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Die Marter der heiligen Cäcilia

In der Sankt Urbansnacht hatte es sich schauerlich unter dem Dache geregt. Frühmorgens fand ich dann auf dem Dachboden das Totenbrett von seiner Stelle verrückt. Mit einem kräftigen Stift nagelte ich es an dem Balken fest, damit es kein Unheil mehr rufen könne.

Seit diesem Tage war der Cäsar-Geiger plötzlich ein anderer geworden. Während er mich sonst niemals zu sehen pflegte, außer wenn ich ihm durch einen Zufall unliebsam in die Quere kam, oder sobald es etwas zu schelten gab, suchte er mich jetzt und verfolgte mich heimlich auf Schritt und Tritt. Ich spürte seinen Blick im Rücken körperlich wie einen Knöchel. Stets hatte er dort etwas zu tun, wo auch ich mich gerade aufhielt. Er umschlich mich wie eine Katze, die einen Vogel hält. Dabei verzwängte er den Mund, als apportiere er ein Wort, das er ohne Mithilfe selbst nicht ablegen konnte. Ich war stets darauf bedacht, ihm zu entwischen. Andererseits hatte ich doch mein Spiel mit ihm, lockte ihn bald hierin, bald dahin, bald ins Feld hinaus und bald wiederum in die Stube zurück. Dort hielt er plötzlich vor seinem Schrank und rief mich an. Seine Stimme klang trocken, als habe er Durst.

Ei, dachte ich bei mir, jetzt schmerzt ihm endlich der Mund, und er sperrt ihn auf, ohne daß ich mich dabei bemühen muß. Also laß hören!

Der Cäsar öffnete die Schranktüre und wies mit dem Fuße nach seinen Geigen. Staunend gehorchte ich und legte sie auf den Tisch.

»Mach weiter«, befahl er ungeduldig und heiser.

Während ich die Hüllen löste, besann er sich plötzlich, sprang zur Türe und versperrte sie.

Die Geigen glänzten weich im Tageslicht. Dieser Glanz bannte den Geiger. Er stand trunkenen Auges. Wie ein Geier von seinem Trieb über die Beute gebeugt wird, so zog es ihm den Schädel vor. Seine Hände schwebten wie griffbereite Krallen und bebten vor Gier. Aus Angst vor dieser Leidenschaft zog ich mich zurück. Des Cäsars Griff senkte sich immer mehr auf die dunkle Geige hinab. In demselben Augenblicke aber, da er sie fassen wollte, sprang ich vor, riß die Geige an mich und verbarg sie schützend hinter dem Rücken. Ein Blick voll Neid und Haß traf mich aus seinen Augen.

»Streich an!« keuchte er.

Ich gehorchte.

»Schraub die Saite höher! Die zweite laß nach! Streich beide! Jetzt eine allein, die zweite dann! – Laß die Hand locker! Den Bogen mußt du ziehen, nicht schieben!« Zu je größeren Tönen die Saiten fanden, desto erregter wurde der Geiger.

»Die Finger laß fallen! – Nicht so!«

Er wollte den Griff vorzeigen und langte nach dem Geigenhals. Aber ehe er ihn noch berührte, riß er die Hand wieder zurück wie vor einem glühenden Eisen.

»Du mußt die Finger aufschlagen wie Hämmer!« Je mehr ich mich mühte, desto tiefer verzweifelte er. In seinen Augen brannte ein unheimliches Feuer, und seine Wangen standen wie rote Herde. Seine innere Not wuchs zur Qual und befreite sich in Wut über meine Mühe.

»Versau mir die Geigen nicht!« schrie er und riß mich beim Haar, so daß ich hintübertaumelte.

Ich erkannte sehr wohl, was den Geiger quäle. Er schlug mich, bloß weil er selbst hilflos war, weil er sich dadurch aus dem eigenen Zwiespalt zwischen dem innerlichen Drang und seinem Gewissen zu retten versuchte. Jetzt, dem gleichen Zwang verfallen, erkannte ich seine Gewalt. Jetzt ermaß ich die Größe des Opfers, das sich der Geiger mit dem Gelöbnis zugemutet hatte, dem Spiel für immer zu entsagen. Ich sah aber plötzlich auch die Bitterkeit seines Kampfes durch alle bisherigen Jahre hindurch und wußte auch, daß seine Kraft in dem Augenblick völlig zusammenbrach, als er mich schlug. Er kämpfte noch um eine Entscheidung, die doch bereits längst gefallen war. Ich hatte ein grenzenloses Mitleid mit ihm. Ich wollte ihm etwas Gutes tun und hielt ihm die Geige hin wie ein Geschenk. Er aber drückte sich davor, wie vor einer Schlange.

