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Bagamojo. Ich hatte noch nicht den Boden von Bagamojo betreten – ich schwebte nämlich noch auf den Schultern zweier Bootsleute, als ich vom Lande her ganz deutlich das Kommando »Das Gewehr über!« erschallen hörte und ehe ich, aufs Trockene gebracht, noch recht Zeit hatte, mich nach dem Kommandeur umzusehen, folgte auch schon ein langgezogenes »Gewehr ab!« Diesmal aber dicht über meinen Häupten. Ich wandte meinen Kopf nach oben und siehe da: auf der Veranda des Zollhauses saß ein grauer Papagei und schrie sich die Kehle wund, wie nur je ein preußischer Unteroffizier am Tage der Rekrutenbesichtigung. Ein Wonneschauer durchrieselte mich; jetzt war ich sicher, wieder auf deutschem Boden zu sein. Übrigens werden viele mein Entzücken, wieder auf deutschem Grunde zu sein, begreifen, wenn sie wie ich, gezwungen waren, einige Tage als Fremder in Sansibar zu verweilen. Ich kann die Begeisterung einiger Reisender und vor allem der dort lebenden Deutschen für die »Perle des Indischen Ozeans« nicht recht verstehen, wenigstens nicht, so weit die »Stadt« Sansibar in Frage kommt. Am allerwenigsten aber verstehe ich das hoheitsvolle Naserümpfen, das das Gesicht jedes Deutsch-Sansibariten ziert, wenn man sich erlaubt, in seiner Gegenwart einen Vergleich zwischen den deutschen Küstenplätzen und Sansibar zu ziehen. Wenn sich Sansibar mit seiner mir verhaßten Mischlingsrasse bis zu meiner Heimreise nicht sehr verändert hat, was nur durch ein Wunder geschehen könnte, so werde ich es vorziehen, mir die »Perle« aus der Perspektive eines Promenadendecks anzusehen.
Ich liebe die Völker sehr, die es verstehen, im Kampfe um ihr Dasein ihre Individualität zu bewahren und mit jeder neuen Blutmischung nach einer kurzen Übergangszeit des Schwankens in ihren Enkeln das Bild ihrer Ahnen retten, und ungeschwächt ihre alten Tugenden und Laster gebären. Wer vermöchte heute in den ungebändigten, kraftstrotzenden Stämmen Nordafrikas noch die Spuren der Zeit finden, in der der faszinierende Einfluß römischer Kultur so mächtig auf sie wirkte, daß die lateinische Sprache zum geistigen Besitz selbst des kleinen Mannes wurde? So mächtig, daß ein Sproß ihres alten Fürstengeschlechts den rauhen Klang seines Barbarennamens nicht mehr ertrug und seinen Ehrgeiz darin suchte, nach Römerart den Namen zu führen und in freiwilliger Abhängigkeit von der Gnadensonne Roms Licht und Wärme zu empfangen? Aus diesem Gefühle heraus unterschreibe ich jedes Wort, das die Antipathie gegen die Mischlingsbevölkerung von Sansibar Stanley in die Feder diktiert hat. »Sie sind weder schwarz noch weiß, weder gut noch schlecht, weder zu bewundern noch zu hassen. Sie sind alles zu jeder Zeit; sie kriechen beständig vor den großen Arabern und sind immer grausam gegen die Unglücklichen, die unter ihr Joch kommen. Und doch ist es diese Menschenrasse, welche sich am raschesten in Sansibar vermehrt, diese durchseuchte, triefäugige, blaßhäutige Mischung des Afrikaners und Arabers.« – – – –
Als ich in Sansibar war, feierte man gerade das Jubiläum der englischen Königin. Man muß es der Handvoll Engländer zugestehen, daß sie es verstanden hat, der Stadt das Gepräge des Festlichen aufzudrücken. Überall Palmenwedel und Girlanden, Fahnen und Teppiche, Transparente, Ehrenpforten und Bilder der » kwajen« Frau. Ein Festmahl löste das andere, eine kirchliche Feier die andere ab; Feuerwerk, Paraden, Konzerte, Sportfeste sorgten für die Unterhaltung der Bevölkerung. Der Sultan bat Allah in einem öffentlichen Erlaß, die Königin vor ihren Feinden zu schützen, und sprach die Hoffnung aus, daß sie ihre Augen auch ferner nicht von Sansibar abwenden möge. Ein wahrhaft christlicher Wunsch, wenn man bedenkt, daß, als die Augen der Königin das letzte Mal der Insel sich zuwandten, ihre Kanonen das gleiche taten, daß bei dieser Gelegenheit ein zerschossener Sultanspalast 500 Menschen unter seinen Trümmern begrub und daß noch heute den Ruinen gegenüber das Wrack der unglücklichen »Glasgow« seine Masten über die Wasser des Hafens streckt. Als Zeichen seiner Verehrung ordnete der Sejjd an, daß alle Arbeiter der Insel vier Tage feiern sollten; warum war freilich den meisten unklar. Wie mir erzählt wurde, schwankte das Urteil zwischen Christmas und dem Geburtstage der italienischen Königin. Da letzterer nämlich etwa acht Tage vorher von den im Hafen liegenden italienischen Kriegsschiffen gefeiert wurde, glaubte man jetzt an eine Art Fortsetzung. Überdies kann man es den Sansibariten nicht verübeln, wenn sie es sich nicht vorstellen können, daß irgend ein Monarch der Welt 60 Jahre regiert, da sie selber daran gewöhnt sind, alle paar Jahre einen mehr oder weniger gewaltsamen Thronwechsel zu erleben, und allmählich gelernt haben, dies für höhere Fügung zu halten.
Ich bekam bei Gelegenheit des Festes auch die berühmte Soldateska von Sansibar zu sehen, die dieser und jener schon aus der amüsanten Schilderung von Baumann kennen wird. Die Soldaten waren vor dem jetzigen Sultanssitz aufgestellt, auf dem linken Flügel eine sehr vielseitige Kapelle. Sie sang, betete, klatschte abwechselnd in die Hände und machte mit ihren Instrumenten ein so begeistertes Getöse, daß ich sie mit einem stillen Stoßgebet unter das verdeckte Orchester des Bayreuther Festspielhauses wünschte. Um dem Trubel zu entgehen, machte ich eines Nachmittags einen Ausflug nach dem berühmten Spaziergange der Sansibarer, der mnasi moja ( suah. = eine Kokospalme). Der Weg führt zunächst auf einer alten Gräberstraße und dann ziemlich reizlos zwischen Wiesen und Sümpfen bis zu den arabischen Schamben. Gleich wo sie beginnen, hat der deutsche Klub seinen Landsitz inmitten schlanker Palmen und schattiger Mangobäume, und hier trifft sich täglich gegen Abend die Elite der deutschen Gesellschaft, um sich von der Arbeit und der erschlaffenden Hitze des Tages zu erholen. Hier war es, wo ich eine der unterhaltendsten Stunden meines Lebens verbrachte. In feierlichem Schweigen saßen wir auf zwei Sitzreihen uns gegenüber und warteten geduldig bis es dunkel wurde und einer der Anwesenden das erlösende Wort sagte »der Fieberbazillus steigt«, worauf sich alles erhob und höchst befriedigt über den gelungenen Nachmittag wieder der Stadt zueilte. Die Formen der Geselligkeit scheinen unter den verschiedenen Zonen sehr verschieden zu sein. Ich fand sie in Sansibar noch genau so, wie sie vor 25 Jahren Stanley beschrieben hatte. Des Abends ist es für den Fremden, der keine »Connaissancen« hat und deshalb den gastlichen Räumen des deutschen Klubs mit seinem berühmten Sansibar-Skat und Whisky-Soda fernbleibt, schwer, eine Unterhaltung in europäischem Stile zu finden. Es gibt zwar eine Anzahl von Vergnügungslokalen mit zum Teil sehr volltönenden Namen, man muß aber schon ein Seefahrer sein, um den dort gebotenen Genüssen Geschmack abgewinnen zu können. In einige von ihnen, die mir ein alter Kapitän warm empfohlen hatte, wagte ich nur einen Blick zu werfen.
