines Planes verzichten zu müssen. Ich machte also Licht und wir traten in das mondübergossene schlafende Lager hinaus. Neben meinem Zelte befand sich das des Schausch Ali, der, um den sozialen Abstand zwischen sich und der übrigen Karawane zu markieren, in einem Zelt schlief, das nur um ein weniges kleiner war, wie das übliche der Europäer; und siehe da, während wir an der einen Tür auf die Diebe gewartet hatten, hatten sie, drei Schritt von der anderen entfernt, das große Sonnensegel des Alizeltes glattweg von seinen Pflöcken abgeschnitten und mitgenommen. Wir weckten den Schläfer, der abwechselnd den Kopf schüttelte oder mit seinen ewig müden Hanfraucheraugen in den Mond blinzelte, als könnte von da oben die Rettung kommen. Dann kehrte ich wieder um, um mein Zelt aufzusuchen und das Bett in die alte Lage zu rücken. Ich erinnere mich nicht mehr des Fluches, den ich ausstieß; aber es war wohl eine Sammlung von Kraftworten aller Nationen; und vielleicht erfand ich mir sogar neue, was war denn geschehen? Nichts, als daß von meinem schönen Tuch nur noch der Zipfel übrig war, mit dem es an die Schnur geknotet war. Das übrige aber war mit glattem Schnitt amputiert. Nach diesem Ereignis half kein Anspornen mehr, wachsam zu sein; meine Leute resignierten einfach: Tutafanjaje bana mbuka? Kasa ja scheitani. Was soll man da machen, gnädigster Herr? Teufels Arbeit. – – – – – – – – – – – – –

*

Die elf Tage, die ich bis zu dem Lager brauchte, wo der Njawarongo einen großen Nebenarm, den Bilirume in sich aufnimmt, waren landschaftlich voller Reiz. Der Weg führte immer, wenn nicht im Tal selber, so doch nicht weit über die Abhänge. Der Fluß hat vollkommen den Charakter eines Gebirgsstromes; das Tal ist meist sehr eng und macht große Krümmungen, durch die er sich rauschend windet. Wie in seinem Unterlauf schwankt auch hier seine Breite und die Art seiner Strömung innerhalb großer Grenzen. Manchmal teilt er sich und umarmt große flache Sandinseln, auf denen Reiher mit zurückgeworfenem Kopf gravitätisch lustwandeln, oder mit üppigem Busch bekleidete, in deren Dunkel Enten und Gänse sich der Brutpflege widmen. Die Berge, die durch zahllose Nebentäler, Schluchten, Furchen und Mulden sehr zerrissen sind, tragen viele Bananenhaine und zerstreute Hüttenkomplexe. Die Gegend ist immer mehr oder minder gut besiedelt, stellenweise sogar sehr reich, so daß Feld an Feld, Hain an Hain sich reihen. Stattliche Bäume sieht man fast nie, nur hie und da eine einsame Feige, die dem Andenken eines toten Häuptlings geweiht ist. Große und kleine Rinderherden weiden vielfach in der Nähe des Flusses und seit einiger Zeit lassen sich auch wieder ihre Besitzer, die Watussi-Chefs, mit Geschenken bei mir sehen.

Oft wenn ich ins Lager komme, schicken sie eine Deputation zu mir und warnen mich vor diesem oder jenem Berge, weil dort Diebsbanden ansässig wären; ich weiß nicht, ob dabei die Furcht mitspricht, ich könnte einmal, der ewigen Störungen und Schäden müde, Repressivmaßregeln ergreifen und mich an der ersten besten – voraussichtlich nächsten – Gemeinde schadlos halten. Dafür spräche die bemerkenswerte Tatsache, daß, gleichviel ob ich auf dem rechten oder linken Ufer marschierte, das böse Prinzip immer » hakulir«, immer »jenseits« seine Anhänger sitzen hatte. Auf alle Fälle griff ich zu verstärkten Vorsichtsmaßregeln und lagerte stets womöglich dicht am Fluß, von dessen beiden Ufern ich das Schilf auf große Strecken abholzen ließ. War die Lage besonders ungünstig, so band ich Gewehre fest, die bei Tage so ausgerichtet waren, daß sie den Weg, auf dem die Bakiga kommen konnten, bestrichen. Gleichwohl gab es die ersten sechs Tage jede Nacht eine Störung, manchmal komischer, manchmal tragischer Art und ein Ende fand die Plage erst in einem erschütternden Ereignis, das sich in der Nacht vom 29. unweit des Lussumobaches abspielte. Ich will einiges davon nach den Blättern meines Tagebuches erzählen.

28. Juli. (Im Lager von Niwunsa.) Es ist Mitternacht; das Lager schläft und ich selbst will mich auch bald zur Ruhe begeben. Vorher aber möchte ich noch kurz niederschreiben, was ich in den letzten Stunden erlebte, und an einem wie dünnen Haar oft das Leben des Menschen hängt.

