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Das brennende Land

Was ich jetzt wie eine Geschichte niederschreibe, erscheint mir heute bloß wie ein wüster Traum. Und dem ist gut so. Denn ein einfacher Mensch kann mit einem so unglaublichen Erlebnis, welches sich gar nicht in die Kette seiner Tage einfügen lassen will, nicht anders fertig werden, als daß er es von sich abstellt wie ein Ding, das einem nicht zukommt. Auf diese Weise findet er den bedrohten Zusammenhang seines Lebens wieder und rettet sich das Bild von Welt und Herrgott über einen Abgrund.

Es begann wie ein Scherz damit, daß mich in jener Nacht die Satteler Bauern ohne viel Federlesens zu ihrem Gefangenen machten. Sie taten es nicht etwa deshalb, weil sie erfuhren, daß entgegen der alten Sage ich an Stelle des Kaisers Rotbart das Feuer auf dem Steine angezündet hatte. Sondern sie spannen mich ein, weil die Ahle vorwitzig durch die Wand meines Schludersackes gekrochen war und meine bürgerliche Kunst verraten hatte, und weil die Bauern damals gerade einen Schuster brauchen konnten.

Man fragte nicht lange, wie ich das Handwerk beherrsche, sondern man setzte mich kurzerhand in irgendein Ausgedinghäuschen und warf so viel Stiefel vor mich hin, als die Gemeinde Männer zählte. Wer zwei Dritteile des Jahres dem Herren fronden müsse, habe auch einmal das Recht, einen Landstreicher für sich roboten zu lassen, entschuldigte man sich lachend.

»Du darfst nicht früher aus dem Loch wieder heraus, bevor du die Treter nicht so schwer wie Hämmer vernagelt hast, daß man mit ihnen, wenn schon nicht die Tore der Herrenschlösser, so doch wenigstens die Türen der Robotschreiber mit einem einzigen Tritt eintreten kann«, drohte der Schmied und gab mir seine Faust zu riechen. Dann vernagelte er die Fenster der Hütte wie einen Käfig mit Brettern und Balken.

Lacht nur zu, dachte ich. Wer zuletzt lacht, hat es noch immer am besten getan. Und ich will die Zwecken so tief ins Leder jagen, daß euch die Sohlen hernach weidlich kitzeln sollen.

Nur das Fenster, welches nach der Straße ging und dem Schmied gerade in die Werkstatt sah, wurde wegen des Lichtes bei der Arbeit von Brettern und Balken freigelassen. Der Schmied war zu meinem Wächter bestimmt und hatte scharfe Augen. Am Abend verrammelte er die Türe und das letzte freie Fenster mit eichenen Laden. An eine Flucht war also nicht zu denken.

Ich saß vor dem Berge von Stiefeln wie die Prinzessin vor dem Flachshaufen. Anfangs rührte ich aus Trotz keinen Finger. Weil aber Zwerge und gute Feen nur für Prinzessinnen eine hilfreiche Hand haben (wahrscheinlich stinkt ihnen ein Schuster zu sehr), blieb der Haufen zunächst unberührt. Aber bereits den anderen Tag erfaßte mich die Langeweile, und ich ging wie eine hungrige Maus ans Leder.

Wenn die Bauern nach ihren Stiefeln sehen kamen, fing ich von ihnen so manches auf, wovon einem echten Christenmenschen die Haare wie Tannennadeln emporstarren, und sich die Ohren vor Grausen zu Schneckenhäusern ringeln. Wer von den Bauern kein Krüppel am Leib war, der war es dafür an der Seele. Zumeist aber krankten sie auf beiden Seiten. So fürsorglich war die Grundherrschaft um sie bemüht gewesen.

Der Brünnerth wankte einher, als hätte er das Zipperlein. In Wahrheit aber trug er sein Gebresten nur daher, weil er seinen elenden Hof und den dürren Acker demjenigen verschenken wollte, wer immer sich damit plagen mochte. Von tauben Halmen wird keine Ziege satt, geschweige denn ein Mensch. Wenn einem Vieh der Wechsel des Weideplatzes erlaubt ist, müßte es auch ihm gestattet sein, hatte der Brünnerth geglaubt und sich auf die Suche gemacht. Aber er wurde eingefangen und erhielt dreißig Stockhiebe zugemessen, schön langsam, damit er sie recht genösse. Von diesem Genuß hing ihm nun der Hintere hinab wie einer schwangeren Kuh der Bauch. Außerdem mußte er sehen, wo er den vorgeschriebenen Zehent noch herbekäme.