Wie tief hinab müssen die Grenzen der Menschheit reichen, wenn es noch ein menschenwürdiger Genuß sein soll, zwischen vier kahlen Wänden beim Brandy zu sitzen und mit stieren Blicken dem Geschwätz chinesischer Dirnen zu lauschen, deren pocken- und lasterzerfressene Gesichter der flackernde Schein einer qualmenden Petroleumlampe wie unheimliche Karikaturen erscheinen ließ. Meinem Begleiter, einem frisch importierten, jungen Hamburger, wurde bei diesem Anblick ebenso trist zu Mute wie mir, und da wir das Bedürfnis fühlten, uns durch einen Kognak von dem Gesehenen zu restaurieren, so suchten wir eine der besseren Kneipen auf, die fast alle an der Hauptstraße liegen. Aber auch in ihnen ist es einem nirgends vergönnt, sich ungestört zu erfrischen. Überall stößt man auf die Plage der schwarzen Missionsboys, die für eine Rupie Lohn von mittags bis in die Nacht hinein am Klavier sitzen und zur Unterhaltung der Gäste nach dem Grundsatz » decies repetita placebit« stumpfsinnig die gleiche Melodie so lange spielen, bis einer der Anwesenden in einen tobsuchtsähnlichen Zustand verfällt und das Pianoforte zu demolieren droht. Das hat dann die Wirkung, daß eine neue Walze aufgelegt und so lange gespielt wird, bis wieder ein Anfall von Raserei eines unseligen Gastes den Virtuosen daran erinnert, daß er nunmehr mit gutem Gewissen wieder zur ersten Melodie zurückkehren darf. Und so ad infinitum – bis zur Abfuhr, wie es die deutschen Studenten nennen würden. Ich zog daher vor, meine Abende auf der Straße zu verbringen.
Man kann die Städte des Orients mit ihrem bunten Treiben noch so gut kennen, man stößt doch immer wieder auf Sehenswertes. Wenn ich durch die engen, schlecht erleuchteten Gassen ging, in denen man nach einem Regen bis zu den Knöcheln im Schmutz versinkt, so interessierte mich besonders das Leben in den Bazaren. Hier sieht man einen Araber, das Antlitz nach Norden gewandt, seine Gebete verrichten, dort einen Hindu lange Zahlenreihen in sein Kassabuch schreiben, während ein Haufen Kinder in den unmöglichsten Verrenkungen und Lagerstätten in tiefstem Schlafe liegt. Hier sitzt ein engbrüstiger goanesischer Flickschneider in einem Berge von Lumpen und dort feilscht ein Negerweib auf Tod und Leben um ein Stück Tuch mit einem hellfarbigen Parsen, dessen Kopf das Stammeszeichen, eine schwarze, an die fridericianischen Helme erinnernde Papiermütze bedeckt. Ballen mit Zeug, die eine Dhau von Bombay gebracht hat, werden ausgepackt und von der ganzen Nachbarschaft kritisch gemustert, während im Laden nebenan schwedische Streichhölzer, österreichische Glaswaren, deutsche Uhren usw. auf die Regale gestapelt werden, die sich die Wände entlang ziehen. Weiber, mit Wasserkrügen auf dem Kopf, ziehen schwatzend und lachend und graziös in den Hüften sich wiegend zum Brunnen; schimpfende Askaris treiben eine Kette von Gefangenen von den Arbeitsstätten am Hafen zur Boma zurück, und Lastträger schleppen unter eintönigem Gesang Kisten und Säcke an Tragstangen in die Läden der Händler. Leute von Ceylon, die mit ihren langen, hinten zu einem griechischen Knoten geschürzten Haaren und dem rockartigen Lendentuch den widerlich-komischen Anblick schnurrbärtiger Weiber bieten, preisen einem Europäer die kostbaren Erzeugnisse ihrer Heimat aus Gold, Schildpatt und Elfenbein in einem ohrenmarternden pidgin-Englisch an. Und dort bei dem Schein einer auf dem Boden stehenden Lampe prüft ein gelber Baniane wohl schon zum dritten Male einen der Elefantenzähne, die ein schwarzer Karawanenführer weit aus dem Innern von jenseits des Tanganika heimgebracht hat und jetzt in klingende Rupien umwerten will. Stumm kauert er auf der Schwelle, keinen Blick von seinem Eigentum verwendend, während der Händler die Struktur des Zahnes bedächtig betrachtet, die blauen Adern verfolgt, ob sie ihn wie ein feines Netz umhüllen, oder nur auf einer Seite verlaufen. Mit einem Stabe mißt er die Höhlung des hinteren Endes, kratzt und klopft, ob sie nicht betrügerisch durch Blei oder eine andere Masse ausgefüllt und das Gewicht künstlich vermehrt ist. Dann stellt er die Länge des massiven Teils und mit einer Art Meßzange seinen Durchmesser fest, um die Zahl der Billardbälle zu berechnen, die er liefern wird. Schließlich schabt er an der Oberfläche, klopft wieder, hält ihn nochmals gegen das Licht und legt ihn, den Kopf verächtlich schüttelnd bei Seite, um sich dem nächsten Zahn zuzuwenden, bei dem dieselben Prozeduren beginnen und natürlich wieder zwei-, dreimal wiederholt werden.
Der Elfenbeinhandel erfordert ein ganz außerordentliches Maß von Erfahrung und Gewandtheit, da die Qualitäten und dementsprechend die Preise der Zähne sehr verschieden sind. Früher neben dem Sklavenhandel von eminenter Wichtigkeit für die jetzt unserer Herrschaft unterstellten Gebiete, hat er im Laufe der Jahre an Bedeutung sehr verloren. Die großen Mengen von Elfenbein, die früher über unsere Küstenplätze nach Sansibar und von dort nach Europa ausgeführt wurden, stammten vorzugsweise aus den jetzt in belgischen bezw. englischen Händen befindlichen Ländern westlich von Tanganika- und nördlich vom Viktoria-See. Namentlich Uganda lieferte stets große Mengen des auserlesensten Materials. Mit der Ausdehnung und Befestigung des kongostaatlichen Machtgebietes und der Besitznahme von Uganda durch die Engländer begann eine Reihe von Zollbeschränkungen, die die Unternehmungslust unserer farbigen Händler sehr lähmte. Besonders die belgischen Beamten suchten mit allen nur erdenklichen Schikanen den Handel immer mehr diesseits ihrer Grenzen zu konzentrieren. Da die Kosten einer Karawane an sich sehr groß sind und die Möglichkeit, unterwegs Zähne durch Unfälle Diebstahl und andere Zufälligkeiten zu verlieren immer vorhanden ist, so läßt sich leicht ermessen, daß der Elfenbeinhandel heutzutage nicht mehr als eine Fundgrube für Leute, die schnell reich werden wollen, anzusehen ist. Die Zeiten, wo man für eine Mundharmonika oder teuerstenfalls für eine rote Husarenjacke einen Zahn im Werte von 300 Dollars erstehen konnte, sind längst vorüber, wenn sie überhaupt jemals wo anders als in den Gehirnen allzu phantasievoller Reisender existiert haben. So harmlos ist, wie ich glaube, der von der Kultur unbeleckteste Neger – sit venia verbo – nie gewesen. Ist der Elfenbeinpreis – wie in den letzten Jahren – sehr niedrig, so sind die Händler natürlich gezwungen, den Häuptlingen im Inneren entsprechend weniger zu bieten. Der Neger aber in seiner konservativen Lebensanschauung, dem der Begriff des Weltmarktpreises ein Buch mit sieben Siegeln ist, vergräbt sein Elfenbein lieber als totes Kapital in dem Boden seiner Hütte, als daß er es gegen eine kleinere oder minderwertigere Quantität Waren als früher eintauschte.
Bagamojo, im Juli 1897.