Ich hatte heute nachmittag gehört, daß Bakiga vom Njawarongo-Knie uns gefolgt wären und heute nacht unser Lager besuchen wollten. Um ihnen zuvorzukommen, brach ich mit vier Askaris gegen 11 Uhr auf und folgte dem Flusse stromaufwärts. Der Mond stand hinter einer großen Wolke, deren Ränder er mit silbernen Bändern schmückte. Wir gingen dicht an dem hier nur leise murmelnden Wasser, bisweilen über die Nasen der Berge, von denen aus man rückwärts blickend die zuckenden Lichter sah, die meine Lampe über den Fluß warf. Schweigend gingen wir einer hinter dem anderen her, ich an der Spitze, vorsichtig jeden Fleck prüfend bevor wir den Fuß darauf setzten, denn der Weg war schlecht, von Erdferkeln zerstört oder von Wurzelratten unterwühlt. Unsere Gewehre hatten wir geladen, aber gesichert. Hinter mir schritt Tangatschuma, der meine doppelläufige Schrotflinte trug, auf die man sich in der Dunkelheit besser verlassen kann als auf Kugelbüchsen. Es ist zu merkwürdig und mir unerklärlich, wieso es kam, daß, als wir etwa eine halbe Stunde gegangen waren, plötzlich ein unbehagliches Gefühl sich meiner bemächtigte, das ich nicht definieren kann. Es war mir, als ob ich nach langem anstrengendem Klettern mit dem Rücken in Zugluft säße, oder so, wie ich als junger Irrenarzt es in den ersten Wochen erlebte, wenn ich im Tobhause war und hinter mir ein aufgeregter Kranker wütete, während ich mein Gesicht einem anderen zuwenden mußte, den ich zu beruhigen hatte. Will man es Angst nennen? Gut. Dann habe ich Angst gehabt. Angst aber nicht vor dem, was vor mir, sondern vor dem, was hinter mir war. Und es war eine ganz instinktive Angst, denn an das, was folgte, habe ich wirklich nicht gedacht. Genug, ich blieb plötzlich stehen und setzte mich an den Schwanz unserer kleinen Karawane, an deren Spitze also jetzt Tangatschuma ging. Wir waren noch keine zwanzig Schritt in dieser Reihenfolge marschiert, als plötzlich das Krachen der beiden Schrotläufe die Stille der Nacht zerriß, so daß alle stockten und in Anschlag gingen. Ein kurzes Schweigen; nichts regt sich. Dann erst bekennt Tangatschuma mit verlegenem Stammeln, daß er mit einem Fuß plötzlich in ein Loch versunken wäre, wobei die, trotz meines ausdrücklichen Befehls entsicherten Läufe, sich entladen hätten. Mich überlief ein Frösteln und ich mußte an das Gedicht vom Reiter über den Bodensee denken. Schweigend machten wir Kehrt und zogen sehr bedrückt wieder in das Lager zurück.

(Zwei Tage später.) Unsere Ruhe wurde übrigens in dieser Nacht nicht gestört, wohl aber in der folgenden im Lager Lugendabari. Wieder war es Mitternacht geworden, da erwachte ich, weil mich jemand dicht über dem Knie leise kniff – eine sehr beliebte Methode des Negers, Schlafende zu erwecken. Der gute, aber etwas dämliche Askari Stift, von dem in einem früheren Briefe die Rede war, Siehe Brief XXX. flüsterte mir aufgeregt zu, daß eine finstere Gestalt hundert Schritt vom Lager entfernt, sich bewege. Während ich mich notdürftig anzog, weckte er rasch noch vier, fünf andere Leute. Leise krochen wir tief gebückt aus unseren Zelten und lagerten uns auf einen Haufen. Unsere Blicke folgten dem ausgestreckten Arm Stifts und durchbohrten die Nacht, um den Gegenstand, auf den er deutete, zu erkennen. Kein Zweifel – da stand etwas; bald schien es uns einer, bald zwei zu sein, und man konnte deutlich erkennen, wie der Nachtwind mit ihren grauen Lendentüchern spielte. Zum Besinnen war nicht lange Zeit. Ich gab sofort einen Kriegsplan aus, nach dem die Leute sich in großem Kreise verteilen und auf meinen Ruf » Nani, wer da?« in flammende Begeisterung ausbrechen und von allen Seiten auf den oder die Diebe stürzen sollten. Ich selbst blieb als Moltke dieses Feldzuges da, wo ich war und sah bald nach jeder Seite drei meiner Leute sich verteilen. Was mich wunderte, war nur, warum der oder die Diebe wie Säulenheilige auf einem Fleck stehen blieben. Aber meine Leute mußten ja schärfere Augen haben als ich, und so gab ich denn das Signal: Nani, und harrte gespannt der kommenden Dinge. Wie die Löwen sah ich meine Leute von allen Seiten dem Zentrum mit Hurra zustürzen, aber die Diebe erwarteten den Ansturm mit unerhörter Standhaftigkeit und bewegten sich immer noch nicht. Sollten sie vor Schreck zu Salzsäulen gewandelt sein? Ein wieherndes Gelächter, das von meinen Leuten her die Nachtluft erschütterte, gab mir darauf Antwort. Rasch sprang ich in ein paar großen Sätzen zu ihnen und fand sie friedlich vereint um einen Baumstumpf, dessen Fuß gelbglänzende, welke, im Nachtwind spielende Hochgräser verbargen. Mit großer Befriedigung ob unserer Heldentat legte ich mich wieder in mein Zelt.

(An der Mündung des Bilirume, 5. August 1898.) So harmlos wie diese Nacht verlaufen war, so tragisch wurde leider die nächste.

Wir lagerten wie fast stets dicht am Njawarongo, an einer Stelle, wo er eine kurze Strecke von Westen nach Osten fließt. Das Tal war dort sehr eng und schluchtartig; steil und hoch wuchsen seine Wände empor, und das Bett des Flusses schnürte sich so zusammen, wie ich es bis dahin noch nicht an ihm gesehen hatte. Dicht bei unserem Lager war der Njawarongo nur drei Meter breit und schoß schaumbedeckt in wilden Strudeln durch ein Feldtor, das die Eingeborenen überbrückt hatten. Die Landschaft war sehr pittoresk und erinnerte mit ihren vielen, von Moos und Flechten übersponnenen Felsen und dem lärmend über Stock und Stein brausenden Bach an längst vergessene Bilder aus den bayrischen und Tiroler Gebirgen. Durch tiefeingeschnittene Nebenschluchten bahnten sich kleine Bäche den Weg, von denen der Lussumo dicht bei unserem Lager der größte war. Mein Zelt stand unter einem alten, halb abgestorbenem Baume, auf dem ein paar Geier ihr Nachtquartier hatten.