»Mach', daß du mit dem bißchen Nageln fertig wirst! Sonst komme ich in den Turm«, zischelte er und hatte fiebrige Lichter. »Je früher du damit fertig wirst, desto eher kracht es, und dann bin ich ledig!«

Am eiligsten hatte es die Schicketanzin, ein ausgesogenes Weib. Sie war die einzige im Dorfe, der sie den Schädel nicht rasiert hatten, weil für so drahtige und lausige Haare ohnedies kein Perückenmacher einen Kreuzer gegeben hätte. Ihren Mann hatten die Schergen wegen eines verbotenen Liedes abgefangen. Die Zähne habe sie sich an den Steinen ausgebissen, die sie ihren Kindern an Brotes Statt vorkaue, sagten die Leute. »Du kannst warten! Die Weiber bleiben zu Hause.« Eifersüchtig schob sie der Brünnerth von mir fort.

»Ich bleibe nicht da! Ich gehe mit, und in der vordersten Reihe. Zuerst zerfresse ich die Ketten, die sie um den Schicketanzen geschlagen haben, und nachher setze ich ihnen den roten Gockel aufs Schloßdach. Das wird ein Tanz! Ich werde ihnen dazu ein Lied in die Ohren stecken!« Und sie sang das Lied, dessentwegen ihr Mann eingekerkert worden war. Es klang, als wetzten schartige Messer aneinander.

»Kommt ihr Bauer
und seht sauer!
Kommt und macht ein tyrannisch G'sicht!
Schwingt die Flegel!
Gegen die Egel
sitzet zusamm ein peinlich's G'richt!«

Sie hob die Beine zu einem gräßlichen Tanz. Schauerlich stachen die Knochen durch die Löcher der Kittel.

Ich wollte das widerliche Spiel beenden und warf ihr die zerfetzten Schuhe vor die Füße.

»Da hält kein Nagel mehr!«

»Er muß halten! Barfuß ermache ich den Weg bis Nachod nicht. Kleb' halt ein Brett an die Sohlen! Morgen zur selben Stunde mußt du damit fertig sein«, drohte sie.

»Mein Gott!« seufzte der Brünnerth und humpelte ihr nach.

Am vierten Tag bekam ich einen Gehilfen. Mit seinen achtzig Jahren war der alte Simm zwar kein Beistand mehr, aber mit seinen Luchsaugen schien er zum Aufpasser noch geeignet. Ich hielt den Simm für einen Kundschafter des Schmieds, der nunmehr selbst alle Hände voll hatte, Brechstangen hämmern und Äxte schärfen mußte und somit nicht mehr ständig nach mir herüberlugen konnte. Einen Spitzel meidet man aber mehr als die Krätze oder die Räude. Ich wandte mich daher vom Simm ab und ließ ihn ohne eine jede Antwort stehen, in der Hoffnung, er würde sich schließlich vor Langerweile gutwillig von selbst wieder verduften. Da es mit mir keine Unterhaltung gab, suchte sich der Simm gar bald eine Arbeit. Er hockte sich abseits in einen Winkel, nahm einen Stiefel auf die Knie und mühte sich zittrig mit dem Vernageln. Seine Unbeholfenheit rührte schier an das Mitleid. Ich aber blieb hart und ließ ihn hocken.

Sooft der Simm mit dem Hammer anstatt des Stiftes seinen Finger traf, gab es einen dürren, beinernen Ton. Wie höllisch solche Hiebe schmerzen, wußte ich von der eigenen Lehrzeit her, wo ich in einem solchen Falle das Werkzeug immer fluchend von mir geschmissen und den gemarterten Finger stundenlang auf der Zunge hatte kühlen müssen. Der Simm gab jedoch keinen Laut von sich. Ohne Seufzer arbeitete er weiter. Es hielt verflucht schwer, sich vor den dürren Tönen zu verschließen. Ich hätte den Simm gerne gebeten, das Vernageln der Schuhe lieber mir zu überlassen, aber ich schwieg, denn man soll nicht einspringen, wenn ein Spitzel für sein unsauberes Geschäft die verdiente Strafe erleidet. Aber ich sputete mich mit der Arbeit, um schließlich für den Alten weniger davon übrig zu lassen.