So oft ich Gelegenheit hatte, von Norden kommend, in den Hafen von Daressalam einzulaufen – und in der kurzen Zeit meines Hierseins zwangen mich die Umstände dreimal dazu –, immer wieder freute ich mich der stillen Bucht mit dem lachenden Grün, in dem die Häuser sich vor der Sonne verbergen, so daß oft nur ein Stück blendend weißer Mauer herauslugt, wie die kleinen Gesichter Versteck spielender Kinder. Ist dies dasselbe Afrika, dessen Trostlosigkeit mich ins tiefste erschreckte, als ich der grandiosen Öde, deren es fähig ist, in dämmernder Morgenstunde im Suezkanal zum ersten Male gewahr wurde? Mit fahlem Scheine, eingehüllt in Dunstwolken, lag die Sonne über dem Horizont, so krank anzuschauen, so todmüde, als wollte sie lieber wieder in das Dunkel des Meeres zurücksinken, als den weiten Weg zum Himmelsgewölbe hinaufsteigen. Und fahl, krank und müde lag auch das Land vor mir, als fühle es die Leiden seiner göttlichen Mutter Wüste, so weit mein Blick die flimmernde Luft durchbohrte, gelbe, sandige, durchglühte, verdurstende Wüste, von der nur hier und da ein paar einsame Palmen oder ein kleiner grüner Fleck sich abzeichneten.
Und wieder setzte mich die fürchterliche Trostlosigkeit der Landschaft in Erstaunen, als wir nach fünftägiger Fahrt durch die Nacht und Tag erbarmungslos sengende Glut des Roten Meeres in Aden landeten, dem Kochkessel des Teufels, wie es die englischen Offiziere getauft haben, die aus dem Lande der verfeinertsten Lebensführung in diese von allen guten Geistern verlassene Öde verbannt sind. Jahre vergehen hier, ohne daß ein Tropfen vom Himmel fällt; kein Wunder, daß kein Baum, kein Strauch gedeiht, nicht einmal die indische Feige, die ich in Sizilien noch auf dem steinigsten Boden ihre saftigen Früchte tragen sah. Man kann sich des Erbarmens mit den armen Menschen nicht erwehren, die ein so hoffnungsloses, so über alle Begriffe hoffnungsloses Bild täglich vor Augen haben, und es ist, als müßte man jeden Augenblick hören, wie die kahlen, verbrannten, schattenlosen Wände der Felsenberge den letzten Schrei der Verschmachtenden sich zuwerfen. – – – – – – – – –
Es waren also keine »rosigen Morgendämmerungen«, die sich mir bei der ersten Berührung mit der Tropenwelt auftaten, und ich konnte meinen Gedanken nicht wehren, wenn sie in der Vergangenheit schweiften und mir die verführerischsten Landschaftsbilder vorzauberten, die ich nur je gesehen habe. Und wie mir, ging es fast allen Mitreisenden, auf allen lag das Gesehene wie ein Alp und wir hatten nicht einmal Lust, unsere Enttäuschung zu verbergen. Unter dem Einflusse dieser Eindrücke stehend, gehören die zehn Tage, in denen unser Dampfer mit zerbrochener Schraube von Aden bis Tanga gegen die Gewalt des Monsuns ankämpfte, zu den Erinnerungen, deren Verlust ich niemals bedauern würde.
Aber wie lachte unser aller Herz, als wir am Morgen des 16. Juni uns Tanga näherten und die blauen Berge von Usambara vor uns auftauchten, als ein frischer Wind uns den Duft von Blüten und Blumen herüberwehte und das Land wie ein einziger großer Garten vor unseren Blicken sich ausdehnte. Als ich dann am nächsten Tage in Daressalam auf der schönen Terrasse des Bismarck-Hotels saß und über die spiegelglatte Bucht zum anderen Ufer hinübersah, dessen Mangroven und Mangos die Strahlen der untergehenden Sonne in leuchtendes Purpur tauchten, während eine Seebrise von köstlicher Frische in den Kokospalmen zu meinen Häupten jenes eigentümliche hölzerne Geräusch verursachte, das manchmal wie fernes Kastagnettenschlagen klingt, da ward ich mir so recht bewußt, daß die Gottheit der tropischen Welt wie das Haupt des römischen Gottes ein doppeltes Antlitz zeigt, das die Züge heitersten Friedens und tiefster Tragik vereint. – – – – – – – – – – – –
Prächtig an den Ufern eines natürlichen Hafens gelegen, wie er zweckmäßiger nicht von Menschenhänden geschaffen werden kann, fast jeden Komfort des Mutterlandes bietend, hygienisch vortrefflich versorgt, hat Daressalam den Reiz der Ursprünglichkeit, der Bagamojo noch in reichem Maße geblieben ist, bald verloren, nachdem es zur Zentrale unserer Kolonie erhoben, von der Einwanderung deutscher Beamten überflutet wurde. Arbeit, solide überlegte Arbeit – das ist der Stempel, der hier Menschen und Dingen aufgeprägt ist. Breite, peinlich saubere Straßen, gut gepflegte Anlagen, wohleingerichtete und gewissenhaft verwaltete Institute, die den Tag reichlich ausfüllende und am Schnürchen laufende Tätigkeit der Beamten lassen den Neuling in kurzer Zeit erkennen, daß trotz des häufigen Personenwechsels das System ehrlichen, nichts überhastenden aber auch nichts vernachlässigenden Strebens hier feste Wurzeln geschlagen hat. Als Arzt und eingedenk eines Wortes eines meiner Münchener Lehrer, daß man den Wert einer Verwaltung an der Fürsorge für ihre Kranken abschätzen könne, versäumte ich nicht, sehr bald die Krankenhäuser kennen zu lernen, deren es drei gibt. Das neue Lazarett, dicht am Meere in gesunder Lage, konnte ich nur von außen besichtigen, da es noch seiner Vollendung harrt. Geschickt ist der Fehler vermieden worden, einen modernen europäischen Bau hinzustellen, der das schöne Landschaftsbild mit seiner für die ostafrikanische Küste charakteristischen Vereinigung von Kokospalmen und Mangobäumen abscheulich zerstört hätte. So wie es jetzt dasteht in einfach-vornehmen arabischem Stil, paßt es ausgezeichnet zu seiner Umgebung und bildet mit den von Gräsern und Schlingpflanzen überwucherten Ruinen einiger mohammedanischen Heiligengräber ein stimmungsvolles Gemälde. Bis zur Eröffnung des neuen Krankenhauses fanden die kranken Europäer in der evangelischen Mission freundliche Unterkunft. Hier hatte sich auch Herr Professor Robert Koch auf seiner Heimreise von Bombay häuslich eingerichtet und hier fand ich ihn zwischen vier nackten Wänden unter seinen Mikroskopen, Tauben, Meerschweinchen und Blutpräparaten so mollig sich fühlend, wie Diogenes in seiner Tonne. Auch für die farbige Bevölkerung existiert hier ein Lazarett, das Sewa Hadji-Hospital, das dieser – jüngst verstorbene – reiche Inder ursprünglich für seine Landsleute erbaut, später aber, als sich seine Unzulänglichkeit herausstellte, dem Gouvernement übergeben hatte. Jetzt ist es wesentlich erweitert und könnte trotz der Einfachheit seiner Anlage noch als Modell eines tropischen Krankenhauses dienen. Hufeisenförmig ziehen sich die Räume um einen Hof, ohne Türen, so daß Luft und Licht in überreichem Maße zirkulieren können. Mit dem Lazarett verbunden ist eine Poliklinik und Apotheke, die immer mehr von den Eingeborenen frequentiert werden. Selbst die Banianen, die sich im allgemeinen sehr abschließen und die so strenge Speisegesetze haben, daß sie auf den Dampfern ihr eigenes Wasser mit sich führen, um nicht mit den Ungläubigen gemeinsam kochen zu müssen, erscheinen hier mit ihren Wassertöpfen und lassen sich die Daua (Medizin) hineingießen.
