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Alle diese Häuser sind jeden Abend überfüllt; denn das französische Volk liebt das Theater mit Leidenschaft. Nach den sauern Mühen des Tages ist es ihm die schönste Erholung. Hier sucht der Ouvrier körperliche Ruhe und geistige Beschäftigung und findet beides. Der Franzose kennt kein Wein- oder Bierhausleben. Mäßig wie er ist, wäre es ihm unmöglich, einen 102 ganzen Abend am Kneipentische zuzubringen wie der Deutsche. Auch bedarf seine Phantasie einer steten Aufregung. Wie er im Leben das Theatralische liebt, so sieht er auch gern im Theater das Leben abgespiegelt. In jedem Franzosen steckt ein Schauspieler, und die Bretter, die die Welt bedeuten, sind für ihn eine Welt, von deren Zauber er sich gern bannen, von deren Illusionen er sich gern fesseln läßt. Diese Leidenschaft fürs Theater ist in beiden Geschlechtern, ist in dem Knaben wie in dem Greisen gleich lebhaft. Ich habe sehr häufig Frauen mit einem Säugling an der Brust in den Theatern des Boulevard du Temple sitzen sehen, ohne daß es irgend jemand aufgefallen wäre. Das letzte Fünfsousstück geben sie für einen Platz im Theater hin und vergessen den Hunger, wenn sie auf der Galeriebank sitzen. Nirgends kann man das Pariser Volk so gründlich kennenlernen wie in diesen Theatern, wo man an dem, was sie anzieht und abstößt, was ihnen gefällt und widerstrebt, ihre Ansichten und Meinungen, ihre Neigungen und Vorurteile am besten erfährt.
Es ist unglaublich, wie kindlich das Pariser Volk ist, dieses Volk, das in einem Zeitraum von sechs Lustren mehr Taten verrichtet hat als manche andere Völker in sechs Jahrhunderten. Ein Intrigant auf der Bühne setzt sie fast ebensosehr in Wut wie ein Intrigant, der ihnen im wirklichen Leben begegnet, so wie jede Großtat auf den Brettern sie zur Bewunderung hinreißt. Es zeugt dies von einer unverdorbenen Natur, von einer kindlichen Frische, die man in dem blasierten Paris am allerwenigsten erwartet. Freilich ist das Volk überall gut, überall zum Guten geneigt; aber daß das Pariser Volk sich in dieser Stadt, wo seit Jahrhunderten jedes Laster soviel Vorschub findet, sich so kerngesund 103 erhalten, das beweist hinlänglich, wie unverwüstlich seine sittliche Gesundheit ist.
Zwei Seiten des Pariser Volkes sind es besonders, die in den Volkstheatern am meisten auffallen: die Liebe für den Witz und für die Bravour.
Jeder Franzose, wenn er auch selbst nicht witzig ist, hat doch Sinn für den Witz. Er kann dieses Salz des Geistes ebensowenig entbehren wie das Salz, das seine Nahrung würzt. Es ist kaum ein Witz so fein, daß er ihm entginge; ja, wo der Dichter eine passende Stelle für den Witz unbesetzt gelassen, findet sich gewöhnlich einer oder der andere aus dem Volke mit dem seinigen ein. Sie ergänzen gern den Poeten, und ich habe am meisten ihren Reichtum an guten Einfällen bewundern müssen, wo der dramatische Autor eine auffallende Armut daran gezeigt hat.
Ebensosehr wie den Witz lieben sie die Bravour, den Mut, der vor keiner Gefahr zurückschreckt, und es vergeht wohl selten ein Abend, wo nicht wenigstens eines von den in diesen Theatern dargestellten Stücken sich um eine Großtat dreht. Daß die größten Helden in diesen Stücken fast immer Franzosen sind, versteht sich von selbst. Der Franzose hält sein Volk für das tapferste, für das ritterlichste. Er spricht zwar andern Nationen den Mut nicht ab; aber den Mut par excellence, den welthistorischen Mut, den Mut, der Bastillen erstürmt und die Kanonen auf den St. Bernhard trägt, hält er für eine ausschließlich französische Tugend.
