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Fuji, der heilige Berg, leuchtet an einem klaren Tage mit schneeigem Kegel über das sich unendlich hindehnende Tokyo. Mein Rikschakuli bleibt auf der Straße stehen, dreht sich nach mir um und zeigt mit dem Finger auf den Berg in der Ferne. Fuji San – herrlich leuchtet der von Schnee übergossene Kegel über der Stadt, Symbol und verehrte Gottheit Japans, Symbol seiner Schönheit und zugleich sein tödliches Schicksal.
Welch eine Lehre! Fuji, der feuerspeiende, Tod und Unheil über das Land bringende Fuji San – dieses Volk hat sich aus ihm, an dem es stirbt, seinen Abgott, den Inbegriff seines Schönheitsglaubens gemacht. Japan stirbt an seiner Schönheit. Daraus, woran es sterben muß, macht sich ein Volk seinen Götzen. –
Nur kurze Zeit, nur wenige Wochen in Japan.
(So lange man mich in Ruhe läßt, von zwei Uhr nachmittags bis elf Uhr nachts, sitze ich in den Theatern, genieße, genieße, freue mich mit Augen, Ohren, allen Sinnen über dieses einmalige, unerhörte Wunder des japanischen Theaters.)
Draußen, in den Straßen, setzt sich die Freude fort. Welch eine Buntheit, tobende Lebenslust, Lieblichkeit und zarte, doch gesammelte Kraft in diesem Volk! Tokyo ein Budenhaufen, eine unübersehbare Budenstadt, wie Yokohama, dessen Schicksal es ja geteilt hat, noch vertieft, noch verschrecklicht durch den Brand, endlos dehnt es sich zwischen den Kanälen und Wasseradern, den Hügeln und festen gemauerten Umrissen der Kaisergärten und Paläste hin. Eine Straße läuft quer durch die Riesenstadt, in ihr erheben sich wieder Wolkenkratzer aus Stein und jenem verhängnisvollen armierten Beton, öde Kasten mitten hingesetzt in das niedere Gewimmel der Buden und 303 Baracken, wie auf dem Broadway in Amerika. Übles Amerika, hergepflanzt in japanische Landschaft.
Sie sind stolz auf diese Absurdität und Abscheulichkeit, diese in anbetende Nachahmung westlicher Zivilisation versunkenen Japaner. Ihr unglaublich entwickelter Schönheitsbegriff, Schönheitskult wird langsam, stetig und unwiderruflich angekränkelt, angefressen, unterminiert und zermürbt durch diese Unstimmigkeit in ihrem Charakter. Fuji Yama leuchtet über den Greuel der großen wie Siebe durchlöcherten Wolkenkratzer der Hauptstraße Tokyos nieder. Er wird eines Tages mit diesen Kasten auch noch fertig werden.
Aber inmitten der Wolkenkratzer bewegt sich, noch nicht amerikanisiert in seinem Aussehen, noch nicht gefälscht in seinen Sitten und Gebräuchen, ein ursprünglich und eigen gebliebenes Volk. Blickt man in die Höhe, so ist man erstaunt und verstimmt über das rohe, protzenhaft aufstrebende, buchstäblich in immer höhere Stockwerke strebende Japan. Blickt man aber vor sich hin auf die Straße, so wird allerorten der Blick gefesselt und der Sinn entzückt durch den Anblick der Lieblichkeit des japanischen Menschen, durch tausend kleine Einzelheiten einer liebenswerten Tradition, die so rasch nicht erdrückt werden kann, weder durch die niederreißende Naturgewalt des eingeborenen Schicksalberges noch durch die aufbauende Kulturlosigkeit der aufgepfropften fremden Einflüsse.
Das japanische Straßenbild wird nicht so stark belebt durch flatternde schwingende bunte Fahnen, Reklameschilder, wie die chinesische Geschäftsstraße. Die Straßen sind nüchterner, auch spielt sich der Handel mehr innerhalb der Häuser ab als in offenen Läden. Wohl kann man zuweilen durch fortgeschobene Wände ins Innere des Hauses blicken, aber das ist nicht die Regel. Die Feuchtigkeit des Klimas verbietet zudem das freie Schaustellen leicht verderblicher Waren. Die Theaterstraßen der großen und kleineren Städte allein sind von einem steten Taumel und lebhafter Bewegung, von einer Atmosphäre freudiger Erregung und Phantasie belebt. In den großen Städten wachsen diese Theaterstraßen geradezu zu riesigen Vergnügungsparks, ganzen Stadtvierteln der Lust und Lebensfreude aus, wie in Tokyo, in Osaka. Da ist der Park Asakusa in Tokyo, der um den vielbesuchten alten und 304 schön erhaltenen Tempel der Liebesgöttin errichtet ist und aus langgedehnten Reihen von bunten Verkaufsbuden, Theatern und Kinostraßen allmählich zur Yoshiwara hinübergleitet. Jetzt aber will ich nur von einigen anmutigen Bildern, Erscheinungen der Straße reden, die uns die ganze Holdheit des alten, vom Westen noch völlig unberührten Japan vermitteln und Bedauern über die allmählich verlorengehende Eigenart des japanischen Straßenbildes einflößen.
