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Wieder war eine längere Zeit verstrichen. Während ihres Fortschreitens hatte sich nach dem gewohnten Laufe der Dinge manches, das vorausgesetzt und erhofft worden war, erfüllt, manches Unliebsame den Personen geworden, die der Zufall in diesem engeren Kreise zusammengeführt.
Klamm hatte sich nach Adelgundes Abreise wie ein plötzlich frei gewordener Mensch gefühlt und – nun unbehindert – den Geschäften mit noch größerem Eifer zugewendet.
Statt des Herrn Strantz war Herr von Milan in die Redaktion eingetreten, und dadurch war Klamm ein doppelter Gewinn erwachsen.
Einmal ging Milan durchaus auf Klamms redaktionelle Ideen ein – während Strantz stets mürrische Einwände erhoben – und überdies war Herr von Milan im stande gewesen, Klamm eine so erhebliche Summe an Kapital zur Verfügung zu stellen, daß sich die sichere Auskunft eröffnete, durch ein Auskaufen verschiedener unbequemer Aktionäre völlig freie Hand zu erhalten und schließlich gar alleiniger Herr des Geschäftes zu werden.
Verdrießlichkeiten über Verdrießlichkeiten waren Klamm allmählich erwachsen, indem bald einer der Herren vom Aufsichtsrat Klagen über die Haltung des Blattes in wichtigen, grade seine Interessen berührenden Fragen erhoben, bald Aktionäre ihre Ansichten und Meinungen in lästigster Weise hatten zur Geltung bringen wollen. Aber auch persönliche Dinge hatten gespielt und Verstimmungen hervorgerufen. Protektionswesen hatte sich geltend gemacht und Intriguen waren angezettelt. Jeder stellte an Klamm Forderungen, daß er ihm dienlich oder gefällig sein sollte. Sobald er es ablehnte oder ablehnen mußte, die geäußerten Wünsche zu erfüllen, waren ihm Gegner oder gar Feinde erwachsen. – Für alles und jegliches suchte man ihn verantwortlich zu machen, und einige Male hatte er schon, des Nörgelns und der fortwährenden Aergernisse satt, die Flinte ins Korn werfen wollen.
Ein gewaltiges Leben pulsierte auch ferner in dem Geschäft; die Zeitung gewann immer mehr an Beachtung und Einfluß, an Abonnenten und Inserenten.
In der Buchdruckerei hoben sich die Geschäfte derartig, daß an Erweiterungsbauten für die neu einzustellenden Maschinen gedacht werden mußte.
Alle Neuerungen wurden geprüft. Wo sich herausstellte, daß in anderer Weise weniger umständlich gearbeitet, und insbesondere ein größerer Gewinn erzielt werden konnte, setzten die beiden Herren ein. Vielfach förderten und verbesserten sie zufolge ihrer planvollen Ueberlegungen noch das, was der Erfinder ursprünglich ersonnen hatte.
Das gesamte Räderwerk faßte genau ineinander. Wo einmal das Personal zu versagen Gefahr lief, da war bereits im voraus dafür gesorgt, wie Ersatz zu schaffen. Wo Mitarbeiter an Eifer nachließen, da wurden andere berufen. Nirgends Stillstand, überall Regsamkeit und Fortschritt.
Daß die beste Empfehlung und die beste Reklame stets diejenige sei, wirklich Gutes zu leisten, bewahrheitete sich auch hier. Da überdies Klamm für die Zeitung immer ein ganz bestimmtes Lesepublikum im Auge behielt, dessen Geschmack und Wünsche im Laufe der Zeit hatte festgestellt werden können, so gewann er stetig mehr an Terrain.
Adelgunde schrieb höchst zufriedene Briefe aus Paris. Sie verspürte vorläufig gar keine Neigung, zurückzukehren. Sie ermüdete die Geduld ihres Mannes auch nicht durch Eifersüchteleien. Nur anfangs hatte sie den alten Ton angeschlagen. In der letzten Zeit war es sogar einmal vorgekommen, daß sie geschrieben hatte:
»Es kommt mir so vor, daß ich auch in einer Ehe mit Dir glücklich sein könnte, wenn ich fern von Dir wäre.
