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Ein in der Wolle gefärbter deutscher Demokrat, dem das roteste Rot noch nicht rot genug erscheint, hat die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als er hörte, daß ihm die Polizei in London keine Auskunft über den Aufenthalt eines seiner dort lebenden Freunde geben könne, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Londoner Polizei sich um niemand kümmert, der nicht Spitzbube ist. Ja, der deutsche Demokrat hat darob die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, die großen, breiten Hände, mit denen er sooft in Volksversammlungen auf die Tribüne geschlagen, und hat sich gewundert und geärgert, daß in London eine solche unverzeihliche Unordnung herrsche.
Aber so sind wir Deutsche! Wir sind so sehr gewohnt, mit Gendarmen und Polizeibegleitung durchs Leben zu gehen; all unser Tun und Lassen wird so sehr von polizeilichen Behörden überwacht, daß uns jede Staatsordnung, die nicht auf Polizeibütteltum beruht, eine unbegreifliche Unordnung dünkt.
256 Die jetzige Organisation der Londoner Polizei datiert, wenn ich nicht irre, vom Jahre 1829 und ist ein Werk des unsterblichen Robert Peel. Vor dieser Zeit bestand die Polizei in London aus den Watchmen oder Charlies, wie sie genannt wurden, meistens aus bejahrten Leuten, die dem Orden der langen Finger mehr ein Gegenstand des Gespöttes als der Furcht waren. Auch waren sie ungleichmäßig in der ungeheuern Stadt verteilt und erfüllten daher ihren Beruf, die Sicherheit der Stadt zu überwachen, so wenig, daß eine neue Organisation ein notwendiges Bedürfnis wurde.
Die jetzige Londoner Polizei besteht aus der City- und Metropolitan-Polizei. Sowohl diese wie jene ist in Divisionen geteilt. Jede Division wird durch einen Buchstaben bezeichnet, und jeder Polizeidiener trägt sowohl den Buchstaben der Division, zu der er gehört, sowie die Nummer der Ordnung, die er in dieser Division einnimmt, auf dem Rockkragen. Es ist also jeder einzelne der aus ungefähr zwölftausend Mann bestehenden Polizeimannschaft jeden Augenblick von jedermann zu kontrollieren. Man hat sich nur den gestickten Buchstaben und die Nummer auf dessen Kragen zu merken.
Es werden bloß junge, kräftige Männer, auf deren sittlichen Charakter nicht der geringste Makel ruht, als Policemen angestellt. Das geringste Versehen, dessen sich ein Policeman schuldig macht, eine Nachlässigkeit im Dienste, Trunkenheit oder eine Überschreitung seiner Befugnisse, hat augenblicklich seine Entlassung zur Folge.
Bei uns heißen die Wächter der Sicherheit, vor denen kein ehrlicher Mann sicher ist, Polizeidiener; sie sind aber in der Tat Polizeiherren, denen jeder Bürger 257 unbedingten Gehorsam schuldig ist. Das kleinste Städtchen des kleinsten deutschen Fürstentümchens, wo man das Gräschen wachsen hört, hat seine Polizeityrannen mit dem Schnurrbart unter der Nase, der Waffe an der Seite und dem Absolutismus im Gesichte. Wir wachsen mehr in der Polizeifurcht als in der Gottesfurcht auf, und wir schrecken die Kinder, indem wir ihnen mit dem entsetzlichen Worte »Polizei« drohen.
Ich weiß nicht, ob es bei uns mehr ehrliche Leute unter der Polizei oder mehr Polizei unter den ehrlichen Leuten gibt; soviel jedoch weiß ich, daß von der deutschen Polizei die Tugend mehr verfolgt als befolgt wird. Muster der Moral geben sich in Deutschland nicht zu Polizeidienern her und würden auch durchaus nicht dazu genommen werden.
Die Londoner Polizeidiener heißen Policemen; sie sind aber wahre Diener, Diener der Bürger, von denen sie besoldet werden. Die Londoner Policemen sind die dienstwilligsten, die höflichsten Leute und namentlich für den Fremden, der sich sehr häufig in der unermeßlichen Stadt nicht zurechtfinden kann, von unschätzbarem Werte. In später Nacht durchwandeln sie die Straßen ihrer Division, untersuchen, ob die Haustüren und Fensterläden fest verschlossen sind, und machen, wo dies nicht der Fall, die Hausbesitzer aufmerksam darauf.
