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Am 13. Februar 1899 war ich, wie mein letzter Brief erzählte, am nordwestlichsten Punkt des Kiwu angekommen. Damit war ein Teil meiner Aufgabe, die Erforschung und Kartographierung des unbekannten Westufers dieses Sees, soweit meine schwachen Kräfte es vermochten, beendet. Zwei Wege standen mir jetzt offen. Ein kurzer, der direkt die Nordküste entlang nach Kissenje, meinem alten Lagerplatz am Nordostzipfel des Sees führte, und ein längerer, mir total unbekannter nach Norden, der mich westlich der Vulkane irgendwie zum Albert-Eduard-Lee bringen konnte. Was dazwischen lag, wußte damals noch niemand. Auch von den Eingeborenen hörte ich nur ein paar Namen von Ländern und Sultanen. Aber das genügte mir, denn wo andere Menschenwesen leben, da durfte ich hoffen, auch existieren zu können, und so wählte ich den zweiten Weg, dem Reiz des Unbekannten nachgehend. Übrigens sind diese Gebiete, nachdem ich sie passiert hatte, wieder in ihr altes Dunkel zurückgesunken und bis heute (1901) ist noch kein Nachfolger meinen Spuren gefolgt. Die zwei Expeditionen, die es versuchten, mußten wegen der Unbilden der Landschaft wieder umkehren und wahrscheinlich zu ihrem Glück. Denn beide, eine deutsche und eine englische, waren viel zu umfänglich – die deutsche 1000 Mann stark – als daß sie das hätten überwinden können, was mich mit 30 Mann Opfer genug kostete. – – – – – – – – –
Es war am Abend des 13. Februar. Wir lagerten dicht am Wasser auf einem kleinen Wiesenfleck vor einer großen verlassenen Bananenschambe – ich saß vor meinem Zelt und überdachte noch einmal die Ereignisse der letzten Wochen und sann über die nächste Zukunft, die noch so schwarz vor mir lag, wie ringsum die Landschaft, als aus dem Dunkel, das den See bedeckte, ein Ruf vernehmbar wurde. Das Lager verstummte und wir horchten hinaus und hörten deutlich den dumpfen Doppelschlag von Rudern, der uns allmählich näher kam. Dann schwieg er und wieder hallte eine Stimme über das Wasser und fragte, wer an den Feuern säße. Auf meine Gegenfrage »Wer da?« antworteten die Rufer: Leute des Lohunga von Kameronse. Wir befriedigten ihre Neugier und forderten sie auf, ins Lager zu kommen, aber sie sagten, daß sie erst den Tag abwarten müßten, um zu sehen, ob unsere Worte wahr wären und nicht nur eine List der Waregga. Dann vernahmen wir wieder den Doppelschlag der Ruder, der langsam in der Ferne verklang und unsichtbar, wie er gekommen, verschwand dieser nächtliche Spuk.
14. Februar. Aber heute morgen erschienen sie, nämlich ein kleines verschrumpftes Männlein und ein langer rothäutiger Mensch mit einer merkwürdig verstümmelten und schiefgedrückten Nase und bekleidet mit einem Leopardenfell. Sie kannten mich von früher, sagten sie, denn sie hätten mich im vorigen Jahre in Kissenje kennen gelernt. Um so besser. Also heuchelte auch ich Erinnerung. Sie seien Leute des Sultans Lohunga von Kameronse, aber das ganze Land stände leer und die Bewohner wären vor den Waregga nach Bugoie, einer Provinz von Ruanda, geflüchtet. Als ich sie weiter aushorchte, logen sie zuerst, Kameronse gehöre dem König von Ruanda und Lohunga sei an seinem Hofe; später gaben sie zu, daß es selbständig sei und ihr Herrscher sich mit seinen Leuten östlich am Fuße des Niragongwe-Vulkans in dem großen Buschpori befände. Sie erhielten Stoffe, worauf sie sich bereit erklärten, mich einige Tage zu begleiten; vorsichtshalber nahm ich die beiden Wahunde, die mir Nwunje gegeben, auch noch mit.
Meine Askaris hatten in aller Frühe eine Brücke über den Gihira geschlagen. Übrigens hatten wir nicht nötig, seinen Sumpf zu passieren, weil wir uns zunächst nicht nördlich, sondern östlich hielten und den Hügel jenseits seiner Mündung erklommen. Oben trafen wir die traurigen Reste des zerstörten Dorfes Kumasa, das sehr viele Hütten gehabt haben muß, die in schöner Ordnung zu beiden Seiten eines breiten Weges lagen. Eine Hecke von Rhizinus-Bäumchen umgab einst jede der Hütten, von denen man jetzt nur noch die Staketenstümpfe des Grundrisses, die drei Herdsteine und rotgeglühte Topfscherben sah. Die Wabembe Mwunjes sollen das Dorf vor 4-5 Monaten vernichtet haben. Von Kumasa, von wo aus wir einen weiten Blick auf das Nordufer hatten, dem nicht zu fern von uns eine lange Zunge entsprang, die als 100 Meter hohe Lavatuffwand senkrecht zum See abfiel, stiegen wir zu dem großen Pori ab, das sich bis zum Fuße des Vulkans erstreckt. Der Weg schlängelt sich über vielfach noch nackten Lavaboden, auf dessen verwitterten Partien Mabugu-Gras und jene schone, violett blühende Papilionacee ( Acanthus arbor.) üppig gedeiht, die in jedem Dickicht wächst und den Passanten mit ihren stachligen Blättern peinigt. Sie böte Material zu vorzüglichen Hecken, wenn nicht die Ziegen mit perversem Geschmack gerade dies stachlige Zeug mit Vorliebe genössen. Von Bäumen wuchsen im Busch nur eine kleinblättrige Akazie, und die prächtig rotblühende Erythrina, die meine Leute wegen ihrer roten Samen nach den Simsim-Perlen benennen. Wir kehrten bald durch das Dickicht nordwestlich zurück und folgten dann dem Fuß der Berge nach Norden und Nordosten. Einen großen Teil des Weges gingen wir durch verödete Bananenschamben.
Es ist etwas eigentümliches an ihnen. Als ich gestern rekognoszierte, drang ich ziemlich weit in den verlassenen Hain hinter unserem Lager ein, mußte aber umkehren, weil mich plötzlich ein grundlos peinigendes Gefühl überlief. Es herrschte in ihm eine beängstigende, drückende, schwer auf der Seele lastende Stille, die nur der dumpfe Klang des eigenen Schrittes und sein leises Echo unterbricht; oft schaute ich mich jäh um, weil ich das Gefühl hatte, als folge ein Fremdes, Unnennbares, Unbeschreibliches meinen Schritten. Alles trieft hier zu dieser Jahreszeit von Nässe, wie im dichtesten Urwald. Ein feuchter, modriger Verwesungsgeruch entströmt dem Boden, die faulenden Früchte, die überall auf der Erde liegen, erzeugen einen scharfen alkoholischen Duft, der sich mit einem anderen, der fast dem frischen Leder gleicht, vermischt. Die gestürzten Stämme erweichen allmählich, zerfallen, werden von streichenden Tieren zertreten und bieten zuletzt das Bild von Matten, die in den Grund gestampft wurden und sich in 1000 Fasern auflösen. Sie atmen am stärksten den Verwesungsduft aus. Dazu dieses halbe Dunkel besonders an trüben Nachmittagen, wie gestern. Die Nektarinen, die Charaktervögel der Bananen, finden sich hier nicht, weil die Blüten fehlen, aus deren Tiefe sie mit dem langen gekrümmten Schnabel verstecktes Gewürm holen. So schweigt ihr Flöten und das eifersüchtige »Zett, zett, zett«, das sonst die Haine erfüllt. Nur Fledermäuse hausen hier und tausende von Spinnen vielerlei Art, welche den Millionen von winzig kleinen und von den meisten Vögeln verschmähten Bananenfliegen nachstellen. Zu 10 und 20 sitzen diese auf den großen Tausendfüßlern, die es hier in Menge gibt, und lassen sich von ihnen, die eine feine Witterung für Bananenschalen haben, zu den faulenden Früchten transportieren. Nur an wenigen Stellen kann die Sonne noch durch das dichte Dach dringen, weil die Kronen Schlinggewächs verbinden, das wohl die Kraft der Fruchtstauden allmählich erstickt, denn sie verlieren in dieser Verwilderung bald die Fähigkeit zu neuen Schößlingen. Allmählich mit stärker werdendem Schatten sterben auch die Gräser und Kräuter zu ihren Füßen ab und nur spärliche Halme schießen hier und da aus der schwarzen Erde.
Die Gegend, durch die wir heute zogen, war mit Bananenschamben bedeckt. Sieht man diese Berge, auf denen sich Hain an Hain reiht, so glaubt man in reichen Gebieten zu sein, aber sie sind alle ausgestorben, keine Hütte mehr und kein Mensch, verlassen und öde liegen sie da und wirken durch den Kontrast noch trauriger als wirkliches Ödland. Das ganze Volk von Kameronse ist vertrieben. Es scheint hier am westlichen Grabenrand ein eigenes Gesetz zu walten; bisher hat sich jeder Sultan stärker gezeigt, als sein nördlicher Nachbar. Das beginnt am Tanganika mit Kinoni, vor dem Gwesche stets auf der Hut sein muß, der seinerseits wieder ständig Bunjabungu bekämpft. Die Wanjabungu verwüsteten dafür das Grenzgebiert der Wanjaitambi, diese das der Ujungu-Leute und die wiederum haben gleich das ganze Kameronse zerstört. Das ist doch eine sehr auffallende Erscheinung, die ich nicht zu erklären versuche, sondern nur konstatiere.
In der Nähe unseres heutigen Lagers, mitten unter den Bananen machten wir einen greulichen Fund. Da lag der Kopf eines höchstens vor zwei Tagen geschlachteten Menschen. Die Ohren, Lippen und das Fleisch von Wangen, Hals und Kinn waren weggeschnitten, die großen Röhrenknochen hatte man zerschlagen, offenbar um Blut und Mark auszusaugen. Das konnte auch einen anderen Grund haben, auf den mich mein Freund C. G. Schillings, der Verfasser des nie zu viel gerühmten »Mit Blitzlicht und Büchse«, aufmerksam machte. In manchen Gegenden zerschlagen die Eingeborenen den Tieren »die Knochen im Leibe«, weil sie dann schmackhafter seien. Geschieht ähnliches nicht auch bei uns beim Zubereiten mancher Vögel? Die Feuerstelle mit der Asche war noch vorhanden, der blutige Schurz aus Rindenstoff, die Stroh- und Drahtringe des Geschlachteten lagen rings zerstreut im Grase. Ich rief die Führer; sie kannten den Mann und sagten, wenn wir suchen wollten, würden wir noch viel andere solcher Reste finden, aber ich verspürte keine Lust dazu. In den »Fliegenden« lesen sich Kannibalen-Witze sehr amüsant, aber die Wirklichkeit ist so ekel- und grauenerregend, daß einem für einige Zeit die Freude an solchen Scherzen vergeht. Da die unteren Lider und die Wangen entfernt waren, lagen die Höhlen der Augen und des Mundes bloß und die nackten, von Fliegen umschwärmten Augäpfel boten zusammen mit dem bis zum letzten Backenzahn sichtbaren Gebiß den fürchterlichen Anblick eines so schrecklichen Grinsens, daß ich all meine ärztlichen Erinnerungen zu Hilfe nehmen mußte, um dieses Bild zu ertragen. Die Führer erzählten, daß vor vier bis fünf Monaten Mwunje das Land überfallen hätte. Was nicht fliehen konnte, sei geschlachtet worden. Die Wahunde hatten immer, wenn ich sie fragte, protestiert: »sie seien keine Kannibalen«. Ich glaubte es ihnen auch, weil der Körper des jüngst von meinen Askaris im Dickicht Getöteten noch nach Tagen unberührt war. Auch heute wehrten sich die beiden Wahunde, die mir Mwunje gab, gegen diesen Verdacht, aber sie können nicht mehr leugnen, daß ihre Landsleute, die Watembo und Wabembe, Menschenfresser sind. Ich frage die Kameronseführer, wie der Getötete hierher gekommen ist, und sie antworten, daß sich eine Anzahl Leute wieder eingefunden hätte, um versuchsweise ihre alte Heimat zu besiedeln. Aber sie seien vor wenigen Tagen, während ich in Kalunga war, von den Watembo überfallen und fast alle verzehrt worden. Auch hundert Rinder seien den Räubern in die Hände gefallen. Was diese Leute zum Kannibalismus verführt, dafür fehlt mir jede Kenntnis und jedes Verständnis. Ich vermute, daß viel Aberglaube im Spiel ist. Ihre sämtlichen Nachbarn verachten sie grenzenlos deswegen, behaupten aber auch, daß viele Wahunde demselben Laster frönen. Vielleicht wirkt da eine Art psychischer Ansteckung mit.
Meinen Trägern geht es schlecht; sie haben sich wieder so töricht und unüberlegt benommen wie einfältige Kinder. In Ujungu lebten sie in Hülle und Fülle, überfraßen sich natürlich, so daß die Hälfte an Indigestionen leidet, und waren nicht dazu zu bewegen, aus dem Reichtum an Nahrungsmitteln, der ihnen fast umsonst zur Verfügung stand, einigen Vorrat mitzunehmen. Allah hat bisher geholfen, Allah wird auch weiter helfen. Nun haben sie gestern nichts an Gemüsen oder Mehl kaufen können, so daß ich an beiden Tagen schlachten lassen mußte. Das bischen Fleisch geht bei ihnen aber auf einen hohlen Zahn, so daß sie leere Magen haben und jammern. Hoffentlich finde ich bald Essen, sonst könnte es ein Malheur geben.