»Willst du mich verführen?«

Eine Trompete warf eine aufreizende wilde Weise zum Fenster herein.

Den Cäsar traf es wie eine Peitsche. Aufheulend stürzte er nach der Geige, riß sie unter das Kinn und spielte der Trompete die Weise nach. Die Saiten zerrissen. Der Geiger brach zusammen wie ein geschlagener Baum und warf den Schädel auf die Arme wie einer, den der Suff zum Weinen treibt.

Den Anblick von Tränen vertrage ich nicht. Vielleicht weil ich selbst ein rührseliges Werkel bin, das man bloß zu berühren braucht, um es zum Schluchzen zu bringen. An weinerlichen Tagen konnte ich mich selbst nie ertragen. Um vieles weniger ertrug ich einen flennenden Mann, am allerwenigsten aber den Geiger. Und wie ich dem Pater davongerannt war, als er hatte weich werden wollen wie Butter im Sommer, tat ich es jetzt ebenso.

Bei der Stubentüre rannte ich an einen plötzlich eintretenden Mann. Meine Knochen krachten. Ich mußte sie erst langsam wieder zusammenklauben, ehe ich den Vogel betrachten konnte, der uns da mit seinem Besuch beehrte. Weil meine Blicke vom Zusammenstoß her noch auf dem Boden waren, begann ich meine Betrachtung von unten.

Der Fremde hatte die Hälfte seiner Schuhe wohl auf der Landstraße stehen gelassen. Denn während die Fersen noch auf Absätzen thronten, staken die Zehen frei und spielten auf den Dielen, wie vor kurzem des Geigers Finger auf der Tischplatte gespielt hatten. Nur die große Zehe des rechten Fußes blieb starr und wies nach aufwärts, wie man mit dem Daumen auf ein Wegziel weist, das der Mühe lohnt.

Es lohnte sich auch, der angezeigten Richtung nachzugehen, und es stand mir ein absonderliches Ereignis bevor, das einem nicht alle Tage begegnet, wenn man seine Augen an den Beinen eines Menschen emporklettern läßt. Sonst ist ein solches Beginnen unbeschwerlich, denn der Blick gleitet wie über zwei gerade Gleise und man landet leicht oben bei Nabel und Arsch. Während aber hier meine Augen je an einem Bein emporkletterten, wurden sie je höher desto weiter auseinander gezogen. In der Höhe der Knie standen sie voneinander so fern und so sehr aus den gewohnten Achsen gedreht, daß darob der Schmerz im Schädel kaum mehr auszuhalten war. Es war ein Glück, daß die Oberschenkel barmherzig die Getrennten allmählich wieder zusammenführten, so daß sie sich vor dem Altar des Nabels wieder zu der gewohnten Ehe vereinen durften. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirne.

Jede unschuldige Angst findet aber ihren Lohn und ihre Vergeltung. Einen so mächtigen Bauch wie ein riesenhaft aufgeblasener Schweinsdarm gab's sonst nirgendwo zu sehen. Dem Bauche wurde das Gleichgewicht hinten durch ein Gesäß gehalten, das wie der Wasserspeier auf dem Rathausturm spitz überstand. Jetzt begriff ich auch, warum die Beine gebogen sein mußten, trotz der ansehnlichen Stärke ihrer Knochen.

Sie hatten sich nicht etwa gekrümmt aus Unvermögen und Schwäche, sondern aus Ehrfurcht, daß sie diese Masse tragen durften.

Ich brauchte den Blick nicht mehr weiter aufwärts zu lenken, nicht erst die dürre Brust zu sehen, welche, für diesen Unterbau viel zu dürftig, etwa wie ein Wurstspreil in einer Kartoffel stak. Ich wußte bereits, daß ganz zuoberst das Schafsgesicht des Trompeter-Wenz throne.

