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Als Klamm am nächsten Morgen erwachte, hatte er es schwer, seine Gedanken zu ordnen, insbesondere das Für und Wider, das sich ihm nüchtern aufdrängte, vernunftgemäß zu scheiden.

Nun war der Augenblick gekommen, wo er eine bündige Erklärung abgeben mußte. Sollte er eingestehen, daß er gar nicht verlobt sei? Und wenn, welche Gründe für seine Behauptung sollte er angeben? Die wirklichen!? Er sah Herrn Knoops Miene und stand davon ab. Andererseits widerstrebte es ihm, an einer Lüge festzuhalten und gar noch eine neue auszusprechen. Fräulein von Wiedenfuhrt konnte er die Wahrheit bekennen, sie, die Fernerstehende, würde seine Handlungsweise eher begreiflich finden. Gab er Margarete zu, daß er Falsches berichtet, so konnte er ihr wenigstens nicht eröffnen, weshalb er so gehandelt hatte. Er mußte ein anderes Motiv angeben. Und wiederum, wenn er das that, mußte er auch Fräulein von Wiedenfuhrt ein gleiches sagen. Der Zufall konnte spielen. Wie würde er dastehen, wenn er der einen diesen, der anderen einen völlig anderen Grund mitteilte, und sie davon erführen?

Es gab, sagte sich Klamm, Zeiten, in denen den Himmel für den einzelnen voll klaffender Spalten war.

So erging es jetzt ihm, und nur einen Ort gab es, wo er vielleicht Rat und Trost finden konnte, bei ihr, seiner weisen, voll inniger Liebe für ihn erfüllten Mutter. Ihr beschloß er sich anzuvertrauen. Ihr wollte er alles mitteilen, wollte hören, wie sie entschied, und danach zu handeln suchen.

Vorläufig bestand aber die nächste, ernste Tagesaufgabe darin, mit Theodor Knoop zu konferieren. Da zu diesem Zweck noch eine vorherige Rücksprache zwischen ihm und dem Chef verabredet worden war, beeilte sich Klamm, baldmöglichst von seiner in der Kurfürstenstraße belegenen Wohnung nach den in der Zimmerstraße befindlichen Knoopschen Geschäftsräumen zu gelangen. –

Klamm fand Herrn Knoop allerdings nicht in der gewohnten, guten Laune, Feste lassen nur zu häufig einen schlechten Geschmack auf der Zunge zurück. So erging's dem Chef. Er sollte nun wieder für seinen Bruder Theodor, den unverbesserlichen Taugenichts, in die Tasche greifen. Auch beschäftigte seine Gedanken ein Brief, den er von seinem Sohne Arthur erhalten hatte. Der wollte durchaus jetzt schon nach Berlin zurück. Er mochte im Auslande nicht mehr bleiben. Und wenn er wiederkehrte, wie würde sich das Verhältnis zu Klamm stellen? Das ging Herrn Knoop nicht minder durch den Kopf.

Von all dem gelangte, während der Unterredung mit Klamm, etwas zum Ausdruck.

Natürlich! Gehandelt mußte deshalb doch werden! Das gegebene Wort mußte eingelöst werden. Die Reise nach Chile kostete, das hatte Herr Knoop schon nachgesehen, etwa 1000 Mark. Dieser Summe wollte er noch 1500 hinzufügen.

Am nächsten Tage sollte Klamm mit Theodor nach Hamburg reisen. – Das Dampfschiff ging von dort abends ab.

»Wenn Sie, verehrter Herr von Klamm, den Eindruck gewinnen, daß mein Bruder die Reise nur vorgiebt, daß es lediglich darauf abgesehen ist, mir wieder Geld abzunehmen,« erörterte Knoop, »so lösen Sie kein Bildet, sondern händigen ihm die Hälfte, nämlich 1250 Mark unter der Bedingung aus, daß er vorher das hier von mir schon heute morgen ausgefertigte Schriftstück unterschreibt.

»Dann bringe ich eben dieses Opfer noch ein- und zum letztenmal.

»Und nun noch zu etwas anderem, bester Herr von Klamm! Es muß das einmal zwischen uns erörtert werden,« fuhr Herr Knoop ernst geschäftig fort, und seine Mienen und seine dann folgenden Worte versetzten Klamm in eine starke Unruhe:

»Als Sie mir damals näher traten, erklärten Sie, daß Sie – ich habe Sie nicht danach gefragt, Herr von Klamm – verlobt seien.