15. Februar. Im wesentlichen nordwestlicher Marsch im Tal, zu beiden Seiten die reichen und doch so armen Berge, wir erreichten einen großen Papyrussumpf namens Kalimissamba, in dem mehrere kleine Bäche und Flüsse versickern. Ich sah heut zum erstenmale fruchttragende wilde Bananen. Sie erinnern in der Form dieses Stadiums an die Kandelaber von elektrischem Bogenlicht. Die reifen Früchte, deren spärliches rosafarbiges Fleisch sich um große, schwarze Kerne lagert, schmeckte fade und nichtssagend. Im Lager kein Eingeborener und keine Lebensmittel. Ich schlachte das vorletzte Stück, und die Träger, die zum Teil schon merkwürdig verfallen aussehen, beginnen sich gegenseitig das bißchen Fleisch zu stehlen, infolgedessen viel Zank und trübe, unzufriedene Stimmung. Ich selbst esse sehr wenig, weil mir der tägliche Braten widersteht und mein Koch natürlich versäumt hat, Bataten und Bohnen von Ujungu mitzunehmen. Ich nähre mich von Brot und Kaffee; Konserven konnte ich diesmal wegen Trägermangels nicht mit mir führen.
17. Februar. Was ich all die Tage im geheimen befürchtet habe, daß meine Leute so erschöpft sind, daß irgend ein außerordentliches Ereignis eine Katastrophe herbeiführen kann, das ist gestern eingetroffen. Nun habe ich einen Mann begraben, zwei sind so schwer krank, daß sie ihm binnen kurzem nachfolgen werden; einige liegen halb irr in ihren Zelten und die anderen sind zum großen Teil so schwach, daß, wenn nicht bald bessere Zeiten kommen, wir alle zugrunde gehen. Was war denn geschehen? Nichts weiter als ein Hagelschlag im Urwald. Gerade die scheinbar allergewöhnlichsten Erlebnisse sind im Innern Afrikas die schlimmsten und auch die undankbarsten für den Erzähler. Wer von uns wurde noch nicht von Regen und Hagel überrascht? Aber das ist der Unterschied zwischen einem Unwetter in Europa und dem afrikanischen Urwald, daß hier die Folgen eintreten konnten, die ich eben erwähnte. (Als ein Jahr später Missionare den schmalen, kaum ¾ Stunden langen Urwald der anderen Seeseite passierten, noch dazu mit frischen, nicht ausgehungerten Leuten, die sie am gleichen Tage in den Dörfern gemietet hatten, wurden sie von einem Gewitter überrascht. Als sie ins Lager kamen, vermißten sie drei Träger, die sie am anderen Morgen suchten und neben ihren Lasten tot am Wege liegen fanden. Wohlgemerkt: nicht durch Blitzschlag, sondern nur durch die Schrecken des Unwetters im Walde.)
Ich will versuchen, auf Grund meiner Notizen vom 16. Februar dem Leser ein Bild dieses Tages zu geben, aber ich weiß von vornherein, daß es nur ein Schatten der Wirklichkeit sein wird; und wenn ich mir vornähme, mit allen Kräften zu übertreiben, es bliebe doch nur ein matter Reflex des Erlebten.
Der Marsch begann gestern gleich anstrengend. Wir erstiegen einen hohen steilen Berg, auf dem bis in den Grund zerstörte Dörfer für den Vandalismus der Waregga zeugten. Dann kamen wir in eine Gegend, die wohl auch früher unbewohnt war, und traten allmählich in Urwald ein. Das Wetter war heiter, der Boden nicht schlüpfrig, der Weg nicht verwachsen, die Vegetation herrlich, so daß ich die Mühe der kartographischen Arbeit infolge mangelnder Orientierung gern übersah. Nach zwei Stunden ermüdender, aber nicht zu arger Steigungen machte ich eine kurze Pause. Als ich aufbrach, trafen gerade die letzten Träger ein, und alles schien verhältnismäßig guter Dinge. Ich konnte keinesfalls im Pori lagern, sondern mußte einen ergiebigen Marsch machen, um endlich in bewohnte Gebiete zu kommen und Gelegenheit zum Nahrungskauf zu haben, denn es war bereits der vierte Tag, den die Karawane bei ganz ungenügender Ernährung zubrachte.
Bald nach Antritt des Weitermarsches verdunkelte sich der Himmel, und von fern her hörte man dumpfen Donner. Vergebens suchte unser eingeborener Führer durch grelles Pfeifen und schrillenden Gesang den Regen zu beschwören, vergebens schüttelte er, während ich vorwärtstrieb, seine Lanze, an deren Spitze er ein Horn gebunden hatte, gegen den Himmel; umsonst rief er den Leuten immer wieder zu, sie möchten beim Überschreiten der Rinnsale ihre Speere nicht ins Wasser tauchen. Die Götter spotteten seiner, und es brach über uns herein und dauerte nur wenige Minuten, bis der wildeste Kampf der finsteren Gewalten entfesselt war. Der Regen vermengte sich rasch mit Hagel, und ich suchte mit zwei Boys Schutz im dichtesten Dickicht.
Wo nehme ich die Worte her, um einen Begriff von dem Höllenlärm zu geben, der jetzt durch den Wald toste? Das war kein Donner, wie ich ihn kannte, das rollte nicht und polterte nicht, nein, das war, als führen tausend Riesenschwerter zischend durch die Luft, als klirrten tausend Riesenschilde wütend gegeneinander, und dann wieder krachte es, als berste die Erde an hundert Stellen und wolle alle Kreatur verschlingen. Das brüllte und heulte und raste über uns und schüttelte die Kronen der gigantischen Bäume, daß sie sich tief herabbeugten und die Äste wie fliegende Haare alle nach einer Seite gezogen wurden und das welke Holz prasselnd hinabfiel; das schlug und preschte und peitschte auf das Blätterdach des Unterholzes, daß das Laub bald in Fetzen an den Zweigen hing; das trieb und jagte und wirbelte Blüten und Beeren und Blätter in wildem Tanz umher, daß es aussah, als flöhen sie wie erschreckte Vögelchen vor unsichtbaren Feinden bald hierhin, bald dorthin und nirgends Ruhe findend. Und in den Schluchten tobte das Wasser, und der Sturm fing sich in ihren engsten Rissen und Spalten, daß es unter uns pfiff und brauste und kreischte und lachte und ächzte, als öffne die Unterwelt ihre Gräber, und als wollten die Toten alles Lebendige zu sich herabziehen. Nie in meinem Leben habe ich Gewitter gefürchtet, an diesem Tage lernte ich das Zittern.
Indessen saß ich im Dickicht; das Wasser ergoß sich von allen Zweigen auf uns, floß mir in den Nacken und den Rücken entlang, und bald triefte ich am ganzen Leibe; der Hagel war erbsengroß, aber der Sturm warf ihn mit solcher Gewalt durch das Gezweig, daß ich Kopf und Hände bald hier, bald da umsonst zu verstecken suchte. Der Regen war kalt, hundekalt, eiskalt, und ich fror und schauerte in meinem dünnen Zeug, das überall am Körper klebte, bis in die Knochen, und der Regen strömte und strömte aus uns herab, immer tiefer versanken die Füße im Morast, immer stärker fror ich und bebte mit verklammten Händen, und der Regen strömte und strömte, immer wilder jagten die Bäche an uns vorbei, in die sich die tiefeingetretenen Wege verwandelt hatten, und bespritzten uns mit ihrem schmutzigen Wasser, und der Regen strömte und strömte, und über uns toste der Lärm der Hölle.
Ich gestehe, als ich so im Dickicht kauerte und fror – nie in meinem Leben fror ich so – da kam mir einen Moment der feige Gedanke, mich hinzuwerfen und mich nicht mehr zu rühren; was liegt am Tod, nur nicht mehr sich wehren müssen. Endlich ließ wenigstens der Hagel nach, ich raffte mich auf und marschierte weiter. Von den Leuten hatte ich nichts mehr gesehen, aber ich hatte gesehen, wie meine Boys grau und aschfarben wurden und Furcht und Frost ihnen alle Glieder schlug, und ich wußte, daß, wenn ich nicht bald ein Lager fände, wir alle zugrunde gehen. Zum ersten Male auf meiner neunzehnmonatlichen Reise mußte ich die Aufnahme des Weges unterbrechen. Ich marschierte weiter, aber das war kein Marschieren, das war ein Gleiten, Stürzen, Klettern, Rutschen, Fallen. Der Weg war zum Wildbach geworden; an tiefen Stellen, wo auf ebenem Wege ein querlaufender Stamm oder Wurzelwerk eine Art Stauwerk bildete, stand das eisige Wasser und reichte uns bis zum Knie; und die Luft war, als der Regen endlich aufhörte, rein, aber schauerlich kalt.
Ich wollte, um nur ein Ende zu machen, mehrmals an ganz unmöglichen Stellen lagern, wo höchstens Raum genug war, um mir eine Schilfhütte roh zusammenzuschlagen, aber der Führer jagte mich durch die Aussicht auf einen guten Platz immer wieder vorwärts. Endlich lichtete sich der Wald, wir überschritten einen reißenden Fluß, die Bäume stehen vereinzelter, Riesenfarne verdrängen das Unterholz und zuletzt treten wir, was ich kaum noch zu hoffen wagte, ins Freie. Ein kahles gebirgiges Grasland ohne Strauch und Baum, selbst ohne Bananen, dehnt sich endlos, endlos vor uns aus. In trostlos weiter Ferne sieht man auch Hütten, aber sie scheinen unbewohnt, kein Rauch steigt von ihnen aus. Das Land heißt Kischari. Überall an unserem Wege liegt noch der Hagel, der als er den Abhang hinabrollte, in allen Vertiefungen hängen blieb und sich zu großen Haufen aufschichtete. Um 3 Uhr – 4 Stunden waren seit Beginn des Unwetters verstrichen – hielt ich mit den Führern und einigen Askaris auf einem langgestreckten Kamm. Die Sonne bricht für Augenblicke durch das graue Dunkel, aber bald verschwindet sie wieder hinter Wolken, ein kalter Wind weht uns feuchten Nebel zu, der wie Dampf aus allen Tälern und Schluchten aufsteigt, und ich werde wie ein Fieberkranker von Frost geschüttelt, daß mir die Zähne heftig gegen einander schlagen.
Aber nach einer Stunde kamen die ersten Träger, zum Glück auch das Zelt und – ein Frottiertuch, und ich wurde wieder Mensch. Um 5 Uhr erscheint ein größerer Trupp, unter anderen der Träger der Bettlast; sie ist durchnäßt, weil sie der schützenden Hülle entbehrt, seitdem ein Jahr vorher am Njawarongo ein Dieb die Geschmacklosigkeit hatte, mir eines Nachts den wasserdichten Segeltuch-Sack zu stehlen und irgend einer mir dunklen Bestimmung zuzuführen. Um ½6 meldet man mir, daß einige Leute unterwegs liegen geblieben oder unfähig oder zu schlaff sind, um weiterzugehen; so muß ich eine Viertelstunde danach mit 2 Askaris den Weg zurückkehren.
Nach Sonnenuntergang erreichen wir den Fluß am Urwaldrande; 2 Träger liegen jenseits am Wege neben ihren Lasten; Finesse, der alte Mnjampara, läuft wie ein wildes Tier im Käfig unter den Uferbäumen auf und ab, und ein kleiner Askariboy kauert neben dem Wasser, murmelt vor sich hin und wirft einen Stein nach dem andern in den Fluß, als wollte er ihn damit ausfüllen. Ich rede den Trägern zu, aber sie erklären apathisch, lieber sterben zu wollen, als sich zu erheben; sie wiederholen es, als ich ihnen sage, daß das Lager nahe sei. Ich wende mich an Finesse, aber er schüttelt nur den Kopf und ruft wohl zehnmal hintereinander in kläglichem Ton, » nakufa baba«, »ich sterbe, Vater« und setzt seine Wanderung fort. Mit dem Jungen aber ist gar nichts zu wollen; er sieht mich nur verständnislos an, rollt die Augen, murmelt immer denselben unsinnigen Zischlaut und greift nach einem neuen Stein. Der Peppo Wer diese mysteriöse Persönlichkeit ist, berichte ich im nächsten Briefe. hat ihn gepackt, sagen die Askaris. Und nun – es mußte etwas geschehen. Der Regen hatte bereits unterwegs wieder begonnen, jetzt fällt er stärker, es dunkelt rasch und hinter dem Waldrand herrscht schon Finsternis. Ich versuche es noch einmal mit Zureden, aber als das nichts hilft, suche ich mir nach Xenophons Rezept einen Stock und prügle auf sie ein. Sie werden es mir noch einmal danken. Solchermaßen treibe ich sie zum Lager; noch fehlen viele Träger, aber ich kann in dieser schwarzen Nacht nicht noch einmal umkehren; auch würde ich selbst zusammenbrechen.
Trotzdem ich totmüde bin, kann ich in dem feuchten Bett nicht einschlafen, überdies quält mich das Bild der Leute, die diese Nacht ohne Feuer und Essen im Urwald zubringen müssen. Um Mitternacht treffen sie noch ein; ein einziger sei allein im Walde zurückgeblieben.
Sobald der heutige Tag graute, brach ich mit einigen Leuten auf, den Träger Semakweli, einen kräftigen hübschen Burschen vom Rufidji, zu suchen. Mir schwant das Schlimmste. Nach einer Stunde fanden wir ihn; mitten auf dem tiefeingetretenen schmalen Pfade lag er quer über ein Wurzelstück auf dem Bauch. Den Kopf und die Brust tiefer. Das Gesicht war in den Schlamm gedrückt, die Hände gekrallt, Mund und Nase voller Erde. Er war schon kalt und starr. Entweder war er hier zusammengebrochen und zu schwach, sich zu erheben, in der Pfütze ertrunken oder er hatte demselben Gedanken, der mich gestern einen Moment gefaßt hatte, nachgegeben und hatte sich wie die Träger am Fluß hingeworfen, um zu sterben. Seine Last liegt zerbrochen nicht weit von ihm, die Bücher und Diarien, die sie enthielt, sind über den Weg verstreut und in schrecklichem Zustande. Ich suche alles zusammen, aber einige Tagebücher sind fortgeschwemmt und nicht mehr zu finden, zum Glück nicht geographischen Inhalts. Ich schickte ins Lager, um Schaufeln zu holen, und wir begruben ihn im Dickicht abseits des Weges nach dem Ritus seines Glaubens. Wir hatten noch nicht die letzte Scholle auf sein Grab geworfen, als wieder neuer Regen und Hagel losbrach und die Wege in Bäche verwandelte, aber heute berührt es mich wenig, weil ich ein trockenes Lager nahe wußte.
