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Da ich die Ufer des Kiwu bis auf das nördliche durch seinen Entdecker Graf Goetzen kartographierte Viertel auf dieser Expedition aufnehmen wollte, standen nur zwei Reisewege offen, je nachdem ich die Ost- oder Westküste zuerst besuchen wollte. Ich wählte den Westweg, weil die östliche Küste zu Ruanda gehört, einem Lande, das ich bereits früher kennen gelernt hatte, während die Gebiete der anderen Küste, Bunjubangu und Itambi, noch durchaus unerforscht waren.
Es hat einen eigenen Reiz, wie damals in Tscha Ngugu über den See hinüber auf ein Land zu schauen, das noch von keinem Weißen betreten war und von dessen politischem und ethnographischem Charakter ich so wenig wußte wie von der Gesinnung seiner Bewohner. (Denn das, was ich über sie an vagem Gerede von den Wanjaruanda zu hören bekam, war geeigneter mich zu verwirren, als aufzuklären.) Sehr weit reichte der Blick nicht, denn die Inseln und Halbinseln schieben sich von beiden Seiten so zusammen, daß nach etwa zwanzig Kilometern die Seefläche abgeschlossen wird, was ich sah, war auch nicht zu ermunternd, denn es verhieß mir reichliche Kletterarbeit, um so unangenehmer, als mein Schuhwerk durch Ausbleiben der bestellten Reserve in erbarmungswürdigem Zustand war. Ich hätte barfuß laufen können, wenn ich nicht den Sergeanten von Usumbura, der, wie man mir zuflüsterte, früher Schuster gewesen war – denn beileibe hätte man eine so kränkende Zumutung (o Afrika) nicht laut aussprechen dürfen – durch niedrige Schmeicheleien und den geheuchelten Glauben an seine Amateurschaft in dieser Kunst für mich eingenommen hätte, so daß er mir aus zwei Paar zerrissenen Stiefeln ein Paar intakte machte, in dem er von dem einen die gesunden Sohlen nahm und sie mit Hilfe einer Anzahl Ersatzschrauben meines photographischen Apparats auf die defekten des anderen, das sich eines unverletzten Oberleders erfreute, aufschraubte.
Ziemlich steil aus dem See aufsteigend, wächst die Westküste in vier, fünf und mehr Ketten immer höher bis zum Kamm des Randgebirges hinauf. Im Nordwesten sieht man einen bis auf etwa 3300 Meter ansteigenden Doppelgipfel, der jäh und tief nach Süden und etwas weniger nach Norden abfällt und sich nach beiden Richtungen in einem mäßig gezackten Grat von annähernd gleicher Höhe fortsetzt. Die Berge sind durch eine Unzahl von Furchen, Mulden und Schluchten zerschnitten; zwischen ihnen lösen sich überall von den Gängen isolierte Kuppen ab, und nur selten unterbricht ein längerer Rücken das zerworfene Terrain. Nur das kurze Südufer zeigt einfachere Verhältnisse, von den vielen Tälern erblickt man meist nur das äußerste Ende, das immer im rechten Winkel zum Ufer verläuft, so daß ich für den Marsch ein ewiges Auf und Nieder ahne. Das Land scheint gut bevölkert, denn man sieht viele Bananenhaine als helle Fleckchen sich abheben und in den Abend- und Morgenstunden zahlreiche Rauchwölkchen kräuselnd von den blauen Bergen emporsteigen.
Das wichtigste war für mich zunächst die Beantwortung der Frage: wie komme ich hinüber? Boote waren weit und breit weder zu sehen noch zu haben. Blieb der Russisi. Aber auch an ihm fanden die ausgeschickten Leute weder Furt noch Fähre, und wollten die anwohnenden Wanjaruanda-Häuptlinge von beiden nichts wissen. Da in der Umgebung des Postens große Papyrussümpfe sind, so gab ich den Befehl, Schilf zu schneiden und aus ihm Flöße zu binden. Ich hatte dieses Transportmittel am Akanjaru und Njawarongo als praktischen Notbehelf kennen gelernt; man hat nur nötig, etwa ein Meter dicke Lagen mit einer Oberfläche von mindestens zwei Quadratmetern herzustellen und kann dann mit Hilfe von Stricken, die an zwei entgegengesetzten Seiten befestigt werden, immer je einen Träger mit seiner Last über den Fluß ziehen. Als die Wanjaruanda sahen, daß ich mich durch das Fehlen der Boote nicht abschrecken lasse, fanden sich plötzlich gleich deren zwei zu meiner Verfügung bereit. Offenbar hatten die beiden am Russisi wohnenden Häuptlinge sich von dem Sultan von Bunjabungu bestechen lassen, um mich von seinem Lande fern zu halten und wollten jetzt, als sie ihre Lügen wirkungslos sahen, sich den Bakschisch, der ihnen für den Transport der Karawane sicher schien, nicht entgehen lassen. Diese Veränderung der Situation zeigte mit sehr deutlich, wie sehr man sich auf die Zuverlässigkeit seiner eigenen Leute verlassen darf; denn meine Askaris hätten die beiden großen Kähne unmöglich übersehen können; weil sie aber durch das Gerede der Leute von der Gefährlichkeit der Wanjabungu sich hatten einschüchtern lassen, gingen sie nur allzu bereitwillig auf deren Lügen ein und leugneten mir gegenüber die Anwesenheit von Booten, um mir meine Pläne zu verleiden. Hatte ich schon vorher nicht viel von dem Gerede geglaubt, daß die Wanjabungu als wilde kriegerische Burschen verschrie, so jetzt noch weniger. Als der Posten Tscha Ngugu vor einigen Wochen gegründet wurde, hieß es in dem Bericht, daß die Wanjabungu am anderen Ufer Kriegstänze aufgeführt und vermutlich ihrer Gewohnheit gemäß das Lager des Nachts überfallen hätten, wenn sie nicht durch ein furchtbares Unwetter daran verhindert worden wären. Das war das einzige, was wir vorher über die Leute gehört hatten, und daraufhin glaubte der Bezirkschef, in einem Schreiben mir gegenüber jede Verantwortlichkeit für den Verlauf meiner Reise ablehnen zu müssen. Am Kiwu wurden mir dann die Angaben des Offiziers in noch übertriebener Weise bestätigt. Wenn ich gleichwohl mit meinen sieben Schwaben mich in dies gefährliche Land wagte, war es vielleicht Lebensüberdruß oder Rauflust oder ein nicht zu bändigender Mut, der mich dazu trieb? Gewiß nicht. Sondern es war mir zum Dogma geworden, daß der Europäer, der als erster ein Gebiet durchzieht, es fast immer in seiner Hand hat, wie sich die Eingeborenen zu ihm stellen sollen; und nur dann mußte ich auf der Hut sein, wenn ich die Route eines anderen Weißen kreuzte oder verfolgte, über dessen Charakter und Art ich nicht orientiert war – so lehrte mich's die Erfahrung.
Außerdem achtete ich auch die von feindlichen Negern drohenden Gefahren sehr gering, wenn ich es auch als gewagt erkannte, von meinen eigenen beschränkten Erfahrungen den Maßstab zu wählen. Ich konnte zufällig nur harmlose Stämme kennen gelernt haben, was sicher darin richtig ist, daß sie nicht wie die Völker von Uhehe und am Kilimandscharo Gewehre im Besitz haben. Stutzig machte mich nur, daß ich auch Berichte las, in denen Stämme, die ich für ungefährlich zu halten mich berechtigt glaubte, ein viel eindrucksvolleres Bild boten. Daß ich aber gerade durch Gegenden gezogen wäre, in denen die Vertreter dieser Stämme in ihrer Tapferkeit degeneriert sind, wäre ein zu merkwürdiger Zufall gewesen. Die Degeneration müßte auch besonders groß gewesen sein, da ich meist mit geringer Mannschaft unerforschte Wege verfolgt habe, der Reiz zu Feindseligkeiten also nicht klein gewesen sein kann. Es muß also noch etwas anderes sein, was die differierenden Meinungen erzeugte und, wie ich vermute, ist es das verschiedene Verhalten gegen die Einflüsse der Fama und der Verleumdung. Es ist schwer, ein richtiges Maß ihrer Größe zu zeichnen. Ich habe kaum ein Volk auf meinen Reisen berührt, daß seinen Nachbar nicht verleumdet und sich nicht vor dem durchziehenden Europäer in der Rolle des Geschädigten, Gereizten, unschuldig Verfolgten gefallen hätte. Sie sind unerschöpflich in ihren Erfindungen und influenzieren dadurch zunächst die leichtgläubigen Leute des Weißen, die Askaris und Träger. Und da deren Phantasie nicht geringer ist als die der Eingeborenen, so steigern sich die Gerüchte bald ins Unermeßliche – fama crescit eundo. Man muß es mit angehört haben, was solche Leute nach irgend einem unbedeutenden Erlebnis alles zu erzählen wissen; drei Viertel ist erlogen, aber nach der unbewußten Art phantastischer Lügner, und doch gibt es den und jenen Herrn, der vertrauensvoll genug ist, ihnen zu glauben. Oft kann man sich ihrer Märchen kaum erwehren, sie wachsen wie die Köpfe der Hydra. Gerade in der letzten Zeit erlebte ich das wieder mehrfach. Es vergeht keine Woche, wo mir meine Leute nicht irgend eine Kaffernnachricht zutragen, bald will der Häuptling der Insel, auf der ich seit Monaten lagere, mich des Nachts angreifen, bald soll er selbst von seinem Sultan bekriegt werden, weil er mich ins Land gerufen habe, bald ist irgend ein Naturwunder in der Nähe zu sehen, das sich dann als eitel Schwindel herausstellt, immer aber ist irgend etwas los, das sie erregt. Und so ist es bei allen Expeditionen freundlicher und erst recht feindlicher Art und bisweilen wird der Eindruck ihres Führers von dem Charakter der Eingeborenen und von den Erlebnissen seiner Karawane dadurch geradezu gefälscht.
Ich erwähnte eben einen Bericht über die Wanjabungu, in dem es hieß, sie hätten am anderen Ufer Kriegstänze aufgeführt usw. Natürlich fiel es ihnen gar nicht ein, sie tanzten, um dem Europäer, den sie nicht kannten, zu huldigen und ihn freundlich zu stimmen, aber die Wanjaruanda waren rasch bei der Hand, es anders zu deuten, weil sie hofften, der Weiße würde dann mit ihnen gemeinsam das Land plündern. Im allgemeinen fand ich als Regel, die natürlich ihre Ausnahmen hat, daß Angehörige der Schutztruppe geneigt sind, die Neger zu überschätzen, indem sie solche Gerüchte für wahr halten, einfach, weil man nach dem alten Sprichwort, das, was man wünscht, glaubt oder wie man jetzt sagen würde, sich suggeriert oder suggerieren läßt. Daß Offiziere sich aber Feindseligkeiten und einen tapferen Feind wünschen, darf nicht wundernehmen, eher wenn es anders wäre. Nicht einem Zuge ihres Herzens entspricht es, sondern ihrem Pflichtgefühl, wenn sich die meisten bemühen, den Offizier auszuziehen, sobald sie in die verantwortliche Stelle eines Bezirkschefs kommen und von da an mehr auf die Hebung ihres Distrikts als auf Heldentaten bedacht sind. Aber an sich ist es nur natürlich, daß ein Offizier sich nach einem Feinde sehnt. Man bedenke doch, was es heißt, ein ganzes Leben lang eine Kunst zu studieren und unter Umständen nie zu ihrer Ausübung zu gelangen. Das ist beinahe gerade so, als ob ein Mediziner 40 Jahre lang an der Leiche seine Operationen üben müßte und sie nie an lebenden Menschen probieren dürfte. Kein Hund, kein Kaninchen wären mehr vor ihm sicher, denn er schnitte in seiner Verzweiflung allen die Gallenblase oder die Milz, oder was sonst noch heraus. Und nur der Offizier sollte sich nicht freuen, wenn er endlich den Kampf erlebt, auf den er sich und andere so lange vorbereitet hat?
Aus dieser geistigen Verfassung heraus erklärt sich, was ich eben sagte, daß Angehörige der Schutztruppe im allgemeinen mehr geneigt sind, sich den Eindrücken der Fama willfährig zu zeigen, als z. B. ich, der ich ganz andere Interessen hatte und jede Feindseligkeit von Eingeborenen als empfindliche Störung meiner Arbeit betrachtete. Viel stärker noch erliegen die Unteroffiziere solchen Einflüssen, weil bei ihnen die Wirkung ihrer eigenen Phantasie hinzukommt, die bekanntlich bei Leuten, die aus einfachen Verhältnissen in die Fremde versetzt werden, sehr lebhaft sich betätigt. Ich kenne verschiedene dies bestätigende Fälle, z. B. zwei, wo Unteroffiziere, die irgend eine harmlose Gesellschaft in der Nähe der Karawanenstraße gesehen hatten, in die nächste Station die Meldung brachten, »daß sich Masaihorden auf dem Kriegszuge befänden«.
Und nun erst die Missionare! Es ist unbeschreiblich, welch ein Unsinn von Klatschgeschichten Missionen zugetragen und kritiklos geglaubt wird. Bisweilen schädigen sie sich selbst durch ihre Leichtgläubigkeit; ich erzählte schon früher (Br. XXII) von den Patres, die in Nacht und Nebel flohen und ihre Station im Stich ließen, weil sie dem Gerede von einem beabsichtigten Angriff der benachbarten Häuptlinge unnötigerweise Wert beigelegt hatten. Ein nicht minder charakteristisches Erlebnis hatte ich im vorigen Jahre. Ich war gerade von Akanjaru, wo ich etwa zehn Tage gewesen war, in mein Standquartier zurückgekehrt, als ich von der 1½ Stunden entfernten Mission einen Brief bekam, daß die Herren seit einer Woche Tag und Nacht Wache hielten, weil, wie sie von Eingeborenen erfahren hatten, der Landesfürst sie bekriegen wolle. Auch die Rollenverteilung wußten sie schon. Dieser Häuptling sollte sie, jener mich, ein dritter die Mission in Kissakka überrumpeln. Ich ging sogleich hin und bat, die bewaffnete Defensive aufzuheben und die Gerüchte vollkommen zu ignorieren; ich selbst legte meine Leute, aber in anderer Weise, auf die Lauer. Sie sollten mir nämlich darauf achten, einen der Verbreiter dieser Gerüchte zu erwischen. Sobald ich den Namen eines solchen erfuhr, ließ ich durch meine Boys und einige befreundete Eingeborene des Nachts seine Hütte umzingeln, nahm ihn gefangen und schickte ihn zum Sultan mit der Anfrage, was an den Worten des Mannes wahr sei. Natürlich war, wie ich schon voraus wußte, nichts daran wahr und der Sultan sandte einige seiner Leute, um die Ansiedlung des Schwätzers niederzubrennen. Die Missionare aber waren jetzt von der Nichtigkeit solcher Gerüchte überzeugt – bis zum nächsten Male.
Ich ziehe aus all dem Gesagten den Schluß, der mich zum Anlaß dieser Erörterung zurückführt; wer in unerforschtes Gebiet gehen will, tut besser, sich gegen die Eingeborenen mit sehr viel Skepsis statt mit Mut zu wappnen; seinen Mut wird er auch sonst noch im Kampf gegen die Unbill des Klimas und gegen die allzu reichen Entbehrungen körperlicher und geistiger Art beweisen können. Hätte ich diese Kritik nicht besessen und damals den Gereden der Schwarzen über die Wanjabungu geglaubt, so hätte kein noch so großer Mut mich bewegen können, das Land aufzusuchen. Denn dann wäre es heller Wahnsinn gewesen, mit meinen sieben Bewaffneten ein Gebiet zu betreten, in dem nicht nur mir, sondern auch der mir anvertrauten Karawane sicheres Verderben winkte.
Ich fahre nun wieder mit der Schilderung meiner Reise fort. Am 14. Januar stiegen wir zum Russisi hinab, um über den Fluß nach Bunjabungu hinüberzusetzen. Alles klappte vortrefflich, nur der Transport des Viehs bot ein aufregendes Schauspiel. Es war interessant, zu sehen, wie geschickt die Eingeborenen in der reißenden Strömung agierten. Hat ein Rind nicht zu schwere Hörner, so wird es einfach hineingetrieben; ein paar junge Leute schwimmen dicht neben ihm, einer packt es am Schweif und dann schlagen sie es im Schwimmen von allen Seiten mit Stöcken, hauptsächlich aber auf die Gesichtshälfte, die talwärts steht, damit es sich von der Strömung nicht zu weit abtreiben läßt. Mit meiner roten Milchkuh, deren Hörner sehr schwer sind, und ihrem Kalbe verfuhren sie anders, nämlich so: im ersten Kahn saß außer dem Ruderer ein Mann, der den Kopf des Kalbes auf den Bootsrand gelegt hatte und mit seiner Rechten den Hals des Tieres umschlang. Dann folgte der zweite Kahn, die Kuh auf der Seite, von der der Strom kam, so daß sie gegen die Fähre gepreßt wurde. Während hinten Schwimmer auf das Vieh einschlugen, hatte der Ruderer sein rechtes Bein um das linke Horn geschlungen und drückte es so an Steuerbord. Es dauerte lange, bis sie jenseits ankamen, weil sie schwer gegen die Strömung zu kämpfen hatten, und oft glaubte ich, die Tiere versinken zu sehen. Aber schließlich verlief doch alles nach Wunsch. Wir hatten ein paar Stunden auf diese Weise verloren und kaum waren wir den Berg hinaufgestiegen, als ein fürchterliches Unwetter losbrach und uns in einer Minute total durchnäßte. Ich ließ sofort auf dem langen Rücken lagern, aber es war schwer, in dem mannshohen Grase das Zelt aufzuschlagen.
Von den gefährlichen Wanjabungu war keine Menschenseele sichtbar; es heißt, sie seien in den Urwald ausgerissen. Aber ich hoffe, daß sie sich zurücklocken lassen werden, wenn ich die erste Zeit in sehr kleinen Märschen vorrücke und Übergriffe der Karawane nach Möglichkeit verhindere. Sehr leicht wird das nicht sein, wie sich gleich heute zeigte. Als der Regen nachließ und ich vor das Zelt trat, saßen die Leute ringsum sehr gedrückt und klatschnaß mit triefendem Zeug bei einander, weil sie kein Brennholz hatten, um sich zu trocknen. Nach einiger Zeit erschien als Retter aus dieser Not der Häuptling Rubagwe, der mich mit vielen seiner Wanjaruanda ein paar Tage begleiten wollte, und brachte eine Menge Türen, die er den Dörfern der Umgegend entnommen hatte. Zuerst wollte ich sie zurückweisen, aber meine Träger bettelten so, daß ich sie zum Feuermachen verteilte. Kaum hatte ich die Türen verteilt, als ich aus denselben Dörfern, in denen sie gestohlen waren, eine Karawane von etwa dreißig Mann, alle mit Lasten auf den Köpfen heraustreten und in langem Zuge über den Bergrücken auf uns sich zuschlängeln sah. Schon dachte ich, es seien Wanjabungu, die Geschenke brächten; aber als sie in die Nähe des Lagers kamen und kalt an ihm vorbeiziehen wollten, merkte ich erst, daß es Wanjaruanda waren, die die Gelegenheit benutzt hatten, um alles Mögliche: Bananen, Kürbisse, Töpfe, Köcher, Körbe und mehr dergleichen als leichte Beute über den Fluß nach Hause zu schleppen. Das war mir doch zu toll, und ich ließ die Gesellschaft durch meine Askaris mit Nachhilfe einiger sanfter Kolbenstöße den Weg zurücktreiben und die erplünderten Objekte wieder an Ort und Stelle bringen. Später kamen Rubagwe und sein Nachbarhäuptling Kanjandegwe und machten mir den unsittlichen Antrag, ich sollte die Wanjabungu, wenn sie absolut nicht kämen und Essen brächten, bekriegen, wobei sie mir gern helfen und den Versteck ihrer Rinder verraten wollten. So sind diese Kerle. Erst ließen sie sich von dem Sultan bestechen, um mich von seinem Lande fern zu halten; nachdem ihnen das mißlang und damit der erhoffte Lohn entschwand, suchen sie jetzt auf andere Manier ihren Vorteil. Ich vermute sogar, daß sie die Wanjabungu durch Ausstreuung falscher Gerüchte abhalten, sich mir zu nähern. Bestätigt sich mein Argwohn, so jage ich die Wanjaruanda sehr rasch zum Teufel, den sie sehr ungalant für eine Dame halten. Qui vivra, verra.
Gestern (16. Januar) vormittag wartete ich vergebens auf das Erscheinen von Eingeborenen; so machte ich nachmittags einen kleinen Marsch bis in die Nähe einer weit in den See vorspringenden hakenförmigen Halbinsel und blieb heute hier liegen, um den Wanjabungu Gelegenheit zur Anknüpfung freundlicher Beziehungen zu geben. Unser Weg lief ein paar hundert Meter entfernt dem Südufer parallel, das mehrere kleine Buchten bildet, die durch die wechselnde Form der Landzungen ein anziehendes Bild darbieten. Die Wanjabungu wohnen nicht in zerstreuten Hütten, sondern in äußerst sauber gehaltenen Dörfern, von denen wir einige passierten. Leider waren die Einwohner überall geflohen, und zu meinem Bedauern bemerkte ich, daß die Wanjaruanda des Nachts tüchtig geplündert haben müssen. Dann ging es immer auf den Hängen, bald über Felder und Wiesen, bald durch hohe Bananenhaine bis zu einer freiliegenden Kuppe, die allmählich in die langgestreckte Halbinsel übergeht. Zur Linken fällt eine steile Wand in ein bachdurchrauschtes Tal; in seinem Grunde stehen herrliche Baumgruppen, die einer großen Reiherkolonie Obdach bieten, und jenseits des Tales auf der Kammhöhe erstreckt sich ein langes Dorf, das mit seiner hohen Einzäunung aus der Ferne einen starken Burgwall vortäuscht. – – – – – – – – – – – – – – – – –
Es war gestern gegen Abend; die Sonne stand schon hinter unserem Rücken, die Zelte warfen schon lange Schatten und ich saß vor meiner Tür und freute mich. Woran? Woran man sich auf Reisen freut; an der blauen Dämmerung, die ihre dunklen Schleier langsam auf die Berge von Ruanda senkte, an den Lichtern, die auf den Kämmen des leicht bewegten Sees tanzten, an der abendlichen Farbenglut, die das Gras der Halbinsel vor mir golden und goldener färbte, an den zierlichen Dominikanerwitwen, denen die langen Schwanzfedern wie ein schwarzer Schleier herabhängen und die in fast aufrechter Haltung und mit eigentümlich rollendem Fluge von Halm zu Halm schwebten, und an allem anderen, was sonst noch an kleinen vollkommenen Dingen dieser Welt um mich war. Auch an weniger vollkommenem freute ich mich, zum Beispiel an den schiefen Gesichtern meiner Leute, und ich lachte sie aus, weil sie behaupteten, Hunger zu haben, während ich eine halbe Stunde vorher gesehen hatte, wie sie sich den Pansen mit Bohnen und Mehlbrei vollschlugen. Aber ich durchschaute dies Hungergefühl; sie hatten zwei Tage in keinen Pombetopf die Nase gesteckt, kein Wunder, daß sie das Leben schwer und bitter dünkte.