Gegen 11 Uhr wurde ich geweckt. Heri, einer der drei Posten, flüsterte mir zu, daß am anderen Ufer Eingeborene sich verbärgen; ich hüllte mich in meine Decke, und auf allen Vieren krochen wir beide langsam dem Ufer zu, vorsichtig jeden Schatten benützend, denn der Mond goß sein kaltes Licht über die ruhende Landschaft. Am Ufer legte ich mich zwischen Heri und Abdallah; alle drei spähten wir angestrengt nach der nur 15 Meter entfernten anderen Seite hinüber. Ein paar riesige Felsblöcke lagen drüben, in deren Schatten die Diebe stehen sollten. Aber gewitzigt durch das Erlebnis der vorigen Nacht ließ ich mich nicht durch das Schattenspiel der grotesken Felsblöcke täuschen.

Es war eine köstliche Nacht; von Zeit zu Zeit wehten laue Winde durch das Tal und betasteten wie die schlanken Finger einer zarten Frauenhand unsere kaum verhüllten Körper, die weich gebettet in dem dichten feuchten Grase lagen. Ich hatte längst aufgehört, nach den Dieben zu schauen, sondern war ganz in die Betrachtung dieser Herrlichkeit versunken. Lauter noch wie am Tage rauschten die Wasser und vermochten doch nicht das Locken der Grillen und Schrecken zu übertönen, die zu Tausenden rings auf den Abhängen wachten. Der Mond, der hinter meinem Baume langsam seinen Weg aufwärts nahm, goß unerschöpfliche Lichtmassen über die Fluten, und wo sie gegen die Felstrümmer schlugen, da war es, als würfen die Stromnymphen jauchzend leuchtende Perlen und Edelsteine in die Lüfte.

Aber allmählich erschauerte ich unter dem kühlen Nachttau, und da ich an die Anwesenheit der Diebe nicht mehr glauben mochte, wollte ich mich erheben; aber im selben Augenblick zupfte mich Abdallah am Arm und zeigte gen Osten und nach oben. Der jenseitige Berg machte dort eine kleine Biegung, und scharf hob sich die Profillinie seines Abhanges vom Himmel ab. Als ich der Aufforderung Abdallahs folgte und rasch dorthin schaute, sah ich die Silhouette zuerst eines Menschen, dann eines zweiten, denen immer noch neue folgten; im ganzen wurden es sechs, und bei jedem wiederholte sich das gleiche Schauspiel, wie erst ein Kopf über der Profillinie des Berges auftauchte, dann der Oberkörper, bis zuletzt die ganze Figur mit scharfen Konturen wie eine Statue aus schwarzem Marmor sich von dem tiefblauen Hintergrund abhob, worauf sie wie in einer Versenkung nach unten verschwand. Als so der ganze geheimnisvolle Zug dunkler Gestalten hinter dem Berge sich unseren Blicken entzog, durften wir glauben, daß dies die Leute waren, die der Posten gesehen hatte, und daß sie jetzt eines besseren sich besonnen hätten.

Ich setzte mich, um die Nacht noch zu genießen, vor mein Zelt, über dem die Geier, durch die Anwesenheit des Lagers in ihrer Nachtruhe gestört, mit schwerem, dumpfem Flügelschlag friedlos ab- und zuflogen. In meine Decke gehüllt streckte ich mich in meinem Bombaystuhl, und bald gestaltete sich das, was ich sah und empfand, zu Reimen:

Still kam die Nacht, an meinem Baume klettert
Der Mond zum Wipfel,
Und fern, gar fern ein mattes Leuchten wettert
Auf Kamm und Gipfel.
Die Vögel schweigen, doch der Grillen Locken
Durchbebt die Nacht;
Das klingt, als wären alte Kirchenglocken
Vom Schlaf erwacht.
Die Fledermäuse schlingen schwarze Kreise
Von Baum zu Baume.
Auf hartem Lager wälzt der Strom sich leise
In dumpfem Traume.
Eintönig tropft der nächt'ge Tau hernieder
Auf Tisch und Zelt;
Der Nachtwind flüstert seltsam fremde Lieder
Und irrt im Feld.
Doch wie die Klänge zu den Wassern schwebend
Im Schilf verrauschen,
Da fühl ich, alle Schöpfung selig bebend
Der Weise lauschen.
Sie singt von einer Welt – noch liegt sie weit –
Von Glück und Lieben;
Wo vor der Menschen Güte Leid und Streit
Wie Spreu zerstieben;
Wo nie der Kampf und nie der Haß erwacht,
Noch Schuld und Fehle, – – –
O heil, ach heile Frieden dieser Nacht
Auch meine Seele!

