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Mkingo, 14. Juni 1898. Nun lagere ich mitten in diesem seltsamen Lande im Schatten eines Haines von uralten Bäumen vor den Toren der Residenz, die auf einem, langen flachen Rücken, ein wenig tiefer als unser Lager, auf Schußweite vor unseren neugierigen Blicken sich ausdehnt.
Ruanda! Vor zwei Jahren meinen Ohren ein fremder Schall; und nun sitze ich hier, in seiner Hauptstadt, harre der Unterredung mit seinem Herrscher, um einen Platz von ihm zu erbitten, auf dem ich mich niederlassen kann und bin entschlossen, drei, vier Jahre meines Lebens mit seinen Geschicken zu verknüpfen, wahrlich, die Wege, die das Schicksal uns führt, sind oft so sonderbar. – – – – – – – – –
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Graf Goetzen war es, der uns die erste sichere Kunde von diesem Lande brachte, dessen Grenze selbst die Araber auf ihren Sklavenjagden gescheut hatten. Als Goetzen von seiner Durchquerung Afrikas zurückkehrte, berichtete er von den merkwürdigen Eindrücken, die er in diesem Gebiete erlebte. Alles was ihm in den vier Wochen, in denen er, für seine und unsere Wünsche allzu rasch, Ruanda durchzog, zu Gesicht kam und begegnete, schien ihm überaus fremdartig und von allem früher und später Beobachteten grundverschieden. Er fand ein ungeheures Grasland, das von Ost nach West allmählich von 1500 bis 2500 Meter ansteigt, reich an Gewässern und mit herrlichem Klima; er fand in ihm nicht, wie in den übrigen Teilen der Kolonie, eine spärliche, sondern eine nach Hunderttausenden zählende Bevölkerung von Bantunegern, die sich Wahutu nannten; er fand dies Volk in knechtischer Abhängigkeit von den Watussi, einer fremden semitischen oder hamitischen Adelskaste, deren Vorfahren aus den Gallaländern südlich Abessiniens kommend, das ganze Zwischenseengebiet sich unterworfen hatten; er fand das Land eingeteilt in Provinzen und Distrikte, die unter der aussaugenden Verwaltung der Watussi standen, deren riesige, bis über zwei Meter hohe Gestalten ihn an die Welt der Märchen und Sagen erinnerten, und an ihrer Spitze einen König, der im Lande ruhelos umherziehend, bald hier, bald dort seine Residenzen erbaute. Und schließlich hörte er auch noch von Resten eines Zwergstammes, den Batwa, die in den Höhlen der das Land im Norden überragenden Vulkane als Jäger des Urwaldwildes hausen sollten.
Nun darf ich all dies mit meinen eigenen Augen sehen, und mehr als dies, darf jahrelang als freier Forscher alle Zusammenhänge dieses komplizierten Organismus bis in seine feinsten Zellen ergründen und festlegen, ehe noch der Einfluß abendländischer Kultur durch Mission und Verwaltung ihn mit fremdartigen Elementen durchsetzt hat. Kein Wunder, daß ich mich durch solche Aussicht gehoben fühle und der kommenden Zeit mit Sehnsucht entgegenschaue und entschlossen bin, ohne Verzagtheit alle Entbehrungen physischer und geistiger Art auf mich zu nehmen. – – – – – – – – – – – – – – – – –
Aber genug hiervon und zurück zur Gegenwart. Möge mein Tagebuch für mich sprechen.
Als ich vor vier Tagen am Akanjaru den Häuptlingen meinen Entschluß mitteilte, den König aufzusuchen, merkte ich bald, daß diese Nachricht bei ihnen aus mir unbekannten Gründen peinliche Gefühle auslöste. Schon in ihren Angaben über den Platz, an dem sich ihr König befinden sollte, verhielten sie sich unsicher und widersprechend. Nur durch die Wahutu erfuhr ich, daß er drei bis vier Tage südwestlich in einer erst kürzlich bezogenen Residenz namens Mkingo weile.
Die Wahutu benehmen sich recht sonderbar. In Gegenwart ihrer Herren ernst und reserviert und unseren Fragen ausweichend; sobald aber die Watussi unserem Lager den Rücken gekehrt haben, und wir mit ihnen allein sind, erzählen sie bereitwillig fast alles, was wir wünschen und vieles, was ich nicht wünsche, denn ich kann den zahlreichen Mißständen, über die sie klagen, ihrer Rechtlosigkeit, ihrer Bedrückung, doch nicht abhelfen. Ich habe sie einige Male auf Selbsthilfe verwiesen und leicht gespottet, daß sie, die den Watussi an Zahl hundertfach überlegen sind, sich von ihnen unterjochen lassen und nur wie Weiber jammern und klagen können. Vielleicht war dies unvorsichtig von mir, und vielleicht ist einiges davon zu den Ohren der Häuptlinge gedrungen, die infolgedessen fürchteten, daß ein allzu intimer Verkehr mit mir sie bei Hofe kompromittieren könnte, denn auf dem ganzen Weg bis hierher hielten sie sich abseits und übersahen meine Karawane vollkommen. Auch Führer zu erhalten, war sehr schwer, und diejenigen, die sich dazu bewegen ließen, zeigten recht deutlich, daß sie mich um keinen Preis bis zur Residenz selber führen wurden. So mußte ich täglich neue suchen und auf dem letzten Marsche kehrte der Führer auf halbem Wege um und sagte ganz offen, daß man ihn töten würde, wenn er den Fremden bis zur Hauptstadt begleitete. Es war ganz offenbar, daß die Leute nicht wußten, wie sich der Hof zu meinem Kommen stellen würde.
Übrigens war der Weg auch so nicht zu verfehlen. Täglich begegnete man Trupps, die in Körben Gefäße mit Milch und Bananenwein zur Residenz trugen. Auch kleine Karawanen sah man, meist Unterhäuptlinge, die ihren am Hof weilenden Oberen Lebensmittel oder Tributsendungen für den König brachten. Je näher man der Residenz kommt, um so häufiger sieht man von allen Himmelsrichtungen derartige Gruppen heranziehen oder man trifft sie, wenn sie auf dem Rückmarsch in ihre Heimat, stumm und ohne Gruß, stolz an uns vorüberziehen. Auf allen Bergen sah man kleinere und größere Kuhherden weiden, deren Milch für die große Menge der am Hofe Schmarotzenden bestimmt ist.
Endlich ist auch der letzte Berg erstiegen und von seiner Höhe sehen wir auf dem jenseitigen Rücken die Wohnstätte des Herrschers; einen großen Komplex von Rundhütten mit einem Gewirr enggeflochtener Zäune, die große Höfe umschließen. Als Stützen der Zäune dienen Ficusbäume, die Wurzel geschlagen haben und mit ihren breiten Laubkronen dem Ganzen eine freundliche Färbung geben. In weiter Runde sind auf den Rücken und Abhängen Hütten aller Art zerstreut, große für die Vornehmen und kleine für die Lehnsleute; teils sauber für längere Benutzung hergestellte; teils elende Baracken für flüchtig Verweilende.
