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Sechs Monate waren vergangen. Fräulein von Oderkranz befand sich als Gesellschafterin im Knoopschen Hause. Aber auch Herr von Klamm war ein Mitglied des Knoopschen Geschäftes geworden. Er schrieb Zeitungsartikel, für die er die Fähigkeit in sich fühlte, und übte nach anderer Richtung eine Thätigkeit au, die dem Unternehmen nutzbringend war. – Der Kontrakt, der zwischen ihm und Herrn Knoop abgeschlossen, besaß nur zwei Paragraphen:

»Herr von Klamm tritt vom heutigen Tage mit einem Monatsgehalt von 450 Mark und unter gegenseitiger vierteljährlicher Kündigung zunächst probeweise in das Geschäft des Herrn Friedrich Knoop in Berlin, ein.

Genannter übernimmt fortan einen zwischen ihnen festgestellten Teil der Theater-, Konzert- und Kunstkritiken, und wird eventuell auch unter der Zustimmung des Herrn Chefredakteurs, Doktor Strantz, andere in den Rahmen der Täglichen Nachrichten passende Beiträge liefern.

Zur Vorbereitung einer gleichzeitig in Aussicht genommenen geschäftlichen Thätigkeit wird sich Herr von Klamm mit den übrigen Zweigen des Unternehmens bekannt machen und schon jetzt bemüht sein, der Firma Verbindungen zuzuführen.«

Außerordentlich überrascht war Herr Knoop von dem Ideenreichtum seines Mitarbeiters, nachdem sich dieser in das Geschäft eingearbeitet hatte. Bald regte er an, daß man sich um eine Druckarbeit in den Ministerien, bald um eine solche bei großen Instituten und angesehenen Geschäften bewerbe. Auch wies er auf auswärtige Firmen hin, denen man feste Kontrakte bezüglich der Aufnahme von ständigen Inseraten für die Täglichen Nachrichten anbieten solle.

Wenn irgendwo ein neues Unternehmen ins Leben trat, sann er sofort darüber nach, ob dieses nicht irgend einen von der Druckerei zu befriedigenden Bedarf haben könne. Auch trieb er die Redaktion an, Fühlung mit den bedeutenden Tagespersönlichkeiten zu suchen, um durch eine Verbindung mit ihnen den Täglichen Nachrichten fortdauernd interessanten Stoff zuzuführen.

Arbeitskraft und unermüdliche Regsamkeit reichten sich die Hand. Er war gegenwärtig die Triebfeder im Geschäft. Bald hier, bald dort hielt er Rücksprache, und immer wußte er bisher die ihm weniger Wohlgesinnten durch sein gewandtes Wesen gefügiger zu machen.

Weniger ihm Wohlgesinnte waren bereits recht viele vorhanden.

Teils wirkte der Aerger, daß ein bisher so gering Eingeweihter und Erfahrener so Tüchtiges leistete, bald machte sich ein sehr starker Neid geltend.

Es stieg die unruhige Befürchtung in dem Personal auf, daß Klamm bald da sitzen oder dort ein anderer sitzen werde, wo der Betreffende selbst bisher sein unbeschränktes Herrschertum ausgeübt hatte. Der Chefredakteur, Doktor Strantz, sowie der erste Disponent im Hauptkontor und der Geschäftsführer in der Expeditionsabteilung waren schon, ohne daß sie noch die Maske gelüstet hatten, seine erklärten Gegner.

Immer wieder regte sich bei ihnen die Ueberlegung, wie es eigentlich möglich sei, daß ein früherer Offizier, daß dieses in der Welt hin und her verschlagene Mitglied der Gesellschaft, daß dieser mit geschäftlichen Dingen doch bisher nur sehr oberflächlich vertraute Lebemann eine solche intelligente Regsamkeit, solche Umsicht, und überdies eine solche Gleichgültigkeit gegen seine bisherigen gesellschaftlichen Beziehungen zum Ausdruck brachte.

Aber sie zogen aus diesen Umständen nicht den Schluß, daß es eben Ausnahmen giebt, daß tüchtige Menschen sich energisch aufzuraffen vermögen, daß sie das kräftig abthun, was sich ihnen nur durch die Verhältnisse aufgedrängt hat, sondern sie suchten nach irgend einem unlauteren Grunde.

Bei Gelegenheit einer monatlich einmal stattfindenden Zusammenkunft der Redaktions- und Geschäftsmitglieder wußte der Chefredakteur, Doktor Strantz, ein Mann mit einem ungewöhnlich hageren Gesicht und langem Vollbart, bereits das Allerneueste zu berichten, daß nämlich schon ein fester Kontrakt zwischen Herrn Knoop und Klamm zu stande gekommen sei. Demzufolge solle Klamm nicht nur Stellvertreter des Chefs werden, sondern auch die Hauptzügel in der Redaktion in die Hand bekommen. Ihrer aller Stellung sei gefährdet, seitdem dieser Herr in das Geschäft eingetreten sei.