Inzwischen war der Abend eingefallen und hatte unsere Arbeit allmählich beendet, da es für ein Licht keine Späne gab. Der rote Feuerschein der Schmiedeesse drang immer stärker zu uns herüber. Dadurch bekamen wir es gerade hell genug, um mit einem Ranft Brotes zum Mund und dann mit dem Leichnam ins Nachtlager zu finden. Einen jeden Augenblick mußte der Schmied herüberkommen, um die Laden zu versperren.

Ich sah durch das Fenster, wie der rote Schein auf der Landstraße flackerte.

So unstet ist auch das Leben auf der Straße, dachte ich, und wie ruhig brennt hingegen ein Licht unter einem Dach. Ich könnte jetzt aufspringen, mit einem einzigen Griff meine Siebensachen an mich reißen und davonlaufen. Bevor der Simm auf seinen alten Stelzen zum Schmied hinüberkäme und dessen Buben auf meine Fährte hetzte, könnte ich längst irgendwo im Feld verschwunden sein.

Während ich mich aber mit einem solchen Gedanken umtrieb und mir die Flucht ausmalte, fühlte ich im gleichen Augenblick, wie wenig ernst ich es doch damit meinte. Denn immer wieder kehrten meine Gedanken zu diesem Häuschen zurück. Trotz der kurzen Zeit meines Aufenthaltes war es bereits zu einem Heim geworden, das man nicht gern verläßt, Und ich überlegte, daß der Raum hier sich für die Werkstätte eines ehrsamen Schustermeisters recht eignete und außerdem groß genug wäre, nicht bloß für eine einzige Bettstatt allein. Es müßte sich mit der Zeit wohl auch ein solches Weib finden lassen, wie es drüben beim Schmied soeben ein warmes Vesperbrot mit guten Augen zu reichen weiß.

Und die Geige?

Ja, die Geige müßte freilich ruhen bleiben. Für immer. Denn ich wußte ja, wie viel Leid eine Geige einem Wesen bringen kann, wie die Frau Mutter eines war. Was sollte mir auch die Geige künftig, da zugleich mit den Papieren ja auch in meinem Inneren alle heilige Musik verbrannt war? Die Geige für ein warmes Nest und für ein mit einem noch wärmeren Blick dargereichtes Brot zu opfern, schien nicht zu gering. Es könnte hier ein gutes Leben sein, meinte ich.

»Sauleben, dreckiges!« zischte der Simm.

Der Widerspruch riß mich herum. Hatte er meine Gedanken gehört?

Der Simm aber hockte in seinem Winkel wie ein Geist.

»Der Maiche hätte das Geld für die Taxe, aber der Colloredo nimmt sie nicht an. Er will nicht, daß der Maiche sein Mädel in der eigenen Wirtschaft verwende.

Dem Thoms gäbe der Colloredo das Mädel wiederum frei. Aber der Thoms kann sich den Freikauf nicht aus den Fingern zuzeln. Ein Schweinehund ist der Colloredo, ein elender! Meinem Urslein gestattet er das Heiraten nicht. Warum? Ich weiß, warum er die Menschen nicht freigibt: Er hurt die Maichin, die Thomsin, und er will auch das Urslein zwingen, mein armes Enkelkind!«

Der Alte weinte. Aber es war ein trockenes Weinen, das nach innen geht. Man erkennt es an dem Zischen, wenn die Tränen in der Brust verdampfen wie auf einer Herdplatte.

Plötzlich war mir klar, daß ich helfen müsse. Zum zweitenmal in meinem Leben fühlte ich mich vom Herrgott vor eine Aufgabe gestellt, die der ersten ähnlich und von ihr doch wieder im Maß unterschieden war. Das erstemal galt es der Frau Mutter, jetzt einem fremden Mann in seiner Not. Aber nicht bloß diesem einzigen Manne allein. Der Bauer, nicht ein einzelner, sondern der Bauer in seiner Vielheit, ein leidendes Volk tat den ersten Schritt auf einem glühenden Roste der Freiheit entgegen, und ich sollte dabei sein, sollte irgendwie mithelfen, damit ihm dieser Schritt leichter falle. Jetzt ahnte ich auf einmal den Sinn meines Opfers auf dem Berge. Abermals sollte ich frei sein zu einer Hilfe.