Aber immer wieder kehrt doch das Auge zu der Residenz selbst zurück, die einen fremdartigen Eindruck macht und doch auch unbestimmte Erinnerungen an mir bekannte Bilder wachruft, ohne daß ich gleich weiß, in welchem Bezirke der Vergangenheit ich sie suchen soll. Ich grübele darüber während einer kurzen Rast, die die Karawane zum Aufschließen benützt, grübele und finde mich doch nicht in all den Gesichtern zurecht, die aus irgend einem verborgenen Winkel meines Hirns von langem Schlaf sich erheben. Ich denke an Gemälde des Orients, selbst an russische Städtebilder, trotzdem dies Narretei ist, und ich mir bewußt bin, daß es nur die fünf, sechs hohen Rundhütten, die hundert kleine wie Kuppeln überragen und die aus der Ferne gleich weißen Steinmauern schimmernden Zäune sind, die an Bilder aus dem Reiche des Zaren mich erinnern; und zuletzt übermannt mich wieder das Gefühl, dessen ich schon einige Male während dieser Reise beim Anblick besonders seltsamer Szenerien nicht Herr geworden bin, das dunkle beklemmende Gefühl, daß ich all dies schon einmal in einem anderen, versunkenen und vergessenen Leben geschaut und empfunden habe.
Sobald der vor mir schreitende Fähnrich mit dem in einem kurzen Windstoß lustig flatternden Banner auf dem letzten Kamm auftauchte, beginnen wie auf Verabredung die Berge rings um die Residenz sich mit Leben zu erfüllen. Aus allen Pfeilen der Windrose sieht man viele hunderte von Gruppen, zehn, zwanzig Mann stark, einzelne auch viel zahlreicher, mit geschulterten Lanzen sich auf den Herrschersitz zu bewegen. Und schon arbeitet die Phantasie wieder und sieht aus vergilbten Kupferstichen und verschollenen Büchern die Fähnlein der Ritter und Knappen in diesem verborgenen Winkel Afrikas zu neuem Leben erweckt. Ein seltsames Bild: die tausende von schwarzen Gestalten mit im Sonnenschein funkelnden Speeren, grelleuchtende Farben bunter Tücher, auch ein paar Sänften, die mit gelbschimmernden Matten bedeckt sind, lange Karawanen mit Krügen und Körben – und all dies wie Bäche, die einem See zufließen, auf den hellen Linien zahlloser, oft sich kreuzender Fußpfade über alle Rücken und alle die gelbgrünen Hänge, zwischen Hütten und Höfen, durch schnittreife Hirsefelder und Bananenhaine sich windend, durch morastige Schilftäler und träge Bäche watend, zu immer größeren Massen sich vereinend und zuletzt wie eine dicke buntgefleckte Riesenschlange sich rings um die äußerste Umzäunung der Residenz legend.
Indes wir langsam hinabsteigen, kommen uns zwei Abgesandte des Königs entgegen und treffen uns im Tal. Sie bringen mir den Wunsch ihres Herrn, ich möge nicht mehr näher herankommen, sondern an Ort und Stelle lagern. Dies war ein wenig viel verlangt; denn als ich mich umsehe, konstatiere ich, daß der Boden fast überall morastig und mit kleinen durch Eisenoxyd rotgefärbten Pfützen bedeckt ist. Außerdem sind wir hier schutzlos der sengenden Glut der Sonne ausgesetzt. Ich bedauerte höflich, den Wunsch des Königs ablehnen zu müssen und zeigte auf einen mit großen Bäumen bedeckten Berg, auf dem ich lagern wollte. Nach einigem Hin- und Herparlamentieren ist es ihnen recht so, und während der eine mit langen Schritten davoneilt, setzt sich der andere an die Spitze der Karawane und schreitet uns mit langsamem, zögerndem Gange voraus.
Bald näherten wir uns der Residenz. Die Gruppen rechts und links des Weges werden dichter, bis wir zuletzt zu jeder Seite sechs, sieben Reihen kauernder von ihren Lanzen überragter Massen haben, die stumm unseren Zug an sich vorübergehen lassen. Alle 15 bis 20 Schritt steht einer der riesigen Watussi, fast jeder in ein Tuch von anderer Farbe gehüllt, auf seine Lanze gestützt und blickt halb verdrossen, halb verächtlich auf die Zwerge, die an ihm vorüberziehen. Das Haupttor der Residenz war von schwarzen Leibern dicht verbarrikadiert, als ob sie gefürchtet hätten, daß ich, ohne angemeldet zu sein, eindringen würde. Noch etwa 600 Schritt jenseits der Residenz führte der Pfad in sanfter Steigung uns zu den uralten Bäumen hinauf, unter denen ich lagerte.
Aber ich bin todmüde und will, was sich sonst noch am heutigen Nachmittag ereignete, morgen beschreiben.
Mkingo, den 15. Juni. Es ist sechs Uhr morgens und schauerlich kalt. Von meinem Lager aus blicke ich nach Süden und Norden in weite Fernen; fünf, sechs Ketten von fast gleicher Höhe laufen einander parallel, lange monotone, sanft gewellte Rücken, die bis vor wenigen Minuten von den Spitzen riesiger, blauschimmernder Berge überragt wurden. Mein Herz klopfte, als ich sie sah; denn ich wußte, daß es nur die Wirunga sein könnten, die Vulkane. Ich schätze, daß sie mehr als hundert Kilometer von hier entfernt liegen. Solch ungeheure Gipfel in weiter Ferne üben auf die Herzen der Menschen einen sonderbaren Zauber aus; selbst meine nüchternen Träger rissen die verschlafenen Augen auf und starrten lange zu ihnen hinüber. Jetzt sind sie unsichtbar geworden, denn die Sonne, die hinter den flachen Bergen von Bugessera auftauchte, saugte rasch die Nebel auf, die in dicken, weißen Schwaden die von kleinen trägen Bächen durchflossenen Schilftäler bis zur halben Höhe der Hänge füllten, und mischte in die bis dahin so klare Luft flimmerigen Dunst, der die Fernsicht beschränkt und ein Herold der heuer später als andere Jahre beginnenden Trockenzeit ist.
