Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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Japan

Blick aus dem Hotelfenster

An einem nebligen Vorfrühlingsmorgen fahre ich, von Korea kommend, über die sinistre Seestraße Tschuschima nach Schimonoseki in Japan hinüber. –

Neblige Inselberge schwimmen in der Bai. Vor dem Hotelfenster taucht ein Hügel im Morgennebel auf, mit einer dünnen Kette schräg wie hingeweht getuschter Föhren; flache Kronen, der dürre Stamm von harter Faust zur Seite gebogen – der Hügel selber ist nur in der Kontur erkennbar, schwärzlich und schwach einem durchsichtig grauen Hintergrund auflasiert. Luft geht durch den Hügel durch, die Bäume nur haben so etwas wie Realität – das ist Japans Atmosphäre, sein Realismus, sein Stil: Japans Kunst!

Später steht die Sonne über der Bucht, steht im Nebel da, den sie rötlich färbt, sie ist halbiert wie ein purpurner Fächer. Der Hügel kleidet sich ebenfalls in die Farben der Wahrscheinlichkeit, die Föhren nur bleiben verkrümmt, dunkel und sehen wie Pilze aus, mehr wie dunkle Fliegenschwämme als Bäume. Das sind ja die wechselnden Ansichten der japanischen Künstler – die Ansichten der japanischen Landschaft von Hiroschige – die vielen Bilder, wir kennen sie seit den Goncourts! Und ich stehe am Fenster, bin noch gar nicht unten in Japan gewesen, habe aber schon gefühlt, was mich Europäer mit Japan verbindet.

Es wäre unmöglich gewesen, die japanische Kunst in unser Kunstempfinden einzuschmuggeln, wäre nicht im Grunde eine so starke Wesensverwandtheit zwischen uns und diesem Volk im fernen Osten, gegenseitiges Entgegenkommen, kulturelle Verbundenheit, Gleichheit der Geschmacksgesinnung. Wir Europäer sind in diesem Fall die Empfangenden, die Japaner aber die Benachteiligten – denn was sich an europäischem Ungeschmack, europäischer Dutzendware, Fabrikschund auch der Sitten in dieses kultivierte Land des Ostens, das sich dem 298 Westen nur zu leicht assimiliert, eingeschmuggelt, eingefressen hat – nun davon später!

Japans Stil war in der Atmosphäre Whistlers, als er die Battersea-Brücke malte, die in der Londoner Galerie hängt. Whistler hat Japan nicht nachgeahmt, es schwebt in diesen beiden Inselreichen, im Westen, im Osten, tatsächlich etwas Gleiches in der Atmosphäre. –

 

Als ich zum erstenmal, es war vor dreißig Jahren, norwegische Frauen kennenlernte, erkannte ich: Ibsens seltsame Charaktere sind realistisch gesehene, in die Atmosphäre des Nordens gestellte Abbilder realer Menschen. Stil ist das eindringliche Verspüren, die restlose Wiedergabe der Atmosphäre.

 

Die kleine japanische Stadt, Holzhäuschen, sauber und putzig, gelb und grau, auf kotige Straßen endlos hingepflanzt, niedere Dächer, Stroh, Binsen, gelbgrau, hellgrün. Hoch über den niederen Straßen gelbe Erdbrüche in entzweigeschnittenen Berglehnen. Darüber das stumpfe Dunkelgrün der Föhren. Tiefer unten auf den Wegen: graue Steintore, die Torii, auch rotlackierte Pforten, vor grünem Busch und Laub und Hainen, in denen sich ein Heiligtum befindet.

Innen im Lande sauber gerichtete schnurgerade gereihte Reisfelder. Die schöne Binnensee, aus der sich Bergkegel durchsichtig grünlich-braun in blaugrau stählern schimmernden Gewässern widerspiegeln. Weiter draußen Kriegsschiffe, die manövrieren, Fesselballons hoch in der Luft, ziehende Wolken, nur in den oberen Schichten leicht violett getönt – o du mein wunderbares Hiroschige-Bilderbuch daheim im Schrank!

 

Und hier im Hotel, und draußen in den Straßen, und im rollenden Zug, und in den kleinen und großen überwältigend niedlichen Ortschaften, zwischen den gelbgrünen flachen Häuserchen, den grünen, zart erbsengrünen Feldern, dem dichtdumpfgrünschwarzen Wald: liebliche kleingewachsene bunte trippelnde Frauen, das Baby huckepack auf den Rücken gebunden, ein langschwarzhaariger Kinderkopf hängt auf die Schulter der dahintrippelnden bunten Mama, zwei krebsrote Patschhändchen halten sich am Halse der Mama fest, ihre wunderbar 299 komplizierte turmhohe geschwungene Frisur gerät dabei keineswegs in Unordnung . . . das klappernde Fürbaßgetripple auf Holzgestellen, kleinen zierlichen Pantinen, deren Geräusch der Ton der japanischen Stadt ist . . .

 


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