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Alfred von Klamm befand sich bei seiner Mutter; sie hatte ihn gebeten, sie zu besuchen. Sie wohnte noch in der Kurfürstenstraße, in der damals von Klamm gemieteten Etage, war wieder hergestellt und nahm an allem, was ihren Sohn und ihre Schwiegertochter betraf, den lebhaftesten Anteil. Sie wünschte ihn zu sprechen, weil sich Adelgunde wieder einmal an sie gewandt hatte, um ihre bei ihrem Manne auf Widerstand stoßenden Pläne durchzusetzen. Er war fast niemals dazu zu bewegen, an den Premieren im Theater teilzunehmen. Nur wenn er selbst einmal eine Kritik über ein neues Stück, oder über die Leistungen eines Künstlers auf anderem Gebiet schreiben wollte, trat seine Abneigung zurück, grade dann einem öffentlichen Konzert oder einer Ausführung beizuwohnen. Für Adelgunde hatte aber just die Teilnahme an den ersten Vorstellungen den allergrößten Reiz. Sie konnte sehen und konnte gesehen werden.
Das Publikum, das für ein Opernplatzbillet bei Gelegenheit des Erscheinens einer Berühmtheit fünfzig bis hundert Mark bezahlte, war dasjenige, was ihr gefiel, mit dem sie sich gleichgestimmt fühlte.
Adelgunde steckte sich in solchen und anderen, mit ihrer Eitelkeit zusammenhängenden Fällen hinter Frau von Klamm, und die gab sich auch in ihrer Herzensgüte dazu her, Alfred zuzureden, seiner Frau entgegenzukommen.
Und oft gelang's ihr auch; aus Gutherzigkeit willigte er ein. Neuerdings hatte sich Adelgunde in den Kopf gesetzt, ihr Gut bei Dresden zu verkaufen. Da sie nun doch in Berlin ferner leben sollte, wollte sie in nicht zu weiter Ferne von der Hauptstadt ein anderes erwerben.
Sie schwelgte schon im voraus in dem Gedanken, dort im Sommer ihre Berliner Bekannten zu empfangen, Feste zu geben, und das Dasein in solcher Weise zu genießen.
Es gehörte zur Befriedigung ihrer Eitelkeit, und sie geriet dadurch in die Lage, mit den adligen Gutsbesitzern der Umgegend in Berührung zu gelangen.
Nur kein Stillstand, keine Einförmigkeit, keine Langeweile! Jeder Tag mußte etwas Besonderes bringen, mußte in seiner Art ein Festtag sein.
Klamm hatte sich zunächst ihren Plänen widersetzt. Es widerstrebte ihm, den Besitz bei Dresden, der so lange Eigentum der Familie gewesen, auf dem auch er gearbeitet und so mancherlei gefördert hatte, zu veräußern.
»Wer weiß, was wir wieder erhalten! Bei Güter- und Pferdekäufen das Richtige treffen, ist sehr schwer! Wie nun? Wenn wir für schönes Gold Kupfer einhandeln? Wir wollen doch dein Vermögen zusammenhalten,« hub er morgens beim Frühstück an.
»Warum sprichst du immer von ›meinem‹ Vermögen?« fiel ihm Adelgunde in die Rede. »Warum sagst du nicht: ›unser‹ Vermögen?«
»Weil es dein Geld ist, was gewagt werden soll –«
»Du hast doch auch mein Geld – wenn du auf dieser Unterscheidung bestehst – an dem Knoopschen Zeitungsunternehmen gewagt und bist voll Vertrauen! Weshalb sollten wir denn grade hierbei getäuscht werden?
»Andere Menschen kaufen auch Güter und machen einen guten Handel. Es giebt doch zuverlässige Leute und auch Sachverständige. Wir können doch letztere zu Rate ziehen.«
»Hm – Ja, es ist möglich! Aber wer kauft uns den Besitz bei Dresden ab? Und wenn – wer bezahlt ihn uns so, wie wir ihn schätzen?«
»Das ist denn auch kein Unglück. Wir können ihn ja auch zur Not behalten! Behalten wir ihn doch überhaupt, und erwerben wir uns ein hübsches Gut im Oderbruch oder in noch größerer Nähe von Berlin dazu.«
Aber bei dieser Erörterung war es einstweilen geblieben. Nun sollte Mama Klamm vorgehen! Freilich wußte Adelgunde nicht, wie ihre Schwiegermutter die Sache auffassen werde. Sie fürchtete, sie würde auch bei ihr auf Widerstand stoßen. –
Zu ihrer angenehmen Ueberraschung fand sie Frau von Klamm jedoch durchaus bereit, ihren Wunsch bei Alfred zu unterstützen. Der Dame gefiel der Plan, weil sie auch Vorteile davon haben würde. Sie war auf dem Lande groß geworden und hatte ihre meiste Lebenszeit dort zugebracht. Sie liebte das Land; ja, sie stellte sich bereits vor, daß sie dort ferner mit ihren Kindern leben werde. Sie würden im Sommer ganze Wochen oder Monate dort zubringen, Alfred würde zwar täglich zur Stadt fahren, aber abends zurückkehren. Das Stadtleben zersplitterte. Frau von Klamm war nicht gern in Berlin. Mitten in dem großen Getriebe fühlte sie sich vereinsamt, umsomehr, weil sie wenig Umgang pflegte. Neuerdings hatte sie Fräulein von Oderkranz kennen gelernt und sich ihr etwas genähert. Die alte, kluge, seine Dame hatte ihr ausnehmend gefallen.