Früher als sonst erhob ich mich heute von meinem Lager; denn die fremdartigen Eindrücke der letzten Tage ließen mich nicht schlafen und oft stand ich auf und schaute in die schweigende Nacht hinaus, und hinüber zu den Hunderten kleiner Feuer rings um die Residenz, von denen sich die Silhouetten kauernder Posten abhoben. Dort drüben schlief er, den Graf Goetzen eine der letzten Säulen der alten afrikanischen Despotenherrlichkeit genannt hat. Ob auch ihn wohl die Unruhe vom Lager trieb? Ob auch er wohl in die Nacht hinausstarrte und sich Rechnung ablegte über die Bedeutung, die das Eindringen der »roten Männer« in die Abgeschlossenheit seines Landes für die Zukunft der Jahrhunderte alten Herrschaft seines Stammes haben wird? – – –
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Noch vor fünf Jahren lag sein Reich wie eine trotzige Burg da, die seltsam ungeheuerliche Gerüchte und phantastische Märchen wie mit Wall und Graben umschlossen. Damals aber kam eines Tages die Rede zum König, daß drei Männer aus der Zahl der Andersfarbigen sich der Südgrenze seines Landes näherten, über die schon in den letzten vierzig Jahren manch seltsame Kunde durch Handelsleute benachbarter Stämme zu ihm gedrungen war. Das Gerücht fand bald Bestätigung durch Spione, die er den Fremden bis zu Kassussura von Ussui entgegengeschickt hatte. Und dann kamen sie selbst, blieben wenige Tage in dem unwirtlichen Kingogo und zogen nach Westen weiter. Fremdartig, aber nicht schreckhaft anzuschauen. Schreckhaft nur die geheimnisvolle Macht, die sie über das Feuer besaßen. Feuer trugen sie in ihrem Gewande in kleinen Stäben, mit denen sie ihren Tabak und ihr Brennholz entzündeten; Feuer in den eisernen Röhren, mit denen des Königs Sohn sie am Njawarongo die Vögel aus der Luft auf weite Entfernung herunterholen sah, als hätte eine unsichtbare Hand sie gewürgt; und feurige Schlangen trugen sie in ihren Lasten verborgen, die sie des Nachts fauchend weit, weit in den Himmel fahren ließen, wo sie sich zu einem bunten Stern verwandelten, um zuletzt plötzlich zu verschwinden, als hätten die Wolken sie verschluckt. Aber das Furchtbarste war, daß sie sogar die Berge bestiegen hatten, die keines Sterblichen Fuß betreten darf und hinaufgedrungen waren bis zu den Gipfeln und das Feuer gelöscht hatten, auf dem die Verstorbenen ihre Speisen sich bereiteten und das seit Urzeiten den nächtlichen Himmel von ganz Ruanda bis zu den fernen Ländern der »Sklaven« und »Menschenfresser« hin mit blutigem Scheine erleuchtet hatte. – – – – – – – – – –
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Im Westen hinter den Bergen von Ujungu waren sie verschwunden und nicht mehr wiedergekehrt. Vier Jahre gingen hin, und wenn nicht die Glut in den Eingeweiden des Kirunga erloschen wäre, so hätte man glauben können, daß sie nie dagewesen und daß alles nur ein Albdruck war, wie ihn die zürnenden Geister der Abgeschiedenen den Menschen oft in quälenden Träumen schicken. – – – – – – – – – – –
Vier schlimme Jahre waren es für Ruanda gewesen, bis der nächste Europäer das Land besuchte. Luabugiri Kigeri aus dem Königsgeschlecht der Wanjiginja war, bald nach dem Besuch des Grafen Goetzen, fern von der Heimat im Kriege gegen Bunjabungu erkrankt und eines jähen Todes gestorben; wie das Gemurmel des Volkes will: durch Gift von der Hand seines eigenen Weibes Kansugera. Ihm folgte in der Herrschaft sein unmündiger Sohn, Juhi Msinga, der der mächtigen Sippe der Wega durch das Blut seiner Mutter verwandt war. Er war eine Puppe in den Händen der ehrgeizigen Frau und seiner beiden Oheime Kaware und Ruhenankiko, zu deren weit über zwei Meter hohen Riesengestalten er mit ängstlicher Ehrfurcht aufschaute. Diese beiden wurden bald die wahren Herrscher von Ruanda, nachdem sie fast alle erwachsenen Söhne Luabugiris oder wer sonst aus dem Geschlecht der Wanjiginja einen Schein von Macht hatte oder ihnen verdächtig war, aus dem Wege geräumt hatten. Mit dem einflußreichen Mibambwe, von dessen stolzer Schönheit und traurigem Ende in den Hütten des Volkes scheue Weisen am Herdfeuer klingen, begann das Gemetzel. Er glaubte von seinem Vater das Recht der Nachfolge erhalten zu haben. Möglich, daß Luabugiri dies mehreren seiner Söhne versprochen hatte; möglich auch, daß er ihn nur zum Vormund und obersten Feldherrn während der Unmündigkeit Juhis bestimmt hatte – wie dem auch sei: als Luabugiri sterbend über den See in die Heimat zurückfuhr und, kaum daß er den Boden seines Landes betreten, seine Seele aushauchte, ließ Kaware Mibambwe nicht viel Zeit, seine Thronrechte zu verfechten. Nach einigen Monaten vieler kleiner Siege und Niederlagen fand er eines Nachts sein Gehöft von den Parteigängern seines Bruders Msinga umstellt. Er kannte das Los überwundener »Rebellen« und gönnte wohl seinen Feinden nicht, sich an seinen verzerrten Gesichtszügen zu weiden, wenn die Henkersknechte ihm den angespitzten Pfahl zwischen die bronzenen Schenkel stoßen und alle Eingeweide seines Leibes zerreißen würden. So wählte er sich ein edleres Ende, und selbst das Feuer auf seine Grashütten werfend, verbrannte er sich, seine Weiber, seine Kinder, seine Diener, während das tausendstimmige Geheul seiner Gegner die Brandstätte umtoste. All dies spielte sich wenige Monate nach Goetzens Besuch ab. In der nächsten Zeit suchten die Wega durch Verschwägerung und Schenkungen und, wenn es ihnen gut dünkte, durch neue Schrecken ihre Stellung zu befestigen. Was von den Söhnen Luabugiris am Leben blieb, das waren alles energielose, verängstigte Jünglinge, die teils, von Mißtrauen und falschen Freunden umgeben, wie Gefangene am Hofe leben, teils fern von der Residenz den Freuden am eigenen Herde nachgehen, ohne Einfluß auf die Verwaltung des Landes zu suchen. – – – – – – – – – – –
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Erst im Jahre 1879 sah Ruanda wieder einen Europäer, den Bezirkschef von Udjidji, Ramsay, der mit dreihundert Gewehren, einem Geschütz und einem Stabe von Weißen bei Hofe erschien. Mit gleicher Macht kam ein Jahr später sein Nachfolger Bethe, wenige Monate vor mir. Diese Besuche erregten größeren Schrecken als die des ersten Europäers. Nicht weil sie mit größerer Macht erschienen, sondern weil inzwischen ein Gespenst im Lande aufgetaucht war, das wie ein drohender Schatten über der Herrschaft der Wega liegt und sie zu keiner rechten Ruhe kommen läßt. Dies Gespenst heißt Belegea.
Wenn Händler aus dem Innern des Landes zum Kiwusee kommen, und das Gespräch am Herdfeuer ihrer Gastfreunde die Tagesereignisse erschöpft hat, dann ertönt die Frage: »Und was bringt ihr neues von Belegea«? Dieser mysteriöse Belegea, ein Sohn Luabugiris und des Weibes Musirkande – aber niemand hat ihn gesehen – verschwand, noch ein Knabe, bald nach dem Tode seines Vaters – aber niemand weiß, wohin, wie viele haben schon sterben müssen und wie viele unschuldig, weil man sie beschuldigte, Belegea zu verbergen. Kaware, der die Freuden des Lebens mit vollen Zügen genießt, der stolz ist, in Kissakka oder Bugessera, seinen Provinzen, einen größeren Hof als Juhi um sich zu scharen, er läßt Hof und Weiber und Wein im Stich, um bald an die Nordgrenze nach Ndorwa, bald an die Südgrenze nach Urundi zu eilen, um irgend einen Häuptling zu bekriegen, von dem es heißt, daß er Belegea beherberge. Selbst bei den Europäern vermutete man ihn schon und über den Hofkreisen, soweit sie nicht zähneknirschend das Joch der Wega tragen, lagert ständig die dunkle Furcht, Belegea könnte eines Tages, zum Jüngling herangewachsen, an der Spitze eines fremden Heeres und von den Weißen unterstützt, in Ruanda einfallen und der beim Volke verhaßten Herrschaft ein Ende bereiten. Und daher regte sich, so oft die Kunde von dem Kommen der »roten Männer« mit großer Macht, sich im Lande verbreitete, jedesmal die Furcht, daß nun das Ende des Wegaregiments gekommen sei.
