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Frau Strauß wohnt in Auteuil. Sie kann sich nicht mehr entschließen, nach Paris zurückzukehren, wo ihr der Tod den unsterblichen Freund Ludwig Börne entrissen. Seit er in der Rue Laffitte die große Seele ausgehaucht, lebt sie in dem stillen, ländlichen Auteuil dem Schmerze um den Verlust ihres großen Freundes.
Börne hat die Frau Strauß 1817 kennengelernt, also zu einer Zeit, wo sein schriftstellerischer Genius kaum den ersten Flügelschlag versucht hatte und wo sein Name, selbst in seiner Vaterstadt Frankfurt, nur wenigen bekannt war. Dieses freundschaftliche Verhältnis 31 wurde seit jener Zeit immer fester, immer inniger. Börne hat nichts geschrieben, ohne es zuvor seiner Freundin zu zeigen, ohne es zuvor ihrer Prüfung zu unterwerfen. Ihr Urteil hatte für ihn fast eine gesetzgebende Geltung. Seine »Briefe aus Paris« sind an sie gerichtet, und er hätte diese Briefe nicht geschrieben, wenn er sie nicht an seine Freundin hätte richten können. Sie war es, die ihn am frühesten erkannte, die durch jenen feinen weiblichen Instinkt in ihm den großen Menschen und den großen Schriftsteller ahnte. Sie munterte ihn zu stets erneuten Arbeiten auf, und unter ihren Augen schmiedete und schärfte er die ersten Waffen, mit denen er gegen die Feinde der Freiheit zu Felde zog.
Als er später, aus seinem Vaterlande verbannt, in Paris zu kränkeln anfing, zog seine Freundin mit ihrem Gatten zu ihm, und beide wetteiferten in der Sorgfalt seiner Pflege, in dem unermüdlichen Streben, ihm sein Dasein angenehm zu machen.
Man darf sich in der Frau Strauß keines jener weiblichen Wesen vorstellen, wie sie in unsern ästhetischen Zirkeln die Unterhaltung laut und vorlaut beherrschen. Frau Strauß hat keinen wetterleuchtenden Geist. Sie sprüht keine Witzfunken und läßt auch keine bunte prasselnde Gedankenraketen aufsteigen. Frau Strauß ist kein Blaustrumpf. Aber sie ist ein rezeptives Talent, und das Interesse, das sie an allem nimmt, was sich auf die großen Zeitfragen bezieht, die Art und Weise, wie sie die politischen Dinge ansieht, und die genaue Kenntnis, die sie von den politischen Persönlichkeiten hat, verraten sogleich die Freundin Börnes.
Ihre Wohnung ist ein wahrer Reliquienschrein. Wohin man in dieser Wohnung blickt, sieht man Börnes 32 Bild. Hier sein wohlgetroffenes Porträt von Oppenheim, jenes bekannte, so oft gestochene und lithographierte Porträt mit den feinen, geistreich lächelnden Zügen, gegenüber sein Bronzemedaillon von David mit dem scharfgeschnittenen Profil und dort auf einem Piedestal die nach diesem Basrelief von demselben Meister gearbeitete große Büste in kararischem Marmor.
Frau Strauß spricht fast nichts, ohne von Börne oder in Beziehung auf ihn zu sprechen. Überall weiß sie in die Fäden des Gesprächs ein Urteil, eine Meinung, eine Ansicht von ihm oder über ihn einzuweben. Sie verehrt ihn wie einen Heiligen; denn sie, die ihn so genau gekannt, hat während seiner zwanzigjährigen Wirksamkeit als Schriftsteller nur Großes, nur Edles an ihm kennengelernt. Tausend Züge weiß sie von ihm zu erzählen, von denen jeder seinen feinen Geist, sein sanftes Herz und seine unbegrenzte Liebe für das Wohl der Menschheit verrät.
Börne hat mit wahrhaft großen Männern das gemein, daß er in den Augen der Nachwelt immer mehr hervorwächst, daß er an Größe zunimmt, je größer die Zeit wird. Börnes Gesinnung lag in seiner ihm angeborenen heißen Liebe zur Freiheit, in seinem ihm angeborenen Haß gegen jede Tyrannei. Börne mußte so schreiben, wie er schrieb, weil er für eine Herzenssache schrieb. Sein Geist lag in seiner Empfindung, und er hätte geistlos geschrieben, wenn er der Sache, die er so ruhmreich verfochten, untreu geworden wäre.
