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Die Unterredung zwischen Fräulein von Oderkranz und Arthur fand infolge schriftlicher Vereinbarung in der Wohnung der alten Dame statt.

Arthur saß in seinem hochmodernen, schwarzen, eben aus einem Mode-Magazin hervorgegangenen Anzug, mit dem sorgfältig gepflegten Spitzbart und den überaus subtil gepflegten Händen, der ein zwar höfliches, aber sehr gemessenes Wesen hervorkehrenden alten Dame gegenüber. –

»Ich habe die Bitte an Sie gerichtet, mich zu besuchen, weil ich nach den mich tief erschütternden Mitteilungen meiner Nichte aus Ihrem Munde hören – um der Ehre unseres Namens willen – hören möchte, welche Gründe Sie bestimmen, die Ehe wieder lösen zu wollen?« begann Fräulein von Oderkranz und schob den dürren, in einem altmodischen, braunen Seidenkleide steckenden Körper in steifer Haltung zurück.

Arthur, der neuerdings ein Glas in dem linken Auge trug, ließ es, ohne es mit der Hand zu berühren, mit ausdrucksloser Miene fallen, und sagte ohne jegliche Erregung:

»Ich wundere mich, offen gestanden, verehrte Gnädige, daß Sie grade diese Frage an mich richten. Ich habe doch Ileisa auseinandergesetzt, was mich zu meinem Entschluß veranlaßt. Ich habe eingesehen, daß wir nicht zu einander passen, und meine, daß wir eine gegenseitige Unbequemlichkeit nicht freiwillig fortsetzen wollen.

»Den Anschauungen, in denen Sie auferzogen sind, widerspricht die Lösung einmal geschlossener, ehelicher Bündnisse. Unsere abgeklärteren Begriffe haben uns dahin gebracht, daß wir sagen: man trenne sich ohne Eklat in Frieden und suche, statt sich unpraktischen Sentimentalitäten hinzugeben, die Folgen eines begreiflichen und verzeihlichen Irrtums zu beendigen. Die Ansicht, man nähme Schaden an seiner Ehre und seinem Ansehen, ist nur ein – pardon – künstlich erzeugtes, einer gewissen Schablonen-Anschauung entspringendes Gefühl. Alle verständigen Menschen werden den Entschluß gutheißen. Irrtümer, Lügen und Komödien nicht fortzusetzen, nicht deshalb an unnatürlichen Verhältnissen festzuhalten, weil die Welt darüber die Nase rümpfen könnte.

»Ich will überdies nochmals, auch Ihnen gegenüber betonen, daß ich Ileisa gar nichts vorzuwerfen habe, nicht einmal, daß sie sich neuerdings um Herrn von Klamm recht sehr bemüht, so bemüht hat, daß es an sich eigentlich mit ihren Ehepflichten nicht ganz im Einklang steht. Es ist mir darüber grade gestern berichtet worden. –

»Ich will das nur erwähnen, damit Sie nicht unter dem Eindruck stehen, meine Gnädige, daß Ileisa lediglich die Eigenschaften eines Engels besitzt. Wir sind eben alle Menschen und haben unsere Tugenden und begreiflichen Schwächen.«

»Ich möchte darauf erwidern,« entgegnete Fräulein von Oderkranz, »daß das unausgefüllte Herz naturgemäß nach Ersatz sucht. Daß Ileisa etwas Unweibliches gethan, daß sie ihre Pflichten gegen Sie versäumt, gar die Treue gegen Sie gebrochen, ist ausgeschlossen! Und was Ihre Ausführungen anbelangt, so möchte ich Ihnen doch auch meinen Standpunkt darlegen, den Standpunkt, den Sie als unpraktische Sentimentalität bezeichnen.

»Die Ehe wird unter sehr ernsten, im Gotteshause stattfindenden Ceremonien geschlossen. Der Geistliche richtet an beide Beteiligte Fragen, die, wenn sie sie mit Ja beantworten, ihnen unverbrüchliche Ehrenpflichten auferlegen, in dem Sinne auch, daß jeder – und sei's ein Menschenleben hindurch – die Aufgabe hat, erziehlich, sanft und geduldig auf den anderen einzuwirken, Liebe zu erzeugen und zu kräftigen. Eine absolute Notwendigkeit tritt ein, eine gradezu heilige Pflicht, wenn die Ehe mit Kindern gesegnet ist. Gewiß, bequemer ist's, die Ehe als ein Zeitbündnis zu betrachten. Zwei Kameraden vertragen sich in demselben Gemach nicht mehr und trennen sich.