Kaware und seine Sippe können ruhig schlafen. Denn wenn der Knabe überhaupt je gelebt hat – es ist nicht recht verständlich, warum Luabugiri seine Existenz wie ein Geheimnis gehütet haben soll – dann modern seine Gebeine vermutlich schon längst irgendwo im Verborgenen und nur der Wunsch nach Rache und die Absicht, dem Volke in ihm ein Symbol seiner Hoffnungen zu geben, das die Wega nicht zum Genuß ihrer Macht kommen läßt, schließen den wenigen, die um seinen Tod wissen, den Mund. Aber wahrscheinlich hat Belegea nie gelebt; denn die Versionen über die Art, wie die Wega von seinem Vorhandensein erfahren haben, so verschieden sie auch sein mögen, sie haben alle gemeinsam, daß sie wie Erfindungen eines ihrer Märchen- oder Liederdichter klingen. – – – – – – – – – – – – – – – –
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15. Juni. Als wir gestern durch das Spalier der dichtgedrängten Massen hindurchzogen, da merkte ich, daß hinter mir einhundertfünfzig Herzen ängstlich gegen die Rippen schlugen. Meine Leute, die sonst immer schwatzend und singend marschierten, besonders aber nie genug Lärm verüben konnten, wenn wir uns einer der vielen Residenzen kleinerer Sultane genähert hatten, waren diesmal verstummt und ließen weder, was sie doch sonst so gerne taten, die Trommeln rasen, noch wirbelten sie mit ihren Stöcken gegen Koffer und Kisten, noch stießen sie ihre gellenden Freudenschreie aus.
Ein sonderbares Bild: rechts und links diese tausende von dichtgedrängten, kauernden, reglosen, schwarzen Massen, wie in tiefen Schlaf versenkt sitzen sie da; kein Arm bewegt sich, nur durch den Wald von Lanzen geht von Zeit zu Zeit ein leichtes Zittern, wie ein kurzer Windstoß, der über ein stilles Wasser fährt; und kein anderer Laut unterbricht die dumpfe Stille des Mittags, der schwer und heiß auf der Landschaft brütet, als das Klappen der Hufe meines weißen Maskat-Hengstes auf dem trockenen Boden. Sobald aber der letzte Mann die Menge passiert hat, bricht hüben und drüben ein betäubender Lärm aus, und zu beiden Seiten der Träger, die ihren gepreßten Herzen jetzt Luft machen, springen hunderte von Männern und Knaben über die Abhänge, rücksichtslos die Erbsenfelder niedertretend und die Stengel der Hirse brechend, und eilen dem Kamm des Berges zu, um dem Aufstellen des Lagers zuschauen zu können.
Als ich, gestärkt durch ein kaltes Bad, eine Stunde später mein Zelt verlasse, finde ich draußen als Abgesandte des Königs seinen Oheim Ruhenankiko, einen Mann von etwa 33 Jahren, der seinen jüngeren Begleiter, den fast 190 Zentimeter großen Rudegembja, noch um mehr als eine Handlänge überragt. Sie bringen mir Grüße und Juhi und als » funguro« zwei Töpfe mit Honigwein und etwas Brennholz.
Der Verkehr mit ihnen war übrigens sehr schwierig. Den Dolmetscher, den mir in Tabora Ssef bin Ssad gegeben, hatte ich schon in Urundi entlassen müssen, weil sich dort herausgestellt hatte, daß er vom Kitussi – unter diesem Namen fasse ich hier der Einfachheit halber die nicht zu sehr abweichenden Dialekte der von Watussi beherrschten Völker im Zwischenseen-Gebiet zusammen – aber auch nicht die leiseste Ahnung hatte. So wäre ich in größter Verlegenheit gewesen, wenn nicht glücklicherweise die Frau meines Kochs Dahoma das Idiom der Watussi von Uganda gekannt hätte. Dies war allerdings nur ein Surrogat, hätte aber doch einigermaßen genügt, wenn nicht der Respekt vor den merkwürdigen Erscheinungen Ruhenankikos und seiner Verwandten ihr Herz ganz verzagt gemacht hätte.
15. Juni, abends. Ich schickte nachmittags an Juhi in Erwiderung seines Begrüßungsgeschenks eine reiche Gegengabe; fast zu reich, aber ich hielt es für klug, ihn mir günstig zu stimmen, weil ich nach den heutigen interessanten Eindrücken doppelt und vielfach den Wunsch hegte, mich in diesem Lande niederzulassen. – – – – – – – – – –
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Nun eine sehr charakteristische Kleinigkeit: Ich schenkte heute einigen von den Vornehmen ein paar Tücher und ließ sie selbst sie aus einer größeren Zahl aussuchen. Ich hatte an der Küste, speziell für den Hof von Ruanda, eine Anzahl sehr kostbarer Seidenstoffe, lange arabische Mäntel, auch kurze sehr bunte und reich mit Silberstickerei verzierte Jacken und ähnliches gekauft. All dies verschmähten die Watussi, trotzdem ich sie darauf aufmerksam machte, wieviel wertvoller diese Dinge seien, als die von ihnen gewählten, einfachen Kattunfähnchen. Ebenso verschmähten sie die prächtig roten Uniformen preußischer und englischer Husaren, die ich zufällig in Berlin erstanden hatte. »Das sei gut für Wahutu« meinten sie (in demselben Ton und wohl auch in derselben Denkungsart, wie einst ein hoher Herr aus regierendem Hause von einem wundervollen Pariser Kunstschmuck, den ich ihm beschrieb, zu mir sagte: »Er mag sehr, sehr schön sein, aber für eine Bankiersfrau«).
Es war ganz offenbar, daß die Watussi bei der Auswahl nach zwei Gesichtspunkten verfuhren, nämlich: nichts, was durch die Form und nichts, was durch die Farbe auffällig war, zu nehmen. Sie wählten dementsprechend nur einfache Tücher in diskreten und womöglich einfarbig dunklen Mustern; ein wenig spielten wohl auch praktische Rücksichten mit. Meine Leute spotteten allerdings über die Barbaren, die nicht die Feinheit des Seidengewebes höher schätzten als die Grobheit des Leinens, aber sie vergaßen, daß eine lange Erziehung dazu gehört, nach diesen Unterschieden zu werten. Die Watussi, die Seide nicht kannten, aber von den Baumwollstoffen her wußten, daß ein dicker Stoff haltbarer ist als ein dünner, verglichen danach auch das Seidenzeug mit dem Leinen. Und auch das vergaßen meine Leute, daß sie selbst die Seide nur deswegen höher schätzten, weil sie den Begriff des Geldes kannten und wußten, daß der eine Stoff mehr wert sei als der andere, und weil sie von Kindesbeinen an gesehen hatten, daß in ihrem Kreise diejenigen, die am reichsten in Seide sich hüllten, auch die vermögendsten und sozial angesehensten waren. Man muß sich über solche Dinge klar zu werden suchen, denn ich gestehe, daß auch ich ein wenig über die Wahl der Watussi gelächelt hatte.
Der einzige Mißton, der bisher unser Verhältnis störte, ist, daß der König noch kein Gastgeschenk für meine Leute geschickt hatte, und daß außer Brennholz nichts im Lager verkauft wurde; aber morgen vormittag soll ich Lebensmittel bekommen. Ich vermute, daß sie erst meinen Besuch beim König abwarten, den ich für morgen früh angesagt habe.