»Es wird nun von allen Seiten darüber gesprochen, daß Sie Ihr Fräulein Braut mit einem sehr auffallenden Geheimnis umgeben, nie von ihr reden, sie nicht zeigen. Einige behaupten, Sie wollten die Verbindung wieder lösen, Sie hätten sie sogar schon wieder gelöst.

»Es ist mir sehr peinlich, uns allen, daß wir immer wieder auf diese Angelegenheit angeredet werden. Ich möchte Sie daher freundschaftlich bitten, mir Ihr Vertrauen zu schenken, mir offen und ehrlich zu erklären, wie die Dinge stehen.

»Ich hoffe, Sie erkennen darin keine unbescheidene Zudringlichkeit, sondern nur den wohl begreiflichen Wunsch, Klarheit zu gewinnen.

»Also ich bitte: Sprechen Sie, und seien Sie versichert, daß ich Ihre Erklärungen so entgegennehmen werde, wie es unseren Beziehungen entspricht!«

Was ging nicht alles durch Klamms Inneres bei dieser Rede! –

So völlig unerwartet kam ihm diese Aufforderung. Während er noch vor einer Stunde hatte die Dinge nach seinen Gedanken lenken wollen, wurde er nun plötzlich durch die Umstände zu einer Entscheidung gedrängt. Es galt jetzt: Wahrheit oder fernere Verschleierung, volle oder halbe Wahrheit!

Klamm entschied sich ohne Besinnen für die Wahrheit, jedoch für diese mit einer Einschränkung.

Zufolgedessen sagte er:

»Wohlan, Herr Knoop! Da Sie mich fragen, da Sie mich Ihrer Freundschaft versichern, mit anderen Worten, Ihrer Nachsicht und Ihrer ferneren guten Gesinnungen, so sei es bekannt:

»Ich bin gar nicht verlobt!«

Nur das sprach Klamm vorläufig, und richtete einen ruhigen Blick auf seinen Chef.

Zu Klamms sehr starker Enttäuschung erschien aber nicht der erwartete Ausdruck in den Zügen des Herrn Knoop, sondern es malte sich darin eine ganz gewaltige Befremdung. Ja, noch mehr! Es erschien ein Zug von äußerstem Unbehagen und einer beinahe mit Entrüstung vermochten Strenge.

»Wie? Was? Sie waren und sind gar nicht verlobt? Und dabei geben Sie uns seit dreiviertel Jahren fortwährend Antwort auf unsere Fragen, befördern Grüße und gar Einladungsbriefe an Ihre Braut? Ich muß gestehen, Herr von Klamm, daß diese Erklärung mich äußerst befremdet, und ich werde mich nicht eher beruhigen können, als bis Sie mir nähere, mich hoffentlich befriedigende Aufklärung gen zu geben vermögen. –

»Was in aller Welt gab Ihnen Anlaß, mir ohne Not das vorzusprechen, und die Unwahrheit bis zum heutigen Tage fortzusetzen?«

»Ich vermag Ihnen den Grund nicht zu sagen, Herr Knoop. Ich kann Ihnen nur erklären, daß ganz bestimmte Verhältnisse mich dazu drängten, Umstände, deren Zwang Sie, könnte ich reden, anerkennen würden. Möge Ihnen das genügen, und seien Sie, ich bitte, statt Richter, wie Sie es versprachen: mein nachsichtiger Freund!

»Es wäre ja ein Leichtes für mich gewesen, Ihre Frage so zu beantworten, daß mich gar kein Vorwurf getroffen hätte. Ich hätte Ihnen ja nur sagen können, daß ich die Verlobung wieder aufgehoben habe. Ich hasse aber die Lüge, und sie ohne Not noch einmal anzuwenden, wäre eine verwerfliche Handlung gewesen!«

»Hm – hm – Das klingt sehr ehrenfest, Herr von Klamm! Aber es befriedigt mich, offen gestanden, nicht. Ich muß sogar in Anbetracht des Verhältnisses, in dem wir zu einander stehen, die Bedingung für ein ferneres Zusammenbleiben stellen, daß Sie sich mir rückhaltlos eröffnen. Es geht nicht anders. Es ist absolut erforderlich!

»Bedenken Sie, daß ich vor Ihnen gewarnt wurde. Versetzen Sie sich in meine Lage und fragen Sie sich, ob ich anders handeln kann.