*

Eine Stunde hatte ich wohl träumend so gesessen und mich dann ungern wieder in mein Zelt zurückgezogen. Ich kann nicht lange gelegen haben, denn ich erinnere mich, daß ich im Halbschlafe immer noch das Flügelrauschen der Geier über mir vernahm. Plötzlich fuhr ich auf; Schüsse krachten und ein wirres Lärmen erhob sich im Lager. Rasch warf ich mir meine Decke über und trat hinaus. Aus allen Zelten sah ich die Leute hinausstürzen und mit Gewehren, Lanzen, Sichelmessern und brennenden Scheiten zum Teil stromabwärts laufen, zum Teil über den Fluß setzen. Ich folgte dem ersten Schwarm, weil aus dieser Richtung immer noch das Krachen der Gewehre hörbar war und der brüllende Ruf bis hierher drang: » Mkamateni, Mkamateni, packt ihn, packt ihn.« Nach wenigen Minuten, im Sturmschritt zurückgelegt, kam ich gerade zurecht, um den Askari Heri in enger Umschlingung mit zwei schwarzen, nackten Gestalten über einen Felsblock in den Strom hinabstürzen zu sehen, während einige andere, etwa hundert Schritt entfernt, in den vom Monde hellbeleuchteten Fluß hineinschossen. In den Strudeln des Wassers löste sich der Klumpen, zu dem die drei geballt waren; wir sprangen hinzu und holten den halb bewußtlosen Heri heraus und brachten ihn in Sicherheit. Von den beiden anderen war nur einer wieder aufgetaucht, der mühsam dem anderen Ufer zustrebte. Aber schon leuchteten drüben die Fackeln der Leute, die auf dem linken Ufer entlanggelaufen waren. Ein schrecklicher Aufschrei zerriß die Nacht, der sofort von dem Hurra-Gebrüll der Träger erstickt wurde. Inzwischen kehrte ich mit den übrigen ins Lager zurück. Mit fliegenden Worten erzählten sie mir, daß sie, kaum als ich in mein Zelt mich begeben hatte, stromabwärts das Heulen eines Hundes in nächster Nähe hörten, das jäh abbrach, als sei es durch eine Faust erstickt worden. Sie hätten sich geteilt, und während zwei im Bogen über die Abhänge gingen, sei Heri das Ufer entlang gestrichen. Dort sei er plötzlich auf sechs Leute gestoßen, die eben im Begriff waren, sich in das Lager zu stehlen. Zwei davon hätte er gepackt; von den übrigen vier sei einer in den Fluß gesprungen und dort von den beiden anderen Posten erschossen worden, während drei sich in die Berge gerettet hätten. Zwischen Heri und den beiden von ihm Gegriffenen sei es zum Handgemenge gekommen, und das übrige hätte ich ja selber gesehen.

Inzwischen waren wir wieder bei den Zelten angekommen. Zu einem großen Haufen geballt, wateten die Leute durch den Fluß, triumphierend, daß sie sich an einigen von denen, durch die sie so oft schon geschädigt und ihrer Nachtruhe beraubt wurden, hatten rächen können. Und die Bestie in ihnen jauchzte vor Lust. In der Mitte der Masse befand sich ein 19- oder 20jähriger Bursche in einem solchem Zustand, daß ich selbst, der ich als Arzt manches Schreckliche mit angesehen habe, von solchem Grauen gepackt wurde, daß der Wunsch, dieser Qual rasch ein Ende zu machen, jedes andere Gefühl in mir überwog. Als der Unglückliche in den Fluß gefallen war, hatte er schon einen Schuß durch die Lunge gehabt, drüben aber hatten sich die erbitterten Leute auf ihn geworfen und ihn wie Fleischerknechte gemißhandelt; mit den großen Sichelmessern, die sie in Urundi und Ruanda erworben hatten, hatten sie blindlings zugeschlagen und ihm die ganze Muskulatur der rechten Halsseite durchfetzt, so daß sein Kopf nach der linken Seite gezogen wurde. Quer über dem Scheitel war ihm der Schädel bis auf das Gehirn gespalten; ein anderer Hieb hatte ihm die Nase, die Unterlippe und das Kinn weggeschlagen, und ein dritter lief quer von der Nasenwurzel zum rechten Ohr und war tief in die Augenhöhle gedrungen. In diesem entsetzlichen Zustand schleppten sie den Blutüberströmten mit Stößen und Tritten zu mir, und ihr Toben beruhigte sich erst, als er vor mir stand. Aber er erkannte mich gar nicht, denn sein linkes Auge war mit Blut gefüllt, sondern er griff nur in ohnmächtiger Not mit den Händen in die Luft, und sein wahnsinniger Hilferuf weckte das schlafende Echo in allen Schluchten. Ist es nicht fürchterlich, daß der Unselige in dieser höchsten Not nichts anderes wußte, als immer wieder: » mama weeee« zu rufen, »Mutter, o Mutter!« Aber ich weiß nicht, ob er in diesem Augenblicke viel mehr litt als ich. Ich hatte sofort befohlen, ihn an den Baum zu binden, um ihn erschießen zu lassen, und als den hastig arbeitenden Leuten der Riemen riß, wäre ich ihnen am liebsten an die Kehle gefahren, weil sie seine und meine Qual so verlängerten. Dann rollte eine Salve aus sechs Gewehren über den Fluß, und als der Körper im Tode zusammenzuckte, war es mir, als fiele mir nicht ein Stein, sondern ein Felsen von der Seele. An Schlaf war natürlich in dieser Nacht nicht mehr zu denken. Ich legte mich zwar todmüde und erschöpft nach der furchtbaren Aufregung hin, aber immer wieder weckte mich der langgezogene Ruf, der von stromabwärts her aus dem Dunkel einer Schlucht schallte: » Ndikujese – weeee …«, vielleicht ein Bruder oder Freund, der den Namen des Getöteten rief; und abwechselnd mit ihm zitterte immer wieder klagend das Heulen eines Hundes durch die Nacht; durch diese wundervolle Nacht, die in demselben köstlichen Frieden schweigend träumte, wie vorher. Nur die Geier über mir flogen aaswitternd noch ruheloser hin und wieder. Ich aber mußte an die Worte unseres großen Dichters denken:

»Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.«

Am nächsten Morgen fand ich die Leiche, die wir auf den Weg gelegt hatten, verstümmelt; beide Hände und noch andere Körperteile waren abgeschnitten. Auf der Suche nach den Urhebern dieser Schändung stieß ich auf den kleinen Askari Ibrahim und einen Landsmann von ihm, einen Träger, beide Manjema vom Kongo. Über ihre Motive konnte ich aber nichts erfahren.

Die Eingeborenen, die am nächsten Morgen ebenso zahlreich und harmlos ins Lager kamen wie jeden Tag, kannten weder den Erschossenen noch den anderen, dessen Leiche der Fluß einige Kilometer abwärts ausgespien hatte. Der dritte, der mit Heri gemeinsam über den Felsen gerollt war, ward nicht gefunden. Nach Aussage des Häuptlings handelte es sich um Leute, die mindestens drei, vier Tage unserer Karawane gefolgt sein müssen. So erschütternd diese Nacht gewesen war und so lange ich brauchte, um mein seelisches Gleichgewicht wieder zu erringen – das eine Gute hatte diese Katastrophe doch, daß die Versuche, mit List oder mit Gewalt in unser Lager einzudringen, mit einem Schlage aufhörten. Allerdings kamen wir ja auch täglich weiter ab von dem Njawarongo-Knie mit seinen Bakiga und in die geordneten Verhältnisse der Stammprovinzen mit ihrer strengen Watussiherrschaft.