Ich präparierte gerade einen Vortrag über die Vorteile der Temperenz, als unsere Aufmerksamkeit durch eine Karawane abgelenkt wurde, die sich von dem wallähnlichen Dorf loslöste und, eine kleine Ziegenherde vor sich hintreibend, den Abhang hinunterstieg. Ich war seit neulich mißtrauisch, aber meine Träger erkannten rascher als ich – sie rochen es wohl – daß es keine plündernden Wanjaruanda waren. Es waren tatsächlich die ersten Wanjabungu, die sich heranwagten, an der Spitze ein junger, hübscher Bursche, aber so furchtbar ängstlich, daß er beinahe wieder umgekehrt wäre. Wie ein kleiner unnützer Junge drängte er rückwärts und stemmte die Füße energisch gegen den Boden, als ihn die Wanjaruanda, heftig auf ihn einredend, an den Schultern nach vorn zu mir hinschoben. Hinter ihn traten seine Begleiter, die Krüge und Lasten auf den Köpfen hatten, aber da war auch nicht einer, dem nicht deutlich das Herz gegen die Rippen klopfte, trotzdem ich das wohlwollendste Gesicht aufsetzte, das ich mir in Afrika eigens für die Eingeborenen erfunden habe, das aber leider meist den Erfolg hat, daß die Männer zu zittern, die Weiber zu flüchten und die Kinder zu schreien anfangen. Interessiert betrachtete ich die mich fremdartig anmutenden Erscheinungen, wie sie mehr oder minder ähnlich die nächsten Wochen täglich mein Lager erfüllen sollten. Die Wanjabungu sind meist kräftige Gestalten, die jungen Leute auffallend schlank, aber alle in gutem »Futterzustand«. Während weiter im Norden die Leute aus Höflichkeit dem Europäer durchweg ohne Waffen nahen, waren diese hier meist mit 1-2 Speeren bewehrt, deren Blätter ungleich, aber in der Mehrzahl ziemlich breit sind. Bogen und Pfeile sah ich selten nur; letztere nur zum kleinen Teil mit Eisenspitzen, die meisten waren sehr primitiv gearbeitet und bestanden aus einem Rohrschaft, in dem ein spindelförmig gewalztes Holz eingelassen war, fast wie Kinderspielzeug wirkend, aber doch für ernsthaften Gebrauch bestimmt. Als Kleidung dienten nur den Vornehmeren Felle, deren Haare nach innen zu liegen; oft waren sie zu einem ganz kleinen, den Schoß kaum deckenden Schurz zugeschnitten, dessen oberer Teil sehr mühsam aus hunderten winziger verschiedenfarbiger Fellstückchen zu geometrischen Ornamenten zusammengenäht war. Die große Masse trug selbstbearbeiteten Stoff aus der Rinde von Feigenbäumen, der in eigentümlicher, wie ich vermute, für große Gebiete des Westens charakteristischer Form getragen wurde. Als Stütze dient ihm ein eng um die Hüften anliegender Ring aus Bast oder Strohgeflecht, seltener aus großen Perlen oder Kaurimuscheln; über ihn ist der meist mit Erde schwarz gefärbte Stoff wie Wäsche über eine Trockenleine so gelegt, daß je ein Ende vorn und hinten schürzenartig herabhängt, während das Mittelstück straff zwischen den Schenkeln liegt. Originell ist die Haarfrisur. Die Minderzahl trägt die beiden Halbmonde der Wanjaruanda, die andern aber haben ihre Haare entweder wie die Kapuziner rasiert, oder sie haben diese Kapuze durch sorgfältiges Kämmen und Ölen aufwärts gerichtet, daß es wie eine schildlose Studentenmütze dem Kopf aufsitzt. Oft schaut ein Ende des Kammes, mit dem sie das Kunststück fertig bringen, zwischen den dichten Haarmassen heraus, was sie an Schmuckstücken tragen, ist meist sehr einfach. Am schönsten und mir ganz neu waren Mützen aus einem halben Affen- oder Ichneumonfell. Der Schwanz hängt als langer Zopf über den Rücken, die Hinterschenkel über die Ohren; an der Stirnseite ist dem Fell ein breiter, sauber geflochtener Baststreifen angenäht, dessen Enden als Sturmband unter dem Kinn zusammengebunden werden. Ein paar Mal sah ich auch phrygische Mützen aus hartem Leder, dessen Spitzen ein Federbüschel trugen. Hals und Brust sind in mannigfacher Weise geschmückt. Perlen, Kaurimuscheln, Zähne von Wildschweinen oder Elefantenbabys, Samen, Fruchtschalen, Knochen, Bergkristalle, kleine und große, gerillte und gekerbte Holzstückchen, bisweilen mit eingelegten Messing- und Eisenstückchen verziert, oder was sonst mit geringer Phantasie bearbeitet werden kann. Zum Teil waren es wohl Talismane, wie alle die vielen, aus einer schmierigen und später erhärtenden Masse in Flaschen- oder Zylinderform gestalteten Amulette, wie sie auch in den benachbarten Gebieten verbreitet sind. Originell waren daumenlange aus feinem Stroh geflochtene Täschchen mit Messing- oder Holzeinfassung, in denen Elefantenhaare und ähnlicher Krimskrams steckte. Die Brust bedeckte meist ein aus Bananenhanf sauber gehäkelter oder auch roh aus Bananenblättern geflochtener Tabaksbeutel, der die Pfeifen und Feuer-Reibehölzer aufbewahrte, erstere in den mannigfachsten Abweichungen und mit zum Teil wirklich schon stilisierten Ornamenten, und daneben oder über den Rücken hing oft ein langes Schwertmesser in einer Scheide von Holz mit eingebrannten Arabesken. Nenne ich noch Ringe aus Eisen, Messing oder Draht, die das Handgelenk der Männer schmücken, oder aus Gras geflochtene für die Ärmchen der Kinder, so habe ich das wesentlichste in der äußeren Erscheinung der Wanjabungu angeführt. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Am 16. blieb die Karawane liegen, um den Eingeborenen Zeit zu geben, ihre, wie ich hoffte, freundlichen Eindrücke unter ihren Landsleuten zu verbreiten und ich benutzte diesen Tag, um mich mit dem jungen Mann, der zuerst so wenig Vertrauen zu mir hatte, anzubiedern. Nachdem ich ihm wiederholt versicherte, daß ich ihn nicht beiße und nur ausnahmsweise Menschen fresse, wurde er allmählich zutraulich, stellte sich als Bruder des Sultans Kaware vor und wünschte zuletzt, mein Blutsfreund zu werden. Über den Sultan selbst erhielt ich nur ausweichende Antwort, dieselbe wie überall auf dieser Expedition, er sei krank, könne nicht laufen usw. Sie waren alle fußleidend, diese Herren; eine merkwürdige Krankheit, die sie befällt, sobald ein Europäer ihr Land betritt. Ich drängte nicht, weil ich wußte, daß es keinen Zweck hatte und höchstens bewirken würde, daß man einen beliebigen Schwarzen als Landesfürst in Freiheit dressiert mir vorführen würde, was mich nicht lockte.
Die Märsche der nächsten Tage waren kurz aber anstrengend. So oft es ging, hielt ich mich in der Nähe des Kiwu, aber meist ging es nicht, weil die Ufer zu steil ansteigen. Doch entfernt sich der Weg selten weiter als 1-2 Kilometer vom See. Wir mußten all die zahllosen Ausläufer der Randberge und der dazwischenliegenden Täler kreuzen, immer bergauf, bergab und in jedem Tal über einen tiefeingeschnittenen Bach mit steinigem Bett. Das Land war gut besiedelt, doch waren die Leute meist geflohen, hielten sich aber in der Nähe versteckt und fanden sich am Morgen im Moment des Aufbruchs ein, um uns in großen Massen zum nächsten Lager das Geleite zu geben. Dort pflegten sie dann nach Kräften die Dörfer ihrer eigenen geflüchteten Landsleute zu bestehlen, sowie sie selbst den Tag vorher infolge ihrer kopflosen Flucht von denen des letzten Lagers ausgeplündert worden waren. Diese »Rache am Unschuldigen«, eine förmliche Kette von Diebstählen, dauerte so lange, bis nach einigen Tagen die Leute einmal so vernünftig wurden, vor meiner Karawane nicht auszureißen und ihre Hütten zu bewachen. Was für Angstmeier es unter den »wilden kriegerischen« Wanjabungu gab und wie wenig sie dem Bilde entsprachen, das wir uns in Usumbura nach den Schilderungen ihrer Nachbarn konstruieren durften, dafür zeugt die Erzählung des folgenden kleinen Erlebnisses vorn 18. Januar als eins von vielen.
Wir hatten gerade wieder eine der vielen steilen Nasen erstiegen, und da die Träger wie asthmatische Automobile schnauften, gestattete ich eine kleine Ruhepause, ein Pumsika, wie der wohlklingende Terminus lautet. In unserer Nähe standen auf dem Bergrücken eine Gruppe uralter, dichtbelaubter Bäume, in deren Schatten eine Zigarette zu rauchen mich keine üble Sache dünkte. Ich saß schon etwa zwei Minuten unter ihnen und schaute gedankenlos einer rotbauchigen Kassypha zu, die mit ihrem schwarzen Schnäbelchen sehr energisch die modernden Blätter aufwarf und äußerst wichtig tat, bis sie sich beobachtet fühlte, worauf sie in den Laubmassen über mir verschwand. Als mein Blick ihr folgte, sah ich etwa fünf Meter über mir zwischen dichtem Gezweig das Ende eines Rindenschurzes hängen, was ich zwar sehr merkwürdig fand, aber in meinem siestabedürftigen Seelenzustand unerforscht zu lassen beschloß. Im selben Augenblick aber tönte von oben, doch ein ganzes Stück weiter rechts, eine menschliche Stimme, gleichzeitig verschwand auch der Rindenschurz und aus seiner Gegend sandte eine zweite menschliche Stimme jämmerlich flehende Klänge herab, so daß ich mich entsetzt fragte, ob hierzulande die Vögel sprechen oder die Menschen auf den Bäumen hausen. Inzwischen kletterten die Sprecher mit 1000 Mamis Mami = Fürst. auf der Zunge vorsichtig die Äste entlang und dann den Stamm und zuletzt sprangen sie herab, und als ich sie betrachtete, waren es ein paar ausgewachsene Wanjabungu. Ich fragte sie mit grimmigem Gesicht, ob sie etwa Vögel wären, oder Impundus, Gorilla. was sie aber mit vielen Schwüren leugneten, worauf sich mein Antlitz aufhellte. Sie behaupteten, daß sie sich nach oben begeben hätten, um die Karawane besser sehen zu können, daß aber die scharfen Augen des mami, des »Retters von Bunjabungu« Der Titel » rukisa« Retter, Richter war in all diesen Gebieten sehr beliebt. sie entdeckt hätten, was ihm im Traume nicht eingefallen war; da ich aber nicht wußte, ob nicht noch mehr solcher Zaungäste über mir hockten, die in ihrer Angst womöglich herabfallen und mir den Schädel und das für diese Briefe bisweilen unentbehrliche Gehirn beschädigen könnten, verließ ich diesen unfreundlichen Ort.
20. Januar 1899. Ich lagere heute auf einem Kap mit so herrlicher Rundsicht, daß ich große Lust habe, hier der Hera Lacinia einen Tempel zu errichten. Dieser See ist wirklich schön trotz der Baumarmut seiner Küsten, sonderlich jetzt, wo alle Fluren grünen und blühen. Mein Blick schweift hinüber auf die sonnigen Berge von Ruanda, über deren Hänge violette Wolkenschatten gleiten und schweift weit rückwärts bis zum Ausfluß des Russisi und verfolgt meinen bisherigen Weg über all die unendlich verschieden geformten Rücken und Halbinseln. Bald fällt das Ufer in schroffem Sturz, bald in sanft geschwungenem Profil in die blaue Flut. Hier streckt es sich wie ein Zeigefinger weit in den See hinein, dort ladet es nach zwei Seiten aus wie der Kopf eines Hammerfisches und dann wieder krümmt es sich wie eine Klaue mit drei, vier stumpfen Gliedern. Und die Inseln: winzige schwimmende Scheiben, die kaum dem Zelt Platz bieten, und andere, die 20 und 30 Quadratkilometer bedecken. Da die langgezogene Kungombo mit einem Hafen für die halbe deutsche Kriegsflotte und dort die breite, gebirgige Kwiwindscha, die von unserem Festland nur durch einen schmalen Kanal getrennt ist. Inseln mit wüster Strauchvegetation und Inseln, auf denen Banane sich an Banane reiht, flache Inseln, die eben den Wellen entstiegen scheinen, und Inseln, die spitze Kegel oder Doppelkegel oder gewölbt wie Riesengräber sind. Und wie klar ist das Wasser; wie plastisch spiegeln sich die Ufer in ihm, mit Feldern und Bäumen, mit Hainen und Dörfern und allem, was in ihnen ist. Glaubt man nicht oft, daß sich dort unter uns ein zweiter Himmel wölbte, mit anderen Wolken und mit Unwettern, die ihre Blitze aufwärts senden? Dieses Schauspiel sah ich gestern abend und wurde nicht satt, ihm zuzusehen.
Das Lager ist erfüllt von Eingeborenen, die alles betrachten und anfassen wollen von den Zeltstöcken bis zur Fahne, von den Schuhen der Askaris bis zu ihren Haumessern, wo einer sein Gewehr zum Putzen zerlegt hat, sitzen sie in großen Haufen um ihn und fragen neugierig nach diesem und jenem und fragen mehr, als die Leute beantworten können. Daß die Karawane aber Hunger hat, fällt ihnen nicht ein, und man muß sie jedesmal erst anspornen, nach Hause zu eilen und Lebensmittel zum Verkauf anzuschleppen, was sie dann mit großem Eifer besorgen. Gestern waren Brute bei mir, die sich über den Sultan der Insel Kwidjwi beklagten und mich baten, ihn zusammen mit ihnen zu bekriegen, wofür sie mir einen Elfenbeinzahn versprachen. Er habe ihnen Rinder gestohlen und dergleichen Geredes mehr. Ich überhörte ihre Wünsche vollkommen, worauf sie heute morgen vor dem Aufbruch zurückkehrten und mich warnten, weil die Kwidjwi-Leute mich angreifen würden, wenn ich ihnen nicht zuvorkäme. Als ich das wieder überhörte, schwiegen sie, und ich glaubte, sie hätten sich nun beruhigt, unterwegs merkte ich aber, daß sie mich einen Weg zum Kiwu hinabführen wollten, der am Wasser endete und keinen Anschluß an einen Uferpfad hatte. Auf meine Frage, wohin sie mich brächten, antworteten sie: »Zu den Booten«. Jetzt wurde ich ärgerlich, und als sie das sahen, kamen sie mit der unmöglich dummen Ausrede, sie hätten geglaubt, ich würde nach Ruanda zurückkehren. In Wirklichkeit hätten sie geglaubt, daß » qui tacet, consentire videtur«,und wollten mich in die Boote packen und ohne weitere Umstände in einen frischen, fröhlichen Krieg hineinbugsieren. Jetzt verstehe ich aber ihre Schmerzen erst richtig, denn ich höre und sehe jetzt, daß der Sultan von Kwidjwi sich nicht auf seine mächtige Insel beschränkt, deren südliches Ende in feuchtes Dunkel gehüllt im Nordosten vor uns liegt, sondern auf das Festland übergegriffen hat. Neben uns zieht das Ufer fast ¾ Meilen nach Osten in den See hinein, biegt dann rechtwinklig nach Norden und endigt nach weiteren 10 Kilometern als spitze, flache Landzunge, von der aus es wieder in unsere Nähe nach Südwesten zurückläuft und nochmals eine tiefe Bucht bildet. Im ersten Teil begrenzt es ein hohes, steiles Massiv, das nach allen Seiten jäh abfällt und dem sich nördlich ein langgestreckter, niedriger, über und über mit Bananen bedeckter Rücken anschließt. Dieser schöne Landstrich, Kwischungwe genannt, ist vor Jahren vom Sultan der Kwidjwi-Insel okkupiert worden. Et hinc illae irae.
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Es ist Nacht, vom See her weht ein kühler, aber weicher Ostwind, überall blitzt oder wetterleuchtet es, und bald treten die Umrisse des finsteren, waldigen Blocks von Kwidjwi, bald die Berge von Ruanda, bald der hohe, den Russisi überragende Gipfel für einen Husch aus dem nächtlichen Dunkel. Aus der Tiefe trägt die leicht bewegte Luft das leise Rauschen der Brandung herauf, die eintönig gegen die felsigen Kalkufer schlägt; von Kwiwindscha her hört man den jäh erwachenden Lärm streitender und kreischender Stimmen, der allmählich wieder abklingt und die Insel in ihr altes Schweigen versinken läßt; auch der ferne Gesang erstirbt, der bisher in den Dörfern über uns die zechenden Wanjabungu wachhielt. Aber meine Leute sitzen noch an den müde züngelnden Flammen, deren eigentümliche Reflexe auf den nackten Körpern spielen und dort von einem Arm, dort von einer Brust oder einem Kopf ein Stück aus dem schwarzen Grunde herausschneiden. Schläfrig kauern sie beieinander, lassen die Nargileh wandern und blasen den Qualm in die Flammen. Jetzt erhebt sich einer nach dem anderen, bückt sich noch einmal über den gemeinsamen Pombekrug und kriecht in die Zelte oder die roh gezimmerten Schilfhütten, aus deren Tiefe eine Weile noch diskret das melodische Glucksen der Wasserpfeifen dringt, während draußen der Posten das Brennholz sammelt, hier ein glimmendes ausklopft, daß die Funken hoch emporsprühen, da ein anderes besser in die Flammen hineinschiebt und sich zuletzt, das Gewehr zwischen den Knien, am Feuer niederläßt. Bald herrscht tiefes Schweigen und lauter und immer lauter hebt sich von ihm das Liebeslocken der Grillen rings in den Gräsern ab. Klingt es nicht, als schmiedeten Zwerge unter der Erde mit silbernen Hämmern? Noch einmal flackert Lärm und Weiberkeifen im Zelt des Trägers Ferusi auf. Es ist Ua »die Blume«, die trotz ihrer Jugend keinen Vorderzahn ihr eigen nennt; vielleicht schlug ein Ungeduldiger die allzuspitzen ihr in den Schlund. Ob Ferusi nicht manchmal die Grillen beneidet wie jener Rhodesier Xenarchos: »Selig preis ich die Cykaden, denn sie haben stumme Weiber?« Aber das war wie der letzte Funken; nun ist es wirklich Nacht und Schweigen und Einsamkeit. – – – – – – – – – – – – – – – – –
Eine Stunde vergeht, ich sitze noch vor dem Zelt an meiner Lampe und lese und denke der Heimat und der Freunde, von denen mich Länder und Meere trennen. Klang es nicht eben wie fernes Schießen über den See? Ich gehe mit dem Posten an den Rand des Lagers und wir lauschen gespannt in das Dunkel unter uns. Und jetzt trägt der Wind zum zweiten Male den gedämpften Schall einer Salve über die Flut. Ich kenne das Signal; es kommt von meinen Leuten, die ich nach Tscha-Ngugu mit Briefen geschickt habe, und während wir umkehren, zittert es zum dritten und letzten Male wie ein ersterbendes Echo über die schwarzen Wasser. Jetzt gehe auch ich ins Bett und lösche das Licht; noch höre ich irgendwo weitab das langgezogene Heulen eines herumirrenden hungrigen Hundes, und noch schwächer aus dem Bananenhaine in der Schlucht zu unserer Linken das dumpfe Brüllen eines Rindes, dann fallen mir die Augen zu und eingewiegt von dem gleichmäßigen Schritt des Postens und dem ruhigen Schnarchen rings aus den Zelten, wandere ich für die nächsten sieben Stunden in das sündlose Land hinüber, in dem ich fast allnächtlich mit irgend einem von denen, die ich lieb habe, heimliches Zwiegespräch halte.
Insel Kwidjwi, Oktober 1901.
Das Südende des Kiwu hat zwei Buchten, von denen die westliche die größere ist. Getrennt werden sie durch eine dreißig Kilometer lange Landzunge, die dicht an das Südende der mächtigen Kwidjwi-Insel heranreicht und auf der seit April 1899 mein Dorf Bergfrieden gelegen ist. Die Ostbucht, die zu Ruanda gehört, werden wir in einem späteren Briefe besuchen, dagegen haben wir die westliche bereits im vorigen Briefe kennen gelernt, wir waren ja vom südlichsten Punkte des Sees, dem Russisi-Ausfluß, ausgegangen, waren der Südküste, die mehrere kleine Häfen hat, bis zu einer hakenförmigen Halbinsel gefolgt, in deren Nähe 1½ Jahre nachher ein kongolesischer Offizierposten gegründet wurde, waren dann nach Norden umgebogen und längs des durch zwanzig kleine flache Buchten markierten Westufers durch die Landschaft Bunjabungu gezogen, bis wir die Halbinsel von Kwischungwe erreichten. Diese springt wie ein im ersten Gelenk gekrümmter Zeigefinger in den See, und hinter ihr schneidet eine zweite Bucht tief ins Land. An ihrer Küste müssen wir jetzt unseren Marsch fortsetzen.
23. Januar 1899. Wir erreichten heute das letzte Lager in Bunjabungu in drei kurzen und verhältnismäßig angenehmen Märschen. Die Bucht von Kwischungwe wird im Westen von einem hohen Gebirge begrenzt, dessen Fuß erst stark nach Nordosten, später weit nach Norden zieht, hinter ihm liegt wieder ein großer Golf, der dritte am Westufer, der tief nach Südwesten zurückgreift. Es wäre also ein enormer Umweg gewesen, dem Ufer zu folgen, den wir vermieden, indem wir einen Pfad einschlugen, der auf der Basis der Halbinsel von einem Buchtende zum anderen führt. Unterwegs genoß ich noch einmal das Panorama der Kwischungwe-Bucht, die im Hintergrund das in Nebel getauchte Massiv von Kwidjwi abschließt, und freute mich der wechselnden, oft bizarren Formen ihrer Ufer und Inseln. An einer ein paar hundert Meter vom Wasser abliegenden Stelle leuchtete ein Teich inmitten der Grasfläche. Seine Existenz spricht neben anderen Erscheinungen, den vielen kleinen Inseln, Buchten und Hinterbuchten des Sees, seiner sonderbaren, zackigen Uferbildung, dem Kalksinter, den man stellenweise bis zu sieben und acht Meter über dem jetzigen Niveau unverwittert findet, für die Vermutung, daß der Spiegel des Kiwu gegen früher gesunken ist. Am Grunde der dritten Bucht, die wir nach einer reichen Insel in ihrer Mitte Kwiko-Bucht nennen können, lagerten wir den ersten Tag. Man sah von dort nur einen sehr kleinen Teil des Sees, weil die Ufer in kulissenartiger Deckung, je entfernter, um so mehr, nach Osten vorspringen. Überdies beschränkte Nebel die Aussicht.
Am zweiten Tage, also gestern, marschierten wir erst nachmittags ab, weil Faida, meine Kochfrau, d. h. die Frau meines Kochs, eine der von mir in Ruanda losgekauften Sklavinnen, entlaufen war. Man brachte sie mir den nächsten Tag zurück, worauf sie behauptete, von Eingeborenen beim Wasserholen geraubt worden zu sein. Das war grober Schwindel, denn sie war vor acht Tagen schon einmal ausgerissen. Ich begriff nicht, welcher unsaubere Geist in dieses sonst so brave Frauenzimmer gefahren ist. Hinterher stellte sich heraus, daß die impertinenten Askari-Weiber vom Tanganika sie wiederholt gekränkt, vor allem sie immer wieder »Barbarin« genannt haben. Mit schwante gleich so etwas. Ich habe den Weibem sehr ernst ins Gewissen geredet, wenn sie auch nicht zuviel von dieser Ware führen.
Der Weg folgte dem Seeufer über mehrere Nasen und durch Schluchten mit Hochgras und Phönixpalmen und bot wenig Schwierigkeiten. Interessant war ein vier Meter breiter und einen halben Meter tiefer Bach, den die Eingeborenen Maschutansinsi nannten, dessen ziemlich reißend strömendes Wasser etwa 40 Grad R. heiß war, so daß viele Träger beim Passieren in wichtig tuender Übertreibung aufschrien. Er überschwemmt den Boden weithin und bedeckt ihn mit einer in trockenem Zustande weißen blattartigen Kruste. Ich hatte keine Säure bei mir, aber ich vermute, daß dieser Belag aus Kalk besteht, wenigstens ähnelt er sehr den Auflagerungen, die rings um den See das Felsufer bekleiden. Da es noch mehr heiße Quellen am Kiwu geben soll, so stammt vermutlich der Kalkgehalt seines Wassers aus ihnen. Mit dem mir eigenen Erwerbssinn beschließe ich hier eine Badeanstalt zu gründen, muß aber von dem Projekt wieder abstehen, nachdem mich die Eingeborenen gefragt haben, was ich ihnen für jedes von ihnen genommene Bad zahlen würde. Wer's nicht glaubt, kommt auch in den Himmel.
Der heutige Marsch war besonders angenehm, weil wir auf guten Wegen durch reich besiedelte Gegenden zogen. Nur einmal war ein Abstieg sehr mühsam, sonst aber waren die Rücken breit, und wo wir in ein Tal hinab mußten, geschah es nicht direkt, sondern in schräger Linie. – – –
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Im allgemeinen habe ich gefunden, daß die Neger ihre Fußpfade im Gebirge durchaus praktisch anlegen und daß, wo es anders scheint, meist Schwierigkeiten vorhanden sind, die uns auf den ersten Blick entgehen. Im Gegensatz dazu sind die Wege in der Ebene meist unrationell gebaut, weil der Neger weder für die gerade Linie noch für Symmetrie, überhaupt für keine geometrische Messung ein sicheres Auge hat und auch, weil er, wenn Marschhindernisse, z. B. Busch oder Baum vorhanden sind, sie lieber umgeht als beseitigt. Besonders wird er sich hüten, um einer Wegeverbesserung willen eine Arbeit zu verrichten, von der er für sich selbst keinen unmittelbaren Nutzen erwartet. Man kann dem Neger alles vorwerfen, nur nicht, daß er altruistisch gesinnt wäre. Wie oft habe ich mich in der ersten Zeit geärgert – jetzt ärgere ich mich schon lange nicht mehr, wundere mich auch über nichts – mich geärgert, wenn ich z. B. sah, daß über Nacht ein kleiner Baum über den Weg gefallen war, den jeder mit geringer Anstrengung hätte entfernen können, und daß von 150 und mehr Menschen einer hinter dem anderen im großen Bogen um das Hindernis herumtrottete. Dann konnte es geschehen, daß ich die ganze Gesellschaft kehrt machen, noch einmal auf demselben Wege zurücklaufen und dann durch den Spitzenmann den Baum entfernen ließ. Das war damals, als ich mich noch ärgerte – heute würde ich auf derlei unwirksame pädagogische Experimente verzichten und wahrscheinlich als letzter in die Fußstapfen meiner geehrten 150 und mehr Vorderleute treten. – – –
Die Gegend war heute, wie erwähnt, vorzüglich besiedelt und nicht nur im Bereich unseres Weges, sondern weit darüber hinaus. Das Gelände zu unserer Linken steigt merkwürdig sanft zu den hohen Randbergen an und war mit einem einzigen großen Bananengarten bedeckt. Dahinter sieht man den Kamm der Randgebirge mit seinem Urwald, der in die Schluchten hinabsteigt und sie mit finsteren Baummassen ausfüllt. Die Bevölkerung war nirgends geflohen, im Gegenteil noch aus entfernteren Bezirken herbeigeeilt, und immer wieder saßen vierzig und fünfzig Mann in dichten Haufen am Weg, überragt von einem starrenden Lanzenwald und begrüßten die vorbeiziehende Karawane mit Beifallklatschen und sympathischen Zurufen. So ganz geheuer muß es ihnen aber doch nicht gewesen sein, denn wo wir einen Hüttenkomplex passierten, schwälte im Hof ein verkohlter Grashaufen, ein in all diesen Ländern gebräuchliches zweifellos vortreffliches Mittel zum Fernhalten übler Einflüsse und zur Abwehr gegen den »bösen Blick«.