In dem Hinterzimmer eines mit alten, guten Bildern geschmückten Bierlokals in der Kronenstraße saßen sie beisammen, und von kaum etwas anderem wurde geredet, als über Herrn von Klamm.

»Was er wohl sonst treibe?« warf einer der Herren, ein Herr Krammhöver, nach solchen längeren, stark mißfälligen und abfälligen Aeußerungen hin.

»Er wäre ihm,« bemerkte er, »schon zweimal abends nachgegangen. Da sei er in ein Haus in der Kurfürstenstraße eingetreten. Er, Krammhöver, habe durch die großen Spiegelscheiben der Haus- und Hinterthür beobachtet, daß Klamm in eine Gartenwohnung hinaufgestiegen sei. Ob er aber dort logiere oder eine ›Freundin‹ besitze, wisse er nicht.«

Darauf hatte keiner etwas zu sagen, aber die Rede gefiel. Niemandem war bekannt, wo Klamm wohnte. Ueberhaupt hielt er sich nicht mit Reden, und noch weniger mit Offenherzigkeiten auf. Er kam, griff gleich ein, arbeitete oder machte Besuche, und blieb als letzter abends im Geschäft.

»Ob er wohl bei Knoops im Hause verkehre?«

Darauf konnte Doktor Strantz antworten.

»Und ob! Es sei in den nächsten Tagen beim Chef wieder ein Ball, und er, Strantz, habe von Adolf gehört, daß Klamm den Tanz leiten und überhaupt dort alles in die Hand nehmen solle.«

»Und Sie sind nicht eingeladen?«

Strantz zog abfällig die Lippen.

»Ja, natürlich! Habe aber abgelehnt; bin kein Freund von derartigen großen Abfütterungen!« warf er hin, und weckte durch diese, seiner Eitelkeit entspringende Antwort (er hatte keine Aufforderung erhalten) einen natürlichen Neid bei den fünf übrigen Mitgliedern der Redaktion.

Die Geschäfts-Disponenten wurden überhaupt zu solchen Vergnügungen nicht geladen. Sie erhielten Aufforderungen zu kleinen Mittagessen, woselbst sie Gleichgestellte fanden, und bei denen es dann sehr gemütlich herging. –

Während in solcher Weise über Klamm in dem Wirtshaus »Zur gemütlichen Ecke« verhandelt wurde, saßen die Knoopschen Familienmitglieder beim Abendbrot und unterhielten sich gleichfalls über dieselbe Persönlichkeit.

Wie immer erging sich Herr Knoop in ein uneingeschränktes Lob über ihn. Er habe am vorgestrigen Tage der Buchdruckerei einen Auftrag von über 50 000 Mark zugeführt. Eines der großen Versandgeschäfte habe einen illustrierten Katalog in einer ganz beträchtlichen Höhe bestellt. Auch habe er durch eine besondere Einrichtung in der Inseratenabteilung den Anzeigespalten der Täglichen Nachrichten eine erhebliche Vermehrung zugeführt. Am legten Sonntag hätten zwei Bogen mehr gedruckt werden müssen.

Das sei eine Inseratenfülle gewesen, wie sie in einem solchen Umfange kaum zur Weihnachtszeit vorkomme. Es sei unglaublich, was Klamm alles austüftle, wie er den Leuten beizukommen wisse, wie er Bedürfnisse ausspüre oder anzuregen wisse.

»Wie geht's denn mit ihm und dem Personal jetzt? Kann er sich mit ihnen stellen?« warf die in alles eingeweihte Frau des Hauses hin. Sie sah überhaupt weiter als die meisten, nahm die Dinge niemals, wie sie erschienen, sondern wie sie sich ihr durch ihr kluges Nachdenken darstellten.

»Er thut, als ob er Unwillfährigkeit und Gegnerschaft gar nicht bemerkt. Es gehört eben auch zu seinen hervorragenden Eigenschaften, daß er sich zu beherrschen, zu verstecken weiß –«

»Verstecken!« sagst du, Friedrich! Der Ausdruck stimmt mit der Warnung, die dir bei seinem ersten Besuch wurde!«

Nun meldete sich bei Frau Fanny doch wieder die Frau. Wenn Mütter sehen, daß Männer, auf die sie für ihre Töchter rechnen, diese nicht bevorzugen, haben sie stets eine starke Neigung, ihnen etwas am Zeuge zu flicken. Sie bauen sich dadurch Brücken, um ihrer Enttäuschung besser Herr zu werden.