Im Bau diesem Hospital sehr ähnlich, nur viel größer ist die danebenliegende Kaserne. Auch hier ziehen sich die Stuben der Askaris – jeder hat eine für sich und seine Frau oder die Mutter seiner Kinder – um einen großen Hof, in dessen Mitte in einer offenen Halle 30-40 Weiber ihre Feuerstellen – drei Steine – haben, auf denen sie für die kulinarischen Bedürfnisse ihrer Herren und Gebieter sorgen. Die übrigen öffentlichen Gebäude, deren es bei dem großen Konflux von Behörden sehr viele gibt, dehnen sich längs des Hafens aus und fallen weder im Guten noch Schlechten auf. Abseits von ihnen liegt das Wohnhaus des Gouverneurs, umgeben von den prächtigen Versuchsgärten der Kulturabteilung, die unter der rührigen Leitung des bekannten Begleiters von Emin Pascha, Dr. Stuhlmann, steht und unermüdlich auf den verschiedenen praktisch-wissenschaftlichen Gebieten tätig ist. Man gewinnt hier in kurzer Zeit das Gefühl, daß die Sorge für die Kolonie in den vorsichtigsten und darum besten Händen liegt; es wird nicht experimentiert – es wird gearbeitet; es herrscht nicht die so leicht erklärliche Neigung, daß um jeden Preis etwas Besonderes geschehen müsse, sondern man bemüht sich, das Bewährte in ruhigem Fortschritt geräuschlos und sicher auszubauen. Jeder hat seinen streng begrenzten Wirkungskreis, in dem ihm die Möglichkeit, sich auszuzeichnen, nicht benommen ist, aber den zu überschreiten seiner Willkür nicht freigegeben ist. Darum ist die hier herrschende Stimmung auch durchaus frei von jener Gereiztheit, die in früheren Zeiten manchmal epidemischen Charakter annahm, viel tragen zu der hier herrschenden Arbeitsfreudigkeit und Zufriedenheit die angenehmen Daseinsbedingungen bei, die vielen einen größeren Zuschnitt der Lebensführung gestatten als die heimischen.
Die Zeit, da die ersten Bahnbrecher in Negerhütten hausten und von Konserven lebten, ist längst vorüber. Heute läßt sich hier niemand etwas abgehen und er tut recht daran. Ich wundere mich nur, warum die, die es angeht, zu Hause nicht eben so offen über diese Annehmlichkeiten sprechen wie hier, und über gewisse Verhältnisse einen mystischen Schleier ziehen, der unnötig ist und hier lächerlich erscheinen würde. Der »geheimnisvolle Zauber«, der von dem dunklen Weltteile ausgeht und diejenigen, die er einmal in Banden geschlagen hat, nirgends mehr Ruhe finden läßt, sondern immer wieder zu sich zurückzieht, besteht bei Lichte besehen zum großen Teil in dem gut bemessenen Gehalt, den schönen Pensionsaussichten, der gesteigerten Wertschätzung der Persönlichkeit – zum mindesten der Selbsteinschätzung – und nicht zuletzt in den drei, vier Gängen des abendlichen » dinner« an Stelle des bescheidenen Wurstbrotes im Vaterlande. Das ist auch ein Zauber; ich gebe es zu. Aber so ganz geheimnisvoll scheint er mir doch nicht zu sein.
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Seitdem ich dies schrieb, sind Jahre vergangen, Jahre, in denen ich die ganze Torheit dieses Spotts einsehen lernte. Aber ich strich diese Stelle nicht, weil ich überhaupt an meinen Briefen und Tagebüchern möglichst weniges redigiert habe, um ihnen den Reiz der Ursprünglichkeit nicht zu rauben. Lieber will ich mein eigner Widerleger und Widerrufer sein. Und in diesem Falle wird es mir besonders leicht, weil mein ganzes Leben ein Dementi jener Verhöhnung geworden ist.
Es gibt einen afrikanischen Zauber auch ohne Gehalt, ohne Pension und ohne dinner mit drei, vier Gängen, und ich habe, seitdem ich Afrika verließ, so sehr in seinem Bann gestanden, daß ich oft geradezu krank vor Heimweh bin und den Tag segnen will, an dem ich wieder zum erstenmal vor einer Zelttür sitzend die stille Größe der afrikanischen Landschaft genießen darf. Das innige Leben in und mit der Natur, das Bewußtsein, frei zu sein – nicht im »befehlen dürfen«, sondern im »nicht gehorchen müssen« liegt, was mich lockt – – frei auch darin, daß jeder Zwang zu konventioneller Heuchelei fortfällt – denn: »nichts schämt sich hier versteckter, verstockter Gefühle« – das ist es, was den Zauber des Afrika, das ich kenne und liebe, schafft. Ob aber dieser Zauber auch in dem Klima der Bureaus und Messen der Küste gedeihen kann? – – – – – – – –
Sobald die Uhren von Daressalam die elfte Tagesstunde anzeigen, leeren sich die Amtsstuben, und die Stätten der Erholung füllen sich. »Die elfte Stunde?« Ich höre schon den Schrei besorgter Mütter, deren Söhne hier in Knechtschaft schmachten. Ich muß es aber rasch wiederholen, ehe ein »Unmöglich« über ihre Lippen kommt.
Es ist aber wirklich so und doch ganz ungefährlich. Die Wasuaheli zählen nämlich ihre Stunden wie Hendschels Kursbuch. Um 6 Uhr abends beginnt die erste Stunde der Nacht, um 6 Uhr morgens die erste Stunde des Tages. Man frühstückt also um 2, ißt Mittag um 7 und legt sich zwischen 4 und 5 Uhr nachts ins Bett. Für die Tropen ist das Verfahren sehr logisch. Allgemein bekannt ist, daß in äquatorialen Breiten die Sonne das ganze Jahr hindurch etwa um 6 Uhr auf- und nach zwölf Stunden wieder untergeht; weniger bekannt, daß wir fast gar keine Dämmerung haben, was zunächst einen sehr befremdenden Eindruck macht. Überhaupt sind die langen Abende das Einzige, woran sich der Europäer gar nicht gewöhnen will. Sie kontrastieren zu sehr mit der sommerlichen Pracht, die ihn umgibt. Die schönste Zeit der Erholung ist die letzte Tagesstunde. Um 5 Uhr – ich wähle diesmal nicht die hiesige Zeitrechnung, deren man sich natürlich nur im Verkehr mit den Eingeborenen bedient – kann man sich auf der großen Promenade von Daressalam mit etwas Phantasie in einen vornehmen Badeort versetzt denken. Stolze Rosse werden von noch stolzeren Reitern getummelt; Zweiräder und leichte mit Maultieren oder Ponys bespannte Wagen fliegen an den Spaziergängern vorüber und werden genügend bewundert. Auch ein Spielplatz fehlt nicht, der von den Mitgliedern des Tennis-Klubs fleißig besucht wird. Mit Eintritt der Dunkelheit zerstreut sich dann alles in die Messen. Wie es sich für eine deutsche Gesellschaft gehört, gibt es deren in ausreichendem Maße. Es soll einmal ein Herr den erfolglosen Versuch gemacht haben, sie zu zählen; ehe er aber damit fertig wurde, waren die zwei Jahre seiner Dienstzeit um, und die Arbeit blieb als Fragment liegen. So weit man aus dem Torso einen Schluß ziehen kann, scheint es, daß immer auf sechs Herren sieben Messen kommen. Bekannt sind mir – ich will sie aufzählen, so lange mein Atem anhält – eine Offiziers-, eine Oberbeamten-, eine Unterbeamten-, eine Zoll- und Post-, eine Kapitäns-, eine Kaufmanns-, eine Unteroffiziers-, eine D. O. A. G.-Messe usw. usw. Aber um ernsthaft zu sein, bekenne ich, daß es mit der Gruppenbildung der Gesellschaft nicht so arg ist, wie es nach der großen Zahl der Messen scheint. Sie fallen nur deshalb so auf, weil fast alle in einem Hause, dem Kasino liegen. In Wirklichkeit findet zwischen den Herren von ungefähr gleicher sozialer Stellung ein ziemlich reger Verkehr außerhalb der »Meßzeiten« statt.
Und dann – ohne Pharisäertum – gibt es denn nicht in jeder deutschen Stadt ebensoviel Messen? Im allgemeinen habe ich auch hier wieder die alte Erfahrung gemacht, daß man sich nur über die Mieter beklagt, die einen Stock höher wohnen.