Heilige Cäcilia! Du bist ein wonnigliches Weib und wie ein Maihauch zart, wenn die Maler recht haben, die sich um dein Konterfei bemühten. Dein Magen aber muß ein wahrer Saumagen und kräftiger als der eines Landknechts sein, wenn er sich nicht umdreht, sobald du einen solchen Gesellen unter deinem himmelblauen Banner einhergehen siehst. In meinem Leben kam mir gar mancher aus deiner Gilde unter: Deutsche, Tschechen, Kroaten, Ungarn und Hanaken. Allzulang war der eine, ein anderer zu kurz geraten. Meistens waren sie zu dünn, manchmal hatte sich aber auch ein zu dicker finden lassen. Alle zusammen waren aber niemals eine Zierde für dich. Daß jedoch einer zu gleicher Zeit lang und kurz, oben dünn, in der Mitte dick, vorn kugelig und hinten spitz, unten sogar verbogen sei, dessen hatte sich bis auf den Wenz noch keiner rühmen dürfen.

O heilige Cäcilia! Was bist du obendrein für eine schlechte Geschäftsfrau! Indessen du auf der himmlischen Orgelbank herumrutschest, daß sich das Sitzbrett erhitzt, und es unter deinem heiligen Gesäßlein bereits wie aus einem Räucherfaß hervorraucht, läuft der Trompeter als ungenütztes Vermögen durchs Land. Fang dir ihn ein und zeig ihn doch in einer Schaubude auf den Märkten herum! Du wirst staunen, wie dann die Silberlinge in den Teller hineinklimpern werden. So aber macht der Trompeter die Stadt unsicher und fällt jetzt noch obendrein in unser Haus. Doch es nützt nichts, dir Vorstellungen zu machen.

Ich nehme das Wetter wie es fällt und muß sehen, wo es selbst im Regen ein Quäntlein Lust zu erhaschen gibt. Besehen wir uns also die Komödie, die sich uns hier verspricht.

Der Wenz machte vor dem Geiger einen tiefen Bückling, so daß sein spitzer Stietz beinahe vornüberkippte.

»Hochwürden«, säuselte er und schwenkte den Hut. »Wohl zu schlafen!«

»Ich schlafe nicht. Und auf deinen Hochwürden pfeif ich! Ich bin bloß ein Mesner. Was willst du hier?«

Der Wenz postierte sich wie der Nepomuk auf der Lannerbrücke und salbaderte: »Wahrlich, ich sage dir! Ich habe mit dir einst mein Brot geteilt, jetzt sollst du mich neben dir auf der Bank rasten lassen.«

Der Geiger fuhr hoch. »Du hast die Brotwecken gefressen, die ich dir als Bote anvertraut habe. Wir stehen auf gleich miteinander.«

Der Wenz aber fürchtete sich vor den gefletschten Zähnen des Geigers nicht, sondern ließ sich langsam neben ihm nieder. Nun saßen die beiden, ohne einander anzusehen, und schwiegen lange.

»Die Landstraße läßt dich grüßen, Geiger.«

Der Cäsar wandte sich ab, besah den Schuh und fand etwas daran zu richten.

»Ich bin mit Beutlern und Richtern wieder weit im Böhmischen gewesen. Es sind aber zwei falsche Windhunde, die beiden. Kotz Teufel, daß es wahr ist! Sie haben gemeint, daß man bei Oboe, Klarinette und Trompete die Geige gar nicht viel misse.«

Der Geiger spie aus. Der Fladen flog bis vor meine Füße.

»Mir aber hast du gefehlt, Cäsar, du kannst es glauben.«

Der Trompeter zwinkerte traurig, als müsse er eine Träne hinter die Lider zurücktreiben. »Und der Marenka im Königgrätzischen hast du auch gefehlt, als wir ihr zur Hochzeit mit dem schwarzen Esel, dem Ondrak, aufspielen mußten.«

Da holte der Cäsar wortlos aus und gab dem Wenz eine Schelle. Der Wenz aber lachte und gab dem Geiger die Hand.

»Bist du endlich aufgewacht? Dann guten Morgen! Und daß du es weißt: Ich habe noch immer meinen Durst.«

»Der Brunnen ist im Hof.«

»Meinen Brunnen habe ich immer bei mir im Sack.«

Der Wenz zog eine Flasche aus dem Rock hervor. Ein graues Wasser klunkerte darin. Als sie der Wenz entspundete, gab sie einen Gestank frei, wie er damals dem Cäsar aus dem Mund gestiegen war, nachdem ihn der Pater in der Beicht gehabt hatte.

