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18

Wenn Polizeileutnant Dorn nur gewußt hätte, für welches der beiden Mädchen sein Herz höher schlug. Traf ihn ein Blick aus dem schwermütigen Auge von Else Senz, so hätte er schwören mögen, sie sei die Auserwählte. Und wenn Margarete – einer leichtfüßigen Gazelle nicht unähnlich – ihm mit leiser Koketterie zulächelte, so wurde er ganz verwirrt und fand sich in dem Labyrinthe seiner Seele nicht mehr zurecht. Ein Hochgefühl schwellte ihm die Brust. Ging er mit den beiden Mädchen auf der Straße, so trug er den Kopf höher, und seiner Manneseitelkeit tat es wohl, wenn die Menschen hinter den schönen Geschöpfen her blickten.

Gab es noch einmal Wesen von solchem Liebreiz? – Glichen sie nicht zarten Knospen, die, vom Morgentau geküßt, aufzublühen sich sehnten?

Sollte er nach rechts greifen oder nach links? Else Senz – so hatte er es im Gefühl – würde die bessere Hausfrau werden und auch für sein leibliches Wohl treuer sorgen.

Aber mit Grete Senz konnte sich das Leben amüsanter abwickeln – sie war ein Racker, wie man so zu sagen pflegt.

Kommt Zeit, kommt Rat – dachte Polizeileutnant Dorn. Nur nichts übereilen! Wer wartet, dem fällt die reife Frucht in den Schoß.

Auf dem Revier zeigte er seinen Leuten ein gut gelauntes Gesicht, und der Wachtmeister bekam zuweilen sogar eine Zigarre zugesteckt. Das Glück machte ihn gütig. Deutlich glaubte er zu fühlen, wie er ein besserer Mensch wurde.

Zwischen die beiden Mädchen, die sich bis dahin zärtlich geliebt hatten, begann sich plötzlich eine Mauer zu schieben. Jede von ihnen drängte nach einer Aussprache mit der anderen, und beide schreckten ängstlich davor zurück. Sie standen sich auf einmal als Rivalinnen gegenüber. Das schwesterliche Empfinden hatte einen Stoß erhalten. Sie fühlten es und schämten sich bitter.

Meine Schwester Helene, die von beiden die Vertraute war, erlebte dieses Herzeleid mit und machte sich darob schwere Sorgen.

Auch Frau Senz wurde unruhig. Sie hätte ja als Mutter eingreifen können, wenn man über Polizeileutnant Dorns Neigung etwas klarer gewesen wäre. Er verkehrte jetzt täglich im Hause, und alle Zeichen deuteten darauf hin, daß er sich demnächst erklären würde. Es fragte sich nur noch, auf wen die Wahl gefallen war.

So herrschte bei allem Glücksempfinden im Senzschen Hause doch eine unbehagliche Stimmung, die durch das geheime Ringen der Schwestern noch gesteigert wurde.

Polizeileutnant Dorn spielte mit Behagen die interessante Rolle. Er war unversehens zum Helden eines Dramas geworden. Er hatte das Schicksal zweier Seelen in seinen Händen. Über Leid und Freude konnte er entscheiden.

Der Mensch ist das Ebenbild Gottes – dachte er bei sich. Aber je weiter die Tage vorrückten, desto banger wurde ihm vor seiner Gottähnlichkeit. Einmal überlegte er, ob es nicht das Gescheiteste wäre, zu einer Kartenlegerin zu gehen, oder zu einer jener alten Frauen, die aus dem Kaffeesatz oder dem Schaume eines Eies die Zukunft prophezeiten. Er gab es auf. Man war doch schließlich als moderner Mensch mit solchem Aberglauben fertig. Immerhin – an den Knöpfen konnte man es ja abzählen. – Gerade für Else – ungerade für Grete.

Nun war das Dumme, in der Uniform entschied das Los für die Ältere, im Bratenrock dagegen für die Jüngere. Wie man es anstellte, war es falsch. Er konnte doch sein Amt nicht vom Privatleben und das Privatleben nicht vom Amte trennen. Es war schon ein Kreuz, das er auf sich geladen hatte …

Eines Abends zogen sich die Mädchen schweigend in ihrem Zimmer aus, um schlafen zu gehen. Sie saßen in ihren weißen Nachthemden vor den Toilettenspiegeln und kämmten sich die Haare. Meine Schwester Helene war noch bei ihnen und las still in einem Buche. Kein Wort wurde unter den Freundinnen gewechselt. Ohne daß die eine bei der anderen es gewahr wurde, suchten sie sich gegenseitig im Spiegelbilde zu entdecken. Jede tat es auf eine verstohlene Art und wollte aus den Zügen der anderen lesen.

Meiner Schwester wurde bei diesem Treiben unbehaglich zumute. Sie schämte sich, daß die beiden Heimlichkeiten vor einander hatten und gegenseitig auf der Lauer lagen. Weniger vertraulich als es sonst ihre Art war, verabschiedete sie sich.

Viel später erst erfuhr sie, was sich in dieser Nacht zugetragen.

Die Schwestern saßen noch eine geraume Weile stumm wie die Fische vor ihren Spiegeln und kämmten ihre Haare. Mochten wohl mehr Zeit und Mühe als gewöhnlich darauf verwenden, immer in dem Gedanken, es müßte jetzt zu einer offenen Aussprache kommen. Endlich ging die Jüngere in ihr Bett, zog die Decke über den Kopf und mühte sich, einzuschlafen.

Else Senz ließ noch ein Weilchen das Licht brennen und starrte in das Spiegelglas, die Hände kummervoll gefaltet. Dann löschte sie mit einem tiefen Seufzer das Licht aus und suchte ebenfalls ihr Lager auf. Sie hörten gegenseitig ihr unruhiges Atmen, und eines wußte von dem anderen, daß es vergebens den Schlaf herbeisehnte. Plötzlich schrie Grete Senz schreckhaft auf, denn die Schwester war zu ihr ins Bett gestiegen, umschlang mit den weißen Armen ihren Körper und schluchzte an ihrem Hals.

Grete Senz hörte, wie ihre Pulse klopften.

»Was hast du denn?« fragte sie leise. »Sprich dich doch mit mir aus.«

Bei diesen Worten fühlte sie einen wunden Schmerz in der Brust und wagte kaum zu atmen.

»Gretelchen, liebes Gretelchen,« schluchzte die Angeredete, »nimm ihn mir nicht – du darfst ihn mir nicht stehlen – ich käme nicht darüber weg.«

Nun war es gesagt, und sie harrte angstvoll der Antwort.

Grete Senz' Seele rang mit ihrem Leid. Sie fühlte den Schmerz der Schwester, und sie vernahm deutlich, wie in ihr selbst etwas klirrend zerbrach.

Sie streichelte sanft die Ältere, während ihre Augen erloschen waren.

»Ich denke nicht daran, ihn dir fortzunehmen. Ich weiß, daß du ihn viel lieber hast als ich, und ich fühle, daß sein Herz dir gehört.«

»Ach Gretel, ist denn das deine wahre Meinung? Und opferst du dich nicht für mich?« fragte sie schmerzhaft.

Die Jüngere küßte sie stumm auf die Stirn. Aber ihre Lippen waren kalt.

»Laß uns jetzt schlafen,« sagte sie. »Und gebe Gott, daß er dich so glücklich macht, wie du es verdienst.«

Wie ein gehorsames Kind folgte die Ältere.

Grete Senz tat in dieser Nacht kein Auge zu. Sie wimmerte lautlos in sich hinein, grub ihre Fingernägel in die Kissen und zwang gewaltsam ihren Kummer nieder.


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