Der Simm fuhr in die Höhe und wollte mich halten. Wie eine Feder stieß ich ihn zurück und sprang durch die Haustüre, aber nicht ins Feld hinaus, sondern hinüber zum Schmied.

»Bei mir gibt es kein Licht, und es ist schade um eine jede Stunde und um jeden Arm!« schrie ich dem Schmied ins Gesicht, riß eine Brechstange aus seiner Hand und hielt sie an seiner Statt ins Feuer.

Noch in derselben Nacht entfernte dann der Schmied die Gitter und Balken aus den Fenstern meiner Bude. Und eines Tages hob der Sturm an.

Obgleich wir ihn ja alle ersehnt und diesen Sturm selber vorbereitet hatten, erschrak dennoch ein jeder vor seinem Anbruch. So wie es uns damals gewesen ist, muß es einem Rind zumute sein, wenn es scheut und das Joch zerbricht, nachdem es allzulange darunter geseufzt hatte. Der Freiheit ungewohnt, nützt es sie nicht zu seinem Frommen, sondern stürmt blindwütig dahin, zertritt in einem Taumel das Gras und hat dann nichts zu fressen. Wenn es ein Volk ebenso oder gar noch ärger treibt, darf es aber der Herrgott nicht strafen wie für einen Übermut, sondern er muß wissen, daß den Menschen, die aus Bedrängnis ärger als das Vieh wurden, mit viel Güte gar viel zu verzeihen ist.

Die Hähne hatten noch kaum ihre Morgenkraht anzustimmen begonnen, als die Nachoder wie ein Heuschreckenschwarm bei uns einfielen. Sie waren die ganze Nacht hindurch auf den Beinen gewesen; denn das Gebirge und der Wald lassen sich nicht auf Ja und Nein bezwingen. Ihre Fackeln waren bis auf Stümpfe niedergebrannt. Dafür erschienen aber ihre Sensen und Flegel riesengroß. Im Flackern des Fackelscheins nahm Holz und Eisen ein eigenes Leben an und zuckte begierig. Die Dreschflegel hatten hungrige Borsten. Wenn sie einmal gegen eine Türe rammten, verbissen sich ihre Keulen in die Balken.

Die Nachoder machten eine höllische Musik, pfiffen, johlten und gröhlten wie am Jüngsten Tag. So schnell wie damals hatte noch niemals ein Bauernarsch in seine Hosen gefunden. Mit allen Waffen, die sich in der Eile ergreifen ließen, stürzten wir auf die Straße.

Der Schmied sprang auf eine Regentonne. »Maul halten!« Vor seiner Stimme, aber mehr noch vor dem Hammer in seiner Faust wurde es still. »Wer jetzt nicht kuscht, dem schlage ich das Hirn weich. Auf dem Dorfplatz wird gerichtet?«

Alle gehorchten wie folgsame Kinder.

Die Straße wogte schwarz von Leibern und rot von den Fackeln. Als würde sie von Hagel gedroschen, trommelte sie unter den Füßen. Langsam begann sie zu murren, und dann strömte die Straße. Zäh und dick mündete sie in den Platz hinein. Rings um den Brunnen staute es sich wie Scholleneis.

Der Schmied hob einen Nachoder beim Kragen auf den Brunnenstein empor.

»Rede!«

Der Nachoder schwankte und suchte einen Halt. Vor den vielen zuckenden Gesichtern, die er plötzlich auf sich gerichtet sah, fing er unsicher zu lachen an.