Der geringste Kuli trägt einen Leinwandkittel, auf dem ein wundervolles Ornament aus Buchstaben, Sinnbildern sein Dienstverhältnis zu seiner Firma oder städtischen Behörde oder seiner Gewerkschaft darstellt; auf seinem Rücken sitzt in bunten Farben auf blauem Grunde dieses Ornament. Die Kimonos der Männer bilden auf der Straße eine dunkle Folie zu den bunten und phantasievoll gezeichneten Kleidern, die die Frauen zur Schau tragen. Hier sind die Stoffe nicht so kostbar, wie auch die Zeichnung nicht so wild (und doch von einer die Grenze der Schönheit nie überschreitenden Bizarrerie) wie in China. Nirgends und niemals habe ich auf meinen Reisen mit so gutem Gewissen Postkarten gekauft, um mir später die Erinnerung an das Straßenbild, Szenen, Männer, Frauen und Kinder zurückzurufen, wie in Japan. Die ausdrucksvolle Buntheit der Drei- oder Vierfarbendrucke gibt ganz getreu den Eindruck der Kleidung wieder, wie wir sie an den Frauen und Kindern Japans wahrnehmen. Es herrscht ein naiver Schönheitskult in der Kleidung, der in mancher Weise von Riten bestimmt ist. Jedes Alter hat seine vorgeschriebene Farbe, das Kind, Rotchen genannt, darf ein knalliges rotes Kleid tragen, aber schon erwachsene Mädchen dürfen in ihrer Kleidung nicht die vorgeschriebene Nuance ihres Alters verletzen. (Ein rotgekleideter Mann wäre in Japan Zielscheibe des Spottes, wenn nicht der Empörung; rot ist die Farbe der Frauen und Kinder.)
In einem Park Tokyos opfert man einer Göttin kleine buntgekleidete Puppen.
Der Goldfischhändler geht vorüber. Er hat an einem Bambusstabe zwei große Holzschalen hängen, auf denen Glasbehälter mit schönen breitflossigen stieläugigen Schleierschwänzen schaukeln.
305 Bettler in Japan sind kein widerlicher Anblick. Es sind nur Mönche, die betteln. Sie gehen mit einem über den Kopf gestülpten Korbe durch die Straßen. Ein prächtiger Brokatfetzen hängt ihnen von den Schultern nieder, auf dicken Bambusflöten spielen sie eine schrille Melodie.
Der Pfeifenreiniger schiebt seinen kleinen Karren vor sich hin. Auf dem Karren befindet sich ein Kasten, aus dem eine Dampfpfeife zweierlei Töne, einen grellen, einen dumpfen, in die Gasse schmettert.
Ein Blick in die Bazare, in die Schaufenster der Hauptstraßen: erstaunlich, wie einfach und gering das Hausgerät des Japaners ist. Möbel hat er fast keine. In Wandschränken bewahrt er sein Gut, in Truhen; ein kleiner vergoldeter Hausaltar, vergoldete Buddhas, Kwannons; die rollenförmigen Wandbilder und Behänge, die kleinen viereckigen ausgehöhlten Holzstämme, in denen das Aschenbecken sich befindet; Eßstäbchen, Schreibzeug, kleines Schreibpult, kleines Putzgestell auf den Boden hinzustellen.
Und dann die vielen Läden, in denen Bambus, Bronze und die unendliche Mannigfaltigkeit, die tausend kleinen Bestandteile der japanischen Frauenkleidung: Brokat und Tuch, Schnüre, Kämmchen, Roßhaarbäusche und Einlagen, die den Haaraufbau stützen, die Rückenlinie verschieben (seltsamer Schönheitsbegriff!), Spangen, Schleifen, Perlmutterstäbchen in kindlicher Verspieltheit ausgebreitet liegen! All das drängt sich dem Fremden, dem Besucher gewaltsam vor die Augen, so daß er das wahre, verheimlichte Gesicht des Japaners unter diesen bestechenden und bezaubernden Hüllen fast gar nicht sieht.
Wenn er eine in einer Ecke sich verbergende junge schwangere Frau gewahrt oder eine andere, die, um eine kleine Unreinheit der Haut zu maskieren, krampfhaft ihren Fächer vor die kompromittierende Stelle hält, so meint er: da habe er das Geheimnis des japanischen Charakters am deutlichsten gesehen – es sei ängstliches Betonen des Schönen, Scham über Häßlichkeit, Entstellung. Niedlichkeit sei das höchste Gebot. Aber wenn er auch nur kurze Zeit sich in dem Lande aufhält, wird er wahrnehmen, wie täuschend und verwirrend, wie oberflächlich die Berichte jener Japanschwärmer sind, die den 306 europäischen Westen mit Lobhudeleien des allgewaltigen japanischen Schönheitskultes überschwemmt haben. Wie sehr es nottut, hinter der Lieblichkeit der japanischen Larve das krasse Antlitz des harten asiatischen Autokratenvolkes aufzudecken!