Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Sayónara . . .

In diesen Tagen, in denen ich mich anschicke, Japan zu verlassen – es sind die ersten Tage des April –, fangen die Kirschbäume an, einen zarten Schimmer, eine leise duftige Wolke um ihre Kronen zu weben. Jetzt, zur Zeit der jungen Kirschblüte, muß ich fort! Aber schon habe ich die weißen und rötlichen Blüten der Pflaumenbäume fallen, den noch winterlicher Rasen mit zarten süßen Tönen sprenkeln sehen.

Von allen Sprachen, die ich kenne, hat die japanische die schönsten Worte, die lieblichsten, für den Begriff des Dankes und den Begriff des Abschiedes. Sie beide liegen mir auf den Lippen, während ich die letzten Stunden in diesem nur so flüchtig, ach nur so flüchtig genossenen Lande verlebe. Langsam gehe ich durch die Straßen Kyotos, sehe die auf hölzernen Getas dahintrippelnden bunten, zarten Frauen mit ihren purpurroten Babys auf dem Rücken, bleibe vor den vielen 339 Läden stehen und blicke nochmal auf die naive spielerische Lieblichkeit der tausend Sächelchen, die japanisches Gewerbe, wirklicher Kunst am nächsten verwandt, darbietet. Ein paar kleine Masken kaufe ich mir, aus Elfenbein, Holz, Lack, ein paar schimmernde Brokatfetzen, um sie zu Hause auf mein Sofa zu legen. Der Zauber Japans, die Lieblichkeit, die Buntheit, die Atmosphäre dieses merkwürdigen, widerspruchsvollen Landes, aufgefangen in ein paar kleinen geschnitzten Gegenständen, ein paar im Winde wehenden losen Stoffetzen . . .

 

Arigato: dank dir! du holdes Land. Schwer wird es mir, dich zu verlassen. Die zierlichen Frauen, den verschwimmenden, wie ein Hauch sich auflösenden See Biwa, der sich hier in der Nähe, mit Tempeln, Toriis, Brücken, Büschen weithin erstreckt. Von allen widerspruchsvollen Dingen, die diese Wochen in Japan bargen, bleibt mir die Schönheit, die Anmut, die Kunst des Landes in der Seele zurück. Gern vergesse ich, was sich darunter verbirgt, das Menschliche, das Zumenschliche, das Unzulängliche, die Not der Welt.

 

Bunt wehen die Fahnen der engen Theaterstraße Kyotos. Hier sind die großen Holzbaracken, in denen die leidenschaftlichen Spiele aus japanischer Vergangenheit agiert, gesungen, getanzt, mit zarten, heiligen Bewegungen zelebriert werden. Buden, in denen Märchen erzählt werden. Buden, in denen komische Kerle allerhand abenteuerliche Kunststückchen dem naiven Publikum vorführen. Die großen, soliden, prunkvollen Kinos, die eine besondere Anziehungskraft ausüben.

Aber in den kleinen Seitengassen dieser selben engen Theaterstraße stehen Tempel, in denen, mit der bei religiösen Verrichtungen üblichen Höflichkeit der Gesten, vorübergehende Männer und Frauen ihre Andacht der Gottheit bezeugen. Kerzen brennen vor Buddhastatuen. Von mächtigen Glocken hängen dicke Hanfseile herunter, die man vor dem Gebet rührt, damit die Gottheit auf die Anwesenheit des Beters aufmerksam werde. Priester beschreiben und verkaufen Zettel, die an die Zäune und Säulen des Tempels geheftet werden. Auch kleine süße Kuchen als Opfergaben.

Neben einem solchen Tempel, der von vielen Passanten der Theaterstraße aufgesucht wird, sehe ich eine kleine offene Halle stehen. Dort 340 befindet sich, auf einem beträchtlich über das Straßenniveau erhöhten Podium, eine Anzahl von Steingutvasen, in denen Blütenzweige und Blumen sich befinden. Die Gläubigen, die Beter drängen sich vor dieser Schaustellung, mit andachtsvollen Mienen, stumm und ehrerbietig. Ihre Blicke schweifen von einer Vase zur anderen, von einem Blütenzweig zum anderen. Fast mit derselben Andacht schauen sie auf diese zarten Wunder des japanischen Frühlings wie auf die Götter in den Tempeln nebenan. Die Schönheit, Anmut, mit der diese Blumen, diese blühenden Zweige sich über den Rand der Vase biegen, die Kunstfertigkeit, der hohe Geschmack, der die Zweige in dieser Form und nicht anders gezüchtet, gebogen, hergerichtet, zur Schau gestellt hat, erweckt in dem andächtig Dastehenden ein Gefühl, das kaum mehr mit ästhetischem Genuß bezeichnet werden kann. Schon in Kamakura, angesichts des wunderbaren grünbronzenen Riesendaibutsu, habe ich es empfunden, als ich auf die wunderbar gruppierten und gekappten Bäume rings um das Heiligtum blickte: wie sich die Verehrung und Liebe des Japaners zu den Pflanzen mit seinem religiösen Empfinden berührt – daß in dem Charakter dieses Volkes sich eine wunderbare Einheit des Ästhetischen mit dem Religiösen vollzogen hat. Lange werde ich noch an das Nebeneinander des kleinen Tempels und der kleinen offenen Halle mit den Vasen und Blütenzweigen bei der Kyotoer Theaterstraße denken müssen.

Vielen Ländern sagte ich schon Lebewohl in meinem Wanderleben. Vor Monaten noch, als ich von Kalkutta, nach kaum zehn Wochen Indienreise, abfuhr, war es mir weh ums Herz, daß ich das Wunderland so bald verlassen mußte. Was soll ich aber nun sagen, da ich mich nach kaum fünf Wochen anschicke, dieses Land, das sich bald mit dem Duft und zarten Schimmer seiner Kirschblüte bedecken wird, zu verlassen?

Lebewohl heißt auf japanisch »Sayónara«. Welch ein wunderlich wunderbarer Klang, wehend, verwehend wie ein schmales, weißes, von lieblicher Frauenhand leise geschwungenes Seidentuch.

Sayónara, du schönes Land . . .

Sayónara! 341

 


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