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Gegen Mitternacht, während sich die Gäste bei Knoops im vollen Genießen befanden, wurde draußen an der Hausthürklingel der Villa gezogen. Als Adolf öffnete, trat ihm ein hochaufgeschossener, hagerer Mann mit wüsten Augen, krankhaft geröteten, scharf hervortretenden Backenknochen und einem unangenehm wirkenden rotbraunen Halbbackenbart entgegen. Er fragte, im übrigen wie ein Gentleman gekleidet, mit hohem Zylinder und Pelz versehen, in einem kurzen Tone, nach Herrn Knoop. Als Adolf entgegnete, es sei Gesellschaft im Hause – es werde sich Herr Knoop jetzt unter keinen Umständen sprechen lassen, – erwiderte er:

»Sagen Sie nur, daß es sich um höchstens fünf Minuten, daß es sich aber um eine sehr wichtige und eilige Geschäftsangelegenheit handle. Sie können hinzufügen, daß ich noch diese Nacht Berlin verlassen müsse, daß ich deshalb jetzt komme.

»Wo kann ich mich solange aufhalten, bis Herr Knoop kommt?« schloß er, indem er durch solche Frage ohne Weiteres seinen Willen zur Geltung zu bringen suchte.

»Ist hier nicht ein Gemach, wo ich warten kann?« Adolf zeigte, durch die Sicherheit, mit der jener austrat, nachgiebig gemacht, auf ein kleines, einfenstriges Kabinett zur Rechten.

In dieses trat dann auch der Fremde ein, während sich Adolf rasch in den Tanzsaal begab.

Knoop unterhielt sich eben mit Klamm, sie beredeten noch eine kleine Ueberraschung für die Gäste.

»Ein Fremder? Ein Fremder um diese Zeit? Was will er?«

Adolf berichtete, was er wußte.

»Bitte, begleiten Sie mich, Herr von Klamm,« entschied Knoop rasch entschlossen. »Da es sich um Geschäftliches handelt, sind Sie ja ebenso sehr interessiert –«

Unter solchen Worten schritt Knoop voran, und wenige Augenblicke später traten sie in das erwähnte Kabinett.

»Ah! du!« stieß Knoop ebenso enttäuscht wie zornig heraus. »Nun dringst du gar nachts unter einer Lüge in mein Haus! Nein, nein – gieb dir keine Mühe! Ich habe nichts zu hören –«

»Du erregst dich zu deinem eigenen Nachteil, Friedrich,« fiel Theodor Knoop mit eiserner Ruhe ein.

»Ich frage, da ich Berlin verlassen muß, da ich eine Antwort auf meine Zeilen nicht empfing, ob du meiner Bitte entsprechen willst? Ich erkläre mit meinem Ehrenwort, daß ich dich nie wieder belästigen werde. Ich will dir einen schriftlichen Verzicht ausstellen.«

»Sehr gnädig! Du thust wirklich, als ob du Ansprüche zu erheben hättest, während du ganz dasselbe jedesmal beschworen hast. Was nach solchen Erfahrungen ein Ehrenwort aus deinem Munde bedeutet –«

»Ah,« preßte Theodor Knoop in ergrimmtem Tone heraus, und seine Augen funkelten.

»Immer bleibst du doch derselbe eingebildete Hochhinaus, der du schon als Knabe warst, hältst dich für hundertfach besser, als andere, giebst schöne Lehren und teilst weise Sprüche aus, während du – –«

»Nun, ja – ja – ja – es mag sein, daß du vieles mit Recht an mir auszusetzen hast. Wir geben uns eben darin nichts nach; und weil dem so ist, habe ich ja schon seit langen Jahren vorgeschlagen, daß wir auseinander bleiben. Du aber kommst immer wieder, und natürlich immer dann, wenn du Geld von mir erpressen willst –

»Ich aber erkläre dir, daß ich mich auf nichts mehr einlasse! Ein Vermögen, das ich dir nach und nach hingab, ist zwecklos verschleudert. Es würden die Tausende auch in den Sand geworfen sein, die du heute verlangst. –

»So das ist mein letztes Wort; wir haben nichts mehr miteinander zu sprechen. – Ich muß dich ersuchen, mich nicht ferner mehr zu belästigen. Es ist höchste Zeit, daß ich zu meinen Gästen zurückkehre.« –

Theodor Knoop, ein Mann mit einem tückischen Auge und kaltem Ausdruck in den Zügen, überlegte, was er thun sollte.

Er hatte diesen Weg eingeschlagen, weil er dadurch die ihm einzig noch bleibende Möglichkeit erkannte, von seinem Bruder etwas zu erreichen. Nun hatte er aber, statt den Bittenden zu spielen, seinem Bruder Beleidigungen ins Gesicht geschleudert. Ungeschickter hätte er es nicht anfangen können, ihn zur Hergabe von Geld zu bewegen.