Wir lagern heute nördlich der Kwiko-Bucht an der Wurzel einer kurzen Halbinsel im Bezirk Itambi (mit dem Zusatz ja Bunjabungu zum Unterschied von dem selbständigen Sultanat Itambi, in das wir den nächsten Tag eintreten sollten). Tausende von Eingeborenen erfüllen das Lager, aber darunter kaum ein Mtussi; in dichten Haufen umdrängen sie meinen Tisch und gehen erst fort, wenn ich sie auf einen großen Kreis zurücktreiben lasse, weil mir die Luft zu schwül und das Gemisch von Schweiß und Salbengeruch zu lästig wird. Aber bald haben andere ihren Platz eingenommen und, ohne gerade zudringlich zu sein, verfolgten sie aufmerksam jede meiner Bewegungen beim Essen, Trinken, Lesen, Schreiben, und als ich gegen Abend durch die Felder spazieren gehe, habe ich ein Geleite hinter mir wie der Großtürke, wenn er am Bairamfest zur Moschee geht.
Eine Lust ist es, die Kulturen zu betrachten. Es wird eigentlich alles gebaut und alles gut. Die Bananenhaine werden gesäubert, allzu fruchtschwere Stämme gestützt, das Unkraut gejätet und die welken Blattscheiden entfernt. Die Äcker werden sorgfältig eingehegt, Kletterpflanzen gehörig mit Stützen versehen. Die Hauptnahrung besteht wie überall in den Ländern im Nordwesten der Kolonie aus Sorghumbrei und Bohnen. Dann folgen Bananen und Bataten in je drei Sorten, unter den letzteren auch Kletterbataten. Erbsen und Mais, Maniok und Eleusine werden etwas weniger gepflanzt, um so mehr Kürbisse, die überall halbiert an den Wegen zum Trocknen liegen. Auch Flaschenkürbisse sieht man viel, deren Rankwerk mit den weißen Blüten oft über die Hütten und Zäune hinwegwuchert. Wo die Früchte sehr schwer sind, stützt man sie durch Steine oder Hölzer. Auch sehr viel Colocasiafelder findet man, eine rot- und eine grünstengliche Art, die meist im Schatten der Bäume stehen und durch die Größe ihrer Blätter immer ein reizvolles Bild bieten, besonders zur Mittagsstunde, wenn die großen Tau- und Regentropfen, mit denen sie stets wie besät sind, gleich Quecksilber in der Sonne glänzen. Vorzüglich gedeiht auch der Tabak, dessen Blätter von seltenem Umfang sind und, getrocknet, in kleinen Bündeln massenhaft zum Verkauf gebracht werden. Schließlich sind noch Zuckerrohr und häufiger als dies die Erdnuß erwähnenswert, deren Öl den Leuten merkwürdigerweise ganz unbekannt ist. Diese Kulturen finden sich ziemlich in jedem Bezirk am Kiwu, nur werden sie hier im Westen wesentlich besser gepflegt als in Ruanda. Jedenfalls sieht der Leser, daß die Speisekarte des Negers in guten Zeiten durchaus nicht abwechslungsarm zu sein braucht, um so weniger, als noch zahlreiche Salate und verschiedene Getränke hinzukommen. Für den Europäer hat diese Fülle allerdings nicht ganz denselben Wert, weil seinem Magen, namentlich im Anfang, viele der angeführten Lebensmittel nicht zusagen; überdies fehlen gerade die ihm liebsten, wie Reis, Ananas, Mango usw.in diesem Gebiete vollständig.
Auch die Dörfer der Wanjabungu zeichnen sich durch relative Gepflegtheit aus. Die ziemlich kleinen Hütten sind wie in den benachbarten Ländern nach dem Modell eines etwas zugespitzten Bienenkorbes gebaut. Sie haben kein abgesetztes Dach, sondern die Grasmassen, mit denen sie gedeckt sind, laufen in einer Rundung von der Kuppe bis zur Basis; nur über dem Eingang befindet sich ein vorspringendes, gewölbtes Regendach. Aber all dies ist nicht originell; dagegen zeigt die Türeinfassung Eigenart. Während in den östlichen Ländern Ruanda, Urundi usw. hinter dem Eingang meist die sogenannte Mumfurukka, der Vorraum, durch eine Querwand abgetrennt wird, in der sich eine zweite Türöffnung befindet, tritt man hier direkt in das Innere durch eine Art Torweg, der durch senkrecht dicht nebeneinanderstehende Stakete – meist Bambus – gebildet wird. Namentlich seine rechte Wand zieht sich oft bis in die Mitte der Hütte, gleichzeitig als spanische Wand für die Bettstelle dienend. In Ruanda finden sich bisweilen Ansätze zu dieser Form, aber meist ist dort der Bettverschlag selbständig und zeichnet sich in den Wohnungen der Vornehmen durch wunderschön zwei- und dreifarbig ornamental geflochtene und wie Stickereien wirkende Grastapeten aus. Während in Ruanda die Feuerstätte links ist, steht sie hier oft vis-à-vis der Tür; über ihr befindet sich derselbe Rost wie in den Hütten von Ruanda, der als Gärraum für Pombe und als Wärmeplatte für Speisen benützt wird. Originell sind hie und da Keller im Hofe, die ich, weil sie mit Hölzern geschlossen und in unauffälliger Weise unter Schutt oder Gerümpel versteckt, nie entdeckt hätte, wenn die ortskundigen Wanjabungu bei ihren gegenseitigen Diebstählen sie nicht bloßgelegt hätten. Es sind große Höhlen in Butterglockenform, deren Wände durch geflochtene Reifen gestützt werden, die, von unten anfangend, in konzentrischen, immer kleiner werdenden Ringen bis zur mannsbreiten Öffnung laufen. Diese Keller dienen hauptsächlich als Reservevorratskammern für den Fall, daß überirdische Speisehütten durch kriegerische Überrumpelung ausgeraubt würden.
Langweilen den Leser diese Dinge? Es täte mir leid; aber wenn ich mich hier auch auf die wichtigsten beschränken kann, so kann ich sie doch nicht ganz in meinem Bericht unterdrücken, der zum ersten Male von diesen aus dem Dunkel der Jahrtausende jetzt erst auftauchenden Völkern Kunde gibt. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Als ich zur Erholung für den Leser in meinen Notizen ein Thema von allgemeinem Interesse suchte – »Belangen«, wie statt dessen neuerdings Zeitungen alldeutscher Färbung sagen, was zwar unschön klingt, dafür aber kein Mensch versteht – fand ich in ihnen ein paar Tage später die detaillierte Aufzeichnung eines Vorgangs, der gerade so gut hier wie an anderer Stelle stehen kann und charakteristisch für den früher erwähnten, bisweilen an Schwachsinn streifenden Leichtsinn der Neger in Geldausgaben ist. Ich schiebe ihn etwas vorgreifend hier ein, weil ich ja immer nicht nur die Neger, durch deren Länder ich reiste, sondern abwechselnd auch die, mit denen ich reiste, zum Gegenstand meiner Briefe gemacht habe.
Es war heute nach Tisch; ich hielt mich in dem um diese Zeit noch sehr dürftigen Schatten, den das Zelt nach Osten auf den Boden wirft, und lag im Bombaystuhl. Ich dachte der Frage nach, ob die Bibel wohl recht hat, wenn sie die Arbeit als einen dem Menschen auferlegten Fluch bezeichnet und kam zu dem Schluß, daß sie in der Tat recht hat. Um mich diesem Fluch nicht unnötig heftig auszusetzen, beschloß ich für meinen Teil, an der Abtragung der Erbschuld tätig zu sein und die nächste halbe Stunde keine Sünde auf mich zu laden, nicht zu fluchen, was hier zulande viel Entsagung kostet, keine unkeuschen Gedanken zu hegen, was bei den hiesigen Zuständen Kinderspiel ist, noch in sonst einer Beziehung zu sündigen, was ich alles am besten durch ein Nachmittagsschläfchen zu erreichen hoffte. Kaum hatte ich mich zu diesem frommen Werk entschlossen, als mir das Gelüste kam, auch die Beine auszustrecken, wozu ein zweiter Stuhl nötig war. Dazu hätte ich aufstehen, was ausgeschlossen war, oder meinen Boy rufen müssen. Ich wählte das letztere. Da er doch erst seiner dasturi gemäß beim dritten Male erscheint, so rief ich gleich dreimal hintereinander, aber ohne Erfolg. Ich suchte mir allein zu helfen. Aber es ging nicht. Die Stuhllehne drückte mir fast die Kniekehlen durch, was mich zum Fluchen verleiten konnte, also rufen wir lieber noch einmal. Keine Reaktion. Mein Zelt stand, wie fast immer, etwas abseits vom Lager, aber doch in bequemer Rufnähe. Da geht etwas vor, man weiß nur nicht was, dachte ich mit Sabor, und raffte mich mit vieler Mühe und herben Anklagen gegen das Schicksal auf. Als ich ins Lager kam, sah ich, daß alle bis auf den letzten Mann am anderen Ende in dichtem Kreis standen, den als Mittelpunkt der Spitzbubenkopf des langen Omari überragte. Aha, sagte ich mir, »ein Duell«, sah aber gleichzeitig meinen Irrtum ein, als ich die Stimme Omaris ertönen hörte: »23 Rupien zum ersten, 23 zum zweiten – 24 Rupien.« Es gehörte wenig Scharfsinn dazu, um zu erraten, daß eine dalali, eine Auktion, veranstaltet wurde. Ich hielt mich bescheiden im Hintergrunde, bis es hieß »32 Rupien zum zweiten, 32 zum letzten Male«. Dann aber drang ich rasch vor, um wißbegierig zu sehen, was für ein wertvolles Objekt in meinem Lager mir unbewußt sich befände. Sehr wertvoll; wirklich! Es war ein sehr kleines Zelt, das bei sehr guter Rechnung für etwa 3 Mark Stoff enthielt, zwar noch nicht zerrissen, aber alt, fadenscheinig und höchstens 3 Rupien wert. Und dafür zahlte jemand 32 Rupien gleich 44 Mark und 80 Pfennig.
»Höre, Abdallah Kilwa,« sagte ich zu dem Käufer, »du bist einäugig, du bist auch sonst nicht der schönste deiner Kabilah und du bist zeitlebens ein Bettler gewesen, warum auch nicht? Allah wollte es so. Jetzt aber sehe ich und möchte Tränen vergießen, daß du auch geistesgestört bist. 32 Rupien! 3 Monate und 5 Tage mußt du bergauf, bergab in Sonnenglut, in Regenschauern mit deiner schweren Last wandern, um 32 Rupien zu verdienen. 3 Monde und 5 Tage, und wenn du jetzt in 2 Monaten nach Usumbura zurückkehrst, so wirst du keinen Pesa in bar, aber Schulden und dies zerfetzte Zelt dein eigen nennen. Sage selbst, mein Kind, bist du verrückt oder nicht?«
Das wollte er aber doch nicht ohne weiteres zugeben.
»Wir haben es zu zweit gekauft,« antwortete er.
»Um so trauriger,« replizierte ich, »also sind zwei meiner Träger geisteskrank.«
»Was soll ich machen, Herr, ich habe kein Zelt.«
»Hast du bisher die Nächte durchwacht? Hast du nicht in deiner Schilfhütte ebenso gut geschlafen, wie ich in einem Zelt?«
» Ewalla, bana«, bejahte er.
»Wer ist der Verkäufer?«
»Der Mnjampara.«
»Natürlich Omari,« wandle ich mich diesem zu, »ich wußte ja, daß deine Seele schwarz ist wie dein Auge. Deine Kinder so zu betrügen!«
»Ich betrüge sie nicht, großer Herr,« entrüstete er sich, »es war Auktion.
»Schwatze nicht von Auktion. Ist dein Verstand eingetrocknet, daß du nicht weißt, was das Zelt wert ist? Hast du nicht einen großen Bart? Bist Du nicht ein Msafiri, ein Weitgereister? Weißt du nicht, daß Glattgesichter wie diese hier noch dumme Jungen sind?«
» Amri ja mungu, Gottes Wille,« antwortete er so unpassend, wie möglich, die Arme in gekränkter Unschuld von sich spreizend. Aber vielleicht wollte er damit sagen: »Wenn Gott es nicht gewollt hätte, hätten sie nicht so viel geboten.«
»Es ist so, wie du sagst, aber Allahs Wille befiehlt jetzt durch mich, diesen Handel für ungültig zu erklären. Du behältst dein Zelt und Ihr eure Rupien. Bassi!« Damit zerstreute sich der Haufen, während die einen ihren Mnjampara auslachten, die anderen beifällig riefen: Der Msungu spricht die Wahrheit.
Ich habe diesen Disput mit Absicht ausführlich wiedergegeben, weil nur so das Bild solcher Szene dem fernen Leser lebendig werden kann. Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber ich finde immer, solche kleine Episoden gewähren für den Nachdenklichen einen tiefen Einblick in die Wesenheit des Negers. Denn es handelte sich hier ja durchaus nicht um einen Einzelfall, noch um Ausnahmenaturen, auch waren es ja nicht nur die beiden Leute gewesen, die so wahnsinnig und blindlings ins Blaue hinein agierten, sondern noch viele andere, vielleicht die meisten, denn nur dadurch kam die törichte Übersteigerung zustande.
Sobald der Neger auf einen Gegenstand versessen ist, verliert er alle Direktion. Man frage nur einen Wissenden, wie die Händler aller Farben und Nationen diese Eigenschaft auszunutzen verstehen, besonders an den Askaris. Kommt aber noch der Wetteifer hinzu, so wird ein besonnenes Innehalten dem Neger oft geradezu zur Unmöglichkeit. Wie ein Rausch wie ein Fieber kommt es über ihn, und ich sah Leute, denen die Halsadern vor Erregung pulsten. Deshalb sollte man prinzipiell keine Auktionen veranstalten. Es geschieht aber doch, z. B. in jeder Nachlaßsache. Ich erinnere mich einer solchen von Mpapua her, wo das Vieh und Zeug von verstorbenen Sudanesen versteigert wurde. Da gingen die Leute, die täglich eine Kuh auf der Station für einen bestimmten Preis haben konnten, über sein Duplum hinaus. Als der vernünftige, leider Gottes zu früh ins Grab gesunkene Leutnant Stadelbaur, damals interimistischer Stationsleiter dies sah, sagte er: quod non; das geht nicht. Ich weiß, daß es Herren gibt, die der Ansicht sind, es sei besser, den Hinterbliebenen falle eine große Summe zu, als daß die Kerle ihren Sold in Wein und Weibern vertun. Das kann unter Umständen richtig sein. Aber man muß Fall für Fall prüfen. Ich werde doch nicht meinen Soldaten das Geld aus der Tasche ziehen, damit der Erbe, ein Nichtstuer in Alexandria, damit die öffentlichen Häuser bereichern kann. Und den nächsten Tag, wenn die Leute zur Besinnung kommen und von allen, die zufällig nichts erstanden haben, ausgelacht werden, dann sagen sie in ihrer Einfalt: »Der Msungu hat uns betrogen. Quod non! Ich bestimme den reellen Wert jeder Sache; bietet darauf mehr als einer das Maximum, so wird unter ihnen gelost. So wird es gemacht.«
Also lautete seine verständige Rede, aber der Zahlmeisteraspirant, ein etwas pedantischer und an Formalien hängender Herr protestierte: »Die Auktionen seien Vorschrift, also müsse danach gehandelt werden.«
»Sie haben vollkommen recht,« antwortete S,. »und doch bleibt es bei dem, was ich gesagt habe.«
»Dann kann ich das Protokoll nicht unterschreiben.«
»Das bedaure ich, ändert aber nichts an der Situation. Bemerken Sie bitte ausdrücklich im Protokoll den Modus, den ich befohlen habe. Ich will doch sehen, ob an der Küste ein Mensch so unvernünftig ist, das nicht anzuerkennen.«
Hoffen wir, daß er mit seiner Annahme recht behalten hat. – – – –
Das Tagebuchblatt des 24. Januar beginnt mit einem Seufzer aus tiefster Brust. »Ich werde afrika-alt,« schrieb ich, »afrika-alt und müde. Ich vertrage keine Strapazen mehr und sie greifen mich an: psychisch mehr noch als körperlich, wenn ich früher Marschschwierigkeiten wie die heutigen erlebte, so hatte ich ihren Eindruck abgeschüttelt, sobald ich mich im Lager restauriert hatte, ja ich freute mich dann noch der überstandenen als zukünftiger Erinnerungen. Forsan et haec olim meminisse juvabit. Nie wieder bekäme ich es fertig, mich, wie einst an den Ugalla-Sindi oder Njawarongo, an einen Flußlauf zu hängen und mich von ihm auch durch tagelanges wegloses Pori nicht trennen zu lassen. Jetzt habe ich schon zu viel schweres erlebt, um noch für das Erhebende solcher Überwindungen empfänglich zu sein; jetzt wünsche ich mir nur noch wie meine Neger amöne Promenaden.«
O tumper Knabe, reinster Tor, möchte ich mit Gurnemanz beim Anblick dieser Zeilen ausrufen: wenn du geahnt hättest, was an Widrigkeiten dir die Zukunft der nächsten Monde bringen sollte, du hättest diesen Seufzer im Busen, »da wo er am tiefsten ist«, verborgen und du hättest dich des Wortspiels geschämt, mit dem du das Fazit dieses Tages zogst: »Es war zum Davonlaufen – wenn es nur zum Davonlaufen gewesen wäre.« Daß man nämlich vor lauter Hindernissen nicht davonlaufen, nicht vorwärts kommen konnte, das war das ganze Unglück gewesen und daher irae, clamores et lacrimae. – – – – – – – – – – – – –
Wir überschritten heute die Grenze von Bunjabungu und Itambi. Es ist charakteristisch für das, was ich früher über die Abwehrlügen der durch die Hantierungen des wegaufnehmenden Reisenden erschreckten Eingeborenen gesagt habe, daß ich zwölf Tage durch dieses Land marschierte und erst jenseits seiner Grenze seinen wahren Namen erfuhr. Bis dahin lebte ich in dem Glauben Issofu oder Itschofu zu passieren, denn so es zu nennen lautete die vom Sultan ausgegebene Parole. Issofu nennt sich eine Insel, die dem Festland von Itambi vorgelagert ist und die für mich in Kinwada umgetauft wurde, das in Wirklichkeit ein Dorf auf einem andern kleinen Eiland ist. Solchermaßen verwirrt man die Reisenden, von denen jeder natürlich auf seine Bezeichnungen schwört, wenn er die Art der Eingeborenen nicht durchschaut hat. Ich habe mich deswegen für meine Karten immer nur auf relativ wenige und vielfach bestätigte Namen beschränkt.
Sultan von Itambi ist Kalimimwumba, ein arger Störenfried, der mit seinen Nachbarn in ewiger Fehde lag, bis sich diese durch ein heroicum, im Sinne der Pharmakopoe gedacht, etwas Ruhe verschafft haben. Sie verwüsteten nämlich das Grenzgebiet, besiedelten es aber nicht, sondern verhinderten nur eine Wiederbesiedelung, ließen die Bananenschamben verwildern, die Wege verwachsen, die Täler versumpfen und schufen so einen künstlichen Graben von beträchtlicher Breite zwischen sich und dem schwierigen Nachbar. Aber Kalimimwumba fand auch an diesem Zustande eine »Butterseite«. Denn diese Wildnis gestattete ihm, bei Raubzügen sich dem Gegner unbemerkt zu nähern und so verwüstete er seinerseits auch sein nördliches Grenzgebiet, das ihn von Ujungu scheidet. Die Wanjabungu halfen sich gegen Überraschungen, indem sie eine so große Menschenmasse an der Grenze zusammenzogen, daß Kalimimwumba die Lust an feindlichen Einfällen verging. Nun hat er nördlich und südlich ein Pori, im Westen die Randberge mit ihrem Urwald und im Osten den See, so daß er mitten in seinem Lande wie in einer von der Außenwelt durch eine Waberlohe oder einen Dornröschenbusch abgeschlossenen Burg sitzt. Man sieht wieder einmal, wohin es führt, wenn keine starke natürliche Grenze zwei Völker scheidet. Leider hatten mir die Wanjabungu nichts von diesen Verhältnissen erzählt oder ich hatte sie nicht verstanden. Sie klagten zwar über die Feindseligkeiten der Wanjaitambi, aber umgekehrt klagten auch meine Wanjaitambi-Führer, Leute von der früher erwähnten Krvirvindscha-Insel, die, wie alle anderen Ruanda vorgelagerten, vor Jahren von Kalimimmumba okkupiert wurden, über die Feindseligkeiten der Wanjabungu. Das war mir nicht neu, so erlebte ich's noch in jedem Lande, und wer will da ergründen, wie er Recht und Unrecht auf die Wagschalen der beiden Kläger und Widerkläger verteilen soll.
Der geringe Handelsverkehr zwischen Bunjabungu und Itambi findet über Wasser statt und so hätte ich es auch machen sollen, wenn ich nur den Status gekannt hätte. Dann wäre auch der Seufzer meinem Tagebuch erspart geblieben.
Bis zur Grenze, einem ganz kleinen Gewässer in enger Schlucht, waren die Wege leidlich, wenngleich mir auffiel, daß wir meist Verbindungswege einzelner Hüttenkomplexe benutzten, die aber oft untereinander nicht korrespondierten, so daß wir dann pfadlos in den Ackerfurchen marschierten. An der Grenze blieben die mich begleitenden Wanjabungu auf den Wunsch der Führer zurück und ein paar Wanjaitambi erwarteten uns und schlossen sich an. Jetzt begannen die Schwierigkeiten. Das arg zerklüftete Terrain ist verwildert, die Wege sind verwachsen, die Furchen und Schluchten und – wo die Berge zurückweichen – die Ebenen sind bedeckt mit undurchdringlichem Schilfdickicht, das einem heillosen Morast entsprießt. Am schlimmsten sind die Bäche, die zahlreich dem nahen See zuströmen. Die kleineren überschwemmten das Flachland und verwandelten es allmählich in Sumpf, während die großen in einem 10 Meter und tiefer eingeschnittenen Bett dahin strömen. Aber gerade über sie schreitet man trockenen Fußes und nur aus der Tiefe hört man ihr Brausen und Rauschen: das Schilfdickicht nämlich, hat sie, indem Jahr für Jahr das alte Rohr zusammenstürzt und von dem jungen überwuchert wurde, mit einem dicken geradezu verfilzten Gewölbe übermauert; nur hier und da weist es dünne Stellen oder gar Löcher auf, aus denen kalter Moderduft mir entgegenschlug, wenn ich hindurchblickte, um den Bach reißenden Laufs im Halbdunkel unter uns dahin strömen zu sehen. Wiederholt müssen wir jenseits der Bäche steile Wände über Geröll und Felstrümmer hinaufklettern, stellenweise auf allen Vieren hinaufkriechen. Und welch zögerndes Vorwärtskommen in diesem unseligen Dickicht! 10 Mann und mehr hauen gleichzeitig mit Messern, Äxten, Sicheln förmlich Gänge in die über vier Meter hohe, an spanisches Rohr erinnernde Grasmasse, in der die Stengel der letzten Trockenzeit durch rankende Pflanzen gestützt, dichte Flechtwerke bilden, oder sie werfen sich, zum Haufen geballt, mit der ganzen Wucht ihrer Körper dagegen und treten sie nieder. So oder so wird die Luft von einer Wolke feinster Härchen wie von Mühlenstaub erfüllt, die unsere durch die heiße Anstrengung an sich trockenen Kehlen in empfindlicher Weise zum Husten reizen und mir im Munde das Gefühl erregen, als wachse auch nach innen ein stattlicher Bart, der mindestens fünf Tage nicht mehr rasiert wurde. Wie die Schnecken kriechen wir unserem Ziel entgegen. Aber endlich gelangen wir in verwilderte Bananenschamben, die, wenn auch pfadlos und morastig, so doch leichter zu überwinden sind und schon hoffe ich, das Schlimmste überstanden zu haben, als ein Bote von rückwärts mir meldet, daß die Milchkuh in den ersten Bach gefallen sei und unten im Morast stecke. Das war nun sehr unangenehm, denn es forderte, noch einmal den ganzen Weg zurückzugehen. Zwar hoffte ich kaum, sie retten zu können, aber versuchen mußte ich es, denn meine Hauptnahrung bestand aus Kompositionen von Milch; außerdem war sie von Jugend an an Märsche gewöhnt und versagte nicht so leicht in ihrer Produktion wie eine des Wanderns ungewohnte, die ich wahrscheinlich nur nach langen Verhandlungen und nur unter großen Opfern von meinen beschränkten Tauschwaren hierzulande erstehen könnte. Also nochmals zurück durch Sumpf und Schluchten. Als ich ankam, war das Mißlichste bereits überwunden, noch lag das Tier unten, auf festem Boden, wir krochen Mann für Mann durch das Loch herunter, durch das sie hinabgestürzt war. Da standen wir nun, bis zu den Waden im Wasser, blickten bettauf- und bettabwärts wie in einen Kanalisationsdrain hinein und atmeten die schauerlich kalte Moderluft. Dann hieß es durch die ganze Breite der Schlucht in das mit Schlinggewächs dicht verfilzte Schilf eine gangartige Bresche für die Kuh durchschlagen. Hunderte und aber Hunderte von isabellfarbigen Fledermäusen scheuchte der Lärm des krachenden Rohrs auf, die aus ihren dunklen Verstecken durch alle Löcher emporflogen und verwirrt im verhaßten Sonnenschein umherflatterten. Am Ende des Ganges kam die schwerste Arbeit, das Tier eine fünfzehn Meter hohe, überaus steile Wand hinaufbringen. Zwanzig Mann, Eingeborene und Träger, die vorne ihre Last abgelegt hatten und gleich mir umgekehrt waren, betätigten sich dabei. Das Kalb immer als Lockmittel voran. Dann packte man die vier Beine, den Schweif und die Hörner der Kuh und aufwärts ging es mit dem üblichen, jede große gesellige Kraftleistung auf bestimmte Momente konzentrierenden Gesang: wana-ume he, wana-ume he – nguvu ssauassaua heee! Immer abwechselnd wurde ein Fuß an eine sichere Stelle gesetzt, ehe der nächste gehoben wurde, während die vorderen beim letzten Takt der Strophe mit Feuereifer zogen und die Hinteren schoben: Männer he, Männer he, die Kraft vereint, heee! Das Tier unterstützte uns so gut es konnte, aber trotzdem war es ein ewiges Rutschen, Gleiten, Stolpern, Fallen, und immer lagen einige der Leute ventre à terre. Dann dieselbe Arbeit mit dem anderen Großvieh, während Ziegen und Schafe behend wie Gemsen aufwärts kletterten. Ohe iam satis: Genug des grausamen Spiels. Es war greulich, einfach greulich. Aber schließlich nahm auch dies einmal wie jedes böse und leider auch jedes gute Ding dieser Welt ein Ende. Die künstlich geschaffene Wildnis war durchschritten und wir kamen wieder auf gute Wege, auf denen wir durch den Kontrast angeregt über die Grashänge geradezu vorwärtsflogen. Die Leute zu Tode erschöpft, das Vieh am Ende seiner Kraft und ich: » kaputti kabissa« d. h. total kaputt, insbesondere von der geistigen Anstrengung des Routierens unter solchen Verhältnissen – so kamen wir in unserem heutigen Lager an, einem dicht am Wasser gelegenen verlassenen Fischerdorf, das sehr schmutzig war und nach Neapel oder noch präziser nach Mergillina roch. Selbst das Badewasser hatte einen sehr üblen Fischduft. Von den Eingeborenen stellten nur einige wenige sich ein, die einen kümmerlichen Eindruck machten.
