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Es lebt kein bedauernswürdigerer Mensch in ganz Frankreich als dieser Ludwig Napoleon. In der bewegtesten Zeit an die Spitze des lebhaftesten Volkes berufen, hat er kein anderes Talent für diesen schwersten Posten mitgebracht als den Klang eines großen Namens, den er durch zwei welthistorische Torheiten, »Straßburg« und »Boulogne«, lächerlich gemacht. Er ist grenzenlos eitel, dieser Neffe seines Onkels, so eitel, daß er noch immer zu regieren glaubt, während er doch von den Parteien willkürlich regiert wird.
Er weiß noch immer nicht, daß gerade seine flache Unbedeutendheit es war, die ihm die Präsidentenwürde verschafft. Die Parteien wollten ihn nur als Notbrücke gebrauchen, als einen Klotz, den man über die brausende revolutionäre Strömung warf; und während die Partei, welche vor den äußersten Konsequenzen der 137 Revolution nicht zurückschreckte, über dieser Notbrücke auf den Weg zur wahren Republik zu gelangen glaubte, meinte die andere, die von der Februarkatastrophe überrascht und erschreckt wurde, mit Hilfe dieser Notbrücke gefahrlos auf den alten monarchischen breitgetretenen Weg zurückgehen zu können. Hätte dieser Ludwig Napoleon nur einiges Bewußtsein von der Kraft und der Zukunft der verschiedenen Parteien gehabt, er würde sich der gemäßigt republikanischen Partei angeschlossen haben und mit derselben gegangen sein. Statt dessen aber verleiteten ihn seine Napoleonschen Herrschgelüste, der reaktionären Partei so oft Konzessionen zu machen, bis sie ihn ganz in ihrer Gewalt hatte und mit ihm gegen die Republikaner manövrieren konnte. So steht er nun zwischen falschen Freunden und erklärten Feinden und kann keinen Schritt tun, ohne einen Fehltritt zu begehen. Er hat keine Partei mehr; denn selbst die Bonapartisten haben ihn unwillig verlassen, da er sie kompromittiert, da er sie durch seine Albernheiten lächerlich gemacht.
Ja, dieser Ludwig Napoleon ist grenzenlos unbedeutend; aber er hat etwas von seinem großen Oheim geerbt; es ist der tyrannische Tick, die Begierde, das Volk en canaille zu behandeln. Ludwig Napoleon hat, man mag sagen, was man wolle, seine Brumaire-Gelüste; aber um solche Gelüste befriedigen zu können, muß man andere Lorbeeren mitbringen als diejenigen, die man in Straßburg und Boulogne gepflückt. Seit dem Antritt seiner Präsidentenwürde zeigt er unverhohlen, daß ihm die Gemächer in dem Elysée zu enge sind; er möchte gern in die Tuilerien einziehen; aber es ist wahrscheinlich, daß er seine jetzige Wohnung nicht verlassen wird, ohne Frankreich zu verlassen.
138 Ludwig Napoleon hat etwas mit großen Männern gemein, die Finanznot nämlich. Diese Not wird denn auch von den Fürsten der Börse trefflich ausgebeutet. Gewohnt, als Dandy zu leben und Frauengunst mit schwerem Golde aufzuwiegen, muß der Neffe Napoleons den Fürsten im Palais de la Bourse schöntun, damit sie seine Wechsel respektieren, vor denen man in Paris eben nicht sonderlich viel Respekt hat. Herr Achilleus Fould weiß am besten, wo den Präsidenten der französischen Republik der Schuh drückt. Herr Fould hat den Präsidenten Ludwig Napoleon schon oft von den drückenden Schuhen befreit; dafür muß aber auch der Präsident nach der Pfeife des Herrn Fould tanzen, und es sind wahrlich keine angenehmen Straußischen Walzer, die ihm Herr Achilleus vorpfeift.
Ludwig Napoleon lebt im Elysée wie ein Sardanapal, und es fallen in diesem Palais oft Romane vor, die, wenn sie gedruckt wären, keinen anständigen Leser fänden.
In diesen Romanen, die ich in mehreren gutunterrichteten Kreisen gehört, spielt Miß Howard eine sehr bedeutende Rolle.