Und da griff er zu dem letzten Mittel. Indem er rasch seines Bruders Begleiter musterte und zu diesem, zu Klamm, sich wendete, sagte er:

»Ich bitte Sie, mein Herr, ein gutes Wort für mich einzulegen. Ich wiederhole, daß ich durch dieses Geld zu einer dauernd soliden Existenz gelange. Bisher verfolgte mich das Unglück; – mein Bruder rechnet niemals dieses hinein, er spricht immer nur von meinem Leichtsinn, weil er nie die Verhältnisse geprüft hat. Soll ich denn wirklich zu einem Verzweiflungsakt getrieben werden? Ich frage: Ist derjenige, der sich durch seine Schuld in einer schweren Lebensbedrängnis befindet, weniger bemitleidenswert, als der unschuldig Leidende? Und wenn, ist nicht ein Unterschied zwischen Fremden und Brüdern?«

Und wieder zu seinem ungeduldig nach der Thürklinke greifenden Bruder:

»Gewiß! Ich war wiederholt ausfallend gegen dich, Friedrich. Es war aber Verzweiflung – es war nicht persönlich. Dir ist alles geglückt, du bist von der Natur anders veranlagt, so wurde es dir leichter, den glatten Weg zu gehen. Ich bitte, ich flehe dich an: Gieb mir das erbetene Geld! Sage, daß ich es mir morgen holen lassen darf. – Helfen Sie, mein Herr, diese Sache zwischen uns zu einem friedlichen Abschluß zu bringen!«

Herr von Klamm hatte bisher nur den stummen Zuhörer gespielt. Es war um so mehr geschehen, weil er in dem Manne, der hier nächtlich eingedrungen war, einen nach der Beschreibung seiner Mutter nicht zu verkennenden Komplizen derjenigen Geschäftsleute zu erkennen glaubte, durch die seine Mutter, während seines Aufenthaltes im Ausland um ihr Hab' und Gut gekommen war. Es war eine ganze Bande gewesen, die es in der raffinierteren Weise verstanden hatte, sie auszurauben.

So zog er nun die Achseln und sagte:

»Ich wurde von Herrn Knoop ersucht, ihn zu begleiten. Er nahm an, daß es sich um Geschäfte handle. In Herrn Knoops Privatangelegenheiten habe ich kein Recht einzugreifen; es würde, wie ich vermute, auch durchaus gegen seinen Willen sein.«

»Ich gebe aber nochmals zu bedenken, daß ich Ihnen allen für alle Zeiten entrückt werde. Ich will mich nach Südamerika einschiffen. Ohne Geld vermag ich es nicht, ich weiß es mir nicht anders zu verschaffen –«

»Wohlan, so will ich das Billet für dich kaufen,« sprach Herr Knoop plötzlich entschlossen. »Herr von Klamm wird dich auf das Schiff begleiten, und dir auch noch etwas Zehrungsgeld einhändigen. Ein Schriftstück unterzeichnest du vorher, daß du mir so und so viel schuldig geworden.

»Bist du damit einverstanden, so melde dich morgen vormittag elf Uhr zur näheren Rücksprache bei mir.«

»Und wie viel würdest du mir bewilligen, Friedrich?« forschte der Mann lauernd.

»Ich sagte es ja schon. Den Betrag für die Ueberfahrt und eine Summe in angemessener Höhe für den Anfang, keinen Pfennig mehr, und auch nur dann, wenn das Geld dafür verwendet wird. Und nun nochmals. – Adieu! Ich kann und will hier nicht länger verweilen –«

»Gieb mir 3000 Mark ohne Bedingung, ich wiederhole mit meinem Eidschwur, daß ich nicht wiederkommen will, Friedrich. Weise es mir zu der angegebenen Zeit an.«

»Nein, es bleibt, wie ich angab! Ich lasse mich nur nochmals bewegen, etwas zu thun, wenn du Deutschland verläßt. Es geschieht vorzugsweise auch um meiner Damen willen, die endlich Ruhe für mich herbeiwünschen.«

Noch einen Augenblick schwankte Theodor Knoop. Dann sprach er einen rauhen Dank, nickte kurz, griff nach seinem Hut und entfernte sich unter der nochmaligen Wiederholung der Zeitstunde, die für den folgenden Tag zwischen ihnen verabredet war.

Mit äußerlich sorglosen Mienen traten dann auch die beiden Herren wieder unter die Gäste. Niemand sah ihren Gesichtern an, was sich eben hinter den Thüren vollzogen hatte.

Man hatte sie bisher auch kaum vermißt, nur von Ileisa war bemerkt worden, daß sie sich mit beschäftigten Mienen beide plötzlich entfernt hatten.


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