Ich lebe durch die Illusionen, denen ich mich hingebe, fast glücklicher als vordem, und überdies finde ich Ersatz durch den Verkehr mit anregenden Männern. Du wirst ja nicht eifersüchtig, wenn ich das sage? Du wärest mich gern los? Gelt?«
Diese Worte hatten doch Klamm zum Nachdenken gestimmt, allerdings fühlte er sich dadurch nicht einmal unangenehm berührt.
In solchen Augenblicken gingen dann seine Gedanken zu Ileisa, die nun bereits seit einem halben Jahre mit ihrer Tante nach Hamburg übergesiedelt war, und hier zunächst das Ende des Scheidungsprozesses abwartete.
Sie hatten sich noch vor ihrem Fortgang mehrere Male draußen gesprochen. Ileisa hatte auch Frau von Klamm wiederholt besucht. Es war beides ohne Wissen der alten Knoops geschehen. Nur Margarete hatte Kenntnis davon gehabt, es nicht eben gebilligt, aber auch nicht verhindert.
Sie fühlte ihnen nach, daß sie sich zu begegnen wünschten. Wenn sie einschränkend erklärte, daß sich Ileisa so verhalten müsse, daß sie keinerlei Vorwurf während ihrer noch bestehenden Ehe treffen könne, so geschah's mehr aus einem Rest von Eifersuchtsgefühl, das sie sich zwar nicht selbst zugestehen wollte, das sie aber thatsächlich leitete. –
Die alte Zuneigung für Klamm brach immer noch einmal wieder hervor. Wenn sie auch Ileisa den Mann gönnte, den sie ursprünglich geliebt, so hätte sie ihn doch sich – wäre eine Aussicht dazu gewesen – nicht minder als Gatten gewünscht.
Knoops hatten sich überall verabschiedet. Sie waren bei ihren alten Freunden und bei denjenigen gewesen, denen sie seinerzeit ihre Antrittsbesuche gemacht. Nirgends waren sie indessen bei ihren Rundfahrten ausgestiegen, nur die Karten waren von dem Diener abgegeben worden.
Sie wollten nicht gefragt werden, weder, wohin sie sich zu begeben die Absicht hatten, noch, was ihr Fortgehen veranlaßte.
So viel Bitterkeit und so viel Ingrimm gegen die gesamte Gesellschaft saß in ihnen, daß sie diese nicht durch Reden und Erklärungen noch vermehren wollten.
Sie hatten genug von allen, denn fast alle hatten ihnen den Rücken gewendet. Daß es auch an ihnen, vielleicht gar allein an ihnen lag, erkannten die Frauen, nicht aber gab es Herr von Knoop zu. In den Resultaten war's auch gleich. Sie brauchten ja auch die Menschen nicht. Sie waren unabhängig. Fiel's ihnen ein, konnten sie in Afrika wohnen. Frau von Knoop war zudem glücklich, daß es ihr noch in ihrem Alter vergönnt sein sollte, in ihrer Heimat zu leben. –
Arthur hielt sich abwechselnd in Paris, London und Berlin auf. Mit seiner Familie hatte er keinen Verkehr mehr. Nur einmal hatte er in seiner nüchternen Weise geschrieben, daß es ihm gut gehe, und daß er Gleiches von ihnen erhoffe.
Das Verhältnis war nicht schlechter geworden, aber es war auch nicht gut. Es bestand gegenwärtig sozusagen gar keines zwischen ihm und der Familie.
Herr von Knoop entschlug sich – um über Unabänderliches keine neuen Aufregungen herbeizuführen – des Nachdenkens über seinen Sohn. Die Frau resignierte unter Hoffen auf eine wieder eintretende Wandlung der Dinge.
Zwischen ihnen und Ileisa war eine völlige Entfremdung eingetreten. Knoops schoben in ihrer Verbitterung Ileisa die Verantwortung für das Geschehene zu, sie gaben ihr, je länger, desto mehr, Schuld an dem Ausgange der Dinge. Sie beschuldigten sie, daß sie während ihrer Ehe Beziehungen zu Klamm angeknüpft habe.
