Johann Gottfried Herder
Stimmen der Völker in Liedern
Johann Gottfried Herder

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Lied der Desdemona

Aus dem Französischen.

(Les Consolations des Misères de ma Vie, par Rousseau, Paris 1781. p. 125.)

An einem Baum, am Weidenbaum saß sie,
Gedrückt die Hand zum Herzen schwer von Leide,
Gesenkt das Haupt, auf ewig fern der Freude,
So weinte sie, so sang sie spät und früh:
        Singt alle Weide!
        Singt meine süße, liebe, grüne Weide.
            Liebe, grüne Weide.

Der helle Strom, er fühlet mit ihr Ach!
Er rauschet sanft zu ihren Klagetönen,
Der Fels in ihm, erweicht von ihren Thränen,
Hallt traurig den gebrochnen Seufzer nach.
        Singt alle Weide!
        Singt u. f.

Du hangend Laub, geliebte Weide du,
Was neigst du dich herab zu meinem Leide?
Mir Kranz zu seyn in meinem Leichenkleide!
Hier schwur er mir; hier find ich meine Ruh.
        Singt alle Weide!
        Singt u. f.

Er schwur mir Treu'. Treuloser, lebe wohl!
Ich flehte dir: soll ohne dich ich leben?
»Du kannst dein Herz ja einem andern geben.«
So sprachst du mir. Leb' wohl, leb' ewig wohl!
        Singt alle Weide!
        Singt meine süße, liebe, grüne Weide.
            Liebe, grüne Weide.

 


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