Miß Howard machte vor der Februarrevolution allabendlich in den Straßen Londons lange Promenaden, um Männer zu finden, die für einige Schillinge Reue kaufen wollten. Ich weiß nicht, ob ihr Geschäft bei der großen Konkurrenz sich sehr gut rentierte; gewiß ist, daß es ihr dabei an Fleiß und Ausdauer nicht gefehlt hat. Ein Master B . . ., der sich mit der Rechtschaffenheit wegen ihres unbefugten Einmischens in Geldangelegenheiten längst überworfen hatte, machte die Bekanntschaft der Miß, wie einst Sokrates die Bekanntschaft des Alkibiades gemacht, auf der Straße nämlich 139 und in der Absicht, ihr Unterricht in der Philosophie zu erteilen. Er sah gleich, daß aus ihr viel mehr zu machen sei, als sie selbst aus sich zu machen verstanden. Er schaffte ihr eine fürstliche Toilette an, setzte sie in eine herrliche Equipage und ließ sie durch Hydepark fahren. Die Londoner Löwen gerieten in Bewunderung, und nach kurzer Zeit hatte sie eine Schar reicher Anbeter. Mehr wollte Master B . . . nicht. Er hielt seinen Plan jetzt für reif genug, um ihn zur Ausführung zu bringen. Master B . . . errichtete ein Spielhaus und ließ in demselben von Miß Howard die Honneurs machen. Unter den Spielern, die Master B . . .s prachtvoll eingerichtete Hölle besuchten, befand sich auch Ludwig Napoleon. Der Neffe des Siegers von Austerlitz lernte Miß Howard kennen und entzündete sein Herz an ihren kunstgeübten Blicken. Miß Howard, die mit der Diana nichts gemein hatte als die Liebe, Jagd zu machen, ließ Ludwig Napoleons Herz nicht unbefriedigt brennen. Sie suchte den Heros von Boulogne immer tiefer in ihr Netz zu bringen, und er wußte nichts Besseres zu tun als in diesem Netze zu zappeln. Da kommt die Nachricht von der Flucht Ludwig Philipps, von der Proklamierung der Republik Frankreich. Ludwig Napoleon verläßt London und wird nach einigen Monaten Präsident der französischen Republik.
Als Präsident der französischen Republik ist es eine seiner ersten Angelegenheiten, Miß Howard nach Paris einzuladen. Die Miß kommt; aber sie kommt nicht allein. Ihr würdiger Freund B . . . ist bei ihr. Das ist dem Präsidenten der französischen Republik, der den Master B . . . als eine Spottgeburt von Dreck ohne Feuer kennt, sehr unangenehm. Indessen läßt er sich's gefallen. Aber Master B . . . wird immer 140 anspruchsvoller, immer zudringlicher und zeigt sich durchaus nicht geneigt, des Präsidenten freundlichen Einladungen, Paris zu verlassen, ein geneigtes Ohr zu schenken. Da kommt Ludwig Napoleon auf den Einfall, den lästigen Engländer, als einen der französischen Republik höchst gefährlichen Menschen, aus Frankreich verweisen zu lassen. Master B . . . wird als ein der französischen Republik höchst gefährlicher Mensch von Herrn Carlier ausgewiesen, und Ludwig Napoleon atmet freier an dem Busen der Miß. Die Miß aber, die von den welthistorischen Rollen gehört, die ihre Geschäftsgenossinnen einst in Frankreich gespielt, will nun ebenfalls an der Politik teilnehmen. Die Siege der Pompadour und der Dubarry lassen sie nicht schlafen. Wirklich fängt sie auch an, sich in Staatsangelegenheiten so sehr zu mischen, daß der Kriegsminister sich veranlaßt sieht, dem Präsidenten ernstliche Vorstellungen zu machen und ihm rundweg zu sagen: »C-z avec qui vous voudrez, mais que vos maîtresses ne se mêlent de la politique.« Das ist eine große Verlegenheit. Dazu kommt noch, daß der sehr ehrenwerte Master B . . . in einem lakonisch stilisierten Briefe von dem Präsidenten die Miß Howard oder die Summe von 75 000 Franken begehrt, wenn er das Geld oder die Miß nicht umgehend erhalte, würde er die von Ludwig Napoleon in England vollbrachten Großtaten der Öffentlichkeit übergeben. Der Präsident erkauft das Stillschweigen B . . .s für 75 000 Franken.
Als dieser bittere Kelch vorüber ist, kredenzt ihm Miß Howard einen andern. Die Miß begehrt nämlich von dem Vasallen ihres Herzens, ihr den Zutritt in seine Soireen zu gestatten. Als er das abschlägt, umgürtet sich die Miß mit dem ganzen Stolze ihres 141 Englands und reist plötzlich nach Deutschland. Fort ist sie. Aber dem Präsidenten, der ihre Fesseln zu tragen gewohnt ist, wird die Freiheit unerträglich; er beauftragt daher seinen Büro-Chef und vertrauten Freund Mocquard, ihr nachzureisen und sie um jeden Preis wieder zurückzubringen. Mocquard reist plötzlich von Paris ab und, wie es in einigen Zeitungen und in manchen hohen Kreisen heißt, in einer geheimen und sehr wichtigen Mission. Mocquard kommt nach Deutschland und findet die Miß bei Master B . . . Nun werden Unterhandlungen eröffnet, und nach vielen Bitten und Versprechungen gürtet sich die Miß den Stolz ihres Englands wieder ab und kommt nach Paris zurück, wo sie ein Hotel in der Nachbarschaft des Elysée bewohnt.
Ludwig Napoleon hat zu seinem Unglück auch nicht die geringste Ähnlichkeit mit seinem Oheim. In seinem Gesicht ist nichts bedeutend als das Unbedeutende. Er gleicht einem österreichischen Korporal, und wenn man ihn sieht, denkt man mehr an seine Torheiten als an die Heldentaten seines Onkels. Als ich ihn zum ersten Male in den Champs-Elysées sah, rief ein Franzose, der ihn ebenfalls früher nicht gesehen: »Mon Dieu, mon Dieu, a-t-il l'air bête, ce pauvre président!«, worauf ein anderer bemerkte: »Que voulez-vous? Il n'est pas hypocrite!«