Noch hielt Margarete zu Ileisa, aber da sie seit ihrem Fortgang von Behrwalde fortdauernd kränkelte, oft wochenlang bettlägerig war, verminderte sich zunächst die Korrespondenz und sie hatte, da sich Ileisas Stolz gegen die ungerechte Behandlung aufgelehnt, gegenwärtig ganz aufgehört. –
Das nächste bedeutsame Ereignis war die Wiedererkrankung der Frau von Klamm. Ihr Zustand wurde so bedenklich, daß sich Alfred täglich zu ihr herausbegab.
Es war an einem Tage am Ende des Sommers, als er abermals, von Sorge getrieben nach Grünhagen fuhr, um ihr seine liebevollen Empfindungen an den Tag zu legen.
Schon im Flur teilte ihm die Magd mit, daß es heute grade sehr schlecht stehe, und mit zitterndem Herzen trat Klamm zu seiner Mutter ins Schlafgemach und ließ sich an ihrem Bette nieder.
Und sie streckte die Hand aus und sprach mit einem Ausdruck von Verzicht in den kranken Zügen, der dem eindrucksvollen Mann das Innere zerschnitt:
»Sei nicht traurig; weine nicht, mein teurer Alfred. Wir werden allerdings getrennt, aber dir bleiben die Erinnerungen an die guten Stunden, die wir zusammen verleben durften, und ich finde Erlösung. Der Tote ist immer der Glücklichere. Da er keine Seele mehr besitzt, so entbehrt er nichts und leidet auch nicht mehr.
»Ist es nicht das höchste Streben und der Wunsch eines jeden, das zu erreichen?
»Mir wird das Sterben nicht schwer, weil ich mit der Sicherheit davongehe, daß du – soweit ein Mensch sorgenfrei werden kann – es geworden bist. Fandest du insbesondere in deiner Ehe kein Genüge, denke an andere und vergleiche! Sobald wir vergleichen, gelangen wir zu der Einsicht, daß wir es doch noch besser haben, als tausende.
»Ich hätte deine Frau gern noch einmal gesehen, aber sie zu rufen, wird zu spät sein. Grüße sie von mir und sage ihr, daß ich mit wärmsten Gefühlen von ihr Abschied genommen habe.
»So, und nun kann ich nicht mehr sprechen. Küsse mich, mein Herzensjunge. Gott breite seinen vollsten Segen über dich aus.«
Gegen Morgen war sie dann wirklich verschieden. Aber nach Verlauf von vier Wochen hatte sich etwas gleich Bedeutsames zugetragen.
Es war Klamm ein Brief zugegangen mit folgendem Inhalt:
»Hochverehrter Herr von Klamm!
Ich mache Ihnen die Mitteilung, daß meine Tante gestern nacht gestorben ist, und frage Sie durch diese Zeilen, ob es Ihnen möglich sein würde, nach Hamburg zu kommen, um mir zur Seite zu stehen. Ich bitte darum, weil ich völlig allein bin. Die Familie Knoop hat sich schon seit Wochen nach Madeira begeben, und wenn ich sie auch wirklich erreichen könnte, so würden sie doch deshalb nicht zurückkehren. Auch Margarete ist nach einem Influenzaanfall so leidend – um ihretwillen haben Knoops ihr Gut in Holstein verlassen – daß sie nicht zu mir reisen kann. Sie wäre sonst sicher zu mir geeilt. Ich wage diesen Anspruch an Sie zu erheben, weil Sie mir in Ihrer großen Güte bei unserer letzten Begegnung sagten, daß Sie – wann immer ich Sie riefe – da sein würden.
Ihre Ileisa von Knoop.«
Klamm hatte den Brief in dem Augenblick gelesen, als der auch ferner im Geschäft verbliebene Adolf ihm einen Herrn aus dem Ministerium gemeldet.
So legte er vorläufig das Schreiben zu anderen, eben von ihm durchgesehenen Korrespondenzen, obschon es ihm noch durch den Sinn ging, daß es besser sei, grade dieses Schriftstück wegzuschließen.
