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Ich habe den Weg von Bagamojo nach Tabora in den Monaten August und September zurückgelegt, also in der Zeit der höchsten Trockenheit. Das hatte den Vorteil, daß ich Wege, die in der Regenperiode unter Wasser stehen oder grundloser Schlamm und Schmutz sind, ohne Schwierigkeit überwinden konnte; den Nachteil, daß die Wasserverhältnisse die denkbar ungünstigsten des Jahres sind. Es hat aber auch noch den Nachteil, daß ich den Lesern dieser Briefe keine üppigen Landschaftsbilder mit südlicher Pracht und Glut der Farben vorzaubern kann, sondern dem trockenen Stoffe entsprechend meine Darstellung wählen muß. Gewiß, ich erlebte auch jene erhabenen Stunden, in denen der empfindende Mensch zu spüren glaubt, wie seine Seele unter dem Atem der Schönheit leise erschauert; ich erlebte Abendröten, die auch die ödeste Landschaft verklärten, wenn die Sonne in roten Dunst gehüllt, durch jede Spalte der Wolken eine Feuergarbe entsandte, so daß die Erde, die Gräser, die Bäume, das Lager und die Menschen in leuchtendes Gold getaucht schienen, bis sie zuletzt als blutrote Scheibe in einem Meer von goldbraunem Gewölk unterging. Ich erlebte Morgenröten, wo die Luft klarer und reiner war als an den kältesten deutschen Wintertagen, wo es in allen Farben glitzerte, wohin ich schaute, wo die Netze der Spinnen kostbaren Perlenschnüren glichen, in denen der Himmel sich spiegelte, und köstliche Mondscheinnächte mit stärkerem Zauber, als ihn die Märchendichter ersannen. Das erlebte ich wohl und konnte mich nicht satt daran sehen und vergaß für Augenblicke über dem wunderbaren Schleier den welken, kranken Leib, den er mit seiner Schönheit mitleidig deckte. Aber wehe, wenn die Erde nackt dalag, im Winterschlafe, aber nicht in friedlichem Schlummer unter weißer, weicher Decke begraben, sondern wie in starrem Krampfe, dem Fluche gelber Öde verfallen und schamlos die kranken Blößen zeigend, so daß die Luft unter dem Fieberdunst ihrer heißen Glieder erzitterte. Dann war es immer dasselbe trostlose Wort, das sie mir zurief: »Öde«, riefen die gelben Gräser, die spärlich die weite, bebend heiße Steppe bedeckten, und beugten sich noch tiefer unter den Strahlen der Sonne. »Öde«, ächzte der Busch, der meilenweit ohne Blatt und Blüte meinen Weg gleich grauen, hoffnungslosen Gefängnismauern einzwängte, und »Öde« schrie der Wald der Steppe und streckte seine von der Glut der Sonne und der Brände gedörrten Äste wie Mumienfinger zum erbarmungslosen Himmel. Als wenn dein Auge alle anderen Farben verloren hätte – wohin du schaust, gelb; nicht das Goldgelb unserer reifen Kornfelder, sondern ein fahles, schwefliges Gelb auf der Erde und am Himmel, den schwüle Dunstwolken umhüllen; von der Sonne mit grellen, schmerzenden Strahlen durchleuchtet. Das ist das Bild, das die von mir durchzogene Landschaft mit Ausnahme von wenigen glücklichen, von Flüssen durchströmten Strichen Seele und Auge bietet, und ich habe, um beide Beziehungen zusammenzufassen, keine bessere Bezeichnung gegenwärtig als »gelbe Öde«.