16. Juni, 11 Uhr vormittags. Ich glaube, die Watussi führen mit mir ein übles Spiel auf. Als ich heute bei Tagesgrauen in den feuchten Morgen hinausblickte, sah ich durch die Nebel, die rings um unser Lager fluteten, die hageren Gestalten mehrerer Watussi mit langen Stöcken Jagd auf die Wahutu machen, die in wilder Flucht nach allen Seiten die Abhänge hinabstoben. Ich begriff dieses seltsame Schauspiel nicht und wollte es kaum glauben, als meine Leute mir sagten, daß es gestern nicht anders gewesen sei; und daß die Watussi offenbar übles gegen uns im Schilde führten, weil sie die Wahutu, die Lebensmittel zum Verkauf bringen wollten, auf diese Weise vertrieben. Ein paar Stunden später kam Ruhenankiko mit großer Eskorte und antwortete mir, als ich auf die knurrenden Mägen meiner Träger verwies und ihn wegen eines Gastgeschenkes interpellierte, daß der König erst die Geschenke sehen wolle, die ich ihm bringen würde. Ich erwiderte ihm, daß er sie schon gestern gesehen hätte und daß ich ohne jede Gabe erscheinen würde und Juhi Msinga selber fragen wollte, ob diese Botschaft wahr sei, worauf alle in die Residenz zurückkehrten. Aber schon nach einigen Stunden waren sie wieder da und sagten, der König lasse mich ersuchen, erst morgen zu ihm zu kommen. Ich antwortete zuerst etwas gereizt, als ich aber das spöttische Lächeln Ruhenankikos sah, dessen rechte Gesichtshälfte viel stärker innerviert als die linke, so daß sich, wenn er lacht, sein Mund einseitig verzieht und seine wie bei allen Watussi stark vorspringenden oberen Schneidezähne vollkommen entblößt werden, ward ich ruhiger und erwiderte gelassen, daß ich keine Minute länger als verabredet warten, sondern sobald die Sonne im Zenith stände vor den Toren der Residenz erscheinen würde. Ruhenankiko antwortete wiederum nichts, sondern eilte, umringt von seiner schwatzenden und lachenden Begleitung, davon.
Abends. 10 Minuten vor 12 verließ ich mein Lager und nahm niemanden mit, als die Frau meines Kochs und meinen kleinen neunjährigen Boy, der meinem Hengst einige Schritte voranging. Meine Leute hatten mich dringend gebeten, wenigstens den größten Teil der Bewaffneten mitzunehmen, aber ich lachte sie aus und befahl dem Schausch, während meiner Abwesenheit mit ihnen zu exerzieren. Sobald ich mein Reittier bestiegen hatte, liefen die Wanjaruanda, die bis dahin mein Lager erfüllten, zu Hunderten im Sturmschritt voraus. Ihre hellen langgezogenen Rufe flogen über alle Täler hinweg, und sofort wiederholte sich das Bild, das ich schon neulich bewunderte: wieder strömten aus allen Pfeilen der Windrose und über alle Kämme und Hänge in kleineren und größeren Fähnlein die Wahutu mit ihren Mtussichefs der Residenz zu und vereinigten sich dort zu sieben, acht Reihen kauernder regloser Massen.
Wie ich es angekündigt hatte, war es gekommen. Scheitelrecht stand die Sonne über uns, und all die Tausende von Speeren warfen kaum daumenlange Schatten, als ich fünfzig Schritt vor dem Haupttor abstieg und meinem Boy die Zügel des Hengstes überließ. Ich selbst schritt, ohne nach rechts und links zu schauen, auf den Eingang zu, vor dem, ihn halb verdeckend, ein riesiger, über zwei Meter langer, heller, fast rotfarbiger Mtussi stand, einen zierlich gearbeiteten Speer und einen langen Stock in der ausgestreckten Rechten und in der Linken einen winzigen Schild. Einen Moment schien es mir, als wollte er mir den Zutritt versperren, aber im letzten Moment noch wich er zur Seite. Ich trat in einen großen sauberen Hof, schritt wiederum durch ein Spalier aufrechtstehender Männer und trat eine Minute später in eine große Hütte, an deren Tür mich Ruhenankiko empfing. Im schwach erhellten Vorraum saßen eng gedrängt ein Dutzend der Vornehmsten; rechts von ihnen ein leerer Schemel, auf dem ich mich niederlassen wollte. Aber Ruhenankiko wehrte es mir, weil er für den König bestimmt sei und wies mit der Hand auf die mattenbedeckte Erde zu seiner Rechten. Ich erwiderte, daß ich nicht gewohnt sei, auf dem Boden zu sitzen und verlangte einen Stuhl für mich. Nach einigem Zögern eilte einer der jüngeren davon und kehrte bald darauf mit einem der üblichen Sitze wieder. In demselben Augenblick belehrte mich ein Händeklatschen der Anwesenden, daß der aus dem Hintergrund der Hütte kommende, auf die Schulter zweier Begleiter sich stützende Mtussi der König war. Ohne mich anzusehen, setzte er sich auf den Schemel zu meiner Rechten. Ich war aufs äußerste verblüfft, denn nach allem, was ich bis dahin gehört hatte, mußte Juhi ein sechzehnjähriger Jüngling sein; was aber da neben mir saß, das war ein etwa vierzigjähriger Mann mit halbgeschlossenen, schläfrigen Augen und kupferner Indianerhaut. Und doch trug er das Attribut des Königs, ein etwa zwanzig Zentimeter breites Band von weißen Perlen, von denen sich sechs Zackenlinien von rosa Perlen abhoben. Vom oberen Rande dieser seltsamen Kopfbedeckung hingen große Büschel langer weißer Seidenaffenhaare auf das Hinterhaupt herab. Vom unteren Rande fielen etwa fünfzehn aus weißen und roten Perlen kunstvoll gestickte Schnüre mit fingerlangen und fingerdicken Quasten herab und bedeckten einen großen Teil des Gesichtes bis zur oberen Lippe. Bekleidet war er mit einem kurzen, über die Mitte des Gesäßes und vorn dicht über den Mons pudoris laufenden, doppelt gefalteten, feingegerbten Schurz, dessen Fellseite der Haut anlag und der nur am oberen Rande umgebogen war, wo er aus hunderten einzelner kleiner Teile zu einem Linienornament zusammengenäht war. Vom unteren Rande des Fells hingen etwa zwanzig gedrehte Schnüre aus Otternfell herab. Die Taille umschnürten eng einige Perlenketten, und auf den Leib hingen locker zehn bis fünfzehn Grasringe herab, von denen jeder drei weiße Perlen trug. Um den Hals trug er eine Kette von feinen röhrenförmigen Perlen, die von eingeborenen, am Hofe lebenden Handwerkern mit primitiven Sägen und Bohrern aus Muscheln hergestellt werden, deren ferne Heimat die Küsten des indischen Ozeans sind. Eine Menge Amulette bedeckten seine Brust, zum größten Teil wie kleine Fläschchen anzuschauen, über die mit zweifarbigen Perlen in Zickzacklinien bestickte Hüllen gezogen waren. An beiden Armen hatte er 150 bis 200 Ringe aus dünnen Messing- und Kupferdraht, von denen die meisten entweder eine große blaue Perle oder aus dem gleichen Metall geschmiedete kleine Schellen trugen. Die Fußknöchel umschlossen ebenfalls ein paar hundert Drahtringe – aber diese aus Eisen – was die vorher geschilderte schwerfällige Gangart erzeugte. – – – – – – – –
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Die ganz konventionelle Unterhaltung wurde von einem der Hofbeamten geführt, dem meine Worte durch die Frau meines Kochs mit zitternder zagender Stimme übersetzt wurden. Denn es war ihr beim ungewohnten Anblick dieser schwarzen Majestät das Herz in die Hosen (oder was sie statt dessen trug) gesunken. Der König beteiligte sich zunächst gar nicht an der tropfenweise geführten Konversation, aber ich sehe von Zeit zu Zeit ein leichtes Kopfnicken und höre von Zeit zu Zeit ein diskretes Grunzen, das ich als wohlwollende Zustimmung zu meinen durch meinen Dolmetsch devot verbrämten Worte auffasse und mit dem gleichen Wohllaut beantworte. Dies wiederholte sich in der nächsten Viertelstunde noch mehrere Male, dann aber fing mir diese Art, sich zu unterhalten, doch an, ein wenig eintönig zu werden, worauf ich mich verabschiedete, vorher ersuchte ich Juhi noch einmal, mir Nahrungsmittel für meine Leute zu schenken oder zu verkaufen; er versprach es für den nächsten Morgen und machte einige törichte Ausflüchte, daß es ihm nicht möglich sei, noch heute die genügende Quantität zusammenzubekommen. Draußen besteige ich wieder meinen Hengst und kehre, diesmal von einem paar tausend Leuten eskortiert, ins Lager zurück, wo man meine Ankunft schon längst erwartete und mich mit einem dreifachen Hip, Hip, Hura empfing.
