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Und nun wie weiter? Diese Frage, die sich dem Afrikaforscher, so lange er noch nicht wieder die Planken eines Ozeandampfers unter den Fußsohlen spürt, in derselben Minute aufzudrängen pflegt, in der er ein bestimmtes Ziel erreicht hat, erfüllte natürlich auch meine Seele, als ich den Malagarassi erreicht hatte und vorwärtsblickend einen flüchtigen Riß der nächsten Zukunft zu entwerfen versuchte. Ich hatte an Flußexplorationen Geschmack gefunden. Wohl bieten sie unendlich mehr Schwierigkeiten als etwa das Durchqueren von Ländern, zwar in bestimmter Richtung aber mit Benützung der vorhandenen Verkehrsadern und ohne Rücksicht auf eine den Weg bis ins Einzelne vorschreibende Aufgabe. Dennoch zogen sie mich an. Es hat mich an der Tätigkeit des Afrikaforschers stets am wenigsten angenehm die Diszentralisation seiner Kräfte berührt, und ich habe deshalb, wo es anging, mir immer eine scharf umgrenzte Parzelle zur Bearbeitung ausgesucht.
Darum plante ich auch, als ich die Sindi-Mündung erreichte, mich sofort an einen anderen Fluß zu hängen, nämlich den Malagarassi. Er entspringt dem Randgebirge im Osten des Tanganika, läuft seinen Oberlauf nach Osten und kehrt in einem Bogen wieder nach Westen zurück, um in den See sich zu ergießen. Ich beschloß also, dem Strom den Bogen entlang zu folgen bis zur Einmündung des Lukoke und dann diesem stromaufwärts, bis ich in die Nähe von Missugi in Urundi kommen würde.
Missugi war ein neugegründeter, und damals der vorgeschobenste Posten der weißen Väter von Afrika, den ich als Rendezvous für eine Karawane von Tauschlasten bestimmt hatte. Da ich nämlich am Ugalla merkte, wie sehr ich mich in der Größe der nötigen Mittel verrechnet hatte, hatte ich durch Boten die Station Tabora gebeten, mir eine Anzahl Stofflasten durch den dortigen Händler nachzusenden. (Der Mann soll jetzt tot sein und ich hoffe, daß er die ewige Seligkeit gewonnen hat. Wenn er freilich andere Leute ebenso übers Ohr gehauen hat, wie den unglücklichen Schreiber dieser Zeilen, dann bin ich für sein Seelenheil etwas ängstlich.) Da ich sicher sein durfte, daß der stets gefällige und hilfsbereite Chef von Tabora, Hauptmann Willy Langheld, sich der Erledigung meiner Bitte unterziehen würde, so hatte ich unbesorgt meinen Weitermarsch längs des Malagarassi antreten und Missugi in etwa einem Monat erreichen können.
Bevor ich aber die Reise den Malagarassi entlang fortzusetzen gedachte, wollte ich erst meine bisherigen geographischen Aufnahmen konstruieren, wofür ich acht Tage rechnete. Für den Fall, daß die Frist überschritten würde, und weil die Regenzeit sich täglich stärker entfaltete, ging ich daran mir einen behaglicheren Wohn- und Arbeitsraum zu schaffen, als ein Zelt ihn bietet. Denn von den Zelten gilt, was ein bekannter Maler von den Frauen zu sagen pflegte: »Ingeniöse Erfindungen und zugleich notwendige Übel«. Scheint die Sonne, so herrscht im Zelt, namentlich in den ersten Jahren, wenn der unstrapazierte Stoff die Luft nicht passieren läßt, eine unerträgliche Hitze; bei Regen und Wind aber muß man die Türen schließen und hat es dann erst recht schwül und nebenbei dunkel.
Ich nistete mich also in einem Msima-Wald ein und ließ mir eine langgestreckte Veranda mit einer offenen Seite bauen, deckte das Fachwerk mit Palmenfächern, was namentlich solange sie frisch waren, sehr nett aussah, bespannte innen die untere Hälfte mit rotem Stoff, der mit dem Grün der Tapeten schön zusammenklang, hing Karten und Photographien an die Wände und ein paar geblümte Tücher vor das Fenster und hatte, als der Boden unter Strohmatten verborgen war und Tisch und Stühle an ihrem Platz standen, wieder seit langem einmal etwas, was Heim- und Herdgefühle in mir hervorrief. Außerdem führten die Leute aus freien Stücken rings um das Lager einen riesigen Zaun und schlossen ihn nach Norden, wo der Weg zu dem ein paar hundert Schritte entfernten Fluß führte, durch ein zweiflügliges Gittertor ab.
Aber all dies genügte den Kindsköpfen noch nicht. Sie kramten weiter in ihren Küstenerinnerungen und der Mnjampara von Pangani, ein junger, schreibkundiger Arabersklave mußte auf ein Holzbrettchen meinen Namen in arabischen Lettern schreiben und diese eigenartige Visitenkarte an das Tor heften. Als Schlußtrumpf und Krönung aber wurde nach Art der Scheuchen, mit denen die Neger des Nachts aus ihren Hütten heraus die Vögel im erntereifen Feld vergrämen, eine Schnur vom Eingang längs des Zaunes bis zu meinem Zelt geführt und dort mit dem Scherben eines zerbrochenen Topfes verbunden. Diese Klingel wurde allerdings von mir bald außer Betrieb gesetzt, weil selbstverständlich jeder – vom ältesten Askari bis zum jüngsten Trägerboy – das Tor nicht passieren konnte, ohne die Glocke in Bewegung gesetzt zu haben. Auch für sich selbst sorgten die Leute und bauten sich nicht nur Hütten, sondern sogar Lauben mit Tischen und Bänken zum Kartenspielen. Europäerbänke nannten sie sie, also keine Barbarenbänke, wie sie z. B. die Wanjamwesi vor vielen ihrer Dörfer im Schatten eines Feigenbaumes haben, und die nur aus einer schlanken, unbehauenen, auf zwei Gabeln ruhenden Stange bestehen. Oh nein, für solche Bänke dünkten sich meine Leute doch zu vornehm; also bauten sie Europäerbänke. Aber nach drei Tagen saßen sie schon des Spielzeugs überdrüssig auf der Erde und spielten unter dem Tisch ihr Kartenspiel. Aber Tische und Europäerbänke hatten sie. – –
Ich hatte damals fast zwei Dutzend Schwerkranke in meinem Lager, darunter vier oder fünf mit Blattern. Ich erkannte diese erst spät. Denn einmal waren es etwas sonderbar verlaufende Fälle – so starb der Askari Mohamadi plötzlich vier Wochen nach scheinbar vollkommener Genesung – dann aber hatte ich auch, trotzdem ich Arzt bin, nur einmal in einem Schweizer Hotel ganz flüchtig einen Blatternfall gesehen, und die Abbildungen, die ich im Gedächtnis hatte, zeigten natürlich andere Verhältnisse als auf der dunklen Negerhaut. Aus jener tristen Zeit, wo das Lager von dem Stöhnen der Schwerkranken widerhallte, stammt ein Weihnachtsbrief an einen Freund, aus dem das folgende Stück nach Weglassung unwesentlicher Personalia meiner und meiner Leute Stimmung am besten charakterisieren kann.