Vierzehn Tage und ebenso viel genußreiche Märsche durch die täglich wechselnde Szenerie der den Strom begleitenden Landschaft brachten mich vom Njawarongo-Knie bis zu der Stelle, wo er der Vermählung von zwei, an Breite und Tiefe gleichen Flüssen Leben und Namen verdankt. Will ich im Bilde bleiben, so muß ich es eine Konvenienzehe nennen, deren Frucht ganz der feurigen Mutter gleicht. Denn wie ein müder zitteriger Greis schleicht von Süden her Mhogo, ganz unähnlich dem Njawarongo, durch sumpfiges Gelände; während Rukarara jugendstark und jugendfrisch reißenden Laufes über Stock und Steine springt.

Ernsthaft gesprochen ist also das Verhältnis der beiden Flüsse so, daß der westliche Arm in einer beliebigen Zeiteinheit um ein vielfaches mehr Wassermengen in das Bett des Njawarongo wirft, als der östliche. Als ich einen Tag vorher von der Höhe eines Berges aus die beiden Täler sah, hatte ich das Umgekehrte erwartet, weil das Mhogotal viel breiter ist; mir war diese Wahrscheinlichkeit um so lieber, als ich von den Eingeborenen hörte, daß die Mhogoquelle in wenigen Tagen auf guten Wegen zu erreichen sei, während die des Rukarara in einer unzugänglichen fürchterlichen Wildnis läge. Ich war daher sehr enttäuscht, als ich an der Vereinigung der beiden konstatieren mußte, daß ich dem Rukarara als dem eigentlichen Quellarm zu folgen hätte. – – – – – – – – – –

*

Es ist übrigens sehr charakteristisch für die Bewohner dieser Länder, daß sie vom Pori immer nur in den übertriebensten Ausdrücken sprechen; während für Küstenleute, die die großen unbewohnten Steppen und Mjombowälder an der Karawanenstraße kennen, eine Wildnis von drei, vier Tagen etwas leicht überwindbares ist, schrecken die Wanjaruanda schon vor einem eine Stunde breiten Pori zurück, weil sie an ihr reich besiedeltes Grasland gewohnt sind. Besonders aber haben sie Furcht vor dem Urwald, was natürlich für die viel kouragierteren Batwajäger keine Geltung hat. Durch Erzählungen, in denen sie ihn mit unbekannten Schrecknissen und seltsamen Fabeltieren bevölkern, steigern sie gegenseitig ihre Furcht und fügen zu den wirklichen Gefahren noch die phantastischen Gebilde, von denen sie je am Herdfeuer aus dem Munde ihrer Märchenerzähler mit Grauen und gläubigem Staunen vernommen haben. Als ich zwei Jahre später meine Akanjaru-Expedition nur mit eingeborenen Trägern machte, konnte ich ihre übertriebene Furcht aus nächster Nähe beobachten. Zwang uns die Notwendigkeit einmal, im Urwald zu übernachten, dann türmten sie wahre Scheiterhaufen auf und verbargen sich in Hütten aus dichtem Gestrüpp; so oft aber irgend ein Schrei aus verborgener Schlucht durch die schweigende Nacht zitterte, so oft ein Gezweig brach oder ein aufgescheuchter Nachtvogel mit schwerem Flügelschlag in ihrer Nähe aufbäumte, fuhren sie aus ihrem Halbschlaf empor, und die meisten zogen es vor, wachend der Sonne zu harren und an den Feuern mit halblauter Stimme von all dem Furchtbaren zu sprechen, das ringsum im Dunkel lauerte, von den Affen, die die Männer mit Stricken binden und den Weibern durch die Brunst ihrer Umarmungen den Körper zerreißen, und von anderen nicht minder schrecklichen Erscheinungen.

Aber diese geistige Verfassung ist nur zu natürlich in einem Lande, dessen Nachthimmel noch vor wenigen Jahren die Glut der Vulkane purpurn widerspiegelte und dessen Nachtruhe nur zu oft durch den Donner in den Eingeweiden der Berge gestört wurde, gleichsam als sei dort unten ein anderer Himmel verborgen mit anderen Unwettern. – –

*

Ich folgte also dem Rukarara stromaufwärts, zuerst nach Südwesten, später nach Westen. Je weiter wir in die Randgebirge hineingerieten, um so schwieriger wurde das Terrain. Aber doch war es mir, wenn auch unter großen Anstrengungen, möglich, dem Flußlauf zu folgen und ihn nur vorübergehend, wenn das schroffe Gelände es nicht anders gestattete, zu verlassen. Es war eine böse Zeit für uns alle, und es kostete wahrlich manche Überwindung, nicht zu verzagen, wenn man eben einen hohen steilen Berg mühsam erklommen hatte, auf dem schmalen Kamm zu sehen, daß man sofort wieder eben so tief hinab muß und daß eine unübersehbare Kette gleich hoher Berge noch vor einem liegt. Da heißt es, die Zähne zusammenbeißen und an das » Never give up« denken, das ich einst über dem Tor eines Palazzino in der Villa Borghese hatte leuchten sehen. Die Träger bewährten sich in diesen Tagen wie immer, wenn es das Schwierigste galt, ausgezeichnet.

siehe Bildunterschrift

Tanzknaben des Königs.

