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Dieses Buch gibt nicht die Früchte meiner Arbeit, sondern meiner Muße.
Es ist eine Sammlung von Tagebuchblättern und Briefen, die ich in den Jahren 1897 bis 1902 teils an Freunde, teils für die Öffentlichkeit geschrieben habe. Was bis dahin in Zeitungen und Zeitschriften zerstreut war, wurde hier geordnet und in Reih und Glied ausgerichtet.
Über das, was diese Briefe geben, will ich mich nicht äußern. Aber über das was sie nicht geben, will ich einiges offen und ohne Scham sagen.
Sie wollen vor allem keine chronologisch genaue Schilderung meiner Reisen sein: »An diesem Tage marschierten wir fünf Parasangen.« Manche Abschnitte, die sich über Wochen erstreckten, sind in ein paar Sätze zusammengeschnürt, und andere ganz fortgelassen; dafür kann einer einzigen Stunde ein langes Kapitel gewidmet sein, ohne daß sich in ihr irgend ein aufregendes Erlebnis abspielte.
Fachwissenschaftliche Betrachtungen habe ich möglichst ferngehalten; schlichen sie sich doch ein, so wurde darauf geachtet, daß sie in möglichst verdaulicher Form serviert wurden. Um dies zu verstehen, muß man wissen, wie diese Briefe entstanden sind; muß man wissen, daß ich sie mir erfunden habe, um von der Arbeit, der meine wissenschaftliche Tätigkeit diente, wie durch einen Abzugskanal alles persönliche abzuleiten.
Ich halte es geradezu für einen argen Fehler vieler sonst sehr tüchtiger Reisewerke, daß sie Persönliches und Sachliches in einen Mischkrug geworfen haben. Dadurch enttäuschen sie sowohl die Leser, die belletristische, wie die anderen, die wissenschaftliche Interessen haben. Zum mindesten erschweren sie ihnen den erhofften Genuß. Gerade das aber wollte ich vermeiden.
Ich habe beim Niederschreiben dieser Briefe nur zwei Geboten gehorcht, nur zwei »Tafeln über mich gestellt«; erstens: mir jedes Genre außer dem langweiligen zu erlauben und zweitens: wahr zu sein auch auf Kosten des Unterhaltsamen. Ob ich das erste erfüllt habe, mögen andere beurteilen; das zweite aber ist stets mein » Roma intangibile« gewesen. Doch davon nicht mehr als dies eine Wort; denn die Wahrheit soll wie eine heimlich Geliebte sein; man soll sie lieben, aber nicht von ihr schwatzen.
Nach »Objektivität« habe ich nicht gestrebt. Briefe müssen Kinder des Augenblicks sein, und wenn ich jeden Einfall erst monatelang hätte aufs Eis legen sollen, dann hätte ich überhaupt jede Freude am Briefschreiben verloren. Es gibt eine anämische Weisheit, die spricht: »Und das heiße mir aller Dinge unbefleckte Erkenntnis, daß ich von den Dingen nichts will: außer daß ich vor ihnen daliegen darf, wie ein Spiegel mit hundert Augen.« Vor dieser blutleeren Tugend habe ich keinen Respekt: schon deshalb nicht, weil ich zu häufig fand, daß sie die Tugend eines Defektes ist, etwa wie die Alkoholenthaltsamkeit mancher Abstinenzfanatiker die Tugend ihres schwachen Magens. Oder wie es mir nicht sonderlich imponieren würde, wenn der Obereunuch des Großtürken von seiner Keuschheit viel Rühmens machen würde.
In Summa:
Ich bin kein ausgeklügelt Buch,
Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch.
(Berlin 1904.)
Haffkrug a. d. Ostsee, Juli 1914
Richard Kandt