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Zwei und einhalb Jahre waren nach den geschilderten Vorgängen verstrichen. Je nach ihrem Thun und Treiben, nach den auf ihr Innenleben von außen einwirkenden Geschehnissen, war den einzelnen das Dasein als ein Wandeln in einer glücklichen Welt oder als eine Last erschienen.

Wo die Anforderungen gering, die erkenntliche Empfindung für des Himmels Zuwendungen lebhafte, wo Pflichtübung und Arbeit die Grundlagen gewesen, hatten sich die Menschen zufrieden gefühlt. Wo die Sucht nach fortwährenden Abwechslungen und Zerstreuungen den Hauptinhalt des Denkens und Handelns gebildet, hatten sich Unbefriedigung und Ueberdruß eingestellt.

Nach ihren Charakteren hatte sich aller Schicksal vollzogen.

Das zielbewußte Streben Klamms hatte seinen Lohn empfangen. Seine Hoffnungen hatten sich erfüllt. Er war Herr des Geschäftes, dem er sein ganzes Interesse von vorneherein zugewendet, geworden, und neben ihm, als seine Frau, lebte Ileisa. Sie ging ganz in ihm auf. Ihr Augenmerk richtete sich von früh bis spät auf ihn und ihre Obliegenheiten. Sie war sein rechter Kamerad und sein bester Freund geworden. Wie er es wollte, so war es gut. Was er vornahm, paßte auch ihr. –

Arthur hatte Frau von Klamm geheiratet und ihr Vermögen eingezogen. Nur ein größerer Teil war auf ihren Wunsch und bestimmten Willen dem Zeitungs- und Druckereigeschäft geblieben; Klamm verzinste es ihr. Das Gut war verkauft. Dagegen hatte Klamm eine Villa in Wannsee erworben, in der sein guter Geschmack und sein praktischer Sinn, von Ileisa unterstützt, einen vollendeten Ausdruck gefunden. Nebenan hatten sich Milans angebaut.

Auch Arthur lebte mit seiner Frau gut. Sie fand an seiner Seite die volle Möglichkeit, das Dasein zu genießen. Sie hatten beide den gleichen Ehrgeiz, eine Rolle zu spielen, und fanden ihre Rechnung. Ihm half sein kalter, und ihr ihr leichter Sinn über das fort, was sich allen Menschen einmal störend in den Weg stellt. Zu Streit und Scenen kam es zwischen ihnen schon deshalb nicht, weil jeder den anderen gewähren ließ. Auch bewahrte ihn sein Egoismus und sein kühles Temperament davor, eine gewisse Grenze jemals zu überschreiten, und Adelgunde besaß doch zu viel sittlichen Fond und soviel Erfahrung, um sich nicht auf Abenteuerlichkeiten einzulassen, die ihren Ruf und ihres Mannes gesellschaftliche Stellung gefährden konnten.

Knoops hatten ihre Tochter Margarete verloren. Nachdem Arthur noch am Grabhügel seiner Schwester gestanden, auch eine Aussöhnung zwischen ihnen stattgefunden, waren sie auf ihr Gut in Holstein zurückgekehrt.

Hier lebten sie mit Nachbarn, die zu ihnen paßten. Unter dem Adel eine Rolle zu spielen, hatte Herr von Knoop völlig aufgegeben. Er suchte sich den Umgang von Personen, die, wie er jetzt, ganz in ihren Interessen für die Landwirtschaft aufgingen, und deren einfacher Sinn zu seinem im Grunde einfachen Naturell, und besonders zu der Richtung seiner Frau paßte. – –

Unter den Briefen, die Alfred von Klamm eines morgens auf seinem Tisch im Frühstückszimmer in der Stadtvilla vorfand, erregte ein Schreiben seine und auch Ileisas Aufmerksamkeit im hohen Grade. Es lautete:

»Hochverehrter Herr von Klamm!

Ich liege seit elf Wochen bereits in Bethanien im Lazaret. Ich habe einen Knochenfraß im Körper, dessen Ende nur der Tod sein kann. Ich bitte Sie flehentlich um Unterstützung! Vergessen Sie Vergangenes, berücksichtigen Sie, ich bitte, dagegen, daß ich indirekt mit Anlaß gewesen bin, daß Sie erreicht haben, was Sie heute – ein Glücklicher nach allen Richtungen – Ihr eigen nennen!

Und um dieser Thatsache und um der edlen Gesinnung willen, die Ihnen eigen, wage ich, Ihnen diese Zeilen zu schreiben.

Der Edle verzeiht, wenn er sieht, daß sein Nebenmensch in Qualen dahinsiecht. Sie sind ein solcher, und ich bin ein armer Elender! Keiner hilft mir!

Mein Neffe Arthur hat mir auf alle meine vielen Briefe nicht geantwortet! Mein reicher Bruder beruft sich auf einen endgültigen Verzichtschein, den ich ihm einst ausstellte. So habe ich niemanden auf der Welt, als meinen einstigen größten Feind! Er wird mich, ich weiß es, nicht umsonst flehen lassen. Weisen Sie mir, ich bitte, hochverehrter Herr von Klamm, wöchentlich eine Summe an, bis ich in die Gruft gesenkt werde. Lange werde ich Ihnen nicht lästig fallen. Der mich behandelnde Arzt, Herr Doktor Ströber, wird Ihnen bestätigen, daß alles strenge Wahrheit, was ich Ihnen sage. Ich lege die Bescheinigung bei.

Ich segne Sie im voraus als Ihr dankbarer
Theodor Knoop.«

»Und was willst du thun?« warf Ileisa hin und blickte ihren Mann fragend an.

»Ich werde seine Bitte erfüllen! Es giebt nur einen Richter, der das Recht besitzt, zu richten, und er wird ausnahmslos sanft und gütig vergeben. Sollte sein Geschöpf nicht um so mehr ohne Schwanken stets dazu bereit sein?«

Sie sah ihn an. Dann stand sie auf, näherte sich ihm und umschlang ihn. Sie sprach nicht, aber er wußte, was sie sagen wollte, und jenes Gefühl der Selbstachtung durchdrang ihn, das eines der glückseligsten und befriedigendsten ist, die in der menschlichen Brust emporzukeimen vermögen.


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