»Dreck!« sagte der Cäsar und rückte vom Trompeter ab.

Der aber rieb den Spund an dem Flaschenbauch. Das gab eine hohe Musik. Ziep, ziep! So geigt die Grille vor ihrem Loch, wenn sie an warmen Sommerabenden verliebt ist. Ziep, ziep! Und die Grille fuhr dem Geiger in den Hinteren. Er begann auf seinem Sitz hin und her zu wetzen.

Nun nahm der Wenz einen kräftigen Schluck und behauptete, daß der Schnaps ebenfalls Weihwasser sei, wenngleich er von keinem Pfaffen geweiht ist, aber der Herrgott habe dieses Wasser höchstselbst bereits dadurch gesegnet, daß er es wachsen ließ. Und der Wenz hub wieder mit dem Spunde zu ziepen an.

Aber diese verführerische Musik war nicht mehr nötig. Sobald der Name des Herrgotts ausgesprochen war, hatte sich das Gewissen des Mesners beruhigt. Er riß die Flasche an sich und machte ihr beinahe den Garaus.

Der Rest reiche noch hin, einem jungen Grasaffen die Gurgel zu waschen, begutachtete der Wenz, stellte die Flasche vor mich hin und meinte, als der Geiger abwehren wollte: »Der Junge ist stark und um eine Faust größer als du. Willst du ihn noch immer an der Brust halten? Deine Vatermilch ist bereits zu mager für ihn. Es ist Zeit, daß der Bube endlich an die Flasche kommt. Auch soll er zeigen, ob er schon reif zum Mannstum ist.« Unterdessen hatte der Wenz eine zweite Flasche irgendwoher aus dem Rock gezogen und sie zur Beschwichtigung vor den Geiger hingestellt.

Ich besah mir in meinem Winkel inzwischen die graue Flüssigkeit von allen Seiten. Sie kam mir gar nicht mehr so abscheulich wie anfänglich vor. Auch in ihrem Geruch war etwas, das in der Nase lockte. Vorsichtig versuchte ich einen Schluck, aber er brannte wie Feuer und wetzte die Kehle. Den Rest spie ich von mir.

»Das ist nur beim ersten Mal, Jüngferlein«, gröhlte der Wenz. »Hernach kommt schon die Süßigkeit.«

Der Wenz hatte recht. Es dauerte nicht lange, und es blieb an Stelle des Brennens ein liebliches Kitzeln auf dem Gaumen zurück, und rings um die Zunge kräuselte sich ein zuckriges Gefühl nach feinen Gewürzen. Schnalz, mein Zünglein, und dreh dich im Mund wie ein Dirnlein, das nicht zu stillen ist, wann sich auf dem Tanzboden die Geige rührt! Wenn es für einen Grasaffen so leicht ist, das Mannstum zu erwerben, will ich die Gelegenheit hierzu nicht verstreichen lassen. Man kann nicht wissen, ob sich so bald wieder eine bietet. Aber nur in kleinen Schritten will ich das Wachstum genießen! – – Unterdessen gab ich gut acht, was die beiden drüben beim Tische taten.

Zunächst saßen sie abermals stumm und schoben einander nur abwechselnd die frische Flasche zu. Eben war der Wenz wieder an der Reihe, aber er beachtete die Flasche plötzlich nicht mehr, sondern saß wie versteint und mit gefalteten Händen da. Er verdrehte die Augen gegen den Himmel und ließ die Mundwinkel trauern wie ein Hund, der ein Wurstende nicht erlangen kann.

»Was machst du denn für Zeug?« ermahnte der Cäsar. Der Trompeter seufzte vom Grunde auf: »Ich denke an mein christliches Teil. Es wird Zeit, daß man sich dessen besinne, denn es geschehen Zeichen für uns Musikanten.«

»Sobald ein Musikant ins Frömmeln kommt, ist es mit ihm schlecht bestellt. Dann ist er entweder alt oder ein Ochs geworden, oder es juckt ihn irgendwo das Kerbholz.«

Der Wenz maß den Cäsar vom Scheitel zur Sohle und entgegnete staunend: »Was mußt du bereits für ein Ochse geworden sein, wenn du es sogar bis zum Mesner gebracht hast!«