»Seit drei Tagen hat der Regen nicht aufgehört; bald hüllt er den Wald in feine Wolken ein, bald trommelt er gleich Erbsen auf die Dächer unserer Hütten und Zelte und spritzt von den roten Lachen des Bodens, der die Fülle nicht mehr fassen kann, gegen die Wände und in die Veranda, in der ich dies schreibe. Und immer neue Fluten strömen in unsinnigen Mengen aus der grauen Wölbung über uns. Niemand und nichts kann sich davor retten. Überall dringt die Nässe ein, durch die Poren der Zelttücher, durch die Hüllen der Lasten, durch die Spalten der Kisten, so daß jeder Gegenstand, den man anfaßt, von ihr durchsättigt scheint, die Bettwäsche einen feuchten dumpfen Modergeruch ausströmt und die Strohmatten mit einem samtartigen grünen Schimmelbelag sich überziehen. Nur selten Pausen von kurzer Dauer, wo das Grau verblaßt und die Sonne die weißen Decken zu durchleuchten beginnt, daß man auf ein Ende der Sintflut zu hoffen anfängt und gerne zuschaut, wie es über der Erde und den Gräsern wie in einer Waschküche dampft; aber dann zieht sich das Gewölk wieder zusammen und von neuem rieselt es von den Blättern und tropft durch die Lücken der Palmblätter, die mein Haus decken, daß ich mich kaum auf eine trockene Insel zu retten weiß. Das Lager liegt wie ausgestorben da. Auch die Raben, die unsere Gesundheitspolizei bilden, sitzen mit triefendem Gefieder verdrossen auf den Staketen des Zauns, und allein vergnügt sind die Frösche hinter uns im Sindisumpf und wollen gar nicht aufhören mit ihrem O und A. Von meinen Leuten sehe ich nichts. Die Gesunden liegen unter ihren Decken und schlafen, oder hocken trübselig eng wie die Sardellen in einer Hütte am Feuer und qualmen schlechten Tabak; und die armen kranken Teufel liegen frostschauernd auf ihrem Lager und wetteifern in Seufzern und Jammerlauten, denn was die Alten von den Akragantinern sagen, daß sie übermütig im Glück und im Unglück verzagt seien, gilt ebenso sehr für die Neger. Manchmal sehe ich einen Boy oder ein Weib durch das Portal hinausschleichen und nach einer Stunde durchnäßt, mit krummen Knien und verfrorenem Gesicht, Nahrungsmittel in ein Tuch gebunden, wiederkommen. Denn die Eingeborenen aus den benachbarten Dörfern, die sonst in der Morgenstunde im Lager einen Markt abhalten – darunter die Mehrzahl Weiber, die aus reizenden Tonkännchen eine gräßliche Tabaksjauche auf die Hand gießen und in die Nase schnaufen und den Rest über die Lippen schmieren – sind bei dem Hundewetter schon tagelang ausgeblieben, und wer wollte es ihnen verübeln?
Gestern war Heiliger Abend; ein tristes Weihnachten für mich, denn alle meine Vorräte sind erschöpft. Kaffee, Zucker, Tabak, Petroleum, Seife, Salz – alles zu Ende oder am Sterben. Ein paar Tage von hier ist ein Unteroffizierposten, der ein Salzlager beaufsichtigt. Ich glaubte, seine Station wäre gut ausgerüstet und schickte ein halbes Dutzend Leute zu ihm mit der Bitte, mir die nötigen Sachen zu schicken. Aber der arme Kerl hatte selbst gar nichts, dafür schickte er mir, um sich willig zu zeigen, sechs Lasten Salz, – zwar zu billigem Preise, aber was sollte ich wohl mit dreihundertsechzig Pfund Salz anfangen? So um meine letzte Weihnachtshoffnung getäuscht, saß ich gestern, schrieb oder lauschte dem Heulen des Windes in den Schirmakazien des Malagarassi, dem Preschen des Regens gegen die Dächer, dein Wimmern der mit dem Tode ringenden Kranken und sang zu dieser Melodie den einzig passenden Text: » Triste-tristius-tristissime«.
Um meine Stimmung noch mehr dem Gefrierpunkt zu nähern, hatte ich neulich das Malheur, mir meine Wirbelsäule zu stauchen. Die Geschichte ist nicht ängstlich, sondern nur schmerzhaft und meine Haltung gleicht vorläufig der des guten Professors L., den wir lieblose Primaner ???ðÞ÷íò nannten, weil er eine Elle verschluckt haben sollte. Aber das ist mir ziemlich farcimentum, weil Schönheit und Grazie hierzulande doch nicht gewürdigt werden. Ich erzähle es dir nur, um dir zu zeigen, auf wie dumme Weise man hier verunglücken kann. Ich ging spazieren und hatte mir als Ziel eine riesige Palme genommen, deren es zwei krankhaft lange Exemplare am Malagarassi gibt. Da ich mit bei der einen nicht klar war, ob Dum oder Borassus, bückte ich mich, um nach Früchten zu suchen und sah bei dieser Gelegenheit durch eine Lücke in dem Schilfrohr dicht am Fluß am jenseitigen Ufer eine wunderschöne Baumgruppe. Um sie näher genießen zu können, gehe ich harmlos durch die Lücke hindurch, als ich drei Schritt vom Ufer plötzlich versank. Weißt du, was ich dabei dachte? Nichts als »braun«, d. h. ich dachte, was ich sah, nämlich die Farbe der Erdwände. Der Mann, der vom dritten Stockwerk herunterstürzte, und als er an der ersten Etage vorbeiflog, dachte: »Diese Meyers haben's gerade nötig, wochentags Gänsebraten zu essen«, ist sicher eine Ausnahmenatur gewesen, denn man denkt, wenn man stürzt, nicht in Worten, sondern in Bildern. So wie ich in den Ötztaler Alpen, als ich eine Moräne herabrutschte, nur »grau« dachte, so diesmal nur »braun«. Und erst als ich wieder festen Boden hatte, merkte ich, daß ich in einer Nilpferdfalle saß, in der ich nichts zu suchen hatte. Diese Dinger sind wirklich perfid erdacht; sie laufen unten keilförmig zu, so daß schon meine Füße sich einklemmten, die doch nicht ganz so groß sind, wie die eines Hippopotamus. Das Hinauskommen war leichter, als ich zuerst dachte; ich stemmte die Beine wie ein Schornsteinfeger an die Wände, bis ich den oberen Rand fassen konnte und schwang mich dann hinauf. Wäre das Loch ein paar Fuß tiefer gewesen, dann hätte ich allerdings darin verhungern oder zum mindesten übernachten können. Meine Wanjampara machten mir sehr drollige Vorwürfe als ich über und über beschmutzt ins Lager kam und die Aventiure erzählte. Besonders der eine, ein Männchen, das stets voll ist, sagte: »Was soll denn aus uns werden, Herr, wenn du immer fortgehst und einmal verunglückst? Bist du nicht unser Vater? Und sind wir nicht deine Kinder?« Ich glaube, meine Kinder würden sich zunächst einen fürchterlichen Rausch antrinken und allerhand Unfug begehen. Ich werde allmählich etwas mißtrauisch gegen diese Phrasen.«