25. Januar. Heute fünfstündiger Marsch, die ersten Stunden auf nichts weniger als angenehmen, aber mit den gestrigen doch nicht vergleichbaren Wegen. Wir hielten uns immer in der Nähe des Sees, in den hier Bach neben Bach einmündet, auf einer Strecke von 4 Kilometern deren 14, darunter einige respektable. Hätten die Neger Augen zum Sehen, so würden diese Wassermengen sie frappieren und zum Nachdenken anregen. Es tritt nämlich der Urwald hier immer dichter an den See heran, in der Nähe des heutigen Lagers bis auf einen Kilometer. Vielleicht würden sie dann in der Verwüstung ihrer Wälder etwas einhalten. Gerade in Afrika hat man oft Gelegenheit, zu erkennen, wie dankbar der Wald ist, wenn man ihn schont, aber auch wie zur Rache geneigt, wenn man ihn kränkt. Unter den Bächen hatten viele ihr Bett verlassen und folgten auf große Distanz den ausgetretenen Fußpfaden, wodurch unser Marsch stark verzögert wurde. Nach 2½ Stunden erstiegen wir aber eine Höhe und kamen damit auf gute Wege. Oben hatten wir einen herrlichen Ausblick, der mich lange in seinen Bann schlug.
Bisher hatte ich die mächtige Kwidjwi-Insel, die fast ¾ der Kiwu-Mitte einnimmt, immer nur in Regen und Nebel eingehüllt in grauer Ferne liegen sehen. Jetzt hatten wir sie zum Greifen nahe im Osten uns gegenüber. Jede Schlucht, jeder Fels, jeder Baum, jede Hütte wurden in der klaren Luft zu plastischen Gebilden. Man erkennt deutlich, wie das Südende durch eine tiefe Bucht in zwei Teile getrennt wird, von denen der östliche weit nach Süden sich erstreckt, und durch Überschneidung, von hier aus gesehen, mit dem Festland von Ruanda eine Masse bildet. Etwa 1000 Meter stürzt er sich in mehreren steilen Sprüngen zum See hinab, während der westliche, uns bedeutend nähere, aus gleicher Höhe in sanft geneigter Kammlinie vorsichtig absteigt. In den Tälern und Mulden, auf den Terrassen und Hängen des Südendes verraten die eng an einander gereihten Bananenhaine eine zahlreiche Bevölkerung; mehr nördlich treten die besiedelten Gegenden spärlicher auf. Groß ist der Reichtum an Wald. Nicht nur sind der ganze Kamm und die Hänge unter ihm mit dichtestem Urwald erfüllt, nicht nur steigt dieser die meisten Schluchten und stellenweise bis zum See hinab, sondern Wald, wenn auch von anderem Charakter und lichter bedeckt fast alle Berge und die Ufer und fehlt selbst nicht ganz in der nächsten Umgebung der reich bewohnten Gebiete. Fast direkt östlich uns gegenüber endet der hohe Teil der Insel. In jähem Sturze fällt sie dort nach Norden ab und zieht, bis drei- oder vierhundert Meter über dem Seeniveau aufragend, als ein von zahlreichen Buchten zerschnittenes und durch tiefe Täler und Schluchten zerrissenes gut besiedeltes Hügelland nach Norden. Aber nicht Kwidjwi allein sehen wir, sondern wir blicken bis weit nach Ruanda hinüber und in alle Buchten der letzten Märsche und auf all die hellgrünen, mannigfach geformten Eiländer, die in einer Flut schwimmen, deren leuchtende, den tiefblauen Himmel wiederspiegelnde Farbenglut von keinem der Seen Italiens übertroffen wird. Eine starke Brise fährt von Norden her über den See und wirft hier und da weiß schäumende Wellenkämme auf, die wie eitel Silber in der Sonne leuchten. In einer flachen Bucht der Issofu-Insel, die dicht unter uns liegt, sieht man eine kleine Herde Fischottern spielen, die erst in sanftem Bogen wie die Delphine vorstoßen und dann senkrecht in ihre Jagdgründe hinabtauchen. Ein Boot fährt von der Insel zum Festland hinüber; gleichmäßig arbeiten die vier Ruderer im Takt, ihre Ruder blitzen wie Spiegel zu uns herauf, aber man hörte ihre Arbeit nicht, weil sie von der Brandung, die unter uns gegen eine kleine Landzunge schlägt, übertönt wird. Und über allem wölbt sich zum Betasten nahe und doch wieder von unermeßlicher Tiefe, von keiner »schleichenden Ziehwolke« befleckt, die azurne Glocke Zarathustras: »O Himmel über mir, du reiner, du Lichtabgrund«. Zu unserer Linken streckt sich eine Halbinsel zwei Meilen weit nach Nordosten; zu der Bucht, die sich hinter ihr verbirgt, marschieren wir auf guten Wegen quer über den Rücken der Berge und lagern 1½ Stunde später an ihrem Südende. Es ist die Bucht von Tschiwumba, die vierte von den großen Buchten des Kiwu, die wir bis jetzt kennen lernten.
Zur Rechten die waldige, durch sechs oder sieben kleinere Nebenbuchten gezackte Halbinsel, zur linken das steile Ufer, hinter dem sich in mehreren Ketten die jähen Randberge, mit Urwald bestanden, erheben, das ferne Ende versperrt durch isoliert aufsteigende Berge mit kegel- und hutförmigen Gipfeln, die von beiden Seiten scheinbar zusammenstoßen – so liegt sie wie ein in sich geschlossener, schweigsamer, einsamer See unter uns. Eine größere und zwei kleinere Inseln mit üppiger Vegetation unterbrechen die schmale lange Wasserfläche, der die dunklen Uferwände eine tiefgrüne Färbung verleihen. Wie wir hier weiter vorwärts kommen werden, vermag ich bis jetzt nicht zu erkennen, denn ich sehe weder einen Weg, der über die schroff aufsteigende Küste führt, noch eine Ansiedlung der Eingeborenen. Tot und verlassen, voll herber Größe und wehmütig stimmender Anmut liegt das stille Wasser in der Tiefe zu unseren Füßen. Kein Mensch, kein Tier belebt es, nur der gellend herausfordernde Schrei eines Seeadlers, der mit heftig werfenden Bewegungen über der kleinsten der Inseln kreist, bricht sich an den felsigen Hängen, und aus der baum- und farrenerfüllten Schlucht zu unserer Linken, durch die brausend ein Sturzbach zu Tal reitet, dringen die hellen, langgezogenen, zuletzt in kleiner Tonfolge sinkenden Rufe grauer Papageien gleich wilden Jauchzern zu unserer Höhe.
Insel Kwidjwi, November 1901.
Wir waren im vorletzten Brief dem Südwestufer und -Golf gefolgt, hatten im vorigen Brief den Marsch durch das Sultanat Bunjabungu längs der Westküste nach Nordnordost fortgesetzt, die Buchten von Kwischungwe und Kwiko passiert, unter großen Schwierigkeiten das Grenzgebiet von Itambi überwunden und waren zuletzt in der vierten der großen Buchten, der langen, schmalen, in ihrer Abgeschlossenheit einem stillen See gleichenden Bucht von Tschiwumba angekommen. Hier fahre ich heute mit meiner Schilderung fort.
26. Januar. Wir machten heute nur einen kleinen Marsch von drei Stunden. Es zeigte sich wieder wie so oft, daß die Wolken nicht ganz so schwarz sind, wie sie aus der Ferne scheinen; denn es fanden sich sowohl ein Weg, wie auch an ihm menschliche Wohnstätten, die uns nur entgangen waren, weil sie spärlich zerstreut und in den toten Winkeln der Berge lagen. Ein schmaler, mit kleinen knirschenden Steinen besäter Pfad folgt der Bucht, deren von dem Widerschein der Uferwände tiefgrün gefärbtes Wasser in mir Erinnerungen an den Königssee wachruft, und schlängelt sich bald über die Abhänge, jeder Einsenkung der Berge sich anschmiegend, bald durch bebaute Niederung, die die Nasen trennt. Auch heute ein großer Reichtum an Bächen, die weite Strecken unter Wasser setzen. Die Vegetation überall üppig, der Lagerplatz dementsprechend voller Reize.
Weniger reizvoll und sehr bedauerlich für mich ist, daß allmählich alle Gegenstände des täglichen Gebrauches in die Brüche gehen. Mein Zelt ist nicht mehr wasserdicht, so daß bei anormal starkem Regen, wie gestern abend, das Wasser durch zahlreiche Poren in mein Bett sprüht. Zwar schütze ich mich durch einen ausgespannten Schirm und Gummidecken so gut es geht, aber trotzdem findet sich noch immer irgendwo eine Lücke, durch die, wenn nicht der Regen selbst, so zum mindesten Feuchtigkeit in die Wäsche dringt, bis ich zuletzt den ungleichen Kampf aufgebe, mir einbilde, Deutschlands Zukunft zu sein, weil ich auf dem Wasser liege, mich in Ergebung und ein feuchtes Laken hülle und nicht sehr abgeneigt bin, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, wenn er mir irgend eins aus der Reihe der je von mir benutzten Betten, deren Erinnerungsbilder mich mit dem Feldgeschrei »Schlafe patent« höhnisch umtanzen, für diese eine Nacht zur Verfügung stellen wollte. »Aber der Teufel«, klagt schon Zarathustra, »ist nie zur Stelle, wenn man ihn braucht, dieser vermaledeite Zwerg und Klumpfuß.« Ach, dieses Bett, wie, viele Seufzer hat es mich schon gekostet. Das Segeltuch, das als Unterlage dient, hat allmählich seine Spannung verloren und sich trotz meines Schneidergewichts, dem Körperdruck nachgebend, zum Kahn ausgebuchtet; infolgedessen rutschen, wenn ich auf der Steuerbordseite liege, mir alle Decken nach, und drehe ich mich nach Backbord hinüber, so wandern sie nach derselben Seite; wahre Gefechte liefere ich jeden Abend vor dem Einschlafen meinen Laken und Kissen und wache trotzdem oft genug so zerlegen auf, als hätte ich die Nacht auf einem Reibeisen zugebracht. Aber auch sonst habe ich noch Schmerzen, von meinem Haupthaar, das sich immer mehr aus dem einstigen Urwald in die Formation des lichten hie und da gerodeten Steppenwaldes umwandelt, schweige ich, weil es kein Gegenstand des täglichen Gebrauchs ist – eher könnte ich noch das meines Boys so bezeichnen – aber es bleiben noch berechtigte Klagen genug übrig. Das Moskitonetz kann nur noch unter unerhörten Kunstgriffen befestigt werden, die Tische werden altersschwach und wackeln in allen Gelenken, die Lampe ist gleich hinter Usumbura verrückt geworden und gestattet dem Docht nur noch zur Hälfte der Schraube zu folgen; mein Geschirr schmilzt unter der pfleglichen Behandlung meines Kochs wie Schnee in der Maiensonne, von meinem Schuhwerk rede ich nicht, weil ich seinen erbarmungswürdigen Zustand schon früher erwähnte, und meine Wäsche geht, besonders in letzter Zeit, infolge der schlechten, morastigen Wege täglich mehr in Fetzen, so daß ich von anständiger Kleidung nur noch mein europäisches Winterzeug und eine Badehose habe, wenn ich auch diese verlöre – das Unglück wäre nicht auszudenken. Der heilige Augustin hat wirklich recht: Sunt quadam inter parietes martyria – es gibt Märtyrertum auch zwischen den vier Wänden.
Daß unter solchen Umständen mir das Reisen nicht ganz das gleiche Vergnügen wie einst bereitet, ist einigermaßen verständlich.
27. Januar. Heute wieder ein böser, böser Marsch, wir geraten immer mehr in die Berge hinein, die so jäh zum See abfallen, daß kein Weg mehr sich ihnen anschmiegen kann und wir gezwungen sind, viel weiter westlich über das Gebirge dem nach Nordosten laufenden Ufer zu folgen. Die Gegend, die wir heute passierten, ist eigentlich kein Pori, überall sieht man von Zeit zu Zeit Bananenschamben an den steilen Hängen förmlich kleben, wie ist es nur möglich, hier seine Acker anzulegen, ohne daß der Regen die Erde fortspült, und wie hält man sich hier, daß der Schwung der Hacke einen nicht in die Tiefe reißt? Dazu ist der Boden in seinen unteren Schichten so steinig, daß die Leute für ihre Hütten keine horizontale Basis abgraben können. Ein sonderbares Bild! Wenn ich heute auf einem Kamm, um Atem zu holen, stehen blieb und zurückblickte, hatte ich den Eindruck, als müßte jeden Augenblick die Landschaft mitsamt ihren Bananenhainen, Feldern und Dörfern in die Schluchten hinabstürzen und noch einen anderen Eindruck, dem drolligerweise mein kleiner Boy Mabruk Ausdruck verlieh, als ich mit dem Finger auf eine solche Ansiedlung wies: » kilima hiki kimelew« sagte er – dieser Berg ist betrunken – und in Wahrheit wüßte ich kein treffenderes Wort für die Verschrobenheit solchen Anblicks. Erst seit wenigen Jahren wird diese Gegend bebaut, und noch jetzt sieht man ganz frisch angelegte Siedelungen. Ich bekam Respekt vor diesen Leuten, welche Mühe, welcher Fleiß, welche Arbeit, welche Unverdrossenheit, wir glauben immer, daß der Neger den ganzen Tag auf dem Rücken liege und in die Sonne blinzle; mag sein, daß ihm dies das liebste wäre – mein Gott, andere Leute täten es auch gerne, aber wo die Notwendigkeit ihn zwingt, kann er auch wahrhaft Tüchtiges leisten, immer vorausgesetzt, daß wir unsere Ansprüche nicht überschrauben.
Der Umfang der Rodungsarbeit läßt sich leicht ermessen, da überall noch Stümpfe stehen – in den unteren Hängen jenes fast das ganze Jahr prächtig purpurblühenden Baumes, dessen kleine rote, an der Haftstelle schwarze Früchte man in norddeutschen kleinbürgerlichen Haushaltungen als Verzierung von Muschelschachteln und ähnliches Nippes findet. ( Erythrina toment.) Zuerst werdet Bohnen gepflanzt, später erst Sorghum, wo nur zwischen den Felstrümmern und Baumstümpfen ein kleiner Humusfleck ist, wird er gereinigt, gelockert und bebaut. Die kleinen Steine werden zu Haufen zusammengeworfen, die hochgetürmt umherliegen, daß man ganze Städte damit pflastern könnte, wenn die Haufen auch nicht so groß sind wie in Südwestafrika die Bierflaschenhügel, mit denen man die Strandwege in Swakopmund pflastert. So schön die Felder sind, die Eingeborenen selbst sehen merkwürdig ungepflegt und ärmlich aus; das wenige, was ich an ethnographischen Dingen erstehen konnte oder was sonst an ihnen bemerkenswert ist, soll später im Zusammenhang erwähnt werden.
Hundemüde, die letzten Träger einige Stunden hinterher eintreffend, so kamen wir in unser heutiges Lager. Aber immer durch Dickicht, immer durch tiefgründigen Morast oder in Bachbetten, immer steil auf und immer wieder sofort steil ab – das sind die besten Knochen, die das lange aushalten. Dabei ist die Verpflegung in den letzten Tagen miserabel. Die Leute wohnen zu zerstreut, die Wege sind zu schlecht, zu regenschlüpfrig, überdies eine nasse Kälte, die ich trotz dicken Winterzeugs kaum erträglich finde – wer wollte es ihnen da verübeln, daß sie unser Hunger und die Aussicht auf Marktgewinn gleichgültig läßt. Meine Träger verübeln es ihnen allerdings sehr, besonders daß sie keinen Tropfen Pombe für sie übrig haben, von der sie gerade heute einen Überschuß vertragen könnten. Denn:
Wundervoll ist Bacchus Gabe
Balsam fürs zerriss'ne Herz.
Ich würde ihn den armen erschöpften Teufeln auch gerne gönnen, schon um ihre Stimmung nicht auf den Gefrierpunkt sinken zu lassen, wenn mir selbst auch in diesen schlimmen Zeitläuften Balsam für zerrissene Kleider und Schuhe lieber wäre. Es ist gut, daß sie unseren Kalender nicht kennen, denn wüßten sie, daß heute Kaisers Geburtstag ist, den sie gewöhnt sind, auf der Station in sehr feucht-fröhlicher Weise zu feiern, sie schnitten sich gegenseitig die überflüssig gewordenen Kehlen ab. Auch ich habe in meinem Leben noch keinen so trübseligen 27. Januar mitgemacht. O me miserum! Allerhand Fragen bohren sich mit unanständiger Beharrlichkeit in mein Hirn und dazwischen höre ich die Bocksstimme eines ordinären boshaften Dämonen die Antwort meckern, die ganz trivial von einem jemand erzählt, dem es zu wohl gewesen ist und der deshalb aufs Eis tanzen ging. Aber was liegt daran! Wie vieles ist noch möglich! Nicht ewig werden die Regenwolken, die Trauerweiber so dicht über unseren Köpfen ziehen, nicht ewig wird diese mißfarbige Decke uns den Himmel und unsere göttliche Mutter verbergen, nicht ewig der Nebel so dicht wie jetzt sich ballen, daß zwei Stunden vor Sonnenuntergang schon fahle Dämmerung uns umdunkelt und Kwidjwi, vorgestern zum Tasten nahe, heute grau, relieflos mit unsicheren Konturen in meilenweiter Ferne wie die verdrossene einsame Schattenburg eines alten grämlichen wolkensammelnden Zeus Hyetios in der Luft schwebt. Aber was liegt daran! wie vieles ist noch möglich!
28. Januar. Das sollte sich heute gleich zeigen, aber anders als ich es hoffte und wünschte. Ich glaube, ich habe den alten Regengott da drüben gestern gekränkt, und er wollte mit beweisen, daß seine Kraft doch noch nicht so wurmstichig ist, wie ich spottete. Nun werde ich die erste Gelegenheit benutzen, um ihn durch Libationen zu versöhnen, damit er mich nicht mit seiner Rache verfolge, wie einst sein Kollege von der anderen Fakultät meinen Kollegen Odysseus. Aber ich will keine Rätsel stammeln, sondern erzählen.
Heute wollte ich mir und den ermüdeten Leuten einen ganz kleinen Marsch zum Geschenk machen, es kam aber anders. Unser Führer, der uns mit Sprüchen von sanftgeneigten Bergen, weiten Bananenschamben und in ihnen dichter Bevölkerung das Herz weich gemacht hatte, hatte gelogen, und wir gerieten immer tiefer in unbebaute Gegend, bald durch Schluchten, in denen reißende Bäche durch den Regen der letzten Zeit zu tosenden Flüssen angeschwollen waren, und bald über steile Grashänge, auf denen nur eine krüpplige Erikazäe ein kümmerliches Dasein führte, und immer auf glatten, wenig begangenen Wegen. Aber all dies wäre zu ertragen gewesen, bis uns nach einigen Stunden ein Unwetter überraschte, so furchtbar und vor allem so eigenartig in seinen Begleiterscheinungen, wie ich es vorher noch niemals erlebt habe.
Erst verwandelte sich sehr merkwürdig der See. Es sah aus, als erstarrte das Wasser und würde zu dunkelgrünem strauch- und baumlosem Wiesenland, über das ein heftiger Schneesturm weht; ein Netz von schmalen Kanälen, die sich ganz regellos schnitten und hier und da zu kleinen Teichen sich erweiterten, gliederte diese in halber Dämmerung ruhende Ebene. Inzwischen jagten schwere schwarze Wolken in rasender Eile auf uns zu. Zuerst waren sie über Kwidjwi aufgetaucht, dicht über seinem Kamm, daß es schien, als entstiegen sie seinen Spalten und Schluchten wie der Rauch eines ungeheuren Opferbeckens. Dann hatten sie die Sonne verdunkelt, und nun kamen sie uns in wahnsinniger Hast näher und näher. Noch nie sah ich Gewölk von solcher Plastik. Bald schien es senkrecht wie eine fliegende Mauer zu stehen, bald horizontal sich auszubreiten, und so glaubte man einmal an seinem unteren, ein andermal an seinem hinteren Ende die zerfransten Fetzen sich ablösen zu sehen, die in heftig wirbelnder Bewegung aus dem Rande hervorschossen und wieder eingesogen wurden. Ein paar Augenblicke noch, und die vordersten Wolken jagen dicht über uns hinweg. Auf unserer Höhe ist es windstille, aber 80 Meter über unseren Häuptern beugen sich Gräser und Erikazeen tief zur Erde. Und dann ergreift es auch uns. wie mit unsichtbaren Riesenhänden packt es uns und drückt uns an die Wände. Und allmählich senken sich die schweren Ballen tiefer, die Luft verdunkelt sich immer mehr, wird grau, wird grau mit schwärzlicher Mischung, als sei sie mit Aschenteilchen gemengt. So muß es sich auf die fliehenden Pompejaner gelegt haben. Körperlos, wie Schatten, schweben die Leute, die kaum zehn Schritte vor mir sind, in den Nebeln. Bisweilen müssen wir durch Schilfdickicht kriechen, und dann scheint es, als bräche die Nacht herein. Langsam tappte ich mich, den tanzenden Schemen vor mir folgend, die steilen Geröllpfade auf- und abwärts; immer stärker heult der Orkan, immer dichter hüllen uns die Wolken ein. Die Schreie der Träger, die sich gegenseitig zurufen, zerreißt der Sturm, und wie wilde flatternde Vögel glaubte ich sie bald über mir auf den Gängen, bald unter mir in der Tiefe der Schluchten zu hören. Es war ein Entsetzen! Nicht ohne Bewußtsein wähle ich dies Wort. Manchmal entstand eine Lücke in dem dichten Schleier, dann sah ich, rückwärts blickend, die armen Kerle an die Felsen gedrückt, in ihren weißen, zerrenden Gewändern, steif, unbeweglich, wie festgenagelte Leichen. Ganz jäh wird es heller, und gleichzeitig setzt der Regen ein. Erst in großen, kalten Tropfen, die uns wie Hagel ins Gesicht schlagen, dann läßt der Sturm nach, und bald gießt es in Strömen aus der jetzt gleichmäßig grauen Wölbung über uns. In wenigen Minuten sind wir bis auf die Haut durchnäßt. Aber jetzt hat man wenigstens sein Augenlicht wieder, und, so hurtig es geht, eile ich vorwärts. Die Wege durchweicht der Regen bald und macht sie so glatt, daß es ein ewiges Rutschen, Gleiten, Fallen wird. Gleichviel! Nur avanti, avanti, um einen Lagerplatz zu finden, denn hier auf dem jäh geneigten Abhang ist es unmöglich. Hinab, hinauf, hinab, hinauf. Triumph! wir kommen auf eine Paßhöhe, sogar ein paar Bananenschamben und Hütten stehen in der Nähe.
Die Zeltträger, die kräftigsten meiner Leute, sind rasch bei der Hand, aber die übrigen noch weit hinten. Der Regen hat nachgelassen, jetzt sprüht es nur noch in feinen Strichen zur dampfenden Erde. Zwei Stunden saß ich melancholisch auf dem Boden des geschlossenen Zeltes, schauernd bis ins Mark. Ich glaube, das Wasser lief mir die Knochen und Eingeweide entlang. Dann waren genügend Lasten da, um mich umkleiden zu können, natürlich Winterzeug, vom Hemd bis zum Rock. Meine übrige Wäsche, die vor drei Tagen gewaschen wurde, ist überdies noch gar nicht trocken, da wir seitdem nur heute ein paar Sonnenblicke gehabt haben. Augenblicklich – ¾6 – treffen noch immer Träger ein, natürlich halb erfroren und ausgehungert, während sie sich zu den übrigen ans Feuer setzten, wird zum so und sovielten Male das heutige Erlebnis wiederholt. Eins frappierte mich, während ich diese Zeilen niederschrieb. Hat es eigentlich gewittert? Ich forschte die Leute aus, die sich fragend anschauen; auch sie erinnern sich weder an Blitz noch Donner. Auch wie kurz oder wie lange das schreckhafte Schauspiel gedauert hat, ahne ich nicht einmal, vielleicht wenige Minuten, vielleicht auch das zehnfache, ich weiß es nicht, aber es dünkte mich wie eine Ewigkeit. (Ich bin seit jenem Tage noch jahrelang am Kiwu gewesen, ich habe aber nie wieder ein solches Unwetter erlebt; wohl haben furchtbarere über seinen Küsten und Inseln gewütet, aber nie wieder eins, das so seltsam in seinen Begleiterscheinungen war, und keins, dem sich ein solcher Orkan gesellte; ich glaube, wir befanden uns im Zentrum des Sturms.)