»Und wenn doch – ist jetzt einmal mein Vertrauen erschüttert worden – und es liegt Ihnen die Aufgabe ob, es wieder herzustellen.« –

»Ist die Sache wirklich so tragisch zu nehmen, Herr Knoop?

»Was liegt vor? Ich habe erwähnt, daß ich verlobt sei! – Ich hatte einen Grund dafür! Ich habe dann nie wieder darüber gesprochen, bin aber, obschon ich auswich, obschon ich immer deutlich an den Tag legte, daß ich der Fragen gern entgehen möge, unzählige Male von Ihrer Umgebung darauf angeredet worden. Ja, aus Ihrem Hause ist die Sache auch in die Oeffentlichkeit gebracht. Ich habe mit niemandem als mit Ihnen das einzige Mal gesprochen. Nun erkläre ich auf Ihre Frage, daß ich nicht verlobt bin, daß ich seinerzeit einen wichtigen Grund hatte, mich als gebunden auszugeben.

»Gewiß, damit wird die Unwahrheit nicht beseitigt, aber es ist wohl anzunehmen, daß ich wirklich unter einem Zwange handelte. An diesen, bitte ich Sie, nun zu glauben.

»Aber Sie wollen nicht! Sie erklären, mich sogar fallen lassen zu müssen, wenn ich nicht mein Geheimnis preisgebe. Aber noch mehr, Herr Knoop! Sie führen sogar jenen ruchlosen Brief an! Obschon Sie mich nun fast ein Jahr geprüft haben, wollen Sie nicht nach Ihren Erfahrungen in einem für mich günstigen, sondern ungünstigen Sinne entscheiden!«

»Ich kann nicht anders, Herr von Klamm, soviel Sie auch zu Ihrer Entlastung anführen. Ich muß darauf begehen, daß Sie meine Frage beantworten:

»Aus welchem Grunde erklärten Sie mir unaufgefordert, daß Sie verlobt seien, während dies eine bewußte Unwahrheit war?«

»Ich vermag dennoch Ihrem Ersuchen nicht nachzukommen, Herr Knoop. Ich darf Sie nochmals bitten, sich mit meiner Erklärung zu begnügen und Nachsicht zu üben!

»Wenn aber nicht – so muß ich mich, so unendlich schmerzlich es mir ist – Ihrem Willen fügen und das wieder verlassen, was ich mit auszubauen redlich bestrebt war, von dem ich gehofft hatte, – daß ich dadurch einen neuen dauernden Lebensinhalt finden werde.

»Ich darf und will mich auch nicht beklagen. Ich beging ein Unrecht und muß dafür büßen! Wann wünschen Sie, daß ich aus dem Geschäft austrete!?«

»Ich werde Ihnen darüber noch Mitteilung zukommen lassen, Herr von Klamm! Zunächst richte ich die Frage an Sie, ob Sie auch jetzt noch die Angelegenheit mit meinem Bruder zu übernehmen, die Güte haben wollen?«

»Jawohl! Ich bin dazu bereit, Herr Knoop!«

»Ich danke Ihnen! Weiteres dann nachher bei seinem Besuch! Guten Morgen, Herr von Klamm.«

»Guten Morgen, Herr Knoop!«

Als Klamm in sein Kontor getreten, war es sein erstes, ein Briefchen an Margarete Knoop zu schreiben.

Es war sehr kurz gefaßt und lautete:

»Hochverehrtes Fräulein!

Verzeihen Sie, wenn ich Sie bitte, von einer Unterredung in meinen Angelegenheiten abzugehen. Zufolge einer zwischen Ihrem Herrn Vater und mir eben stattgehabten Auseinandersetzung würde eine solche nur Peinlichkeiten für uns beide mit sich führen.

Nehmen Sie im voraus meinen verbindlichsten Dank für die gute Gesinnung entgegen, die ich trotzdem ferner von Ihnen und Ihrer Frau Mutter zu erbitten wage.

Ihr sehr ergebener
Alfred, Freiherr von Klamm.«

Klamm geriet noch einmal ins Zögern, bevor er diesen Brief von Adolf hinübertragen ließ. Wer ihm das diesen Morgen gesagt hätte! Und doch ging es nicht anders, und doch war es nun das Richtige, reine Bahn zu schaffen. Es waren einmal die Dinge aus dem Gleis geraten. Wo das Vertrauen verloren gegangen war, so sagte sich Klamm, da gab's keine Nadeln und keinen Zwirn zum wiederzusammenheften. Höchstens konnte die Zeit, die alles klärte, auch darin einstmals eine Aenderung wieder herbeiführen.