Es war einige Tage nach diesem freudlosen Weihnachten, als ich ein Schreiben und 24 Stunden später ein zweites erhielt, das zwar den gleichen Inhalt, aber aus besonderen Gründen die Konsequenz hatte, daß in Afrika wieder einmal erstens alles anders kam, zweitens als man dachte. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
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Eines Tages, kurz nach Weihnachten, machte ich von meinem Lager aus dem kleinen, sechsjährigen Lulengerule, dem Sultan von Uwinsa, meinen Gegenbesuch in seinem einige Stunden entfernten Dorf. Es war, um zu ihm zu gelangen, erst der Sindi auf einer abscheulichen Furt zu passieren, die sich in vielen Windungen durch das zwei Männer hohe Papyrusschilf zwängt. Wir mußten über die umgeschlagenen Stauden von Wurzelstock zu Wurzelstock springen, um die zahlreichen Löcher zu vermeiden, deren Tiefe man wegen des schwarzen, mit kleinen, linsenförmigen Blättchen bedeckten Wassers nicht erkennen konnte. Das Schilf, zwischen dem üppige Kräuter und besonders häufig ein niedriger, sägeförmig gelappter Farren wucherte, war drückend heiß, weil kein Wind die rasch rechts und links sich zu Mauern zusammenschließenden Pflanzen durchdringt und von den modrigen, mephitischen Dünsten, die der feuchte, pechfarbige Boden aushaucht, lüften kann. Tausende von Lucilien, die dort den Augen der Frösche nachstellen, stürzen sich gierig auf uns und bedrohten in heftigem, auf kurzer Linie auf und ab sich bewegendem Tanze unsere Ohren, Nase und Augen. Und als wenn damit des Unangenehmen noch nicht genug wäre, greift die nach einer Stütze tastende Hand oft in ein hohes Gras, dessen feine Härchen sich von den Blattscheiden loslösen und, in die Fingerhaut eindringend, ein brennendes Jucken erregen. Aber schließlich kommt man ja auch einmal an das Ende einer Furt, nur daß die Freude darüber wegen der Aussicht, sie auf dem Rückwege noch einmal zu berühren, nicht sehr groß war. Jenseits hinauf; steil, steinig, zwischen dichtem Unterholz und an Harzknoten reichen Akazien, mit viel Pausen zum Atemschöpfen und zum Genießen des Blickes auf die schmutziggelben, wirbelnden Gewässer des Stromes, die dunklen Berge des jenseitigen Ufers und den in weiter, weiter Ferne sich verlierenden Buschwald, zwischen dem hier und dort ein senkrecht aufsteigendes blaues Rauchwölkchen zum wolkenlos herablachenden Himmel sich hinaufringelt. Und dann sind wir unvermutet oben und zersprengen durch unser Erscheinen gleich eine große Bande von gelben Hundsaffen, die in kurzem Galoppschritt und mit häufigen Kopfwendungen hinter einer Baumgruppe verschwinden. Als letztes steht noch einen Moment ein altes, riesiges Männchen halb aufgerichtet da, mit einer Hand gegen einen Stamm gestützt und einen merkwürdig rekognoszierenden Blick zu uns herübersendend, dann taucht es hinter den anderen her in das Dunkel des Dickichts. Jetzt zieht sich der Weg lange über den Rücken des Berges, einer weithin sich dehnenden Platte, deren Ränder sich verbergen, so daß man oft in der Ebene zu marschieren glaubt, und steigt dann weniger steil als über den östlichen Hang nach Norden zum Malagarassi hinab. Wo dieser in eine Anzahl von Armen und Kanälen geteilt ist, liegt auf einer Insel die Residenz des Lulengerule. Aber die Insel ist groß, und wir passieren erst viele Gehöfte, in denen mir separate Hütten für die Hühner auffallen und Felder, auf denen die mit ihren Weibern gemeinsam arbeitenden Männer fast alle ihr Gewehr zur Seite haben. Lulengerules Tembe ist ziemlich verwahrlost. Erst erscheint sein Premierminister und Vormund, ein älterer, ruhiger Mann, der ewig einen Regenschirm in der Hand hält. Dann kommt Lulengerule auf den Armen eines Kindermädchens, eine schwarze Gliederpuppe, die ich ihm neulich geschenkt habe, fest an sich drückend. Dieser kleine Sultan, den ich für ein Mädchen hielt, ist sehr artig, sehr manierlich und hat die Finger nicht immer an der Nase wie Fundikila, die Herrscherin des Nachbarreiches. Also machen wir einen kleinen Klatsch, für den auch Könige empfänglich sind, und rühmen wir Lulengerules Erziehung unter Hinweis auf Fundikilas schlechte Kinderstube. Ich glaube, der Eindruck meiner Worte war nicht übel, denn als ich mich erhebe und verabschiede, bringt man noch drei Eier, die der Sultan selbst mir einzeln überreicht. Allerdings stellen sie sich im Lager als angebrütet heraus, aber in Afrika heißt es oft: Wenn auch die Eier faul sind, so ist doch der gute Wille zu loben. Begleitet von allen Ministern gehen wir zum Fluß und fahren stromaufwärts in einem Boot, das aus einem riesigen Waldbaum und nicht, wie die meisten dieser Fahrzeuge, aus einer männlichen Borassuspalme gehöhlt ist. Wieder diesseits gehen wir diesmal im Tal, wo ich auf dem anderen Ufer Niederlassungen bemerke, deren Hütten gleich Pfahlbauten auf hohen, durch Leitern zu ersteigenden Platten stehen. In der Nähe der Sindifurt angekommen, erreicht mich ein Träger, der mir gefolgt ist, mich aber jetzt erst eingeholt hat, und übergibt mir einen Brief, den in meiner Abwesenheit ein »Wilder« gebracht hat. – Der Brief kam von Hauptmann Bethe, dem neuen Bezirkschef von Udjidji, der eben auf seinen Posten marschierte, und benachrichtigte mich, daß in Urundi und Ruanda große Massen kongolesischer Rebellen eingefallen seien. Er fügte hinzu, daß, da unter diesen Umständen ein Betreten des Landes unmöglich sei, er mir vorschlage, nach Udjidji zu kommen und meine Dienste als Arzt der Kompanie für den Fall von Feindseligkeiten zur Verfügung zu stellen. Da es für mich, so wie die Dinge lagen, keinen Grund zu langer Überlegung gab, so schickte ich noch am gleichen Tage meine Antwort fort, daß es mir unmöglich sei, meine Pläne aufzugeben. Wenn ich mich auch nicht blind ins offenkundige Verderben stürzen wollte, so müßte ich die Verhältnisse doch erst selbst aus der Nähe betrachten, um einen für meine Expedition so weittragenden Beschluß zu fassen. Ich blieb also dabei, daß ich zunächst nach Missugi in Urundi ging; fände ich die Mission nicht mehr vor, so würde ich mich schon auf diesem oder jenem Weg nach Westen zum Tanganika durchfinden. 