Er sagt einmal, daß er mit dem Blute seines Herzens und mit dem Safte seiner Nerven schreibe; das ist so vollkommen wahr, daß er mit jedem Buche, das er schrieb, eine beträchtliche Strecke dem Grabe zu 33 eilte. Börne schrieb sich dem Tod in die Arme. Ihm war der Kampf, den er kämpfte, so heilig, daß er unwillig ward, wenn man vor Bewunderung über den Kämpfer den Kampf vergaß. Man erwarb sich nichts weniger als seine Zufriedenheit, wenn man die Form, den Geist, den Witz in irgendeiner seiner Schriften lobte. Er wollte nie den Glanz, nie die kunstvolle Arbeit an seinen Waffen rühmen hören; er wollte nur wissen, ob er mit diesen Waffen der gerechten Sache einen Sieg, den Feinden der Freiheit eine Niederlage bereitet. Wenn er seinem Geiste die Rüstung anzog, so wollte er in den Krieg, aber nicht auf den Paradeplatz gehen. Es war ihm nicht ums Exerzieren, es war ihm um den Kampf zu tun; daher verachtete er die müßig gaffenden Zuschauer, und nur an denen war ihm gelegen, die mit ihm oder gegen ihn, die für oder wider die Sache der Freiheit kämpften. Börne war eben kein Belletrist. Er führte dem Publikum keine Phrasen in Galauniform vor, sondern kühne Gedanken, an deren Spitze, wenn auch nicht die immer siegreiche, doch die immer furchtlose Wahrheit stand. Börne war kein Belletrist; Börne war Missionär. Diese Mission zu erfüllen war sein einziges, sein ausschließliches Streben. Daher seine Einseitigkeit. Die Liebe zur Freiheit füllte ihn so ganz aus, daß er stets von ihr sprach, er mochte sprechen, von was er wollte. Es ging ihm hierin wie allen Liebenden, die in jedem Gespräche unwillkürlich auf den Gegenstand ihres Herzens zurückkommen. Aber man muß selbst lieben, um dies zu begreifen; man muß selbst ein Herz haben, wenn man die Sprache des Herzens verstehen soll. Börne galt daher allen denjenigen für einen Fanatiker, die jede Begeisterung für einen Wahn halten, allen denjenigen, die von jeher für 34 die Apostel einer großen Idee nur ein mitleidiges Achselzucken oder einen Scheiterhaufen bereit hatten.
Es ist seit den Märztagen oft gefragt worden, welche Stellung Börne inmitten dieser gewaltigen Bewegung eingenommen hätte. Diese Fragen kann aber niemand stellen, der nur halbwegs Börnes publizistische Richtung verfolgt, der nur einigermaßen Börnes Geist erfaßt hat. Börne hätte mit den Fürsten niemals einen Pakt geschlossen. Er hätte in dem letzten Fürsten immer noch den letzten Feind der Freiheit gesehen, und nur auf den Trümmern des letzten Thrones würde er den Bau des Freiheitstempels befestigt geglaubt haben.
Börne wäre von den äußersten Konsequenzen der Revolution nicht zurückgeschreckt; denn obgleich weichen Herzens, war doch sein Charakter eisern; und niemals hätte er sich, wie so viele falschgefärbte vormärzliche Liberale, von der Demokratie abgewendet aus blöder oder erheuchelter Furcht vor den Übergriffen der Demokraten. Wahrheitsliebend, wie er war, hätte er seiner eigenen Partei die Fehler, die Irrtümer, die Dummheiten schonungslos vorgeworfen; aber er hätte sie nicht verlassen, sondern sich ihr desto fester angeschlossen, um ihr warnend, ratend, aufmunternd beizustehen. Börne hätte niemals die Personen mit der Sache verwechselt und aus Abscheu vor den falschen Aposteln nie dem Evangelium der Freiheit entsagt. Wußte er doch recht gut, daß nicht alle, die man auf dem Wege zur Wahrheit sieht, diesen Weg gern betreten haben oder gern zurücklegen wollen, daß so mancher, im Gewühl jeder Revolution auf diesen Weg unwillkürlich gedrängt, ihn sobald als möglich wieder zu verlassen trachtet.