Kurz vor Sonnenuntergang, den wir aber nicht sahen, hellt die Luft sich noch mehr auf. Wir blicken auf den See, zu dem von unserem Lager eine lange gewundene Schlucht hinabsteigt, und nach Kwijwi hinüber, dessen Nordende direkt östlich uns gegenüber liegt. Dicht ihm vorgelagert ist ein reicher Archipel von kleinen und großen, flachen und bergigen, kahlen und bewaldeten Inseln. Mein Führer Schirangalle zeigt auf die größte von ihnen, Kitanga, und sagt, daß dort im tiefen, durch den ganzen Berg gehenden Brunnen ein regenmachender Geist in Gestalt einer Schlange Hause. »Vielleicht Jupiter pluvius?« frage ich ihn, und wie immer, wenn ich scherzend unverständliche Worte zu ihm rede, klatscht er in die Hände und sagt: »So ist es, mein Fürst!«
29. Januar. Ich hätte nach den Strapazen der letzten fünf Tage mir und der Karawane einen Ruhetag gönnen können, aber der Platz ist zu ungünstig, und die Träger drängen selber weiter, weil der Führer ihnen wieder seinen Sang von nahen reichen Gegenden ins Ohr geflötet hat. Heute sollte er aber Recht behalten. Zwar ließ es sich im Anfang schlecht genug an: viel Klettern und vor allem der fette Boden, durch das gestrige Unwetter zur Schlitterbahn verwandelt, auf der ich nur mit Steigeisen vorwärts komme. Auch wird mir die Aufnahme durch die Mabugu-Schilfmassen sehr erschwert, die unseren Pfad mit undurchsichtigen Mauern einzwängen, aber später werden die Wege gut, und wir schreiten munter aus, den Blick auf unser Ziel gerichtet, eine Kuppe, die mit zahlreichen Hüttenkomplexen und Feldern bedeckt ist. Die Landschaft ist eintönig, von Bäumen nur niedrige Akazien. Die schönen, schattigen Ficusarten stehen meist nur in der Nähe von Siedelungen, werden aber entweder eifrig von den Anwohnern – omnes eodem cogimur (scil. »loco«) – benutzt oder von wüstem Unkraut umrahmt, so daß sie so oder so als Lagerplatz unbrauchbar sind. Das bischen Schatten, dessen die Leute in diesem naßkalten Klima bedürfen, gewähren ihnen die Bananenschamben. Auch ich liebe diese sehr, besonders wenn Sonnenschein all die tausende zartgrüner Blätter golden durchleuchtet und auf die Gräser und den Boden zitternde Scheiben wirft. Ich glaube, ich werde manchmal Heimweh nach ihnen haben.
Auch heute lagere ich unter Bananen in anmutiger Umgebung. Es ist Nacht, eine herrliche Nacht voll Schönheit und Größe. Mondschein und Lagerfeuer gewähren immer ein prächtiges Bild. Die schönen großen Blätter, die von unten her von den flackernden Flammen erhellt werden und als fast weißschimmernde Flecke aus dem schwarzen Hintergrund herausgeschnitten werden, oder die Silhouetten der schlanken Stämme wie Säulenhallen von Ebenholz von dem fahlen Nachthimmel sich abhebend, oder die glattpolierte Rinde, auf die der silberne Mondschein Spiegel wirft und auf denen die zuckenden Reflexe der Lagerfeuer tanzen, oder die Sterne durch alle Lücken funkelnd und gleich glitzernden Spinnen zwischen den Bäumen aufgehängt: das ist immer voller Reiz und erhebend für den, der nicht den bösen Blick für die Schönheiten dieser Erde hat. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ich mußte heute die triviale Wahrheit erleben, daß auch in der schönsten Natur die Menschen von Unvollkommenheit, Unglück und Leiden nicht verschont werden. Ich sah hier zwei Leprafälle. Jene furchtbaren Zerstörungen der Gliedmaßen, die vielfach, insbesondere von den Missionaren, für Folgen der Sandflöhe gehalten werden, sind in Wirklichkeit sehr oft Lepra. Auch die beiden Kinder, die ich heute sah, waren entsetzlich zugerichtet, bei lebendigem Leibe angefressen. Arme Tierchen! So jung und schon so elend! Gerade die beste Zeit des Lebens, auf die wir Alternden später wie auf ein verlorenes Paradies zurückblicken, müßt ihr unter Schmerzen und Tränen verbringen. Und da ist kein himmlischer Trost, der wie ein freundliches Gestirn in eure Nacht hineinleuchtet, denn der Fuß derer, die euch die frohe Botschaft bringen könnten, und nicht zuletzt euch, den Ärmsten der Armen, hat die Schwelle eures Landes noch nicht überschritten, wie wohl wäre euch, wenn ihr mit euren mageren Körperchen jene Bananen düngtet, die jetzt eure schmerzliche Not beschatten. Und der Nachtwind, der sanft durch die Bäume rauscht und leise die Blätter gegeneinander schlägt, daß es wie Flüstern und Raunen und schlürfendes Tappen durch den Hain sich bewegt, singt mir, während ich mich zur Ruhe begebe, die alte traurige weise:
Die Welt ist vollkommen überall,
Wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual.
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Da gibt es Leser, die eine Karte von Afrika zur Hand nehmen; sie sehen blaue und grüne und gelbe Flecken, bedeckt mit allerhand ihren Ohren fremd und unrein klingenden Namen, sie sehen die Routen der Reisenden, dünn wie die Fäden eines feinsten Spinnennetzes, nach allen Richtungen kreuz und quer durcheinanderlaufen; sie sehen wie dort ein Fluß sich windet, hier eine Bergkette sich krümmt und alles zusammen erscheint ihnen so einfach, so mühelos und fast selbstverständlich. Aber nur die wenigsten ahnen, aus wieviel kleinen und kleinsten Gliedern das Werk erwachsen ist, nur der Kartograph, der das Blatt konstruiert und redigiert hat, weiß, aus wieviel Einzelleistungen und immer neuen Nachprüfungen und Verbesserungen es langsam entstanden ist; und nur der Reisende erkennt die ganze Größe des Kapitals an Mühen und Schweiß, an Überwindungen und Entsagungen, an Geldern und Kräften, das aufgewendet werden mußte, damit dies kleine, bunte Bild entstehen konnte.
Dort dehnt sich auf der Karte ein großes Gebirgsland; von allen Seiten schlängeln sich die Pfade seiner Erforscher heran. Die meisten, die es sehen, interessiert vielleicht kaum der Name von Land und Forschern; den Geographen die Technik der Arbeit, den Geologen Lage und Gestalt, aber dem Reisenden erscheint es wie eine große Burg, verteidigt von Natur und Menschenhand, mit einer langen Geschichte voll von Kämpfen und Belagerungen, Siegen und Niederlagen, und jeder jener dünnen, schwarzen Fäden bedeutet ihm einen Angreifer. Hier naht sich der erste, aber verzagt kehrt er schon am Fuße um; dort kommt nach Jahren ein zweiter, er steigt schon auf die Höhen, er erobert die ersten Schanzen und von ihnen aus dringt er weiter und weiter vor. Aber plötzlich endet sein Weg und führt nicht vor-, nicht rückwärts, und die Bücher erzählen uns vielleicht, daß dort, wo der dünne schwarze Faden endet, das Grab eines Forschers liegt; sein Werk aber lebt, denn was einmal erobert ist, das bleibt in den Händen der Erben, wieder vergehen Jahre, ein dritter und vierter greifen die Burg gleichzeitig von verschiedenen Richtungen an und legen überall Breschen, und manchmal kreuzen sich die Fäden, aber dem Wissenden scheint es, als kreuzten sich Klingen, denn die Angreifer sind eifersüchtig auf ihre Erfolge und jeder will möglichst viel Siege an sein Schwert heften. Endlich – vielleicht wieder nach langen fahren – kommt ein neuer Faden und kriecht bis auf den letzten Gipfel hinauf und bis in die letzte Schlucht hinab; hier, ruft er uns zu, pflanzte ein Sieger seine Fahne auf, und die Bücher erzählen uns vielleicht, daß damals jener kleine Fluß, der wie ein mikroskopisches Schlänglein über die Karte sich windet, vom Blut der letzten Verteidiger rot gefärbt wurde.
Dies alles mag Phantasie sein, aber eine Phantasie, die in sehr realem Grunde ihre Wurzeln hat; yet there is method in it. Ich habe ihr Flugraum gegönnt, weil mir die Gelegenheit günstig schien, an die Schilderung meiner letzten Marschtage anknüpfend, dem Leser im Gleichnis ein Bild von den Opfern zu geben, die die wissenschaftliche Eroberung Afrikas gekostet hat und noch täglich kostet. Ich habe gerade diesen Zeitpunkt gewählt, um nicht den Vorwurf auf mich zu laden, daß ich durch Hervorhebung der eigenen überwundenen Schwierigkeiten mich auf Kosten anderer erhöhen wollte. Das liegt mir fern; aber ich habe auch keinen Grund, mich zu verkleinern; denn für dies Geschäft finden sich immer genügend andere Leute. Ich habe mich in diesen beiden letzten Briefen absichtlich nur auf eine besondere Art von Überwindungen, nämlich auf Marschschwierigkeiten beschränkt, weil mir daran lag, einmal zu zeigen, wie ungerecht meist die Schätzung der verschiedenen auf den Reisenden feindlich einwirkenden Faktoren ist, und zwar einfach deshalb, weil die einen dem Erzähler einen dankbareren und leichter zu bewältigenden Stoff liefern als die anderen. Nachdem ich diesem Gelüste nachgegeben habe, kann ich mich in der folgenden Schilderung wieder eine Zeitlang kürzer fassen – bis – bis – bis mich ein neuer Gegenstand zur Geschwätzigkeit reizt und ich nach neuen Ausflüchten zu ihrer Motivierung suchen muß. – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
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Über die Märsche der nächsten Zeit ist nicht viel zu berichten. Leicht waren sie nie, denn es blieb ja stets dasselbe zerrissene steile Gebirgsland, dessen tiefeingeschnittene Täler und Schluchten immer im rechten Winkel auf unsern Weg liefen, so daß wir sie stets kreuzten und fast nie ihnen folgen konnten.
3. Februar, wenn man die vierte der großen Buchten (Tschiwumba) überwunden hat, bleibt die Küste lange offen und wird nur von kleineren Buchten ausgezackt. Am 30. Januar stiegen wir allmählich zum Kiwu hinab und blieben an schönem Badestrand unter großen Uferbäumen liegen. Am nächsten Tage lagerten wir nur eine halbe Stunde weiter, ganz wider meine Absicht. Aber als wir den Rücken eines niedrigen Uferhügels erstiegen hatten, überraschte uns plötzlich eine Landschaft, die uns mit ihrer farbigen Anmut festhielt wie das bunte Band, das die thüringischen Kinder am Johannistag den Erwachsenen in den Weg spannen; und wie jene kleinen Schelme sang sie mir schalkhaft in das horchende Herz: »Das ist der Tag, wo man die Herren hemmen mag!«, so daß ich diesen Tag zu opfern beschloß. Ich schreibe »opfern« und sollte doch »empfangen« sagen, denn wie könnte ich Opfer nennen, was mich so im tiefsten Innern beglückte.
Das Ufer, das in zierlicher Buchtung mehrere Zungen in den See streckt, war mit üppiger Vegetation bedeckt. Herrliche Bäume, darunter eine mir neue Feige mit armlangen Blättern, an der die langgestielten Früchte in großen Dolden hingen, und ein anderer, dessen Blätter an der Spitze langer kahler Zweige in dichten Büscheln wie die Prismen eines Kronleuchters leise zitternd sich bewegten, ein Gewirr von Lianen und Schlingpflanzen, violetten und gelben Winden, wilden Gurken und wilden Bohnen, auch in Massen jene kalmusduftenden rotfrüchtigen Cardamum-Stauden, die ich am Russisi erwähnte, dazwischen saftgrüne Wiesenflecke – all dies zusammen bot allein schon ein Bild voller Anmut und Anziehung.
Aber dazu kamen noch zwei Inseln, die ich die glückseligen taufte: eine kleinere mit dunklen Bäumen bestanden, halb versteckt hinter der größeren, die zwei bis drei Kilometer lang, nur 50 Meter dem Ufer vorgelagert ist und von der Basis bis zu der Kegelspitze unter Bananen begraben liegt. Kein Fleckchen, wo nicht dieses sympathische Gewächs seine Krone wiegte. Nur auf dem Gipfel standen einige Hütten, beschattet von drei großen Milumba-Bäumen. Die Ufer waren in fast symmetrischer Anordnung von weit ausladenden Ficus eingerahmt, deren Äste weit über das Wasser hinausragten, teilweise bis unter den Spiegel tauchten und riesige Lauben bildeten, durch die nur wenige Sonnenstrahlen drangen, deren Scheiben mit kaum merklichem Regenbogenrand auf den nassen algenbewachsenen Steinen wie leuchtende Quallen lagen.
Nachmittags ließ ich mich um dies schöne Eiland herumfahren. Von Zeit zu Zeit waren die Bananen dicht am Wasser halbkreisförmig ausgeschnitten, um für die Hütten Platz zu machen, vor denen die Männer rauchend sitzen oder Netze zum Trocknen aufhängen, die Weiber Getreide in den Holzmörsern stampfen oder zwischen Steinen zu Mehl verreiben, die Rinder im Sande spielen, die Hunde mit mißtrauischem Knurren sich aufrichten und die Hühner gackernd in den Hain hineinflüchten, während wir so langsam dahinglitten und unser Boot kleine Wellen warf, die leise plätschernd gegen die Kalkfelsen schlugen oder die herab hängenden Zweige schaukelten, war mir oft, als träumte ich von Bildern, die ich einst als Knabe im »Robinson« oder »Stanley« gesehen hatte, von jenen jämmerlichen Holzschnitten, die doch so fest in den Seelen der Kinder haften, und als müßte ich jeden Augenblick in meiner Berliner Wohnung aufwachen und das Klingeln der Pferdebahn und das Rollen der Droschken zu mir heraufschallen hören. Aber als ich wieder im Zelt saß und kaltes »Zickenfleisch« mit Bohnen von verbeulten Emailtellern aß, da versanken die Träume sehr rasch, und ich wußte wieder, wieviel Länder und Meere zwischen Berlin und mir liegen.
Am 1. Februar folgte unser Marsch dem üppigen Ufer, am nächsten Tage schnitten wir eine Halbinsel ab und kletterten tüchtig in den Bergen. Dann stiegen wir wieder zum See hinab und lagerten in schmutzigem Dorf an kleiner Bucht. Unterwegs traf ich viel Schmiede, die ein vorzügliches reines Eisenerz, das weiter nördlich in den Bergen gewonnen wird, bearbeiten. Immer vier bis fünf walnuß-große Steine werden in ein handlanges Schilfnetz gepackt und so von den eingeborenen Händlern verkauft, Hügel von Hunderten solcher Päckchen lagen stellenweise am Wege vor den Schmieden.
Heute endlich, am 3. Februar, erreichten wir nach langem Marsch und vielem Steigen durch reiche Gegenden den Kogwefluß und auf jenseitigen Höhen im Dorfe Kiguli Anschluß an die Route des Grafen Götzen Von hier aus war er über die Berge zu unserer Linken in das Kongobecken hinabgestiegen. Kiguli ist ein, 1800 Meter hoch, auf einem langen Kamm und den Abhängen gelegenes Dorf von mindestens 4-500 Hütten und entsprechend viel Menschen, darunter auffallend viel Weiber und sogar manche hübsche (solange sie noch nicht über den Schneider hinaus sind, der notabene hier nur bis 21 Points reicht.) Ich vermute, daß in der Nähe der Sitz des Sultans Kalimimwumba ist, es ist mir aber nicht möglich, eine Zusammenkunft mit ihm zu erreichen. Er verbirgt sich, wie die meisten Sultane dieser Länder; manchmal ist es bei ihnen nur Furcht vor dem Unbekannten, manchmal auch der Aberglaube sterben zu müssen, wenn sie das Gesicht eines Weißen sehen; drängen oder drohen hätte keinen Zweck und könnte höchstens eine Komödie provozieren, also bescheide ich mich. Auch bin ich nicht neugierig, denn der Sultan solcher Völker kann schließlich nicht viel anders sein, als die Vornehmeren seiner Untertanen, und auch bei ihm wird, wenn man ihn ein wenig kratzt, der »Barbar« herausschauen.
Vom Lager aus sehe ich in die fünfte und letzte der großen Buchten, in die von Mbusi hinein und erblickte das Ende und das Nordufer des Sees und darüber aufragend die mir von früher her vertrauten Riesengestalten der vier westlichen Vulkane. In der Nähe unseres heutigen Lagers soll Itambi endigen und morgen von uns die Grenze von Ujungu, des nördlichsten der drei Westsultanate, überschritten werden. Da wäre es eigentlich an der Zeit, einen kurzen ethnographischen Rückblick auf die Wanjaitambi zu werfen, aber ich verschiebe es auf einen der nächsten Briefe, weil die Uniformität der Völker des West-Kiwu im Interesse einer Vermeidung von Wiederholungen es nötig macht, sie im Zusammenhang zu besprechen. Ich hätte mir eigentlich auch die Erörterungen über die Wanjabungu bis zum Schluß sparen sollen, wollte aber doch den Leser nicht ganz über die Art der Eingeborenen in den gemeinsam zu durchziehenden Gebieten im Dunkeln lassen. Ich will daher heute den geringen Raum, der mir noch für diesen Brief zur Verfügung steht, zu irgend einem amoenum diverticulum benutzen. Im heutigen Lager war es übrigens, wo die früher geschilderte Auktion stattfand. Aber noch eine andere Bemerkung finde ich unter den Notizen dieses Tages, an die sich leicht einige Worte anknüpfen lassen. – – – – – – – – – – – –
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»Ich begreife nicht, schreibe ich nämlich, wo meine Leute all ihren Gesprächsstoff hernehmen. Letzte Nacht erwachte ich gegen 2 Uhr und blieb noch fast eine Stunde schlaflos, und die ganze Zeit hörte ich dumpfes Gemurmel aus dem Zelt des Trägers Mschomari, der mit seiner Dame sprach. Ähnlich vor einigen Tagen. Damals konnte ich erst nach Mitternacht einschlafen, weil mich aus einer Hütte nebenan Kinderwimmern störte, und da ich mir einbildete, es käme von einem der leprösen Würmchen, wurde ich von trübseligen Bildern und Gedanken heimgesucht; währenddessen saßen draußen eine Anzahl Träger am Feuer und schwätzten, schwätzten, schwätzten. Man sollte meinen, sie könnten sich den ganzen Tag über aussprechen und müßten überdies froh sein, nach so anstrengenden Märschen ihre Glieder strecken zu können, aber nein: sobald sie im Lager sind, und namentlich, sobald sie sich das gehörige Quantum Pombewein zugeführt haben, läuft jeder unangenehme Eindruck und jeder körperliche Insult von ihnen ab wie Wasser vom Entenflügel. Merkwürdig glückliche Naturen!«
Seitdem sind einige Jahre vergangen, ich habe noch öfter die gleiche Beobachtung gemacht und ich habe oft versucht, ihre Gespräche zu belauschen, um mir ins klare über ihren fabelhaften Stoffreichtum zu kommen. Man behauptet oft, daß die europäische jeunesse dorée nur über Weiber und Pferde sich unterhalte. Nun, das letztere kann man dem Neger nicht zumuten, dazu ist er nicht geistesarm genug. Aber das erste ist allerdings auch bei ihm ein sehr beliebtes Thema und wird in allen Variationen behandelt. Am seltensten in frivoler Weise. Der Neger ist in Gegenwart des Europäers sehr dezent, mehr als dezent, peinlich schamhaft. Nicht ganz so, wenn er mit seinesgleichen verkehrt, aber immerhin doch viel mehr als die meisten jungen Leute in Europa, die unter sich sind. Zu Mikoschwitzen hat er es noch nicht gebracht, bezw. er kennt wohl einige wenige in Form von Erzählungen, aber sie spielen in seinem Geistesleben eine geringe Rolle. Darauf gehe ich nicht weiter ein, denn ich würde nach meiner Gewohnheit vom hundertsten ins Tausendste kommen, zum mindesten näher auf ihre Dezenz, auf das Verbot des Negerimports nach Deutschland, seine Ursachen, und die Wirkung Europas auf den Charakter des Schwarzen, auf ihre Aufnahme europäischer Dinge im allgemeinen mich einlassen, von omnibus et quibusdam aliis reden, wovon ich mich bei passender oder unpassender Gelegenheit, nur nicht heute, verlocken lassen will.
Also das Weib spielt in seinen Gesprächen eine große Rolle, aber zumeist als Gegenstand ganz ungewöhnlichen harmlosen Klatsches. Er liebt auch sehr die Gesellschaft und Unterhaltung edler Frauen, aber nicht, weil er bei ihnen anfragen will, was sich ziemt, sondern weil das – trotz Schopenhauer – als schöner anerkannte Geschlecht an solchen Klatschgeschichten reicher zu sein pflegt als das minder schöne. Selbstverständlich nur in Afrika. (Ich werde mich wohl hüten, in das Wespen-( taillen) Nest unserer heimischen Kränzchen zu stechen und mir so gewichtige Leser zu Feinden zu machen.)
Sehr häufig ferner kehren Reise- und namentlich Kriegserlebnisse in seinen Unterredungen wieder. – – –
Man muß immer bedenken, daß man diese Karawanenneger keinesfalls etwa mit unseren Bauern vergleichen darf, weil beiden viele Großtaten europäischer Technik und bedeutungsvolle Gebiete aus Geschichte und Kultur unbekannt sind, am allerwenigsten sie, weil sie meist Analphabeten sind, tiefer als solche rustikalen Intelligenzen einschätzen, wie sie die Kassubei und ähnliche Gefilde liefern. Eher kann man sie Seeleuten an die Seite stellen. Ihre renommistischen Aufschneidereien, höflicher: die Lust am Fabulieren, die Verschwendungssucht, sobald sie eine große Summe in Händen haben, die Unlust, sich längere Zeit an einem Orte seßhaft zu machen, ihr Aberglauben, das Sichbeladen mit allerhand unnützen Kinkerlitzchen, wenn sie vorn Innern kommend in einer Küstenstadt Anker werfen, ihre Trunksucht, ihr geringer Widerstand gegen Verlockungen zum Geldausgeben, namentlich seitens gewitzter Huldinnen, ihre leichtsinnige Bereitwilligkeit zum Überspringen der Gebote ehelicher Treue, die Häufigkeit der Leiden, die eines geheimen Rats bedürfen, und anderes mehr sind ja alles Eigenschaften der Karawanenneger – und nur von diesen spreche ich hier – wie man sie ähnlich auch bei vielen Seeleuten findet. Die Ursachen dieser Gemeinsamkeit brauche ich dem nachdenklichen Leser nicht auseinanderzusetzen. – – – – – –
Also kriegerische und überhaupt persönliche Reiseerinnerungen sind ein sehr beliebter Stoff, dem um so leichter Rechnung getragen werden kann, als sich unter Karawanenleuten ja immer viele befinden, die fast die ganze Kolonie und womöglich große Strecken von Uganda und dem Kongostaat kennen. Sind sie selbst gerade auf Reisen, so werden natürlich auch die täglichen Erlebnisse eifrig durchgesiebt. Daneben werden auch gern Sitten, Gebräuche und Werkzeuge fremder Negervölker besprochen und verglichen. Ein unerschöpfliches Thema ist ferner der Europäer, aber mehr die Herren, denen sie früher dienten, als der gegenwärtige, denn darin läge doch ein gewisses Risiko, da die Zeltwände noch feinere Ohren als Hauswände haben und der eigne Herr immer als »Schwert des Damokles« über ihren Häuptern schwebt. – Diesmal wende ich dies sonst von mir verpönte Gleichnis an, weil es mir gelungen ist, ihm eine neue, durch Gebrauchsmusterschutz geschützte Fassung zu geben. Bei seinem Sinn für das Komische liebt der Neger namentlich, Eigenheiten der Stimme und des sprachlichen Ausdrucks zu bespotten und zu imitieren, wobei er des Beifalls seiner Korona sicher sein darf.
Diesen Erinnerungen assoziieren sich zwanglos Jagderlebnisse und Zoologie überhaupt. So kommt es oft, daß die Leute Merkmale von Tieren kennen, ihre Rufe nachahmen usw., die sie selbst nie gesehen haben. Meinem kleinen Boy z. B. sind Schimpanse und Colobus ganz unbekannt, aber er weiß genau, daß jenem der Schwanz, diesem der Daumen fehlt, und würde sie demnach beim ersten Zusammentreffen leicht identifizieren. Auch Krankheiten werden häufig besprochen und damit zusammenhängend ihre Therapie und heute diese, morgen jene Pflanze aus der ihnen bekannten Flora erwähnt. Nicht leicht kann ich meinen Leuten in einem Lager eine neue Pflanze zeigen; sofern sie einigermaßen auffällt, ist sie schon vor mir von ihnen bemerkt worden.