Es war mir immer eine höchst angenehme Beruhigung, wenn ich in später Nacht durch vereinsamte Straßen nach Hause ging, einem Policeman zu begegnen, und nicht selten geschah es, daß mich ein solcher bis an meine Haustüre begleitete. Daß dieses ohne alles niedrige Interesse von seiner Seite geschah, versteht sich von selbst. Ein Policeman würde seine Stelle sogleich 258 verlieren, wenn er irgendeine Belohnung für derartige Dienstleistungen annähme. Die deutschen Polizeidiener sind nicht so menschenfreundlich, weder gegen Einheimische noch gegen Fremde. Ein deutscher Polizeidiener pflegt sein Herz menschlichen Gefühlen gar häufig nur dann zu erschließen, wenn eine Geldbörse den Mund zum Reden öffnet.
Es gibt keinen gefährlichern Posten als den eines Londoner Policeman; denn da London bei weitem reicher ist an Spitzbuben als die größten Städte Deutschlands an ehrlichen Leuten, so sind sie jeden Augenblick in Lebensgefahr. Sie fallen sehr oft als Opfer ihrer Dienstpflicht; denn die Gauner und Beutelschneider sind natürlich den »blue bottles« nicht sehr hold, und schon mancher brave Policeman hat unter den Messerstichen der Spitzbuben sein junges Leben ausgehaucht.
Wenn ein Deutscher nur einigermaßen der Londoner Polizei seine Aufmerksamkeit schenkt, so muß er die deutsche Polizeieinrichtung ebenso lächerlich als verächtlich finden. In deutschen Städten ist jeder Polizeidiener bewaffnet, und wo er nur irgendeine Gefahr, nicht für die Bürger, sondern für sich wahrnimmt, ruft er gleich die bewaffnete Macht zur Hilfe. Gendarmerie, Kavallerie und Infanterie stehen ihm augenblicklich zu Gebote, und nicht selten habe ich in unserm lieben Vaterlande wegen ein paar betrunkenen Handwerksburschen zwei Dutzend Bajonette in Bewegung gesehen.
Der Londoner Policeman hat keine Waffe. Er hat nichts als seinen Diensteifer, seine Besonnenheit und seinen männlichen Mut; denn der Truncheon, ein kurzer, mit dem britannischen Wappen versehener und 259 zum Teil mit Blei ausgefüllter hölzerner Stab, den er in der Tasche nachträgt, würde ihm höchstens nützen, wenn er einem einzelnen gegenüber steht; im Kampfe mit mehreren müßte er, und wäre er ein Herkules, immer unterliegen. Aber er hat eine Stütze an den Bürgern, die da wissen, daß von der Sicherheit der Polizei ihre eigene Sicherheit abhängt. Bei unbedeutenden Konflikten zwischen der Polizei und den Individuen, die einer polizeiwidrigen Handlung sich schuldig gemacht, bleiben die Bürger ganz neutral. Ich habe in dieser Beziehung gleich nach meiner Ankunft in London ein merkwürdiges Beispiel erlebt.
Als ich nämlich eines Tages in eine jener niederen Straßen kam, wie sie nur in London zu finden sind, sah ich einen Policeman mit einem jungen Weibe in einem Ringkampfe begriffen. Das Weib widersetzte sich, dem Policeman zu folgen, und ihre Wut und Verzweiflung gaben ihr solche Kraft, daß alle Anstrengungen des Policeman, ihrer Meister zu werden, nichts halfen. Im Kampfe, dem Policeman zu entwischen, hatte sie ihren Hut verloren, und ihr langes Haar flog ihr nun wie einer Megäre wild um Brust und Schultern; dabei schrie sie so furchtbar, daß mich ein Schauder überlief. Es dauerte nicht lange, so warf sie den Policeman zu Boden, fiel aber, da jener sie bei den wallenden Haaren gefaßt hatte, zugleich mit ihm nieder.