»Bei mir war das anders, verstehst du? Ich spreche von dir.«

»Also gut, reden wir von mir. – Und ich sage, daß Elendszeiten aufziehen. Der Bauer begehrt auf und will für eine fremde Herrschaft nicht mehr ackern. Mißwuchs war ringsum, und was trotzdem noch aus dem ausgesogenen Land kam, frißt der Brand oder zerstampft der Aufruhr. Es ist für einen Fahrenden kein Kupferling mehr locker. Unsereiner kann jetzt froh sein, wenn er still und ungeschoren in einem Straßengraben verrecken darf. Ist es dann ein Wunder, wenn auch ich mich nach Sitz und Dach umsehe und alles nehmen will, was und wo es sich bieten mag? – Ich bin nie ein schlechter Geselle zu dir gewesen, Geiger. Ich habe dich sogar jetzt von meinem letzten bißchen Weihwasser kosten lassen. Und so denke ich denn, dein Amt müßte noch ein paar Brosamen für mich abwerfen können, und ich bitte dich, Geiger: Nimm mich auf als deinen Subdiakon.«

»Du denkst wohl, mein Amt sei so leicht, daß eine jede Heuschrecke von der Wiese nur hineinzuhüpfen braucht? Es taugt nicht ein jeder dazu.«

»Ich will ja auch kein Mesner werden. Ein so großer Ochse, wie du, bin ich ja noch lange nicht. Aber für einen Subdiakon dürfte es bei mir schon langen.«

Der Geiger überlegte und versprach schließlich, die Angelegenheit mit dem Pater zu besprechen. Damit gab sich auch der Trompeter zufrieden und wurde wieder weltlich, das heißt, daß er wieder zur Flasche griff. Zwischen Schluck und Aberschluck erzählte er, wie sich das Volk zusammenrotte, und daß es die Robotschuldigkeit den Beamten und Bedienten, anstatt mit Schweiß auf dem Felde, lieber gleich mit barer Münze und mit Fäusten hinter die Ohren bezahle. Es seien zwar von den Herren und Ständen sogleich Soldaten rings um die Bauernrotten aufgestellt worden, damit keiner von den Aufständischen aus dem Königgrätzischen austreten und etwa in noch ruhigem Lande wiegeln könnte. Mit dieser Maßnahme hätten sich die Herren jedoch arg verrechnet, denn kaum, daß die Soldaten im Königgrätzischen den Ring geschlossen hätten, sei es in ihrem Rücken, im Bidschower Kreise, losgegangen mit Hatz und Huj. Die Kaiserin höchstselbst hätte den Clary und den Streruwitz angewiesen, Ordnung zu machen; aber selbst vor diesen hohen Herren und Grafen mit ihren Orden, selbst vor dem Standrecht, welches sie sogleich aufgerichtet hätten, seien die Bauern nicht zurückgewichen. Man pfeife auf die Grafen und speie auf die Orden, die bloß ein wertloses Brustblech seien. Der Gesandte des Clary sei alsbald auf einem Baum gehangen. Und der Streruwitz hätte seinen Legaten in einer Mistgrube ausgewaschen und dann mit Ruten wieder fein säuberlich geplättet zurückerhalten. Die Kreisämter und Dominien seien wie Vogelnester ausgenommen und kein Pieps werde jemals mehr daraus hervorkommen. Und die Schlösser und Burgen hätten auf den Bergen so hell gebrannt, daß man im Tale glaubte, der Mond hätte die Wochen hindurch das Abnehmen vergessen vor Staunen über das aufgewachte Volk. Alles sei bis auf die Keller hinab ausgebrannt, aber auch diese stünden leer, denn die Fässer seien alle herausgerollt worden.

»Wir ersoffen schier im Wein!« gurgelte der Wenz. »Wie steife Bockschläuche lagen die Bauern zu Haufen in ihres Leibes Unrat. Wer noch stehen konnte, hat sich eine Dirne gefangen und sich mit ihr in Trampler gewälzt. Bumbej, bumbej!«

Der Wenz bekam den Geiger zu fassen, riß ihn vom Sitze hoch und drehte ihn im Kreise.