Zum Marschieren war es heute zu spät geworden, auch wollte der Regen den ganzen Tag nicht aufhören. Das war schlimm, denn es ist heute das fünfte Hungerlager. Ich ließ die letzten drei Hühner und die letzte Ziege schlachten und verteilen. Von den Eingeborenen hatten sich nur drei Leute eingestellt, aber nichts zum Verkauf gebracht. Ich sah heute, daß es viele Dörfer gibt, die ich gestern nicht erkannt hatte, weil sie alle auf den höchsten Gipfeln der steilsten Berge hinter einer dunklen Mauer sich verstecken. Die Felder, fast nur Bohnen, liegen dagegen tief unten in der Nähe der Gewässer und bei ihnen für die Säer und Schnitter eine Anzahl Hütten, die Dörfer vortäuschen. Jede Hütte, auch die in den Dörfern, hat zwei sich gegenüberliegende Türen. Ein Kind könnte aus alledem die Geschichte dieses Landes schreiben. Die Feinde sind Waregga, Watembo und Wabembe von jenseits der Randberge aus dem Waldgebiet des Kongo, unter ihnen auch belgische Meuterer, die hier mit ihren Donnerbüchsen furchtbar gewütet haben sollen.
18. Februar. Ich marschiere heute, um Essen zu finden, trotzdem ich mich krank fühle. Wir erblicken auch bald ein Dorf uns gegenüber, aber sobald wir über den hohen Kamm tauchen, tönt von allen Bergen der dumpfe Schall der Pauken und die Leute fliehen die Hänge hinauf. Meine ausgehungerte Karawane rast den Abhang hinauf in der Hoffnung, daß die Eingeborenen nicht Zeit haben werden, alle Nahrung mit sich zu schleppen. Erschöpft kommen sie an und schauen in alle Hütten, aber außer einem nicht eßbaren alten Weibe ist nichts zu finden. Das Dorf ist schon seit Urzeiten verlassen und die Leute kamen nur, um aus den alten Hütten Brennholz zu schlagen. Inzwischen gelang es den Askaris, einige Flüchtlinge zu fassen. Sie sagen, Hungersnot herrsche im Lande, sie selbst nährten sich von wilden Kräutern, und sie schauen wahrhaftig danach aus. Man sieht ihnen an, daß sie den ganzen Tag zusammengepfercht im Schmutz am Feuer liegen und ihren knurrenden Magen mit Schlaf stopfen. Das war eine schlimme Botschaft, die uns weiter trieb.
Wir passieren einige Dörfer und revidieren jeden Winkel, aber alle Körbe sind leer, wir finden nichts als geröstetes Mark von Bananenstämmen, allerhand Gräser und Farrnknollen, lauter Symptome einer Hungersnot. Unterwegs treffen wir einige Watussi, die versprechen, uns in ein Dorf zu führen, wo wir Nahrung finden sollen; aber nichts finden wir als einen halben Korb alter Bohnen. In Ermangelung von anderem essen die Träger die unreifen Bohnen von den Feldern, doch sind sie sehr traurig und murren immer stärker »Nach Ruanda«. Ruanda – das schwebt jetzt wie ein Dorado vor ihnen. Ich kann nicht viel auf ihre Reden achten, denn ich habe mit mir selbst zu tun. Ich marschierte heute unter heftigen Kolikschmerzen, denn die Durchnässung, Anstrengung, mangelhafte Ernährung und Aufregung gemeinsam haben mir einen dysenterischen Katarrh zugezogen, der mich zwingt, seit acht Monaten zum ersten Male das Krankenbett aufzusuchen. Und meine Arzneilast liegt fern in Usumbura.
19. Februar. Die Schmerzen haben etwas nachgelassen, aber das Leiden ist stärker geworden. Aber fort muß ich um der Karawane willen. Ein kurzer, aber wegen der Steilheit des Terrains ermüdender Marsch brachte uns nach einem Dorf namens Tschowa. Hier besuchten uns viele Watussi, freundliche einfache Menschen, aber weder so schön noch so vornehm, wie die von Urundi und Ruanda; das macht, sie müssen arbeiten. Denn hier sind sie nicht die Herrscher des Landes, sondern leben in isolierten Dörfern als Viehzüchter neben den ackerbauenden Ureinwohnern. (Es ist überhaupt merkwürdig, eine wie scharfe Grenze der Russisi und Kiwu in dieser Beziehung bilden; östlich leben die Watussi in Mengen als Könige und Häuptlinge der unterworfenen Völker, westlich – nur vereinzelt oder wie in Kischari in größerer Zahl, aber so oder so nicht als Herrscher.) Ich erzähle ihnen von der erhabenen Stellung ihrer Brüder und sie streichelten mir dankbar die Arme (aber ich glaube, sie taten nur aus Liebenswürdigkeit so und ich sagte ihnen nichts Neues, denn später hörte ich, daß Kischari das Asyl aller Watussi sei, die aus ihrer Heimat aus irgend einem Grunde fliehen mußten).
Mir ging es in diesen und den nächsten Tagen recht schlecht. Mein Magen war im Gegensatz zum Darm gesund, aber ich hatte nichts, um ihn zu füllen. Nun, klagt mein Tagebuch, versagt auch die Kuh in ihrer Milchproduktion und so erscheint auf meiner Tafel nichts anderes, als dreimal täglich Schnitzbohnen von den Hülsen der unreifen Bohnen. Ziegenfleisch widersteht mir, wenn ich es noch lebend herumlaufen sehe, und etwas andres gibt es nicht. Zwar versucht mein Koch mit rührender Beharrlichkeit, es bald als Kalbskotelett, bald als Rinderkeule, bald als Goulasch zu frisieren, aber ich schicke es mit gleicher Beharrlichkeit immer wieder in die Küche zurück; »die janze Richtung paßt mir nich«. Aber trotzdem ließ ich mich dadurch nicht sehr niederdrücken, sobald mein Körper seine Krankheit einigermaßen überwunden hatte. Es ist ja zum Verzweifeln, wenn man sieht, ein wie gebrechliches Ding unsere Seele ist und wie sie jeder Laune der Materie folgt. »Das Leben ist ein Born der Lust, sagt Zarathustra, aber aus wem der verdorbene Magen redet, der Vater aller Trübsal, dem sind alle Quellen vergiftet«. Das ist leider nur zu wahr und das sind die wirklich Großen, die jederzeit ihren Leib bezwingen. Aber auf welchen glückseligen Inseln wohnen sie?
Insel Kwidjwi, Dezember 1901
Der freundliche Leser – alle Leser sind bekanntlich in der Einbildung des Autors freundlich – hat mich im vorigen Brief vom nördlichsten Punkt des Kiwu durch das zerstörte Kameronse nach Kischari bis zum Dorfe Tschowa begleitet und hoffentlich manche Träne über seine schreckensbleiche Wange laufen lassen. Es wäre wünschenswert, wenn er sich noch einige aufgespart hätte; denn noch war das Ende aller Mühsal nicht gekommen, wie die folgenden Tagebuchblätter erzählen.
20. Februar. Wieder ein Marsch, wie ich ihn als Mensch und Christ all meinen Feinden nächst einem sanften Selbstmord am innigsten gönnte. Erst steil ab von dem hohen Gipfel, auf dem Tschowa liegt und jenseits der Schlucht wieder enorm steil an auf Wegen, die mit Absicht so mühsam wie möglich angelegt sind. Mitten auf dem Anstieg, der mich nach jedem fünften Schritt zur Ruhe zwingt, trotzdem ich mich wieder leidlich wohl fühle, überrascht uns ein tüchtiger Guß und durchnäßt mich in wenigen Minuten. Aber zum Glück ist oben ein kleines Dorf und bald sitze ich in einer Hütte an einem erquickenden warmen Feuer, umgeben von einem halben Dutzend Watembo und einigen Wahunde, die sich alle der Karawane in Ujungu als Trägerboys angeschlossen haben.
Ich mußte lachen, wenn ich daran dachte, was meine Freunde für Augen machen würden, wenn sie mich so gemütlich unter lauter Menschenfressern sitzen sähen. Man wird ja allmählich so stumpf und abgebrüht, daß jede neue Impression die alte rasch verwischt, und daß infolgedessen die Ereignisse der letzten Tage den abscheulichen Eindruck jenes Menschenfleischlunchens in Kameronse so weit abgeschwächt haben, daß ich wieder Sinn für das Komische, das dieser »holden Männlichkeit« anhaftet, habe. Ich schaue mir einen nach dem anderen an. Wer sie so dasitzen sieht, möchte glauben, daß sie alle ganz biedere liebe Jungen sind. Nur die fürchterlichen Kinnbacken der Watembo scheinen zu bestätigen, daß sie die Künstler im Kannibalismus sind, als die sie verschrieen werden. Ich habe den nassen Rock ausgezogen und zum Trocknen über die Knie gespannt. Jetzt strecke ich ihnen meinen nackten Arm hin und frage sie, ob sie hineinbeißen wollten. Dieser Scherz, der bei der Feigheit der Kerle absolut ungefährlich ist, – ich führe dies an, weil ich daheim ganz unberechtigte Lobsprüche ob meines »Mutes« über mich ergehen lassen mußte – amüsiert sie kolossal; sie schütteln sich und werfen die Köpfe nach hinten und öffnen den Rachen, der sich fast bis zu den Ohren verbreitert. Und wie sie lachen: als ob ein Dutzend Wasserpfeifen gluckste. Die Wahunde verhalten sich reservierter, aber nach ihrer Freundschaft mit den Watembo zu schließen, sind sie auch keine Kostverächter. Im Dunkeln, glaube ich, käme es ihnen nicht darauf an, wenn sie mal statt einer Handvoll Bohnen versehentlich ein Stück »kalten Missionars« erwischten. Doch »solche Dinge tut man, Ede«, denken sie wie Herr Auer, »aber man spricht nicht von ihnen«.
Da saß ich nun mitten unter den edlen Seelen auf einem niedrigen Stück Holz, wie auf einem Schemel; wenn ich zur Türöffnung hinaussah, sah ich den kalten Nebel um den Berg wehen und den Regen auf die Dächer und Wege prasseln; hier drinnen aber war es warm und heimlich, denn das Feuer flackerte hoch zur Decke, und die zusammenbrechenden Scheite knisterten lustig. Meine nassen Kleider und Schuhe dampften, der Rauch des feuchten Holzes wollte mir die Augen wegbeißen und die Tränen liefen mir unter den halb geschlossenen Lidern über die Backen. Man schwätzt halblaut in eintönig abgehackten Worten, man legt vorjährige angefaulte süße Kartoffeln in die glühende Asche und verzehrt dann Asche und Kartoffeln; man dörrt frische grüne nasse Tabaksblätter und raucht sie aus kurzen Tonpfeifen. Mein Nachbar zur Rechten zieht aus einer kleinen Kürbisflasche mit zierlich besticktem Rande ein ölgetränktes Stück Rindenzeug, knetet es zwischen den Händen, bis das Öl, ganz schwarz vor Schmutz, ihm über die Finger läuft und schmiert sich dann von oben bis unten ein. Dann reicht er es meinem Nachbarn zur Linken, der desgleichen tut. Und Tabaksqualm und Herdrauch, die brenzlichen Kartoffeln und das Rhizinusöl, all das mengt sich zu gar lieblichen Wohlgerüchen: to all the perfumes of Arabia. Aber es dünkt mich gleichwohl behaglich; denn mein Körper fühlt sich wieder wohler, die Kleider dampfen und dampfen und die Wärme dringt mir bis auf die Haut; dann stecke ich mir auch eine Pfeife an und an die Wand gelehnt, lausche ich mit halbgeschlossenen Augen, aus denen die Tränen über die Backen laufen, dem eintönig plätschernden Geschwätz und denke der fernen Heimat und derer, die ich verließ, während der Regen leise gegen das Grasdach trommelt, das Feuer qualmend zur Decke flackert und die zusammenbrechenden Scheite lustig knistern und prasseln.
Eine Stunde saß ich schon so und noch hatten die Nachzügler nicht die steile Höhe erklommen; ich war indes trocken, und so marschierte ich weiter. Der Regen hatte aufgehört; aber dichte feuchtkalte Nebel hüllen den Berg ein, immer neue Massen kommen aus der Tiefe, und kaum zwanzig Schritt entfernt sind die Leute vor und hinter mir nicht mehr sichtbar. Wir steigen noch weiter hinauf durch Urwaldreste, zwischen denen Bohnenfelder stehen, die der Ernte nahe sind. Zuletzt treten wir in einen Hohlweg, der, 3-4 Meter tief, zwischen nackten Felsen läuft und so eng ist, daß ich fürchte, meine breitgehörnte Kuh könne ihn nicht passieren. Vom Himmel sieht man kaum etwas, weil oben sich Schlinggewächs über die schmale Öffnung wölbt. 200 Schritt steigen wir so steil an – oft über natürliche Treppen – dann stehen wir plötzlich vor einem engen Tor, das das Ende des Hohlpfades bildet und mit geringer Mühe von einem Mann verteidigt werden kann. Gebückt treten wir hindurch und befinden uns in einem großen Dorf, das uns selbst heute morgen total entgangen war, als noch nicht Nebel die Aussicht versperrte. Rings herum läuft, wie bei allen Dörfern, eine sehr merkwürdige Mauer, die aus tausenden von Astgabeln und gespaltenen Wurzelstücken besteht und zehn Lagen in der Breite, zwanzig in der Höhe bildet, also ein für Eingeborene undurchdringliches Hindernis. Auf zwei Seiten der Dörfer, die nur durch Hohlwege oder ganz steile Zugänge zu erreichen sind, befinden sich die Tore, die durch Bäume rasch und sicher geschlossen werden können. Daß jede Hütte zwei sich gegenüberliegende Öffnungen hat, erwähnte ich früher. Welche traurigen Erfahrungen müssen diese Menschen gemacht haben, um zu solchen Vorsichtsmaßregeln zu greifen und »wann wird ein Retter kommen diesem Lande«?