24 Stunden später erhielt ich ein zweites Schreiben von dem Bezirkschef von Tabora desselben Inhalts und die Mitteilung, daß man mich bestimmt in Tabora erwarte, um dort die weitere Entwicklung der Affäre abzuwarten. Dies war ein harter Schlag, denn der Bote, der mich auf langen Irrwegen gesucht hatte, hatte sich mit dem gekreuzt, durch den ich gebeten hatte, mir die nötigen Tauschwaren nach Missugi zu senden. Ich war also jetzt absolut im Ungewissen, ob mein Auftrag ausgeführt oder in Erwartung meiner Ankunft in Tabora zurückgehalten wurde. Auch war es möglich, daß bei den umschwirrenden Gerüchten sich gar keine Leute fänden, um nach Urundi zu reisen. Schickte ich Boten nach Tabora, so mußte ich zwanzig Tage auf ihre Antwort warten, weil ich der vielen Kranken wegen keinen Träger entbehren und ohne sie nicht abreisen konnte. Andererseits glaubte ich nicht riskieren zu können, aufs Geratewohl nach Missugi zu marschieren, denn wenn ich dort keine Tauschwaren vorfände, was dann? Dann saß ich noch viel weiter von Tabora ab als jetzt. Daß aber die Mission einem ihr Unbekannten einen so großen Bedarf zur Verfügung stellte, schien mir ausgeschlossen, selbst wenn sie ihn entbehren könnte. Doch sie hat ihn oft gar nicht einmal. Ist die Mission aber aufgehoben, dann fehlen mir alle Mittel, weiterzukommen, wenn ich nicht plündern und marodieren will. Kurz, wie ich die Sache drehte und wandte und wieder drehte und wieder wandte, ich sah keine Möglichkeit, meine Pläne in der beabsichtigten Weise durchzusetzen. Und doch hing ich an ihnen und wollte sie nicht lassen und wütete wie Ajax in seinem Zorn gegen mich und meine unschuldigen Leute, denen ich gar nicht den Grund meines Rasens verraten durfte, um sie nicht kopfscheu zu machen. Es dauerte mindestens zwei Tage, bis ich mich beruhigt hatte und einsah, daß mein Zorn unvernünftig und grundlos war, denn mich hinderte ja nichts, in Tabora meine Vorräte zu ergänzen und dann meine alten Pläne zu verfolgen. Daß ich zwanzig Tage und ein paar tausend Mark einbüßte, war unangenehm, doch nicht zu ändern und nicht ganz ohne meine Schuld. Aber in diesem unseligen Wald noch länger zu sitzen, das vermochte ich nicht, dazu war ich zu ungeduldig geworden. Einige Tage mußte ich noch opfern, um die Genesung einiger notwendiger Träger abzuwarten, dann wollte ich selbst mit den kräftigsten in Eilmärschen nach Tabora und von dort an den Malagarissi zurück, um die beabsichtigte Route fortzusetzen.
Einmal entschlossen, führte ich meine Absicht auch rasch aus. Was an Trägern nicht laufen konnte, sollte langsam hinterherhumpeln und auf dem Rückweg von der Karawane aufgenommen werden; ihre Lasten wurden auf die gesunden Leute verteilt, die es sich gern gefallen ließen, als sie hörten, daß die Reise nach Tabora ging. Auch auf die Rekonvaleszenten hatte dieser Name einen merkwürdigen Einfluß und beschleunigte ihre Erholung.
Von der nun folgenden Zeit und den Märschen nach Tabora ist in meinem Gedächtnis nicht viel haften geblieben und ich besitze auch kein Mittel, um ihm nachhelfen zu können, denn meine Tagebücher aus dieser Zeit sind mir mit einigen anderen ein Jahr später in einem furchtbaren Unwetter verloren gegangen und haben den Boden des kongolesischen Urwaldes im Westen der Kirunga-Vulkane gedüngt. Aber ich erinnere mich, daß wir von morgens bis nachmittags marschierten und rasch vorwärts kamen, da ich die Route, die schon von anderen kartographiert war, nicht aufzunehmen brauchte, und daß ich oft einige Stunden warten mußte, bis die Träger mit dem Zelt mich erreichten. Von der Landschaft, die wir durchzogen, weiß ich nur, daß wir zuerst ein Hügelland passierten, in dem ich sieben Tage östlich des Tanganika eine Ölpalme fand. Beim zweiten Marsche erreichten wir die Karawanenstraße, die durch endlose Myombo-Wälder führte und dann wieder über bebend heiße, oft sandige Steppen, oft auch an großen Reisfeldern vorbei und an halbverfallenen Gehöften mit alten, riesigen Milumbu-Bäumen, in deren Schatten die ganze Karawane sich erholen konnte. In einer solchen Tembe, deren Dächer eingestürzt waren und über deren zerbröckelte Mauern und mit Schießscharten armierte Bastionen die Schlingpflanzen wucherten, lagerte ich eines Tages. Man hieß sie sonderbarerweise: » Mama jake«, gleich »Seine Mutter« oder auch » Mama ja Fopola«, gleich »Fopolas Mutter«. Aber noch sonderbarer war, daß, als ich nach dem Häuptling der Tembe und dieser Gegend fragte, man mir einen enormen Schafbock zeigte, der mit einen kleinen Herde friedlich das Gras der Höfe und der Fußböden in den zerstörten Wohnräumen abweidete. Fopola ist ein Chef, der einige Stunden entfernt haust und jener Hammel soll den Geist des alten Fopola beherbergen, der bei Lebzeiten seine Opfer unter Assistenz des Schafes vollzog und dafür nach seinem Tode ein seliger Schafskopf wurde. Infolgedessen wird er von der Witwe treu gehegt, die mich zwar nicht ihres hohen Besuches würdigte, aber mir ein nobles Gastgeschenk in Gestalt eines einzigen, noch dazu angebrüteten Eies schickte, worauf ich nicht minder nobel, ihr eine einsame, von Rost angebrütete Nähnadel sandte. Dann erinnere ich mich an ein Lager, wo ich zu meinem Staunen konstatierte, daß mein Affe und treuer Begleiter nach mosaischen Speisegesetzen lebte, denn er riß den Heuschrecken, die damals schwärmten, bevor er sie verzehrte, erst Kopf, Beine und Flügel aus, wodurch sie, wie ich gelegentlich erfuhr, koscher werden. ( Leviticus.) Später merkte ich freilich, daß dies eine Marotte vieler Affen ist. Interessanter aber war die Beobachtung, daß in vielen Myombo-Wäldern, die wir passierten, ungezählte Tausende von schwarzen, weißgezeichneten Spinnen lebten, deren goldgelbes Gewebe so zart und elastisch ist, daß ich sofort zu meinen Leuten äußerte, es müsse sich aus ihren Fäden Seide weben lassen. Die Spinnen saßen so dicht, daß es gar nicht möglich war, abseits des Weges durch die Bäume zu gehen, ohne fortwährend von den Fäden belästigt zu werden; und selbst über den Weg spannen sie sich, so daß Reiter sich unaufhörlich bücken müßten. Später las ich, daß man in Madagaskar feinste Seidenstoffe aus Spinnengeweben fabriziere und neuerdings hörte ich, daß auf der Pariser Weltausstellung solche Produkte durch ihre Schönheit aufgefallen seien. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß die Spinnen, die ich in den Myombo-Wäldern der Karawanenstraße angetroffen habe, einer verwandten Art, wie die der französischen Kolonie an gehören. Also auf in die Wälder von Uwinsa, wer Seide spinnen will.