»Aber es ist dies doch die allerroheste Anschauung über das, was wir selbst einmal als eins der vornehmsten Sittengesetze aufgestellt haben.

»Es gehört ein grenzenloser Mangel an Pflichtgefühl und rechtschaffener Gesinnung dazu, auch diese menschliche Beziehung lediglich aus dem Gesichtspunkte der Nützlichkeit und Bequemlichkeit zu behandeln. – Sie erachten die Anschauung, daß die Familienehre durch Scheidung nach außen beeinträchtigt wird, als ein künstlich erzeugtes Eitelkeitsgefühl. Ich muß dem widersprechen. Der vornehm geartete, wahrhaft sittliche Mensch hat das natürliche Bestreben, in der Umgebung, in die ihn die Verhältnisse gesetzt haben, nicht nur als eine möglichst tadellose Persönlichkeit zu erscheinen, sondern auch eine solche zu sein.

»Ehre, Anstandsgefühl, moralisches und sittliches Empfinden sind ein Teil des Blutes gewisser Menschen, und daß sie es besitzen, ziert sie.

»Ernste Pflichten zu üben, statt die Welt als ein lustiges Schlemmerhaus anzusehen, und danach zu leben, ist eine Sache jener Religion, die zwar nichts auf Aeußerlichkeiten, aber desto mehr auf ein musterhaftes, auf Grundsätzen aufgebautes Handeln und Wirken sieht, jenes, das den Eingang in eine bessere Welt vorbereitet.«

»Hm – sehr schön! Ich verstehe Ihren Standpunkt vollkommen, meine Gnädige. Aber schon, da ich ihn nicht teile, bin ich Ihrer Nichte nicht wert.

»Lassen wir alle moralischen Betrachtungen und Ergüsse – ich bitte Sie dringend.

»Lassen Sie uns lieber darüber unterhalten, welche beste Form wir wählen, um das einmal Unabänderliche zu gestalten.«

»Sie übernahmen auch materielle Pflichten gegen meine Nichte. Wie denken Sie darüber, Herr von Knoop?«

»Mein Vater wird sich darüber mit Ihnen unterhalten, meine Gnädige.«

»Haben Sie denn schon mit ihm Rücksprache genommen?«

»Nein vorläufig im speziellen wenigstens noch nicht. Sie mögen aber beruhigt darüber sein, daß Ihr Fräulein Nichte nicht zu kurz kommt –«

»Das bin ich eben nicht, Herr von Knoop. Nachdem ich nicht einmal die mir gütigst von Ihnen freiwillig zugesagte Rente erhielt, bin ich in Sorge.

»Wann wollen Sie mir eine schriftliche Erklärung von Ihrem Herrn Vater aushändigen, die meine Nichte sichert, die unbedingte Garantie liefert?

»Und welche Jahreszuwendung haben Sie sich gedacht?«

»Ich kann, wie gesagt, darüber Bestimmtes noch nicht äußern, ich wiederhole bereits Gesagtes –«

»Wohlan! Ich erwarte also Ihre Mitteilungen! Und noch eins! Sie nehmen alle Schuld der Ehelösung auf sich –?«

»Ja – ich nehme die Schuld auf mich. Ich werde Ileisa verlassen, und sie wird auf böswillige Verlassung ›klagen‹. Das ist der formelle Hergang.«

»Wann darf ich den Besuch Ihres Herrn Vaters erwarten!? – Offen gestanden, bin ich überrascht, daß bei solcher Sachlage Ihre Familie mir nicht die Ehre eines Besuches, nicht einmal einer Benachrichtigung gegönnt hat. –

»Nur Fräulein Margarete hat mir während unserer Bekanntschaft freundliche Rücksichten erwiesen.«

Arthur zog die Lippen. Er wollte nun nichts mehr hören, es ergriff ihn eine gewisse Reizbarkeit. Er erhob sich nach den letzten Worten der Dame und sagte in einem ruhig bestimmten Tone:

»Ich bitte Sie dringend, keine Empfindlichkeiten hervorzukehren, und keine zu erzeugen, meine Gnädige. Es geschieht, wenn Sie so fortfahren, und statt Vorteile, werden Ihnen Nachteile erwachsen.

»Ich gebe Ihnen die bündige Erklärung nochmals, daß Sie über alles benachrichtigt werden, und daß Sie nicht zu kurz kommen sollen. Was ausblieb, wird nachträglich erfüllt werden.«

Damit griff er nach seinem Hut, wehrte mit einer wenig rücksichtsvollen Bewegung den lästigen Hund von sich ab, und verließ nach formellen Abschiedsworten das Gemach. –


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