Ich hatte ursprünglich die Absicht, von Daressalam aus meine Reise ins Innere anzutreten; änderte sie aber später, weil es damals noch bequemer war in Bagamojo Träger und Tauschwaren zu erhalten. Da aber meine in Europa erworbene Ausrüstung nach Daressalam verfrachtet war und ich mich außerdem dem Herrn Gouverneur vorstellen mußte, war ich genötigt, erst dort an Land zu gehen. Schon in Tanga hatte mir ein »alter Afrikaner« mit freudestrahlendem Gesicht die unangenehme Nachricht gebracht – daß der Gouverneur vor fünf Tagen nach Uhehe abmarschiert und vor vier Monaten keine Aussicht vorhanden sei, ihn zu treffen. Zum Glück fand ich bei seinem Stellvertreter, einem Sohne des bekannten (nunmehr toten) Parlamentariers von Bennigsen, das weitgehendste Entgegenkommen für meine Pläne. Man hatte mir gesagt – »man« war natürlich auch ein alter Afrikaner –, daß es mir nicht gestattet sein würde, Askaris (Krieger) und Hinterlader ins Innere mitzunehmen. Mir wurde indes nichts in den Weg gelegt, da es wohl a priori höchst unwahrscheinlich schien, daß ich mit fünfzehn Mann mich auf kriegerische Unternehmungen einlassen würde. Eine große Macht – das hat die Erfahrung hundert mal gelehrt – führt in Afrika nur zu leicht zu Übergriffen. Man kann im allgemeinen behaupten, daß mit der Zahl der Askaris die wissenschaftlichen Ergebnisse einer Reise im Quadrat abnehmen. Ich zog es daher vor, für jedes Gewehr weniger eine Last Geschenke mehr mitzunehmen und wenn ich dazu kommen sollte, meine sechzehn Lasten Geschenke auszuteilen, so wird wohl in ganz Afrika kein Mensch mehr existieren, der nicht mindestens im Besitze eines Spiegels, einer Mundharmonika oder einer Drehdose ist. Bewaffnete habe ich nur soviel angeworben, als ich für nötig halte, um die Eingeborenen gegen meine Karawane zu schützen, nicht umgekehrt. Denn Karawanen, so wenig man sie im absehbarer Zeit für den Handel und die wissenschaftliche Forschung entbehren kann – sind und bleiben ein Krebsschaden für jede Kolonie. Da tauchen eines schönen Tages in einem armseligen Dorfe ein paar hundert, ja selbst tausend wildfremde Menschen auf und verlangen Essen, Brennholz usw. Aber woher alles nehmen, ohne sich selbst völlig zu entblößen. Auch wenn Zahlung erfolgt, was überhaupt nicht immer der Fall ist – ich kenne einen sehr berühmten Reisenden, von dem seine eigenen Leute erzählen, daß er ihnen bisweilen auf ihre Bitten um poscho (d. tägl. Brotgeld) in nicht mißzuverstehender Weise Patronen verabreicht hätte – so ist damit den Eingeborenen noch lange nicht gedient. Was nützt es ihnen, wenn sie die Hütten mit Stoffen und Perlen vollpfropfen können, wenn ihnen das letzte Stück Vieh geschlachtet, die letzte Maniokwurzel aus den Feldern gezogen, das letzte Stück Holz verbrannt und der letzte Tropfen aus ihrem kümmerlichen Wasserloch getrunken wird. Weigern sie sich aber, ihr Eigentum zu verkaufen, so ist ihr Schicksal besiegelt. Denn hunderte von hungrigen Mägen verlangen befriedigt zu werden. Nun findet der berühmte »Zwangskauf« statt, der in den Reisewerken öfter erwähnt und noch öfter verschwiegen wird; d, h. die Karawane nimmt, was sie braucht und bestimmt selbst den Wert des Gekauften, oder wenn sich die Eingeborenen mit Recht dem widersetzen, so wird einfach mit Pulver und Blei bezahlt. Die meisten Konflikte entstehen auf diese Weise und es ist nicht zu verwundern, wenn der Reisende oft erstaunt sieht, wie bei seinem Nahen das Vieh in Schlupfwinkel getrieben und Weiber und Kinder in Sicherheit gebracht werden. Berücksichtigt man noch die vielfachen Übergriffe, die sich die hochmütigen Küstenleute gegenüber den » waschensi« (Wilden) erlauben, die Diebstähle, Eigentumsbeschädigungen, Vergewaltigungen der Weiber, Prügeleien der Männer, so findet man die Erklärung für das häufige Veröden der Karawanenstraßen. Allein schon vom Standpunkt der Humanität wäre deshalb ein Bahnbau nach Tabora freudig zu begrüßen.
Ich hatte gerade die Erlaubnis bekommen, meine fünfzehn Hinterlader mit mir zu nehmen und ging seelenvergnügt meines Weges, als ich plötzlich meinen alten Afrikaner womöglich noch seelenvergnügter auf mich zukommen sah. Ich wappnete mich im stillen gegen seine Mitteilung, die sehr unangenehm sein mußte, weil er vor Lachen nicht zu Worte kommen konnte. Endlich platzte er mit der Nachricht heraus, daß in Ruanda neuerdings die Beulenpest ausgebrochen sei. Ich dachte » never give up« und antwortete mit einer Grimasse, die freudige Überraschung vorstellen sollte: »Um so besser, so werde ich auch die Beulenpest studieren können.« Natürlich stellte sich, als ich mich bei Herrn Professor Koch erkundigte, heraus, daß nicht die Beulenpest und nicht in Ruanda und nicht neuerdings ausgebrochen sei, sondern daß Hunderte von Kilometern abseits meines Weges in der Nähe von Bukoba seit vierzig Jahren eine ihrem Wesen nach noch völlig unklare Krankheit unter den Eingeborenen endemisch herrsche. Diese Krankheit wurde bald darauf als Bubonenpest identifiziert. Damit war es also wieder nichts, und als ich einen Tag später nach Sansibar abfuhr, mußte ich meinen liebenswürdigen Gönner in der traurigen Situation zurücklassen, für seinen Überfluß an Menschenfreundlichkeit keinen Abnehmer zu finden. Wie ich höre, findet er wenigstens einen schwachen Trost darin, Fieberrekonvaleszenten auf die Blässe ihrer Gesichtsfarbe aufmerksam zu machen und sie schonend auf die Häufigkeit von Rezidiven vorzubereiten. Es muß auch solche Käuze geben.
R. K.
Am Kingani, 4. August 1897.
Es ist wahrlich nicht der häßlichste Platz, den ich mir zum Schreiben ausgesucht habe; jedenfalls sehr geeignet, um sich in die nötige Stimmung für afrikanische Reisebriefe zu versetzen. Mein Tisch steht auf einer geräumigen Veranda, die durch ein hohes, dichtes Strohdach vor jedem Sonnenstrahl geschützt ist. Sie nimmt die ganze, mehr als 20 Meter lange Front eines für zentralafrikanische Begriffe unerhört stattlichen Hauses ein, das ein unternehmender deutscher Händler am Markte von Tabora erbaut hat. Wenn ich von meinem Schreibtisch über die niedrige Brüstung hinwegblicke, so sehe ich dicht unter mir eine breite, saubere Straße, die auf beiden Seiten von den Marktständen begleitet wird, primitiven, offenen Hallen, deren roh gezimmerte Holzpfeiler das aus Grasbündeln und Bast dicht gefügte Schutzdach tragen. Dicht daneben dehnt sich ein Hüttenviertel aus, von dem ich allerdings trotz meines erhöhten Standpunktes nur die Dächer sehe, weil hohe, mattenartig geflochtene Zäune meinen Blicken das übrige verbergen. Aber schon an den Dächern, die bald flach, bald giebel-, bald kegelförmig sind, erkenne ich, daß das Völkergemisch, das hier haust, auch in seinen Wohnstätten Ausdruck gefunden hat. Wo die letzten Hütten stehen, beginnen die Felder und Wiesen, deren schönste Unterbrechung die zahlreichen Mangobäume mit ihren prächtigen, dunkelgrünen, dem Boden scheinbar ohne Stamm entspringenden Blattmassen sind. Dazwischen hebt sich von dem hellen Gelb der Felder oder dem mattblauen Himmel hie und da eine schlanke Kokospalme oder eine Dattelpalme mit ihrem wuchtigen, aber immer graziösen Bau ab. Den Hintergrund dieses Dioramas bildet eine schwachbewaldete, mit Granitblöcken übersäte Hügelkette, deren Kamm in sanften Wellen sich hinzieht und im Osten wie im Westen allmählich in der Ebene sich verliert. Anmutig und reizvoll wie die Landschaft, ist auch das Leben und Treiben, das in ihr sich abspielt. Eine bunte Menge drängt sich vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang auf dem Markte und feilscht in allen möglichen Dialekten mit den Händlern, die ihrer Ware nicht mehr Aufmerksamkeit schenken als ihren Freunden, die, den Schatten genießend, ihnen Gesellschaft leisten und schwätzend die Zeit kürzen. Und was gibt es hier nicht alles zu kaufen! »Tabora.« Das hat für das Ohr des Negers denselben Klang, wie »Paris« für die Lebemänner aller Nationen. »Tabora.« So oft meine Träger mit schlaffen Knien und gesenktem Kopf durch das pori zogen, kein Laut über ihre trockenen Lippen kam, nicht einer der ermunternden, scherzhaften Zurufe, die sonst vom letzten bis zum ersten Mann sich fortzupflanzen pflegten, und selbst die Aussicht, bald einen Lagerplatz zu erreichen, ihnen nicht über die Glut der Sonne und die Schwere ihrer Last hinweghalf, da brauchte nur das Wort »Tabora« an ihr Ohr zu dringen, und unter dem Einfluß einer Vision, die ich mir etwa als einen Tanz aller ihnen bekannten Fleisch- und Gemüsesorten um ein großes Faß mit Pombe vorstelle, stählten sie für einige Zeit wieder ihre schlaffen Glieder. Und jetzt, da sie ihr Dorado erreicht haben, ist die Gefahr nur zu groß, daß es für sie zum Capua wird, um so mehr, als ich gezwungen bin, fast vierzehn Tage hier zu verweilen.