Je mehr wir uns Tabora näherten, desto häufiger begegnet man Dörfern. Die Nähe der Station scheint die Leute mehr anzuziehen, als die Unannehmlichkeiten der Karawanenstraße sie zu verscheuchen. Zwei Tage vor Tabora holten mich Boten von Udjidji ein, die Briefe nach Tabora brachten. Sie erzählten mir, daß alle Gerüchte von Rebelleneinfällen auf deutsches Gebiet Mschensi = Kaffern-Geschwätz und erlogen gewesen wären. Meine Ahnung, meine Ahnung! Denn diese Möglichkeit hatte mir in allem Hin und Her meiner Überlegungen auch wiederholt vorgeschwebt. Mein einziger Trost war ein Korb mit Mangoäpfeln, die mir der gute Hauptmann Langheld entgegengeschickt hatte und die am selben Morgen bei mir eingetroffen waren. Aber als ich ein halbes Dutzend im Magen hatte, wurde ich erst recht schwermütig. Natürlich ließ ich mich jetzt in meiner Marschdirektion auf Tabora nicht mehr aufhalten. Ich hätte auch gar nicht gewagt, meinen Leuten einen anderen Vorschlag zu machen, denn dann hätte ich wirklich den »Schrei der Entrüstung« gehört, den ich bisher nur aus Journalen kannte, wenn er von Zeit zu Zeit durch die gesittete Welt geht. Es wäre aber auch zu grausam gewesen, die armen Schächer erst ventre à terre zum Paradiese zu schleifen und sie so nahe der Pforte wieder zur Hölle zu verjagen; denn solche Gegensätze bildeten für ihren Geist die Wahl zwischen Tabora, »der wunderschönen Stadt« und einer langen Reise durch Barbarenländer. Übrigens stach mir selbst nach den mancherlei Entbehrungen der letzten Zeit und den traurigen Weihnachten die Aussicht in den gastlichen Räumen des Herrn Nicolaus alias Salo W., mich durch einige Früh- und Dämmerschoppen zu restaurieren, recht verlockend in die Nase. Herr W. nämlich, der Händler von Tabora, war ein sehr netter und aufmerksamer Wirt, bei dem man sich außerordentlich wohl fühlte; er hatte nur – außer der Furcht vor dem, was er seine Frau nannte, um derentwillen er 800 Kilometer tief ins Innere geflüchtet war – ein Gebrechen, er hatte einen Kompagnon, der augenleidend war. Er sah doppelt und das machte sich beim Einpacken der Waren und Ausschreiben der Rechnungen höchst unangenehm bemerkbar. Aber andererseits kannte W. diese Schwäche und antwortete mir einmal auf eine Andeutung in seiner treuherzigen Art: »Was wollen Sie, Herr Doktor? Ein Gentleman geht nicht nach Tabora Handel treiben.« Dagegen ließ sich nun nichts sagen. Übrigens bewahren ihm seine Bekannten wie ich auch gleichwohl ein gutes Andenken. Der arme Teufel hat wenig Profit von seinen Profiten gehabt, denn nachdem er sich ein langes Leben in Afrika geplagt und endlich soviel zusammengespart hatte, um einigermaßen sorglos zu leben, ist er, wie ich jüngst hörte, auf der Heimreise gestorben. Von solchen Schicksalen, die ein deprimierend widersinniges Antlitz tragen, wimmelt es in Afrika. Die erstrebten Früchte mögen recht verschieden sein, die Trostlosigkeit, die in dem versagten Genuß liegt, ist allen gemeinsam und für alle gleich groß. Im Angesicht seines gelobten Landes sterben, kann höchstes Glück bedeuten, aber es kann auch ein sehr trauriges Geschäft sein. – – – – – – – – – – – – – – – –
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Ich glaube, es war der achte Tag meines Eilmarsches, daß ich in Tabora ankam und von Herrn Langheld und den übrigen Herren, darunter dem durch seine »überlebensgroße«, fast unnatürliche Länge und seinen guten Humor in der Kolonie unter dem Pseudonym »Bana Jussuf« überall bekannten und von Frida von Bülow im »Tropenkoller« literarisch ausgehauenen Baumeister Friedrich mit gewohnter Liebenswürdigkeit empfangen wurde. In den nun folgenden Wegeschauris wurde mir allgemein geraten, nicht wieder zum Malagarassi zurückzukehren, sondern direkt nach Missugi, wohin bereits zwei Karawanen mit Tauschware für mich geschickt waren, zu marschieren. Ich fügte mich nicht ungern der größeren Erfahrung. Ein Zufall bestimmte dann die Wahl der weiteren Route. Es kam nämlich damals Monseigneur Gerboin, der Bischof von Uschirombo nach Tabora zu Besuch und schlug, als er von meinen Zweifeln hörte, mir vor, einen neuen Weg nach Uschirombo zu eröffnen, der bisher nur von Eingeborenen begangen wurde, aber für den kürzesten galt. Als ich die Karte daraufhin vornahm, sah ich, daß diese Route in den ersten Tagen der alten von Speke entsprechen würde, daß aber im übrigen tatsächlich keine direkte Verbindung mit Uschirombo eingetragen war. Danach faßte ich meinen endgültigen Beschluß. – – – – – – – – – – – – –
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Von Tabora hatte ich in früher veröffentlichten Briefen schon ein Bild, wenn auch nur in flüchtigen Strichen entworfen und es reizt mich auch nichts, jetzt die Konturen auszufüllen. Es ist der »Schwarm« der Neger und ganz verständlicher Weise, weil sie dort stets sicher sind, eine große Menge Bekannter anzutreffen, weil der Markt ihnen ihre Lieblingsspeisen, die sie, wie z. B. Reis, in vielen Gegenden entbehren müssen, darbietet, weil das weibliche Element durch eine nicht geringe Zahl von in ihren Augen eleganten Damen vertreten ist und schließlich, aber nicht nebensächlich, weil durch die vielen durchziehenden Karawanen täglich Neuigkeiten importiert werden, die die Langeweile verscheuchen. Das ist nämlich auch eine der vielen irrigen Anschauungen von der geistigen Verfassung des Negers, die Behauptung, daß er keine Langeweile kennt. Eher möchte ich das Gegenteil für richtig halten, daß sein ganzes Leben ein Kampf gegen die Langeweile sei. Ein Neger in zu kleiner Gesellschaft von Landsleuten ist immer tief unzufrieden mit seinem Geschick, und wenn er in der volkreichsten Gegend säße. Sie haben einen sehr drolligen Ausdruck dafür: sie leben dort im »Pori« (Wildnis). Mit diesen Worten klagen mir meine Leute oft ihr Leid und ein Boy, der ausriß und nach Tabora flüchtete, ließ mir sagen, er könne es nicht länger im »Pori« aushalten; diese Wildnis aber, mein Dorf »Bergfrieden«, liegt umgeben von den Gehöften vieler tausend Eingeborenen. Ich wüßte eigentlich auch rein theoretisch nicht, warum der Neger nicht Langeweile empfinden könnte, da er weder zu den oberen noch untern Zehntausend der menschlichen Intelligenz, sondern zu ihrem Mittelstand gehört. Und der bedarf überall viel äußerer Reize, um das Leben kurzweilig zu finden.