Und einen Gewinn trug er davon, wenn er Knoops verließ: er konnte sich unter weit günstigeren Umständen Ileisa nähern, sie, wie er nach den gestrigen Vorgängen annehmen zu können glaubte, für sich gewinnen. –

Grade ihre Art und ihr Wesen hatten ihn noch mehr bestrickt, hatten die Funken, die in ihm glühten, angefacht. Einmal wieder den Geschäften abgewendet, war das frühere, lebendige Interesse für Frauen und Frauenschönheit wieder in ihm wach geworden.

Oft enttäuscht, fand er – wie er hoffte – in ihr endlich das Ideal seiner Vorstellungen. Er konnte es nicht erwarten, in ihre Nähe zu gelangen. – Auch an Fräulein von Wiedenfuhrt richtete er – infolge der veränderten Sachlage – noch an diesem Morgen einen Brief:

»Erlauben Sie, mein hochverehrtes Fräulein!« – schrieb er –«daß ich einmal später um die Erlaubnis bitte, Ihnen in der zwischen uns beredeten Angelegenheit nähere Aufklärungen zu geben. Es hat sich unerwartet etwas zwischen mein Wollen und Können gestellt. Nur so viel heute von Ihrem Ihnen aufrichtig ergebenen

Alfred, Freiherrn von Klamm.«

Eben hatte die Rücksprache mit Theodor Knoop stattgefunden. Es war die Abrede getroffen, daß die Herren am nächsten Morgen nach Hamburg reisen sollten. Im legten Augenblick hatte sich Herr Knoop bereit gefunden, seinem Bruder außer den Ueberfahrtskosten die Summe von zweitausend Mark, also einen größeren Betrag, als er ursprünglich beabsichtigt, zu bewilligen. Er war dem geschmeidigen Wesen Theodors, seinen Versicherungen und Schwüren, daß er nie wieder etwas von sich hören lassen, daß er nie aus Chile zurückkehren werde, erlegen.

Bevor sie sich zum Fortgehen anschickten, ersuchte aber Klamm noch Herrn Knoop um eine Unterredung.

Zu diesem Zweck traten sie in Klamms Arbeitszimmer, und hier begann letzterer:

»Ich muß Ihnen eine Eröffnung machen, Herr Knoop. Ich muß Sie dennoch bitten, daß Sie mich von meiner Zusage entbinden, mit Ihrem Herrn Bruder nach Hamburg zu reisen, überhaupt mit ihm in Berührung zu treten.

»Es hat sich mir nämlich als unzweifelhaft ergeben, daß Ihr Herr Bruder zu einer Gruppe von Personen gehört, die vor Jahren meine Mutter durch falsche Vorspiegelungen um ihr ganzes Vermögen gebracht haben. Wir haben den Gaunern, die sich falsche Namen beigelegt hatten, bisher nicht auf die Spur kommen können. Nun ist einer entdeckt.

»Meine Mutter hat ihn mir so oft beschrieben, daß ich schon gestern gleich stutzig wurde, als ich ihn sah. Eine Unterredung, die ich heute morgen mit ihr hatte, und der eben stattgehabte abermalige Vergleich erhärten die Gewißheit seiner Identität.

»Wenn ich Ihnen nicht den Eklat ersparen möchte, würde ich sogleich seine Verhaftung veranlagen. Ich sehe davon ab, aber Sie werden begreifen, daß ich mit ihm nicht in Berührung treten will! Es thut mir außerordentlich leid, aber ich kann nicht anders handeln!«

»Hm – hm,« stieß Herr Knoop enttäuscht und höchst unangenehm berührt, heraus. »Das ist ja sehr fatal!

»Sollten Sie sich aber nicht doch irren! Sollte wirklich mein Bruder Sie geschädigt haben? Sie stehen doch bisher nur unter einer Vermutung. Und ich bitte, noch etwas sagen zu dürfen: Sie erklärten mir doch bei unserer ersten Konferenz damals, daß Ihre Frau Mutter vermögend sei. Wie habe ich es zu verstehen, daß nun mein Bruder sie um ihr ganzes Vermögen gebracht haben soll?«

Klamm fühlte sich stark betroffen. Das war abermals eine Folge seiner damaligen Äußerungen.