»Wir haben am Teiche gerobotet. Der Vogt hat mit der Peitsche nicht gespart. Da tritt ein Schreiber zu ihm und raunt ihm etwas ins Ohr. Wir halten mit der Arbeit ein und warten. Ein jeder von uns weiß, daß uns das angeht, was der Schreiber dem Vogte zugesteckt hat, denn der Vogt speit nur aus, wenn es sich um uns Bauern dreht. Der Vogt schreit uns an, aber wir warten. Da tritt der Schaller-Lois zum Vogte und fragt, was der Schreiber gesagt habe. Zur Antwort will der Vogt die Peitsche geben. Der Schaller aber fängt sie mit der Pranke auf und brüllt: ›Du sollst nur fest weitermachen mit der Schinderei, denn wir Bauern seien blöde und glaubten dem falschen Patent, das ihr unterschoben habt. Das echte Patent, welches die Robot aufhebt, sei gut verborgen. Aber wir finden es doch, und wenn ihr es selbst in eueren Därmen versteckt habt.« Der Schaller zerknackt die Peitsche wie einen Halm. Darauf faßt er den Vogt an der Gurgel. ›Kotz es aus, das Patent‹, schreit der Schaller. Der Vogt wird blau. Die Augen schwemmen sich ihm wie Kartoffeln aus der Rinne. Dann fällt er dem Loisen aus der Faust und haut tot hin.«

Der Nachoder schlagt sich lachend auf die Schenkel. »Aber wir finden das echte Patent! Wir kommen euch holen. Ihr sollt mit suchen helfen! Und die Robot ist aus!«

Die Erde selber reißt den Mund auf. »Aus ist die Robot!« Der Boden taumelt unter unseren Füßen. Er geht in Wellen, und die Wellen spülen uns weiter. Wir wissen nicht, wohin. Als wir dann auf den freien Feldern sind, krächzt die Schicketanzin auf, hoch und schrill. Sie trägt einen Hemdfetzen auf einem Besen unserem Haufen als Fahne voran. Daran erkennen wir, wohin es geht: Hart auf hart.

Im Walde stoßen wir auf das versteckte Vieh. Dort müssen wir halten, weil es der Schaller befiehlt. Und der Schaller ist jetzt Hauptmann. Er hat Durst und säuft einer Kuh das Euter aus. Aber der Krähenschrei der Schicketanzin reißt auch den Schaller wieder in die Höhe.

Neben mir spottet einer: »Mit der Geige kannst du nur Frösche erschlagen.«

Um meine Scham über diese Worte zu verbergen, setze ich die Geige unter das Kinn und spiele. Aber es fällt mir nur das Lied der Schicketanzin ein. Und sie singen es alle.

Plötzlich ist es mir, als blase mir eine bekannte Stimme ins Ohr: »Versau mir die Geige nicht!«

Da werde ich klein und drücke mich ganz ans Ende des Zuges.

Die Dörfer sind wie Brunnen. Wenn wir hindurchziehen, schöpfen wir die Menschen heraus. Jetzt sind wir fünfhundert oder mehr. Keiner kann uns zählen. Aber wir müssen noch stärker werden, ehe wir nach Nachod gehen und abrechnen. Wir haben uns in zwei Haufen geteilt. Ich halte mich zum Schmied, denn dort ist es stiller als beim Schaller, der immer vorauszieht und in jedem Ort die Arbeit bereits besorgt hat, bevor wir noch eingetroffen sind.

Wir können ersticken im Brot und ertrinken in Wein und Bier. Vor dem Schaller fliegen die schwersten Türen von Kammer und Keller auf. Dabei bekommt er von den Beamten noch schöne weiße Zettel, worin mit Namen und Siegel bestätigt wird, daß nichts geraubt, sondern von den Beamten alles gutwillig und als freiwillige Gabe geschenkt worden sei. Das Patent aber, das die Freiheit von allen Roboten gewähren soll, ist nirgends zu finden. Die Türen- und Fensterstöcke fliegen krachend aus den Mauern, die Ofen zersplittern zu tausend Scherben. Der Fußboden ist im Nu umgegraben wie ein Feld. Der Beamte wird auf den Strafesel gespannt und darf zusehen, wie sich aus den Trümmern langsam der rote Gockel erhebt und mit seinem flackernden Kamm noch lange den abziehenden Haufen nachwinkt.