Die auf meinem Wege verbreitetste Formation war die mit Sträuchern oder Bäumen bestandene Steppe, die je nach deren Dichte, Mischung und Eigenart ein sehr verschiedenes Bild gewährt. Reine Grassteppen ohne Strauch und Baum habe ich in nennenswerter Ausdehnung selten gesehen, meist an der Stelle ausgetrockneter Seen, auf Überschwemmungsgebieten periodisch sehr starker, in der Trockenzeit versiegender Ströme. Wenn sie in der Regenzeit frisches Grün tragen, gewähren die nicht zu großen, von einem dunklen Waldrahmen begrenzten Strom- und Seebecken das Bild eines gepflegten englischen Parks. Ich hatte sie mir, als ich durch die gelben, verdorrten Steppen der großen Karawanenstraße marschierte, minder schön gedacht, weil die Gräser nie eine zusammenhängende Decke bilden, sondern wie in Tausenden von Töpfen in den Boden gesenkt erscheinen. 20-40 Halme entspringen immer gemeinsam, von denen die äußersten die jüngsten, kleinsten und grün sind, wenn auch die anderen in fahlem Strohgelb glänzten. Bei bedecktem Himmel oder bei durchfallendem Licht kommen sie wie der Boden zwischen den Büscheln zur Wirkung, und dieselbe Steppe, die ein einziges welkes gelbes Feld ist, scheint eine Stunde später in junges Grün sich verwandelt zu haben. Am häufigsten sind hohe Gräser von großer Mannigfaltigkeit, die ihre Halme nach einer Richtung beugen und oft von einer kerzengerade aufsteigenden, schön stilisierten und in regelmäßigen Abständen kugelförmige Rispen tragenden Ähre überragt werden, die man in Ugogo und Unjamwesi in allen Hochgrassteppen findet. Strichweise sehr ausgedehnt (z. B. in der Nähe des Ruwu oder bei Ugunda) – in kleinen Flächen überall – auch in den Lichtungen des Myombo-Waldes zu finden ist ein ca. 25 Zentimeter hohes dorniges Gras, das sehr dichtstehend bald eine rostbraune, bald eine graue Steppe bildet, je nachdem die grauen, dornentragenden Rispen die rostbraunen Halme verdecken oder zur Wirkung kommen lassen. Meine Leute nannten sie mwiba msuri (guter Dorn) und beschritten sie mit ihren abgehärteten Füßen unbekümmert, während sie mir Plage genug verursachten.
Die Sträucher des von mir durchzogenen Gebiets sind meist Akazien, die trotz ihrer Widerstandsfähigkeit in den trockensten Gegenden so kahl dastehen, wie alle anderen Pflanzen. Auch die Baumsteppe trägt vorwiegend Akazien, die nur selten hochstämmig sind, meist auf knorrigem, vielfach gekrümmtem Stamm eine Unzahl um alle Achsen sich drehender Äste haben, die ein so unruhiges Gewirr bilden, daß das Auge sich nach einem Ruhepunkt sehnt, den es endlich in einem der Bäume findet, die durch Kraft, Schönheit oder Sonderbarkeit sich vorteilhaft von dem Baumgesindel der Akazien unterscheiden und verdienen, daß wir uns mit ihnen beschäftigen. Den stärksten Eindruck machten auf mich wie auf jeden Neuling die Tausende von Borassus- und Dum-Palmen.
Warburg schreibt in dem vortrefflichen Englerschen Werke über die Pflanzenverbreitung in Ostafrika: »Reisende im Steppengebiet haben übrigens darauf zu achten, daß sie nicht die Deleb- oder Borassuspalme mit der dort gleichfalls unverzweigten Hyphaene oder Dumpalme verwechseln.« Ich glaube, daß das gar nicht möglich ist. Selbst ganz jung haben sie schon ihre Charaktermerkmale.
Schon die Blätter der ganz jungen Borassus haben den schönen polierten, festen Stiel und die steifen, breiten Blätter, die später, wenn der Baum herangewachsen ist, ihm die prächtige Blattkrone geben, während die Dumpalme immer zerzaust aussieht. Während der Stamm der Borassus prachtvoll und ernst wie eine dorische Säule aus einem Guß geformt zu sein scheint, in seiner Anschwellung so viel künstlerisches Prinzip liegt, daß man den Eindruck hat: So, nur so konnte dieser Stamm gebildet werden – hat die Dumpalme, je älter um so mehr, etwas schiefes, wackliges, gebrechliches an sich. Und wirklich: eine gesunde Borassuspalme bricht der stärkste Sturm nicht ab, die Dumpalme aber, selbst die durchschnittlich kräftigeren am Sindi erreichen alle ihr Ende durch den Wind und stehen dann als unschöne Stangen wie die alten Kokos oder wilden Dattelpalmen in der Landschaft. Auch die Farbe des Stammes ist bei beiden verschieden. Der eine im schönen Silbergrau, leicht ringförmig schattiert, glatt, der andere wie rauchgeschwärzt, zerfressen, so daß die Fasern bloßliegen und rauh.
Sehr zahlreich am Ugalla und Sindi ist die wilde Dattelpalme; die schlanken Stämme mit den zierlich gefiederten Blättern und den dichten Trauben goldleuchtender Früchte bieten ein ungemein anmutiges Bild.