Mkingo, den 17. Juni, 10 Uhr vormittags. Wozu sitze ich noch hier und worauf warte ich? Der König hat sein Wort gebrochen und mir nicht das kleinste Gastgeschenk geschickt. Der König? Ich will fortan die Götter dieses Landes anbeten, wenn ich den König gesehen habe. Denn je mehr ich darüber nachdenke, um so klarer wird mir, daß das Ganze gestern eine gut gemimte, aber schlecht inszenierte Komödie war, und daß irgend ein anderer Mtussi dem Weißen die Rolle des Mami vorspielen muß. Nur war es ein grober Regiefehler, die Königsmaske einem vierzigjährigen Manne anzuschminken; denn alle Welt beschrieb mir Juhi Msinga als einen Knaben; als einen hochaufgeschossenen Knaben, aber immerhin einen Knaben. Schon in Urundi hatte ich wiederholt danach gefragt und dort wie in Ussui von den Häuptlingen immer die gleiche Beschreibung erhalten. Und welch ein Interesse hätten diese Leute haben können mich zu täuschen? Ich hatte ihnen wiederholt Burschen und Jünglinge aus meiner Karawane oder auch Eingeborene, die zufällig im Lager waren, präsentiert, damit sie mir an ihnen ungefähr das Alter Juhis demonstrierten. Die Grenze schwankte natürlich etwas, immerhin aber nicht so sehr, um nicht mit ziemlicher Sicherheit das Geburtsjahr Juhis bestimmen zu können. Ich vermute, daß man den Regenten den Europäern aus abergläubischen Motiven verbirgt. Auch der mystische König von Urundi, Killabo, und der von Uha, dessen Namen ich vergessen habe, werden ihren Blicken entzogen, weil sie sterben zu müssen fürchten, wenn sie sich Aug in Auge sähen. – – – –
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Die Ansicht, die mein Tagebuch hier ausspricht, hat, wie ich gleich feststellen möchte, später ihre Widerlegung gefunden. Richtig ist, daß weder Ramsay noch Bethe noch mir der junge Juhi gezeigt wurde, sondern Pambarugamba, das Haupt der Babandwa, der »Geweihten«, der »Dämonisierten«, durch deren Mund, wenn sie in » trance« sind, der Geist eines Vorfahren oder eines der sagenhaften Heroen des Landes spricht und Fragenden die »Wahrheit« kündet.
Dagegen irrte ich, als ich glaubte, daß die Europäer den König niemals sehen würden, weil irgendwelche unüberwindliche Superstitionen dem entgegenständen; denn ich selbst war zwei Jahre später der erste, dem gegenüber man die Maske fallen ließ, nachdem man noch wenige Monde vorher den Bischof von Bukumbi, Monseigneur Hirth, durch Vorführung des »Hohenpriesters« zu täuschen versuchte. Ich hatte allerdings in der Zwischenzeit nie aufgehört, bei jeder passenden Gelegenheit den Hof die Erfolglosigkeit seiner Dupeversuche wissen zu lassen. Außerdem war ich durch meine friedliche Tätigkeit in Ruanda schon überall bekannt, von niemandem gefürchtet und selbst der Einwohner so sicher, daß ich bei meinem zweiten Besuche in der Residenz nur noch drei Gewehre mit mir führte.
Es war sicherlich nur Furcht gewesen oder wenigstens Vorsicht, was früher die Farce veranlaßte; vielleicht glaubten sie auch, nachdem sie einmal einem Europäer die Komödie vorgespielt hatten, sie nun auch bei allen fortsetzen zu müssen. Sei es einer von diesen oder von hundert anderen möglichen Gründe – ich weiß es nicht mit Sicherheit, weil die Watussi selber gar keinen Versuch machten, mir ihr Verhalten zu motivieren und ich selbst eine Diskussion hierüber für unfruchtbar hielt, da es wohl möglich war, daß sie, um sich nicht selbst zu dementieren, mit irgend einer kindlichen Lüge über die Vergangenheit hinweggehuscht wären. Ich bin übrigens außerstande, mit Sicherheit anzugeben, ob Graf Goetzen den Vater des jetzigen Königs oder auch einen Stellvertreter gesehen hat. Das erstere wäre immerhin möglich, denn Luabugiri Kigeri war ein tapferer selbstbewußter Mann, aber wenn ich die Beschreibung, die Graf Goetzen von ihm gegeben hat, lese und mich erinnere, daß sie fast bis auf das letzte Tüpfelchen der Erscheinung des Pambarugamba entspricht, der überdies durchaus nicht einen Durchschnittstypus der Watussi darstellt, so beginnen doch in meiner Seele leise Zweifel zu wogen wie die abendlichen Nebelstreifen in den Schilftälern dieses Landes. – – – – – – – – – – – – – – – – –
Mir scheint, daß die Watussi nicht nur in bezug auf den König sondern auch auf andere Personen mich mit einem Lügengespinst umgeben wollen. Ich hatte gleich bei meiner Ankunft nach Scharangabbo, Luabugiris Sohne, von dem Goetzen in seinem Buche eine so sympathische Schilderung gibt, mich erkundigt, aber die Antwort bekommen, daß er in seinem Dorfe fern in Kissakka weile. Dieselbe Antwort erhielt ich, als ich nach Kawara fragte, und doch haben gestern nachmittag mein Ombascha Mkono und ein paar Träger der Goetzenschen Expedition einige Watussi aus der Zahl meiner Lagergäste als die von mir Gesuchten wiedererkannt, begrüßt und Erinnerungen mit ihnen ausgetauscht. Ich muß zu meinem Bedauern ausdrücklich konstatieren, daß Ruhenankiko und Rudegembja ohne Erröten Zeugen dieser Demaskierung waren, sie, die mir doch die erlogenen Angaben über die Abwesenheit der beiden gemacht hatten. Und auf meine Vorwürfe hatten sie nur ein kindlich naives, nicht unliebenswürdiges Lachen zur Antwort. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Dies nimmt den nicht Wunder, der, so wie ich später, Gelegenheit hatte, die Watussi kennen zu lernen und weiß, daß Lügen ihre ethischen Vorstellungen nicht beleidigt, weil es für sie eine nicht unedle Art des Wettstreits zweier Intelligenzen ist, in dem zu unterliegen den Besiegten nicht schändet. Ein Mhutu leugnet nicht, daß er seines gleichen belügt; nur den Europäer nicht, weil er ein Mami – ein Fürst – ist. Daher die stereotype Redensart: » Sinsawesch' umami«: »Ich werde doch den Mami nicht belügen.« Ein Mtussi dagegen: »Ein Mtussi lügt nicht.« wie hunderte Male habe ich diese stolze Antwort nicht aus einem Munde gehört, den ich im gleichen Augenblick einer Unwahrheit überführt hatte. Und doch hatte er recht; ein Mtussi lügt nicht, er läßt nur die verschleierte Wahrheit erraten. Ihr Lügen ist die unbewußte Übertragung ihrer anmutigen bei einem Negervolk überraschenden Rätselspiele, mit denen sie als Kinder schon ihre Geselligkeit zu beleben pflegen, in das wirksame Leben. – – – – – – – – – – – – – –