»Bumbej, bumbej!«

Der Tanz stampfte über die Dielen und drosch auf meinen Schädel ein. Auch mein Winkel drehte sich mit mir im Kreise, immer rasender und toller, bis es mir Leib und Kopf an die Wand schleuderte, und ich daran wie eine zerklatschte Fliege kleben blieb. Aus weiter Ferne hörte ich noch den Wenz rufen:

»Mögen jetzt die Soldaten kommen! Wir rülpsen ihnen das Pulver von den Pfannen fort! Bumbej, bumbej!«

Plötzlich stand die Frau Mutter mitten in diesem Wirbel. Trotz meines Elends mußte ich lachen. Die Frau Mutter hatte sechs Beine wie ein Käfer und obendrein ein Dutzend Arme. Jeder Arm hielt ein Gewehr. Es konnten jedoch auch Besen sein, denn zum Fegen taugen Flinten schlecht. Und die Frau Mutter begann die Stube so gründlich zu kehren, daß die Stühle in alle Winde glitten und auch der Wenz mit einem Krach durch die Türe hinaus-, der Geiger hingegen in die Kammer hineinflog.

Nachdem auf diese Weise alles aufgeräumt worden war, ergriff die Frau Mutter den Eimer, den ich vom Spülicht zu leeren vergessen hatte, und stülpte mir ihn über den Kopf.

Von meinen Haaren troff es fettig herab, und an der Nase hing mir eine Kartoffelschale. Das Hemd klebte kühl an der Haut, und das tat wohl. Mit einem Mal fühlte ich mich wieder fest und auf einem ruhigen Platze sitzen. Mochte sich auch außerhalb meines Sichtfeldes die Stube weiterdrehn, so toll, als sie nur wollte, ich sah es nicht mehr und hatte mein sicheres Land. Je weiter auch die Sudel über meinen Rücken hinabrann, desto mehr der Beschwernis spülte sie aus meinem Schädel mit sich fort. Endlich hatte ich das Hirn wieder so weit, daß es zu einem Gedanken zu tasten vermochte. Zunächst stellte ich mit Freude fest, daß die Zunge, noch vor wenigen Augenblicken schwer und steif, sich wieder bewegen ließ, und daß sie, wenn sie über die Lippen strich, einen fettigen Geschmack verspürte, der in mancher Würzigkeit dem Schnaps nicht ganz unähnlich war.

Es scheint keinen großen Unterschied zwischen Mensch und Vieh zu geben, sann das Hirn. Was der Mensch aus Flasche oder Becher säuft, schlampt das Schwein aus den Eimern. Vielleicht unterscheiden sich die beiden bloß durch das Maß ihres Verbrauches.

Und da ich im Augenblick von der Flasche an den Eimer geraten war, erkannte ich plötzlich, auf welchem Standpunkte ich eben angelangt war, und entnahm als Folge dieser Erkenntnis für künftige Zeiten die Verpflichtung, die Zuchtsau des Rösselwirts nicht mehr so verachtungsvoll zu übersehen, sondern sie vielmehr als liebe Frau Tante und ihre Ferkel als Vettern und Basen achtbar zu begrüßen.

Ich war also ein Vieh.

Mit dieser in anderen Augenblicken an sich bedauerlichen Feststellung regte sich aber bei mir sogleich die Neugierde, die Welt einmal von diesem Standpunkte aus zu betrachten. Es verlangte aber die ganze Kraft der Lider, die Kruste des Unrats, der daran klebte, aufzubrechen und die Augen frei zu bekommen. Ich blickte in eine dämmrige Enge, die wie eine graue Binde Nebels ringsum lagerte.

Dieser spärlichen Entdeckung wegen wäre es gar nicht erst nötig gewesen, mich in ein Schwein zu verwandeln. Auch als ich noch ein Mensch war, wußte ich doch ebensowenig, was sich oberhalb meines Scheitels und hinter der Wand der Wolken befinde. Ist denn der Nachthimmel nicht ebenfalls so ein alter löcheriger Eimer, zu nichts anderem wert, als über die Menschen gestülpt zu werden wie ein Hut über die Weißlinge? Bloß daß sich aus dem Glitzern, das durch die Sternenlöcher dringt, ahnen läßt, daß es vielleicht irgendwo noch etwas anderes gebe: ein Außerhalb. Gibt es aber ein Wesen, das den Eimer hebt und die Menschen als befreite Weißlinge in jenes Außerhalb entläßt?

Blick also einmal nach abwärts, Spindlschwein! Vielleicht erfährst du von dort her mehr.