Ich nehme es ihnen daher auch gar nicht übel, daß die Ansiedlungen, die wir passieren, meist von Mann und Maus verlassen sind. Die Einwohner werden zweifellos von dem Weg, den wir einschlagen, benachrichtigt und begeben sich mit aller Habe an sichere Plätze. Es scheint überhaupt hier Brauch zu sein, uns die Häuser als Lager zu überlassen, auch das nötige Brennholz an Ort und Stelle zu legen, damit wir nicht die Hütten demolieren, im übrigen aber unsere Gesellschaft möglichst zu meiden. Infolgedessen ist zu ethnographischen Käufen wenig Gelegenheit. Übrigens habe ich genügend gesehen, um nicht allzu betrübt zu sein. Die Leute haben wenig am Leibe, und das wenige gleicht teils dem, was ich am West-Kiwu oder dem, was ich bei den Watussi von Ruanda gesehen habe. Das schließt natürlich nicht aus, daß ein längerer Aufenthalt doch allerhand Interessantes zu Tage fördern würde.
Es war fürchterlich kalt hier oben und ich bedurfte dicken Unterzeugs und Winterkleider, um mich einigermaßen warm zu halten. Gegen drei Uhr fing der Wind an, den Nebel für kurze Momente zu zerreißen, und dann sah ich Bruchstücke eines der merkwürdigsten Landschaftsbilder. Gegen vier Uhr siegte die Sonne, der Nebel schwand, die Luft war klar und ich genoß von dem Dach einer Hütte aus einen weiten Rundblick nach allen Richtungen der Windrose.
Was der Landschaft den eigenartigen Charakter gab, war die enorme Ausdehnung namentlich nach Südwesten und Westen; ein ungeheures zerklüftetes Gebirgsland. Kette hinter Kette und mit einem Durcheinander von Tälern und Schluchten, daß es über meine Kräfte ging, dieses chaotische Bild zu entwirren und auf seine einfachsten Formen zurückzuführen. Gipfel neben Gipfel, wahre Riesen unter ihnen, und alle überragt von den beiden Kolossen des Wuko und Wikumbur. Und alles kahles d. h. baum- und strauchloses, von der Abendsonne mit Gold übergossenes Grasland; nur ganz ferne auf der letzten Kette Urwald und im Südwesten der, den wir jüngst durchschritten, sonst nichts als hohes Gras, Gras und wieder Gras, das wie unsere Kornfelder im Winde Wellen schlägt. Nur tief, tief unten stehen wilde Bananen, aber in solchen Massen, daß meine Leute glauben, es seien Kulturen, und ich selbst es glaubte, wenn nicht die hellgrünen, fast silberweiß schimmernden Blätter auch ohne Fernglas genügten, ihren wilden Zustand zu bezeugen. Zahllose gewundene Wildbäche strömen aus allen Richtungen dem nach Norden fließenden Hauptarm zu; bis zu unserer Höhe dringt das Rauschen aus ihren nebeldampfenden Abgründen.
Wo sind die Menschen, die dieses unermeßliche Gebiet bewohnen? Wenn der Herdrauch nicht wäre, der durch die Hüttendächer dringt und, von der feuchten Luft niedergeschlagen, in blauen Schleiern die Gipfel umschlingt, würde nur ein geübtes Auge die Dörfer erkennen, die die Höhen einrahmen. Wie hoch, wie steil, wie zerklüftet auch ein Berg sei – er verbirgt auf seiner Kuppe hinter dunkler Mauer eine Ansiedlung. Diese Hunderte von Burgen in dem ungeheuren gebirgigen Grasland bieten einen der sonderbarsten Anblicke, die ich je genoß. Im Südosten erhebt sich der Niragongwe-Vulkan und weiter nördlich uns gegenüber der nach seinem Schutzgeiste Namjagira benannte. Eine Rauchwolke kriecht seinen Abhang hinab, von ihm aus senkt sich ein mit dichtestem Urwald bestandenes Gebirge nach Westen mit vielen Zungen und losgelösten Kuppen. Auch das Tal an seinem Fuße ist waldbedeckt. Nach Nordnordost setzt sich der Namjagira ohne scharfen Übergang in ein Bergland fort, das reich bewohnt scheint und Muschari genannt wird. Zu unserer Rechten fällt unser Berg jäh und tief zu einem von kahlen Hügeln eingerahmten Sumpf ab. Nach vorne d. h. nach Nordost dehnt sich ein Becken mit Sumpf und vier kleinen Seen, die früher ein einziger gewesen sein sollen und wechselnden Wasserstand haben. Der größte von ihnen ist der Muntaragga, von dem ich schon tagelang vorher gehört hatte. Das Ende des Beckens sah ich nicht, weil die Nebel sich wieder dichter schließen. Eingerahmt ist es von wilden zerrissenen Bergen, in denen zerstreut und versteckt räuberische Wabembe leben sollen.
Der See zu unseren Füßen wird auf zwei Seiten von Urwald, auf der dritten von kahlen Hügeln und im Westen von Papyrussumpf umrahmt. Zahlreiche helle Schilfinseln ziehen sich in die dunkle Flut hinein. An ihrem Rande stehen Tausende weißer Vögel, die ich für Störche halten würde, die aber nach der Beschreibung der Eingeborenen Flamingos sind, von Zeit zu Zeit fliegt eine Partie wie eine weiße Wolke auf, fällt aber bald wieder in der Nähe in das Schilf ein. Nicht weit von ihnen steht eine Büffelherde, die ich zuerst für Erdhaufen gehalten hatte; Leib an Leib, die vordersten halb im Wasser; ich schätze sie auf 400 Stück. Nach Aussagen der Führer sollen sie zweimal im Jahre über die Berge zum Rutschurru hinüber wechseln.
Durch mein Glas kann ich sie deutlich sich bewegen sehen. Wieder, wie schon so oft, tauchten mir beim Anblick dieser Tiere mitten in der unendlichen Einsamkeit dieser kalten Wildnis, auf die jetzt die in Nebeln versinkende Sonne durch jede Spalte des Gewölks purpurrote Strahlen sendet, längst vergessene Bilder aus alten Reisebüchern meiner Kindheit auf.
Auf Grund der heutigen Rundschau beschließe ich nicht weiter nach Norden zu gehen. Ich müßte erst tagelang durch Pori und später durch auch nur spärlich besiedeltes Land, das hält meine Karawane nicht mehr aus. Seit heute wird zwar durch Vermittlung der Watussi etwas mehr Nahrung gebracht, aber doch nicht genügend, um ihr Wohlbefinden auf den alten Status zu bringen. Und da auch meine Tauschwaren nur noch für vier Wochen reichen, beschließe ich, nach Osten zu biegen und über den Abhang des Namjagira-Vulkans nach Ruanda zu marschieren. Meine Leute brachen in wildes Hurra aus, als ich es ihnen mitteilte.
22. Februar. Es gibt immer noch neue Weghindernisse, deren Bekanntschaft ich auf dieser Reise machen soll. Gestern war es ein ganz infames Dickicht aus einem Flechtwerk von Schilfgras und einem mir fremden dornigen Strauch, durch das wir stundenlang marschieren mußten, nachdem wir unsern hohen Lagerberg hinabgestiegen waren. Alles flucht, ich, weil ich bei jedem zehnten oder zwanzigsten Schritt die Kompaßablesung notieren muß, und die Träger, weil das Gezweig die Lasten auf ihren Köpfen und Schultern festhält, so daß es fortwährend Stockungen gibt. Dann gab es einen Flußübergang und jenseits wieder steil hinauf; hinauf unter Ach und Weh. Auf dem Kamm treffen wir ein leeres Dorf, in dem ich uns eine Ruhepause gönnen will, und dort ereignete sich, was mir diesen Tag unvergeßlich machen wird.
Als ich mich gerade zu kurzer Rast gesetzt hatte, meldete mir der Askari Manledi, der die Arrièregarde schließt, daß in der Nähe des eben passierten Flusses ein einsamer Elefant im Grasdickicht stehe. Das war nicht unwahrscheinlich, weil wir alle diese Tage viel frische Losung und Fährten gesehen hatten. Ich kehrte also mit Manledi und zwei anderen Leuten um bis zum Ende des Kammes. Hier zeigte er mir tief, tief unten, dicht am Flusse eine Stelle, wo das edle Wild stehen sollte. Ich sah zunächst nichts als zwei Bäumchen, die von hier oben aus Sträuchern glichen, und zwischen ihnen einen hellrotbraunen Fleck. Von Zeit zu Zeit bewegte sich das Gezweig, wurde herabgezogen und schnellte wieder in die Höhe. Das ist ein sehr sicheres Zeichen, wie ich später mehrmals konstatierte; wenn ich im Urwalde durch eine Lücke des Dickichts dies starke Emporschnellen von Zweigen sah, durfte ich sicher sein, daß dort ein Elefant äste. Damals aber kannte ich es noch nicht und, da der Hauptfleck so auffallend rot war, durfte man an alles andere eher denken – besonders an ein Rind – als gerade an einen elephas. (Das war keine törichte Vermutung, weil es hierzulande gar nicht selten ist, daß ein älterer Stier melancholisch wird, seine Herde verläßt und sich im Pori einem Einsiedlerleben ergibt. Schoß doch neulich einmal ein Europäer in Urwaldwildnis solchen Bullen und zerbrach sich den Kopf über die unbekannte Büffel-Art, die er zur Strecke gebracht hatte).
Ich stieg den Abhang etwas hinab und erkannte von einem günstigen Standpunkt aus mit dem Glase deutlich, daß es doch ein Elefant war. Er hatte den Kopf von uns abgewandt und weidete nichts ahnend, ab und zu mit den Ohren klappend und mit dem Rüssel Blätter herabholend. Der Wind stand sehr gut. Da ich aber nicht hoffen durfte, durch das enorme Grasdickicht unbemerkt anschleichen zu können, gab ich den Gedanken an die Jagd auf und befahl den Askaris, eine Schrecksalve abzufeuern, wenn auch auf gut Glück mit Visier 400 Meter in die Nähe des Tieres zu halten – sie gehörten ja zu denen, die die dicksten Bataten ernten, also wäre alles möglich gewesen. Natürlich dachte ich nicht ernsthaft an Treffer, sonst hätte ich selbst geschossen; das wollte ich aber deswegen nicht, weil mir daran lag, die Flucht des Dickhäuters zu beobachten. Ich hatte so oft von ihrer unglaublichen Schnelligkeit gehört, jetzt wollte ich es selbst einmal sehen, da kein Ort zur Beobachtung günstiger sein konnte als der meine, von dem aus ich mehrere Quadratkilometer des Tales übersah.
Aber die Askaris nahmen die Sache ernster als ich, erklärten, sie bekämen den roten Fleck nicht in die Kimme und wollten versuchen, näher heranzukommen. Mit einem Seufzer an den Aufstieg denkend, gab ich ihrem Wunsche nach. Es gab nur eine Möglichkeit, nämlich eine Nase herabzusteigen; dadurch konnten wir näher, aber auch in ungünstigeren Wind kommen. Trotzdem wir nicht sonderlich geräuschlos durch das Hochgras uns den Weg bahnten, äste das Tier ohne Mißtrauen wie vorher und ging nur wenige Schritt zu dem nächsten Bäumchen weiter. Als wir noch etwa 250 Meter entfernt waren und es zwischen dem Fluß und unserer diesem parallel laufenden Bergnase hatten, mußten wir Halt machen; denn hier, wo der Hang steil abfiel, hätten wir wegen des hohen Grases nichts mehr gesehen. Auch von hier aus war nur noch ein Stück des Rückens sichtbar, aber doch genug, um zielen zu können. Ich wollte tiefer halten, um eventuell ein Bein zu treffen, weil diese schweren Dickhäuter auf drei Beinen nicht laufen können. Den beiden Askaris befahl ich, sich ebenfalls fertig zu machen und sofort hinterher zu schießen, falls er auf meinen Schuß nicht falle.
Natürlich geschah, was ich mir hätte denken können, ich hatte kaum abgezogen, als im gleichen Moment rechts und links von meinen Ohren zwei Gewehre krachten, daß mir noch tagelang das Trommelfell summte. Aber zu Rekriminationen war jetzt keine Zeit; denn der rote Fleck verschwand sofort nach unten. Der Elefant war scheinbar zusammengesackt.
Bis jetzt war die Jagd ein Kinderspiel gewesen, nun begann der Ernst. Denn wir mußten versuchen, in dem hohen Grasdickicht, in dem wir weder uns noch das Tier sehen konnten, an unser Ziel zu kommen, dessen Richtung wir ungefähr wußten. Wir konnten aber nie sicher sein, daß nicht plötzlich über uns ein Rüssel auftauchte, der den vordersten verdientermaßen am Kragen packen würde.