Tabora ist in den letzten Jahren in Verruf gekommen, u. a. durch die Schilderungen des Herrn General v. Trotha; aber ich meine nicht ganz mit Recht. Ich habe auch schon mal einen Herrn behaupten hören, der ganze Niagarafall sei ein Schwindel und ein echt amerikanischer Humbug. Warum? Der Mann war mit der aus seiner Kindheit ererbten Vorstellung nach Amerika gekommen, daß dort ein Weltmeer in Welttiefen stürze und verstand es nicht, diese Phantasie zu abstrahieren, um zu einem Genuß der Realität zu kommen. Auch Tabora war mit pompösen Worten wie »Handelszentrale«, »Emporium von Innerafrika« usw. behangen worden; kein Wunder, wenn es dann den nüchternen Beobachter enttäuscht, besonders wenn er zu einer ungünstigen Zeit hinkommt. Denn das muß bei Herrn v. Trotha der Fall gewesen sein, sonst wäre seine Beschreibung des Marktbildes anders ausgefallen; ich habe es wenigstens ein Jahr später ganz anders gefunden. Das heißt, ich habe natürlich auch nur Lebensmittel und »europäischen Tand« verkaufen sehen, aber doch in sehr lebhaftem Absatz, wie auch die Einnahmen der »Marktsteuer« bewiesen. Aber was sollte denn sonst dort verkauft werden, da größere Wertobjekte, wie Elfenbein, Rinder, gewohnheitsmäßig nicht den offenen Markt aufsuchen. Ich glaube auch gar nicht, daß Tabora jemals eine so große Bedeutung gehabt hat, daß man es heute im Verfall nennen könnte; es war immer, was es heute noch ist, die Kreuzungsstelle der Karawanenstraßen. Damit steht und fällt sein Wert.
Ich bezweifle aber, daß die Karawanenstraße früher belebter war, als jetzt, am allerwenigsten der Lastentransit. Die größeren Mengen (?) Elfenbein wiegen nicht die heutigen Bedürfnisse der Europäer und Truppen, die Erweiterung der Handelsbeziehungen und die Eröffnung neuer Tauschgebiete auf. Auch das spricht gegen Tabora, daß seine Araber heute fast alle unvermögend sind. Aber ob sie je reich waren? Nach meinen Erkundigungen haben wir sie bereits power vorgefunden, und so werden sie mehr oder weniger schon lange vorher von der Hand in den Mund gelebt haben, weil sie durchweg keine gewiegten Kaufleute sein sollen. In Summa, wenn Tabora seinem alten Ruf nicht entspricht, so liegt das höchst wahrscheinlich an dem alten Ruf und nicht an Tabora. – – –
Wenn man Tabora auf der Nordseite verläßt, sieht man ziemlich am Ausgange der Stadt zur Linken die Tembe des Arabers Ssef bin Ssad, des Wali, d. h. des Stadtoberhauptes, liegen. Der kleine, etwas vertrocknete Ssef gilt für verständig, praktisch veranlagt und loyal; er ist einer der wenigen vermögenden Araber, leistet der Station jeden verlangten Dienst, wird dafür auch von ihr gefördert und ist gegen die Europäer stets liebenswürdig und gefällig. Daß an solchen Wesen vieles nur Schein, nur Oberfläche, nur Haut ist, darf nicht wundernehmen, denn Ssef ist ein Kind des Orients. Ich selbst mußte diese Erfahrung machen, als ich seine Gefälligkeit in Anspruch nahm. Ich hatte ihm nämlich einen Brief seines Freundes, des Hauptmanns Leue gebracht, worin er ihn bat, mir einen der Watussisprache kundigen Dolmetsch zu verschaffen. Natürlich war er ohne Zaudern dazu bereit: Es hätte ja gar nicht des Empfehlungsschreibens bedurft, nun täte er es so doppelt gern und ich würde gewiß dem Bana Leue schreiben, daß er seinen Wunsch ohne Zögern erfüllt hätte usw. usw. Er brachte mir auch schon nach vierundzwanzig Stunden einen Interpreten, einen ganz Vertrauen erweckenden Jüngling. Daß ich einige Monate später, als ich endlich Gelegenheit hatte, seine Fertigkeit zu verwerten, entdecken mußte, daß der Mann vom Kitussi soviel wußte, wie ich etwa vom Ungarischen – und ich verstehe von dieser sympathischen Sprache außer Mikosch und Gulasch und einigen verwandten Worten keinen Ton – und daß ich ihn schleunigst den Staub meines Lagers von den Pantoffeln schütteln lassen mußte, stellte der Zuverlässigkeit des guten Ssef ein weniger erfreuliches Zeugnis aus. Aber solche Nichtigkeit kann das Gewicht seiner Verdienste nicht herabdrücken. Ssef hat zweimal – in Uganda und Tabora – den katholischen Missionären das Leben gerettet und sie in seinem Hause mit eigener Gefahr geborgen und das wiegt viel, wobei es ganz gleichgültig ist, ob er aus Edelmut oder Klugheit so gehandelt hat. Gefördert hat er sich allerdings dadurch. Denn die Missionen haben ihre Dankbarkeit auch auf die geschäftlichen Beziehungen übertragen, so schwer es ihnen an sich ankommen mag, einen Feind ihrer christlichen Propaganda und selbst Proselytenmacher zu unterstützen; denn der steckt und muß in ihm wie in jedem gläubigen Mohammedaner stecken, und wo sich bei den Negern besonders hartnäckige und scheinbar unüberwindliche Vorurteile gegen Christen- und gegen Europäertum finden, so haben sie immer ihre Wurzeln in Einflüsterungen von Mohammedanern. Alle Kolonialvölker, Engländer, Franzosen und für die letzten fünfzehn Jahre auch wir, wollen den Islamitismus mit Schonung, Freundlichkeit, Toleranz und manchmal sogar Adjuvanz für uns und unsere Kultur gewinnen. (Darin sind besonders die