Der Rand des Eimers begrenzte ein kleines Feld und baute ein schmales Himmelsgewölbe über dem Horizont eines Bauches. Die ganze Landschaft war von Spülicht übergossen. Wie wenn mitten auf eine beschneite Landstraße ein Regen niederbricht und in dem weißlichen Schmelzbrei der Kot von Pferden und Rindern in Bewegung kommt, so schlämmte der Abfall in den Falten meiner Kleider mühsam nach abwärts. Nur ein Knopf an meinem Hosentor blitzte hellblank und sauber hervor.

Ich sagte mir, daß der Bauch und die Beine einem Menschen angehörten, und ich fühlte, wie mit dieser Feststellung allmählich meine Rückentwicklung aus dem Schweintum ins Menschentum begann. Noch eben an der Grenze zwischen diesen beiden Würden beschloß ich, mir das Erschaute wohl zu merken und die gewonnene Erkenntnis als eine reiche Ernte ins Menschentum mit hinüber zu nehmen.

Hier sei es geschrieben, und aus dem Vieh kommt mir das Wissen: daß wir Menschen töricht sind, wenn wir immer nur oberhalb unserer Scheitel nach etwas suchen, denn wir übersehen dabei, daß unser Leib besudelt ist, und die Füße im Unrat stehen. Oder wissen wir das alles etwa doch, und suchen wir eben deshalb oberhalb der Welt nach Sauberkeit? Dann mußten wir aber mit der Zeit doch bereits erfahren haben, daß ein solches Trachten vergeblich ist. Warum wenden wir uns dann nicht lieber auch einmal nach abwärts hin und versuchen, dort zur bescheidenen Freude, zu Lust, Trost und Erbauung in allem Unrat irgendwo einen blitzblanken Hosenknopf zu finden? Erscheint uns ein sauberer Knopf an einem Hosentor zu gering in unserer Ungenügsamkeit?

Da bin ich wahrlich ein anderer! Ich bleibe in den Ebenen meiner Welt, die mir von Gott begrenzt wurden, und ich weiß in aller Sudelei ein Glitzerding zu finden, mich daran zu freuen und den Glanz zu erkennen, den es von einem seligen Außerhalb widerspiegelt. Ich will innerhalb bleiben, innerhalb meiner und des Lebens, und nehme das Licht ohne Frage, von wannen es unter meinen Eimer kommt.

Jetzt weiß ich auch, weshalb heute nacht der heilige Urbanus unter dem Dache predigte, und ich bin ihm dafür dankbar, wenngleich er sich auch einer lieblicheren Zunge als gerade eines Totenbrettes hätte bedienen können; aber ein jeder spricht eben mit seinem eigenen Schnabel. Der heilige Urban ist ein wackerer Rufer zur Standhaftigkeit im irdischen Leid zur Erringung eines geistigen Lohnes. So ermutigte er einst die heilige Cäcilia, ihren Bräutigam und deren Bruder zur Festigkeit in allen Gefährnissen, und so wollte er wohl auch mich, den Cäsar und den Trompeter an eine gleiche Tugend ermahnen, um uns der Erkenntnis teilhaftig werden zu lassen, die er heute für uns bereit hatte.

Welche Lehre die beiden Musikanten aus dieser Predigt für sich gezogen haben, weiß ich nicht. Ihr Eindruck wird jedoch sicher nicht so tief gewesen sein wie der meinige. Ihnen wurden ja auch bloß die geringeren Martern des Bräutigams Valerius und des Tiburtius zuteil, und sie konnten bereits mit den Stockhieben abgehen. Ich aber erlitt ein Abbild der Marter der heiligen Cäcilia selbst. Denn wie die Heilige von den römischen Knechten in einem Kessel mit siedendem Wasser gehalten worden war, so steckte auch ich unter einem Eimer. Nachdem die Heilige unversehrt aus dem Kessel entronnen war, wurde sie freilich noch von den Henkern dreimal in den Nacken geschlagen. Diese Fortsetzung des Martyriums wollte ich jedoch nicht mehr über mich ergehen lassen. Für einen Unheiligen genügte der Eimer allein. Um den Hieben zu entgehen, blieb ich so lange darunter, bis der Frau Mutter die Lust am Schlagen vergangen wäre. Hatte es die Cäcilia einen ganzen Tag lang im Sudwasser ausgehalten, würde vielleicht auch ich im Sudelwasser noch ein Stündchen mehr überdauern.

Einer so löblichen Absicht voll, entschlief ich in einen brunnentiefen Schlaf.


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