Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Absage an ein Denkmal

Man wird von den anderen so lang ein Narr geheißen, bis man es endlich wird. Aus Altersschwäche oder aus Menschenliebe, weil man es nicht länger mit ansehen kann, wie die lieben Nachbarn zu all ihren sonstigen Sünden noch die der üblen Nachrede legen. Du willst sie – wenigstens was dich selbst anlangt – endlich nicht mehr lügen, sondern sie die Wahrheit reden lassen, und wirst somit aus Erbarmen mit den anderen der Narr, den sie dich schon lange geheißen haben.

Ich, Krispinus Krauspenhaar, habe die elende Kreatur lieb, welche die schöne Erde nun bald mehr bevölkert, als Flöhe in einem Hundsfell wohnen. Hätte ich also nicht nach ihrem Herzenswunsch tun sollen? Allmählich ist allerdings auch das Alter hinzugetreten und hat vollends besorgt, was der Menschenliebe allein doch nicht ganz hatte gelingen wollen.

Es ist übrigens ein eigenes Ding mit dem Narrentum. Der eine kommt schon damit begabt auf die Welt, während ein anderer ein Leben lang die rarsten Salben um das Flecklein Land auf seinen Schädel schmieren muß, bis der Dünger so zusammengesetzt ist, daß seine beiden Löffel zu der Länge von Eselsohren schmuck aufsprießen können.

Ich bin nun endlich so weit, und meine Ohren stehen schön aufrecht, nicht wie bei den traurigen Narren, welche glauben machen, sie hätten das Gehänge eines Dackelhundes geborgt, sondern wie die Kerzen bei Lichtmeß.

Es kommt nur darauf an, wie und woran einer sein Narrentum merkt und wie er diese Erkenntnis nützt. Ich zum Beispiel erkenne das meinige daran, daß draußen vor den Fenstern just der Mai aufgeht, und auf den Bäumen die Spatzen mit den Staren raufen, daß den Weiden am Bach und den Haseln ein paar Äste zu unnützen Blättern ausschlagen, obgleich gerade sie zu Wanderknütteln geeignet wären, die mich getreulich über ein paar Dutzend Landstraßen führen könnten, und daß ich – Krispinus Krauspenhaar! – zu einer solchen Zeit statt eines Messers, die Äste abzuschneiden, eine Gansfeder ergreife und, statt mit den Füßen mitten durchs Frühlingsgrün der Äcker und Wiesen zu treten, mit der Hand schwarze Furchen über ein sauberes Papier kratze, daß es aussieht, als hätten die Säue des Rösselwirts auf der Wäsche der Frau Bürgermeisterin Kirchweih gefeiert.

Wenn ein Vogel, den es einstens nie länger als höchstens ein halbes Jahr auf einem Fleck hatte sitzen lassen, nun schon einige Sommer seinen Zug vergessen hat, ist es wohl ein Zeichen, daß es mit ihm nicht mehr ganz richtig ist.

Haben sie dir die Flügel zugestutzt, Krauspenhaar? Oder bist du in der Mauser stecken geblieben und hast das Ziehen verlernt?

Wenn der fromme Pater Adrian dich so still und geruhsam hocken sähe, hübe er zuerst wie beim Requiescat die Augen zum Himmel empor und donnerte dann sein gotteszorniges »Pfui Teufel!« um deinen Schädel wie damals, als er die schreienden Fehler in deinem ersten vierstimmigen Satz fand.

Ich habe nichts verlernt, Hochwürden, habe alles – scheint's – ganz recht behalten, gäbe ich ihm zur Antwort. Ich habe mir sogar zu meinem Generalbaß noch drei feine Oberstimmen hinzukomponiert. Ihr braucht bloß zu lauschen, wie gut es zusammenstimmt. Und dann öffnete ich ein wenig die Türe, auf daß der Pater deutlicher das Lied meines Weibes aus der Küche hörte, und dann wiese ich ihm den Sandhaufen vor dem Fenster und die beiden Kinder darauf. Wie würden die Kinder lachen, wenn sie die Runkelrübe in des Paters rundem Gesicht eräugten, und ich lachte auch, so daß schließlich das Lied in der Küche bald ebenso in das Quartett mit einschlagen müßte. Und es sollte absonderlich zugehen, wenn der Pater die Hände über seinem Spitzbauch nicht wie zu einer Schutzhütte auf einem Berge faltete und wenn er nicht sagte: »Sieh Er, Krispinus! Er ist zwar zeitlebens ein Haderlump gewesen, der gute Kern in ihm war aber stark genug und ist endlich doch noch zu einem Fruchtbaum emporgewachsen.«

Ihr habt es nicht mehr erwarten können, alter Freund, diesen Baum aus meinem Nabel sprießen zu sehen. Ich hätte euch zu gerne ein schattiges Plätzlein darunter eingeräumt und euch dort bewirtet. Dann hättet ihr auch in aller Gemütlichkeit die Geschichte von der Heimfahrt dieses Haderlumpen hören können und vielleicht hättet ihr mir am Ende doch wieder einmal die Hand auf den Kopf gelegt wie damals, als ihr dachtet, daß ich schliefe. Aber ins Jenseits schreit meine Stimme zu euch nicht hinüber, und bis dorthin leuchtet auch nicht meine Schrift.

So führe ich denn meinen Ganskiel und schreibe dieses Bekenntnis jetzt bloß noch für die Augen meiner Kinder. In ihrer Erinnerung will ich einmal nicht besser erscheinen, als ich wirklich bin. Ich will nicht, wie so mancher Vater, ein Denkmal haben, das bloß nach der Leichenrede eines Paters verfertigt ist, für den das Wort gilt: Nichts als Gutes von denen, die tot sind. Das vierte Gebot soll für meine Kinder keine Binde vor den Augen sein. Sie sollen vielmehr durch die Hüllen hindurch und inmitten aller Lumpen mein Herz sehen und mögen von ihm sagen können, daß es sich rechtschaffen nach dem Takt zu schlagen bemühte, den ihm Gottes gütiger Finger vorgezeigt hatte. Dies ist mir lieber, als wenn die Kinder einmal beim Scheuern meines Denkmals zufällig mit den Knöcheln daran stießen und erschreckt aus dem Klange erkennen müßten, daß das Denkmal inwendig hohl sei.

Auch mögen meine Kinder wissen, aus welchem Geschlecht sie kommen, welche Bürden, leichte und schwere, schlechte und gute, sie von mir übernommen haben, wie ich sie ja selbst einmal aufgelegt bekam, ohne erst viel fragen und wählen zu dürfen. Auch mögen sie wägen, ob ich rechtschaffen getragen, was ich hatte tragen müssen.

Ja! Ich war ein Haderlump im Auge aller Frommen und Gerechten, ebenso wie mein seliger Herr Vater ein Haderlump gewesen ist. Und dennoch ist es uns beiden gelungen – auf manchem Irrwege freilich –, unser Geschlecht schließlich in dieses helle Haus zu führen, wo sich alles Allegro Furioso mit seinen gellen und grellen Weisen endlich in den Sonnenschein des Vierklanges auflöste, wie er nun immer unter diesem Dache erklingt. Mögen also meine Kinder wählen, welche von meinen Lumpen auch sie gerne weiter durchs Leben tragen, und welche davon sie sich abzutrennen bemühen wollen. Zu ihrem Frommen will ich beichten. Meine Kinder sollen über mich richten und sie sollen streng sein und nichts vergeben.

Mein Weib freilich hat mich schon mit dem ersten Blick von jeder Schuld gelöst.


 << zurück weiter >>