Unser Lager war gestern den ganzen Nachmittag von Eingeborenen erfüllt, während es jetzt wie ausgestorben daliegt. An dem Gedränge beteiligten sich Watussi wie Wahutu; beide Parteien suchten Stoffe von mir zu erhalten, die einen durch Betteln, die anderen durch immer dringlicher und unverschämter werdende Forderungen. Ich reagierte weder auf das eine nach das andere, aber ich kaufte einigen Wahutu ethnographische Dinge ab. Als ich sah, daß einige Male der Versuch von den Watussi gemacht wurde, die Wahutu ihrer eingehandelten Stoffe zu berauben, machte es mir Spaß, einen kleinen Ballen geschenkweise nur an Wahutu zu verteilen. Die Watussi sahen sich dies einige Zeit an, dann fingen sie mit ihren langen Stöcken an auf ihre Untertanen einzuhauen, wodurch das Lager von Zudringlichen etwas gesäubert wurde. Unter den jüngeren Watussi waren einige, deren Dreistigkeit schon anfing, mich aus meiner Ruhe zu bringen. Nachdem sie mit ihren in herausforderndem Tone gehaltenen Betteleien abgewiesen waren, kehrten sie lachend nach einiger Zeit zu mir zurück und boten mir eine kleine Kartoffel oder eine faule Banane und dergleichen zum Spott als Kaufobjekt an. Ich sah dem eine gute Weile zu; als dann aber einer, überdies ein Bursche mit einem abstoßend häßlichen Gesicht, vorsichtig mit den Spitzen von Daumen und Zeigefinger ein Feldhuhn im höchsten Stadium der Zersetzung mir unter die Nase hielt, packte ich es mit einem plötzlichen Griff und schlug es ihm drei- bis viermal um die Ohren, daß ihm die Federn in den Lücken seiner breitklaffenden vorstehenden Schneidezähne haften blieben und er von Graus und Ekel geschüttelt, fauchend und spuckend unter dem Gelächter seiner Freunde und meiner Leute zum nächsten Bach ins Tal hinabstürzte, während das von Federn halb entblößte Huhn ihm im weiten Bogen durch die Lüfte nachflog.
Heute im ersten Morgengrauen wiederholte sich dasselbe Bild wie an den vorigen Tagen. Wieder sah man durch den Nebel hindurch die Watussi mit flatternden Gewändern ihre gespensterhafte Jagd auf die stoffgierigen und handelswillfährigen Wahutu machen.
Seit 10 Uhr liegt das Lager wie ausgestorben da; kurz vorher war Ruhenankiko bei mir gewesen und hatte mir gemeldet, der König wünsche – und nun folgte eine lange Reihe von Gegenständen. Ich fühlte, daß ich blaß vor Zorn wurde, aber ich hielt an mich und antwortete ihm ruhig: Es sei heute der dritte Tag – den der Ankunft nicht mitgerechnet – an dem wir hier ohne Nahrung und ohne Gastgeschenk lagerten. Der König möge sich entscheiden. Sei bis morgen 7 Uhr nichts bei mir eingetroffen, so werde ich die Residenz wieder verlassen. Aber nicht als Freund. Er glaube vielleicht mich mißachten zu können, weil ich nur siebzehn Gewehre mitgebracht hätte, während die anderen Weißen, die er gesehen habe, über einige hundert Flinten verfügt hätten. Darum habe er jene freundlich aufgenommen, mich aber wie einen Feind, dem man die Zufuhr abschneide; aber er möge nicht vergessen, daß es der Freund und Bruder jener anderen sei, den er mit einer Kränkung davon schicke. Auch solle er nicht glauben, daß ich sie vergessen werde, sondern sobald ich meine Brüder am Tanganika erreichen wurde, würde ich Klage gegen ihn erheben. Als meine Brüder zu ihm gekommen seien, habe er erklärt, ein Freund der »Wadaki« (der Deutschen) sein und bleiben zu wollen. Wenn dies seine Freundschaft sei, so prophezeie ich ihm, daß sie sehr rasch ein Ende finden würde, und daß die Wadaki wie die Heuschrecken über sein Land herfallen, und es abweiden würden, bis alle Frucht zerstört sei.
Ruhenankiko und sein ständiger Begleiter Rudegembja hörten meine Worte mit auffallenden Ernst an, dann gingen sie in die Residenz. Vom Volk, das aufmerksam gehorcht hatte, verlor sich still einer nach dem anderen, und jetzt liegt mein Lager öde da.
Meine Leute laufen natürlich mit verdrossenen Mienen herum, denn sie haben sich seit drei Tagen nicht mehr satt gegessen, weil ihnen die vegetabilische Nahrung fehlt und das Fleisch der Ziegen, die ich für sie schlachte, ohne jede Zutat ihnen widersteht. Seit gestern schon liegen sie mir in den Ohren, von hier abzumarschieren und suchen mich durch ihre kleinmütigen ängstlichen Voraussagungen zu beeinflussen; nunmehr, da sie wissen, daß es morgen wieder weitergeht, stehen sie in Gruppen und mit aufgehellten Mienen zusammen.
(Eine Stunde später.) Ich hätte nicht geglaubt, daß mein Worte eine so rasche Wirkung haben würden. Die Oheime des Königs waren bei mir und baten mich um eine geheime Unterredung. Es war ihnen sehr peinlich, daß ich das ablehnen mußte und zum mindesten die Frau meines Kochs als Dolmetsch hinzuziehen mußte. Die Tonart ihrer Rede war total umgewandelt. Sie hielten mir einen langen Vortrag über die freundlichen Gesinnungen des Königs gegen die Wadaki im allgemeinen und mich im besonderen. Der König würde unbedingt noch heute oder morgen früh Gastgeschenke schicken. Aus der Monotonie ihres Phrasengewimmels stach nur ein Satz, mich frappierend, hervor. Sie sagten nämlich, wie ich glauben könnte, daß sie, die Watussi, Feinde der Europäer wären. Seien sie doch einer Abstammung und Kinder eines Vaters. Ja, wenn sie Wahutu wären, diese bösen, niederträchtigen doppelzüngigen, zu jeder Schlechtigkeit bereiten Wahutu, denen ich in Zukunft kein Wort glauben möge, wenn sie die Watussi verleumdeten. – – – Also daher wehte der Wind!
Nachdem sie sich so ihres Auftrages entledigt hatten, kehrten sie wieder zur Residenz, dem Zentrum aller Beratungen, zurück.
20. Juni. (Am Mkunguti-Fluß.) Am Nachmittage des 17. brachte Ruhenankiko einige Krüge mit Pombe und ein paar Körbe mit Mehl und Bananen. Es reichte zwar lange nicht aus für den Bedarf meiner Karawane, aber es war immerhin ein Zeichen ihres besseren Willens als vorher. Auch versprachen sie für den kommenden Morgen mehr. Um sie in ihren guten Absichten für die knurrenden Mägen meiner Träger zu sorgen, etwas zu stärken, griff ich zu einem Mittel, zu dem mich eine Stelle aus dem Werke des Grafen Goetzen angeregt hat.