Endlich kürzen ihnen Märchen, Gedichte usw. die Zeit, wobei ich Musik und Tanz ganz außer achtlasse, weil es mir hier nur auf ihren Gesprächs-, nicht auf den Unterhaltungsstoff ihrer Geselligkeit im allgemeinen ankommt. Ich rekapituliere die Stichwörter des wegen Raummangels hier leider nur zu flüchtig Erwähnten: Weiber, Kriege, Reise, Ethnographika, Europäer, Jagd und Zoologie, Pathologie und Therapie, Botanik, Märchen usw. Aber trotzdem ich über diese Dinge nur gerade hinweghuschen konnte, genügt es wohl, um dem Leser zu zeigen, daß der Gesichtskreis der Neger und danach der Kreis ihrer Unterhaltung groß genug ist, um ihre oft bis in die Nacht sich erstreckende Mitteilsamkeit verständlich zu machen; und doch kommt noch eine Eigentümlichkeit hinzu, die man kennen muß, nämlich ihre Freude an Wiederholungen.
So wie wir uns im Theater ein Stück mehrfach ansehen, je nach Stimmung oder Zerstreuungstendenz die einen »Iphigenie« oder »Tasso« die andern »Das weiße Rößl« oder »Charleys Tante« so liebt der Neger ein Erlebnis selbst harmloser Art zwei-, dreimal und öfter zu hören. Ich erinnere mich einer Geschichte, die einer der Askaris, die auf dem Marsch dicht vor oder hinter mir zu gehen pflegen, seinen beiden Kameraden erzählte. Er war am Tage vorher in ein Dorf gegangen, hatte von einem Weibe Erbsen für ein paar Perlenketten erstanden, der Ehemann war dazu gekommen, fand den Handel ungünstig und schmähte deshalb das Weib. Bei jedem der getreulich zitierten Schimpfworte eine Lachsalve der Zuhörer. Dann fuhr er fort: »Als der Barbar gar nicht aufhörte, stellte sich das Weib so hin, seht« – alle bleiben stehen; denn der Erzähler imitiert die Armstellung des Weibes und hält inzwischen das geschulterte Gewehr mit dem Kinn fest, damit es ihm nicht entfalle – und sagte: »wenn du nicht abläßt, mich zu schimpfen, weißt du, was ich dann tun werde?« Was wollte sie tun? Vielleicht in den Fluß gehen? Vielleicht Gift nehmen? Da ich es selbst nicht weiß, kann ich es auch dem Leser nicht verraten, denn der Erzähler wußte es auch nicht, weil das Weib so grausam war, es zu verschweigen: der Erfolg war aber trotz der verschluckten Pointe großartig, wie das fröhliche Gelächter der Zuhörer bewies. Die Leute waren wohl nicht in der gleichen Tischgenossenschaft, saßen jedenfalls im Lager nicht zusammen, und infolgedessen hatte ich drei Morgen hintereinander das Vergnügen, auf dem Marsch dieselbe Geschichte mit den gleichen Worten und immer an gleicher Stelle den gleichen Armbewegungen, dem gleichen Fassen des Gewehrs mit dem Kinn, die gleiche nie gelöste Frage, »was sie tun werde, wenn« und das gleiche Gewieher aus denselben Kehlen zu hören. Seitdem ich dies drei Tage hintereinander schaudernd erlebte, wundere ich mich nicht mehr wie damals am Kiwu, wenn das Gespräch von Eheleuten, das den ganzen Tag nicht geruht hatte, nach Mitternacht in ihrem Zelte noch einmal zu neuem Leben aufflackert.
Insel Kwidjwi, November 1901.
»
Uns ist in alten maeren wunders viel geseit
Von helden lobebaeren, von groszer arebeit.«
Ich pflegte sonst nicht meinen Briefen ein Motto an die Spitze zu setzen, schon deshalb nicht, weil oft nur ein lockeres Band ihren heterogenen Inhalt verknüpft, heute aber kann ich mir diese Freiheit gestatten, weil ein herrschender Geist über meinen Tintengewässern schweben wird, der Geist des Sohnes Peleus und der Thetis mit samt seinen Myrmidonen. Denn ich werde von einem gar erschröcklichen blutigen Kriege zwischen den Wanjaitambi und ihren nördlichen Nachbarn zu berichten haben, dessen interessierter Zuschauer ich war, und den ich mit einem Opernglas von meinem Zelt aus wie aus einer Loge betrachtete. – Wir hatten im letzten Briefe Kiguli erreicht und damit Anschluß an die Route des Grafen Goetzen. Um einen sicheren Verbindungspunkt für unsere Aufnahmen zu haben, wollte ich meine Arbeit erst an der Furt des Muwimbi-Flusses, den ich nicht allzu weit ab unter mir sah, abbrechen und mich die nächsten drei Tage auf kurze Wegnotizen beschränken. Indes mein Schicksal, »mine Fru Isebill«, wollte schon wieder einmal nicht, as ick ock will.
In Kiguli wünschte Schirangalle sich von mir zu verabschieden, mein Führer, der mich schon durch halb Bunjabungu und ganz Itambi geleitet hatte, der witzigste und verlogenste Neger am Kiwu, ein »Schlaucherl« aber auch ein »Schufterle«, wie die schönen Münchener Ausdrücke lauten. Ich konnte ihm die Heimkehr nicht versagen, verlangte jedoch einen Ersatzmann, der mich über die Grenze bringen sollte, aber siehe da, von all den Tausenden, die das große Kiguli bewohnten, fand sich trotz Geld, guter und böser Worte nicht ein einziger dazu bereit. So mußte Schirangalle mich noch einen Tag länger führen, was ihm zu meiner Verwunderung offenbar sehr unangenehm war. Die Ursachen all dessen erkannte ich erst später.
So brachen wir also am 4. Februar frühmorgens auf. Sobald wir den Muwimbi-Fluß erreichten, wollte ich auf Goetzens Weg marschieren, der nach der Karte dicht am See entlang führt. Aber ich scheiterte mit diesem Wunsche an dem Widerstand des Führers. Erst behauptete er, unser Weg sei der richtige und verleumdete damit Goetzen, dessen Karte in diesem Fall miserabel gewesen wäre: dann wieder log er, jener alte Pfad sei längst »gestorben« – kurz, wir folgten nicht dem Seeufer, auch konnte ich meine Aufnahme nicht abbrechen, sondern wir kletterten über gebirgiges Terrain mit großen Steigungen durch ein unwirtliches Pori. Es war genau so, wie an der anderen Grenze von Itambi: Das Gebiet war verwüstet, die Bananenhaine verlassen, die Wege verwachsen, nur daß hier die künstliche Wildnis frischeren Datums war als im Süden.
Das war eine böse Enttäuschung. Ich hatte mich auf einen angenehmen Spaziergang gefaßt gemacht, mich gefreut, wieder einmal laufen zu können, ohne stundenlang meine Schritte zu zählen, und statt dessen wollte ich oft fast verzweifeln, weil das Dickicht keine seitliche Orientierung gestattete und wir unaufhörlich im Zickzack auf und ab und pfadlos durch dichte Schilfmassen in kleinsten Windungen uns schlängelten, streckenweise bei heftigem Regen, der mein Routenbuch rasch durchnäßte und seine Blätter verklebte. Schirangalle jammerte – aber ein Schalk sah ihm dabei aus den Augen – daß dies schöne Land Kalimimwumbas durch Mwunje, den Sultan von Ujungu, so verwüstet worden sei. Das war der Wolf, der das Schaf anklagt, denn Itambi ist dreimal so groß und zweimal so bevölkert als Ujungu. Zuletzt wurde der Weg besser; wir stiegen das hohe Gebirge zum Tal von Kurischeweri hinunter, folgten dem Rande eines Sumpfes und bezogen dicht vor einer großen zum Kiwu ziehenden Bananenschambe unser Lager, an der gleichen Stelle, an der vor fünf Jahren Graf Goetzen gelegen hatte.
Auf den Bergen der anderen Talseite befand sich ein Dorf, aus dem mich die langgezogenen gellenden Rufe der Weiber begrüßten. Dann trat eine kleine Schar von Männern zwischen den Hütten hervor und tanzte in aufgelöster Ordnung den Abhang hinab und auf uns zu. Die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt, die Hände – Flächen nach außen – rechtwinklig nach oben zeigendes hüpften sie mit wilden Verrenkungen der Hüften und Schultern bis zu mir heran, wo ihr Klatschen und überstürzendes Lobpreisen mich umtoste. Ihr Verhalten sprach Bände für die Expeditionsleitung Goetzens, denn es verriet ein – ziemlich seltenes – Vertrauen zu den Absichten des Fremden. Wie wenig Ursache sie gerade mir gegenüber dazu hatten, sollte ich mit Staunen und Entrüstung sofort erfahren, als sich ihre hochgradige Aufregung etwas gelegt hatte. Die Wanjakalunga – Kalunga liegt, durch einige Kuppen getrennt, auf demselben Berg wie Kiguli und übertrifft es womöglich noch an Größe – waren denselben Morgen bei ihnen eingefallen und hatten, sich noch dazu meiner Autorisation rühmend, dreizehn Weiber geraubt, die friedlich auf den Feldern arbeiteten. Für diesen Beutezug hatten sie den nahen Uferweg Goetzens benutzt, und deshalb mußte ich unter so großen Mühen weit ab durch die Berge klettern, und darum hatte in Kiguli niemand außer dem Frechier Schirangalle den Mut gehabt, mir Führer zu sein. O, ihr Halunken.
Damals war ich allerdings noch zu gutgläubig oder zu unerfahren, um diese Zusammenhänge auf den ersten Blick zu erkennen: ich beschränkte mich daher darauf, als ich Schirangalle ablöhnte, ihm einige ernste Worte an Kalimimwumba, der notabene mir niemals das übliche Gastgeschenk geschickt hatte, mit auf den Weg zu geben und ihm zu drohen, daß, falls er die Ujunguleute nicht in Frieden lasse, ich ihm eines Tages einen zweiten, aber weniger freundlichen Besuch von der anderen Seeseite her, an der ich mich anzusiedeln gedächte, abstatten würde. Damit wollte ich ihn entlassen, aber jetzt geriet er plötzlich in Verlegenheit. Er fürchtete nämlich, daß die Wahunde (so heißen die Bewohner von Ujungu) ihm unterwegs als Rache für den heutigen Überfall auflauern, ihn töten und verzehren würden, weil sie » buljoko« d. h. Menschenfresser seien. Letzteres hielt ich fälschlich für eine auf mich berechnete Lüge, um meine Antipathien gegen sie zu provozieren. Ich ließ das Bürschel etwas zappeln, indem ich ihm ungefähr den Spruch des Horaz verdolmetschte, den mir Hauptmann Leue einst mit feinem Humor als Reisesegen mitgegeben hatte: »Wer unbescholten und von Verbrechen frei sich fühlt, braucht Bogen und Pfeile der Mohren nicht zu fürchten«, was allerdings auf ihn und seine Landsleute, die Wanjakalunga, leider nicht anzuwenden wäre. Auch tröstete ich ihn damit, daß es immer noch besser sei, jung verzehrt zu werden, als alt und gebrechlich langsam abzusterben. Das war aber gar nicht nach seinem Geschmack. Darum versprach er, die Weiber zurückzuschaffen, wenn ich ihm freies Geleit garantierte, und es fanden sich auch zwei Leute von Kurischewier, die ihn begleiten und ihre Damen in Empfang nehmen wollten, wiederum, wenn ich ihnen durch Vermittlung Schirangalles die Rückkehr zusicherte. Beides tat ich und so zogen sie ab. Vorher wollte Schirangalle, der jetzt wieder Hänschen obenauf war, noch von dem Dorfchef eine Ziege für sein ehrliches Maklertum herausschlagen, was ich aber verhinderte. Dagegen versprach ich selbst ihm einen Bakschisch zu geben, falls er sich mit den geraubten Frauen wieder hier einfinden würde. In einem Moment aufwallenden Großmuts fügte ich hinzu, daß ich nicht eher wieder fortgehen würde, bis sie zur Stelle seien. Ich ahnte nicht, daß dieses Gelübde der Ausgangspunkt vieler Verdrießlichkeiten für mich werden würde. Schirangalle versprach alles, weil es ihn nichts kostete und verschwand.
Daß die Wahunde an diesem Unglückstage übrigens nicht ganz ohne Trost bleiben sollten, zeigt folgende Stelle meines Tagebuchs: »Wir hatten heute in dem verwüsteten Grenzgebiet ein uraltes Weib aufgegriffen, das einen großen Korb mit einem Baby, vielleicht einem Enkel, an einem breiten um die Stirn laufenden Bande auf dem Rücken trug. Es ist dies eine spezifisch westafrikanische Tragweise. Die Alte war herrenlos, trieb sich angeblich schon seit Monaten in den verlassenen Schamben umher, und da sie einverstanden war, überließ ich sie den geschädigten Leuten von Kurischeweri. Jubelndes Freudengeschrei und Wiederbeginn der Gliederverrenkungen. Ich erkannte so recht, wie hierzulande das Weib zunächst als Arbeitstier und erst lange danach um ihrer Reize willen geschätzt wird. Denn deren hatte diese Hecuba, soviel man sah – und man sah ziemlich viel – wirklich keine erkennbaren, während die Dorfjugend lärmend um sie herumtanzte, stand sie da mit ihren zahnlosen Kiefern schamhaft lächelnd und verlegen an ihren welken »Lungenflügeln« zupfend. Ein paar Blätter vorn und hinten, da wo Leib und Rücken beginnen inexpressibles zu werden, das war ihr ganzer Staat, der sich jener sagenhaften Südseeinsulaner-Kleidung, der Briefmarke auf dem omphalos, bedenklich näherte. – – – – – – – – – – – – –
5. Februar. Ich sitze im Lager und warte, viele Hunderte von Eingeborenen haben sich von weit her heute hier eingefunden. Es ist Festtag. Das Gefühl vollkommener Sicherheit vor ihren Feinden leuchtet von jedem Antlitz. Brausendes Lärmen erfüllt das Lager und von Zeit zu Zeit wird musiziert und getanzt. Der Tanz ist wenig wert; der Gesichtsausdruck der Tänzer, womöglich noch ekstatischer wie bei anderen Negern, erinnert an die Verzückung von Medien oder Hysterischen. Mit nackenwärts gezogenem Kopf, halbgeschlossenen Augen, geblähten Nüstern, gepreßten Lippen, breitgezerrten Mundwinkeln, und alle Muskeln gestrafft, so bewegen sie sich einzeln oder zu zweit inmitten der Korona, bald trippelnd, bald springend, bald stehend, und verdrehen Arme, Schultern und Becken in fürchterlich gezwungenen oder unschuldig schamlosen Verrenkungen. Die Art, wie sie sich in ihnen zu überbieten suchen, erinnert mich an das wetteifernde Spiel vieler Kinder im Grimassieren oder Bilden unsinniger Worte. In der Tat wirken diese Tänze da vor mir wie Gliedergrimassen. Aber ihr Ursprung wie der aller Tänze von Sansibar bis Kamerun ist sicherlich weniger harmlos. Man behauptet vom bayrischen Schuhplattler, er sei eine Nachahmung balzender und tretender Auerhähne, und auch die Tänze der Neger ahmen naiv und ihres Ursprungs unbewußt ein Balzen und Treten nach. Aber nicht von Auerhähnen. Die Begleitung geschieht mit einer achtsaitigen in ganz Zentralafrika verbreiteten Guitarre mit offenem Resonanzboden. Sie wird übertönt vom Rasseln durchlöcherter, mit Steinchen gefüllter Flaschenkürbisse, die von den Musikanten zwischen den Handflächen hin und her geschüttelt werden.
Stundenlang tanzen sie schon, immer neue lösen die ermüdeten ab, denen infolge der Anstrengung und Sonnenglut in Strömen der Schweiß über Gesicht und Brust hinabläuft. Ich habe mich in den Schatten des Bananenhains zurückgezogen und sehe in den Lücken nur Bruchstücke des großen Kreises schwarzer gedrängter Leiber, der in leise wiegender Bewegung die Tänzer umgibt. Die Wahunde hören endlich auf und die Wanjaruanda, von denen etwa 15 Jungen als Trägerboys in der Karawane sind, springen für sie ein. Ihr Tanz ist ähnlich aber gemessener. Die Korona begleitet die Vortänzer durch taktmäßiges Händeklatschen und dumpfe anspornende Rufe: Hü, Hü, Hü in infinitum. Schade, daß ich nur sechs Warundi habe, sonst ließe ich mir einen ihrer schönen Tänze vorführen, die ich früher einmal beschrieben; Siehe Brief XXII. jenes rhythmische Stampfen bald in Jamben, bald in Anapästen, bald in Spondeen, bald leise, bald laut, bald langsam, bald rasch, bei dem nur die Beine agieren und das, von einer großen Masse aufgeführt, seinen starken, eigenartigen Reiz hat. Zum Schluß wollen auch die Küstenleute, die Wafidji-Träger, ihre Künste zeigen und wirbeln in wildem Manegetanze umher, heftig galoppierend, wie der Blitz kniend und wieder stehend oder niederfallend und wieder aufrecht im Kreise tollend.
Der Lärm will heute im Lager gar nicht enden und mordet das, was ich höflich meine »Gedanken« nenne, und ich wollte gerade zu schreiben aufhören, als die beiden gestern nach Kalunga mitgesandten Boten zurückkehren, leider unverrichteter Sache. Die Wanjakalunga hatten sich geweigert, die Weiber herauszugeben, ja sogar sie selbst töten wollen, was Schirangalle verhindert hätte. Letzterer hat aber sein Wort gebrochen und ist nicht zu mir umgekehrt. Die Boten berichten von frechen Reden der Kalungaleute; ich sollte nur mit meinen paar Männchen kommen, sie würden keine fünf Mann im Dorf lassen, um uns zu verjagen. Es sei nicht viel zu fürchten an den Weißen und dergleichen mehr. Das ist der Eindruck, den Friedfertigkeit in manchen Negerköpfen hervorruft. Es würde mein Handeln aber wenig beeinflussen, weil ich ja nicht konstatieren kann, ob die Worte wirklich so gefallen sind, denn es ist ein bei Negern beliebter Kunstgriff, den Europäer bei der »Ehre zu packen«, ein Beweis, daß sie ihn auch unter sich anwenden, denn eigens für den Weißen, den sie alle viel zu wenig kennen, können sie ihn nicht erfunden haben. Ich halte mich indes nur an die Tatsachen: den Überfall, die Wegnahme der Weiber und das Ausbleiben Schirangalles, was nun? Gehen und die Weiber holen? Nachdem ich meine Nase einmal in diese Affäre gesteckt habe, muß ich sie auch ganz aufriechen. Als ich das den Wahunde mitteile, erschüttert ein Jubelgeheul das Tal und bricht sich an den steilen Wänden im Westen. Und sofort beginnt Musik und Tanz aufs neue und tost bis zum späten Abend im Lager.
Ich habe mich indessen mit den Ältesten der verschiedenen Dörfer unter die Bananen zurückgezogen, um ihre Vorschläge zu hören. Im Halbkreis kauern sie um mich herum, einer nach dem andern gibt seine Weisheit zum besten, immer wieder muß ich sie daran erinnern, daß es sich nicht um einen Krieg, sondern um die Befreiung ihrer Frauen handelt und schließlich einigen sie sich darauf, nachts aufzubrechen und bei Morgengrauen die Höfe der Vornehmen zu umzingeln. Hätten wir diese erst in unserer Gewalt, so würden die Weiber bald zurückgebracht werden. Einen Moment dünkt es mich so gut, und ich akzeptiere ihren Vorschlag, aber bald fällt mir ein, daß ich nachts solche Massen nicht übersehen, noch beherrschen kann und die Möglichkeit, Bilder zu erleben, wie sie bei diesen nächtlichen Überrumpelungen nur zu häufig vorkommen: Auflodernde Hütten, Niedermetzelung der Flüchtenden, verbrennende Kinder und Tiere, genügt mir, um den Plan zu widerrufen und als neue Ordre auszugeben, bei Tagesanbruch abzumarschieren. Ich hoffe immer noch, daß unser Erscheinen allein genügen wird, um die Wanjakalunga zur Herausgabe der Weiber zu bewegen.
6. Februar. Als ich mich heute morgen nach 5 Uhr beim ersten Dämmerschein erhob, waren noch keine zehn Wahunde sichtbar. Aber bald erschienen sie in Massen, geführt von ihrem Sultan Mwunje, einem ziemlich dürftigen und häßlichen, aber nicht unsympathischen Jüngling. An seinem Äußern war nichts interessant. Ein schmales weiß-blau karriertes Tuch umhüllte ihn wie ein enges Weiberröckchen vom Hals bis zu den Knien. Am Hinterhaupt des rasierten Kopfes hing ihm ein Büschel von Federn über den Nacken. Während die Wanjabungu je 2-3 Speere führten, die Wanjaitambi sich nur mit langen Stöcken dem Europäer nähern, sah ich die Wahunde alltags mit leeren Händen einhergehen. Heute aber waren sie in voller Kriegsausrüstung mit Schild, Speer und Schwert, Bogen und Pfeilen, manche auch mit Keulen und Sichelmesser. Über die Art ihrer sehr interessanten Bewaffnung sei später im Zusammenhang berichtet.
Inzwischen haben sich an 500 Mann eingefunden und wir konnten aufbrechen. Lasten, Weiber, Kinder und einige Wachen blieben im Lager, die übrigen meiner Leute schlossen sich mir an. An der Spitze ein eingeborener Führer, dann vier Askaris, ich, der Rest von drei Askaris, die Träger und hinter ihnen die Wahunde, so stiegen wir in langem Zuge den Berg hinauf. Die erste Stunde gingen wir auf unserem alten Weg, dann schlugen wir einen anderen verwachsenen Pfad ein, weil ich womöglich Kiguli ganz vermeiden wollte, um nur das schuldige Kalunga zu berühren. Verdrossen trabte ich hinter den Askaris her. Was ging mich eigentlich dieser Raub der Sabinerinnen an? In einem Aufwallen meines Gerechtigkeitsgefühls hatte ich mich verleiten lassen, mich für die restitutio in integrum zu verpflichten und hatte mich dadurch gebunden. Jetzt zurücktreten, hieße mein und damit das Ansehen des Europäers überhaupt bei den Eingeborenen und meinen eigenen Leuten schmälern, denn sie verständen die Motive meiner Unlust nicht. Gerechtigkeit, ein schönes Wort und ein noch schöneres Ding, aber wie läßt sich bei solchen Affären auf die Dauer Gerechtigkeit üben.
In solchen Gedanken trottete ich meist durch Dickicht und verwilderte Bananenhaine hinter meinen Vorderleuten, als ich nach zwei Stunden – der Weg schlängelte sich gerade wieder in mäandrischen Krümmungen durch dichtestes drei Mann hohes Rohr – ganz plötzlich aufgeschreckt wurde: ein paar zornige Schreie, der Führer an mir vorbeistürzend, ein Speer und gleich ein zweiter, die durch das Schilf rascheln und neben mir sich in die Erde bohren, fast gleichzeitig zwei Schüsse, ein dritter hinterher ein rauher erstickter Laut, Fußtrappeln, Grasrauschen, Zweigeknacken – dann tiefe Stille. Das geschah aber alles viel rascher, als seine Erzählung sich liest. Ich will sofort zu meinem Gewehr greifen, das mein Boy Mabruk hinter mir herträgt, aber ich greife Luft. Der tapfere Knabe hatte den Führer flüchten sehen und erblassend folgte er seinen Spuren oder zum mindesten ohne Erröten. Das sind so die treuen Diener, von denen geschrieben steht, daß sie lieber sterben, als den Herrn im Stiche lassen. Nachdem er sich wieder eingefunden und ein verächtliches moga (Feigling) empfangen hatte, das ihm aber nicht weiter wehe tat, gehe ich, das Gewehr schußfertig, vorsichtig voran. Die Spitzenaskaris sagten, daß sie mit einer bewaffneten Bande zusammengestoßen seien, von denen sie wegen der Wegwindung nur die ersten fünf hätten sehen können. Die beiden vordersten hätten sofort ihre Speere geworfen und gleichzeitig hätten sie selbst geschossen; ob sie getroffen haben, wußten sie nicht. Nach wenigen Schritten beginnt reichlich dunkles venöses Blut das Gras zu beiden Seiten zu färben und etwa 15 Meter weiter finde ich den Körper eines 30jährigen Mannes. Er lag auf der rechten Seite, den zweimal durchbohrten Schild noch in der Hand, unter ihm Bogen und Pfeile, und stieß gerade, als ich hinzutrat, den letzten Atem aus. In der Mitte der Brust zu beiden Seiten des Sternums hatte er zwei Löcher. Die Wahunde, die ihn mit Blättern bedeckten, identifizierten ihn als einen der Wanjakalunga, die sich an dem vorgestrigen Raubzuge beteiligt hatten. Das zertretene Gras am Rande des Weges und die vielen Fußspuren sprechen dafür, daß eine große Zahl von Leuten hier passiert war, und die kriegsmäßige Ausrüstung beweist, daß sie offenbar schon wieder einen Beutezug machen wollten, wahrscheinlich in der Meinung, daß ich weitermarschiert sei.