Ich erkenne sie kaum wieder, wenn ich sie jetzt in vornehm blasierter Haltung mit langem, weißem Hemde und gleichfarbiger Mütze, an der ich sie oft im Lager sticken sah, und ein Spazierstöckchen unterm Arm den Markt entlang schlendern sehe. Viele haben hier Verwandte und Freunde wiedergefunden, die irgend ein Zufall, oft aber auch das böse Gewissen von der Küste fern hält. Denn barra, d. d. »das Innere«, ist das Buenos-Ayres der Küstenleute, ein gesegnetes Asyl für flüchtige Kassierer. Neben meinen Wasuaheli mit ihren großstädtischen Allüren erscheint die eingeborene Bevölkerung der Wanjamwesi sehr unkultiviert. Meine Leute wissen dies auch und schauen auf die waschensi (»die Wilden«) mit ihrem teils ärmlichen, teils aufdringlich geputzten Äußeren herab, wie ein Berliner auf die Provinzler. »Nur ihre Weiber hat er gern,« und wer Augen hat zu sehen, dem wird es nicht entgehen, daß sich auf dem Markte vielfach zarte Bande verknüpften, die meiner Karawane einen weiteren unerwünschten Zuwachs des weiblichen Personals bringen werden. Wanjamwesi und Wasuaheli bilden die Hauptmasse der hiesigen Bevölkerung, daneben sieht man aber Vertreter fast aller Stämme, die an und zwischen den großen Seen wohnen. Viele sind in der Zeit des Sklavenraubs hierher verschleppt worden. An jene Zeit erinnern auch noch die Araber, die hier wohnen, und die mit wenig Ausnahmen, nachdem ihnen die Quellen ihres Erwerbs verstopft wurden, dem finanziellen Untergange geweiht sind. Denn der Araber ist kein Kaufmann, weder im großen noch kleinen; er versteht nicht, zwischen Einnahmen und Ausgaben das Gleichgewicht zu halten, und so sinkt er immer tiefer in die Gewalt des wuchernden Inders.
Das würde ihnen ein Uneingeweihter freilich nicht ansehen, wenn er sie jetzt, wie ich, über den Markt zum Schauriplatz reiten sähe, mit ihren prächtigen Gewändern, mit dem goldgestickten Sattelzeug, dem silbernen Geschirr ihrer Maskatesel und dem Troß ihrer Vorläufer.
Jeden Mittag um halb zwölf Uhr kommt plötzlich verstärktes Leben in das bunte Gewimmel des Marktes. Trompetenblasen, Trommel- und Paukenschlagen – die Wache zieht auf. Ganz wie bei uns laufen zwanzig bis dreißig Gassenjungen der Musik voraus, die Knüppel geschultert und im Takte marschierend. Wehe aber, wenn die kleine, schwarze Bande entdeckt, daß ein unbekannter Europäer am Orte ist. Dann wird abgeschwenkt – ein paar Blechbüchsen, auf denen sich spektakeln läßt, sind rasch gefunden, und die Ovation beginnt. Ach, diese Barrisons! Erst haben sie »mein Volk verführet«, daß man auf Schritt und Tritt ihre faden Melodieen hörte, und jetzt machen sie sich sogar schon im Herzen von Afrika breit. Wie diese Seuche importiert wurde, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls hört man das vertrackte » ta-ra-ra-bum-dee« bei jeder Küstengoma singen, und gestern mußte ich es sogar eine halbe Stunde lang aus den Kehlen von fünfundzwanzig kleinen Rüpeln von Tabora über mich ergehen lassen, bis mir Geduld und Trommelfell riß und ich die ganze Gesellschaft davonjagen ließ. Das ist höchste Kultur.
Aber ich merke, daß ich vom Hundertsten ins Tausendste komme und schon eine Beschreibung von Tabora liefere, während ich noch so viel rückständige Schulden an den Leser habe, daß mich ein Schaudern überläuft, wenn ich in meinem Tagebuch blätternd an ihre Einlösung denke.
Und damit will ich dahin zurückkehren, wo ich den Leser zuletzt verlassen habe.
Bagamojo, 30. Juni 1897. Ich bin nun fast acht Tage hier und kann mich immer noch nicht satt sehen an dem eigenartigen Getriebe. Wie modern und europäisch erscheint dagegen Daressalam. Es sind in diesem Jahre zwar nicht so viel Träger hier wie im vorigen, immerhin ist ihre Zahl groß genug, um mir eine Fülle amüsanter und fremdartiger Eindrücke zu gewähren. Den dankbarsten Stoff bietet mir das Leben auf dem Markt. Er ist für 100 Rupien monatlich an einen Inder verpachtet, der sich an dem Standgeld der Händler schadlos halten muß. Um ihn darin zu unterstützen, dürfen Lebens- und Genußmittel nur auf dem öffentlichen Markte feilgeboten werden.
Am dichtesten drängt sich die Menge jederzeit um die Verkäufer von Schnupftabak, die ihre Ware in kleinen Nußschalen abmessen. Man sagt, daß die Wanjamwesi für eine Prise ihre Seele verkaufen; man möchte es glauben, wenn man die zärtliche Sorgfalt sieht, mit der sie eine Quantität behandeln, die gerade noch zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten werden kann. Die Sorglosigkeit, mit der ein Münchner Maurer seine Nase in einen Berg von Tabak versinken läßt, würde ihnen jedenfalls als der Gipfel des Cäsarenwahnsinns erscheinen. Sehr zahlreich sind die Mehlverkäuferinnen. Auf kleinen Hocken kauernd, preisen sie schreiend und oft im Chore singend ihre Ware an, die in großen Körben vor ihnen steht. Als Maß dienen zwei flache Blechteller, auf denen das Mehl zur Pyramide gehäuft wird. Die Waschensi, die bedächtig musternd die Reihen entlang gehen, zwei-, dreimal ein Geschäft anknüpfend und wieder abbrechend, werden, so verachtet sie sonst sind, hier mit Koseworten umschmeichelt und zum Kaufe ermuntert. Ausschlaggebend ist auch hier oft der Schnupftabak, der in Bast gewickelt am Busen verborgen wird, um im kritischen Moment hervorgeholt zu werden. Ich habe eine alte würdige Dame, die sich stets durch einen auffallenden, dubiosen Fleck unter der Nase auszeichnete, im Verdacht, daß sie mit diesem Aushängeschild eine unlautere Konkurrenz trieb, und wie ich öfter sah, mit Erfolg. In großen Mengen werden Früchte und Gemüse zum Markte gebracht. Bananen, Kokosnüsse, Maniok, Bataten, Kürbisse, vielerlei Bohnen, Mais, Aubergines, Salat (meist als Kräutersuppe verkauft), Erdnüsse, Zuckerrohr usw. Nichts ist lächerlicher und affenähnlicher als ein Neger, der an einer meterlangen Stange Zuckerrohr kaut. Geflügel sieht man sehr selten auf dem Markte, Eier fast niemals, da der Neger wie der Araber aus einer mangelhaften Naturbeobachtung einen Ekel vor ihnen hat und viele sich mit Abscheu wegwenden sollen, wenn sie einen Europäer bei ihrem Genusse sehen. Weigerte sich doch in Ruanda einmal ein kleiner Boy, noch dazu ein Mschensi, einen Teller abzuwischen, weil die Reste von Rührei darauf waren. Fleisch, Fische und Brennholz kann man in den kleinsten Quantitäten kaufen, selbst die Hufe werden zerstückelt und in den Handel gebracht.