Franzosen in Algier groß, die von Amtswegen Zuschüsse zu Mekkafahrten gewähren, d. h. zur Stärkung des wirksamsten Bandes, das die islamitische Welt umschlingt.) Vergebliches Bemühen, verlorener Aufwand. Nur mit seinen eigenen Waffen, mit Feuer und Schwert ist die Gefahr seiner Ausbreitung zu unterdrücken. Aber für diese Aufgabe sind wir nicht gerüstet, sind wir zu sehr geistig gehemmt durch allerhand Ketten und Schuhe, trotzdem ein Blick in die Kulturgeschichte der Völker bis in die neueste Zeit, bis heute, bis zu dieser Minute lehrt, daß mit der bisher verfolgten Methode der Mohammedaner unbekehrbar bleibt in Religion und Politik » Inconvertissables« wie die armen Mönche in Algier seufzen, wenn trotz ihres vereinten Anstürmens von der Ars diaboli nur hier und da ein kümmerliches Steinchen bröckelt. Nun könnte sich und würde sich die europäische Welt, die in religiösen Dingen sehr indolent und dadurch tolerant geworden ist, damit trösten, daß man jedes Volk nach seiner Fasson selig werden lassen solle. Das ließe sich hören, wenn der Islamitismus nicht eine ausgesprochen aggressive und vor allem jeder ihm unverständlichen Kultur feindliche Welt wäre. Wie oft hörte ich hier die lockende Rede von der Kultur, die der Mohammedaner mit sich bringt, wohin er seinen Fuß setzt. Geschichte studieren, meine Herren! Nichts täte uns mehr not. Ein Meer von Trümmern könnte man aus dem Treibsande Asiens und Nordafrikas graben, und daraus ein Denkmal der Kultur, die den Wegen der Mohammedaner folgt, zusammensetzen, das zu uns nicht sprechen, sondern schreien würde. Aber ich fürchte, es würden trotzdem nicht alle überzeugt werden, denn es gibt auch unter ihnen inconvertissables. – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – Da kommt so ein junger Herr aus Deutschland, direkt aus der kleinen lothringischen oder polnischen Garnison heraus, in der er seinen Überschuß an Energie nicht verkümmern lassen will – denn das ist neben dem Ehrgeiz fast das einzige Motiv; nicht Schulden, nicht schlechte Streiche, wie oft geglaubt wird, – kommt in die Kolonie mit Anpassungsvermögen und scharfem Blick für die Notwendigkeiten des Tages, aber meist ohne jene Sehweite, wie sie nur Reisen und das bunte Leben in fremden Welten erzeugen. Die meisten von ihnen gehen nun sehr bald ins Innere, und da ist es bedauerlich, daß sie die Küste nicht überspringen können. Denn von der Küste, wo es immer Leute gibt, deren Interesse und Mitteilsamkeit größer als die Kenntnis binnenkolonialer Verhältnisse ist, schleppt man zwar manches nützliche mit sich, aber auch manche falsche Wertung, manches Vorurteil, manches Prokrustesbett, nach dessen Maß dann viele nur allzu leicht und allzu unbewußt die Dinge der Wirklichkeit kürzen oder recken. Und ein solches sich immer wieder vererbendes Prokrustesbett ist auch die Ansicht von der kulturellen Mission des Arabers. Solchermaßen beladen kommt nun der Offizier oder Beamte oder Forscher – die Person ist ja gleichgültig, wir ähneln uns alle darin – in das Innere und sieht nun zunächst, wie überall da, wo die Araber längere Zeit saßen, oder sitzen, die Landschaft freundlich verändert ist; er sieht große Mangoschamben, die mit ihren stattlichen Laubmassen ihn an heimische Parkanlagen erinnern, er sieht Datteln und Kokospalmen das Stadtbild überragen. Er findet vielleicht auch, da die Araber meist nur an Punkten sitzen, die irgend welche Handelsmöglichkeiten bieten, einen regen Markt, auf dem sich eine Menge stoffbekleideter Menschen ohne Scheu, vielleicht sogar etwas Spott im Blick, bewegt, und sein Auge erfreut sich, wieder einmal Männlein und Weiblein zu sehen, die offenbar ihrer Haut eine größere Pflege schenken, als die Eingeborenen der Dörfer, die er auf seinem Wege passierte. Sitzt er dann, nachdem er sich eine auf dem Markte erstandene ägyptische Zigarette mit auf dem Markt erstandenem Feuerzeug angezündet hat, auf der sauberen Veranda einer besseren Arabertembe, eine Tasse heißen Kaffees vor sich, so hat er nach langer Zeit wieder einmal das behagliche Gefühl, das ein Reisender in Ländern mit unwirtlichen Zuständen empfindet, wenn er wieder zum ersten Male den Luxus eines gut eingerichteten Hotels genießt. Und dann beginnt er zu vergleichen, und sein Geist schweift noch einmal den zurückgelegten Weg entlang. Er hat noch nicht vergessen, wie oft er unterwegs nach einem Schattenbaume geseufzt hat, er gedenkt der schmutzigen fellbekleideten Eingeborenen, die erschreckt davon liefen, wenn er sie anrief, der Weiber, die ihre heulenden Kinder an sich rissen, und sich und sie in ihren Hütten verbargen; er erinnert sich vielleicht der Wagogo, ihres wilden, phantastischen Eindrucks, ihres penetranten Geruchs, den sie ihrem Waschwasser, dem Urin der Rinder verdanken, und noch dieses oder jenes anderen abstoßenden Erlebnisses und schließt mit der Überzeugung, wie unanfechtbar das Urteil seiner Küstenmentoren über die Araber und ihre kulturelle Bedeutung sich bewährt hat und – das Prokrustesbett hat wieder ein Opfer gefordert.