Am fünften Tage begannen die Ansiedelungen seltener zu werden; am sechsten hörten sie ganz auf. Wir passierten ein Pori, in dem Adlerfarren und Königskerzen den Graswuchs ablösten; dann traten, von zahlreichen Brombeersträuchern umgeben, Bäume auf, erst einzeln, dann in Gruppen und zuletzt nahm uns das Dunkel des Urwaldes auf. In der sechsten Nacht – wir hatten einen kleinen Bogen des Rukarara abschneiden müssen und lagerten im engen Tal, dicht an einem Bächlein, das an einigen Stellen ausgetreten war und kleine Pfützen bildete – in der sechsten Nacht also erwachte ich in der zweiten oder dritten Morgenstunde und schauerte vor Kälte unter meinen Decken; dann faßte ich meine Nase an, die sich wie der Hals einer auf Eis gekühlten Sektflasche anfühlte. Ich ließ mir von dem Posten noch ein paar Kleider auf mein Bett werfen und schlief auch glücklich wieder ein. Am anderen Morgen weckte mein Boy Mabruk mich schon vor 6 Uhr, zu einer etwas ungewöhnlichen Zeit. Als ich mich aufrichtete, sah ich, daß er den Wassereimer in der Hand hatte, auf dem eine zwei Zentimeter dicke Eisschicht schwamm. Ich zog mich rasch warm an und trat vor das Zelt. Es war schauerlich kalt, die Träger saßen rings an hoch lodernden Feuern und schüttelten ihre Köpfe über den ihnen ungewohnten Anblick der Landschaft. Gräser und Bäume waren dicht bereift; die Pfützen an den Ufern waren mit einer dünnen Eisschicht bedeckt und man konnte sich überall wo anders hin denken als gerade zwei Grad südlich des Äquators. Selbst in einer Flasche mit Medizin, die in meinem Zelt gestanden hatte, schwammen Eiskristalle. Noch vier Nächte brachten wir in diesem kalten Pori zu, aber die Temperatur sank nie mehr unter Null, doch auch keine Nacht mehr als auf einen oder zwei Grad Wärme. Wie kalt dies aber vom Körper empfunden wird, die am Tage einem Sonnenbade von 40 Grad und mehr ausgesetzt sind, kann jeder leicht begreifen.

Es waren herrliche Hochtäler, durch die wir dem allmählich auf eine Breite von vier Metern und Knöcheltiefe gesunkenen Rukarara folgten. Wasserreiche Wiesengründe, aus denen tausende, von Bienen umschwärmte, fast zwei Mann hohe Königskerzen aufragten, durchflossen von kristallklaren Bächen, die bald dichtes Gebüsch, bald nur zarte Mimosen begleiten, zu beiden Seiten sanftgeneigte Hügel, auf ihrem Kamm der dunkle Urwald, der auch teilweise die Hänge bedeckt. Meist sind sie aber nur mit hellen Gräsern bekleidet, die sich scharf von den dunklen Partien des Waldes wie von der Talsohle abheben, deren Grün auf große Strecken unter einem Teppich von weißen, gelben und rosa Strohblumen begraben liegt. Zahlreiche Nebenschluchten führen dem Haupttal kleine Bäche zu, und je weiter stromaufwärts wir marschieren, um so rascher nimmt die Wassermenge des Rukarara ab. Die Abende in diesen herrlichen Tälern hatten einen besonderen Zauber. Den ganzen Nachmittag türmten die Träger Scheiterhaufen, die nach Sonnenuntergang entzündet wurden und die ganze Nacht hindurch das Tal und den Waldrand erleuchteten. Ich selbst schlief, weil es im Zelte zu kalt war, draußen zwischen zwei großen Feuern, in deren Mitte mein Bett gestellt war. Sobald es dunkel ward, sah man im Tal hie und da wie Irrlichter den Schein von Fackeln tanzen; es waren die Träger, die viele der Hunderte von Bienenhäusern, die in diesen Tälern von Bienenjägern aufgestellt waren, plünderten. Ich hätte es ihnen vielleicht verboten, wenn das Spiel der durch die nebelerfüllten Täler wandernden Lichter nicht so schön und von geheimnisvollen Schauern erfüllt gewesen wäre.

Es war das Ende eines solchen Tales, das ich Mitte August 1898 mit meiner Karawane erreichte. Nur noch als 30 Zentimeter breites Rinnsal kam hier der Rukarara aus einer pfadlosen, mit Wald und üppigster Vegetation erfüllten Schlucht. In diese drang ich am nächsten Tage mit einem Eingeborenen und einigen meiner Leute ein. Es war eine schlimme Arbeit; für je 500 Meter brauchten wir fast eine Stunde. Aber mit Äxten und Haumessern brachen wir uns Bahn und oft im Morast bis zum Leib versinkend, oft auf allen Vieren in dem eiskalten Bach selber kriechend, durch Schluchten und Nebenschluchten langsam ansteigend, erreichten wir nach mühevollen Stunden, erschöpft, durchnäßt, von oben bis unten besudelt, einen kleinen feuchten Kessel am Ende einer Klamm, aus deren Boden die Quelle nicht sprudelnd, sondern Tropfen für Tropfen dringt: Caput Nili. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

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War es wirklich die Quelle des Nils, die ich gefunden? Und hatte wirklich der Satz kein Recht mehr, den noch in den achtziger Jahren einer der größten Geographen Europas geschrieben hatte: » On cherche encore la tête du Nil comme aux temps de Lucian; personne n'a eu la gloire, de voir le fleuve naissant?«

Die Nachwelt wird, frei von all den kleinlichen Empfindungen, die die Gegenwart stets für ihre Söhne gehabt hat, die gerechte Antwort darauf finden.

