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Grete Senz war im Hause ausgeschaltet. Wenn Mutter und Schwester die Ausstattung ordneten, die neue Wäsche mit blauseidenen Bändern verschnürten und sie stoßweise auftürmten, empfanden sie ihre Anwesenheit beinahe als störend.
Die beiden hatten sich so viel zu erzählen, daß jedes andere Interesse dagegen zurücktreten mußte. Sobald sie einmal im Arbeitszimmer erschien, stockte sofort die Unterhaltung, und deutlich glaubte sie wahrzunehmen, daß Mutter und Schwester ordentlich aufatmeten, sobald sie ihnen wieder den Rücken kehrte.
Else Senz mied die Jüngere; sie fürchtete ihre Blicke und ahnte, was in ihr vorging. Sie fühlte sich ihr gegenüber dreimal schuldig und zählte die Tage bis zur Heirat, denn das Zusammenleben wurde von Stunde zu Stunde unerträglicher.
Und Grete flüchtete zu meiner Schwester, um an ihrem Herzen sich auszuweinen. Und wenn sie bei ihren Leuten eine eisige Miene aufsetzte und sich mit Hohn und Spott panzerte, um ihren Schmerz zu verbergen, so war sie außerstande, vor der Freundin ihre leidenschaftliche Verbitterung zurückzuhalten.
»Ich gehe ins Wasser – ich halte es nicht aus,« sagte sie ein über das andere Mal. »Ohne mit der Wimper zu zucken – gehe ich mitten durch die Spree, ich gehe aufrechten Hauptes mit langsamen Schritten, bis das Wasser über mir zusammenschlägt.«
Was litt nicht meine Schwester unter diesen Ausbrüchen eines außer Rand und Band geratenen armen Herzens.
Und auch Frau Senz und Else klammerten sich an sie an, machten sie zu ihrer Vertrauten und jedes nahm ihr das Versprechen ab, gegenüber der anderen Partei das tiefste Schweigen zu bewahren.
Meine Schwester geriet durch dieses Hin und Her in einen solchen Zustand der Erregung, daß sie selbst äußerst reizbar wurde und bei geringfügigen Anlässen plötzlich zu schluchzen begann. Sie war mit der Familie Senz in einer Weise verwachsen, daß sie das Leid dieser Menschen wie ihr eigenes empfand.
Wie die Umstände nun einmal lagen, wurde es von allen Seiten geradezu als eine Erlösung betrachtet, als Polizeileutnant Dorn eines Tages kategorisch erklärte, es ginge so nicht weiter, seine Braut sähe wie ein Schatten aus und müßte unbedingt das Haus verlassen, um sich von den Sorgen und Kümmernissen, die sie durchlebt, wieder zu erholen. Auch müßten ihr die Aufregungen des bevorstehenden Prozesses erspart werden. Er hielte es für das beste, wenn sie die Zeit bis zur Verheiratung bei seiner Tante in Anklam zubringen würde, die Else auf die herzlichste Art zu sich eingeladen hatte.
Obwohl Else Senz anfangs heftig widersprach und sich von dem geliebten Manne nicht trennen wollte, gab sie doch nach, denn sie fühlte sich zerbrochen und stimmte der Mutter im stillen bei, daß es ein Verbrechen gegen Polizeileutnant Dorn bedeuten würde, mit einem elenden Körper ins Ehebett zu steigen. So fuhr sie eines Morgens vom Stettiner Bahnhof zur Tante nach Pommern.
Polizeileutnant Dorn hatte sie zur Bahn gebracht, während Frau Senz in zarter Rücksichtnahme zu Hause geblieben war.
Es gab einen rührenden Abschied, und der Leutnant winkte noch mit dem Taschentuche, als der Zug die Bahnhofshalle bereits verlassen hatte. Dann drehte er sich militärisch auf dem rechten Hacken um, atmete tief auf und stieß ein kurzes »Äh« hervor. Auch der Brautdienst begann ihn ein wenig zu ermüden.
»Na, muß man in den Kauf nehmen,« murmelte er vor sich hin, »und nun hat die liebe Seele ein paar Wochen Ruhe.«
Er fuhr mit der Taschenbürste durch seinen martialischen, blonden Schnurrbart, steckte sich dann eine Havanna in Brand – und winkte einer Droschke erster Güte.
»Fahren Sie mal zum Café Bauer,« kommandierte er; »aber ein bißchen dalli,« setzte er hinzu und lehnte sich in die Kissen zurück.
Er wollte noch die Morgenblätter durchfliegen, vielleicht fand er wieder ein paar pikante Notizen über diesen gottverdammten Prozeß – und einen Kognak wollte er genehmigen, bevor er sich ins Revier begab. In sechs Wochen war er ein freier Mann, und das Hundeleben hatte ein Ende … Als Mitchef der Firma würde er sich nicht übermäßig anzustrengen haben, die Karre ging ja sozusagen von selber …
Polizeileutnant Dorn lächelte plötzlich. Er sah das blasse, ovale Gesicht der jungen Schwägerin, die ihn aus tiefernsten Augen anblickte … Was wollte sie nur von ihm?! …