Was sollte er darauf entgegnen? Da ihm aber zum Besinnen keine Zeit gegeben war, sagte er rasch und ohne äußere Verlegenheit:

»Sie scheinen zu glauben, daß ich nur nach einem Vorwande suche, mich meiner Zusage zu entziehen, Herr Knoop. Ich versichere Sie, daß ich mich in der Person Ihres Herrn Bruders nicht irre. Schon fiel es mir gestern abend auf, wie er gleich bei der Nennung meines Namens zusammenzuckte. Was ferner den Widerspruch zwischen meinen damaligen und heutigen Erklärungen anbetrifft, so hängen sie mit jenem Umstande zusammen, über den ich nicht sprechen kann, und um dessen willen Sie wünschen, daß ich Ihr Geschäft wieder verlasse. Ich vermag mich auch jetzt nicht zu erklären.«

»Mir aber werden Sie es nachfühlen, Herr von Klamm, daß mich alle diese Dinge äußerst stutzig machen müssen.

»Wenn auch alles günstig für Sie liegt, ich habe – ich wiederhole es – das Vertrauen verloren, und da Sie abermals verweigern, Erklärungen zu geben, so meine ich allerdings, daß eine Trennung zwischen uns nicht mehr zu umgehen ist.«

»Und was soll mit Ihrem Herrn Bruder geschehen?« wandte Klamm, nachdem er eine resignierende Miene angenommen hatte, ein.

»Ja – ja – das weiß ich nicht,« ging's zaudernd aus des Mannes Munde. »Ich – ich kann's Ihnen ja nicht verdenken, wenn Sie wirklich einen Schuldigen zur Rechenschaft ziehen wollen! Ich befinde mich in einer sehr bösen Lage. Immerhin ist's doch mein Bruder; immerhin handelt es sich doch um die Ehre und das Ansehen meines Hauses. – Seine völlige Entfernung aus Deutschland wäre also die glücklichste Lösung.« –

Klamm bewegte den Kopf mit einem bitteren Ausdruck. Dann sagte er:

»Nun, da es sich um Ihre Angelegenheit handelt, Herr Knoop, wünschen Sie, daß Nachsicht geübt wird. Es liegt ein Gaunerstreich vor, der einer Familie das Vermögen kostete, der mich gezwungen hat, aus meinen Lebensbahnen herauszutreten, ja, ich kann es sagen, der ein indirekter Grund ist, daß ich Ihnen etwas Unzutreffendes sagte, – daß ich an ein Mädchen gebunden sei!

»Aber diese Sache wollen Sie im Sande verlaufen lassen? Mich wollen Sie um eines ungünstigen Scheines willen – wollen mich trotz Ihrer anderweitigen Erfahrungen – abthun!«

»Sie haben doch selbst das Anerbieten gemacht, Herr von Klamm! Sie haben erklärt, Sie wollten um meinetwillen den Eklat vermeiden.«

»Gewiß, ich wurde von meiner anständigen Gesinnung geleitet. Nachdem Sie mich aber interpellierten, wie es geschehen ist, entzogen Sie mir eine gleiche Rücksicht. Die Dinge dieser Welt müssen, sollen sie einen Ausgleich finden, auf Gegenseitigkeit beruhen.«

»Sie haben recht und unrecht, Herr von Klamm! Aber jedenfalls hat – ich wiederhole Gesagtes – das gute Einvernehmen zwischen uns durch die Umstände einen Bruch erlitten.

»Ich schlage Ihnen vor: Trennen wir uns in Frieden! Verschärfen wir den Riß nicht durch eine Fortsetzung solcher Gespräche. Ich mache Ihnen den Vorschlag, daß Sie noch einige Zeit bleiben, um alles abzuwickeln, und daß wir dann von einander scheiden. Es trifft sich, daß mein Sohn aus dem Ausland zurückkehren will! So kann er an Ihre Stelle treten!«

»Ah –« ging's langgedehnt über die Lippen Klamms, und er wollte hinzufügen: »Nun ist mir alles verständlich!«

Aber er sprach nicht mehr. Nur noch eine Verneigung erfolgte, aus der hervorging, daß er sich mit Herrn Knoops Vorschlägen einverstanden erklärte. –

Er erfuhr auch nicht, in welcher Weise sich Herr Knoop mit seinem Bruder auseinandergesetzt hatte. Er sah nur nach einer geraumen Weile Theodor Knoop aus dem Hause treten und die Straße hinabschreiten.


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