Unter den Ansprüchen, die dann an ihn herantraten, und die ihn Stunden lang und länger als sonst in Atem hielten, blieben die Eingänge auf dem Pulte liegen. Sie wurden auch von Klamm – da er mit einem Lieferanten in der Druckerei zu thun hatte und sich mit diesem in der Nähe in ein Restaurant nach geschehener Rücksprache begab – später nicht entfernt.
Er besorgte selbst die Depesche an Ileisa nach Hamburg, in der er ihr mitteilte, daß er bereits abends abreisen und sie in der Frühe sogleich aussuchen werde.
Klamm hatte, als er gegen fünf Uhr zu Tisch kam, Adelgunde, die zur Beerdigung seiner Mutter nach Berlin zurückgekehrt war, an diesem Tage noch nicht gesehen. Sie stand sehr spät auf, während er stets früh wach und in Thätigkeit war.
»Ich werde heute abend eine Reise antreten,« warf Klamm, nachdem er seine Frau gelassen gegrüßt, nach bereits verzehrter Suppe hin. »Auch werde ich einige Tage fortbleiben, denke jedoch Ende der Woche zurückzukehren.«
»Ich weiß es – ich weiß alles,« entgegnete Adelgunde, die ihm schon mit sehr verschlossener Miene gegenüber gesessen, mit ausdruckslosem Gesicht.
»Du weißt es?! Was weißt du?«
»Ich suchte dich in deinem Kontor auf, fand dich nicht, aber einen offen daliegenden Brief von der Person in Hamburg, den ich las –«
»Du liest Briefe ohne Erlaubnis. – Darüber muß ich mich wundern –«
Statt diesmal etwas zu entgegnen, sah Adelgunde ihren Mann erst mit einem kurzen Blick an. Dann legte sie die Serviette beiseite, lehnte sich in ihren Stuhl zurück, bedeckte ihr Angesicht und brach, während sich Thränen aus ihren Augen lösten, in die Worte aus:
»Wie war ich einst glücklich – und wie unglücklich fühle ich mich heute.«
»Ja, wir beide,« bestätigte Klamm mit müder, trostloser Stimme.
Da der Diener in diesem Augenblick erschien, wußten sie ihre Erregung zu verbergen. Nachdem er aber gegangen, stand Klamm, gleichsam in besserem, mildem Besinnen auf, zog seine Frau auf das Kanapee und sprach:
»Warum peinigen wir uns gegenseitig, Adelgunde? Wollen wir nicht einmal frei mit einander reden, damit wir beide zur Ruhe gelangen können? Du sagst, du seist nicht glücklich. Warum bist du es nicht, da ich dich doch ganz gewähren lasse –«
Sie zog die Schultern wie jemand, der reden möchte, aber die Sprache nicht findet.
Klamm aber fuhr fort:
»Und da du mich nicht mehr liebst, entbehrst du auch nach der Richtung nichts mehr.
»Du kannst mich doch nicht mehr lieben, denn selbst die lebhafteste Empfindung erlischt, wenn sie keine Nahrung empfängt. Ich gestehe zu, daß ich dir nichts biete. Aber ich kann nicht geben, was ich nicht besitze.«
Adelgunde bewegte mit der Miene tiefster Bitterkeit das Haupt. Dann stieß sie heraus:
»Ah! Ich begreife! Da du heute zu ihr reisen willst, nimmst du die Gelegenheit wahr, mich für immer zu verabschieden.«
Klamm sah seine Frau, mit sanftem Vorwurf im Auge, an.
»Nein!« entgegnete er dann. »Ich verband mit meiner Bitte gar keine Nebengedanken. Ich wollte nur mit dir überlegen, welchen Modus wir jetzt, nach deiner Rückkehr, nach Mamas Tode, wählen könnten, uns nicht zu trennen, aber nebeneinander ohne Verstimmung einzurichten. Und ferner: Von mir wird der Vorschlag, ganz auseinander zu gehen, niemals gemacht werden.«
»Und weshalb nicht?«
»Meine Dankbarkeit gegen dich verbietet es. Es wäre ein Akt größter Undankbarkeit –«
»Das verstehe ich nicht. Du könntest, wenn dieses Gefühl so mächtig in dir ist, es doch auch in anderer Weise zum Ausdruck bringen –«
»Zum Beispiel, Adelgunde?« Klamm sprach freundlich und einlenkend.