Die Leute sind wie Schläuche voll. Trunken torkeln wir durch's Land. Wer noch halbwegs selbständig laufen kann, wird als Bote ausgesendet. Fremde Boten stoßen zu uns aus Bunzlau, Czaslau und Kaurim. Von ihnen wissen wir, daß das Land brennt. Bis Prag hin. In Brandeis seien von den Bauern sogar die Soldaten überrannt und die kaiserlichen Schlösser genommen worden. Dort gebe es Flinten und Pulver in Haufen. Wir mögen nur kommen. Das Schloß des Grafen Sporck in Horzinowes sei zugerichtet wie ein Gasthof nach zehn Tagen Kirchweih. In Schwarzkosteletz hätte der Lichtensteiner eins aufs Dach bekommen, daß er sich von dem Schlag nicht so bald erholen sollte. Leutomischl sei nicht mehr, Landskron stehe in Trümmern, und an Hohenmaut lecke die rote Zunge. Der Bauer sei jetzt Herr im Lande und sonst niemand.

Die Leute nehmen, was ihnen unter die Hände kommt. Was man nicht fortschleppen kann, wird krumm- und kleingeschlagen, und was einem allmählich zu schwer wird, bleibt mitten auf der Straße liegen, bis es von einem Fußtritt in den Graben gestampft wird.

Nur die Leute um den Schmied herum haben ihre Hände leer. Der Schmied hat ernste Augen. Manchmal beißt er sich in die Lippen.

Plötzlich steht einer vor uns auf blutigen Füßen. Sein Atem fliegt wie ein gescheutes Roß. Er komme vom Nywelt-Richter aus Hottina, keuchte er.

Wer der Nywelt sei und was er zu befehlen habe, rülpst der Schaller.

Der Nywelt sei Obrister aller Bauern und aus seiner Hand sei das Patent, das der Bote zitternd überreicht.

Während der Schaller das Schreiben buchstabiert, hätte der Bote Zeit, zu verschnaufen und einen Schluck aus einem Schlauch zu tun. Aber er vergönnt sich keine Rast. »Standrecht ist! Die Hetzhunde sind schon hinter uns her. Jeder Bauer wird gefangen und ohne Halsgericht auf den Pfahl gezogen. An zwanzig Stück habe ich selber baumeln sehen. Ihr seid schon stark genug. Zieht nicht mehr im Lande umher! Ihr sollt zu uns stoßen!«

»Kreuztürken!« flucht der Schaller. »Wir kommen!«

»Nach Nachod!« jauchzt die Schicketanzin, und ihre Stimme überschlägt sich.

»Zuvor wird aber noch auf dem Wege aufgeräumt!« Und der Schaller zeigt nach dem Schloßdach von Jessenei, das soeben hinter einem Hügel sichtbar wird.

Wie tollwütige Hunde stoßen sie in den Ort hinein. Ihr rasendes Blut macht sie blind. Sie fallen in ein jedes Haus und fragen nicht einmal mehr, wem es gehört, ob einem Bauer oder einem Herren. Im Nu ist die Straße von Bettfedern weiß, als hätte es geschneit. Von allen Seiten Klirren und Krachen. Zerdroschene Kasten und Truhen, Tische und Stühle türmen sich zu Bergen. Die Straße hinab geht ein roter Strom von Wein. Es kann aber auch Blut sein. Mitten drinnen schwimmt zertretenes Brot. Es riecht nach Feuer. In einem Knäuel von Menschenleibern steht der Schmied und schützt einen wimmernden Juden mit den Fäusten. Dann aber überläßt er ihn seinem Schicksal, weil am anderen Ende der Straße etwas Schrecklicheres geschehen will. Mühsam ackert sich der Schmied durch die Leiber hindurch, aber selbst seine Bärenkräfte sind zu schwach, und er kommt zu spät. Der Rentmeister hängt bereits auf einem Pfahl, die gebrochenen Augen stieren, und die Zunge bleckt gräßlich.

Aus den Kirchenfenstern schlagen die Flammen. Im bloßen Hemd wird der Pfarrer durch die lachenden Reihen gepeitscht.

Ich bin in einem Haufen eingekeilt und muß mit, ob ich will oder nicht. Meine Geige kracht. Doch was gilt jetzt eine Geige! Ich werde durch das eingerammte Schloßtor geschoben, die steile Treppe aufwärts, durch Gänge und Zimmer. Überall zerbersten die Möbel, zersplittert das Glas.

Dann sind wir in einem weiten Gemach.

Vor der weißen Frau, die da allein vor uns steht, verstummt das Gejohle plötzlich. Keiner wagt sich vor. Vielleicht weil sie die kleine Rose in den Händen hält.