Aber das Leben sorgt dafür, daß nach einiger Zeit eine korrektive Reaktion eintritt. Nach kürzerer oder längerer Frist sehen sich die meisten gezwungen, der verstümmelten Wirklichkeit die Glieder wieder anzufügen. Aber auch Dritte gibt es, die zu dieser nützlichen Operation sich nicht aufraffen können, weil sie geradezu unfähig sind, neue Eindrücke richtig zu werten – intellektuelle Retina-Ablösung –; an diese dachte ich, als ich von Unbekehrbaren sprach, und es sind ihrer nicht wenige. Sie sehen nicht, daß jene gewinnenden Erscheinungen, selbst wenn man ihnen die Eigenschaft kultureller Errungenschaften zugestände, nur auf den kleinen Kreis der Araber und ihrer nächsten Umgebung beschränkt blieben, und daß der arabischen Indolenz jede Anstrengung, die über die Befriedigung der eigenen Bequemlichkeit und des eigenen Wohllebens hinaus auf die Eingeborenen wirken konnte, verhaßt war. Darum gibt es auch im Innern nicht nur keine Frucht, der die Araber in der langen Zeit ihrer Herrschaft irgendwelche nennenswerte Verbreitung geschafft haben, sondern sie haben auch für sich selbst so schlecht gesorgt, daß sie viele ihrer Lieblingsgenüsse, wie Datteln und Kaffee, entbehren müßten, wenn sie nicht von der Küste und von den Ländern am Roten Meere und noch weiterher eingeführt würden. In Tabora gab es 1897 und 98 nur drei Kokospalmen. An Dattelpalmen befanden sich in meinem Besitz 32 Bäume, das war aber die größte Schambe, die es gab. Sicherlich waren keine 80 oder hundert Palmen in Tabora angepflanzt. Uganda-Kaffee kam zwar aus Kisiba, aber der gute Aden-Kaffee, wie ihn die Pères Blancs am Tanganika kultivieren, wird van der Küste importiert. Über Ananas erzählt Herr v. Trotha, daß er mit Mühe eine aufgetrieben hat, also »die Ananas« von Tabora. Das ist wohl alles charakteristisch genug. Aber wenn auch all dies zum besten wäre, so hätte es von der Kultur doch höchstens den Namen geborgt. Denn einem Volke Kultur bringen, heißt doch wohl ganz etwas anderes, heißt doch wohl, seinen intellektuellen und ethischen Standard erhöhen. Es ist ja schwer, die verschiedenen Vorstellungen von Kultur unter eine Decke und Definition zu bringen, weil unsere Sprache für den Reichtum unserer Begriffs- und Empfindungswelt zu arm ist; bei weniger entwickelten Völkern ist es umgekehrt, da decken oft zwei oder drei Worte einen Begriff. Es ist auch schwer, weil Kultur etwas Relatives ist. Jedes Volk, auch das tiefstehende, hat »seine« Kultur, wenn auch Dünkel glaubt, er habe »die« Kultur, viele sagen Kultur und denken Bequemlichkeit oder Luxus; oder sie sagen Kultur und denken schwedische Streichhölzer oder elektrisches Licht oder Eisenbahnen. Weil es Wagandahäuptlinge gibt, die mit Schreibmaschinen an das englische Gouvernement schreiben, lobt ein Bericht ihre Kultur, als ob es nicht gleichgültig wäre, womit sie ihre Gedanken ver- und fernmitteln, wenn sie nur überhaupt Gedanken zu vermitteln haben. Und einen Triddelfitz, der einen zweijährigen Kursus in Witzenhausen durchgemacht hat, nennen die Zeitungen, wenn er seine Stellung in Sumatra oder Tanga antritt, »Kulturpionier«. Ich schätze die Bedeutung der gewiß sehr nützlichen und tüchtigen Schule an der Werra außerordentlich, aber Kulturpionier? – Du lieber Gott, wenn diese Fähigkeit so leicht zu lernen wäre, dann ginge ich gleich für mehr als zwei Jahre nach Witzenhausen. Äußerlichkeiten und technische Errungenschaften können höchstens mittelbar der kulturellen Förderung dienen, aber nicht das Ziel selbst bedeuten. Die Frage müßte also lauten: »Wie hat der Araber auf den intellektuellen und ethischen Hochstand der Völker, mit denen er in Berührung kam, gewirkt?«, wenn wir ihre wahre Bedeutung für die Kultur der Neger verstehen wollen. Die Antwort ist leicht zu finden. »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.« Haben die Neger, die mohammedanisch beeinflußt sind, einen ihrer Aberglauben verloren, haben sie nicht vielmehr viele neue zu den alten noch hinzu erworben? Ist die Stellung der Frau bei ihnen würdiger geworden? Wer war es, der ganze Provinzen entvölkert hat, um Sklavenschacher zu treiben? Haben sie sich ernsthaft bemüht, dem Neger eine Religion zu geben, die ihm eine Erhebung in guten, ein Trost in schlimmen Tagen ist? Oder haben sie sich statt dessen nicht damit begnügt, ihn ein paar Äußerlichkeiten und tote Formeln zu lehren und durch wahnsinnige Übertreibungen ihres Wertes sein Seelenleben fast hoffnungslos zu veröden? Und gibt es schlimmere Bollwerke gegen das Eindringen einer höheren Kultur als die Lehre der Jünger Mohammeds? Man könnte dieser Kette noch Glied an Glied anfügen, und jedes würde beweisen, daß die Araber teils einflußlos geblieben, teils verderblich geworden sind, so daß daneben gewisse Verdienste verschwinden, wie die Anleitung zu peinlicher Körperpflege, die Erweckung des Ekels vor allen Verrichtungen, die der Europäer non turpia nennt, weil sie naturalia sind und einiges andere. Wir haben glücklicherweise nicht soviel Araber in der Kolonie, daß ihr Schaden unberechenbar wäre, aber wir sollten uns hüten, sie irgendwie zu fördern, oder uns durch ihr sympathisches, liebenswürdiges Wesen über die Abneigung gegen die ungläubigen unreinen Fremden täuschen zu lassen, die sie ihren Kindern und ihrem Gesinde von Jugend an suggerieren. Dem entgegenzuwirken, weiß ich allerdings kein raschen Erfolg versprechendes Mittel. Auch die Schließung der Koranschulen, die überflüssig sind, weil es außer den Missionsschulen genug neutrale Regierungsschulen gibt, würde nicht viel helfen und nur odiös wirken, überhaupt dürfen wir bei dieser Frage zweierlei nicht vergessen: nämlich, daß wir den Ast absägen würden, auf dem wir sitzen, wenn wir den Islam mit den scharfen Waffen, die allein wirksam wären, bekämpfen wollten. Denn ein großer Teil unserer schwarzen Landsknechte ist mohammedanisch. Und zweitens: dadurch, daß dem Bantuneger durch die Araber keine Vertiefung seines Seelenlebens, sondern nur Äußerlichkeiten und Formelkram gebracht wurden, blieb er bisher auch von religiösem Fanatismus frei. Diesen künstlich durch kleinliche Schikanen und Polizeimaßnahmen zu züchten, wäre ganz verkehrt. Sollen wir deshalb die Hände in den Schoß legen? Gewiß nicht. Schützen wir vor allem die Eingeborenen in den noch nicht infizierten Gebieten, indem wir ihnen durch unser Verhalten täglich und stündlich zeigen, wie sehr unsere Kultur der überlegen ist, die der Islam ihnen bringen könnte. Damit ebnen wir auch der Saat derer den Boden, deren Eifer und Opferwilligkeit wir das andere überlassen können, den Dienern dessen, der die Liebe war und auch der Heiden nicht vergaß.