Unter den Bäumen der Steppe wird von den Reisenden neben den Palmen am häufigsten der Affenbrotbaum erwähnt, den man noch vor wenigen Jahren für einen aussterbenden Rest einer vergangenen Periode hielt. Das ist heute widerlegt. Wie viele andere Bäume Afrikas steht er einen großen Teil des Jahres leblos da, aber wenn seine Zeit kommt, dann schmückt er sich mit einem so prächtigen Gewande weißer Blüten, daß er mit jedem an jugendfrischem und lebendigem Aussehen wetteifern kann.
Ich liebte den Baum sehr wegen seiner kraftvollen Erscheinung. Wie aus Stein gehauen, reckt er seine Äste zum Himmel, die wie Drachenklauen gekrümmt und mit Schuppen und Warzen besetzt sind. In Deutschland würden sich unzählige Sagen und Gebräuche an ihn knüpfen. Er wäre nicht der Vertraute der Burschen und Dorfschönen, und die Bauern, die vom Wirtshaus heimkehrten, schlügen wohl ein Kreuz, wenn sie in winterlichen Mondscheinnächten seine prachtvolle Silhouette vom Schnee oder Himmel sich abheben sehen, aber unter ihm wäre die Fehm getagt, in seinem Schatten hätte Lohengrin für Elsa gekämpft, in seine Höhle hätte die Hexe den Soldaten geschickt, um das Feuerzeug zu holen, und noch viele andere Gespinste hätte unser Volk um seinen Stamm gewoben.
Sein Gegenstück, aber gerade so typisch wie er für die afrikanische Landschaft, ist die Kandelaber-Euphorbie. Mit ihrer steifen, gezierten Erscheinung steht sie da, als hätte sie ein Kunstgärtner des empire oder der Zeit Louis XVI. erfunden. Auf den Stichen eines Chodowiecki zwischen Plantanenalleen und regelrecht beschnittenen Taxushecken würde sie nicht störend auffallen. Ihr Name ist sehr bezeichnend. Ein Querschnitt gäbe das Bild eines vielarmigen Kandelabers nach Art des siebenarmigen Leuchters von Jerusalem. Ich könnte mir nichts schöneres denken, als einen Wald von Kandelabereuphorbien, die brennende Kerzen tragen. Man findet sie in der Glut der Steppen, wie im schattigsten Dickicht, umsponnen von tausend Schlingpflanzen, oder auf felsigem Bergkamm, dem Winde preisgegeben. Wie alle Euphorbien fürchtet sie der Neger, weil ihr Milchsaft schwere Augenkrankheiten erzeugen soll. Meine Affen sind anderer Ansicht und spielen ganz vergnügt auch in Euphorbien, gleichviel, ob der Saft sie bespritzt oder nicht. Interessant ist, wie ihr Stammstück, älter werdend, rasch seine Kanten und grüne Farbe verliert, sich rundet und schließlich braun und hart ist, wie die anderer Bäume.
Hinter Mpapua beginnt die Schirmakazie häufig zu werden, bald licht in der Steppe, bald in dichten Wäldern. Sie erinnert etwas an die Pinie und wie diese kann man sie gern den »Phantasten unter den Bäumen« nennen. Ich liebte sie besonders, wenn ich von einer Höhe z. B. bei Mpapua auf einen Wald von Schirmakazien hinabsah wie auf eine grüne Wetterwolke oder wenn sie sich einen Berg gleich Nebelstreifen hinaufzogen oder die Lagerfeuer sie von unten erleuchteten, daß ihre feinsten Verzweigungen sich vom Nachthimmel abhoben. Sie werfen auch in der Trockenzeit ihre dunkelgrünen winzigen Blättchen nur zum kleinen Teil ab und geben dadurch der Steppe, wenn man sie wie in Ngombia von einem Hochplateau unter sich liegen sieht, ein frisches freundliches Aussehen.
Schließlich möchte ich noch die Kigelia erwähnen, ein Baum mit stark nach oben strebenden Ästen und Früchten, die wie Würste an bis zwei Meter langen Stielen hängen, daher sein Name Leberwurstbaum. Es gibt übrigens Kigelien, deren Früchte kürzer und dicker sind und mehr denen der Adansonie gleichen. Auch die Kigelia fängt erst südlich von Tabora an, häufig zu werden, um am Ugalla an den Waldrändern wie in der Steppe massenhaft aufzutreten.
Leider wird die angenehme Situation, an anderen Bäumen als den verkrüppelten Akazien sein Auge zu weiden, nicht sehr häufig längs der großen Karawanenstraße geboten. Aber selbst wenn alle die erwähnten Bäume fehlen, wird Gras-, Strauch- und Baumsteppe dem Reisenden zum herrlichsten Park, wenn er ein paar Wochen durch dichten Busch gezogen ist.