An Einem jedenfalls kann kein Zweifel mehr herrschen: daran, daß die Quelle des Rukarara die Quelle des Kagera, des Alexandra-Nil ist. An dieser Tatsache können auch Behauptungen nichts ändern, die sich auf Beobachtungen in der großen Regenzeit stützen, wo zufällige stärkere Niederschläge im Entwässerungsgebiete des Ruwuwu die Resultate verwirren können. Auch darf ein wichtiger Punkt nicht übersehen werden: die große Ebene, in der Kagera und Ruwuwu sich vereinen, hat ein kaum merklich von West nach Ost geneigtes Profil, weshalb auch der Ruwuwu sein Bett sich hart an ihrem Ostrand gegraben hat. Können in der Regenzeit die Flußbetten die Wassermassen nicht mehr fassen, so strömen von dem westöstlich fließenden Kagera große Mengen durch die Schilfsümpfe zu dem tiefer liegenden Ruwuwu, und deshalb geben Messungen an oder in der Nähe der Mündung in der Regenzeit immer ein falsches Bild. Wer übrigens von der Höhe von Bugufi in beide Flußtäler blickt, ist auch ohne Messungen nicht im Zweifel, welcher der beiden als Quellstrom anzusehen ist. Hätte der Mittellauf des Kagera in der Ruguero-Ebene nicht das riesige Reservoir, in dem er in der Periode der großen Niederschläge ungeheure Wassermengen ablagert, so würde das Größenverhältnis von Kagera und Ruwuwu noch eindeutiger dem Beobachter sich zeigen.

Wichtiger aber als dies ist die Frage: ist überhaupt der Kagera, wie die Eingeborenen zu Speke sagten, die »Mutter des Felsenstroms«, d. h. des Murchison-Nils? Und ist der Viktoriasee nur ein ruhender Punkt im Stromsystem des Nils, wie der Bodensee für den Rhein, oder selbst seine Quelle? Für beide Ansichten haben sich bedeutende Geographen erklärt: für die erste der geniale Reclus; für die zweite der gründliche Wagner und die Landsleute Speke's.

Auch darüber mögen zukünftige Gelehrte sich einigen. Ich habe mich in Dispute hierüber nie eingelassen, und werde mich auch in Zukunft nicht dazu verlocken lassen. Denn ich habe inzwischen eingesehen, daß ich in Afrika für mein Leben wertvolleres gefunden habe als eine Quelle, und daß es mir wie Bileam ging, der eine Eselin suchte und ein Königreich fand. Denn auch ich habe mein Königreich gefunden. Der Menschen müde, mit meinem Beruf zerfallen, an Gott, Welt und der eigenen Kraft zweifelnd, hatte ich Europa verlassen; Afrika gab mir alles wieder, was ich für immer verloren glaubte, gab mir vor allem ein Feld nützlicher Arbeit und meinem Leben seinen Sinn. Ist solcher Gewinn nicht mehr als alle Quellen dieser Erde? Vor zehn Jahren noch konnte ich an dieser Stelle meines Buchs mit einiger Bitterkeit sagen: »Wer ein Erstling ist, wird immer geopfert – sonderlich von deutschen Professoren«. Heute klingt meine Rede anders. Wer hinter die Kulissen des Ruhms geblickt hat, der tue wie ich, gehe zum nächsten Bach, schnitze sich eine Weidenflöte und pfeife sich eins. »Wer Ohren hat zu hören, der höre!« Nein, ich habe keinen Erstlings-Ehrgeiz mehr. – – – – – – – – – – – – – – – – –

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Die geographische Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, war gelöst und ich hätte nun meiner Reise vorläufig ein Ende setzen können. Es interessierte mich aber, die Quelle auch des zweiten Njawarongoarmes aufzusuchen. Da ich als Tauschware nur noch über eine Perlenlast verfügte, so schickte ich den größeren Teil meiner Karawane an das zwei Tage westlich befindliche Ende des Kiwu und von dort längs des Russisi nach Usumbura. Ich selbst aber kehrte mit 20 Trägern und 7 Gewehren noch einmal zur Vereinigung von Mhogo und Rukarara und folgte jetzt dem Laufe des ersten. Ich befand mich hier in den Stammgebieten der Watussi, unter deren Unfreundlichkeiten ich stellenweise sehr zu leiden hatte. Ihr Aberglaube witterte hinter meinem Streben, den Fluß nicht zu verlassen, um an seine Quelle zu gelangen, irgend eine böse Absicht, weshalb sie mich mit allen Mitteln von seinem Bett wegzulocken versuchten. Sie bedrohten meinen tüchtigen Führer so lange, bis er aus Furcht vor ihrer Rache ohne Lohn nächtlich die Flucht vor ihnen und mir ergriff; sie ließen mich dann falsche Arme entlang führen, leugneten Wege, verwirrten mich durch unrichtige Namen, schüchterten die Führer ein, so daß ich täglich neue suchen mußte, – kurz, es erforderte nicht nur viel Aufmerksamkeit, um ihren Täuschungen zu begegnen, sondern auch viel Zeit, da ich – namentlich als der Bach kleiner wurde – bei den meisten der zahlreichen Nebenarme, sofern sie am anderen Ufer mündeten, das breite, oft sumpfige Bett kreuzen mußte, um sicher zu sein, daß ich auch immer dem größeren Arme folgte. Von Zeit zu Zeit erschöpfte sich auch meine Geduld – glücklicherweise, denn eine energische Aussprache half immer eine kleine Weile. Es bereitet eine schmerzliche Scham, die menschenunwürdige Rolle mit anzusehen, zu der in diesen Gebieten die Wahutu sich verdammen lassen.

Nachdem ich auch den Mhogo bis zu seinem Ursprung in den Randbergen, wo er mit drei Quellen aus drei nebeneinander liegenden Schluchten oder besser Einschnitten entspringt, verfolgt hatte, suchte ich den Ngansokulu zu erreichen, um auf der Baumannschen Route an den Tanganika zu gehen. Ich passierte den Akanjaru stromaufwärts von Ramsay und kreuzte dessen Weg in Urundi, dicht an der Grenze von Ruanda. Auch dies Gebiet ist geographisch von Interesse, weil auch hier auf engbegrenzter Fläche die Quellen zusammenliegen für drei Flüsse, die die verschiedensten Richtungen einschlagen und ein gewaltiges Gebiet entwässern, – ich spreche vom Mhogo-Njawarongo, Akanjaru und Ruwuwu.