Da die Askaris, wie ich ihnen anmerkte, einen Heidendampf vor dieser Möglichkeit hatten, setzte ich mich anstandslos an die Tête, und infolgedessen war ich es auch, der aus etwa dreißig Meter das Tier wieder zuerst erblickte, wie es aufrecht, abgewandt, den Rüssel in die Höhe gestreckt und ihn nach rechts und links schwenkend, das hohe Gras überragte. Ein kurzer Pfiff zwischen den Zähnen – das verabredete Signal, stehen zu bleiben dann hob ich so leise wie möglich die Büchse, zielte in den Nacken, zog ab, und zum zweiten Male brach der Elefant zusammen. Mit wieder fertigem Gewehr lauschten wir. Nichts ist in der in Mittagsgluten schlafenden Landschaft hörbar als das Brechen von trockenen Ästen und ein leiser, keuchender Laut. Vorsichtig näherten wir uns auf fünfzehn Meter. Aber der Koloß lebt noch und schwenkt wie vorher den hoch erhobenen Rüssel wie eine Fahne, nach seinen unsichtbaren Feinden in ohnmächtiger Wut nach rechts und links greifend.
Jetzt traten die Askaris in Aktion; sie haben keinen kleinen Respekt vor dem Rüssel, der mkonga, und bitten sie »töten« zu dürfen. Eigentlich mehr um ihnen das Schießen zu gönnen, als aus Unüberlegtheit gestatte ich es ihnen, worauf ein wohlgenährtes Schnellfeuer beginnt. Trotzdem bei der kleinen Entfernung jedes Geschoß sitzt und der Rüssel jedesmal scharf herunterklappt, steigt er doch immer wieder sofort auf, wie selbstverständlich, da alles Fleischschüsse sind und die Qual des Tieres nur unnütz verlängern. Nach dem sechsten Schusse »blase« ich ab, gehe in kleinem Bogen rechts auf fünf Schritte heran und töte es durch einen Gehirnschuß. Noch zuckten die Muskeln und machten reflektorisch vernünftige Abwehrbewegungen, als ich schon übermütig auf dem Rücken des Elefanten saß; das war töricht und unrecht, dieses, weil er die Hybris nicht verdiente, denn die zwanzig Minuten, die ihn die Zerschmetterung des Beines oder der Wirbelsäule bei vollem Bewußtsein in wehrloser Pein leiden ließ, müssen gräßlich genug gewesen sein und töricht, weil gar nicht selten die letzten Verblutungskrämpfe großer Tiere den Umstehenden sehr gefährlich werden können, wie ich es selbst einmal an einem Träger nach der Erlegung eines Flußpferdes erlebte.
Meine Leute brachen in ein dreimaliges Hipp Hipp Hurra aus, dem fern von der Höhe, wo meine Träger, durch die Schüsse angelockt, erwartungsvoll stehen, ein Echo antwortete. Nun stieg ich gern hinauf und schlug oben das Lager auf, während mein eingeborener Führer, der immer wieder die kleinen und doch so wirksamen Geschosse verwundert betrachtete, seine Landsleute holen ging, um das Elfenbein herauszubrechen.
Gegen 4 Uhr begann der zweite Teil des Programms, der mir fast interessanter war als der erste. Gab er mir doch vor allem Gelegenheit, eine größere Zahl Eingeborener kennen zu lernen, die der Führer herangeschafft hatte. Es waren meist sehr kräftig gebaute, aber schlecht genährte Leute. Ihren Körper hatten sie mit einer Mischung Erde gesalbt, so daß ihre Haut ein merkwürdig karminfarbenes Aussehen hatte, ähnlich der des Elefanten, dessen auffallende Färbung durch Wälzen in einer flachen Suhle erzeugt war. Sie hatten zum Teil große Äxte mitgebracht, um möglichst rasch die Zähne herauszuholen und dann den Braten unter sich zu teilen, ob dessen sie in diesen schlimmen Zeitläuften außer sich vor Freude waren. Meine eigenen Leute aßen nichts davon, weil das Tier ja nicht rituell geschächtet war; sie mochten es zwar sicherlich alle sehr gern, aber jeder geniert sich vor dem andern. Sechs Mann arbeiteten gleichzeitig mit den Äxten, nachdem das Gesichtsfleisch abgeschnitten und vor allem der beste Bissen, der Rüssel, in Sicherheit gebracht worden war. Sie hatten sich um Stirn und Hals grüne Rankengewinde gelegt, weil die Pulpa sonst die Augen vernichte, wenn sie bei zufälliger Verletzung der Zahnschale herausspritze. Es ist sehr sonderbar, wie weit verbreitet dieser Glaube ist; ich meine fast überall in Afrika, wo es Elefantenjäger gibt. Die Arbeit des Herausbrechens ist enorm; denn bekanntlich sitzen die Stoßzähne bis dicht unter dem Auge im Knochen. Erleichtert wurde sie durch die Art, wie der Elefant zusammengesunken war. Er saß in einer kleinen Mulde, die Vorderbeine auf dem erhöhten Rande und den Kopf aufrecht, so daß man von beiden Seiten gleichzeitig schaffen konnte. Der Eifer, fertig zu werden, war außerordentlich. Die an den Zähnen arbeitenden fürchteten, daß die unbeschäftigten Zuschauer das beste Fleisch kapern würden, daher baten sie uns, die wir zu fünf auf dem Rücken des Tieres saßen, sie mit Zweighieben fernzuhalten. Aber viele stürzten sich doch immer wieder auf den Hals unter dem Vorwande, daß dort der Knochen entblößt werden müßte. Da immer mehrere an einer Stelle herumschnitten, mit der Linken das Fleisch anspannend, mit der Rechten das Messer handhabend, so geschah es oft, daß, wenn der letzte Schnitt erfolgte, zwei oder drei Leute das gleiche abgetrennte Stück mit ihrer Linken umklammerten. Das gab dann ein großes Gezerr und Getue, wobei sie sich nicht nur anfauchten und anschrien, sondern auch, da ihre Backentaschen mit Fetzen rohen Fleisches angefüllt waren, in der Aufregung gegenseitig »besprühten«, bis ihre Gesichter glänzten, als läge auf ihnen dichter Morgentau – kurz, sie machten ein Gezeter, als stände mehr noch als ihre Seligkeit auf dem Spiel. Aber der Magen knurrt und die Seligkeit nicht – wenigstens hat nicht jeder Ohren, um sie zu hören. Hm!
Nach einstündiger Arbeit baten sie mich um Kraftarznei, ich hatte keine andere als das Versprechen eines schönen Bakschischs. Die Nacht brach herein und man arbeitete bei Mondschein weiter. Es war alles mögliche, daß um 9 Uhr die Zähne ausgelöst waren; da sie aber noch in den Oberkiefern steckten, waren sie so schwer, daß sie abwechselnd durch acht Mann den steilen Berg hinaufgetragen werden mußten. Ich war vorausgegangen und schickte ihnen Ablösung mit Magnesiumfackeln entgegen.
Gegen 10 Uhr kamen sie schreiend und singend ins Lager. Es war ein Höllenlärm. Die Weiber gellten ihre Triller, die Trommeln rasten, die Kinder brüllten, die erschreckten Karawanenaffen und -Hühner kreischten und gackerten – es war fürchterlich. Die Zähne legten sie in den Lichtkegel meiner Lampe vor das Zelt, dann umtanzten sie sie in wildem Galopp und zuletzt liefen Männlein und Weiblein über die Zähne hinweg, um dadurch des Elefanten Kraft und Schnelligkeit zu erlangen, was mir namentlich für das schöne Geschlecht sehr wichtig schien. Es ist zu kindisch, aber ich bin seit gestern in der Achtung meiner Leute um eine Himmelsleiter gestiegen. Noch tief in der Nacht hörte ich aus ihren erregten Gesprächen und Gesängen immer wieder den Refrain, daß ihr baba einen Elefanten geschossen habe und einen größeren, als alle Wasungu, denen sie früher gedient hatten.
Als ich heute morgen aufstand, waren die Zähne schon völlig aus den Kieferknochen bloßgelegt. Die Pulpa wurde gerade vorsichtig herausgezogen, in eiligem Lauf davongetragen und vergraben. Auch ein weitverbreiteter Aberglaube. Die Zähne stellten ein kleines Vermögen dar; sie waren exzeptionell groß, 2,50 und 2,60 Meter lang, und je 120 Pfund schwer, d. h. nach dem Antwerpener Marktpreis über 3000 Franks wert. Solche alten, einsam weidenden Bullen haben ja fast immer respektable Stößer. Ich war sehr froh, denn wenn ich auch nur im Notfall daran denken würde, die Zähne zu verkaufen, trotzdem sie wegen ihrer Größe keine Trophäe für eine bürgerliche »gute Stube« sind, und wenn auch 3000 Franks kein Königreich bedeuten, so sind sie in einer halben Stunde gewonnen, auch kein Pappenstiel und ein Notgroschen für eine unsichere Zukunft, wer verdient das sonst in solcher Zeitspanne? nicht einmal ein lyrischer Dichter. – – –
Als ich heute morgen kurz nach 7 Uhr noch einmal an den gestrigen Kampf- und Arbeitsplatz hinabstieg, sahen meine Augen etwas Unglaubliches. Obstupui, steteruntque comae, vox faucibus haesit. Von den 50 oder 60 Zentnern, die solch ein Koloß an Fleischmassen wiegen mag, war nicht mehr so viel da, um ein Huhn sättigen zu können. Wie mit einem feinen Raspatorium abgeschabt, lagen ringsum Knochen und Haut im Grase. Kaum daß noch irgendwo an einem Wirbel oder Gelenk größere Fettpartikel saßen. Daß die 40 Leute von gestern alles weggeräumt haben, scheint mir unmöglich. Es müssen sich nahebei Hunderte Eingeborene verborgen gehalten haben, die nach meinem Weggang gemeinsam mit den anderen die Nacht hindurch bei Mondschein gearbeitet haben. Dafür sprachen auch die vielen Aschenhaufen ringsum. Aber stupend blieb es trotzdem.
Sehr in Verlegenheit kam ich durch meinen Trägermangel. Woher die Leute für den Transport der Zähne nehmen? Schließlich arrangierte sich auch dies. Was irgendwie in meinen Lasten zu entbehren und wertlos war, mußte ich fortwerfen, andere fügte ich zusammen, so daß je zwei zu einer wurden; und leichtere Objekte gab ich den Ruandajungen der Karawane. Einer der beiden Wahunde, der die Last des toten Semakweli übernommen hatte, war übrigens des Nachts geflohen und hielt sich, verlockt durch den Fleischreichtum, bei den Wanjakischari verborgen.
Wir machten heute – 22. Februar – nur einen kurzen Nachmittagsmarsch und lagerten in einem kleinen Dorfe dicht am Pori. Die Landschaft leuchtete im Abendsonnenschein voll lieblichen Reizes. Die Berge waren mit einem lichten Wald weißstämmiger, schlanker, zartbelaubter Bäume wie mit schimmernden Birken bestanden, dazwischen die grünen Wiesen und Bohnenfelder oder die goldgelben Ulesikulturen im Feuer der späten Strahlen. In der Ebene dicht unter uns dehnte sich ein großer dunkler Urwald wie ein riesiger Park aus und hinter ihm tauchten die scharfgeschnittenen Gebilde niedriger kahler Hügel auf.
Im Lager gab es zwei Krampffälle. Nirampetta, eine jener Frauen, die ich in Ruanda loskaufte, erlitt, wie schon öfter, einen epileptischen Insult. Bald darauf fiel auch ein kleiner Boy hin, derselbe, den ich vor wenigen Tagen nach dem Unwetter halbirr am Fluß angetroffen hatte. Es war ein typischer hysterischer Krampf mit Stellungen und Erscheinungen, als hätte er sie in der Salpetrière bei Charcot studiert. Meine Leute, die bei ihm auch Epilepsie vermuteten, waren aufs höchste verblüfft, als ich Suggestion wirken ließ und den Jungen, der scheinbar bewußtlos auf nichts reagierte, bei Androhung von »25« aufforderte, zu genesen, worauf er bedächtig aufstand und in sein Zelt kroch.
Einen hysterischen Anfall nennen die Karawanenneger peppo, was eigentlich Sturmwind bedeutet. Nur selten äußert er sich als Krampf, viel häufiger in irgendwie unverständigem oder unmotiviertem Benehmen: Lachen, Weinen, Singen, Schreien, Schimpfen, Toben usw. Manche können stundenlang dasselbe Lied ableiern, andere einen unsinnigen Laut (z. B. gitsche, gitsche) in infinitum wiederholen oder sie begehen törichte Handlungen.
So erinnere ich mich eines Negers, der scheinbar nicht von dem Plan abzubringen war, seine Hand über dem Herdfeuer zu rösten. Ich sage scheinbar, denn es ist viel Simulation im Spiele. Mag auch der Anfall meist autosuggeriert sein, die Besinnungslosigkeit ist fast stets geheuchelt. Die Sucht, eine Zeitlang den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu bilden, löst in der Mehrzahl der Fälle die hysterische Attacke der Schwarzen aus. So bin ich auch überzeugt, daß jener eben erwähnte Mucius Scaevola sehr rasch seine Hand aus den Flammen gezogen hätte, wenn seine entsetzten Gesellen ihm Freiheit gelassen hätten, statt ihm immer wieder in die Arme zu fallen. Heri, einer meiner Leute in Bergfrieden, tobte eines Abends nach einem Streit mit seiner Gattin fürchterlich und schwor sich zu erschießen; eine Viertelstunde kämpften seine Kameraden schon mit ihm, um ihn festzuhalten, als ich hinzukam. Ich ließ ihn in seine Hütte bringen, reichte ihm sein geladenes Gewehr und schloß hinter ihm die Tür. – Das war vor mehr als 1½ Jahren und er hütet noch heute mein Dorf, während ich in Kwidjwi auf Expedition weile.