Ich fühle mich außerstande ein Bild der Trostlosigkeit zu entwerfen, die ein Buschland in der Trockenheit bietet.
Als ich es zuerst an der Grenze von Ugogo traf, bekam ich eine ganz falsche Vorstellung von ihm, da sah ich Hunderttausende von 1 bis 1½ Meter langen grünen Bajonetten aus der Erde starren, umsponnen von Euphorbien und Schlinggewächs, die ein Durchdringen vollkommen unmöglich machen. Dies Sansevieradickicht, das meilenweit das Land bedeckte, durch das die schmalen Pfade der Eingeborenen führten, sah ich später nie wieder. An seine Stelle trat der dornige Strauch, der Akazienbusch. Wo er licht ist, überwiegen oft die Bäume die Sträucher, der dichte enthält vornehmlich hohes Gesträuch. Zwanzig bis dreißig Stämmchen schießen wie eine Raketengarbe nach allen Richtungen aus dem Boden, und schon einen halben Meter über ihm treten sie mit den benachbarten Garben in Verbindung. So entsteht eine Mauer, die den Blick auf fünf bis zehn Schritte im Umkreis beschränkt. Denn auch nach vorwärts zu schauen ist unmöglich, weil die Pfade gleich Schlangenwindungen verlaufen. Selbst in der Nähe der Stationen, wo für Wege viel getan ist, schließt sich der Busch meist rasch zusammen, oder man sieht auch nicht viel besseres, zwei lange graue Wälle von welken, bestaubten, gedörrten, blatt- und blütenlosen dornigen Ästen. Wo einmal eine rote einer Zahnbürste ähnliche oder eine weiße Blüte mit ausgefransten Blumenblättern sichtbar wird, erscheint sie dem Reisenden wie ein holdes Wunder. Es ist schwer, die Stimmung zu beschreiben, die sich seiner allmählich bemächtigt. Die meisten setzen sich stumpfsinnig auf ihr Reittier und lassen Kopf und Arme hängen; wer den Weg aufzunehmen hat, gerät durch die vielen Windungen und die Unmöglichkeit, sich zu orientieren, in gelinde Verzweiflung; ich hielt es für das klügste, ein gutes Buch in die Hand zu nehmen und lesend zu marschieren, bis ich merkte, daß die Sonne über meinem Scheitel stand.
Die Akazien sind so recht die Parvenüs unter den afrikanischen Pflanzen. Sie sind emporgekommen, wo andere sich nicht halten konnten, weil sie besser gerüstet sind für den Kampf ums Dasein und weil sie durch Veränderung ihrer ursprünglichen Eigenschaften sich den ungünstigen Verhältnissen anzupassen verstanden. Es wäre eines eingehenden Studiums wert, all diesen Prozessen nachzugehen und die Grundzüge zu einer »Wirtschaftsgeschichte des afrikanischen Busches« zu liefern. – – – –
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Und kommt man nun nach dem Marsch ins Lager, das meist von dem Schmutz der Hunderttausenden starrt, die dort schon gelegen haben, dann erwartet uns kein frischer Trunk, sondern undurchsichtiges graues Wasser, das erst mit Alaun gereinigt, dann gekocht und wieder abgekühlt wird; schattige Bäume sind, wenn man die alten Lagerplätze mit ihrem Unrat meidet, selten. So wandert man mit Tisch und Stuhl um irgend einen Strauch herum, je nach dem Stande der Sonne, jeden Schatten ausnutzend; denn im Zelt ist ein Aufenthalt unmöglich. Blickt man auf, so sieht man das »liebliche« Bild des Busches oder der Steppe in ihren kleinen Variationen. So kommt es, daß man sich von schönen Orten, wie Kilossa und die ganze Mukondogwa oder Tabora so schwer trennt und daß die Tage, die ich am Ugalla erlebte, mir wie ein einziger langer Gottesdienst vorkamen. Auf wen aber die Öde der Trockenheit und der Karawanenstraße so wirkt, daß er Reue empfindet, das schöne Deutschland verlassen zu haben, der hätte freilich besser getan, zu Hause zu bleiben und sich redlich zu nähren. So lange ich arbeiten kann und ein Ziel vor mir habe, so lange rufe ich in die traurigste Wüste: Never give up.
Im Lager von
Malagarassi.
Am heiligen Abend 1897.