Solche plötzlichen Zusammenstöße im Dickicht enden immer blutig (ich hatte das ähnlich ja schon früher mit den Zwergen Siehe Brief XXIV. im Urwald des Mikeno-Vulkans erlebt) und ereignen sich bisweilen selbst unter friedlichen Verhältnissen. Beide Parteien, aufs ärgste erschrocken, greifen sich blindlings an, sie, die vielleicht in freier Ebene freundlich aneinander vorbeigezogen wären, »Wie ein nachdenklich Wandernder, der einen schlafenden Hund tritt, der in der Sonne liegt – wie sie auffahren, sich anfahren, diese zwei zu Tod Erschrockenen – also erging es auch uns – und doch, und doch, wie wenig hätte gefehlt, daß sie einander liebkosten – dieser Hund und dieser Wanderer.«
Nach dieser Episode ereignete sich während des Marsches nichts mehr, wir kamen in gerodetes Land und stiegen langsam zu dem hochgelegenen Kalunga hinauf, dessen 500 Hütten einen durch Quertäler unregelmäßig zerschnittenen Bergrücken bedecken, dem im Osten eine höhere Kuppe aufgesetzt ist. Die Einwohner erwarteten uns auf dem Kamm des niederen kwa Nbugu genannten Teils mit großem Geschrei und Hin- und Herlaufen und suchten uns mit kindischen Drohungen abzuschrecken. Als sie aber keine Antwort erhielten, sondern sahen, daß wir Schritt für Schritt vorwärts gingen, zogen sie sich auf die Höhe zurück. Indes kam ich in kwa Nbugu an und begann mit ihnen par distance zu verhandeln. Ich sagte ihnen, daß, wenn sie die 13 Weiber zurückgäben, ich sofort wieder umkehre, worauf sie erklärten, die Weiber nicht zurückgeben zu können, weil sie nie welche geraubt hätten. Als ich daraufhin drohe, die Unterredung abzubrechen, erschienen plötzlich drei Frauen auf dem Plan, von ihren Wahunde-Ehemännern mit großer Freude begrüßt. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn bisher hatte mich immer noch die heimliche Furcht beherrscht, von den Wahunde mit Lügen gemißbraucht worden zu sein. Nach einiger Zeit fand sich kühn und vergnügt, wie immer, Schirangalle ein und versprach, die fehlenden zehn Weiber heranzuschaffen. Die Zeit verstrich. Um 1 Uhr kamen wieder zwei, um 3 Uhr drei andere. Aber immer noch fehlen fünf. Schirangalle klagt – vielleicht aufrichtig – seine Landsleute bitter an, verwünscht seine Mission, erzählt von ihren frechen Reden, »er solle erst Stoffe von mir als Lösegeld bringen« und erklärt sich außer stande, die letzten fünf Weiber herbeizuschaffen, weil sie bereits an Händler aus Ruanda verkauft sein sollten. Dieser unverdächtige Zeuge bestärkte mich darin, nicht locker zu lassen, und ich sage daher, daß ich jetzt umkehren müsse, aber morgen früh meine Leute an den Muwimbifluß schicken würde, wohin sie die restierenden Weiber oder falls sie nicht mehr zu erreichen seien, fünf Rinder als Schadenersatz für die Männer zu bringen hätten. Er verspricht es und wir ziehen ab.
Das Dorf, dessen zahlreiche leere Rinderställe beweisen, daß die Leute für alle Eventualitäten vorbereitet waren, war inzwischen natürlich von den Wahunde tüchtig geplündert worden. Aber es steckte so voll von Lebensmitteln, namentlich riesigen Körben und Ballen mit Bohnen, daß selbst die 500 Mann nur einen kleinen Teil fortschleppen können. Die Wahunde zeigen sich entsetzlich feige. Als ich den Rückzug antrat, brach plötzlich eine Panik unter ihnen aus, weil jeder der letzte zu sein und von den Wanjakalunga im Rücken angegriffen zu werden fürchtete. So kugelten sie zu Hunderten in wilder Flucht den Abhang hinab, verfolgt vom Hohngeschrei der Dörfler auf der Kuppe, die ihre gellenden Kriegs-, Jagd- und Spottschreie ins Tal hinabriefen und unaufhörlich »Menschenfresser, Menschenfresser« johlten. Der Abhang wurde mit Bohnen, Sorghum, zerbrochenen Töpfen, Körben, Kalebassen u. a. wie besät: ich schämte mich ein wenig dieser Schützlinge, wenn sie mich nur nicht einmal aus Liebe fressen wollten! Hundemüde erreichten wir bei einbrechender Nacht das Lager!«
7. Februar. Meine Leute kehren eben von Muwimbi zurück; es waren keine Weiber da, aber auch keine Rinder, dafür hatten die Frechlinge fünf Häufchen Kuhmist sauber aufgeschichtet.
8. Februar. So zieht es mich immer weiter hinein. Mwunje verpflichtete sich, selbst die Frauen zurückzuholen, wenn ich ihn mit meinen Leuten begleiten und für den Notfall als Rückendeckung dienen würde. Ich versprach es ihm, Rückendeckung, Bauchdeckung, was er nur will, was würde ich nicht versprechen, um der Sache ein Ende zu machen und mein Bündel schnüren zu können. – Das Lager war heute schwarz von Menschen. Alle hatten sich ein welkes Bananenblatt um die Stirn gebunden, damit wir sie später als Freunde unterscheiden könnten, das große. H. U. N. Z. für den von ihnen erhofften Fall, daß wir mit den Wanjaitambi handgemein werden sollten. Diese Stelle hat verschiedene briefliche Anfragen veranlaßt. Deshalb sei erklärend gesagt, daß nach Ansicht klerikaler Kreise die Freimaurer über ein kleines und ein großes H (ilfs) u (nd) N (ot) z (eichen) verfügen, das sie zu unbedingtem Beistand verpflichtet.
Um nur einigermaßen einen Überblick zu haben, ließ ich jedes Dorf mit seinen Ältesten gesondert aufstellen und zählte so über 2000 Mann oder – wie ich nach dem neulichen terror panicus sagen möchte, 2000 Menschen, die äußerlich nicht als Weiber kenntlich waren. Man konnte deutlich zwei Typen unterscheiden – schlanke Figuren von dergleichen Gesichtsbildung wie die übrigen Bewohner der Westküste und auffallend kleine untersetzte, mit großen Köpfen, sehr platten Nasen, breiten Jochbogen und starken Kinnbacken, Batwa-ähnliche – nämlich jene: die Wahunde, die Ureinwohner des Landes und diese die Wabembe, die vor langen Zeiten aus den Waldgebieten des oberen Kongo zugewandert sind und, wie ich eine Woche später mit Grauen erleben sollte, aus ihrem Vaterlande den Kannibalismus mitgebracht haben. Auf demselben Wege wie vorgestern marschierten wir ohne Zwischenfall nach Kalunga. Der Zug dehnt sich über eine enorme Strecke aus, weil immer noch neue Nachzügler kamen, und als die Spitze schon hoch oben in den Bergen war, verließ der Schwanz dieses absonderlichen Heerwurms erst das Lager. Die tausende mit dem weißglänzenden Bananenband umwickelten Köpfe sahen aus der Vogelperspektive merkwürdig genug aus.
In Kalunga empfing mich naiv und fidel wie nur je Schirangalle mit einigen Freunden und forderte mich auf, mir einen anderen Berg als Lagerplatz auszusuchen – denn ich hatte heute alle Lasten mitgebracht. Ich hatte jedoch die Fladenkunstwerke vom Muwimbi noch nicht vergessen und empfahl ihm, sich sehr rasch zu drücken, ehe ich mein Gewehr entsichert hätte, was für Ernst gehalten wurde und ihn in die Büsche trieb. Ich lagerte auf dem mittleren Teil des Bergrückens, etwa 150 Meter von dem Fuß der höchsten Kuppe entfernt, auf der sich die Wanjakalunga, heute verstärkt durch die Wanjakiguli, in dichten Massen waffenstarrend versammelt hatten. Ich hatte mich mittags, infolge des täglichen Lärms übermüdet, für ein Stündchen schlafen gelegt. Als ich gegen 2 Uhr wieder vor mein Zelt trat, war bereits ein frischer, fröhlicher Krieg entstanden, der sich bis gegen Sonnenuntergang in gleicher Weise hinzog. Im Schatten einer Ficus saß ich in meinem Schaukelstuhl, nahm das Opernglas zur Hand und schaute nun dem kaum 200 Meter entfernt sich abspielenden Kampf – wenn man es so nennen will – in aller Gemütsruhe zu. Meine Leute, die den Befehl hatten, sich neutral zu verhalten, blieben im Lager.
Die Hälfte der Wahunde (und der Wabembe, was ich aber nicht jedesmal hinzufüge) hatte sich plündernd über die unteren Partien des Berges ergossen, die indes geräumt waren und heute nur noch wenig Beute boten. Die andere Hälfte, also etwa 1000 Mann, standen und saßen am Fuße der 50 Meter hohen Kuppe, auf der wohl auch ziemlich 1000 Verteidiger sich befanden. Der eigentliche Kampf spielte sich auf dem mäßig geneigten Abhang ab, der mir gerade gegenüber lag, also sehr bequem zu überschauen war. Ich hatte früher schon in Ruanda und Bunjabungu Kriegstänze gesehen und war nun höchst erstaunt, wie genau sie die Wirklichkeit kopierten.
Von den Wahunde rückten immer Abteilungen von 50-100 Mann vor, nämlich je ein Dorf mit seinen Chefs, während die anderen mit Beifall und Spott als Chöre auf dieser seltsamen Szene agierten. Die Spitze bildeten 2-3 Vorkämpfer, ???ßï?í ?ãáèï? die Rufer im Streit. Singend und schreiend führten sie ihre Tänze auf, duckten sich hinter den Schild, stachen rings wütend in die Erde, daß manches Gras daran glauben mußte, legten den Pfeil auf die Sehne und schossen ihn lotrecht in die Höhe, vom Beifall der Genossen belohnt, wenn er recht hoch flog oder von langgezogen gellendem Spott der Gegner verhöhnt, wenn er seitwärts vom Finger glitt, oder warfen sich platt hin, als markierten sie einen erlegten Feind und was derlei Schnurrpfeifereien mehr waren. Desgleichen taten oben auf der Kuppe die Führer der Verteidiger.
Waren sie dessen müde, so begannen sie wie die homerischen Helden endlose Reden, in denen sie den Wanjaitambi eine lange Liste ihrer Lasten und Schandtaten vorhielten, die sie an ihnen, ihren Vätern und Großvätern verbrochen hatten, rühmten die eigenen Tugenden, die Zahl der getöteten Gegner und der erjagten großen Tiere der Wildnis, hoben die Arme hoch und schüttelten die Waffen, durch ihr Klirren die Kraft ihrer Muskeln andeutend, oder warfen sich in die Brust und schlugen mit der Faust dröhnend dagegen, priesen den Zauber, der ihre Pfeile und Lanzen unwiderstehlich machen würde, apostrophierten jeden der gegnerischen Vorkämpfer einzeln, die die Antwort nicht schuldig blieben und mit Stentorstimme über den Hang hinab brüllten und immer wieder ihre Angreifer den Hyänen und Geiern verglichen, weil sie sich von Menschenaas nährten, und von hüben und drüben endete jede Rede mit dem Refrain:
Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt!
Fort mußt du, deine Uhr ist abgelaufen.
Es scheint aber, daß die Uhren hier zu Lande äußerst präzise gearbeitet werden, denn ich habe nicht bemerkt, daß am Ende des Tages auch nur eine einzige »abgelaufen« wäre; gelaufen sind nur die Vögte, und das nicht zu knapp.
Nach diesem Vorspiel, das sich bei jeder neuen Gruppe von Angreifern und Verteidigern wiederholt, beginnt die Haupt- und Staatsaktion.
Die Wahunde ziehen sich vom Fuß der Kuppe weiter zurück, damit ihre Kämpen einen Anlauf haben, während die Wanjakalunga auf den mittleren Teil des Abhangs vorspringen. Der Pfeil liegt auf dem Bogen, die Rechte spannt die Sehne – einstweilen erst mit halber Kraft – die Linke hält den schützenden Schild, hinter dessen Handgriff die übrigen Pfeile geschoben sind, und faßt gleichzeitig die Bogenmitte, um den Pfeil zu stützen, – so armiert laufen oder vielmehr springen die Wahunde, tief geduckt hinter den hölzernen, mit Weidengeflecht verstärkten Schilden ruckweise in aufgelösten Reihen über den Sattel gegen ihre Feinde vor; hinter und neben den Bogenschützen die Lanzenwerfer, ebenfalls beschildet und in gleicher Haltung. Die Wanjaitambi warten ihre Ankunft nicht ab, sondern laufen verhöhnt von dem gellenden Hi-i-i-i der nichtkämpfenden Wahunde, die ihren Schrei durch rasches Klatschen auf den Mund trillern lassen, den Hang hinauf bis zu den dichten Reihen ihrer Brüder. Inzwischen haben die Wahunde sprungweise die Mitte der Anhöhe erreicht. Hic haeret pugna denn es reizt sie offenbar wenig, sich in die geschlossene Phalanx der Wanjaitambi zu stürzen. Einige Verteidiger treten ein paar Schritte mit erhobenen Lanzen vor, und ein paar Sekunden stehen sich in lautloser Stille die Kämpfer untätig, gespannt, mit verhaltenem Atem gegenüber, hinter ihnen auf der Kuppe sehe ich keine Leiber mehr, sondern nur noch Schild an Schild. Jetzt schwirren die ersten Pfeile in hohem Bogen durch die Luft und kreuzten sich mit denen der anderen Partei; alle fliegen viel zu weit und hoch, weil die Kämpfer, weniger auf ihr Ziel als auf Dokumentierung ihrer Kraft das Augenmerk richten. Unter den Wanjakalunga muß ein Riesenkerl sein, denn sein Pfeil fliegt über 150 Meter weit bis auf den Sattel hinab und spießt sich unfern von mir in ein Hüttendach fest; auch Schirangalle sehe ich hinter seinem Schild wie ein Känguruh hüpfen und dann schießen. Als die erste Pfeilsalve verpufft ist, und die Wahunde, immer den Blick auf den Gegner gerichtet, nach dem zweiten Pfeil greifen, springen die Verteidiger in zögerndem geducktem Hüpfschritt mit erhobenem Speer vor, jeden Moment bereit, ihn zu entsenden. Ich sehe durch das Glas deutlich, wie die Schäfte vibrieren und wieder ruhen, ein Zeichen des beabsichtigten und wieder aufgeschobenen Wurfs. Die Wahunde halten nicht Stand, sondern fliehen, die hinteren Reihen abgewendet, die vorderen rückwärts oder seitwärts springend. Die Nichtkombattanten am Fuße der Kuppe erheben ein großes Geschrei, das die Nachdrängenden verwirren soll. Sobald die Flüchtenden den Sattel und ihre Brüder erreicht haben, wenden sie sich und stürzen den Wanjakalunga entgegen. Die Speere fliegen durch die Luft, wobei die Verteidiger, weil sie höher stehen, im Vorteile sind; sobald sie aber nur noch einen von ihren drei Speeren zu versenden haben, laufen sie den Abhang hinauf, unterwegs rasch die im Boden steckenden Lanzen der Wahunde auflesend. Eine kurze Strecke verfolgen diese sie noch, dann kehren sie um, die Kämpfer rücken unter ihre Landsleute ein, eine neue Abteilung geht vor, neue Verteidiger empfangen sie auf der Mitte des Hangs, und dasselbe Spiel beginnt, wie vorher durch den Prolog der Vorkämpfer oder, wenn man will, Vortänzer eingeleitet.
Inzwischen durchschreitet die abtretende Gruppe die Scharen ihrer Genossen, schweißbedeckt aber frisch, schreiend, gestikulierend, mit fröhlichem Gelächter. Die Führer werden lebhaft umdrängt, begrüßt und beglückwünscht; leuchtenden Auges, die weißen Zähne zeigend, erzählen sie prahlend von ihren Taten, berichten hundert Einzelheiten, in denen das Wörtchen »beinahe« eine große Rolle spielt, und zeigen die Stellen, wo sie den Gegner getroffen haben – »beinahe« natürlich. Ob sie es selbst glauben? Ich zweifle nicht daran. Auf der Seite der Wahunde gab es zwei Verwundete, einen kleinen Jungen, der sich mit seinem Bambusholzspeer unter das Getümmel gemischt hatte, und bei dem ich mit unbewehrtem Auge beobachten konnte, daß ihn der Gegner geschont hatte; denn er war ihm so nahe auf den Fersen, daß er ihn stechen oder nach ihm werfen konnte. Er wählte das erstere, vielleicht, weil jener noch ein halbes Kind war, vielleicht, um seinen Speer nicht einzubüßen. Der andere war einer der Stentoren, der eine mit voller Wucht geschleuderte Lanze mit dem Schild auffing, die dessen Holzbuckel durchbohrte und dann den linken Oberarm des Zurücktaumelnden streifte. Einer seiner Dorfleute legte ihm Blätter auf den Riß und band sie mit Bananenbast fest, worauf der Verwundete von Gruppe zu Gruppe ging und immer neue Details seiner Heroica zu berichten wußte.
Bis gegen Sonnenuntergang hatten etwa acht Abteilungen sich abgelöst, ohne daß die eine oder andere Partei irgend einen Vorteil erlangt oder irgend ein Kombattant den blutigen Ernst eines Krieges verspürt hätte; dann kamen meine Leute und baten mich, die Wanjaitambi zu vertreiben, weil sie sonst des Nachts gewiß einen Überfall machen würden. Immer dieselben Ängste. Ich schickte zu ihrer Beruhigung vier Askaris vor, rief sie aber schon nach 20 Schritten wieder zurück, weil dies Heraustreten aus meiner bisherigen Indifferenz allein genügte, die Wahunde zu solchem Mut zu entflammen, daß sie mit tosendem Gebrüll in gedrängten Massen den Abhang hinaufstürzten. Die Wanjaitambi, die die Ursache dieses plötzlich erwachten furor mhundicus nicht erkannten und vielleicht vermuteten, daß sich unter den Angreifern Leute von mir verbergen, gerieten in Verwirrung und jagten in wilder Flucht davon, so daß, als die Wahunde auf der Kuppe ankamen, die Verteidiger schon in unerreichbarer Ferne durch die jenseitigen Schluchten und Mulden kletterten.
Über die weiteren Ereignisse dieses Froschmäuslerkriegs im nächsten Briefe.
Insel Kwidjwi, Dezember 1901.
Der Leser wird aus der im vorigen Briefe veröffentlichten, an Ort und Stelle sofort ausführlich niedergeschriebenen und jeder schmückenden Zutat entbehrenden Darstellung mit demselben Staunen, mit dem ich es erlebte, gesehen haben, in wie kommentmäßigen, spielerischen Formen der Krieg zwischen den Eingeborenen stattfand. Ich habe wiederholt gesehen, daß die zuschauenden Chöre bisweilen sehr gut in den Kampf eingreifen, ihren Brüdern helfen und ihren Gegnern Schaden zufügen konnten. Aber sie taten es nicht, gerade als handelten sie wie die Sekundanten eines Duells nach vorgeschriebenen Gesetzen. Mehr oder weniger verlaufen so bei Stämmen, die Feuerwaffen noch nicht kennen, alle Kriege der Eingeborenen. Deshalb habe ich, als ich an anderer Stelle nach den Ursachen der Seltenheit von Negergreisen forschte, den Krieg als Ursache vollkommen ausgeschlossen. Ich erinnere mich eines charakteristischen Gespräches mit einem Häuptling in Urundi, der mir erzählte, daß er seit einem Jahre mit seinem Nachbar Krieg führe. Als ich fragte, ob er schon viel Opfer an Menschenleben gekostet hätte, antwortete er: Ach, viele, sehr viele! Und als ich weiter nach der präzisen Zahl forschte, nannte er »elf«. Und selbst diese Zahl kam nur durch einen nächtlichen Überfall zustande, bei dem es meist unverhältnismäßig viel Tote gibt; denn wenn ein einzelnes Gehöft umzingelt wird, wenn die Hütten in Brand gesteckt werden, so geht natürlich gleich die ganze schlafende Sippe zugrunde.
9. Februar. Des Nachts wurde ich geweckt, weil gleichzeitig auf der Höhe und auf dem untersten Teil des Kammes die Hütten aufloderten, trotzdem ich es Mwunje ausdrücklich verboten hatte. Ich mußte schnell die in der Nähe des Lagers abreißen. Ich habe diese Menschenmassen nicht in meiner Gewalt und werde mich deshalb bald von ihnen zurückziehen und für meine Person die Sache abbrechen.
Übrigens war es ein herrlicher Anblick, als binnen kurzem das Feuer, genährt von den wein- und siegestrunkenen Wahunde sich über die dichtstehenden Gehöfte verbreitet hatte und von der Kuppe bis zu der tiefsten Platte und auf den Gängen überall die Flammen zum nächtlichen Himmel schlugen, deren hell erleuchteter Rauch trotz der Windstille sich erst in alle Schluchten senkte und in den Tiefen unruhig wogte und flutete, zuletzt aber wieder nach oben aufstieg. Die Wohnhütten, die geleerten Vorratsmagazine, die Ställe, die Zäune – alles brannte lichterloh und überall erhoben sich kerzengerade die Feuersäulen, als wären tausend Opferbecken entzündet worden, vor denen in Raserei und Verzückung ein Volk bacchantische Feste feiert. Mein Lager habe ich in weitem Zirkel von Menschen säubern lassen, aber gleichwohl ist an Schlaf nicht zu denken, weil der Berg von wildem Lärm, Gesang und Tanz widerhallt, und dazwischen krachen die in den Bambushölzern eingeschlossenen, jetzt freiwerdenden Gase und machen ein Getöse wie Mitrailleusen.
Viele Hunderte kleiner Herdfeuer flackern bis zum Morgen, umkreist von kochenden, schwätzenden, zechenden, singenden, tanzenden Wahunde, und ich sehe vom Bett aus durch die Rahmen der Zelttür ihre dunklen Silhouetten, die meiner Schlaftrunkenheit seltsam und voller Geheimnisse zu sein scheinen in dieser wundervollen Nacht, deren stiller, klarer Sternenhimmel von dem im Westen drohend und schwarz bis in die Wolken ragenden Gebirge sich hinüberspannt nach den in fahlen Fernen verschwimmenden Bergen von Ruanda. Und wieder, wie jedesmal bei so fremdartigem Bild, beschleicht mich das Gefühl, daß ich all dies schon einmal erlebt habe in einer anderen und doch der gleichen Welt, deren Gedächtnis mir erloschen ist, und in die nur manchmal durch seltsame Erlebnisse, wie durch kleine schimmernde Spalten, zurückzublicken die Götter mir gestatten.
10. Februar. Da ein Verhandeln mit den Wanjaitambi unmöglich ist, weil seit vorgestern abend keine Menschenseele mehr sichtbar wurde, unternahm ich es gestern, durch sorgfältige Suche den geschädigten Eheleuten zu ihren fünf Rindern zu verhelfen. Aber es war unausführbar. Die Wahunde sind nicht mehr zu halten. Sobald sie auf unseren Streifzügen nach Vieh Hütten sehen, zerstreuen sie sich und brennen. Überall folgen ihren wegen Rauchsäulen. Im Laufe des gestrigen Tages kamen noch Hunderte von Weibern und Rindern mit großen Körben, um Bohnen und Sorghum nach Ujungu zu transportieren. So erklärte ich heute Mwunje, nichts mehr für sie tun zu wollen noch zu können und begann meinen Rückmarsch.
Ich lagerte bei Rigule und suchte die Wahunde zu sammeln, aber ich habe sie so wenig in der Hand, wie einst Goetz die aufrührerischen Bauern. Sobald ich einige Hunderte zusammen hatte und die anderen herbeitrommelte, verliefen sich wieder die ersten. Sysiphusarbeit. Sie ernten jetzt die reifen Bananen, aber es versöhnt mich mit ihnen, daß sie die halbreifen Feldfrüchte schonen. Kein Baum wird geschlagen, keine Kultur vernichtet. Und wer will es ihnen schließlich verübeln, daß ihre seit langen Jahren angesammelte ohnmächtige Wut jetzt Befriedigung sucht? Noch etwas freut mich. Alljährlich verkaufen die Wahunde, weil ihr Land zu klein für ihre großen Familien ist, aus Nahrungsmangel Hunderte ihrer eigenen Kinder als Sklaven nach Ruanda. Dies Jahr jedoch würden, wie sie sagen, die erbeuteten Lebensmittel es unnötig machen. Die Wanjaitambi aber haben so viel in Sicherheit gebracht, überdies in wenigen Wochen eine Ernte bereit, daß ihr Schaden trotz alledem nicht sehr groß ist; ich weiß nicht recht, ob ich gottlob oder leider sagen soll.
11. Februar. Ich kehrte nach Kurischeweri auf dem Goetzenschen Wege zurück, der dicht am See durch schattige Bananenhaine entlang führt, genau, wie ihn seine Karte markiert. Mein Zorn erwacht wieder, wenn ich daran denke, wie ich vor acht Tagen durch jenes abscheuliche Pori klettern mußte. Das zeugt deutlich dafür, daß Schirangalle von dem geplanten Überfall wußte. Nachmittag brachte man einige schwerverwundete Wahunde ins Lager; Wanjakalunga, die sich auf einer kleinen Insel verborgen hatten, überfielen sie nach meinem Abmarsch und raubten ihnen die beutebeladenen Weiber. Ich hätte trotz allen Verdrusses doch noch versucht, wenigstens diese zurückzuholen, aber die Boote, die noch in der Nacht hinfahren sollten, schickte Mwunje erst heute früh um ½6 Uhr zu mir, trotzdem ich doch mit gutem Recht sagen konnte: Tua, non mea res agitur. Aber solche Fälle von Indolenz erlebe ich täglich. Gewöhnt, erst dann etwas auszuführen, wenn es siebenmal beschlossen, ebenso oft umgestoßen und zwei Dutzend Male verschoben ist, begreifen sie den Wunsch nicht, einen Entschluß sofort in die Tat umzusetzen. »Das Eilige auf – morgen« heißt ein wichtiger Teil ihrer Lebensweisheit, der mit der Zeit auch den lange unter ihnen weilenden Europäer infiziert.