Ein Arzt wird aus dem Gesagten leicht den Schluß ziehen, daß nicht jeder Peppo mit Hysterie identisch ist. Hysterie ist ja eine Konstitution. Man hat einen hysterischen Charakter oder hat ihn nicht; man erwirbt ihn schwerlich, noch verliert man ihn; Peppo dagegen kann gelegentlich auch den gesündesten Neger befallen; am besten ließe er sich mit Tropenkoller übertragen, jener den Weißen oft zugeschriebenen unbewiesenen Krankheit, die nach meiner Überzeugung überhaupt keine Krankheit sui generis, sondern nur eine Form der Neurasthenie ist, die, wenn es Kolonien an den Polen gäbe, als »Polarkoller« aufträte. Deshalb täte man besser von »Kolonialkoller« zu sprechen.
»Den Mann hats«, so sagt das Sprichwort – auch der Neger sagt es vom Peppo, und wer über guten Willen und schlechtes Deutsch verfügt, kann noch hinzudichten:
»Geist haben« fällt oft schwer,
»Vom Geist gehabt sein« weniger.
Die Neger glauben nämlich, daß im Peppo ein Msimo, d. h. ein Dämon, ein Geist von dem Kopf des Kranken Besitz genommen hat. – Ist die Attacke vorüber oder dauert sie sehr lange, so wird zum »Arzt« geschickt, der auf diese oder jene Weise die Identität des Geistes feststellt und ihn nach seinen Wünschen fragt, um ihn durch Libationen zu versöhnen. Meist hat der Dämon denselben Geschmack wie der »Arzt«, und besonders oft scheint er in seiner transzendentalen Existenz ein Gelüste nach Pombe zu haben. Auch wählt er aus der afrikanischen Weinkarte (Bananenpombe, Sorghumpombe, Honigpombe, Eleusinenpombe usw.) meist die Marke, die der Arzt ihm wie ein zuverlässiger Oberkellner empfiehlt. Allerdings wird der arme Geist sehr kurz gehalten; denn ihm fallen nur einige auf den Boden gesprengte Tropfen zu, während der übrige Inhalt des Topfes in den Magen von Arzt und Patient »gesprengt« wird. Kein Wunder, wenn er durch häufiges Erscheinen wenigstens einigermaßen das Quantum für die nötige Bett- bezw. Grabschwere zu erreichen sucht.
Eine besonders angenehme Villegiatur sind dem Peppo die Weiberköpfe, und er zeigt sich dankbar dafür. Versagt ein Ehemann einer afrikanischen Schönen einen bunten Stoff, der ihr Gefallen erregt und bleibt er hart, trotzdem sie alle Hilfsmittel ihres Geschlechts verschwendet hat, dann stellt, wenn ihr für solch schnödes Verhalten die Begriffe fehlen, oft genug ein Peppo zur rechten Zeit sich ein, und es ist zehn gegen eins zu wetten, daß dann der mürbe gemachte Gatte die Tracht bewilligt, nach der ihr Trachten stand. Ich kannte die schwarze Wirtschafterin eines Europäers, die Vorzügliches in dieser Kunst leistete – denn es ist immerhin eine Kunst, eine derartige Posse zu ersinnen und sein eigener Mime zu sein. Sollten am Ende jene Ohnmachtsanfälle europäischer Damen, für die der Hausarzt die ersehnte Badereise zu verschreiben pflegt, einem seine Forschungsreisen nach Europa ausdehnenden Peppo ihr Entstehen verdanken? Und müßte eine schwarze Schöne, die zufällig Zeuge solchen Leidens und seiner Therapie wäre, nicht entzückt und angeheimelt ein tout comme chez nous ausrufen?
Viel seltener als der Peppo, aber doch nicht ganz selten, sind typisch epileptische Anfälle, wie sie oft die arme Nirampetta erlitt. Übrigens sollte ich sie gleich nach der letzten Attacke ihres Leidens für immer verlieren. Ich erzählte wohl schon, daß sie vor einigen Jahren geraubt war, aber nur sehr vage Erinnerungen an ihre Heimat hatte. Gestern entdeckte sie plötzlich, daß sie in dieser Gegend zu Hause sei, was sich heute bestätigte, als ihr Ehemann im Lager eintraf, um sie zu reklamieren. Ich fragte ihn, ob er mit wohl die 10 Ziegen zurückerstatten wolle, mit der ich sie einst freigekauft hatte, was ihm um so leichter fallen sollte, als sie jetzt sogar um ein Knäblein reicher zu ihm zurückkehrte, aber er schüttelte nur den Kopf und schüttelte weiter und weiter, als ich immer billiger wurde, acht, sechs, drei Ziegen, schließlich nur eine, dann einen Hahn und zuletzt eine Henne verlangte. Da er immer noch schüttelte, und ich schließlich Angst bekam, der Gemütsmensch könnte selbst dann noch schütteln, wenn ich etwas drauflegen wollte, so gab ich ihr schleunigst die Freiheit, worauf sie, umringt von den Verwandten und Freunden ihres Gatten, im Triumphzuge den heimatlichen Hügel hinaufgeführt wurde und meinen Blicken für immer entschwand.
Insel Kwidjwi, Dezember 1901
Der Leser hat meine Karawane in den beiden letzten Briefen durch die Landschaft Kischari begleitet. Wir hatten am 22. Februar ein kleines Dorf erreicht, das sich dem Abhang eines Berges anschmiegte und unter uns breitete sich eine mit schwarzem Urwald bedeckte Ebene aus, über dessen schwankende Wipfel hinweg wir deutlich das jenseitige Gebirge mit den Niederlassungen des Sultanats Muschari schauen konnten. Die Grenze der beiden Länder läuft durch den Wald.
Als ich am 28. Februar unsern Lagerhügel hinabstieg, um diesen Wald zu durchqueren, hatte ich gehofft, daß ich in den letzten Wochen alle Möglichkeiten an Marschschwierigkeiten erschöpft hatte; aber ich sollte an diesem Tage kennen lernen, daß dieses unselige Kischari mir doch noch eine neue Art zum Abschied aufgespart hatte. Mein Führer hatte gesagt, daß es zwei Wege für uns gäbe, einen schlechten und einen guten. Die Wahl war also leicht. Um so größer war die Enttäuschung, sobald wir in den Wald getreten waren. Der Boden ist in seinen tiefen Schichten Lava, die aber nur selten an die Oberfläche tritt. Über ihr liegt eine dicke, schwarze Humusdecke, die während der Regenzeit eine einzige große Kotmasse bildet. Durch sie führt der Weg für Fußgänger und – leider auch – Elefanten, so daß sich ein knietiefes Loch an das andere reiht. Wegen des Lavagrunds senden die Bäume ihre Wurzeln und Hilfswurzeln möglichst wagerecht, die quer über den Weg verlaufend, wahre Menschenfallen bilden. In der Mitte und in den Elefantenspuren sammelt sich das Regenwasser, aber es ist immer noch vorteilhafter in diesen schwarzen Lachen zu gehen, als in dem danebenliegenden Morast, weil man so die Arbeit spart, den Fuß nach jedem Schritt aus dem zähhaftenden Schlick herauszuziehen. Als ich nach drei Stunden einen über den Pfad gestürzten, Baum benutzte, um im Trockenen etwas zu rasten, fragte ich den Führer, ob dies vielleicht der gute Weg sei, was er ganz aufrichtig bejahte, weil man auf dem anderen stellenweise bis zur Brust im Schlamm verschwände. Das war wenigstens ein gewisser Trost. Nach weiteren zwei Stunden erschöpfenden Patschens und Pantschens traten wir, von unten bis oben bespritzt, ins Freie, d. h. auf wenig verwitterte Lava mit lichter Vegetation, darunter viel Erikaceen, die ihre Wurzeln in die in alle Vertiefungen angewehte Erde senken. Über zerriebenes knirschendes vulkanisches Geröll stiegen wir zuletzt einen Hügel hinan und lagerten in einem, zu beiden Seiten des Weges symmetrisch erbauten Dorf, das an Stelle eines von den Waregga verwüsteten hier errichtet war. Wir befanden uns in Muschari; im Südost der Namjagira-Vulkan, auf dessen Abhang ein kleiner Krater dicke Rauchwolken ausstößt.
27. Februar. Mit dem Augenblick, in dem wir die Grenze von Kischari überschritten hatten, schien uns die Ungunst des Schicksals verlassen zu haben. Wohl waren auch in der Folge noch genug Anstrengungen zu überwinden, aber sie überstiegen weder allzu sehr das für jede Expedition unvermeidliche Maß, noch häuften sie sich so, wie in den letzten Wochen, wo jeder neue Tag seine neue Plage brachte. Ja, ich kann wohl sagen, daß die Summe der Strapazen und Entbehrungen der verstrichenen 40 Tage nicht geringer war als die der zehnfachen Zeit während der vorausgegangenen Reisen.
Wir passierten am 27. Februar Muschari, indem wir östlich und nordöstlich die sanftgeneigten Höhen erstiegen. Überall viel Dörfer und Leute, die furchtlos und zutraulich die Karawane bei sich aufnehmen. Am 25. stiegen wir noch höher an, zuletzt durch Bambuswald und kamen auf steilem Pfad, über den ein Regenbach uns entgegen- und hinabstürzte, auf den Rücken der Berge, die sich nach Osten zu einer breiten Lavawüste senken, die ich fast ¾ Jahre vorher zu meiner Rechten hatte, als ich von Norden kommend, dem Kiwu zu marschierte. Dieser Tag blieb für meine Leute unvergeßlich, denn sie erhielten seit Ujungu zum ersten Male wieder Pombe. Am 26. kletterte unser Weg tief zum Pori hinab, aber vor dem letzten Absturz zauderte er und folgte einer Platte, die 60 Meter über der Lavaebene liegt. Auf ihr mußten wir heute nach Nordost weiter durch die Landschaft Mitongo, weil kein Karawanenpfad durch die großen Lava-, Schutt- und Steinmassen hindurch nach Osten führt. Ich sehe deutlich in Ruanda einen meiner Lagerplätze vom vorigen Jahr, aber die Wildnis trennt mich von ihm wie ein unüberbrückbarer Abgrund.
Herrlich ist – insbesondere morgens und abends – der Anblick der Vulkankette. Alle acht türmen sich zum Greifen nahe vor mir auf, und ich kann mich nicht satt daran schauen, wie kühn geformt ihre erhabenen Gebilde in den Himmel ragen. Am schönsten sind der Karissimbi (4550 m) und Mikeno (4500 m), deren stolze Häupter von Schnee bedeckt die blauen Massive krönen. Jede Furche, jede Rille ist zu erkennen und scharf gemeißelt hebt sich jede Zacke von der klaren Luft ab. Aber die Tiefe ist verhüllt. Einen glühenden erstickenden Dunst haucht die Ebene aus, die mit gelblichem Hochgras und kahlem, rotbraunem Busch bekleidet ist, wo nicht die nackte, vegetationslose Lava gleich schwarzen verdrossenen Seen große Flächen bedeckt oder dunkle Schuttwälle sie wie dicke Schlangenleiber nach allen Richtungen durchziehen. Jenseits dieser breiten Wüste steigt langsam das grüne, von tausenden von Gipfeln überragte Ruanda an, das die Basis bildet, von der die ungeheuren Kolosse der Vulkane einige tausend Meter hoch emporwachsen.
Stundenlang konnte ich auf dem Rande unserer Platte sitzen, deren Wand lotrecht nach Osten abfällt, ließ die Beine in den Abgrund hinabbaumeln und versuchte das herrliche Bild mit meinen Augen so aufzusaugen, daß es nie wieder meinem Gedächtnis entschwinden kann. Als gestern abend die Sonne schon hinter unserem Rücken versunken war, und die Vulkane in immer dunkleres Blau tauchten, da wurden die Gipfel von Karissimbi und Mikeno plötzlich wie von unsichtbarem Zauberstab berührt und verwandelt, wie flüssiges Gold rieselte es über die Nadeln und Zacken und floß leuchtend die Schründe und Risse bis zur Schneegrenze hinab, wo der Berg es verschlang. Und zwischen den Goldbächen ragten in purpurnem Glanz die Klippen und Schroffen, als wollte auch ihnen aus allen Poren das Gold wie Blut schwitzen, und wäre gebannt und könnte nicht. Als dies Schauspiel seinen Höhepunkt erreicht hatte, rief ich die Karawane herbei, um ihr das Alpenglühen zu zeigen und zu erklären. Die meisten waren aber zu ehrlich oder zu faul, um Interesse zu heucheln, einige wenige taten es, aber ihre Anmerkungen zeigten mir, wie verständnislos sie dieser Majestät gegenüberstanden, und ich schalt mich einen rechten Esel, weil ich wieder einmal vergessen hatte, daß man auf nacktem Felsen nicht nach kostbaren Blumen suchen soll. – – – – – – – – –
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Die Negerseele und die Schönheiten der Natur, darin liegt nicht viel Rhythmus, noch Zusammenklang. Ich habe oft Europäer sich darüber entrüsten hören. Aber mir scheint, daß dazu nicht viel Ursache vorhanden ist. Doch verstehe ich den Unwillen. Es ist der Schauder der Erkenntnis, unter Larven die einzig fühlende Brust zu sein; Larven im Sinne des Unentwickelten, Animalischen, von höheren Trieben Unbeeinflußten. Und er wirkt um so stärker, weil er den unvorbereiteten, der psychischen Vorgänge im Neger unerfahrenen Neuling meist schon in den ersten Marschtagen befällt, in denen er selbst für all das Fremde um ihn, all das unbekannter Reize Volle am empfänglichsten ist. Aber er wird dann leicht ungerecht gegen den Neger, weil er vergißt, ein wie komplizierter Vorgang das ist, was wir Naturgefühl nennen und wie viel Erinnerungen meist unter der Bewußtseinsschwelle zusammenwirken müssen, damit wir eine Landschaft als ernst oder heiter, als erhebend oder niederdrückend als feierlich oder alltäglich empfinden können. Wo solche Erinnerungen fehlen, wie bei dem weniger gebildeten Teil der Europäer, fehlt auch ebenso wie bei dem Neger das Gefühl für die Schönheiten der Natur. Das was man an seiner Stelle – und oft es vortäuschend – bei Jägern, Bauern usw. findet, nämlich die Heimatliebe (oder in ihrer andern Form: das Heimweh) – existiert auch beim Neger. Was ihm vollständig abgeht, ist die Fähigkeit, die Natur losgelöst vom Leben zu betrachten, als Schauspiel, als Gemälde. Seine Nerven und Sinne sind nicht verfeinert, nicht überfeinert genug, um eine Landschaft als schön zu empfinden, auch wenn sie zugleich Entsetzen und Schrecken einflößt. Und selbst die Ästhetischsten unter uns, sofern sie gesund sind, ertragen auf die Dauer nur eine Landschaft, die in Sinnen, Geist und Gemüt Empfindungen auslöst, die angenehm, wohltuend, »harmonisch« sind. Auch der Neger strebt bei Betrachtung einer Landschaft nach Harmonie. Aber da sein animalisches Leben viel stärker entwickelt ist, als das intellektuelle und gemütliche, so versteht sich, daß diejenige Natur ihm als die schönste und harmonischste erscheint, die seiner Triebwelt am kongruentesten ist. Eine Landschaft ist für ihn schön, wenn sie reich besiedelt und früchteschwer ist, aber eine Wildnis ist ihm immer häßlich. Ein Weg ist schön, wenn er bequem, aber immer häßlich, wenn er beschwerlich ist, und führte er durch die prachtvollste Gebirgslandschaft.