Alfred hörte seine Mutter, als sie auf ihn einsprach, ohne Unterbrechung an. Er erhob auch, nachdem sie geendet, keinen Einwand, lächelte nur und sagte:
»Wenn ihr einen Verschwörerbund stiftet, was soll ich dann machen? Ich muß ja wohl ja sagen. Ich habe mich hauptsächlich geweigert, weil ich immer gehofft hatte, daß sich meine Frau mir mehr anpassen werde, daß sie größere Freude an ihrem Hause, an unserm Zusammenleben finden, daß sie ernstere, bessere Dinge über ihre Vergnügungen setzen werde.
»Aber ich erkenne immer mehr, daß in dieser Richtung eine Einwirkung auf sie unmöglich ist. Da ich sehe, daß auch du für den Plan bist, will ich nachgeben. Ich verstehe, daß du dich nach der reinen Luft des Landes sehnst, daß du dorthin wieder zurückkehren möchtest, wo dein eigentlicher Lebensboden ist. Aber damit wir nicht auseinander geraten, damit wir ebenso häufig miteinander verkehren, wie bisher, muß es doch schon ein Gut in nächster Nähe Berlins sein, und das wird viel Geld kosten.«
»Ihr habt ja viel! Wieviel besitzt eigentlich deine Frau?« wandte Frau von Klamm mit sanfter Beharrlichkeit ein.
»Nun, eine Anzahl Millionen werden wohl herauskommen,« entgegnete Klamm. »Aber was will das sagen, wenn so große Summen in verschiedenen Unternehmungen festgelegt werden!
»Ich gestehe dir, daß ich eigentlich die Absicht hatte, die Leitung und die Druckerei allein käuflich an mich zu bringen, darin Adelgundes Vermögen festzulegen. Meine größeren Pläne, meine eigentlichen Wünsche werden durch den Gutskauf nicht nur beeinträchtigt, sondern vielleicht unmöglich.«
»Ich würde es vermeiden, das Geld deiner Frau in deine Unternehmungen zu verwickeln, Alfred. Du bleibst freier.«
Klamm lächelte bitter.
»Ja, ja!« betonte er. »Du hast völlig recht. Das ist's ja eben! Sobald es sich um meine Wünsche handelt, tritt immer die Erwägung ein, daß es ihr Geld ist.
»Schließen wir indessen das Gespräch, liebe Mutter. Ich werde Adelgunde und dir – ich wiederhole es – nachgeben, ich werde ein Gut ehestens besehen, und auch sonst alles thun, was deine Wünsche verwirklicht.«
In Frau von Klamms Angesicht erschien ein Ausdruck größter Befriedigung. Sie nickte ihrem Sohn warmherzig zu und schloß, während er sich erhob und zum Fortgehen rüstete:
»Was machen eigentlich Knoops? Ich vergaß immer, dich danach zu fragen. Sind sie zurück, und ist« – hier lächelte Frau von Klamm gutmütig –«der Bote mit dem Adelsbrief unterwegs oder gar schon angelangt?«
»Ja, sie sind zurück, und auch der berühmte Theodor, der Hallunke, ist, wie ich von einem der Herren in der Redaktion zufällig gehört habe, aus Paris heimgekehrt.
»Er wird wohl die Provision, die ihm sein Bruder für den Zeitungsverkauf zugebilligt hat, schon wieder verthan haben und muß nun neues Futter suchen.
»Dazu gehört die Nobilitierung. Er ist ja der eifrige Vermittler, um der Familie das ›von‹ anzuhängen.«
»Und der junge Mann und Frau Ileisa? Hast du sie auch wieder gesehen? Fräulein von Oderkranz äußerte neulich, daß es ihr lebhafter Wunsch sei, daß ihre Kinder mit euch verkehren –«
»Aber besser ist's schon, daß es unterbleibt, Mutter! Dieser Herr Arthur ist mir nichts weniger als sympathisch; namentlich seitdem er sich zum Nichtsthuer herausgebildet hat. Ein Mensch in seinen Jahren ohne Beschäftigung, ohne Erwerb! Es sind mir solche Leute gradezu widerwärtig!
»Um übrigens deine andere Frage zu beantworten: Ja, ich sah sie noch gestern in der Equipage, die er sich angeschafft hat. Er kutschierte selbst, und sie saß neben ihm. Sie sah überaus anziehend aus, und grüßte, als ob niemals etwas zwischen uns vorgefallen wäre!«
Klamm schloß seine Rede mit einem Seufzer. Dann neigte er sich zu seiner Mutter und küßte sie auf die Wange und verließ das Zimmer.