Getrennt vom Hauptmarkte findet der Ausschank von Palmwein ( tembo) statt, der für 50 Rupien monatlich verpachtet ist. Das Recht, Palmwein zu bereiten, ist vom Bezirksamt nur bestimmten Personen gestattet, die ihn an den Pächter verkaufen müssen. Dieser hat eine Reihe von Heben verpflichtet, die täglich unter einem großen Mangobaum gegen eine kleine Tantième auf den Verkauf bedacht sind. Die Produktion von tembo war früher einmal vorübergehend verboten. Das Verbot hatte aber keine weiteren Folgen, als daß heimlich noch stärker gebraut und getrunken wurde, und daß die Bevölkerung sich über die lästige Bevormundung erregte, umsomehr, als sie oft genug Gelegenheit hatte zu sehen, daß auch der msungu es nicht verschmäht, des süßen Gottes voll zu sein. Derartige Erlasse werden hoffentlich nie mehr ausgegraben werden. Vorläufig verstimmt auch das Bild des Deutschen als Mäßigkeitsapostel – um recht milde zu sein – durch seinen Mangel an Wahrscheinlichkeit.
Bagamojo, 5. Juli. Wenn ich des Abends spazieren gehe, lenke ich meine Schritte gern in die Mustermission, die die aus dem Elsaß vertriebenen pères du Saint Esprit et du Sacré Coeur vor dreißig Jahren hier gegründet haben. Es sind noch zwei Herren aus der Gründungszeit tätig, Pater Etienne und Bruder Oskar, die seitdem fast ununterbrochen hier gewirkt haben. Nichts unterhaltender, als in den schattigen Laubgängen mit Bruder Oskar Beide inzwischen gestorben. sich zu ergehen und von ihm sich von den Entbehrungen der ersten Zeit erzählen zu lassen, von den kleinlichen Anfeindungen der Araber, von berühmten und unberühmten Forschern, die er fast alle gekannt und deren Schwächen er lustig zu schildern weiß. Das, was hier an Kulturarbeit geleistet worden ist, ist so groß, daß es nur ein schuldiger Tribut ist, wenn jeder Reisende wieder öffentlich Zeugnis dafür ablegt. Die prächtigen Vanillekulturen, die üppigen Gemüsegärten, die Schamben, in denen mehr als 20 000 Kokospalmen gedeihen, die Orangerie, die Sauberkeit aller Anlagen, die Kanalisation mit selbstgefertigten Drains, die Handwerkerstuben, die schönen Gebäude, an erster Stelle die Kirche – kurz, alles dies selbst geschaffen zu haben und die Mitarbeiter aus einer, regelmäßiger Arbeit abgeneigten Bevölkerung sich erzogen zu haben – Hut ab vor solcher Leistung. Neben ihr kommen die Erfolge auf religiösem Gebiet gar nicht in Betracht. Ich glaube, daß in den dreißig Jahren nicht mehr als 3-400 Taufen stattgefunden haben. Außerdem ist das Christentum der Wasuaheli nur sehr oberflächlich, wie sie auch den Islam nur in seinen Äußerlichkeiten angenommen haben. Den Glauben, der sich ihren kindlichen Wünschen anbequemt, glauben sie gerne; unangenehme Dinge wie die Hölle, werden von ihnen einfach abgelehnt. Es gibt in der Mission noch aus früheren Zeiten Bilder, die die von den Teufeln gemarterten Seelen darstellen. Heute ruhen sie friedlich, vergilbt und verstaubt, in dunklen Schränken und wenn Bruder Oskar einmal eines von ihnen als abschreckendes Beispiel hervorholt, so wird es mit dem fröhlichsten Gelächter » uwongo, uwongo« (»Lüge«) aufgenommen. In richtiger Erkenntnis der Grenzen, die ihrem Einflusse auf religiösem Gebiete gesteckt sind, haben die Missionare das »arbeite« dem »bete« vorausgestellt und wir dürfen ihnen dafür dankbar sein.
8. Juli. Ich hatte heute Gelegenheit, einer öffentlichen Prüfung in der Regierungsschule beizuwohnen, der eine Preisverteilung folgte, für die das Gouvernement jährlich eine kleine Summe ausgesetzt hat. Als Lehrkräfte wirken ein deutscher und ein indischer Lehrer. Die Kinder stammen zum größten Teil aus indischen Familien, doch fehlt es auch nicht an kleinen Schwarzen; ja selbst weiße Kinder sind durch zwei Sprößlinge vertreten. Die Erfolge sind, wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt, die einem erfolgreichen Unterricht entgegenstehen, gar nicht übel. Sie würden vielleicht besser sein, wenn man die Kinder in verschiedenen Klassen unterrichten und sich auf die kleine Zahl der regelmäßigen Besucher beschränken würde. Jetzt muß der Lehrer bei jedem neuen Schüler von neuem beginnen, und da jede Woche Aufnahmen und Austritte stattfinden, leiden die Fortschritte der älteren sehr empfindlich. Mit der Zeit werden wohl auch diese Zustände sich bessern: Das Schulwesen hat, seit dieser Brief geschrieben wurde, große Fortschritte gemacht. vorläufig muß man zufrieden sein, wenn wenigstens einige deutsch sprechen, lesen und schreiben lernen. Die Diktat- und Schönschreibhefte überraschten oft durch ihre Sorgfalt. Am besten sind die Leistungen im Gesang deutscher Volkslieder, die zum Teil in ein sehr hübsches Kisuaheli übersetzt sind.
Amüsant waren mir zwei schwarze Schüler – ein Postbote und sein Sohn –, die miteinander in Fleiß und Aufmerksamkeit wetteiferten. Ich malte mir im Stillen die Familienszene aus, wenn der Junge seiner Mutter ein besseres Zeugnis ins Haus bringt als der Papa.
15. Juli. Ich hörte heute einen köstlichen Ausdruck, mit dem die Wasuaheli die Griechen und Italiener bezeichnen, die sich als Handwerker und Kleinhändler hier ihr Brot verdienen. Sie haben sehr rasch erfaßt, daß die Angehörigen der genannten Nationen eine niedere soziale Stellung einnehmen als die Deutschen, und darum nennen sie sie die » waschensi wa Uleia« d. h. die »europäischen Wilden«. Ein mschensi ist für den Küstenmann jeder Eingeborene des » barra«, des Innern, als Typus eines ungebildeten, ungehobelten Menschen und er blickt auf ihn mit einem ebenso großen Dünkel herab, wie irgend ein polnischer Graf älterer Ordnung auf seinen Hofjuden. Diese Überhebung wird ihnen schon in frühester Jugend eingepflanzt. Ich habe wiederholt in der Nähe der Karawanserei beobachtet, wie ganz kleine Bengel von sechs bis zehn Jahren mit ihren Knütteln furchtlos gegen große Mengen von Wanjamwesi vorgehen, und sie in die Flucht schlagen. Meine Boys zahlen lieber einem mschensi ein paar Pesa, als daß sie selbst einen Dienst verrichteten, der ihnen nicht fair erscheint. Aber auch unter sich machen die Wasuaheli große Unterschiede in der gegenseitigen Wertschätzung. Für einen Askari, Baharia (Bootmann) oder Boy, die in europäischen Diensten stehen, ist der gewöhnliche Lohnarbeiter ein mschensi und oft genug kann man sie diesen Ausdruck als Schimpfwort benutzen hören. Wie empfindlich sie darauf achten, nicht mit den »Wilden« vermischt zu werden, lehrte mich folgendes Erlebnis: Ich traf dieser Tage auf der Straße die Haushälterin eines deutschen Kaufmanns und da ich ihren Namen nicht kannte, so rief ich sie mit »Du« an ( wewe). Die Antwort der stolzen Dame war: »Bin ich denn ein mschensi, Herr, daß du mich nicht mit meinem Namen anrufst?«
27. Juli. Trotzdem ich mit der Verpackung von 61 Lasten, die ich morgen bis Kilossa vorausschicken will, hinreichend Beschäftigung habe, konnte ich es mir doch nicht versagen, als ich heute an dem Gerichtssaal vorüberging, einen Blick hineinzuwerfen. Wöchentlich wird im Bezirksamt zweimal Schauri abgehalten, in dem über alle Vergehen der Eingeborenen und ihre Streitigkeiten untereinander abgeurteilt wird. Man muß dabei natürlich nicht an ein Gerichtsverfahren in europäischem Stil denken. Vereidet wird niemand, Staatsanwalt und Verteidiger gibt es auch für die schweren Verbrechen nicht; fast alle Funktionen liegen in der Hand des Bezirksamtmanns.