Man kann sich denken, daß diese merkwürdige Szene eine ungeheure Menschenmenge herbeizog; niemand aber mischte sich in den sonderbaren Zweikampf, bei dem ich nicht umhinkonnte, die Geduld, die Ruhe, ja die philosophische Sanftmut des Policeman zu bewundern. Weder sein gekränktes Beamtengefühl, noch sein Ehrgefühl als Mann, das in dem 260 Kampfe mit einem Weibe, und mit einem solchen Weibe, so sehr verletzt wurde, noch die vielen Zuschauer, die diesem Kampfe wie einem Schauspiele zusahen und durch ihre gespannte Erwartung auf den Ausgang ihn gleichsam zur Anstrengung aller seiner Kräfte reizten, vermochten seinen Gleichmut zu stören. Er sprach kein zorniges Wort; er erlaubte sich nicht die geringste Mißhandlung; und ich muß gestehen, daß ich die lebhafteste Teilnahme für den Mann empfand, der seine schwere Pflicht so treu erfüllte. Durch den Sturz auf das Pflaster waren seine Kleider sowie sein Gesicht schmutzig geworden, und ich sah, daß er an den Händen stark blutete.
Endlich waren die Kräfte des Weibes erschöpft, und sie ließ sich lautlos von dem Policeman in die nächste Wachtstube führen, während die Menge sich ruhig verlief.
Man denke sich eine solche Widersetzlichkeit gegen einen Polizeidiener in Deutschland. Wieviel Prügel, wieviel Säbelhiebe, wieviel Grobheit und wieviel Verhaftungen hätte eine solche Widersetzlichkeit zur Folge! Ja, wer weiß, ob nicht ein Belagerungszustand, dieser allgemeine deutsche nachmärzliche Zustand, daraus entstände!
In jedem Polizeistaate, in jedem Staate, wo man nur nach hoher obrigkeitlicher Vorschrift reden und handeln darf, wo das von den Bürgern bezahlte Bütteltum unumschränkt über das Bürgertum herrscht und der blinde Gehorsam als erste und letzte Pflicht betrachtet wird, da herrscht natürlich Haß und Mißtrauen gegen die Polizei, und man betrachtet sie mit Recht als Feindin, nicht als Beschützerin der öffentlichen Sicherheit. Man sieht in ihr nur die Spür- und 261 Bluthunde eines mißtrauischen und übermütigen Tyrannenregiments, dem jeder Freiheitshauch ein Pesthauch und ein Sträuben gegen das unerträgliche Joch eine gottlose Empörung dünkt. In einem solchen Staate wird jede Bürgertugend vergiftet. Angeberei, Bestechlichkeit und blinde Verfolgung zerstören dort die besten Keime, die edelsten Kräfte, die schönsten Talente. Männer werden zu Sklaven erniedrigt, und Schurkerei herrscht, während die Redlichkeit im finstern Kerker schmachtet. In solchen Staaten werden Gauner zu Ministern gewählt, und ehrlos sein gibt dort ein Recht zu den ersten Ehrenämtern.
Nichts ist widerlicher, nichts ist empörender als ein Polizeistaat; man wird so recht mit unüberwindlichem Ekel dagegen erfüllt, wenn man einige Zeit in England lebt, wo das Hauptstreben der Regierung ist, sowenig wie möglich zu regieren; wo die Polizei nicht herrscht, sondern dient, und wo der Kreis ihrer Wirksamkeit mit einer wahrhaft ängstlichen Genauigkeit umschrieben ist.
Ein Londoner Policeman hat achtzehn Schillinge, also kaum elf Gulden, die Woche; gewiß kein großes Gehalt, wenn man bedenkt, wie teuer selbst die allernotwendigsten Bedürfnisse in London sind, welch sauerer Dienst ihm obliegt und welchen Gefahren und Mißhandlungen er jeden Augenblick ausgesetzt ist.