12. Februar. Ich benutze die fünf Boote, um nach Kirascha, weiter nördlich zu fahren. Die Karawane, die auf guten, planen Wegen längs des Ufers ging, kam ebenso rasch an wie ich. Die Fahrt durch die Bucht von Ubusi war bei gutem sonnigem Wetter wunderschön. Die Ufer sind fast überall von Bananenschamben bedeckt, die Berge, die bald Ausläufer in den See schicken, bald weit zurückweichen, sind reich kultiviert. Überall auf den Höhen und am Ufer stehen zwischen Hütten die Eingeborenen, die den »mami«, den »Sultan«, d. h. mich mit jauchzenden Zurufen und langgezogenen Freudengeschrei beim Vorbeifahren begrüßen. Der See, dessen Wasser die Uferberge grün färben, ist wunderbar klar. Auf 6 oder 8 Meter sieht man noch den Felsboden schimmern. Wie ein Schwarzspiegel wirft die Flut in aller Reinheit und Schärfe die Farbennüancen der Landschaft zurück. Jede Heuschrecke eines gerade über den See ziehenden Schwarmes ist deutlich in ihm erkennbar. Wir lagern in der kleinen Bucht von Kirascha.
13. Februar. Heute legte ich den letzten Teil der Wegstrecke von Ujungu und der seit Kalunga, d. h. seit vorgestern mit Graf Goetzen gemeinsamen Route zurück, zuerst zu Lande, dann zu Wasser. Eine große Flotille gab mir das Geleit. Ich selbst fuhr in breitem, schönem, von fünf Eingeborenen gerudertem Einbaum, während ein sechster vor mir auf den Bootsrändern balancierte, bald die Glieder verrenkte, bald gebückt auf die Bordwände trommelte, die Ruderer im Chor schwermütige Weisen sangen und von den Ufern her wie gestern die gellenden, trillernden Jubelschreie der Weiber über das Wasser hallten. Der letzte Teil der Küstenberge ist nur auf dem Kamme bebaut; auf den steilen Abhängen herrscht üppige Vegetation von Sträuchern, Kräutern und Schlingpflanzen, dazwischen viel Drachenblutbäume, Kandelabereuphorbien und besonders häufig eine mir unbekannte, schön stilisierte Baumart. Viel bunte Vögel, namentlich Feuer- und Blutfinken und zahlreiche schillernde Nektarinen sitzen auf den Zweigen und folgen neugierig den Booten von Baum zu Baum. Im Wasser schwimmen Taucher und Enten, oder ziehen mit gestrecktem Hals dicht an uns vorbei; auch Ottern trafen wir, die blitzschnell bei unserem Anblick verschwinden, und seit langem zum ersten Male sehe ich einen alten Bekannten von der Ugallaexpedition wieder, den Schlangenhalsvogel, der hier in derselben würdigen Ruhe mit ausgebreiteten Schwingen wie ein hölzerner Schützenadler auf einem den Wasserspiegel überhängenden Aste saß und sein schwarzes Gefieder von der Sonne trocknen ließ.
Bis zum Lager am nordwestlichen Zipfel des Sees, wo die Karawane auf großen Umwegen erst später eintraf, gab uns Mwunje das Geleit, d. h. der Pseudo-Mwunje. Trotz all meiner bezüglichen Erfahrungen und meines Mißtrauens bin ich doch wieder auf den Leim gekrochen. Denn gestern entdeckte sich unser Sultan Mwunje von selbst als sein eigener Sohn; der richtige Mwunje, sein Vater, sei alt und »fußkrank«, (natürlich;) und konnte diesmal nicht erscheinen. Ich glaube jetzt nicht einmal, daß es der Sohn des Sultans ist, aber ich schwöre, mich niemals mehr von diesen Barbaren düpieren zu lassen. Der Pseudo ist indes von mir mit Stoffen behängt worden, von denen er einen über den anderen zieht, eine wandelnde – und nicht ganz duftlose – Zwiebel. Er ist dankbarer als die Watussi vom Ostufer und hat uns in dieser Woche mehr als ein Rind als willkommene Unterbrechung des ewigen, unausrottbaren, unsterblichen Zickenfleisches gestiftet. »Gesegnet sei er allezeit, von der Wurzel bis zum Gipfel.«
Dicht neben meinem Lager ist die Grenze von Kameronse (Herrscher: Lohunga), dessen Bewohner aber das Land verlassen haben sollen. Eine dunkle Sache, aus der ich bisher nicht klug werde. Noch habe ich nichts von ihnen entdeckt, dagegen sehe ich eine große Buschwildnis, die auch das Nordufer des Kiwu, soweit es sichtbar ist, überzieht. Auf einer Rekognoszierung fand ich die Wege stark verwachsen, zum Teil sogar durch allerhand Hindernisse künstlich gesperrt. Auch ist ein schmaler, aber tiefer Bach in nächster Nähe, über dessen breites verschlammtes Sumpfbett keine Brücke führte, sehr fatal für das Vieh. Soll ich hier etwa noch einmal wiederholen, was ich an den letzten beiden Grenzen erlebte? Wir werden ja sehen. Quid sit futurum cras, fuge quaerere. Gegen Abend empfahl sich der Pseudo mit all seinen Leuten, dankte noch einmal manierlich und ließ mir dann zwei junge Bengel als Führer da. Er versprach mir, wenn ich das nächste Mal wiederkäme, Elfenbein, wovon er augenblicklich (??) nichts hätte.
Als die Boote um das nächste Kap herumbogen, hörte ich noch einmal seinen und seiner Leute gellenden Ruf. Zum letzten Male: denn ich hatte keine Gelegenheit mehr, ihn wiederzusehen, trotzdem ich mehrfach in seiner Nähe verweilte. – – – – – – – – – – – – – – – – –
Nicht lange nach meinem Abmarsch fiel Kalimimwumba, nachdem er Kiguli und Kalunga wieder aufgebaut hatte, in Ujungu ein, um seine »Bohnen« zurückzuholen, ging aber wieder fort, als Mwunje drohte, zu mir nach Ruanda zu schicken, von wo er meine Ankunft gehört hatte. 1½ Monate später, als ich gerade den dritten Tag an meinem Dorf »Bergfrieden« im Süden des Sees baute, erschien plötzlich Schirangalle mit großem Hallo und Gelächter, als sei nie etwas zwischen uns vorgefallen, brachte mir Grüße von Kalimimwumba und die fünf Rinder, die er für die geraubten Ehefrauen hergeben sollte. Wenn du sie für dich verlangt hättest, sagte er, hätte Kalimimwumba sie dir gleich gegeben, aber für diese buljoko, diese »Menschenfresser«? Jamais. Man hat also auch seine Ehre. An diesem Tage wurde Schirangalle zu meinem Hoflieferanten in Fischen und Flaschenkürbissen (zum Buttern) ernannt und ist es bis zum heutigen Tage geblieben. – – – – – – – – – – – – – – – –
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Ich möchte von diesem Kapitel, das unter dem Zeichen des Ares stand, und das ich, wenn nicht mit Blut, so wenigstens mit roter Tinte hätte schreiben sollen, nicht scheiden, ohne den Bericht eines Disputs anzuknüpfen, den ich mit einem der Gegner, die ich mir von Zeit zu Zeit einbilde, um Gehirn und Eloquenz nicht einrosten zu lassen, im Geiste ausgefochten haben. Das muß man, denn sonst würden gewisse intellektuelle Zentren rettungslos veröden und m anverwandelte sich in der afrikanischen Einsamkeit allmählich zu einer Art sensualem Ganglion.
Dieser Gegner stellte sich mir breit in den Weg und fragte mich zunächst, woher ich, als Privatmann und Forschungsreisender die Legitimation nahm, mich in den häuslichen Streit der Eingeborenen, noch dazu auf kongostaatlichem, also fremdem Boden zu mischen, und wie ich es rechtfertigen wolle, daß diese Einmischung Opfer an Menschen und Vermögen verursacht habe, möge man sie so hoch oder gering einschätzen, wie man wolle.
Auf diesen Punkt antwortete ich folgendes: »Sie fragen nach meiner Legitimation. Ich befand mich allerdings auf unbestritten kongostaatlichem Gebiet, und also wäre es meine Pflicht gewesen, statt selber einzugreifen, dem nächsten kongostaatlichen Posten von dem Übergriff der Wanjakalunga Mitteilung zu machen. Aber wie stand es damit? Als ich diese Reise von Usumbura aus antrat, war der Kongostaat nicht einmal Herr über die Hälfte seiner Tanganikaküste, geschweige über diese entlegenen Gegenden. Sein nächster Posten befand sich in Mtoa, mehr als 400 Kilometer von mir entfernt, und wurde, wie die ganze Straße dorthin, von Rebellen beunruhigt. Sollte ich warten, bis es ihm gelungen war, sich zu befreien und inzwischen jede Freveltat der Eingeborenen übersehen? Außerdem war ich der einzige Europäer in einem sehr umfassenden Gebiet, und dies legt gewisse Verpflichtungen auf. Wenn ich den nächsten Europäer – gleichviel ob Offizier, Missionar oder Händler erreichen wollte, so hätte ich nach Süden 220 Kilometer bis Usumbura, nach Osten mehr als 300 bis Bukoba, nach Norden ebensoviel bis zur nächsten englischen Station in Unjoro und nach Westen zirka 600 Kilometer bis zum Kongo laufen müssen. Da innerhalb dieser doch nicht ganz kleinen Landscheibe von rund 350 000 Quadratkilometern niemand anders als ich selbst mit meinen sieben Gewehren mich schützen konnte, mußte ich auch das Recht haben, die Eingeborenen so zu behandeln, wie mein Gewissen es mir gestattete – ich meine übrigens nicht ein ad usum occasionis konstruiertes afrikanisches, sondern ein ganz gewöhnliches Gewissen europäischer Herkunft. Denn es ist durchaus nicht so, wie manche Leute gern möchten, daß Afrika alles entschuldigt; an sich entschuldigt es überhaupt nichts, von Wesentlichem nichts, einfach nichts. Aber das nebenbei.«
»Schön«, sagte mein Gegenpaukant, »das läßt sich hören. Doch gesetzt auch, daß Ihr Eingriff sich legitimieren läßt, so bleibt mir doch manches an Ihrem Verhalten dunkel. Vielfach habe ich das Gefühl, daß Sie nur mit halber Seele auf Ihr angebliches Ziel, die restitutio in integrum, hinarbeiteten, die Sie überdies gar nicht einmal erreichten. Im ganzen habe ich den Eindruck, daß Sie etwas mochten und nicht konnten, oder konnten, aber nicht mochten. Nur weiß ich nicht was, weil Sie es verschleiern.«
»Ich verschleiere nichts«, entgegnete ich, »und hatte auch keinen Grund dazu. Aber, daß ich – was auch vorausging – gleichwohl nur mit Unlust mich feindlich zu den Eingeborenen stellte, daß es mir, wenn auch in diesem Falle nicht so stark wie sonst, geradezu widerwärtig war – das ist, was Ihnen als Äußerungen einer »halben Seele« erschien. Die Wanjakalunga waren in Ujungu eingefallen, trotzdem ich am gleichen Tage das Land betreten sollte; sie hatten meinen Namen gemißbraucht, als sie behaupteten, von mir autorisiert zu sein; sie hatten mich irregeführt, um ungestört ihren Raubzug auszuführen – das waren nicht ganz alltägliche Dreistigkeiten, die unter Umständen verhängnisvoll werden konnten; denn hätten die Wahunde nicht schon früher einmal einen Europäer kennen gelernt und einen Europäer, der wie Graf Goetzen ihr Vertrauen gewonnen hatte, so hätten sie die Lügen der Wanjakalunga geglaubt, ich hätte bei meinem Durchzuge ein leeres Land gefunden, Lebensmittel wären knapp oder gar nicht aufzutreiben gewesen, und meine Expedition wäre im weiteren V, wenn nicht zu Grunde, so doch arg in die Brüche gegangen. Nämlich nur der reichen Nahrung in Ujungu verdankten wir es, daß die Katastrophe, die sehr bald über uns hereinbrach, in ihrem Umfange beschränkt blieb. Ich hätte bei meiner Abneigung gegen alle den Zweck meiner Reisen störenden Zusammenstöße vielleicht gleichwohl krumm gerade sein lassen, – vielleicht! – wenn ich nicht in dem leider unangebrachten Selbstvertrauen, meiner Pappenheimer sicher zu sein, von vornherein gesagt hätte, daß ich nicht eher fortgehen würde, bevor der den Wahunde zugefügte Schaden repariert wäre. Sobald ich dies – mag sein, allzu rasch – ausgesprochen hatte, war ich der Knecht meiner Worte. Denn nichts, das ist mein Dogma (vielleicht ein falsches, gleichviel) nichts zerstört so sehr das Ansehen der Europäer bei den Schwarzen, als Wankelmütigkeit, leere Drohungen oder leere Versprechen und Inkonsequenzen. Und die ersten Europäer, die sie kennen lernen, sind naturgemäß lange Zeit für die Beurteilung all ihrer Nachfolger maßgebend.
Auch was sie von »konnten« und »mochten« sagten, enthält einen wahren Kern. Ich »konnte« die Wanjakalunga sehr empfindlich an Leib und Gut strafen, wenn ich von Anbeginn rücksichtlos vorgegangen wäre, aber »mochte« es nicht, weil ich sie zu wenig kannte, um der Furcht enthoben zu sein, daß summum ius summa iniuria werden könnte, und ich »mochte« den Wahunde mein Wort bis zum letzten Tipfel erfüllen, »konnte« es aber nicht, in erster Linie wegen ihrer Indolenz, dann aber auch, weil es mich fortdrängte. Denn dies Motiv war nicht grundlos sehr mächtig in mir, nicht wegen des pekuniären Verlustes, denn der war ziemlich gering, sondern die Vergeudung einer ganzen Woche war mir ärgerlich, da ich der wenigen Träger wegen auch nur wenig Tauschwaren mithatte, und tatsächlich verhinderte dieser Zeitverlust mich im weiteren Verlauf der Expedition, das mir gesteckte Ziel vollkommen zu erreichen.
Endlich sagen Sie, daß mir die restitutio in integrum ja doch nicht geglückt wäre. Das ist wohl richtig, aber ich habe doch immerhin von 13 Weibern 8 zurückgeschafft und für die fehlenden dem Stamme durch die reichliche Gelegenheit, seine Nahrungsmittel zu ergänzen, die Möglichkeit gegeben, sich Hunderte von Kindern zu erhalten – zum mindesten für ein Jahr zu erhalten, die sonst, wie schon mein Tagebuch vom 10. Februar erwähnte, der Sklaverei verfallen wären. Und schließlich ist ja auch der ethische Gewinn zu verzeichnen, daß beide Völker gesehen haben, daß der Europäer nicht nach Willkür, sondern nach dem Prinzip handelt, den unschuldig leidenden Teil zu unterstützen, den angreifenden abzuwehren – et parcere subjectis et debellare superbos.«
Damit endete unser Disput, den ich aus mehr als einem Grunde nicht unterdrücken wollte. – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Es bleibt mir nur noch übrig, einen kurzen ethnographischen Rückblick auf die Völker der Westküste zu werfen, ohne bereits erwähntes zu wiederholen. Da in diesem Kapitel soviel von Kämpfen und Kriegskunst die Rede war, lohnt es sich wohl, die Waffen dieser Stämme an den Anfang der Erörterungen zu stellen. Ein tüchtiger Ethnograph kann überhaupt aus der Bewehrung eines barbarischen Volkes viel Schlüsse ziehen; »zeige mit deine Waffen und ich werde dir sagen, wer du bist.« Am interessantesten sind die Bogen der Ujungu-Leute. Die der meisten Wanjabungu Siehe Brief XXX. und Wanjaitambi sind in keiner Weise originell. Es sind die üblichen walzrunden Hölzer mit spitz zulaufenden Enden und einer Darmsehne. Diese Bogen finden sich auch in Ujungu, aber nur zu etwa dreißig Prozent. Die übrigen siebzig Prozent sind zusammengesetzte oder besser verstärkte Bögen, wie ich sie früher bei den Zwergen gefunden hatte Siehe Brief XXV.. Damals erschien mir, wie auch Herrn Professor v. Luschan, dies isolierte Vorkommen rätselhaft; aber in dies Rätsel brachte mein Aufenthalt in Ujungu Licht, weil es sich zeigte, daß nicht allein die Batwa diese Bögen haben. Zwar wurde mir in Ujungu gesagt, daß diese Bögen Batwa-Bögen seien, als ich aber nach der Art ihres Imports forschte, stellte es sich heraus, daß die Wabembe, die vielfach Brüder der Batwa genannt werden, sie im Lande selbst fabrizieren. Nach meiner Überzeugung sind diese verstärkten Bambusbögen überhaupt nicht Batwa- sondern Waregga-Bögen d. h. allen Waldvölkern des Oberkongo eigen und von ihnen erst an den Kiwu gebracht worden, also nicht so isoliert, sondern über ein großes Gebiet verbreitet. Ein kleiner Unterschied zwischen den Bögen der Wabembe und der Batwa besteht vielleicht in der Befestigung des Zopfes an den Sehnen.
Groß ist auch der Unterschied zwischen ihren Pfeilen. Gemeinsam ist ihnen nur, daß ihr Ende nicht gespalten ist – weil sie ja nicht einem dünnen Darm aufsitzen – sondern breit, wie es der breiten Bambussehne entspricht. Die Batwapfeile, die ich nach Berlin sandte, sind wahre Perlen der Pfeilmacherkunst. Sie haben Eisenblätter, eine ganz eigenartige Bügelfiederung und eine trommelschlägelförmige Anschwellung am Sehnenende. Die Pfeile von Unjungi hingegen sind ganz aus Holz, achtzig Zentimeter bis ein Meter, also sehr lang und bestehen aus zwei ineinandersteckenden Teilen. Der obere trägt unter der Spitze einen oder zwei oder drei seitliche Widerhaken – notabene alles aus einem Stück Holz. – Merkwürdig ist ferner, daß sie nicht befiedert sind, sondern am unteren Ende einen Spalt haben, durch den der Kämpfer vor dem Kriege frische Feigenblätter hindurchschiebt, so daß je eine Hälfte nach beiden Seiten herausschaut. Das war also eine sehr interessante Überraschung für mich, die mir nebenbei zeigte, wie sehr ethnographische Forschungen vom Zufall abhängen. Denn zwar nicht Goetzen selbst, aber die beiden anderen Herren seiner Expedition waren 5-6 Tage in Ujungu gewesen, ohne diese Bögen, deren es dort tausende gibt, zu Gesicht zu bekommen. Es wäre mir, da die Leute aus Höflichkeit gegen den Europäer, und um ihm ihre friedliche Gesinnung zu zeigen, keine Waffen tragen, ebenso ergangen, wenn ich nicht zufällig Zeuge ihres Krieges geworden wäre. Die Pfeile der Wanjabungu erwähnte ich früher und der Vollständigkeit halber sei noch gesagt, daß die der Wanjaitambi, sofern sie an der Grenze nicht Wabembe-Bögen haben, die gewöhnlichen afrikanischen Eisenblattpfeile sind.
Und nun die Speere. Ich habe eigentlich fast nirgends in Afrika durchweg uniforme Speere bei einem Stamm gefunden, und ebenso auch nicht am Westkiwu. Die Lanzenblätter der Wabembe zeichnen sich durch Extravaganzen aus; sie sind z. B. 70 Zentimeter lang und ganz schmal oder Trapeze, deren kurze Diagonale 20 Zentimeter und darüber breit ist; oder die Speerzwingen sind fast einen halben Meter lang. Sie sind sehr gut geschmiedet und werden deshalb augenblicklich schon von fremden Händlern exportiert. So passierte dieser Tage ein Araber meine Insel, der 80 Stück nach dem Tanganika ausführte. Interessant waren auch die Speere der halbwüchsigen Jungen von 12-15 Jahren. Sie hatten keine Eisenspitze noch Zwinge, sondern waren ganz aus Bambusholz geschnitzt, z. T. sehr geschickt in den Einzelheiten der Eisenimitation.
Die Schilde der Völker am Westkiwu sind wie die im Osten (Ruanda) oval oder viereckig mit abgerundeten Ecken, aus Holz, das auf der Vorderseite mit Weiden überflochten ist, die horizontal oder schräg laufen. Sehr beliebt ist es, Glimmerplättchen zwischen die Flechten zu stecken. In der Mitte der Vorderseite befindet sich der Nabel, d. h. ein Buckel, der in Ruanda spitz, im Westen meist flach ist. Bei den Wahunde fanden sich noch andere Schilde, die die Häuptlinge trugen. Sie sind sehr hoch und breit, viereckig, rot bemalt, mit Fellstreifen eingefaßt, eminent geschickt aus Rohr geflochten und daher sehr elastisch; nur auf der Rückseite, gleichzeitig als Griff dienend, befindet sich eine ovale, ornamentierte Holzplatte. Der Ethnograph wird aus der Beschreibung leicht ernennen, daß es sich hier um Schilde vom Oberkongo handelt, die zweifellos auch von den Wabembe importiert worden sind. Über ihre Keulen und Sichelmesser brauche ich nichts zu sagen, da sie denen in Ruanda entsprechen.
Kleidung, Frisur, Schmuckgegenstände sind bei allen Völkern des West-Kiwu im wesentlichen uniform; ich kann also auf meine frühere Schilderung der Wanjabungu verweisen; dagegen will ich noch einige Äußerlichkeiten erwähnen, die ich damals noch nicht kennen gelernt hatte. Selbstverständlich kann ich an dieser Stelle nur eine Auswahl der interessanteren treffen, und ich benutze dazu meine Sammlungen, um dies oder jenes Stück aus ihnen herauszugreifen. Im Norden von Bunjabungu beginnen Ringe aus Elfenbein für Handgelenk und Oberarm häufig zu werden; in Itambi treten sie noch vermehrter auf, und in Ujungu trägt sie jeder dritte Mann. Ich habe mir lange den Kopf zerbrochen, wie die Handwerker dies spröde Material bewältigen, und erst in allerjüngster Zeit erhielt ich die doppelseitige, von zwei Männern gehandhabte Säge, mit der der Zahn in Scheiben zersägt wird und den kleinen Holzmeißel, mit dem die Scheiben zu Ringen bearbeitet werden. Dabei zerbrechen die Ringe häufig, und es ist interessant, zu sehen, wie die einzelnen Stücke durch Grasflechtwerk kunstvoll aneinander gefügt werden.
Häufig ist ferner ein Hals- und Brustschmuck aus kurzen Elefantenbabyzähnen, die wie Dominosteine mit schwarzen Kreisen ornamentiert werden. Auch Wildschweinzähne dienen als Zierden, meist für den Kopf. Sie werden entweder flach auf den vorderen Teil des Schädeldachs gelegt oder sagittal, so daß der dünne, spitze Teil nach vorn und oben ragt. In Ujungu trug man auch Halbmonde à la Diana; sie bestanden aus zwei Eberzähnen, deren dicke Enden aneinandergelegt und mit einem Lederscharnier verbunden waren.
Vielfach sah ich Kämme, die an einer Schnur getragen werden mit drei bis sechs Zinken, zum Teil sehr hübsch aus Holz geschnitzt, und Nadeln zum Schlichten des Haares aus Holz, Horn, Knochen und anderem Material; diese meist zwischen das krause Gelock gesteckt. In Ujungu fand ich, namentlich bei den Fischern, sehr oft fingerlange und längere Nähnadelbüchsen aus Bambus mit selbstgeschmiedeten Nadeln und kleinem Schleifstein.
Ferner erwähne ich aus meiner Sammlung eiserne runde Löffel mit sehr langem Stil aus einem Stück, um Kohlen in die Tabakspfeifen zu legen; von Armbändern, Eisenrinnen, deren Höhlung mit Wachs und Zahnsplitterchen ausgefüllt ist, oder Perlen in Leder gefaßt; ferner Wadenringe aus Eisendraht mit Messingröhrchen verziert, kleine Federbüschel als Kopfschmuck zum Auf- und Zuklappen wie ein Schirm en miniature, lange, eiserne Gliederketten, besonders von Frauen getragen; viereckige Diademe aus Kaurimuscheln auf Leder genäht; Glocken aus Holz als Armzier; einen ornamentierten hölzernen Fischkasten, zierliche Ölfläschchen, Prunkbergstöcke aus Eisen oder Messing, Brutkörbe für Hennen aus Strohgeflecht in Form riesiger Schuhe, Holzgefäße aller Art, Krüge, Schalen, mit langem und kurzem Schnabel, mit und ohne Fuß usw.; ferner sehr originelle, dreißig Zentimeter lange, auf dem Rücken getragene Felleisen für das Feuerzeug, die derart gearbeitet waren, daß man zwei, drei sackartige Felle ineinandergeschoben und über den oberen geschlossenen Teil eine Lederkappe gestülpt hatte; die Reibehölzer und -Bretter schauten am unteren offenen Ende, heraus, ohne hinunterzufallen, weil die Kappe sie fest aneinanderdrückte.
Endlich erwähne ich noch Messer, von denen es alte möglichen Arten gab. Da waren kleine, schmale in Holzscheiden, die unten schuhförmig endeten; sie wurden am Oberarm getragen. Andere waren wie Lanzenklingen, aber ornamentiert: sie dienten den Weibern dazu, das Unkraut in den Feldern zu jäten. Ganz kleine, reich verzierte Klingen ohne Griff aber mit eiserner Öse trugen Männer und Weiber als Rasiermesser für das Haupthaar und schließlich gab es noch sehr sonderbare Messer mit einer langen schmalen und einer breiten, dreieckigen Klinge aus einem Stück, die zum Rasieren und Entfernen der Sandflöhe dienen und in nicht minder merkwürdigen Scheiden getragen wurden.
Ich könnte noch vieles andere anführen, aber ich beschränke mich auf das bisherige, weil solche Sachen ja ohne Abbildungen schwer wirksam beschrieben werden können.