Der Franzose liebt aber, wie gesagt, das Theatralische, das Pompöse, die Draperie. Er ist nicht gern im Stillen, nicht gern im Verborgenen tapfer; er will vielmehr, daß man seine Heldentaten sehe, daß man sie bewundere, daß man von ihnen spreche, mit einem 104 Wort er will Effekt damit machen. Die französische Bravour ist daher selten ohne theatralischen Apparat; auf den Theatern ist aber dieser Apparat doppelt groß. Ich spreche hier nicht von dem Cirque, wo man die Schlachten von Marengo und Austerlitz aufführt und mehrere Dutzend Pferde auf die Szene kommen, wo ganze Bataillone Feuer geben und Kanonendonner das Kommando der Marschälle übertäubt, ich spreche hier von den kleineren und kleinsten Theatern, von den Theatern à quatre sous. In jedem dieser Theater wird fast jeden Abend geschossen; denn der Franzose muß Pulver riechen, sonst ist seine Freude nur eine halbe Freude. Büchsenknall ist ihm die schönste Musik; er kann sich nie satt daran hören. Vom kleinsten Knaben bis zum ältesten Graukopf gerät jeder in Ekstase, sobald auf den Brettern ein Schuß fällt. Aber nicht nur den Männern, auch den Frauen scheint das Kleingewehrfeuer ein erquicklicher Ohrenschmaus, und ich habe sie unzählige Male mit verklärten Gesichtern applaudieren sehen, wenn es aus einem halben hundert Feuerröhren gekracht hat. Es sind mir bei dergleichen Gelegenheiten immer unsere deutschen Frauen eingefallen, die bei der Aufführung des »Freischütz« so häufig zusammenschrecken und nicht selten vor der Darstellung eines neuen Stückes fragen, ob in demselben nicht geschossen wird. Ich will damit den deutschen Frauen durchaus keinen Vorwurf machen; ich will nur sagen, daß die Französinnen stärkere Nerven haben.
Nirgendwo kann man sich von dem militärischen Geiste der Franzosen so sehr überzeugen wie in diesen Theatern, die der unmittelbarste Ausdruck des Volkscharakters sind; nirgendwo wie hier kann man begreifen lernen, wie dieses Volk berufen ist, als 105 Vorposten zu stehen im Kampfe, den die europäischen Völker gegen die Tyrannei zu führen begonnen. Jeder Gamin ist von dem Holze, aus dem man Helden schnitzt. Augereau war nicht der erste Gamin, der später den Feldmarschallstab geschwungen, und er wird auch ganz gewiß nicht der letzte sein. Die Vorstadt St-Marceau ist immer noch sehr reich an Knaben, vor denen vielleicht noch manche Krone zittern wird. Man sollte dies in Petersburg wissen und in den deutschen Residenzschlössern, die ihre Befehle von den Ufern der Newa empfangen.
Man kann sich leicht denken, daß diese Theater keinen sonderlichen Reichtum an bedeutenden künstlerischen Kräften besitzen; doch würde man sehr irren, wenn man glaubte, daß hier schlecht oder schlotterig gespielt würde. Das Ensemble ist auch im Théâtre Lazary, dem kleinsten und ärmlichsten aller Pariser Theater, in seiner Weise gut. Es spielt hier keiner, wie das so häufig selbst in den ersten deutschen Theatern geschieht, auf eigene Faust, und besonders erfüllt hier jedes Mitglied die erste und notwendigste Pflicht, die Pflicht, seine Rolle auswendig zu wissen. Der Souffleurkasten, der in deutschen Theatern so oft die Hauptrolle spielt, dieser hölzerne Freund, der von unsern Komödianten jeden Augenblick zudringlich um ein Almosen angebettelt wird, hat hier fast gar keine Bedeutung, und ich habe nicht ein einziges Mal bemerkt, daß ein Schauspieler auf diese unterirdische Stimme hingehorcht hätte. Freilich sind die Stücke, die hier gegeben werden, gewöhnlich von so geringem Umfange, daß dem Gedächtnis dabei nicht allzuviel zugemutet wird; auch wird in Paris jede nur einigermaßen leidliche dramatische Produktion so häufig dargestellt, daß sie dem 106 Schauspieler geläufig werden muß; dennoch aber kann die Gewissenhaftigkeit des Memorierens, die Achtung vor der Kunst, dem Autor und dem Publikum in bezug auf genaues Einstudieren der Rollen nicht genug hervorgehoben werden. Das Pariser Publikum, so mild und human es auch sonst ist, würde auch gewiß den Schauspieler, der aus Nachlässigkeit steckenbliebe, den entschiedensten Unwillen fühlen lassen.