So kam vor kurzem ein Policeman mit zerrissenem Gesichte und Halse in eine Apotheke und forderte eine Salbe zum Einreiben. Kaum war er aber einige Minuten mit der Pflege seiner blutigen Wunden beschäftigt, die er sich in einem Kampfe mit einem wütenden Taugenichts geholt, als ein Mann hastig in die Apotheke stürzte und ihn aufforderte, ihm schnell in 262 ein benachbartes Gäßchen zu folgen, wo ein heftiger Streit ausgebrochen. Der Policeman folgte auf der Stelle, ohne erst sein Halstuch umzubinden und seine Kleidung in Ordnung zu bringen. So sehr sind diese Leute von der Wichtigkeit, ja ich möchte sagen, von der Heiligkeit ihres Berufes erfüllt.
Es gibt in London auch eine geheime Polizei; sie befaßt sich aber durchaus nicht mit politischen Dingen. Sie schleicht sich nicht in Gast- und Kaffeehäuser oder gar in Privatkreise, um unter der Maske der Freundschaft die Leute auszuhorchen und sie dann als Hochverräter zu denunzieren. Die geheime Polizei oder detective police in London dient nur dazu, das Verbrechen aus den geheimsten Schlupfwinkeln ans Tageslicht zu ziehen. Es sind gescheite, höchst gewandte Leute, die den Spitzbuben das Handwerk sehr erschweren. Ihr Dasein ist jedem bekannt und jedem, der nicht selbst zum Orden irgendeiner unsaubern Industrie gehört, sehr angenehm.
Als ich am Tage der Prorogation des Parlamentes im James Park mit vielen Tausenden auf die Ankunft der Königin und ihres glänzenden Gefolges harrte, sagte mir ein Policeman, der mich freundlich über tausend Dinge belehrte, daß außer der Polizei in Uniform eine große Anzahl Polizeiagenten in Zivilkleidung zugegen sei. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, wie wenig die englische Polizei sich um die politische Meinung der Bürger kümmert. Man hatte Spaliere gebildet und, um die Reihen in Ordnung zu halten, stand in einer Entfernung von je zehn Schritten ein Policeman. Ich befand mich an der Seite eines solchen und in der Nähe einer etwas demokratisch gefärbten Gruppe, die jede glänzende Karosse im königlichen Gefolge mit 263 satirischen Bemerkungen begleitete. Der Policeman, statt ihnen die Reden zu verweisen, stimmte ihnen ganz bei und lachte über die witzigen Glossen, die von vielen Seiten gemacht wurden. Diese Glossen waren der Art, daß sie, in Deutschland in der Nähe eines Polizeibeamten geäußert, wenigstens ein Jahr Gefängnisstrafe nach sich gezogen haben würden.
Ich weiß nicht, was der königlich-preußische Polizeidirektor Dunker über die englische Polizeieinrichtung denkt. Er hat indessen Gelegenheit genug gehabt, sie kennenzulernen, als die Berliner Märzrevolution ihn veranlaßte, einen Ausflug von den Ufern der Spree an die Ufer der Themse zu machen. Er hat damals mehrere Monate in London geweilt, wo er sich als ein von der deutschen Demokratie unbegriffener Demokrat ausgab. Wie gesagt, ich weiß nicht, was der Herr Polizeidirektor Dunker von der englischen Polizei denkt; ich weiß nur so viel, daß fast jeder Engländer täglich solche Dinge und Äußerungen sich erlaubt, die in unserm Vaterlande den fürchterlichsten Ingrimm der Polizeiallmacht erregen würden; und ebensosehr bin ich überzeugt, daß unter dem Regimente eines Dunker oder eines ähnlichen Sbirrenhäuptlings niemand so sicher lebt als der wahre Schelm.
Seit die deutsche Reaktion sich den Rest der Schminke von dem Antlitz gewischt und sich nicht mehr schämt, in ihrer ganzen Scheußlichkeit zu zeigen, ist in Deutschland nichts sosehr gefährlich, als ein ehrlicher Mann zu sein. Am Ende kommt es noch so weit, daß in Deutschland ein wahrer Biedermann – ich meine hier nicht den Leipziger Professor – seinesgleichen nicht eher finden wird, bis er von der Polizei ins Zuchthaus gesperrt wird. 264