Arthur Holitscher
Das unruhige Asien
Arthur Holitscher

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»Imponderabilien«

Bin Gorion, der Arbeiterführer, hatte schon recht, wenn er von Imponderabilien sprach, die allen Dingen Palästinas eigen sind. Es ist wohl nicht ungefährlich, wie schon gesagt wurde, mit Imponderabilien rechnen zu wollen, wenn es sich um politischen, um ökonomischen, um Klassenkampf handelt. Denn diese Kämpfe entwickeln sich nach Gesetzen, die ihre Wurzeln in der Erfahrung haben. Aber es ist wahr, die Imponderabilien Palästinas bestehen, und sie weisen auf etwas Mystisches, Ungekanntes, Unergründbares hin, auf Quellen des Glaubens, auf den Blick, emporgewandt zum Überirdischen, vielleicht auf ein heißes, nur halb verstandenes Gebot, das den offenen, reinen, empfänglichen und empfindsamen Menschen wandeln und wandern heißt.

Auch in dem Kampfe, den solch reine und starkgläubige Menschen 67 vielleicht schon bald mit dem Element Tel Awiw werden ausfechten müssen, wird es Imponderabilien geben – ich erwähnte auch dies schon: daß der Arbeiter in dem hereinwandernden Spekulanten immer noch den Bruder, den Palästinasüchtigen erblicken und achten will . . .

Vollständig verkehrt ist es aber, Palästina, wie das manche superklugen Leute meinen, als politisches, ausgesprochen politisches Problem aufzufassen und sonst als nichts. Die Neunmalweisen meinen, Palästina sei eben als letzter Ausläufer Europas zu betrachten und spiele in der Politik der Welt die Rolle des Vorpostens der europäischen Zivilisation. Europa soll am Jordan enden, Asien aber jenseits des Jordans beginnen. Nichts ist verkehrter. Palästina ist Orient. Der palästinensische Jude, er mag kommen, woher er wolle, hat tief in seinem Wesen das Mystische, die Gnade, das gefährliche Element und Erbe des Orientalen empfangen. Immer klarer führt die Entwicklung der Gesinnung in Palästina den Beweis für diese im »Exil« vergessene Tatsache. Wenn es aber verkehrt ist, die Juden in Palästina als ein fremdbürtiges, daher mit besonderem Maßstab zu messendes Element, ein europäisches, nach dem Orient verschlagenes Volk, etwa wie die Engländer in Indien, die Franzosen in Algier, zu betrachten, so ist es noch unsinniger, ja es grenzt an Psychose, wenn man gewisse Leute beobachtet, die in Palästina sich gebärden, als wären sie die Herren des Landes, als bildete nicht das arabische, mohammedanische, autochthone Volk hier die erdrückende Majorität!

Hört man Führer des Zionismus sagen: sie wollten sich nicht damit begnügen, hier ein paar Gartenstädte, eine Universität zu errichten, Palästina müsse die Heimstätte des jüdischen Imperialismus werden –, so läuft's einem bei solcher Faselei kalt über den Rücken. Und was soll man dazu sagen, wenn einem eine solch erstaunliche Meinung unterläuft: Arabien sei achtunddreißigmal so groß wie Palästina, es sei daher absurd, daß sich die Araber gerade auf dieses kleine Land versteiften – mit anderen Worten, die Araber sollten doch ein Einsehen haben und das Feld räumen!!

Vorstellungen dieser Art sind so lächerlich, wie sie gefährlich sind.

Die Araber sind den Juden, ich hörte es Kenner äußern, gar nicht feindlich gesinnt. Wären die Juden in Palästina nicht Zionisten, das heißt von Gnaden Balfours Nutznießer, Protegés und Werkzeuge des 68 englischen Imperialismus, so könnten sie sich, so sagen die Kenner, mit den Arabern gut verständigen, vertragen. Aber als Keil, den England zwischen den ägyptischen und den arabischen Nationalismus, das heißt den Befreiungswillen des ägyptischen und des arabischen Volkes getrieben hat, ist der zionistische Jude ein Fremdkörper im erhitzten Fleisch des Volkes im nahen Orient. Da nützen Vorschläge wie die Kalvaryskis: man möge gemeinsame jüdisch-arabische Klubs gründen, nichts, und das Hirngespinst Ruppins: von einer Kreuzung und Amalgamierung des eingewanderten Juden mit dem eingeborenen Araber, platzt gar wie eine Seifenblase und hinterläßt üblen Duft.

Zudem weiß der Araber sehr genau, daß der palästinensische Jude in einem Waffenkampf, bei der schwer zu vermeidenden Auseinandersetzung zwischen England und Asien, obzwar ihn laut Mandat des Völkerbunds kein Gesetz dazu zwingt, unbedingt und mit voller Hingabe auf der Seite Englands gegen Asien stehen wird. Und das verbessert selbstverständlich das Verhältnis keineswegs.

Zudem sind dem primitiven Araber die Methoden der Landwirtschaft, die Formen der Gemeinschaft, die der Jude ins Land gebracht hat, peinlich und verhaßt. Er ist bei seinen jahrtausendealten Methoden stehen geblieben und wird sie nicht aufgeben um einer importierten technischen Gesinnung willen, die seine innerste Seele nicht berührt.

Wird man Palästina endlich als das zu erkennen suchen, was es eigentlich ist – nämlich die Heimat der Religionen, das Land, das die Religionen geboren hat und das den Trieb zur Religion in jedem, der innerhalb seiner Grenzen lebt, entfacht und stärkt! Vielen, die ich hier wiedersah, hat sich diese Erkenntnis zwingend mitgeteilt, und meinen stärksten Eindruck verdanke ich der Beobachtung dieser Tatsache. Als Sozialist muß ich eine derartige Entwicklung beklagen, als Juden ergreift sie mich mit Gewalt. Handelt es sich aber um praktische Orientpolitik, so muß man wiederholen, daß die Russen, das europäisch-asiatische Volk, allein es verstanden haben, daß die Völker Asiens bei ihrem stärksten, dem bestimmenden religiösen Instinkt zu fassen seien. Dies trifft insbesondere bei den Mohammedanern zu. Die Russen, die die Religionsübung innerhalb ihres Riesenreichs zu unterbinden suchen, benutzen als kluge Politiker das religiöse Moment bei der Verfolgung ihrer Ziele im Orient, der auf verhängnisvolle Weise in Bewegung 69 geraten ist. Völker, die anderen Erdteilen entstammen, die sich in Vorderasien halten und bewähren wollen, müssen sich mit der Macht des mohammedanischen Bekenntnisses auf eine oder die andere Weise auseinanderzusetzen suchen.

 


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