Ich weiß nicht, wo ich bin. Gewiß weiß es keiner von allen. Doch als ein Lächeln über das bleiche Gesicht dort geht, glaube ich, ich wäre zu Hause.

Jetzt geht der Schwetz auf die Frau zu. Es ist unbegreiflich, daß er es wagt. Er verneigt sich vor ihr und gewährt ihr im Namen aller einen sicheren Abzug, wenn sie ihm einen Kuß geben wolle mitten auf das stinkende Bauernmaul. Alles gröhlt über diesen Einfall und läßt es geschehen, daß er sie küßt.

»Jetzt sollt ihr auch zum Abzug geschmückt sein!« schreit der Schwetz und fetzt ihr die Kleider in Stücken herab. Nackten Leibes steht die Frau plötzlich vor aller Augen da. Aber ihr Haar löst sich und hüllt sie in einen dichten Mantel ein. So wankt sie uns entgegen. Vor ihrem Schritt öffnet sich stumm eine Gasse. Ich sehe die Frau nicht. Ich sehe nur, wie es in den Augen der Bauern immer unheimlicher brennt. Und als die hohe Frau just bis zu mir gelangt ist, bemerke ich, daß sich die Gier nicht einen Augenblick länger mehr würde halten können. Ich suche nach einer Rettung für die Frau. Wo ist der Schmied? Doch in demselben Augenblick bricht schon die Meute los.

Ich weiß nicht mehr, wie das geschehen konnte, was dann geschah. Jesus, mein Jesus, woher kam mir die Kraft? Aus mir selbst kam sie nicht heraus. Kam sie etwa aus dir? Ich hatte keinen Gedanken und keinen Willen dazu, das schwöre ich bei deinem heiligen Namen. Deshalb muß es dein Gedanke gewesen sein, daß das Messer irgendwoher in meine Hand kam, und dein Wille, daß die Hand das Messer dann mitten hineinstieß in das Herz der hohen Frau. Warum hast du gerade mich zu dieser Verdammnis auserwählt? Die Augen der Frau staunten nur, bevor sie brachen. Ich aber muß dieses Erstaunen jetzt mit mir herumschleppen als einen Fluch.

Die Bauern brüllten wütend wie Stiere, denen der Sprung verwehrt wird. Ich aber hatte nicht Platz noch Raum, wo ich dem Blick der weißen Frau entflöhe. Ich stürzte aus dem Schloß, aus dem Dorfe, warf mich in einen Acker hinein, fraß mit dem Maule ein Loch in die Erde und drückte meine Augen hinein wie in ein Grab. Aber selbst Stein und Erde konnten den Blick der Frau nicht aus meinen Augen keltern.

Später spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. An ihrer Schwere erkenne ich den Schmied. Er hebt mich wie eine Feder empor und setzt mich neben sich hin.

Über uns gehen die Sterne durch einen rostigen Himmel. In meinen Ohren sirrt und surrt es wie von einem Bienenschwarm. Es ist aber nur das Prasseln der Balken im verendenden Dorf. Das eintönige Geräusch kratzt und höhlt mich aus wie eine Rübe. Nur einen Atem lang wache ich von einer Wärme auf, welche vom Schmied her nach mir herübergreift, und ich fühle, daß wir beide jetzt Brüder sind. Dann aber ist auch das wieder vorbei.

Plötzlich kommt, scheinbar mitten aus dem Feuer heraus, eine schwarze Gestalt auf uns zu. Sie erscheint uns riesengroß. Aber an dem Hüsteln erkennen wir den Simm. Er trägt etwas wie einen Schatz auf den Armen.

»Hast du auch geraubt?« droht der Schmied.

Der Simm aber löst umständlich die Knoten eines Tüchleins und packt ein hölzernes Krippenkind vor uns aus.

»Es sollte bloß mit der ganzen Kirche nicht verbrennen«, flüstert er.

Er breitet das Tuch über einen Maulwurfshügel aus und stellt die Krippe mit dem Kind darauf. Dann kniet er wie vor einem Altar nieder und wiegt das Kripplein langsam auf und ab.

»Vergib uns die Schuld, sowie auch wir vergeben unseren Schuldigern«, litaneit er unaufhörlich bis in den Morgen.


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