Die kleineren Boulevard-Theater erfüllen außer ihrem Hauptzweck, dem Volke einen wohlfeilen und schönen Genuß zu gewähren, auch noch einen andern, nicht minder wichtigen Zweck; sie dienen nämlich angehenden Schauspielern und dramatischen Dichtern als Elementarschule. Wie mancher dramatische Genius hat auf den Brettern dieser Volkstheater den ersten Flügelschlag versucht! Frédéric Lemaître und Rachel Félix haben hier die Größe ihres Genies zuerst entfaltet, und die Zahl der dramatischen Dichter, die die Erstlinge ihrer Muse auf solchen Theatern zur Aufführung brachten, ist wahrlich nicht gering. Auf diesen kleinen und anspruchslosen Szenen ist das Gelingen leichter und das Scheitern gefahrloser; und während hier der Erfolg zu neuem Streben mehr als irgendwo auffordert, ist hier der Sturz minder gefährlich. Der angehende Ruhm bricht auf diesen groben Brettern nicht so leicht das Genick wie auf dem Théâtre-Français oder sonst einer großen Szene. Das junge Talent, wenn es hier fällt, trägt kaum eine leichte Kontusion davon. Es wischt sich den Staub vom Kleide und fördert wieder seine Schritte, bis ihm ein guter Erfolg seine Ausdauer lohnt oder ein unablässiges Straucheln ihm endlich zeigt, daß er einen andern Weg einschlagen müsse als denjenigen, der zur dramatischen Unsterblichkeit führt.
107 Diese kleineren Theater haben indessen auch sehr glänzende Kräfte. Madame Alphonsine in den Délassements Comiques und Madame Leontine in den Folies Dramatiques sind so reichbegabte Künstlerinnen, wie sie das Théâtre des Vaudevilles kaum viel besser aufzuweisen hat. Sie wollen aber diese Theater, wo sie als erste Sterne glänzen, nicht verlassen, obgleich ihr Glanz nicht sonderlich bezahlt wird. Sie denken, wie einst Julius Cäsar gedacht, besser in einem kleinen Theater die Erste als in einem großen die Zweite.
Eine Eigentümlichkeit mancher dieser kleinen Theater ist es auch, daß das Personal derselben nur zum Teil aus Schauspielern zusammengesetzt ist. Ein Hauptbestandteil mancher Truppe machen die Ouvriers aus, die während des Tages in ihren Werkstätten rüstig schaffen und abends ihr Schurzfell ablegen, um am Thespiskarren schieben zu helfen. Das Théâtre Lazary besteht sogar größtenteils aus solchen Ouvriers. Sie spielen aber nicht nur, sie stellen auch den technischen Apparat her. Da sie den verschiedensten Handwerken angehören, so malen sie die Kulissen, erfinden neue Maschinen und bessern die alten wieder aus. Das weibliche Personal an diesem Theater gehört dem Grisettenstande an. Es sind Näherinnen, Wascherinnen, Büglerinnen und dergleichen. Der Wechsel der Beschäftigung ist ihre Erholung. Ihre Ruhe besteht bloß in einer angenehmern Arbeit. Es sind freilich wenig Garricks und Rachels unter ihnen; aber sie spielen nicht schlecht, zuweilen sogar sehr wacker. Ein Beweis, wieviel Schauspielertalent in den Franzosen steckt.
