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Japan lebt, uralt und doch neu, in frischen Farben und doch von Urzeiten her, in seinen tausend Tempeln bis auf diesen Tag weiter.
Für den Europäer ist der Besuch der Tempel Japans keine Kleinigkeit. Nur selten findet er gegen Trinkgeld Filzpantoffel oder Stoffhüllen vor, in die er samt seinen Schuhen hineinschlüpfen kann. Zumeist muß er schon im Freien seine Schuhe ablegen und auf Socken durch die eiskalten Räume der Tempel laufen, über Binsenmatten, Holzböden und auch Marmordielen, Der Japaner hat es leicht: er trägt keine Schuhe, nur Socken, braucht seine Zehen nur aus der Schnur seiner Holzpantine herauszuziehen und ist sofort tempelfähig. Bei dem Europäer heißt es: Schuh ab, Schuh an, Schuh ab, Schuh an, – wie in China beim Besuch der Tempel: Tasche auf, Tasche zu, Tasche auf, Tasche zu. Fahre ich wieder einmal nach Japan, so nehme ich beizeiten ein Paar Filzpantoffel für die Tempel mit, außerdem aber auch noch Messer, Gabel und Löffel für das Restaurant, in dem es nur Stäbchen 309 gibt, überdies Klappsessel für die Theater, Kinos und Teehäuser, in denen man mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden zu hocken gezwungen ist.
Doch welch herrliche Tempelkunststätten auch im Freien! (doppelt genußreich, weil man hier die Schuhe nicht abzulegen genötigt ist!).
Das Grab der siebenundvierzig Ronin auf dem Hügel bei Tokyo, kleine Steine, vor jedem Grab ein Opferstein, ein Becken mit verbrannten Opferstäbchen, qualmend noch, daneben in Steingefäßen ein kunstvoll gezogener blühender Zweig! Alte feudale Tradition, und doch wie sehr an unseren Friedrichshain mit den Gräbern der Revolution gemahnend!
(Dann auch jener pathetische Bezirk auf der kleinen Insel der 32 000 Verbrannten!)
Daibutsu, der große Buddha, sitzt, aus patiniertem Grün gegossen, inmitten wunderbarer, künstlich gezogener und künstlich beschnittener, künstlich verbogener Laubbäume, grün in grün, im Orte Kamakura bei Yokohama. Der weise Bronzegötze, da sitzt er, das heilige Langohr, seine herrlichen Daumen berühren sich in tiefem Wissen um das östliche Geheimnis der Welt, so wie sich auf jenen Fresken im Vatikan der Finger Jahwes ausreckt nach dem ihm entgegengereckten Finger des erwachenden Adam.
Händereibend, in die Hände klatschend stehen die Gläubigen im Gebet vor den Götzen ihres Glaubens. Sie rühren das dicke Seil, das von den schweren Bronzeglocken herunterhängt. Der Götze soll durch ihren Klang von der Anwesenheit und dem Gebet des Gläubigen unterrichtet werden. Welch galante Formen der Gläubigkeit, welche höfliche, sozusagen höfisch gesittete Anbetung, die man in Japans Tempeln wahrnimmt! Sie hat nichts mit dem geräuschvollen, unüberzeugten Hin und Her in den verfallenden Tempeln Chinas zu tun, die Marktbuden, Garküchen, Teehäusern ähnlicher sehen als Stätten des Gotteskultes. Und doch will es mir scheinen, daß der Buddhismus in Japan, inmitten dieses lebenbejahenden Volkes, völlig deplaziert ist. Wenn man die wunderbaren Kunstwerke betrachtet, die Japans Tempel darstellen, so kommt man zur Auffassung, daß der Schönheitskult im Mittelpunkt des japanischen Lebens stehen muß, soweit er sich mit 310 dem religiösen Bedürfnis des Volkes deckt. Nicht anders, als es etwa bei den Griechen der Fall war. Der japanische Tempel ist liebevoll gehegt, immer erneut, die Götterstatuen restauriert, der Lack kunstvoll frisch aufgesetzt, die Binsenmatten immerdar sauber gefegt, kein Stäubchen, kein Verfall, Pietät und verspielte Freude an dem geringsten Detail dessen, was im Tempelbezirk erhalten ist.
Sauberes ordentliches Volk – und doch haltlos, und doch zerrissen zwischen seiner ungeheuren Tradition und dem Trieb, dem faszinierend Neuen des europäischen, des amerikanischen Heute zu unterliegen.