Dabei will ich auf eins besonders aufmerksam machen, trotzdem es so nahe liegt. Das, was auf uns neben der Form am mächtigsten in der Natur wirkt, die Farbe, ist für den Neger fast bedeutungslos. Wie sollte es auch anders sein? Wie groß sind nicht die Unterschiede ihrer Impression auf Kultiviertere. Wie viel mehr Genuß bereitet eine Farbenstimmung einem Künstler, der ihre Geheimnisse bis in die verstecktesten Gründe verfolgt, oder einem Dichter, dem sie ein Abglanz seiner phantastischen Träume ist, als gewöhnlichen Sterblichen. Und der Neger sollte von ihr in seinen Tiefen berührt werden?
Wie steht es überhaupt mit dem Farbensinn minder kultivierter Völker? Man hat versucht, aus ihren Sprachen Erkenntnisse dafür zu gewinnen. Das scheint mir schon deshalb schwierig, weil sie Farben ganz gut unterscheiden, für die sie keine Namen haben, so wie es uns mit Gerüchen und Geschmäcken geht. Speziell beim Neger übersieht man, glaube ich, immer, daß er nur die Farben benennt, die er auch darstellen kann. Bei den meisten Stämmen schwarz, weiß und rot. Völker, die auch einen anderen Farbstoff bereiten können, z. B. einen blauen, wie die Manjema und Waganda haben auch einen Namen dafür (trotzdem blau ein Wort ist, das in den meisten Sprachen erst sehr spät aufzutreten pflegt). Alle Dinge, für die der Neger keine Farbenbezeichnung hat, haben ihre Eigenfarbe: Blätter sind blättern, Messing ist messingsch usw. Man merkt oft, wenn man ihn prüft, wie er ringt und wie er wohl die gröberen Nüancen zu unterscheiden versteht, aber zuletzt erklärt er doch: Ich weiß nicht, wie diese Farbe heißt. Um das einigermaßen nachzufühlen, versuche man einmal z. B. die Farbe des Meeres bei verschiedenen Beleuchtungen genau zu benennen. Ein Nichtmaler wird rasch in Verlegenheit kommen.
Die Farben schwarz, weiß, rot faßt der Neger sehr weit. Den blauen Himmel nennt er schwarz, wie Virgil die Veilchen; die gelbe Blume nennt er rot, wie der Dichter das Gold. Merkwürdig ist, daß ihm durchsichtiges Wasser oder Glas schwarz heißt (was allerdings nicht viel falscher ist als unser weiß). Ich habe nur selten gefunden, daß mit den Farben gewisse seelische Vorstellungen verknüpft werden. Am auffälligsten war folgendes. Die Wanjaruanda – also ein Stamm tief im Innern ohne jede Beziehung zu abendländischen Anschauungen – nennen »Trauer haben«, »ukwirabura« d. h. schwarz sein, und »die Trauerzeit hinter sich haben«, »ukwera« d. h. weiß sein. Das ist um so sonderbarer, da meines Wissens die beiden Farben weder in Kleidung noch Bemalung usw. zur Kennzeichnung ihrer Trauer, beziehungsweise »Enttrauerung« verwendet werden. – – –
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Ich kehre von diesem Ausflug wieder zur Schilderung meines Reiseweges zurück.
28. Februar, wir stiegen heute vollends in die Ebene hinab. Je weiter man nach Norden kommt, desto älteren Eruptionen gehört die Lava an und um so stärker wird die sie bedeckende Humusschicht. Stellenweise, aber sehr dünn verteilt, finden sich die schattenlosen, durchglühten Niederlassungen der Eingeborenen. Die Hütten haben auch hier 2 Zugänge, die sich aber nicht wie in Kischari gegenüberliegen, sondern rechtwinklig zueinander sich öffnen. Das Bett und davor die Feuerstelle befindet sich bei der Nebentür. Bis 40 Baumstützen sind in den ziemlich geräumigen Hütten verteilt, zwischen denen Flechtwerk verschiedene Abteile und Verschläge bildet.
In den Steinmassen stießen wir heute auf einen Teich, dem ein ansehnliches Gewässer namens Mihondo entspringt. Offenbar ist er der Abfluß eines größeren unterirdischen Beckens, das den Regen und die vom Gebirge zuströmenden, sich scheinbar im Pori verlierenden Bäche sammelt und dem Rutschurru (und damit dem Albert-Eduard-See und dem Nil) zuführt. Der Mihondo fließt längs eines hohen Walls von Lava-Schutt und -Steinen, der wie ein Eisenbahndamm durch die Ebene zieht, nach Nordosten, meist sehr reißend, dann wieder teichartig auf 100 Meter sich erweiternd und von einer großen Zahl von Flußpferden und Wasservögeln belebt. Fußspuren von allerhand kleinem und großem Wild laufen auf ihn zu, und stellenweise durchbrechen tiefe Wechsel die von Phönixpalmen dicht umrahmten Ufer. Wir hielten uns meist in der Nähe des Stromes und querten den Akazienwald, der dem linken Ufer folgt, bis wir auf eine große, bebend heiße Grassteppe hinaustraten, in deren Öde einige elende, wenig einladende Dörfer in den schweigenden Mittagsgluten verschlafen dalagen. Sie gehörten zu dem Sultanat Butundwe. Trotzdem jeder Nerv in mir nach Schatten und frischen Winden schrie, mußte ich doch unter dieser grell und schmerzhaft leuchtenden Sonne und in dieser gekochten Luft mein Lager aufschlagen.
Die Eingeborenen dieses Gebiets waren freundlich und zutraulich, sie fragten mich wiederholt, ob ich ein Bruder von Stokes wäre, jenem Engländer, der erst Missionar, später Elfenbeinhändler war und seine Gewinnsucht mit dem schmählichen Tod am Galgen bezahlen mußte, den die Belgier ihm allzu hastig und nach einer Farce, die sie »Kriegsgericht« nannten, bereiteten. Er hatte auf seinen Handelszügen auch die Gegend nördlich von hier berührt. –
Zu erwähnen ist, daß die Eingeborenen wegen des heißen, rissigen Bodens Sandalen tragen, aber einfachster Art. Sonderbar sind auch ihre Speere, die am unteren Ende keine Zwinge, sondern hölzerne, bisweilen mit Leder überzogene Anschwellungen haben, an denen eine lange Schnur befestigt ist. Angeblich dienen sie zur Jagd auf Affen und Nilpferde.
1. März. Die Nacht war wie immer in den letzten Tagen schwül, mein Schlaf schlecht. Da ich außerdem noch an den Folgen der schlechten Ernährung und der Strapazen laboriere, ist meine Stimmung im allgemeinen unter Null. Zu meiner Erheiterung trägt auch nicht bei, daß einer der schönen Elefantenzähne Miene macht, zu zerspringen. Man hätte sie in Felle einnähen sollen, aber als ich das vorschlug, lachten meine Leute, wie die Bauern, wenn ein Städter zu ihnen von Landwirtschaft spricht. Ich hätte es gleichwohl getan, wenn die Träger nicht fortwährend über die Zähne gemurrt und täglich erst einige Stunden später als wir das Lager erreicht hätten. Die furchtbare Sonnenglut der letzten Tage, der Wechsel zwischen der feuchtkalten Bergluft und dem beklemmend heißen Atem der Ebene wirkten zusammen, um den Austrocknungsprozeß des Elfenbeins zu sehr zu beschleunigen. Jetzt natürlich ist die Last nicht zu schwer, trotzdem sie mit 10 Fellen umwunden ist, jetzt kann im Lager nicht genug Gras herbeigeschleppt werden, um sie in Schatten zu decken, und was nicht noch – jetzt; aber mein Grollen findet bei den Leuten kein anderes Echo, als » amri ja mungu, Allahs Wille«.
Wir wandten uns heute nach Osten. Die Ebene dehnt sich in kaum merklicher Steigerung nach Nordosten weiter. Mit zwei kleinen Märschen soll der Albert-Eduard zu erreichen sein, der hier Itschumwi genannt wird; gerne würde ich hin, aber mein Tauschzeug ist so knapp, daß ich umkehren muß. Auch so weiß ich nicht, wie ich die Leute bis Usumbura verpflegen soll.
Vom heutigen Tage, der im allgemeinen ohne Strapazen war, sind nur zwei Flußübergänge zu erwähnen. Zuerst über den Mihondo. In mehrere Arme geteilt, strömt er an der Furt reißenden Laufs über Lavafelsen, die teils in spitzen Zacken den Spiegel überragen, teils von tiefen, unsichtbaren Spalten zerrissen sind. Da die Anwohner das Bert bis ins einzelne kennen, ist die Passage für die Träger zwar schwer aber ungefährlich. Dem lieben Vieh kann man aber nicht sagen »hier ist ein Schlund, cave!«, so daß ich mich aus neue Verluste gefaßt machte.
Aber es ging besser, als ich hoffte. Die Eingeborenen setzten Hut nach Huf auf passende Stellen und nur in den größten Spalt fielen die Tiere hinein; ihre Todesangst gab ihnen aber Kraft, sich wieder herauszuarbeiten.
Später kamen wir an den Rutschurru, dessen Quellgewässer ich schon im vorigen Jahre gekreuzt hatte. Diese Furt war nur für mich fatal. Der Fluß ist 40-50 Meter breit, über brusttief und heftig reißend. Man muß erst queren und dann ebenso weit dem anderen hohen Ufer stromaufwärts folgen, um landen zu können. Da die Eingeborenen anstandslos hinübergingen, folgte ich ihnen mit Vertrauen, nachdem ich Schuhe und Strümpfe abgelegt hatte. Die ersten Meter waren nicht schlimm, aber dann war der Boden mit kleinem, spitzen Lavageröll bedeckt, die sich um so mehr in die Sohlen bohrten, als die Strömung gebot, die Füße fest anzustemmen, um nicht fortgerissen zu werden. Da ich in einer Hand die Uhr, in der anderen den Kompaß hoch halten mußte, konnte ich nicht schwimmen, ich war aber doch nahe daran, es zu tun, weil ich vor Schmerzen nicht vorwärts kam und die Uferlandschaft bereits in schwindelnder Schnelligkeit an mir stromabwärts zu schießen begann, während es mir schien, als falle mein Körper nach der entgegengesetzten Richtung – ein Phänomen, das beim Queren reißender Flüsse leicht sich einstellt. In diesem Moment kamen mir die Eingeborenen ungerufen zu Hilfe und führten mich hinüber, wobei ich mit Neid an den Feuerrostgang der heiligen Elisabeth dachte. Ich glaubte am anderen Ufer statt meiner Füße nur noch ein paar zerfetzte Stummel zu finden und war angenehm enttäuscht, von ein paar stark blutenden Rissen abgesehen, unversehrt zu sein. Mein »Stolz« hätte jetzt gefordert, daß ich die Eingeborenen etwas insultiert hätte, weil sie unverlangt mir beigesprungen waren, als ob der Msungu, der alles kann, nicht auch ohne ihre Hilfe hinübergekommen wäre, aber ich war anständig genug, es bleiben zu lassen.
Am rechten Ufer fand sich ein verlassener Bananenhain, in dem wir lagerten. Im übrigen ist der Rutschurru von einem schmalen Galleriewald umrahmt, dessen dunkles Band sich durch die Ebene bis zu der Stelle schlängelt, wo der Strom aus den Bergen von Ruanda bricht. Die Vegetation ist äußerst üppig. Baumriesen und schlanke Phönixpalmen, die oft auch auf kleinen grasigen Inseln im Fluß sich erheben, Lianen und dichtes Unterholz bilden einen dunklen feuchten Park, der vom Kreischen der Papageien, vom Gelächter der Spottdrossel, vom schwirrenden Gesang der buntschillernden Nektarinen und dem melodischen Flöten der Dryostopen widerhallt. Zahllose Schmetterlinge, darunter Riesenfalter mit samtartigen blauen oder leuchtenden grünen Flügeln schweben zwischen den Blüten der Winden und Loranthen oder sitzen in Scharen am Rande kleiner Wasserlachen. Auch von Käfern wimmelt es; gelbe Skarabäen mit schwarzer Totenkopfzeichnung oder mit silbernen Decken, die ein durchsichtiger Hornrand überragt und viele andere; des Abends aber illuminierten Hunderte von Leuchtkäfern und Leuchtwürmern gleichzeitig das Dunkel der Bäume und die Tiefe der Gräser.