Das eigentümlichste und beliebteste dieser kleinen Volkstheater ist das Théâtre des Funambules. Hier werden jeden Abend mehrere Pantomimen gegeben, in 108 denen der Pierrot immer die Hauptrolle spielt. Das Théâtre des Funambules hat diesen Pantomimen das zahlreiche Publikum zu verdanken, das allabendlich hier gepreßt wie die Heringe sitzt, um sich an der poetischen stummen Sprache der Pierrots zu ergötzen, und ich gestehe ohne Erröten, daß ich manche Stunde des heitersten Genusses dort zugebracht. Freilich hat dieses Theater seine Hauptzierde, seinen hellstrahlenden Glanz verloren, seit der arme Jean-Baptiste Debureau mit Tode abgegangen. Der arme Debureau! Er starb in der vollsten Kraft seiner Jahre, er, der sich einer Popularität erfreute wie fast kein anderer Künstler, er, über dessen Wirken der Allerweltschwätzer Jules Janin ein Buch in zwei Bänden geschrieben. Debureau war nicht nur der größte Pierrot Frankreichs, er war der gefeierteste Pierrot der Welt. Gelehrte und Künstler, die einen europäischen Namen hatten, schämten sich nicht, ganze Abende im Théâtre des Funambules zuzubringen und Debureau zu sehen, das heißt, ihn zu bewundern. Debureaus Fach gehörte freilich nicht zu den großen Kunstfächern; er mußte aber doch der Größte in seinem Fache gewesen sein; denn es spricht keiner von denen, die ihn gesehen, seinen Namen ohne Enthusiasmus aus. Ja, bei den Bewohnern der Faubourgs ist er fast ein Mythus geworden. Wenn sie seiner erwähnen, verklärt sich ihr Gesicht, und sie rechnen es sich gewissermaßen als einen Ruhm an, ihn gekannt zu haben.
Der arme Debureau! Er hat seine Popularität sehr teuer bezahlen müssen. An seinem Lorbeerkranze klebt das Blut eines Erschlagenen. Als er eines Tages mit seinem Weib und seinen Kindern in Batignolles spazierengeht, geraten zwei junge Leute, zwei seiner 109 größten, seiner innigsten Verehrer, seinetwegen in einen Wortwechsel. Der eine behauptet, der hagere Mann, der hier so anspruchslos, so bescheiden mit seiner Familie lustwandle, sei kein anderer als der große, allverehrte, allbewunderte Jean-Baptiste Debureau, worauf der andere, getäuscht von der kleinen Szene des Funambules-Theaters, auf welcher jeder Akteur viel größer erscheint als er ist, heftig widerspricht. Nun gehen sie eine Wette ein und folgen dem harmlosen Manne, der an der Seite seines Weibes und seiner Kinder froh ist, einen Augenblick wenigstens seines Berufes zu vergessen. Einer von den Wettenden nennt laut seinen Namen. Debureau hört es, wendet sich aber nicht um; hätte er es getan, so wäre die Wette entschieden gewesen. Sein Unstern aber verleitete ihn, seine Schritte zu beflügeln. Der Wettende ruft lauter. Keine Antwort! Dadurch ärgerlich gemacht, eilt er ihm nach und ruft ihm, indem er auf ihn loseilt, ein beleidigendes Wort zu. Da wendet sich Debureau, der endlich die Geduld verloren, plötzlich um und verweist ihm seine Unart, und als der Unbekannte Miene macht, handgreiflich zu werden, entreißt der berühmte Pierrot, der einer der geschicktesten Boxer und Fechtkünstler war, seinem Sohne den Stock und versetzt dem Beleidigenden einen Streich, der ihn sogleich tot zu Boden streckt. So wurde der arme Debureau, einer der gutmütigsten, leutseligsten Menschen, zum Mörder an einem Manne, der ihn verehrt, der ihn bewundert hatte. Sonderbares Schicksal! Wäre Debureau minder populär, wäre er als Stockfechter weniger geschickt gewesen, er hätte nicht unschuldig das Blut eines Unschuldigen vergossen. So mußte sein Gewissen sein Talent verfluchen, das ihm das Kainsmal auf die Stirne gedrückt.
110 Seit jener unglückseligen Katastrophe in Batignolles wurde der schon von Natur melancholische Debureau immer trübsinniger, immer schwermütiger, nicht auf Kosten seines Talentes, sondern seiner Gesundheit. Der Schatten des Erschlagenen verfolgte ihn unablässig; das merkte aber das Publikum nicht, sondern sein Familienkreis, dem er vor einigen Jahren auf immer entrissen wurde.
