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Zwei Tage später.

Der Leutnant will sterben, will sich eine Kugel durch den Kopf schießen, wenn mein Kind nicht im Mutterleibe verdorrt. Er steht an meiner Seite und redet unaufhörlich auf mich ein. Ich höre ihm zu. Kein Laut entringt sich mir. Die Mama – Else – er – der entsetzliche Skandal! … Lauter leere Worte, die mein Ohr nicht treffen. Gut, ich lasse euch alle – ich gehe weit fort, gehe über das Wasser und ziehe draußen in einer fremden Welt mein Kind groß. Ich liebe dieses Wesen mehr als mich selbst, bevor es noch geboren ist. Mein Kindchen soll es gut haben, ich reiche ihm meine weiße Brust, ich halte es hoch in die Luft und lasse es mit seinen Beinchen strampeln.

Wer sein Kind verleugnet, verrät Gott. Ich rufe mit lauter Stimme vor aller Welt wie mein Herr und Vater: Dieses ist mein liebes Kindchen, an dem ich Wohlgefallen habe. Und wenn ein unschuldiges, holdes Engelswesen bei den Menschen Ärgernis erregt – so mögen sie vor Scham die Augen senken, Mutter und Kind halten ihren Blicken stand.

Der Leutnant sagt, ich komme nicht einmal bis zu dem Schiff. Gut, so bleibe ich im Lande und führe meinen alten Plan aus und werde Komödiantin. Durch die Welt der Bretter weht eine freiere Luft. Jeder Mensch wird geboren mit tausend Verwegenheiten, mit ungezählten, bunten Trieben zum Bösen. Nur die Komödianten leben sich aus. Sie dürfen zwischen acht und zehn, wenn die Sonne untergegangen ist, die großen Verbrechen begehen, nach denen ihre Seele lechzt. Ich fühle, ich habe Talent zur Komödiantin – Komödie heißt Leben.

Der Leutnant schüttelt den Kopf. Auch diese Welt, so sagt er, ist für mich verrammelt. Bis in den letzten, engsten Winkel der Provinz verfolgen mich die Todesschatten von Mama und Else … Mama und Else überleben es nicht – und Walter – – –

Ich sinke in die Knie und stöhne – stöhne. Ich habe kein Mitleid mit den anderen – das Kind tut mir weh, mein Kindchen soll nicht die nackten Ärmchen um mich schlingen, soll nicht den Frühling – und nicht den Schnee auf den Bergen sehen! –

Reißt meinen Leib in Stücke, und verscharrt mich wie einen Hund abseits der Kirchhofsmauer – aber laßt das Kind, das zum Lichte drängt, leben –

Ich klammere mich für mein Kind an dieses Dasein, an das ich gebunden bin mit allen Kräften meiner Seele.

Der Leutnant zieht die Stirn in krause Falten und sagt: Tausendmal und öfter geschieht täglich, was er von mir fordert. Der Leutnant weiß in diesen Dingen derart Bescheid, daß mich ein Grauen überläuft. Mir stünde noch die ganze Welt offen, meint er, wenn das Kind nicht geboren wird. Ich pfeife auf die Welt!

Ich könnte zum Theater gehen …

Ich möchte die Hand gegen ihn erheben – ich habe genug Theater erlebt – – ich brauche nicht mehr auf die Bretter … Mögen andere sich mit bunten Fetzen behängen – und dem Gesindel Komödie vorspielen – ich bin am Ende, der Boden ist mir abgetragen. Es flimmert vor meinen Augen – die Kleider vom Leibe – das Totenhemd angezogen – der letzte, schwarze Vorhang fällt … Gute Nacht, mein süßes Kindlein – ich küsse dich auf deinen Rosenmund – ich lasse dich nicht, über uns beide der nämliche Hügel …


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