Die beiden jungen Mädchen waren nur Zuhörende, sie äußerten sich nicht. Sie versteckten sich ebenfalls. Beide hatte eine stille, aber leidenschaftliche Liebe für Klamm erfaßt. Grete schwieg darüber, weil sie zu stolz war, davon zu reden, und Ileisa hütete sich zufolge ihrer Stellung, für Klamm irgendwelches Interesse an den Tag zu legen. Sie hatte genügend beobachtet, wie sehr Frau Knoop enttäuscht war, daß Klamm für Margarete verloren schien.

»Weißt du, was mir auffällig ist,« äußerte kurz darauf die Frau des Hauses.

»Hm?« warf Herr Knoop, der eben nach der Abendzeitung der Täglichen Nachrichten gegriffen hatte, zerstreut hin.

»Ja nun! Daß Klamm nie von seiner Braut spricht, daß er sie noch immer nicht vorgestellt hat. Sie muß entweder ein Bild der Häßlichkeit sein, oder es muß sonst etwas vorliegen, was nicht ganz richtig ist. Sonst kann ich mir sein Verhalten absolut nicht erklären.«

»I was,« fiel Herr Knoop, gleich stark betonend ein. »Er hat ja wiederholt erklärt, daß sie schwer erkrankt sei, daß darin der Grund zu suchen wäre, daß er sie uns bisher noch nicht habe zuführen können.«

»Ich bat ihn aber schon wiederholt, einmal ihr Bild mitzubringen,« bestätigte Margarete, die nun auch hervortrat.

»Niemals hat er Wort gehalten. – Nicht wahr, Ileisa?« fügte sie hinzu und wandte sich zu der eifrig über ihre Arbeit gebückten Hausgenossin. »Du warst dabei!«

Die beiden jungen Mädchen, die sich vortrefflich verbanden, ja, ganz in einander aufgingen, duzten sich schon seit längerer Zeit und besprachen – mit Ausnahme ihrer geheimen Liebe – alles miteinander, was sie irgend anging.

Ileisa betätigte nur mit leichtem Kopfneigen, aber weil ihre Gedanken und Sinne durch dieses Gespräch schon stark angeregt worden waren, wußte sie den Ausdruck einer starken Befangenheit äußerlich nur sehr schwer zu unterdrücken. Sie ließ deshalb die Stickerei, an der sie arbeitete, wie zufällig aus ihrer Hand fallen, bückte sich danach, und wußte dadurch den Anwesenden ihre Gesichtszüge bis zur Wiederbeherrschung ihres Innern zu entziehen.

»Ich bin begierig, ob Klamms Braut unsere Einladung nicht auch selbst beantworten wird. Ich gab Herrn von Klamm auf seinen Wunsch die Einladungskarte. Wir wissen ja noch nicht einmal, wie sie mit Vor- und Zunamen heißt. Danach will ich ihn doch bei erster Gelegenheit fragen.«

Das Gespräch empfing eine Unterbrechung, weil Adolf eintrat und Herrn Knoop ein Schreiben überreichte.

Schon während er es entgegennahm, verfinsterten sich die Züge des Chefs des Hausen in einer Art, daß Frau Fanny, die bei Briefen stets ängstlich die Mienen ihres Mannes beobachtete, gleich besorgt das Wort nahm.

»Etwas Unangenehmes, Friedrich?« fragte sie.

»Ah – ah!« stieß der Mann heraus und knirschte mit den Zähnen. »Wieder von Theodor! Immer Theodor!« Aber als er dann gar die Zuschrift gelesen hatte, zitterten seine Hände vor Erregung.

»Ach – die ewige, unglückliche Plage,« seufzte Frau Fanny, ohne auf Ileisas Anwesenheit Rücksicht zu nehmen. »Was hat er denn nun abermals? Hast du ihm nicht erst neulich wieder Geld gesandt?«

Knoop verneinte erst stumm. Dann sagte er:

»Ich habe ihm auf seine drei letzten Briefe gar nicht geantwortet. Thäte ich es, würde ich ja noch weniger Ruhe haben. Freilich, jetzt geht er bis an die äußerste Grenze. Nun – nun – droht er! Wahrhaftig! Wäre er nicht mein – mein – Bruder, so würde ich ihn auf Grund dieser Zeilen der Staatsanwaltschaft überliefern.«

»Lies vor, Friedrich! Wir haben ja vor Ileisa keine Geheimnisse. Wir wissen, daß sie das, was sie für sich zu behalten hat, sicher in sich verschließt!«

»Sie dürfen dessen versichert sein, gnädige Frau!« bestätigte Ileisa, das Auge frei aufschlagend, in einem einfachen, Vertrauen erweckenden Tone.