In dieser Gegend, so wenige Tage vor meinem Ziel geschah es das erste Mal, daß ich offenen Feindseligkeiten von seiten Eingeborener begegnete. Zwar war es auch hier nicht die gesamte Bevölkerung, ja nicht einmal Ortsansässige, sondern die Leute von zwei in Urundi ziemlich bekannten Watussi, die, 300 bis 400 Mann an Zahl, von ihren Herren gesandt waren, um uns zu überfallen. Da sie ihr Vorhaben sehr ungeschickt inszenierten, – sie suchten uns, statt nach Süden, zurück nach Nordosten in eine Schlucht zu locken – gelang es ihnen nicht, uns zu sehr zu überraschen, so daß ihr Angriff ohne Mühe mit Verlust von drei Leuten abgeschlagen werden konnte. Einem von diesen, der auf ziemlich nahe Entfernung einen Schuß erhielt, ward der Kopf von dem mantellosen Geschoß (Dumdum) so weggerissen, als hätte außer einem Kinn nichts auf dem Halse gesessen. Da ich absolut keinen Anlaß zu Feindseligkeiten gegeben hatte und auch kein Vergnügen an diesen infolge der Feigheit der Eingeborenen meist tragikomischen Kampfszenen empfinde, suchte ich die Leute, als sie mein Lager umzingelten, und, sich kindlich brüstend, läppische Drohungen ausstießen, durch gütliches Zureden dazu zu bewegen, friedlich nach Hause zu gehen. Damit kam ich freilich schlecht an: »ob ich denn glaubte, nachdem sie einmal hierher gekommen seien, um uns – nicht aus der Ferne mit Pfeilen, nein, im Nahkampf mit ihren Speeren – zu töten, daß sie wieder abziehen würden, ohne dies besorgt zu haben? Augenblicklich – so lautete wörtlich ihre Antwort – seien sie geschickt worden, sobald man nur gehört habe, daß ein Weißer mit kleiner Macht sich nähere. Habe denn nicht jeder Weiße, der durch Urundi kam, auch sie bekriegt und getötet? Und diesmal, wo sie die Stärkeren seien, sollten sie so dumm sein, statt meiner Stoffe und Perlen, schöne Worte zu nehmen?«

Es zeugte nicht gerade für die Aufrichtigkeit ihres Glaubens an die eigene Stärke, daß ein von mir und meinen sieben Schwaben gegen Abend unternommener Angriff auf einen zehnfach größeren Haufen ohne einen Schuß genügte, um für die Nacht ziemlich Ruhe zu haben. Auf dem Marsche der nächsten Tage wurden wir zwar fortwährend verfolgt und belästigt, doch nahmen wir nur von ihnen Notiz, wenn sie zu nahe kamen und den Nachtrab und mein Vieh mit Pfeilen beschossen. Da ich dies aber nur im äußersten Falle erwiderte, verloren sie bei ihren Kindereien nur vier Leute. Charakteristisch für die Eingeborenen war, daß die Ortsansässigen sich überhaupt nicht um diese Affären kümmerten, Geschenke brachten, Lebensmittel verkauften, wie nur je in friedlichster Gegend, und daß einige, die am ersten Tage mit unter den feindlichen Schützen waren, am dritten Morgen mit meinen Leuten Handel trieben. Und endlich legte sich das Randgebirge zwischen uns.

Ich bin über dieses Erlebnis so flüchtig hinweggeglitten, weil man ja den Verlauf solcher Kämpfe aus tausend Reisebüchern kennt. Ich werde später einmal Brief XXIII und XXIV; ausführlich von einem »Kriege« erzählen, der aber zwischen zwei eingeborenen Stämmen sich vor mir abspielte und einer Papier- und Druckverschwendung würdiger scheint. Übrigens lassen sich einige Folgerungen vom kolonialem Interesse aus dem Berichteten ziehen. Es ist bemerkenswert – und besonders bei den Wanjaruanda auffallend – wie wenig diese Völker dem Bilde entsprechen, das man sich bis vor wenigen Jahren nach den Erzählungen von Arabern und Negern von ihnen konstruierte. Die Warundi sind zwar ebenso feige wie die Wanjaruanda, aber – wie sie überhaupt lebhafter und intelligenter erscheinen – so auch großsprecherischer und anmaßender. Ich wurde in jenen Tagen nie den Eindruck los, daß all dies Gebaren, dieses Kriegsspielen usw. der Ausfluß echter Gassenjungenempfindungen sei. Darum glaube ich auch, daß es schwerer sein wird, in Urundi einen befriedigenden Zustand zu schaffen wie in Ruanda. Immerhin werden wir bei beiden niemals Schwierigkeiten begegnen, die so weittragende und gefährliche Abwehrunternehmungen nötig machen könnten, wie z. B. in Uhehe. Diese Völker, in jahrhundertelanger Knechtschaft entmannt, wissen nicht – und es ist gut so –, welch latente Kraft in den Leibern ungezählter Millionen schlummert, und, jedes tieferen Nationalbewußtseins bar, werden sie gefügige Werkzeuge einer vernünftigen, auf Landes- und Sprachenkenntnis bauenden Kolonisation werden und nie den kraftvollen Wunsch finden, sich zu einer einheitlichen Abwehr gegen fremde Invasion zu verbinden. Sie aus diesem Schlafe aufzustören und zu gemeinsamem Trutze gegen Europäer aufzustacheln, dazu gehörte schon eine so brutale Ungeschicklichkeit der Regierenden, daß sie von uns und unseren Enkeln wohl niemand schaudernd zu erleben fürchten muß.

Mganamukari, Februar 1921.


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