»Daß du dich bemüht hättest, mich glücklich zu machen, Alfred –«
»That ich es, thue ich es nicht, Adelgunde?«
»Kann ich mich glücklich fühlen, wenn du eine andere liebst?«
Einen Augenblick zauderte Klamm mit der Antwort, dann erwiderte er:
»Ich lebe doch nicht mit der, von welcher du sprichst. Ich nähere mich ihr niemals. Bei unseren Begegnungen haben uns zwar unsere Gefühle überwältigt, aber dabei ist es geblieben. – Wir haben nicht einmal korrespondiert.«
»Ich glaube dir, Alfred. Aber du liebst sie doch – und mich liebst du nicht –«
Nun zog er die Schultern.
»Wollen wir uns nicht einmal sachlich verständigen, Adelgunde. Ich wiederhole Vorhergesagtes.«
Sie nickte ernst.
»Wohlan, ja, sprich, Alfred.«
»Sage mir erst mit einem unverbrüchlichen Wort der Wahrheit, ob du dir in der Ehe mit mir nichts vorzuwerfen hast? Kamst du keinem Mann in deinen Gedanken, keinem durch deine Handlungen entgegen? Ich fordere von dir dieselbe Wahrhaftigkeit, die ich dir eben bewiesen.«
Erst sah sie ihn forschend, mißtrauisch, aber auch ängstlich an, dann erwiderte sie:
»Du weißt, wie ich bin. – Ich interessiere mich für Männer –«
»Das ist keine richtige Antwort, Adelgunde. Ich frage dich auf Ehre und Gewissen:
»Interessierst du dich nicht in ungewöhnlich starker Weise für Herrn Arthur von Knoop. Warst du nicht in Paris wiederholt mit ihm zusammen? Hat er dir nicht Avancen, ja einen Antrag gemacht? Mir ist das von mehreren Seiten mitgeteilt –«
Adelgunde zuckte zusammen und statt zu antworten, ließ sie sich neben ihm nieder, umschlang seine Knie, sprach auch jetzt nicht, aber weinte und schluchzte bitterlich.
»Ach, was werde ich hören müssen,« stieß Klamm heraus. Und dann:
»Sprich, was es auch sei. Ich bitte dich, Adelgunde. Es ist bei dir dein bester Freund auf der Welt trotz alledem! Er wird alles verstehen und sicherlich alles – vergeben können.«
»Nein, nein – nein, das – das kannst du nicht –«
Sie war wie zerschmettert. Als ob die Kräfte versagten, die Glieder zu regieren, dem Körper zu gebieten, so lag sie da.
»Rede – rede – ich bitte dich noch einmal,« drängte Klamm gütig.
»Du weißt ja alles, Alfred –«
Ein kurzer Laut ging aus Klamms Munde. Dann sprach er:
»Nun wohlan! Aber wenn es so ist, so verstehe ich nicht, daß dir die Trennung von mir so schwer wird. Jetzt brauche ich ja nicht mehr zu fragen, ob du mich noch liebst! Jetzt erweise ich dir ja einen Dienst, wenn ich sage: lösen wir unsere Ehe.«
»Ach, Alfred, ich liebe dich ja doch, liebe dich ja tausendmal mehr, als jeden anderen Menschen, wenn ich mein besseres Ich finde, wenn ich still und ruhig, nicht im Rausch des Vergnügens bin. Aber jetzt, jetzt – nachdem ich die Treue gegen dich verwirkte – bleibt mir ja nichts anderes, als dich zu bitten, daß du – mich – frei giebst.«
»Armes Weib – arme Frau – Ich wollte, ich könnte dir helfen. – Ich wollte, ich könnte dich glücklich machen. Glaubst du, daß ich mit dir fühle, Adelgunde –?«
»Ja – ja,« seufzte sie mit immer noch abgewendetem Gesicht. –«Ich glaube alles von dir, was gut, nachsichtig, groß, menschlich und gerecht ist. Grade weil du, obschon auch bisweilen ein irrender Mensch, alle deine Gedanken auf das Ernste, Maßvolle, wahrhaft Gute gerichtet hast, muß ich dich ja lieben, kann ich das Gefühl für dich nicht aus meinem Herzen reißen.«
»Rege dich nicht auf, Adelgunde! Beantworte mir aber noch eine Frage: Ich stelle sie, um zu überlegen, ob ich dir in deinem Sinne zu helfen vermag –«
»Nun ja, ich bitte?« bestätigte sie und nahm, jetzt ihr Angesicht trocknend, ihm gegenüber im Sofa Platz.