Und Herr Knoop las:

»Wenn ich nicht bis übermorgen vormittag zehn Uhr einen Postrestantebrief (Hauptpostamt Unter den Linden) mit dreitausend Mark unter T.K. vorfinde, geschieht etwas! Was aus dem Verzweiflungsakt entsteht, ist mir gleichgültig. Ich habe dann wenigstens ein Obdach! Falls Du aber diese Kleinigkeit Deinem weniger vom Glück begünstigten Bruder zuwendest, ihm dadurch wieder zu einer dauernden, menschenwürdigen Existenz verhilfst, so wird er nicht nur alle Kränkungen vergessen, sondern Dich niemals wieder behelligen. Nun entscheide!

Dein Bruder
Theodor Knoop.«

»Schick' ihm das Geld,« drängte Frau Fanny. »Was liegt dir an ein paar tausend Mark, wenn du Ruhe bekommst!«

Unwillkürlich sah Ileisa empor.

Wenn sie ihrer Tante einmal einen Teil einer solchen Summe würde bringen, ihr dadurch die Kargheit ihres Daseins vermindern könne, welche Seligkeit mußte das sein! Sie liebte die alte Dame, die mit einer schrankenlosen Selbstentäußerung für sie seit ihren Kinderjahren gesorgt hatte, mit den zärtlichsten Gefühlen. Und gegenwärtig wandten sich ihre Gedanken ihr besonders zu, weil sie sie so lange nicht gesehen hatte.

Sie kam sich so undankbar, so gefühllos vor, daß sie nicht den Weg zu ihr fand. Es berührte sie schwer, obschon sie nicht Schuld trug. Sie war gebunden; sie hatte Knoops versprechen müssen, ihre ganze Aufmerksamkeit den neuen Verhältnissen zuzuwenden, alte Beziehungen völlig außer acht zu lassen. Wohlan!

Aber daß Knoops nicht einmal bisher Anlaß genommen hatten, sich um die alte Dame zu bekümmern, sie ein einziges Mal einzuladen, fand sie grausam, ließ eine wirkliche Herzensbildung vermissen.

Herr Knoop aber erwiderte auf die Rede seiner Frau:

»Es ist ja nicht das Geld, Fanny! Ich würde gewiß die 3000 Mark geben, und wenn es sich um das dreifache handelte. Aber sowie ich ihm wieder die Hand biete, nimmt die frühere schamlose Zupferei kein Ende.

»25 000 Mark stehen schon auf deinem Konto in meinen Büchern.

»Das ist ein Posten! Und einmal muß doch alles ein Ende haben, wenn alles ohne jeden Nutzen war!

»Ja, wenn er wirklich ein ordentlicher Mensch, wenn ihm wirklich geholfen würde, gleich würde ich nochmals 10 000 Mark opfern!

»Aber er verthut es in Schlemmereien, mit Frauenzimmern und im Spiel. Er ist eben leider, zu meinem großen Schmerz, eine verlumpte Persönlichkeit, die am besten die Erde deckte.«

»Was willst du denn thun?«

»Wieder gar nichts!«

»Aber wenn er dir, – uns nachstellt. Ich fürchte mich! Solche Menschen – wir lesen es doch täglich in den Zeitungen – greifen im Affekt zum Aeußersten. – Sie laden in der Verzweiflung eine Schußwaffe.«

»Er schleicht sich in das Papierlager und legt Feuer an,« fiel Margarete ein. »Ich traue ihm alles zu!

»Wenn du ihm mit dem Bemerken es sei ganz unbedingt das letzte Mal, die 3000 Mark schickst, nimmst du uns wenigstens die Angst, Papa. Wir haben dann die Sicherheit, daß dergleichen wenigstens nicht geschieht. – Mache Bedingungen, lasse ihn ein Schriftstück unterschreiben, daß er sich für immer abgefunden erklärt!«

Aber Herr Knoop verneinte.

»Ich will nicht, ich kann nicht. Es muß kommen, wie es muß. Unzählige Male war's schon das letzte Mal. Nach sechs Monaten kommt er doch wieder und hat neue Gründe! Und die Sprache, die er schon wiederholt gegen mich geführt hat! Es ist ohne Gleichen! Nein, nein! Ich bin mit ihm fertig. Ich betrachte ihn längst nicht mehr als zu mir gehörig!«

Nun sagten die Damen nichts, aber Frau Fanny nahm sich vor, doch noch einmal vor'm Schlafengehen auf ihren Mann einzusprechen. Sie wollte es thun, obschon eine gewisse, entschiedene Art sie bisher stets belehrt hatte, daß mit ihm schwer etwas anzufangen war. –


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