Börne hatte jenen unüberwindlichen Mut, der allen 35 Männern eigen, deren ganzes Dasein von einer hohen Idee getragen wird. Er fürchtete nichts so sehr als die Furcht, weil er wußte, daß sie die Mutter der Heuchelei ist. Er hatte aber auch einen bewundernswürdigen Instinkt, der ihn selten irreführte. Er konnte die Wölfe im Schafpelze von den Schafen im Wolfspelze sogleich unterscheiden, und niemand wie er war so leicht imstande, an der unscheinbarsten Fährte die politischen Bestien so trefflich zu wittern. Wie manchem hat er die schöne Maske vom Gesicht gezogen und ihn in der ganzen Häßlichkeit warnend seinem Volke gezeigt! Früher als alle anderen hätte er gesehen, daß das deutsche Volk, das sich im Anfange des März so zornig gegen seine gekrönten Kerkermeister erhoben, schon am Ende desselben Monats schändlich hintergangen worden von denen, welchen es sein volles Vertrauen geschenkt. Er hätte seine Stimme, jene keusche, unbestechliche Stimme, laut erhoben und dem deutschen Volke den schlauen Betrug und die schamlosen Betrüger gezeigt, noch bevor es ein Opfer derselben geworden.
Niemand war von so heißer Vaterlandsliebe beseelt wie Börne; niemand empfand daher die Verbannung von demselben so bitter wie er. Er hat niemals mit teutonischen Gefühlen geprunkt; aber er hatte ein deutsches Herz, obgleich er keinen deutschen Rock trug. Ja, Börne liebte sein Vaterland mehr als alle anderen, die es in mittelmäßigen Reimen angesungen, daher sein Zorn über die Fesseln, die es trug, daher seine Scham, daß es dieser Fesseln sich nicht entledigte. Kein Deutscher vor ihm hat den Franzosen soviel von der Herrlichkeit Deutschlands erzählt wie Börne. Er hat französisch schreiben gelernt, um vor den 36 Franzosen in ihrer eigenen Sprache den deutschen Geist zu rühmen und sie zurechtzuweisen, wenn sie zu gering von Deutschland sprachen. Es ist wahrhaft rührend zu sehen, wie derselbe Börne, der so schonungslos den Deutschen ihre Gebrechen vorwarf, diese Gebrechen den Franzosen gegenüber ängstlich zu verhüllen suchte. Er betrachtete die deutschen Zustände gleichsam wie eine Familienangelegenheit und wollte nicht, daß die Franzosen erführen, wie betrübt es in dem Hause der Germania aussieht. Ja Börne, den Goethes Genius so heftig abstieß, hätte um keinen Preis der Welt dies den Franzosen gesagt, damit diese von Deutschlands größtem Dichter nicht dieselbe Meinung bekämen, die er von ihm hatte.
Börne hat in der Verbannung, die ihm sein Leben gekostet, an nichts anders gedacht als an die Befreiung Deutschlands, jenes Deutschlands, das so groß sein könnte, wenn es frei sein wollte. Ein Gedanke aber beschäftigte ihn fast ausschließlich in den letzten Jahren seines Lebens: die innige Verschwisterung der französischen und deutschen Nation. Beide hielt er berufen, die Freiheit und höhere Kultur zu schützen gegen den Despotismus, der von Rußland aus immer mehr Propaganda macht unter den europäischen Gewalthabern. Er hielt kein freies Frankreich ohne ein freies Deutschland, kein freies Deutschland ohne ein freies Frankreich möglich. Beide Nationen sollten sich aufs innigste verbinden und gegenseitig ergänzen; denn er war überzeugt, daß in dieser Umarmung die gleißnerische, freiheitvergiftende Schlange der Kabinettspolitik auf immer erdrückt würde.
Diesen Gedanken hat uns Börne als Vermächtnis hinterlassen. An uns liegt es aber, mit allen Kräften zu 37 streben, daß dieses Vermächtnis vollzogen werde. Schon die schlecht verhehlte Furcht der Fürsten und ihres Anhanges vor einer solchen Verbindung sollte uns zeigen, wie fruchtbar sie für die Zukunft beider wäre. Die Fürsten, die von jeher Heilige Allianzen gegen die Freiheit geschlossen, fürchten nichts so sehr als die Völkerallianzen. Die Franzosenfresserei in Deutschland hat uns den Krallen der russischen Politik überliefert; aber der Zarenthron in Petersburg wird erzittern, sobald das französische und das deutsche Volk in die Hand der Freiheit den Bund inniger Freundschaft geloben.