»Ihr wollt euch also heiraten –?«
»Ich habe ihm noch keine Zusage gegeben. Wie könnte ich –«
»Er drängt dich aber?«
Adelgunde nickte.
»Und du meinst, daß ihr für einander paßt?«
Sie zog die Schultern.
»Ich finde bei ihm gleichen Sinn und gleiche Interessen. Das zieht mich an. Er besitzt eine eiserne Gesundheit, einen unverwüstlichen Gleichmut, einen Cynismus, der mich nicht nur nicht stört, sondern anzieht. Er hat ein vorteilhaftes Aeußeres, er weiß sich in der Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Er ist klug und ist geschickt in allen Dingen, die die Kreise, in denen ich leben möchte, schätzen.«
»Hm – aber er ist kalt – sehr kalt, Adelgunde. Wie hat er sich gegen seine Frau benommen –«
»Sie langweilte ihn – sie ist ein Tugendspind – sie ist phlegmatisch, ohne Temperament – sie liebte ja auch dich, nicht ihn.«
Adelgunde wollte noch mehr sagen, sie war im Begriff, einen Ausfall gegen Ileisa zu machen, aber Klamm ließ sie nicht dazu gelangen.
Er sagte:
»Wenn du nun aber dasselbe in der Ehe erlebst, wie Ileisa, Adelgunde –?«
Sie stieß an mit einem herbklingenden Laut. Dann erwiderte sie in einem wehmütig ernsten Ton:
»Gewiß, es kann kommen, daß er auch mich vernachlässigt. Aber habe ich dann weniger, als jetzt?
»Wir leben doch auch nur nebeneinander! Aber Arthur von Knoop wird mich nie in der Ausübung meiner Neigungen hindern, wir werden – ich wiederhole es – in dieser Beziehung völlig harmonieren. Es giebt keine Menschen, die nach der Richtung besser für einander passen.«
»Hm – so wären wir uns denn einig. – Du willst von mir gehen –?«
»Ich will nicht, du willst, Alfred – und nun muß ich, da ich mich – deiner – unwert gemacht –«
Sie sprach die Worte mit tief herabgesenktem, demütigem Blick, abgebrochen, voll Scham und Zerknirschung. Und Klamm sprach:
»Ich will dir nichts vorwerfen und ich will dir nichts nachtragen. Ich will mich in deine Lage hineinversetzen und denken, ich sei es selbst, dem zu verzeihen wäre. Das ist meine Antwort!
»Ueber alles weitere, über das wann und wie wollen wir uns in völligem Frieden verständigen. – Lasse uns jetzt speisen. Komm! Ich muß noch meine Geschäfte besorgen, packen – ich kann das arme Weib in Hamburg nicht ohne Hilfe lassen. Finde dich darein. – Noch einmal! Komm!«
»Ich kann nichts essen, Alfred! Aber ich will dir danken, du guter, edler Mensch.«
Sie umschlang ihn und küßte ihn wie eine Braut. Und ihn durchzog's, und alle Schauer des Mitleids drangen auf ihn, aber auch jene Empfindungen, die uns trotz alles Kämpfens beschleichen, wenn wir die Liebkosungen einer Frau – dulden, statt ihrer zu begehren.