Gewiß mußte Debureau ein in seiner Art ausgezeichneter Künstler gewesen sein, wenn man bedenkt, wie wenig Mittel einem Pierrot im Vergleich mit einem Schauspieler zu Gebote stehen. Der Pierrot entbehrt nicht nur der Sprache, jenes gewaltigsten, ergreifendsten Mittels, sondern gewissermaßen auch der Physiognomie. Das Gesicht des Pierrot ist durch die weiße Schminke tot. Wie seine Zunge ist auch sein Gesicht stumm. Er kann also nur mit den Augen und durch die Lebhaftigkeit seiner Glieder sprechen. Dennoch wußte Debureau das Publikum nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Weinen zu bringen. Als er einst nach einer längern Krankheit zum ersten Male wieder auftrat und mit jubelndem Applaus empfangen wurde, dankte er durch eine einfache Bewegung der Hand zum Herzen, und diese Bewegung, von einem seelenvollen Blick begleitet, war so rührend, daß alle Zuschauer aufs tiefste ergriffen wurden.
Debureau hat das Théâtre des Funambules populär gemacht. Jetzt hat sich die Liebe des Publikums von dem Vater auf den Sohn fortgeerbt. Charles Debureau ist das Herzenskind seines Publikums. Obgleich nicht so genial wie sein Vater, ist er doch der erste Pierrot in Paris. Der alte Debureau hat ihm von dieser Laufbahn abgeraten und ihn zu einem Porzellanmaler in die Lehre 111 gegeben; aber den jungen Mann ließen die Lorbeern seines Vaters nicht schlafen. Er entsagte daher bald der Porzellanmalerei und erfreut sich nun jeden Abend des stürmischsten Beifalls. Sooft er auftritt, werden ihm Orangen zugeworfen. Das Publikum in diesen Theatern ist nicht so reich wie das des Théâtre-Français oder der Großen Oper. Es kann seine Künstler nicht mit teueren Blumenbuketts lohnen; aber es ist dankbarer als die Hautevolee, die in ihrem Beifalle gewöhnlich nur der Mode frönt, aber nicht der Stimme des Herzens folgt; seine Dankbarkeit ist aufrichtiger, aufopferungsfähiger. Der arme Ouvrier gibt die letzten zwei Sous her für eine Orange, um sie seinem Liebling Debureau zuzuwerfen, der ihn am Abend die saueren Arbeiten des Tages vergessen läßt.
Das Théâtre des Funambules hat noch eine Eigentümlichkeit, die man gewiß an keiner andern Bühne mehr findet. Die beste Schauspielerin an diesem Theater ist nämlich eine Zwergin.
Madame Carolina, so heißt dieses Duodezgeschöpf, ist aber nicht nur die beste Schauspielerin am Théâtre des Funambules, sondern sie ist überhaupt eine vortreffliche Schauspielerin. Sie spielt in dem Genre der Madame Dejazet, und nicht dem Mangel an Talent ist es zuzuschreiben, daß sie keine Dejazet geworden, sondern dem Mangel an zwei Fuß rheinisch Maß. Sie ist sozusagen eine Taschenausgabe der Madame Dejazet. Der kleine Rahmen der Funambulesszene paßt für ihren Miniaturkörper; auf einer größern Bühne würde sie sich verlieren.
Madame Carolina ist eine Russin. Unter der Regierung Louis-Philippes kam sie als Leibeigene nach Paris, und der Bürgerkönig erkaufte ihre Freiheit, ob 112 durch Geld oder gute Worte, weiß ich nicht. Sie spielt häufig in eigens für sie gemachten Stücken. In Gamins- und Polissonsrollen ist sie ganz vortrefflich. Madame Carolina ist verheiratet und hat die Freude, Mutter mehrerer Kinder zu sein, die ihr alle über den Kopf wachsen, sobald sie zu wachsen anfangen.
Außer den bereits erwähnten Theatern gibt es noch ein Théâtre Comte, ein Théâtre Luxembourg, ein Théâtre de Belleville und ein Théâtre des Batignolles. Sie werden sämtlich stark besucht, da, wie bereits gesagt, der Franzose kein größeres Vergnügen kennt als das Schauspiel. Das Theater ist ihm sogar ein Bedürfnis, und vollkommen wahr ist also folgendes Epigramm eines französischen Vaudeville-Dichters:
Il ne fallait au fier Romain
Que des spectacles et du pain;
Mais au Français plus que Romain
Le spectacle suffit sans pain.