2. März. Marsch durch die Lavaebene nach Südosten, zuerst lange Zeit dem Rutschurru folgend, weite glühende Savannen, in denen hie und da ein einsames Dorf schläfrig träumt. Die Luft von heißem, gelbem Dunst und dem Rauch brennender Grasflächen erfüllt. Auf der östlichen Seite des Grabens mehren sich die Ansiedelungen; auch Bananenschamben. In einer von ihnen (Landschaft Bukomme) unser Lager.
3. März, weiter nach S. S. E.; bald durch gut bebaute Gegend, bald durch steinige Lava-Wüsten, wir überschreiten den Rutschurru zum zweiten Male, da wo er in engem tiefem Felsbett von üppiger Vegetation begleitet, reißend und brausend dahinschießend in die Ebene tritt. Er ist überbrückt von vier schwankenden, lose gefügten Phönixpalmen, über die die nicht schwindelfreien Leute – insbesondere alle Weibsen – auf dem Rücken kriechender Eingeborenen hinüberreiten müssen. Am anderen Ufer finden wir uns nach sanftem Anstieg dicht über einem lieblichen See, der einen alten, großen Krater ausfüllt. Einige kleinere Trichter auf einer Halbinsel zeigen reichen Strauch- und Baumbestand. In der Nähe ein Dorf, in dem wir lagern. Die Eingeborenen überbieten sich in Liebenswürdigkeiten. In den letzten Tagen erhielt ich in 5 Portionen nicht weniger als 140 Eier; allerdings die meisten faul. Es ist wirklich nicht alles zum besten in dieser besten aller möglichen Welten.
4. März. Ich hegte heute die Hoffnung, den Anschluß an meine vorjährige Route zu erreichen, aber sie trog. Mit all diesen Nordostmärschen sind wir doch weiter nördlich geraten, als ich annahm, wir passierten heute Kissigalli, das in lockerem Verhältnis zu Ruanda steht. Die Eingeborenen fangen bereits an reservierter, furchtsamer und doch im Tauschverkehr begehrlicher zu werden. Der Anblick der Landschaft war wie gestern. Wechsel zwischen Öde und Fruchtbarkeit. Auch einen hübschen Kratersee sahen wir wieder, viele frische Elefantenfährten kreuzten unsern Weg; in einer Pflanzung hatten die Tiere fürchterlich gewütet, wir lagerten in einem Bananenhain, den eine großäugige Mäusespezies reich bevölkerte. Des Abends veranstalteten sie ein stimmungsvolles Vokalkonzert.
5.-7. März. Am nächsten Tage fand ich meinen alten Weg in der Nähe des Dorfes, in dem man mir vor dreiviertel Jahren meinen kleinen Boy Hamiß zu stehlen versuchte Siehe Brief XXV.. Die Räuber waren diesmal auf die Kunde von meinem Kommen mit aller Habe geflüchtet. Über die nächsten Märsche kann ich mich kurz fassen, weil sie schon früher geschildert wurden. Wir zogen auf dem gleichen Pfade wie einst am Rande des Labaporis, passierten den Platz, von dem aus ich die Batwa-Pygmäiden in ihren Wäldern auf gesucht hatte, um ihnen den geraubten Knaben abzunehmen; wir sahen jetzt, daß sie sich ein paar hundert Meter weiter ab ein neues »Lug ins Land« aufgebaut hatten, von dem sie noch besser als früher die Straßen überblicken konnten; und die glimmende Asche bewies, daß sie noch ebenso eifrig ihrem Wachdienst oblagen. Trotz der Regenzeit, und als wir in Kamuhanda in derselben Bananenschambe wie einst lagerten, fanden wir dieselben Haufen von gespaltenen Bananenblattscheiden zur Gewinnung des in ihnen eingeschlossenen Wassers wie ehemals. Dann ging es über die trostlos öden Lavasteppen nach Südwesten durch die Provinz Bugoie, am Hügel des Ngomajombi vorbei, der zwei Jahre später die Karawane des Superiors von Issawi angriff und einen braven Schwarzen, einen der ältesten Christen Zentralafrikas, ermordete. An vielen kleinen, längst erloschenen Kratern vorbei ging es zum schönen Tal des Ssabeje, dessen Fall mit seinen großen Wassermengen jetzt einen besonders prächtigen Anblick bot, und zuletzt in sanftem Anstieg über die Hänge, auf denen die Glimmerplättchen im Sonnenschein wie Spiegel blitzten, hinauf zur Höhe, von der aus sich plötzlich das herrliche Panorama des Kiwu-Sees mit seinen graziös geformten Inseln und Halbinseln öffnet. Mit Entzücken schaue ich wieder auf das reizvolle Bild der nördlichen Uferlandschaft, auf den dunklen Kandelabereuphorbienpark von Kissenje, das große von Feigen umrahmte Dorf der Erben des Häuptlings Bissangwa, auf den schönen gelben Badestrand neben der Ssabejemündung, auf die von riesigen Feldern und Bananenhainen bedeckte Ebene, über der sich das kühne Profil des Niragongwe-Vulkans aufbaut bis hinüber zu dem kahlen Buschpori, das in öder Eintönigkeit bis zu den Bergen von Ujungu nach Westen sich ausdehnt.
Am Strande von Kissenje, wenige Meter vom Ufer, schlage ich mein Lager auf. Rwakadigi, der Verwalter der Provinz Bugoie – sein Herr Buschako weilt zurzeit am Hofe des Königs Iuhi – sandte sofort einen seiner Watussi zu mir, der mir das » funguru« das »Freundschaftsgeschenk« bringt und gleichzeitig das größere » idsimanu« das »Gastgeschenk« ankündigt. Er sucht mein Gedächtnis zu schärfen, indem er mich daran erinnert, wie viele Krüge Pombe nebst Ziegen und Vegetabilien er mir das letzte Mal gebracht hätte. Um mir und meinen Leuten einige Ruhe nach den Strapazen der letzten Monate zu gönnen, blieb ich vom 7. März an in Kissenje liegen und trat erst am 10. meinen Weitermarsch längs der Ostküste an.
Kissenje liegt in der großen zu Ruanda gehörigen Provinz Bugoie, deren Bewohner, die im ganzen Vulkangebiet und auf den Höhen der Randberge ansässigen, in diesen Briefen Siehe Brief XXV. schon mehrfach erwähnten Bakiga, sich wesentlich von denen anderer Provinzen unterscheiden. Am Hofe des Königs betrachtet man sie schon lange als Rebellen und würde ihre Züchtigung durch die Europäer sehr gerne sehen, um so mehr, als die eigenen Kräfte für eine dauernde Unterwerfung kaum ausreichen. Denn die Bevölkerung, die hunderttausend Menschen zählen soll, sitzt sehr gedrängt und erhält noch fortwährend Zugang aus den nördlichen Ländern namentlich aus dem südwestlich des Albert-Eduard-See gelegenen Ibgwischa. Auch das ganze Volk von Kameronse hat sich in den letzten Jahren dort angesiedelt. Ich glaube, daß hier die Wellen einer größeren Völkerwanderung schlagen, die, aus den Waldgebieten des oberen Kongo kommend nach Osten hin flutet. Es sind hauptsächlich Waregga, mit ihrem Schmähnamen abariabantu oder buljoko, d. h. Menschenfresser genannt, die immer mehr Terrain diesseits des Grabenrands zu gewinnen suchen und die dort ansässigen Stämme ostwärts drängen, westlicher Einfluß zeigt sich infolgedessen auch sehr stark in Sitte und Sprache, in Ackerbau und Gewerbe, in Charakter und Erscheinung – kurz, in jeder Beziehung bei den Bakiga und daher der Gegensatz zu dem übrigen Ruanda.
Die Herrschaft, die der König bezw. seine Häuptlinge in diesen Bezirken mit ihrer freiheitslustigen, kriegerischen Bevölkerung ausüben, ist eine recht beschränkte. Offene Auflehnung der Bakiga gegen die Watussi ist an der Tagesordnung. Das deutsche Gouvernement aber muß sich einstweilen auf die Aufrechterhaltung der notwendigsten Beziehungen zwischen der Bevölkerung und ihren eingeborenen Autoritäten beschränken, solange infolge der Ansprüche des Kongostaats der unleidliche Zustand der Ungewißheit über die Zukunft des Landes fortdauert Durch ein Abkommen zwischen Deutschland und Belgien fiel im August 1910 der größte Teil an das Deutsche Reich.. Das ist bedauerlich, denn je länger diese latente Anarchie anhält, um so schwieriger wird sich die Retablierung geordneter Verhältnisse gestalten und um so zäherem Widerstand späterhin die deutsche oder belgische Verwaltung begegnen. Unser kolonialpolitisches Interesse erfordert die Unterstützung des Königs und die Aufrechterhaltung der Watussiherrschaft mit der ihre innewohnenden strengen Abhängigkeit der großen Masse der Wanjaruanda. Das läßt sich bei einiger Kenntnis des Landes und Volkscharakters durchaus mit dem Gebot der Humanität vereinen, das die Ausrottung ungerechter Vergewaltigung und roher Willkür gegen die Unterworfenen heischt. Ja, gerade diese Verbindung von kolonialen Interessen und Menschlichkeit wird es sein, die eine spätere Fruktifizierung dieser schönsten, weil bevölkertsten Teile unseres ostafrikanischen Besitzes am sichersten verbürgen wird.
Das Bild von Kissenje, wie überhaupt des ganzen nördlichen Kiwu wird durch die erhabene Erscheinung des Niragongwe-Vulkans beherrscht. Wer vom Süden her über den See fährt, erblickt, sobald er das mittägliche Ende der Kwidjwi-Insel umschifft hat, den gewaltigen Kegelstumpf. In ganz sanfter Neigung steigt das Nordufer langsam etwa 15 Kilometer an, hie und da von alten kleinen Kraterhügeln unterbrochen, die je nach ihrer Gestalt von den Eingeborenen mit phantastischen Namen getauft sind, bis er das Dach erreicht, von dem auf meilenweit nach Ost und West greifender Basis der Vulkan sich erhebt, dessen wundervoll graziös geschwungene Profillinien über 4500 Fuß hoch emporstreben und in scharfgeschnittener horizontale, dem Rande des riesigen Kraters, sich vereinen. Graf Goetzen hat den Berg von Osten her unter großen Mühsalen erklettert und seine Eindrücke anschaulich geschildert. Seine Nachfolger haben sich einen bequemeren Zugang von Süden her verschafft. Man geht jetzt erst vier Stunden über alte Lavafelder, die aber seit langer Zeit verwittert genug sind, um menschlichen Ansiedlungen zu dienen, und so reiht sich, trotzdem nirgends ein Brunnen oder Gewässer ist, Acker an Acker Hain an Hain. Dann beginnt Wildnis. Durch üppigen Busch und Wald, der von Elefanten- und Antilopenfährten durchzogen ist, geht es über zerrissene Lava den mäßig steilen Berg hinauf. Je höher um so lichter wird die Vegetation; überall liegen vom Sturm gefällte Bäume, die zwischen dem in die Luft ragenden Wurzelwerk große im Sturz aus dem Boden mitgerissene Steine tragen, der Weg wird immer rauher und holpriger, häufig blickt man in große röhrenförmige Blasenräume, bis der Weg immer mehr verödet und nach drei Stunden Erikazeen und eine gelbblühende Staude mit tabaksähnlichen Blättern ( Senecio Johnst.) das einzige Grün, weiße und gelbe Helichrysumarten den einzigen Schmuck der Landschaft bilden.
Nur in den Schluchten steigt der Wald höher, dann folgt der letzte Anstieg über einen nackten Trümmerhang. An seiner unteren Grenze blickt man in den etwas tiefer gelegenen südlichen Krater hinab, dessen achtzig Meter hohe Wände mit dunklem Wald bestanden sind, während eine helle gelbgrüne Sumpfdecke die Sohle bedeckt, auf der in den Morgenstunden die Nebel ihre wirbelnden Reigen tanzen. 1 ½ Stunden steigt man von dort über das Geröll an, um oben ganz unvermittelt vor dem mittleren Krater zu stehen. Fast senkrecht stürzt die mehrere Kilometer umfassende Ringmauer durchschnittlich ca. 80 Meter tief hinab, die sich aus hellen und dunklen, schwarzen, grauen und roten, breiten und schmalen, rauhen und glatten Schichten aufbaut. An einigen Stellen werden sie von weißen silberglänzenden, vertikal laufenden Bändern gekreuzt. Fast in der Mitte des Grundes liegt der Schlot mit bretzel- oder acht-ähnlichen Rändern, aus dessen Tiefe ein dumpfes Kochen und Rauschen zur Höhe dringt und weißer Qualm in dicken Wolken nach oben steigt. Feiner Rauch quillt auch aus zahlreichen kleinen Spalten der ebenen Sohle, und hier und da sieht man eine leise Bewegung der Erde, als würde sie von arbeitenden Maulwürfen gehoben. Der Anblick des ganzen Schauspiels ist von einer unbeschreiblich geheimnisvollen Größe und nicht mehr aus dem Gedächtnis zu tilgen, selbst nach nur flüchtigem Blick. Bald drückt der Wind auf die Rauchmassen und hält sie im Kessel fest, wo sie mit den Nebeln, die einen großen Teil des Jahres mehr oder minder stark den Vulkan einhüllen, sich zu undurchsichtigen Schleiern verdichten, bald zerreißt er die geballten und jagt sie die Wände entlang und hinauf und hinaus und legt für das Auge den ganzen Krater bis auf den letzten Winkel frei. Und bei klarem Wetter schaut man von dort oben in solche Weiten und auf eine Rundsicht von solcher Pracht, daß, wer dies Bild genossen hat, verstummt, weil es zu schildern das pompöseste Wort zu ärmlich, die leuchtendste Farbe zu stumpf, der wärmste Ton ihm zu kalt dünken wird.