Es befand sich unter meinen Lasten auch eine Kiste mit Raketen von zweierlei Art; die einen explodierten in der Luft mit weit hörbarem Knall, die anderen teilten sich oben in ein Gewirr von fauchenden, feurigen Schlangen. Am Nachmittage des 17. präparierte ich etwa zwanzig Stück, nämlich von beiden Arten je zehn. Ich ließ zu diesem Zwecke, ebenso viele Stöcke in den Boden stecken, in die je ein langer Nagel geschlagen war, band jede Rakete mit einem Pfeile zusammen, und steckte, als die Nacht hereinbrach, je eine Rakete auf einen der Nägel, so daß sie möglichst senkrecht oder etwas nach vorn, d. h. der Residenz zu balancierten. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Es war gegen 9 Uhr. Eine herrliche, schweigsame Nacht; der Horizont über den fernen Kämmen in leichten Dunst gehüllt, die Täler von weißen Nebelmassen bedeckt und der Himmel in voller Klarheit funkelnd. In tiefem Schlaf lag die Landschaft und träumte. Aus den Hirsefeldern unter uns drang der mir fremde Lockruf eines Vogels, und aus dem Dunkel des alten Hains klagten die Eulen. Sonst Schweigen. Tiefstes Schweigen. Nur drüben in der Residenz her erschallt wie jeden Abend der dumpfe Schlag der Pauken und dazwischen jauchzen hell die Flöten und trunkene Tanzlieder von Männern und Frauen. Und rings um den äußeren Zaun schließt sich wie der Gürtel einer Königin ein Ring von hunderten kleiner Wachtfeuer. – – – – – – – – – – – – – – – – –
Plötzlich blitzte es auf; zischend stiegen in rascher Folge die Raketen hoch und lösten sich in hundert Schlangen auf und krachend barsten die anderen in den Lüften. Und ehe noch zwei Minuten vergangen waren, breitete sich wieder schweigend die Nacht um unser Lager. – – – – –
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Wie ein Herbstwind, der plötzlich in einen Haufen welker Blätter stößt und sie nach allen Seiten über die öden Parkwege treibt – also trieb der Schrecken auch die Mannen von Ruanda auseinander, die rings um die Residenz des Königs lagerten.
Wie ein wildes Tier, das seinem Käfig entsprungen ist, sich auf eine festlich versammelte Menge stürzt, daß sie nach allen Richtungen davon rennt und selbst weit Entfernte mit sich reißt, die den Grund der Panik nicht kennen; und in alle Gassen und Häuser drängen sie in ihrer Angst, bis der Festmarkt verödet daliegt – also stoben die Mannen von Ruanda über die Hänge hinab und in die Höfe hinein und rissen auch noch die mit sich fort, die auf der andern Seite der Residenz des Königs lagerten.
Wie eine Flutwelle, die sich mit wilder Gier auf ein Land stürzt und vom Meer wieder eingesaugt wird und noch einmal vorspringt und wieder zurückflutet und immer wieder mit langsam sterbender Kraft, bis zuletzt das Meer wieder ruhig daliegt, erschöpft, mit gebrochener Tücke, und nur noch von Zeit zu Zeit ein leises Schauern seine Haut kräuselt – also fluteten die Mannen von Ruanda zwischen den Feuern und den Höfen hin und wieder und stießen in den engen Pforten zusammen, und verdeckten die Flammen der lodernden Scheite mit den Silhouetten ihrer wimmelnden Leiber, und der Lärm ihrer Rufe schwoll an und schwoll und klang und klang wieder ab, bis sie zuletzt sich niederkauerten und alles war wie vorher – rings um die Residenz des Königs von Ruanda.
Aber die Pauken und Flöten wollten in dieser Nacht nicht mehr singen. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
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Es war für meine Bosheit ein köstliches Schauspiel gewesen; aber meinen Trägern willkommener war am nächsten Morgen ein anderes, als schon im ersten Tagesgrauen, kaum daß Trommeln und Schalmeien das Erwachen des Herrschers verkündet hatten, eine lange Schlange beladener Menschen sich durch das Haupttor der Residenz wand und den sanften Abhang unseres Berges hinaufkroch. An der Spitze marschierten die unvermeidlichen Ruhenankiko und Rudegembja, gefolgt von einer Kuh und Kalb und einer Herde von etwa 80 Stück Ziegen. Nachdem die ungeheuren Mengen von Bananen und Mehl glücklich verteilt waren, schnürten wir zur Freude meiner beglückten Leute unser Bündel und marschierten in den nächsten Tagen hierher, auf dem Wege zum Akanjaru. Der Abschied von den Watussi war ungemein kühl; sie hatten mir den feurigen Spektakel der letzten Nacht wohl doch sehr übel genommen. Charakteristisch dafür war, daß, als ich dicht hinter dem Lager, meiner Karawane voranschreitend, in einer Gruppe junger Watussi Scharangabbo bemerkte und ihm zum Abschied die Hand reichte, er kaum, daß wir uns berührt hatten, seine Hand so rasch zurückzog, als hätte er glühendes Eisen gefaßt. Meine Leute lachten, weil sie in seinem Benehmen eine Äußerung der Furcht erblickt hatten. Ich persönlich hatte mehr den Eindruck, daß Grauen und Ekel aus ihm sprachen.
Einen Mtussi als Führer durch das Land zu erhalten, war mir nicht möglich. Aber vielleicht werden die Nachteile dessen durch andere Vorteile aufgehoben. Über meine Niederlassung in Ruanda sprach ich kein Wort; ich muß riskieren, es ohne der Watussi Erlaubnis zu tun und abwarten, was sie dagegen tun werden. Ich werde allerdings, wenn ich mich im Westen des Landes niederlassen sollte, ganz auf mich selbst angewiesen sein, weil diese, dem Kongostaat gehörigen Territorien infolge des Aufstandes der kongolesischen Soldaten, ohne jede Verbindung mit den Behörden sind. Meglio così.
Bemerkenswert ist noch ein Umstand, den ich heute, auf dem Umwege über meinen Boy, durch die sprachkundige Frau meines Kochs erfuhr; ein an sich lächerlich geringfügiger Umstand, der aber nach Meinung meiner Leute – und wie mir scheint mit vollem Recht – für das Verhalten der Watussi von entscheidendem Einfluß sein sollte.
Es war nämlich der Intelligenz der Watussi, gelegentlich der Expeditionen Ramsay und Bethe nicht entgangen, daß die Teilnehmer nicht alle den gleichen Rang einnahmen, und es war ihnen insbesondere der Unterschied in der Uniformierung der Offiziere und Unteroffiziere aufgefallen, so daß sie sich darüber zu informieren suchten. Ihre eigene soziale Klassifizierung heranziehend, schlossen sie, daß es auch unter den Weißen Watussi und Wahutu, d. h. »Herren« und »Hörige« gebe, und daß diese Kasten auch äußerlich ihre Merkmale trügen. Als sie nun mich und meine Kleidung daraufhin musterten und das Fehlen jedes Abzeichens eines Großen (Achselstück) konstatierten, glaubten sie mit dem ihnen angeborenen Hochmut nicht mehr Rücksicht auf mich nehmen zu müssen, als meiner Stellung zukam, vor allem aber beschlossen sie, ihre Leistungen von einem reichlichen Tribut meinerseits abhängig zu machen, (wie sich daraus alles weitere entwickelte, habe ich ja ausführlich geschildert.)
Nachdem dieser Brief meinen Lesern hauptsächlich von den Riesen dieses merkwürdigen Landes erzählt hat, wird wohl schon der nächste auch einiges von seinen Zwergen bringen.