Am Ende eines langen, schmucklosen, korridorartigen Raumes Heute dient eine schöne Halle im neuen Amtsbezirk als Sitzungssaal. befindet sich der hohe Rat, d. h. der bana mkuba mit seinen zwei Beisitzern, dem arabischen Wali (Bürgermeister) und einem reichen Inder, dem Dolmetscher – einem in Jerusalem getauften Araber – und einem deutschen Schreiber als Protokollanten. An den Längsseiten sitzen vornehme Araber mit goldgestickten Mänteln und Turbanen, am Gürtel prächtige Maskatdolche und Schwerter, von denen manche ihrem Besitzer 6-700 Mark gekostet haben. Die Inder, die sich als fleißige Geschäftsleute den Luxus eines freien Vormittags nicht leisten können, sind weniger zahlreich vertreten. Am anderen Ende und vor den vergitterten Fenstern drängt sich neugieriges Volk, unter dem schwarze Polizisten die Ruhe aufrecht erhalten. Eine der wichtigsten Personen ist der Effendi, der mit der Nilpferdpeitsche wie ein Engel mit flammendem Schwert an der Tür steht und auf den ehrenvollen Auftrag lauert, einem armen Schächer die durch einen mühsamen Diebstahl sauer verdienten hams 'ischrin (25) zu verabreichen oder einem Widerspenstigen das Hinausgehen zu erleichtern.
Der erste Kläger war ein Araber; er beschwert sich über eine Sklavin, die lieber bummelt, als ihrer Pflicht gemäß stundenlang das Getreide zu Mehl stampft. Ich gestehe, daß ich ihre Abneigung gegen eine Arbeit teile, die die Kräfte einer deutschen Frau weit übersteigen würde. Das Zerstampfen geschieht nämlich mit einer 2 Meter langen und entsprechend schweren Stange in einem tischhohen Holzmörser. Die Delinquentin leugnet zwar, da sie aber schon mehrfach wegen Faulheit verwarnt wurde, kommt sie für einen Monat an die Kette.
Der zweite Fall betraf dasselbe Vergehen. Kläger ist ein etwa 15-jähriger Neger, Verklagte eine würdige Matrone, die er von seinem Vater geerbt hat. Sie behauptet, zur Arbeit nicht verpflichtet zu sein, weil sie ihren Herrn bei ihrer Verheiratung mit dem Hochzeitsgut abgefunden habe. Kläger leugnet es, wie überhaupt, daß sie in legitimer Ehe lebe und so wird die Sache bis zum nächsten Schauri vertagt und der Verklagten aufgetragen, bis dahin einen Ehemann zur Stelle zu bringen oder zu brummen.
Als nächster tritt ein Inder vor. Ein Karawanenführer schuldet ihm so und so viel Rupien und soll seine Schuld bezahlen, ehe er eine neue Reise antritt, da es nicht ausgeschlossen ist, daß ihm ein Wohnsitz im Innern ohne Schulden und Inder besser gefällt als an der Küste mit Schulden und Inder. Geld hat der Mann nicht, aber er deklamiert mit einiger Freiheit:
»Ich laß Dir den Bruder zum Bürgen,
Ihn magst Du statt meiner erwürgen.«
Da der Bruder zu allem Ja und Amen sagt, wird die Angelegenheit in diesem Sinne geregelt.
Es folgt die Erledigung einiger Zivilfälle, Erbschaftsteilungen, Häuserkäufe usw., die mich weniger interessierten, als der Name Rumalisa an mein Ohr schlug. Ich sehe auf und sehe einen blassen, schmächtigen Araber, der das Elfenbein mit Arrest belegt, das ein Händler aus Tabora zur Küste geschickt hat. Kein Mensch würde diesem Mann mit dem müden, kranken Gesicht und dem vornehmen, leisen Auftreten ansehen, daß er noch vor wenigen Jahren über eine Macht von vielen tausend Gewehren verfügte, mit deren Hilfe er seinen Namen mit blutigen Lettern in die Geschichte von Zentralafrika eingeschrieben hat. Wie er jetzt seine zarten, weißen, gepflegten Hände mit den rotgefärbten Nägeln beteuernd auf sein Herz legt, mußte ich der unzähligen Opfer denken, die diese zarten, weißen, gepflegten Hände erbarmungslos um verfluchten Gewinn hingemordet haben. Ja, die Zeiten ändern sich. Vor sechs, sieben Jahren noch durfte er in Udjidji ungestraft die Fahne der Deutschen zerreißen und mit Füßen treten, und heute muß er ihre Hilfe anrufen, um auf ein paar lumpige Elefantenzähne seine Hand zu legen. Was für ein Haß muß sich hinter dieser fast flehend demütigen Maske verbergen!
Als nächster klagt ein Küstenmann gegen einen Häuptling im Hinterlande von Bagamojo, weil er seinen Bruder gefangen genommen und zum Sklaven gemacht habe. Trotzdem die Sache offenbar übertrieben ist, muß der Schreiber des Wali, der mit Papier, Tinte und Feder vor dem Fenster steht, einen Brief schreiben, und Brief, Bruder und Polizei-Askari begeben sich auf die Wanderschaft.
Nach Erledigung einer sehr verwickelten Diebstahlsaffäre erscheint ein alter Halbblutaraber, wird aber sofort von dem Engel mit der flammenden Nilpferdpeitsche an die Luft befördert, ehe noch der erste Satz seiner Rede verklungen ist. »Als ich vor fünfzehn Jahren in X war, wurde mir von dem dort wohnenden, nunmehr verstorbenen Y ein Rind gestohlen.« Der Mann – offenbar ein geisteskranker Querulant – läuft seit fünfzehn Jahren von einem Schauri zum andern, um das gestohlene Gut zurückzubekommen, findet aber zu seinem Leidwesen immer eine taube Gerechtigkeit.
Es folgten einige Klagen wegen Zurückzahlung von Schulden. Die Kläger sind meistens Inder, die Verklagten Küstenleute. Letztere haben stets einen einwandfreien Zeugen bei der Hand, der gesehen hat, genau gesehen hat, daß der Inder dem Beklagten »nichts« geliehen hat. Urteil: Zahlen oder hams 'ischrin. In dieser Weise ging das Schauri lustig weiter, und die schwierigsten juristischen Probleme wurden mit einer Schnelligkeit gelöst, die unseren heimischen Behörden als Vorbild dienen könnte.
Die Erzählung eines Falles, der mir besonders zu Herzen ging, habe ich mir bis zuletzt aufgehoben. Ich hatte als Ombascha (Unteroffizier) einen Mann namens Mkono engagiert, der von Graf Götzen glänzend empfohlen und mir auch sonst als Muster eines braven Jungen von verschiedenen Seiten gerühmt worden war. Heute morgen kam er sehr niedergeschlagen und bat um einen Tag Urlaub, weil seine alte Mutter gestorben sei. Man denke! Die Mutter! Armer Mkono. Ich gab ihm natürlich Urlaub und einige Rupien dazu. Ach, einige Stunden später traf ich den armen, ehrlichen Mkono nicht beim Begräbnis seiner Mutter, sondern im Schauri, wo er wegen einer Unterschlagung einer Ziege zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, die er auch bereitwilligst mit meinem Gelde bezahlte.
Wenn das am grünen Holze geschieht, was für Freude werde ich dann mit meinem dürren erleben?